Protokoll 110. Verhandlungstag – 6. Mai 2014

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Auf den Tag ein Jahr nach Beginn des Prozesses endete die Verhandlung schnell. Aufgrund des Gesundheitszustandes von Zschäpe und einer Ablehnung des Gerichtsarztes beendete Götzl den Verhandlungstag nach längerer Diskussion und mehreren Pausen. Zuvor hatte ein Ermittler aus Dortmund über die Vernehmung einer Zeugin ausgesagt.

Zeuge:

  • Stefan Kl. (KOK bei der Kripo Dortmund, Aussage der Dortmunder Zeugin Dz.)

Der Verhandlungstag beginnt um 9.48 Uhr. Als Zeuge wird KOK Stefan Kl. von der Kriminalpolizei in Dortmund gehört, der aufgrund eines Beweisantrags der Verteidigung Wohlleben geladen ist (siehe 52. Verhandlungstag). Zunächst wird Kl.s Aussagegenehmigung verlesen, dann sagt Götzl, es gehe um die Angaben der Zeugin Dz. (siehe 51. Verhandlungstag) zum Mord an Mehmet Kubaşık. Kl. sagt, es sei lange her, es sei aber eine relativ wichtige Spur gewesen, daher habe er eine gute Erinnerung. Dz. wohne in relativer Tatortnähe und arbeite auch dort in einer Gaststätte oder einem Hotel. Dz. habe auf der Wache angerufen, dass sie Angaben machen könne zu verdächtigen Personen in Tatortnähe und in zeitlicher Nähe. Normalerweise hätten sie ihre Hinweis immer schriftlich abgeholt, sie hätten da ein Eingangskörbchen, in diesem Fall seien sie aber angerufen worden. Er sei gefahren und seine Kollegin habe telefoniert. Sie hätten den Auftrag bekommen, Dz. zu vernehmen und seien sofort hin gefahren. Erst zur Wohnanschrift, wo sie Dz. nicht erreicht hätten, dann seien sie zur nahe gelegenen Arbeitsstelle. Das sei auch negativ verlaufen. Sie seien dann zurück zur Wohnung, hätten Dz. eine Nachricht hinterlassen und im Haus sei sie ihnen dann entgegen gekommen.

Sie hätten Dz. gerne sofort mit zur Vernehmung nehmen wollen, aber Dz. habe, meine er, nicht gekonnt, und sei dann am nächsten Tag vernommen worden. Richter Götzl fragt nach den Kernaussagen. Kl. sagt, seine Kollegin habe das Telefongespräch mit dem Auftrag, zu Dz. zu fahren, geführt, er habe nur das gehört, was die Kollegin gesagt habe. Es sei wohl so gewesen, dass sie insbesondere fragen sollten, ob die Personen Rechtsradikale gewesen seien. Da sie die Vernehmung nicht hätten durchführen können, hätten sie Dz. gefragt, ob sie sich ihnen gegenüber noch mal äußern könne, und das Markanteste sei gewesen, dass sie die Geschichte mit den Rechtsradikalen negiert habe, das sei falsch rüber gekommen oder falsch aufgenommen worden. Er könne nicht sagen, wie die rein gekommen sei. Es seien schlanke „Junkietypen“ gewesen, mittleren Alters, 25 bis 30. Götzl fragt nach dem Zeitpunkt der Beobachtung von Dz. Das sei der Tattag gewesen, der 4.4., in der Mittagszeit, so Kl. Dz. habe hinterher in der Vernehmung angegeben, sie sei von der Arbeit gekommen aus dem Hotel oder Gaststätte, sei dann kurz nach Hause gegangen. Das seien vielleicht 150 Meter, so Kl. Dz. sei dann nach einer gewissen Zeit wieder los gegangen, um Zigaretten zu holen, Geld zu holen, das sei etwas später gewesen, zwischen zwölf und halb eins.

Götzl sagt, es liege eine Vermerk von seinem Kollegen M. vom 6.4. vor und dann gebe es die Vernehmung. In der Vernehmung sei bezüglich der Beobachtungen von Dz. vom 4.4. die Rede. Im Vermerk von Kl. stehe, dass am gestrigen Tag bekannt geworden sei, dass Dz. Angaben machen könne, man habe Dz. gegen 20.20 Uhr angetroffen. Da habe sie gesagt, sie habe telefonisch alles zu Protokoll gegeben, sie habe am 3.4.2006 zwei auffällige Männer gesehen. Kl. sagt, das müsse ein Zahlendreher sein. Götzl hält vor, Dz. habe gesagt, sie habe die beiden Männer gegen ein Uhr noch mal gesehen auf Höhe des Kiosks, habe aber aus Angst die Straßenseite gewechselt. Das könne gut sein, so Kl. Auf Frage sagt Kl., den Vermerk seines Kollegen M. habe er damals nicht gekannt. Der sei vom 5.4. hält Götzl vor, dort stehe, dass sich am heutigen Tag gegen 20 Uhr eine weibliche Person mit ausländischem Akzent mit dem Namen Dz., die keine weiteren Angaben zur Person machen wolle, gemeldet habe, dass sie am 3.4. gegen 00.30 Uhr Feststellungen gemacht habe. Das sei ihm nicht bekannt gewesen, so Kl. Götzl hält vor, dass in dem Telefonvermerk die Rede davon sei, die Frau sei gegen 00.50 Uhr zur Sparkasse gegangen. Kl. sagt, er nehme an, das habe sich um 12 Stunden verschoben, er könne das nicht erklären. Götzl sagt, hier sei die Rede vom 3.4. und nicht vom 4.4. In Kl.s Vermerk stehe ebenfalls „gegen ein Uhr“. Er habe es wahrscheinlich so übernommen, wie Dz. es gesagt hat, normalerweise hätte er 13 Uhr oder 13.30 Uhr geschrieben.

Götzl fragt, wie Dz. die Männer beschrieben habe. Im ersten Anlauf hätten sie nach Nazis oder Rechtsradikalen gefragt, so Kl. Ansonsten, meine er, habe Dz. die Männer als „Junkietypen“ bezeichnet, mittleres Alter, schlank. Einer mit Fahrrad, aber es könne auch sein, dass er das mit der Vernehmung vermische, dass erst in der Vernehmung von Fahrrädern die Rede gewesen sei. Götzl fragt, wo die Information mit den Rechtsradikalen herkomme. Er könne das nicht erklären, so Kl., er habe sich mit seiner Kollegin unterhalten. Sie habe gesagt, der Auftrag sei gewesen, auch daran zu denken, nach Rechtsradikalen zu fragen. Den Vermerk habe dann er gefertigt, wahrscheinlich weil er dran gewesen sei. Seine Kollegin habe ihm das mitgeteilt und er habe die Zeugin dann gefragt. Mehr könne er dazu leider nicht sagen.

Bei der kurzen Befragung habe Dz. angegeben, hält Götzl aus dem Vermerk vor, am 3.4.2006 als sie vom Hotel zu ihrer Anschrift gegangen sei, habe sie auf dem Gehweg auffällige Männer gesehen, diese hätten „definitiv“ keinen rechtsradikalen Hintergrund gehabt. Wenn er „definitiv“ geschrieben habe, dann um auszudrücken, das es bar jeglichen Zweifels gewesen sei, so Kl. Götzl hält vor, dass Dz. angegeben habe, es seien eindeutig Junkies gewesen und darüber hinaus betrunken, später habe sie die Männer gegen ein Uhr noch mal auf Höhe des Kiosks gesehen, sie könne sie nicht wieder erkennen. Auf die Frage, warum hier „eindeutig Junkies“ stehe, sagt Kl., sie hätten in der Vernehmung noch mal gefragt, da habe Dz. gesagt, die seien schlank gewesen, seien zappelig gegangen, unruhig, zitterig, das würde man sehen. Der „Bereich da unten“ sei so geprägt, dass es nicht selten sei, dass man solche Leute sehe, Dz. kenne sich da wohl aus. Götzl sagt, Dz. habe auf die Frage, ob sie die Personen und das Fahrrad beschreiben könne, gesagt, sie könne das nur grob, die Personen seien 25 bis 30 gewesen, hätten kurze, dunkelblonde Haare gehabt und wie Deutsche gewirkt. Zur Kleidung, so Götzl, habe Dz. gesagt, die seien von weitem wie Junkies gekleidet gewesen, eher hell, beide seien schlank gewesen, auf das Rad habe sie nicht geachtet. Götzl möchte wissen, was Dz. auf die Frage „Warum wie Junkies?“ geantwortet habe. Kl. sagt, sie habe die vom Gang her beschrieben, der sei unsicher, zappelig, „fickerig“ gewesen, nicht selbstsicher und gesund. Götzl sagt, Dz. habe von zappelig und unkontrolliert gesprochen, wie man das von Junkies kenne, oben sei aber als Bezug die Kleidung genannt. Das habe Dz. dann so gesagt, antwortet Kl., und er habe es geschrieben.

Gegen 10.15 Uhr unterbricht Zschäpes Verteidiger RA Heer die Vernehmung und bittet um eine Unterbrechung aus gesundheitlichen Gründen. Auf Frage von Götzl sagt Heer, es gehe um seine Mandantin. Die Sitzung wird zunächst für zehn Minuten unterbrochen. Dann wird die Unterbrechung verlängert und schließlich die Mittagspause eingelegt, die bis 12.30 Uhr dauern soll. Tatsächlich geht es erst um 13.41 Uhr weiter, allerdings ist Zschäpe nicht im Saal, auch Heer ist nicht da. Götzl sagt, Zschäpe habe über Wachtmeister sagen lassen, sie lasse sich nicht vorführen. Auf Götzls Frage, wo Heer ist, sagt Zschäpes Verteidiger RA Stahl, Heer sei im Vorführbereich gewesen, wo er jetzt ist, wisse er nicht. Auch nicht, ob Heer weiß, dass die Hauptverhandlung fortgesetzt werde. Es folgt eine Pause bis 13.49 Uhr. Heer ist wieder im Saal. Stahl sagt, er beanstande, dass die Verhandlung ohne die Angeklagte fortgesetzt werde. Götzl sagt, es gehe ja darum festzustellen, was der Grund des Nichterscheinens ist. Die Verteidigung Zschäpe habe ja bereits in der Pause gesagt, dass Zschäpe sich nicht in der Lage sehe, nach oben zu kommen. Heer sagt, er sei im Haftbereich gewesen, es habe sich nichts an Zschäpes Zustand geändert, sie sehe sich nicht in der Lage, der Verhandlung zu folgen. Götzl sagt, dass ihm mitgeteilt worden sei, dass Zschäpe übel sei. Stahl sagt, er beanstande das, Götzl nehme hier wesentliche Tätigkeiten in der Hauptverhandlung vor, das gehe nur im Beisein der Angeklagten, außer es gebe einen wesentlichen Grund und den sehe er hier nicht. Auf die Feststellung Götzls, dass sich Zschäpe weigere, zu erscheinen, sagt Heer, er habe seine Worte mit Bedacht gewählt, Zschäpe sehe sich nicht in der Lage der Verhandlung zu folgen. Götzl fragt nach dem Grund und Heer sagt: „Haben Sie mir eben zugehört?“ Der Grund sei Übelkeit, so Heer weiter.

Es beginnt eine längere Debatte darum, ob ohne die Angeklagte fortgesetzt werden kann. Die Verteidigung Zschäpe ist dabei der Auffassung, dass auch über die Verhandlungsfähigkeit Zschäpes nur in Anwesenheit ihrer Mandantin gesprochen werden dürfe. Bundesanwalt Diemer meint, wenn die Angeklagte verhandlungsfähig sei, gebe es an sich keinen revisionssicheren Grund, ohne sie fortzufahren, dann müsse Zschäpe vorgeführt werden. Götzl sagt, es gehe darum, ob die Vorführung der Angeklagten angeordnet wird. Wohllebens Verteidiger RA Klemke sagt, eine Vorführung könne es nur geben, wenn die Angeklagte unentschuldigt fortbleibe, wenn hier Verhandlungsunfähigkeit vorliege, müsse man das erstmal feststellen, erst dann stelle sich die Frage. NK-Vertreterin RAin Dierbach sagt, die Angeklagte sei bisher nicht in einer Weise aufgefallen, dass es ihr um Verfahrensverschleppung gehe, man solle sie untersuchen, sich erholen lassen und morgen fortsetzen. Götzl sagt, es gehe darum, den Stand der Dinge festzustellen. Er beginnt zu verlesen, was der Landgerichtsarzt Dr. Obergrießer, der Zschäpe untersucht habe, mitgeteilt habe, das wird jedoch von Stahl beanstandet, es müsse zunächst einen Beschluss geben. Götzl sagt, es solle nicht zur Sache verhandelt werden, es gehe um die Frage, ob die Vorführung angeordnet werde oder nicht. Stahl sagt er beanstande das und verlange einen Beschluss. Diemer nimmt Stellung, dass diese „informatorische Erörterung“ hier vorgenommen werden könne.

Es folgt eine Pause bis 14.39 Uhr. Danach teilt Götzl mit, dass seine Verfügung, dass nur zur Frage der Verhandlungsfähigkeit und der Anordnung einer Vorführung die Verhandlung fortzusetzen, bestätigt wird. Dann verliest er, dass Obergrießer dem Senat mitgeteilt habe, er habe Zschäpe zuerst um 10.15 Uhr besucht. Zschäpe habe auf einer Bank gelegen, sich dann sofort aufgesetzt und ihn gefragt, ob er der ärztlichen Schweigepflicht unterliegt. Er habe gesagt, dass er dem Gericht in bestimmten Punkten Auskunft erteilen müsse. Eine Untersuchung habe Zschäpe abgelehnt. Nach der Mittagspause habe Obergrießer Zschäpe untersuchen können. Sie habe gesagt, ihr sei übel wegen einer Nachricht, die sie vor dem Prozesse erhalten habe, wolle aber nicht sagen, was sie erfahren hat. Er habe weiter keine Untersuchungen des Kreislaufs gemacht, weil derartige Untersuchungen bei diesem Beschwerdebild keine weiteren Erkenntnisse bringen würden. Die Angeklagte habe auf alle seine Fragen sinnvoll und angemessen geantwortet, dies auch schon beim ersten Besuch. Es seien keine Anzeichen erkennbar, dass Zschäpe nicht verhandlungsfähig sei, man müsse aber ihre Übelkeit beachten und evtl. öfter Pausen machen oder kürzer verhandeln. RA Heer bittet um eine Unterbrechung. Diemer beantragt die Vorführung Zschäpes und die Fortsetzung des Verfahrens. Es folgt eine Pause bis 15.24 Uhr. Dann sagt Heer, sie hätten für die Mandantin ein Befangenheitsgesuch gegen den Sachverständigen vorbereitet. Götzl sagt, vorweg wolle er ergänzend sagen, dass das Medikament MCP eingenommen worden sei. Heer verliest, es sei unwahr, dass die Mandantin, nachdem der Sachverständige ihr eröffnet habe, dass er auskunftspflichtig ist, die Untersuchung abgelehnt habe. Zudem habe Obergrießer sich im im Beisein der RA_innen Heer und Sturm mit Zschäpe unterhalten und eine Anamnese erhoben, eine körperliche Untersuchung habe aber nicht stattgefunden. Ein ärztlicher Sachverständiger der nicht alle diagnostischen Möglichkeiten ausschöpfe, sei erkennbar nicht neutral. Zschäpe habe von einer zunehmenden Übelkeit berichtet, und dass sie von der Aussage des Zeugen nur die Aussagegenehmigung mitbekommen habe, sie sei nur mit dem Bekämpfen der Übelkeit beschäftigt gewesen, habe sich fast übergeben müssen. RAin Sturm ergänzt, sie habe soeben mit Zschäpe gesprochen, es gehe ihr nicht besser, sondern eher schlechter, neben der Übelkeit habe sie auch Magenschmerzen. Es folgt eine Pause bis 15.52 Uhr. Dann sagt Götzl, er wolle ergänzen, dass Obergrießer davon berichtet habe, dass Zschäpe das aus der JVA mitgebrachte MCP eingenommen habe, das sei versehentlich nicht im Vermerk aufgeführt. Heer bestätigt, dass das Ablehnungsgesuch gegen Obergrießer aufrecht erhalten werde. Um 15.53 Uhr beendet Götzl den Verhandlungstag.

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