Protokoll 59. Verhandlungstag – 21. November 2013

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Der langjährige Neonazi-Aktivist , einziger Zeuge an diesem Tag, berichtete zäh von seinem „Wissen“ über den späteren NSU, wobei er sich exzessiv auf „Erinnerungslücken“ berief. Seit Mitte der 1990er war er einer der engsten Vertrauten von Ralf Wohlleben, Holger G., Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Vor Gericht versuchte er offensichtlich, sowohl seine eigene, aber auch die Rolle von Wohlleben und Zschäpe, runterzuspielen und die Jenaer Naziszene als harmlose Jugendclique zu verkaufen.

Zeuge:

  • André Kapke (Weggefährte der Angeklagten Wohlleben, Holger G. Und Zschäpe und verschiedener Unterstützungsleistungen für die Untergetauchten verdächtigt)

Der Zeuge André Kapke aus Magdala bei Jena, 38 Jahre alt, „selbständig auf dem Bau“ erscheint mit seinem Zeugenbeistand Rechtsanwalt Dirk Waldschmidt (Funktionär der hessischen NPD). Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl belehrt ihn über sein mögliches Auskunftsverweigerungsrecht, da gegen ihn aktuell ein Ermittlungsverfahren vorliege. RA Waldschmidt äußerst sich zur Gefahr der Selbstbelastung, der Zeuge sei erheblich verletzt worden und leide unter bedeutenden Erinnerungslücken, weshalb er anwaltliche Hilfe in Anspruch nehme. Nebenklagevertreter RA Scharmer regt an, dass wenn es um Erinnerungslücken gehe, solle vielleicht Waldschmidt selbst als Zeuge gehört werden. Das Gericht ordnet die Beiordnung des Zeugenbeistands an, da der Zeuge wegen der Komplexität der Gegenstands die Auswirkungen seiner Aussage nicht ermessen könne.

Der Vorsitzende Richter Götzl befragt den Zeugen nach seinen Kontakten zu den Angeklagten und zu Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, wie der Kontakt bis zum Tod der beiden verlaufen sei und welchen Umfang die durch die Anklagten geleisteten Unterstützungen für das „Trio“ nach 1998 gehabt habe. Er solle am besten damit anfangen zu berichten, wie er die Angeklagte und „die Uwes“ kennengelernt habe. Im Laufe der kommenden fünf Stunden windet sich der Zeuge mit den Antworten und lässt Richter Götzl Dutzende geduldiger Nachfragen formulieren.

Er habe, so der Zeuge André Kapke, die Angeklagte und die beiden Verstorbenen Anfang der 90er Jahre kennengelernt, die Umstände seien ihm jedoch nicht mehr erinnerlich, es sei wohl durch den Freundeskreis gewesen. Er sei in Jena Lobeda aufgewachsen, habe den Angeklagten Ralf Wohlleben in Jugendzeiten kennengelernt, alle anderen so im Laufe der Zeit durch den Freundeskreis. Es hätten sich so gemeinschaftliche Aktivitäten entfaltet, „wie das so ist, man hat angefangen seine Zeit miteinander zu verbringen“. Er sei nicht mit ihnen zur Schule gegangen, sie seien so 13/14 Jahre alt gewesen. Zunächst habe er die Angeklagten Wohlleben und Holger G. kennengelernt, dann Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos, könne sich aber nicht an den genauen Zeitpunkt erinnern; er habe keinerlei Erinnerung diesbezüglich. Es sei eine freundschaftliche Verbindung gewesen, „ich sag's mal salopp: ne Jugendclique“. Wohlleben sei derjenige, mit dem er am längsten und auch nach dem Untertauchen der anderen 1998 noch zu tun gehabt habe; mit Holger G.  bis zu dessen Wegzug 97, „kann auch 96 gewesen sein“; mit Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt habe er bis 98 Kontakt gehabt, dann nicht mehr.
Mit Wohlleben habe er viel gemeinsam gemacht, rumgehangen, was getrunken, sei gemeinsam auf Partys, zum Zelten, zum See gefahren. Als sie dann auch politisch angefangen hätten, habe sich das ausgeweitet auf Veranstaltungen usw., man sei zusammen zu Konzerten, Demonstrationen. Ja, zu nationalen Demos, welche da die bedeutsamsten gewesen seien, könne er gar nicht präzisieren, da er schon auf so vielen Veranstaltungen und Demos gewesen sei. Da sei die Anti-Wehrmachtsausstellungs-Demo in München [1996] gewesen, aber er wisse auch nicht mehr, wer bei welcher Demo mit gewesen sei; es sei allgemein so gewesen, dass alles aus der Jugendclique heraus entstanden sei und dann sei man zu Konzerten, Demos, Veranstaltungen gefahren – „andere fangen da vielleicht noch an Skat zu spielen“; das habe so 93/94 angefangen, dass sie politische Aktivitäten entfaltet hätten: Flugblätter verteilen, sich allgemein mit Politik auseinanderzusetzen, das sei dann stärker eingeflossen. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob sie organisiert gewesen seien, antwortet der Zeuge, „organisiert“ sei ein relativer Begriff: sie hätten für Flugblätter den Namen „“ verwendet, entsprechende Aktivitäten seinen dann eben der Gruppe zugesprochen worden. Es habe keine Struktur in dem Sinne gegeben. Da seien Wohlleben, Mundlos, Böhnhardt, Holger G. und er gewesen, trotzdem sei es keine fest gegliederte Sache gewesen, eine Menge Leute hätten mitgeholfen, er könne die Namen gar nicht mehr sagen. Es sei um Aktionen zu tagespolitischen Auseinandersetzungen gegangen. Götzl moniert die Antwort, das sei ihm zu farblos, das sei ja nur der rein technische Vorgang, was er da beschreibe. André Kapke präzisiert, es sei um „Politik aus nationaler Sicht“ gegangen, allgemein um Veränderung der gesellschaftlichen Struktur, man sei unzufrieden mit den Zuständen gewesen. Grundsätzlich habe man [die Gesellschaft]Nationale verteufelt und dass man auf sein Land stolz sein könne; das sei eine Politik gewesen, die gegen das Volk liefe. Die Interessen der Gruppe seien umfassend gewesen: Umweltpolitik, beginnende EU-Politik, natürlich das Ausländerthema und in Jena Lokalpolitik: es sei um die Förderung linksradikaler Projekte gegangen. Wer sich dem gegenüber als Rechter geoutet habe, habe keine Möglichkeit gehabt, seine Freizeit zu gestalten. Es habe damals in Jena mehrere linksradikale Treffpunkte und Wohnprojekte gegeben.
Zum Thema Ausländerpolitik sagt der Zeuge: das sei eine falsche Politik gewesen, das sei in eine Richtung abgerutscht, die nicht mehr gut gewesen sei: der Zuzug von Ausländern habe soziale Probleme verschärft und sei für die Gesellschaft „nicht gerade förderlich“ gewesen. Zum Thema „Veränderung gesellschaftlicher Strukturen“ sagt André Kapke, man sei ja noch jung gewesen, im Sturm und Drang gewissermaßen. Man habe ja erlebt, wie schnell so ein System abgeschafft werden könne und gehofft, dass in der BRD sich etwas verändern könne. Das sei ganz simpel gewesen: man habe Menschen mit seinen Argumenten erreichen und dadurch etwas verändern wollen, man habe zeigen wollen, dass es etwas anderes gebe als das, was man den Leuten da vorkaue. Gewalt sei freilich immer Thema gewesen, aber da müsse differenziert werden, schließlich seien sie ständig angegriffen worden, Autos seien abgefackelt und zerstört worden, das seien die Linksautonomen gewesen.

Im Kontext der Kameradschaft sei eigentlich nicht über Gewalt geredet worden. Es sei ja keine richtige Struktur gewesen, eher nur ein Begriff, um der Sache einen Name zu geben. Auf Nachfrage bejaht Kapke, dass auch Beate Zschäpe dabei gewesen sei, mit im Freundes- und Bekanntenkreis. Frau Zschäpe sei immer dabei gewesen. Das sei schon in die Freizeitbeschäftigung übergegangen. Sie seien bestimmt 20 – 25 Leute gewesen, wenn man vom Mobilisierungspotential reden wolle. Die Kameradschaft Jena habe Flugblätter verteilt, sei zu Demos und Veranstaltungen gefahren. Konzerte seien dann schon eher der freundschaftliche/private Bereich gewesen. Der Angeklagte Carsten S. sei ein bisschen später dazu gekommen, aber er habe schon zum Freundeskreis gehört. Es habe auch Leute gegeben, die nicht unbedingt zum Freundeskreis gehört hätten, mit denen man halt Politik gemacht habe; die Genannten hier seien aber schon Freundeskreis gewesen. „Nationaler Widerstand Jena“ (NWJ) sei auch nur eine Namensfloskel, man habe einer Sache damit einen Namen gegeben, das sei ein loser Kreis von Personen gewesen, der nicht immer derselbe gewesen sei, man sei aufgrund politischer Aktivitäten da zusammengekommen. Der Unterschied zur „Kameradschaft Jena“ liege nur in den Personen, der NWJ sei zeitlich später gewesen. Es seien Leute gewesen, die gekommen und gegangen seien; die Sinnhaftigkeit der beiden Kameradschaften sei nahezu dieselbe gewesen. Kapke sagt, Ende der 1990er/Anfang 2000 sei es mit NWJ losgegangen, personelle Konstanten seien Ralf Wohlleben und er gewesen. Wie es zur Umbenennung von „Kameradschaft Jena“ in „Nationaler Widerstand Jena“ gekommen sei, könne er gar nicht sagen, das seien eben die zeitliche Abläufe in der nationalen Szene gewesen: es sei nur um namentliche Benennung gegangen. Man habe nicht in Organisationsstrukturen verfallen wollen, die hätten verboten werden können. Das habe sich gegen repressive Aktivitäten des Staates gerichtet, denn die seien in der Nachwendezeit vielfältig gewesen: es habe öfter Konfrontationen, ständig Übergriffe gegeben; sie seien von Beamten zusammengeschlagen worden. Er selbst, so der Zeuge, sei z.B. mal in einen Polizeibus gezerrt worden und habe „da erstmal ne Packung gekriegt“; man habe unter den Umständen einfach keine Lust auf Vereinsverbote gehabt, habe das umgehen wollen. Es habe mal eine Spontandemo gegeben, da sei er gezielt von Beamten rausgegriffen und in ein Auto gezogen worden und habe „dann eine ganz nette Behandlung bekommen“ – Schläge in Magen und Nieren; das sei das MEK [Mobiles Einsatzkommando] Jena gewesen. Sie hätten einen Liederabend veranstalten wollen, so im Jahr 94/95. Die Polizei habe das unterbunden, habe sie alle in eine Turnhalle gesperrt stundenlang bis spät; sie hätten verlangt, dass ihre Festsetzung irgendwie offiziell dokumentiert werde, so Kapke Daraufhin habe die Polizei durchgegriffen und sie geschlagen. Er sei danach aus einem fahrenden Auto gestoßen worden. Auf der Polizeiwache seien sie immer an Heizkörper gefesselt worden, der eine oder andere Beamte habe dann schon mal gedacht, er könne zuhauen. Anfangs hätten sie noch versucht, sich zur Wehr zu setzen, juristisch, das sei aber „böse in die Hose gegangen“, es habe Gegenanzeige gegeben – die [Polizisten] seien freigesprochen und sie verurteilt worden. Später sei man bis vor das Verwaltungsgericht gezogen, dann habe sich das eingepegelt.
Durch Autonome und Linksradikale seien immer wieder Autos abgebrannt und beschädigt worden, das sei von der Jungen Gemeinde (JG) Stadtmitte um Pfarrer König ausgegangen. Die Leute, denen man die Taten zugeschrieben habe, seien dort verkehrt, wogegen sich die erwähnte Spontandemo gerichtet habe. Flugblätter hätten sie zusammen entworfen und verteilt, er mit Herrn Mundlos und auch Ralf Wohlleben. Beate Zschäpe sei bei Freizeitaktivitäten und Konzertbesuchen dabei gewesen und habe auch mal Flugblätter mit verteilt. Ja, das seien schon RechtsRock-Konzerte gewesen, bestätigt der Zeuge auf Nachfrage. Mit dem Freundeskreis habe er gegrillt, sei zum Baden und zum Zelten gefahren, man habe sich schon relativ häufig gesehen, vielleicht nicht täglich. Zschäpe habe er so Mitte der Neunziger kennengelernt, vermutlich im Winzerclub, Mundlos und Böhnhardt ungefähr zur selben Zeit. Freizeit und Politik habe man nicht trennen können, da habe es fließende Grenzen gegeben. Mit Frau Zschäpe habe er viel Kontakt gehabt, er habe sie als einen sehr netten Menschen kennengelernt und geschätzt, Politik sei dabei nicht das hauptsächlich tragende Thema gewesen. Sie habe ihre Meinung gehabt und diese auch kundtun können; sie sei aber kein maßgeblicher Faktor in solchen Sachen gewesen. Er habe sie menschlich sehr geschätzt, es sei angenehm mit ihr gewesen, sagt André Kapke.
Zschäpes Standpunkte könne er gar nicht mehr so sagen, so der Zeuge. Da habe es Schnittmengen gegeben, sonst hätte sie ja nicht mitgemacht. Er könne das nicht haarklein präzisieren oder an einem bestimmten Thema festmachen. Da sei das Thema Atompolitik aufgekommen, da seien sie einer Meinung gewesen, dass Gorleben nicht gehe, dass die Industrie da ihren Atommüll „verkappt“ habe. Man mache ja eine Entwicklung durch. Nach einer Pause, die der Auffrischung seines Gedächtnisses dienten sollte, frage der Vorsitzende Richter nach dem politischen Engagement jenseits des Themas Gorleben: Es sei ihm klar, worauf der Vorsitzende Richter hinauswolle, aber er habe zu gewissen Punkten keine Erinnerung. Er könne zum Beispiel nicht sagen, ob es zum Thema Ausländer eine differenzierte Diskussion gegeben habe. Es habe eine allgemeine Stimmung unter jungen Leuten in „Mitteldeutschland“ gegen Ausländer und unkontrollierten Zuzug gegeben. Besonders mit Wohlleben habe über so lange Zeit zusammen gearbeitet und sie seien sich über weite Strecken einig gewesen: wenn man was verändern wolle, müsse das von unten, von den Leuten heraus gemacht werden, kommunalpolitisch. Ralf Wohlleben habe das gekonnt, der sei ruhiger gewesen und habe sich „jeden Scheiß reingezogen“, den einer erzählt habe. Das habe mit Anti-Stimmung angefangen und dann habe es sich entwickelt, dass man drüber nachgedacht habe: es sei klar gewesen, dass nicht der einzelne Ausländer Schuld sei, der habe ja nichts dafür gekonnt, dass er da gewesen sei. Es sei mehr um die Politik und die Wirtschaft gegangen: „Wenn sie Unkraut jäten wollen, zupfen sie ja auch nicht oben ein paar Blätter, sondern gehen an die Wurzel“, sagt André Kapke. Es sei also um das ganze gesellschaftliche Umfeld gegangen, dass diesen Zuzug ermöglicht habe. Es sei einfach für das soziale Zusammenleben nicht dienlich gewesen, wenn ein nicht unerhebliches Potential an Zuzug stattfinde. Diesbezüglich sei er sich mit Wohlleben ziemlich einig gewesen, sie hätten ganz unten anfangen wollen, Kommunalpolitik zu machen, dort wo man sei. Er habe dann für den Ortsbeirat in Winzerla und später auch Alt-Lobeda kandidiert. Ralf [Wohlleben] sei dafür besser geeignet gewesen: er selber sei nicht so harmoniebedürftig, Ralf Wohlleben habe sich mit den Leuten ruhig auseinandersetzen können. Was Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt angehe, könne er das gar nicht so sagen: nur die Grundstimmung „unter jungen Leuten in Mitteldeutschland gegen Ausländer“.
Auf Nachfrage erläutert Kapke, über Uwe Mundlos könne er aus der zeitlichen Distanz nur sagen, er sei angenehm, freundlich und lustig gewesen, nicht großartig aggressiv, ein intelligenter, freundlicher Mensch. Sie hätten gut miteinander lachen können, das sei im Wesentlichen, was ihm dazu einfalle; er habe Mundlos als charakterstark empfunden. Uwe Böhnhardt habe er im Kontext kennengelernt, wo er gerade aus dem Gefängnis gekommen sei. Böhnhardt sei kein Dummer gewesen, habe Sinn für Humor gehabt, auch mit ihm sei gut lachen gewesen. Er habe wohl ein Faible für Waffengeschichten gehabt, „na ja, Schreckschusspistolen, Armbrust“ etc. Es habe da einfach jede Menge Auseinandersetzungen mit Linksautonomen gegeben, sie hätten alle Schreckschusswaffen gehabt, sie hätten da so Reizgas-Spezialmunition [unverständlich] gehabt, da habe man schon auf Distanz viel entschärfen können. Er habe von Böhnhardt nicht gedacht, dass der da auf Leute schießt. Das sei Knallmunition mit Reizgas gewesen. Er sei wegen Einbrüchen und Autodiebstählen im Gefängnis gewesen und damit sei klar gewesen, „dass das bei uns nicht mehr so möglich sein würde“, es sei dann nicht mehr Thema gewesen.
Wenn er sich recht entsinne, sei Zschäpe, als er sie kennenlernt habe, mit Mundlos zusammen gewesen und sei dann mit dem Böhnhardt zusammen gekommen. Sie seien ganz normal miteinander umgegangen, freundschaftlich. Mit Mundlos sei er davon ausgegangen, dass das alles korrekt gelaufen sei, es habe keine Revierkämpfe gegeben. Die „beiden Uwes“ seien ganz normal, freundschaftlich miteinander umgegangen, sie hätten schon viel zusammen rumgehangen.

Es habe sich dann Mitte der 1990er mit politischen Aktivitäten intensiviert, das sei ein wenig überregionaler geworden. Man habe zu anderen Gruppen Verbindung/Kontakt aufgenommen und gemeinsame Veranstaltungen gemacht. Daraus sei der „“ (THS) entstanden. Sie hätten 94/95 versucht, die Sache etwas zu professionalisieren: weg von dem sehr „dumpfen Straßengetue“, versucht, vom „Skinheadgetue wegzukommen“.
Es habe da in ganz Thüringen und Jena diese Sachen mit Sprengstoffattrappen gegeben, er habe das persönlich für kontraproduktiv gehalten, so der Zeuge André Kapke Dass das passiert sei: keine Frage; es sei klar gewesen, wer dahinter gesteckt habe. Das habe man gewusst, habe aber nicht drüber gesprochen. Es sei klar gewesen, dass die „beiden Uwes relativ sicher“ die gewesen seien, die da dahinter gesteckt hätten. Es bringe nur halt nichts außer Negativpresse. Dann sei der Tag gekommen, als diese „vermeintliche Bombenwerkstatt“ ausgehoben worden sei und die drei abgehauen seien: „Das war dann halt so.“ Er habe das damals nicht so eng gesehen, für ihn sei damals klar gewesen, dass das kein Grund gewesen wäre, die drei zu verpfeifen. Dass die „beiden Uwes“ das gewesen waren, sei ihm klar gewesen, Beate Zschäpe aber sei nur dabei gewesen, weil sie halt mit einem „der Uwes“ liiert gewesen sei, sagt Kapke. Es sei eine Kasperei gewesen, eine jugendliche Spinnerei. Wenn man gewusst habe, wie rigoros der Staat bei sowas gegen Rechts vorgehe, habe er das verstanden, dass man für so eine Kasperei fünf, sechs Jahre in den Knast gegangen wäre, das sei es nicht wert gewesen.
Es habe dann noch ein paar telefonische Kontakte gegeben, wo es um Unterkunft für die drei gegangen sei. Da sei der [Neonazi, V-Mann für das Landesamt für Verfassungsschutz Thüringen u.a.] auf ihn zugekommen und habe gesagt, er solle mal zum Frank [Schwerdt, NPD-Bundesgeschäftsführer] nach Berlin fahren, der Schwerdt habe doch ein paar Kontakte. Er, Kapke, solle Brandts Auto nehmen und sollte „den mal anhauen“. In der Folgezeit sei es noch darum gegangen, dass eventuell Ausweispapiere besorgt werden müssten, Brandt habe da einen Kontakt vermittelt. Er, Kapke, habe Kontakt aufgenommen, sei nach Sondershausen gefahren und habe den Mann da an einer Tankstelle getroffen und habe ihm gesagt, dass drei Ausweise/Reisepässe gebraucht würden. Sie hätten dann die Telefonnummer einer Telefonzelle ausgetauscht und den nächsten telefonischen Kontakt vereinbart. Drei Wochen später seien die drei Ausweise übergeben worden. Es seien jedoch leere Dokumente gewesen, damit hätte er nicht viel anfangen können, sagt Kapke. Er habe das mit Brandt besprochen, wobei nicht viel „rumgekommen“ sei. Über diverse Kreise, „so Hooligan-Milieu“, sei herumgefragt worden, ob es da jemand gäbe, „der da Bilder reinkleben und das ein bisschen füllen kann“. Das sei dann auch geschehen, er habe sich mit Brandt getroffen, doch da seien dann die drei Ausweise weg gewesen – ohne dass es Einbruchspuren am Auto gegeben habe. Das habe bei ihm für Irritation gesorgt. Es seien Gerüchte aufgekommen, dass da „Geld unterwegs“ gewesen sei, was nicht so gewesen sei. Er habe dann – auch aus Selbstschutz – darum gebeten, dass man ihn da rauslassen solle. Dann sei Carsten S. [Angeklagter] dazugekommen, das seien ihm, Kapke, dann zu viele Leute gewesen. Er habe ohnehin damit gerechnet, dass die drei auffliegen würden. Ab dem Zeitpunkt habe er gar nichts mehr von den dreien gehört. Es habe mal einen Radiobericht gegeben, dass die drei tot auf Kreta aufgetaucht seien. Dazu könne er nicht viel beitragen. Er habe dann am Montag nach dem Banküberfall in Eisenach [7.11.2011] wieder von denen gehört: eine Bekannte habe gesagt, er solle sich „ne Bild“ kaufen, was er gemacht habe: das seien dann wohl die „beiden Uwes“ gewesen.

An jenem 4.11.2011 habe er in Eschwege ein Firmenfahrzeug mit seinem Vater zusammen gekauft. Er sei dann mit dem Vater zurück nach Jena bzw. er selber sei nach Magdala zurückgefahen. Sie seien von Eschwege nach Eisenach auf der Landstraße und von Eisenach auf der Autobahn nach Jena gefahren. Er habe einen Pickup bei dem Autohändler gekauft: vormittags hin, gegen Mittag zurück. Er habe das Fahrzeug gleich mitgenommen, deshalb sei ja der Vater dabei gewesen. Das Autohaus habe „Amine“/“Armine“ oder so ähnlich geheißen. Am frühen Nachmittag seien sie zurück gewesen. Er habe es gleich zulassen wollen und sei deswegen nach Apolda gefahren, die Zulassungsstelle sei aber zu gewesen. Er habe es dann am nächsten Tag [Samstag] zugelassen. Es sei ein Nissan Navarra gewesen. Er habe jedenfalls keine weiteren Kontakte zum „Trio“ gehabt, ab 1998 gar nicht mehr. Er sei davon ausgegangen, dass sie außer Landes gekommen seien und sich ein neues Leben aufgebaut hätten, sagt Kapke.

Nach der Mittagspause will der Vorsitzende Richter Götzl mehr zur Entstehung des „Thüringer Heimatschutzes“ (THS) wissen. Kapke erzählt, man habe ungefähr 1994/95 andere Leute kennengelernt, sie hätten herausbekommen, wer sich wo politisch engagiert. Daraus seien feste Kontakte entstanden und dann der THS. Die Arbeit hätten zwar immer dieselben gemacht, aber drum herum habe es einen großen Personenkreis gegeben, überregional auch jenseits der Kameradschaft Jena. Es seien Aktionsformen entwickelt, Flugblätter gestaltet worden usw. – es sei halt leichter 10.000 Flugblätter zu finanzieren als nur 5000 Stück. Es habe überregionale Veranstaltungen gegeben. Zu den Abläufen im THS befragt sagt Kapke, es seien zu Beginn er und später auch Ralf Wohlleben als Einflußreiche aus Jenaer Sicht aktiv gewesen. Das Mobilisierungspotential sei durch den THS zur Teilnahme an Aktionen ermuntert worden. Die Organisation sei wegen der Repression so lose wie möglich gewesen. Überregionale Treffen, z.B. alle zwei Wochen, seien auch über persönliche Kontakte zustande gekommen.

Holger G. habe zu dem engsten Kreis eigentlich nicht dazu gehört. Es sei ihm, Kapke, nicht erinnerlich, dass G. mal bei Koordinierungstreffen dabei gewesen sei, bei Aktionen schon. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe seien eigentlich auch nicht koordinierend tätig gewesen, wohl aber bei Aktionen und Kampagnen dabei gewesen. Carsten S. habe er „so aus'm Bauch raus“ 1997/98 kennengelernt. Böhnhardt sei vielleicht in Jena schon koordinierend tätig gewesen, aber bei überregionalen Treffen nicht. Alle Leute seien da „basisdemokratisch“ an einen Tisch gesessen. Brandt sei dabei gewesen. Die Zusammensetzung habe zwischenzeitlich aber auch mal gewechselt. Da seien noch der T. [] aus Saalfeld dabei gewesen und Mario Br. Konstanten seien er selbst und später noch „der Ralf“ gewesen, eine zeitliche Einordnung sei für ihn sehr schwierig. Auf Nachfrage bestätigt Kapke, dass man in Sektionen aufgeteilt war, z.B. Sektion Jena, das habe man so namentlich gemacht, aber man habe vermieden, „in so Vereinsverbotsgeschichten reinzukommen“. Unter Veröffentlichungen hätten sie einfach „Sektion Jena“ druntergeschrieben, es sei besser zehn Sektionen zu nennen als nur eine. Auf Nachfrage bestätigt Kapke die genannten Namen als „Kern“ und ergänzt Jörg Kr., und dass später noch Wieschke [Patrick] dazugekommen sei. Sie hätten sich professionalisiert, also Internetseiten erstellt, relativ früh schon, als das „noch nicht Gang und Gäbe“ war. Es habe eine einheitliche Gestaltung der Flugblätter gegeben, um einen Wiedererkennungseffekt zu erzielen. Man habe Kontakte in die Ortschaften rein geknüpft und versucht, die Leute weg von dem „Skinhead-Prolo-Image“ zu bekommen. Es sollte deutlich werden, dass es nicht nur neben dem Saufen mal um ein Flugblatt gehe, sagt der Zeuge. Wenn das jemandem nicht gepasst habe, „dann sind die relativ schnell ausgesiebt worden“; so Kapke Leute von Tino Brandt aus dem südthüringer Klientel zum Beispiel seien eher ein schwieriges Potential gewesen, da sei es mehr um Saufen usw. gegangen. Brandt habe diese Klientel aber weiter hofiert. Als klar geworden sei, dass Brandt für den VS gearbeitet habe, hätten sie das Projekt eingestellt, es habe ja dann keinen Sinn mehr gehabt. Befragt nach den Bombenattrappen, sagt Kapke erneut, es sei schon klar gewesen, dass das „aus dem Eck“ komme, da sei aber nicht viel drüber gesprochen worden, weil man ja gewusst habe, dass die Szene mit Spitzeln durchsetzt gewesen sei. Für ihn seien das jugendliche Spinnereien gewesen, vielleicht sei er da eher naiv gewesen. Es habe wohl öfter mal was in Thüringen gegeben, z.B. sei in Saalfeld mal an einem Denkmal eine Attrappe befestigt gewesen, das habe zwar einen „kurzzeitigen Werbeeffekt“ gehabt, wenn man so wolle, man hätte zwar schlechte Presse gehabt, aber immerhin Presse, sagt André Kapke. Das mit dem Puppentorso gehöre da mit rein, ebenso wie die Briefbombenattrappen, da sei „ja viel entfaltet“ worden. Es habe Hausdurchsuchungen gegeben, das sei nicht so angenehm, wenn ständig um sechs Uhr früh „die Kollegen in Grün-Weiß“ auf der Matte stehen, es habe genervt, die Aktionen seien insoweit kontraproduktiv gewesen. „Jena ist keine Weltstadt, man kennt so seine Pappenheimer“; es sei nicht drüber geredet worden. Es sei zwar Thema, sei bestimmend gewesen, bei ihm sei ja auch eine DNA-Entnahme vorgenommen worden, wiegelt der Zeuge ab, aber dass er selbst da hingegangen wäre und gesagt hätte, „hört mal auf mit dem Scheiß“, das habe er, Kapke, ganz bewusst nicht gemacht. Er habe ja nicht gewusst, wer da noch mithöre, er habe nur klarhaben wollen, dass er für das, was er selber mache, einstehen könne. Wenn man davon ausgehe, dass die irgendwann auffliegen würden, dann werde nachgefragt, wer davon gewusst habe und schon komme man in den Verdacht, ein Anschwärzer zu sein. Er sei ohnehin nicht davon ausgegangen, dass die irgendwann „wirklich was hochgehen lassen“ würden.

Richter Götzl konfrontiert den Zeugen mit seinem jeweils „angepassten Ausageverhalten“: Erst habe er gesagt, es sei klar gewesen, dass die [Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe] das [mit den Attrappen]gewesen seien, jetzt habe er gesagt, es sei „ziemlich wahrscheinlich“ und zum Schluss bleibe alles völlig unklar. Der Zeuge insistiert, es sei über diese Sachen nicht geredet worden; im Kontext jedoch sei es für ihn aber doch wahrscheinlich gewesen, dass die das gewesen seien. Er habe ihnen das schon zugetraut, dass die solche Attrappen bauen würden. Einer von dem er gewusst habe, dass er Bomben bauen könne, das sei der Ro. aus Saalfeld/Rudolstadt gewesen. Er habe gewusst, dass Ro. mit Böhnhardt im Knast gewesen sei; deswegen habe er relativ klar gehabt, dass das so gelaufen sei. Uwe Böhnhardt habe er das zugetraut, weil er eben so ein Waffenfaible gehabt habe. Der sei „dicke mit Mundlos“ gewesen, die seien beste Freunde gewesen, daraus habe sich seine Annahme ergeben. Die Szene sei überschaubar gewesen, deshalb sei er ganz klar auf die gekommen. Zu Wohlleben und Holger G. habe das nicht gepasst. Die einzigen, denen er das zugetraut hätte, waren die „beiden Uwes“, sagt Kapke, Ralf [Wohlleben] und G. seien eher ruhige Zeitgenossen gewesen. Wo er selbst, Kapke, schnell aus der Haut gefahren sei, sei Wohlleben noch ruhig geblieben, er sei ihre „Friedenstaube“ gewesen.

Richter Götzl will wissen, was der Zeuge mit dem Ausdruck „vermeintliche Bombenwerkstatt“ gemeint habe. Der Zeuge sagt, er habe nicht sehr großes Vertrauen in die Presse, er traue dem nicht, was „da so für ein Scheiß drin“ stehe. Er habe denen [Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt] das, was ihnen jetzt vorgeworfen worden sei, nicht zugetraut. Für ihn sei das alles, was bisher geschehen sei, jugendliches Über-die-Stränge-Schlagen gewesen – er habe ihnen nicht zugetraut, dass sie scharfe Bomben „und weiß der Geier was“ bauen und Leute umbringen und schädigen würden. Das Bild, was er von denen gehabt habe, habe nicht mit dem übereingestimmt, was sich ihm jetzt aufgezeigt habe. Immerhin habe „terroristische Vereinigung“ im Raum gestanden, sagt Kapke, zumindest sei es so auf einem Durchsuchungsbefehl gestanden, deswegen hätten sie ein Strafmaß von 5 – 6 Jahren vermutet, schließlich habe man ja nicht mit viel Sympathie seitens der Justiz rechnen können: „Gegen Linke gab's Einstellungen noch und nöcher, aber bei uns wurde immer kräftig zugelangt“. Im THS sei es natürlich Gesprächsthema gewesen wegen der Verbotsdrohung. Man habe befürchtet, dass die Vorwürfe gegen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt auf alle Möglichen ausgedehnt würden und dass der THS verboten werden würde. Auch mit Tino Brandt habe er, Kapke, darüber geredet,  und man habe beschlossen, eine offizielle Stellungnahme ins Netz zu stellen, dass die drei keine THS-Mitglieder seien und auch er, André Kapke, nicht.

Richter Götzl fragt nach der heimlichen Telefon-Komunikation mit den Untergetauchten. Der Zeuge sagt aus, es habe ab und an über Telefonzellen Kontakt mit den „beiden Uwes“ gegeben, er könne nicht mehr sagen mit welchem von beiden, ob nur mit einem oder beiden. Auch wie oft könne er nicht sagen, es sei wahrscheinlich um Auslandskontakte und Reisepässe gegangen, er könne sich nicht erinnern. Nach seinem Kontakt mit Schwerdt in Berlin bei Holger G. gewesen zu sein, das sei es halt gewesen, worum er sich damals gekümmert habe. Es könnten zwei, aber auch fünf Telefonate gewesen sein, es sei nicht allzu oft gewesen, nur in den ersten Wochen/Monaten nach dem Untertauchen. Er habe nicht gewusst, wo die drei sich aufgehalten hätten, habe er auch nie wissen wollen, er habe sich ohnehin gedacht, dass die in Kürze auffliegen würden. Der Zeuge sagt, er habe Angst gehabt, dass nach dem Auffliegen jemand gesucht werden würde, der sie verpfiffen hätte.
Sie hätten ein System von Telefonzellen gegen polizeiliche Überwachung entwickelt, es habe eine in Jena Nord, in Lobeda und weitere noch in Jena und Umgebung gegeben. Dieses System hätten sie auch bei Veranstaltungen genutzt. Er selbst habe eine Zelle unweit seines damaligen Wohnortes gehabt, anrufen habe man ja von jeder können, nur bei Rückrufen habe man eine feste Zelle und Zeit vereinbaren müssen. Von Richter Götzl etwas genervt auf seine Erinnerungslücken (hier im Kontext mit den Telefonzellen) angesprochen, erwidert der Zeuge: Zum Beispiel bei der Wehrmachtsausstellung in München, das sei ein wichtiges Ereignis gewesen, aber er könne nicht mehr sagen, wie er da hingekommen sei, wer dabei gewesen sei, er wisse es nicht mehr. Er würde es ja sagen, aber er wisse es schlicht nicht mehr, deshalb wisse er auch nicht mehr, wie es zum ersten telefonischen Kontakt gekommen sei. „Keine Ahnung“. Die nächsten Kontakt seien dann immer schon während des Gesprächs vereinbart worden. Gefragt, ob er mit Wohlleben z.B. über die Bombenwerkstatt geredet habe, antwortet Kapke, auch daran könne er sich nicht erinnern, er könne kein konkretes Gespräch rekonstruieren. K. wiederholt die Geschichte seiner Fahrt nach Berlin zu auf Veranlassung durch Tino Brandt. Sie hätten „aus Dummdödelei“ die Flucht der drei ins Ausland nicht hinbekommen. Die Auslandsidee sei ja schon allgemein diskutiert worden, etwa mit Mario Br., Wohlleben, Schwerdt, Brandt – im Szenekontext sei das Thema gewesen; man müsse das im Kontext sehen: man habe dem Staat nicht gegönnt, dass er die drei kriege.

Es gibt eine Intervention seitens der Nebenklage gegen die geflüsterten Ratschläge des Zeugenbeistands in das Ohr des Zeugen. RA Waldschmidt (Zeugenbeistand von Kapke) erwidert barsch: „Der Anwalt weiß, was er zu tun und zu lassen hat.“ Auch der Vorsitzende Götzl stellt fest, dass es den Eindruck gemacht habe, Waldschmidt habe dem Zeugen „souffliert“.

Zeuge André Kapke fährt fort, das Ausland sei eine logische Überlegung gewesen; wo hätten „die“ denn unterkommen sollen. Dass es so nah und so einfach sei, sei nicht klar gewesen. Er sei davon ausgegangen, dass sie im Ausland gewesen seien. Den Aufenthaltsort, wo sie gewesen seien, habe er nicht gewusst und habe er auch nicht wissen wollen. Wenn die gesagt hätten: „Wir sind hier Holiday und alles fetzt“, sagt Kapke, dann wäre er nicht in Aktion getreten und zu Schwerdt gefahren. Er habe keine Information gehabt, wo sie gewesen seien, entsprechend habe man sich gekümmert. Anfangs habe man keine konkreten Überlegungen gehabt; man habe erstmal Kontakte aufbauen müssen. Er sei dann auf Anregung Brandts mit dessen Auto zu Schwerdt nach Berlin gefahren und habe sich abends mit ihm getroffen. Es sei, so glaube er, Frau Bönisch [Rita Bönisch, neonazistische Aktivistin, inzwischen verstorben] dabei gewesen. Er habe geschildert, dass es sich um drei Leute drehe, die Unterkunft im Ausland brauchten. Schwerdt habe ihm aber nicht weiterhelfen können, die Fahrt sei eine „Luftnummer“, eine „Leerfahrt“ gewesen, sagt Kapke. Man habe über mehrere Leute Kontakte ins Ausland herzustellen versucht. Er sei mit [Mario] Br. nach Südafrika zu geflogen und habe dort eruiert, ob da was möglich wäre; man habe zugesehen, dass man Leute finde, bei denen die hätten bleiben können. Ja, habe es geheißen, wenn die erstmal da seien, sei das kein Problem. Es habe da jede Menge Leute gegeben, die die drei aufgrund von Empfehlungen aufgenommen hätten, sagt Kapke. Nordbruch habe gesagt, wegen seiner exponierten Lage, könne er das nicht machen. Er, Kapke,  sei dann an andere Leute weiter vermittelt worden. Ob es möglich sei, Leute aus Deutschland unterzubringen, die Probleme hätten, sei laut Kapke die Frage gewesen: Die Antwort sei stets: sie müssten sie halt erstmal herbringen. Zweck der Reise sei nicht primär die Quartiersuche gewesen, es sei eine Urlaubsreise gewesen, um Land und Leute kennenzulernen. Es sei nach der Rückkehr auch Thema mit Tino Brandt gewesen, der selber auch nochmal nach Südafrika habe reisen und konkreter nachfassen wollen. Allgemein wäre es möglich gewesen, aber es sei zu keinen konkreten Absprachen in Südafrika gekommen. Ob er danach mit den Uwes gesprochen habe, wisse er nicht mehr, sagt André Kapke auf Nachfrage. Als Tino Brandt habe fliegen wollen, sei er schon aus dem Thema raus gewesen. Ob er selbst nochmal telefoniert habe oder ob das über Ralf Wohlleben gelaufen sei, wisse er nicht mehr; die Reise sei im August 98 gewesen: er habe seinen Geburtstag da unten gefeiert.

Zum Komplex Ausweispapiere lässt sich der Zeuge wie folgt ein: Detailliert könne er das nicht sagen, ob die ihn angerufen und nach Ausweisen gefragt hätten; sei „ja irgendwo logisch“, sie hätten natürlich „nicht mehr groß mit ihren eigenen Ausweisen da rumstolzieren“ können. Er meine, er habe von Wohlleben Passbilder von den dreien bekommen, es sei klar gewesen, dass für die Ausweise auch Passbilder nötig seien: „logisch“. Tino Brandt sei in diverse Abläufe verwickelt gewesen. Er habe den Kontakt an „den und den“ vermittelt; Sondershausen oder Sangerhausen, er könne das gar nicht mehr genau sagen. Er wisse nicht, ob Brandt das nicht selbst terminiert habe da an der Tankstelle. Er habe gesagt, Reisepässe seien einfacher und dass man noch Bilder brauche; doch, doch, Brandt habe den Kontakt hergestellt, die gebe es ja nun nicht an jeder Ecke. Er selbst hätte nicht gewusst, wo man da jemand finden könne. Es habe ein langes Hin- und Her mit der Person gegeben, die habe ja dann auch nicht geliefert. Der Mann habe ein Allerweltsgesicht gehabt, dunkle, schulterlange Haare, schlank, normale Statur; ein Name sei gar nicht im Gespräch gewesen; sei vielleicht eine DEA-Tankstelle gewesen, „aber nageln sie mich nicht fest“. Er habe mit ihm eine Telefonzelle vereinbart, worüber der Kontakt laufen sollte, er habe ja keine Passbilder dabeigehabt. Beim zweiten Mal habe er ihn wegen der Passbilder-Übergabe getroffen. Er habe ihm natürlich gesagt, er brauche drei Ausweisdokumente, für eine Frau und zwei Männer. Die nächste Kontaktaufnahme sei über Telefonzelle gelaufen;. Der Mann habe ihn aufgefordert, eine Anzahlung und die Passbilder mitzubringen, er habe dann gesagt, er habe nur Blanko-Papiere, könne die aber nicht „füllen“. Der Zeuge sagt, er habe dem Mann dann gegen die Anzahlung von 1500 Mark die Blankopapiere abgekauft, vereinbart seien insgesamt 3000 Mark gewesen. Dafür habe es Spendensammlungen gegeben, allgemein politische Soli-Veranstaltungen. Wer das organisiert habe, könne er nicht sagen. Brandt habe mal was beigesteuert. Es habe im THS-Kontext Leute gegeben, die ganz gezielt für die drei gesammelt hätten. Wohlleben nicht, ihm seien aber Gelder für die drei übergeben worden; das Geld habe aus Sammlung gestammt. Der Lieferant habe gesagt, es gebe irgendwelchen Ärger, er wolle oder könne das nicht mehr machen. Er habe aber das ganze Geld gewollt: das habe er ihm nicht gegeben, „die 1500 waren das höchste der Gefühle“; er habe die Ausweise und Passfotos mitgenommen. Dann habe es ein Gespräch mit Brandt gegeben; man habe darüber gesprochen, wie nun weiter zu verfahren sei, sagt Kapke. Dann habe man Leute in Jena angesprochen, „jemand aus der Hooligan-Szene“. Es sei dann einer gekommen, der gesagt habe, das könnten sie schon machen. Er habe 5- oder 6000 Mark gewollt, das sei ihm unverschämt vorgekommen. Kapke habe ihm die Reisepässe gezeigt, er habe gemeint, die seien gut. Er, Kapke, habe dann wieder mit Tino [Brandt] darüber gesprochen wie es weitergehen solle. Brandt habe gesagt, sie sollten dem Typen erstmal die Pässe geben und dann später den Preis drücken. Und dann seien die Pässe auf einmal aus Tino Brandts Auto verschwunden gewesen, sagt Kapke. Es habe keinen Einbruch gegeben, obwohl das Gang und Gäbe gewesen sei damals in Jena, sagt der Zeuge, das sei schon keine alltägliche Situation gewesen. Er habe Brandt dann gesagt, dass die Sachen eben verschwunden seien. Es sei dann kompliziert geworden: es kam das Gerücht auf, er habe in einer Gaststätte in Heilsberg „Soligeld“ übernommen, was nicht den Tatsachen entsprochen habe. Er habe versucht das gegenüber „Herrn Riese“ von (B&H) klarzustellen, dass er kein Geld von ihnen erhalten habe, das seien „zwei verrückte Flintenweiber“ gewesen. Es trieben sich in diesen Subkulturen ja auch viele skurrile Gestalten rum, sagt Kapke. Diese Frauen seien im Umfeld von B&H unterwegs, sie organisierten Soli für die drei. Er habe aber von denen nie Geld erhalten; er habe mit Tino und Ralf darüber gesprochen, dass er da raus wolle, er habe auch gesundheitliche Probleme gehabt, habe sich zurücknehmen müssen. Er sei damals auch aus der NPD ausgetreten: „S'war dann halt so“. Es sei dann immer ruhiger geworden, nachdem zunächst ja die medialen Wellen hoch geschlagen hätten.

Auf Nachfrage von Götzl antwortet der Zeuge, dass er den Angeklagten André E. nicht kenne. Er habe wohl dessen Bruder mal getroffen.

Götzl will mit Bezug auf die gestrige Vernehmung von wissen, ob der Zeuge mal etwas „für die drei“ bei ihr abgeholt habe. Da könne gar nichts sagen, sagt Kapke. Er habe davon auch in der Presse gelesen. Ihm sei da nichts erinnerlich. Vielleicht. Frau Mundlos habe er mal gesehen; am Tag [des Untertauchens]selber oder am Tag danach. Frau Mundlos habe ihn mal an ihrer Arbeitsstelle gefragt, ob es den dreien gut gehe und er habe gesagt, dass er das nicht wisse. Götzl hakt nach, ob er mal mit Frau Böhnhardt wegen einer Abholung Uwes, Stichwort „Drückerkolonne“, Kontakt gehabt habe. Kapke erinnert sich, ja, das sei aber früher gewesen, da sei er in so eine Drückerkolonne geraten. Da hätten sie ihn [Uwe Böhnhardt] irgendwo in Südddeutschland abgeholt.

Götzl fragt den Zeugen zum Stichwort „Pogromly“. Kapke sagt, das sei ein Brettspiel gewesen, das Uwe Mundlos so 1996/97 mal entworfen habe, also als Gegenspiel zu Monopoly, zum Eigengebrauch. Nachdem die drei weg gewesen seien, hieß es, dass das Spiel eine Finanzierungsquelle gewesen sei oder habe sein sollen. Es sei verkauft worden, der Preis sei ihm nicht erinnerlich. Es habe mal ein Gespräch mit einem Journalisten gegeben, der das Spiel unbedingt habe kaufen wollen und es sei ihm dann auch verkauft worden. Er, der Journalist, habe ein Interview mit ihnen gemacht, mit Tino Brandt, Mario Br., Mirko Eb., er, Kapke, wisse gar nicht genau, ob Ralf dabei gewesen sei: „schlagen sie mich tot“. Er wisse nicht mehr, ob sie das Spiel dann bei Ralf geholt hätten, jedenfalls hätten sie dem Journalisten eins verkauft. Es könne sein, dass Tino Brandt es ihm verkauft habe. Sie hätten dem englischen Journalisten das Interview nur gegeben, wenn er zusichere, dass der Bericht nicht im deutschsprachigen Raum ausgestrahlt werde. Tino habe mal Spiele geordert, die habe er, so meine er sich zu erinnern, bei Ralf Wohlleben geholt oder bei seiner Frau. Die Spiele hätten in Großpacken an die Regionen verkauft werden sollen. Er gehe davon aus, dass „die drei“ die Spiele hergestellt hätten. Brandt habe ca. zehn Stück abgeholt; er meine, das sei über „Ralf oder dessen Freundin“ gelaufen, das sei damals Frau W. gewesen. Man brauche da nicht groß drumrum reden: das Spiel sei nicht unbedingt gesellschaftskonform aufgemacht gewesen, so habe es statt Bahnhöfen KZs gegeben, das sei ihm am ehesten in Erinnerung.

Die Einvernahme des Zeugen André Kapke wird an dieser Stelle unterbrochen und am Freitag, den 20.12.2013, um 9:30 h fortgesetzt.

Da die Verteidigung Zschäpe anmerkt, ihre Mandantin fühle sich nicht mehr verhandlungsfähig, da es am Vortag so lange gegangen sei, wird der Verhandlungstag um 16:14 Uhr beendet.

Nebenklagevertreter Rechtsanwalt Scharmer erklärt zur Aussage von André Kapke:

“Andre K. versucht die Neonaziszene als Opfer von Verfolgung und Repression in Deutschland darzustellen. Er schafft es zumindest auf Befragung nicht, sein rassistisches Weltbild zu verhehlen. Seine Aussage war davon getragen, die Angeklagten – in erster Linie Wohlleben und Zschäpe – in Schutz zu nehmen. Das hat er nicht geschafft. In weiten Teilen war er vollkommen unglaubwürdig. Bei konkreten Nachfragen, wich er zunächst aus, redete sich dann aber selbst und die Angeklagten mehr und mehr in die Verantwortlichkeit.“

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