Protokoll 150. Verhandlungstag – 15. Oktober 2014

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An diesem Prozesstag war der mutmaßliche NSU-Unterstützer Jan Werner als Zeuge geladen. Da dieser von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, endet diese Befragung schnell. Der Verhandlungstag wurde anschließend zur Verlesung von Urteilen gegen und Beschuldigtenaussagen von Uwe Böhnhardt aus den 90er Jahren. Diese betreffen insbesondere das Aufhängen einer Puppe mit „Judenstern“ an einer Autobahnbrücke. Außerdem werden Entscheidungen zu Anträgen vorgetragen. Die Verlesungen werden hier zusammenfassend wiedergegeben

Zeuge: Jan Werner (mutmaßlicher NSU-Unterstützer, B&H Sachsen)

Der Verhandlungstag beginnt gegen 9.47 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung verkündet Richter Götzl, dass dem Antrag die Mitteilung des BKA-Verbindungsbeamten in der Schweiz beizuziehen, nicht nachgekommen wird. Die Aufklärungspflicht erfordere es nicht, den Vermerk beizuziehen. Dann spricht Götzl das Verfahren an, das gegen den heutigen Zeugen Jan Werner eingeleitet wurde. Gemäß dem Sachstandsbericht vom 3.10.2014 laufe das Verfahren noch immer. Es gehe um Kenntnisse des LfV Sachsen, dass Werner 1998 den Auftrag gehabt haben solle, für die Gruppierung um Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe einen Waffe zu beschaffen, die Gelder solle B&H Sachsen bereitgestellt haben. Und es gehe um die konspirative Nutzung von Telefonzellen und die Übergabe persönlicher Gegenstände an die Flüchtigen. Letztlich decke sich, so Götzl, das Ermittlungsverfahren mit den heutigen Beweisthemen, so dass ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht des Zeugen bestehe.

Der Zeuge Jan Werner betritt den Saal. Götzl belehrt den Zeugen nach §55 StPO und teilt mit, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren laufe. Werner: „Ist mir bekannt.“ Die Frage, ob er Angaben machen möchte, verneint Werner. Der Zeuge wird entlassen.

NK-Vertreter RA Hoffmann erklärt, natürlich könne man aus der Tatsache, dass ein Zeuge in vollem Umfang von § 55 Gebrauch macht, viele Schlüsse ziehen. Trotzdem lege diese ganze Konstellation offen, dass der NSU nicht nur drei Personen waren, sondern dass es eine direkte Einbindung in den B&H-Zusammenhang gegeben habe, wo Werner Sektionsleiter war. Zschäpes Verteidiger RA Stahl sagt, der kurze Vortrag von Hoffmann zeige, dass Teile der NK-Vertreter überhaupt kein Interesse daran hätten, dass ein rechtsstaatliches Ergebnis herauskommt. Sein Kollege Heer will die Erklärung von Hoffmann beanstanden, es entsteht ein kleiner Disput mit Götzl. Dann sagt Götzl, dass nun ein Urteils des Amtsgerichts Jena gegen Böhnhardt aus 1997 verlesen wird.

Die folgenden Verlesungen übernehmen die Richter_innen des Senats im Wechsel. Zunächst wird das Urteil des AG Jena vom 21.4.1997 verlesen, das wir zusammenfassend wiedergeben. In dem Verfahren ging es um das Aufhängen eines Puppentorsos an einer Autobahnbrücke und um bei Böhnhardt gefundene CDs neonazistischer Bands. Angeklagt war Böhnhardt wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, Volksverhetzung, Störung des öffentlichen Friedens und einer weiteren Volksverhetzung. Böhnhardt wurde zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Die bei Böhnhardt festgestellten CDs „NSDAP“ der Gruppe „Macht und Ehre“, „Berlin bleibt deutsch“ von „Landser“ und „Breslau“ von „Kommando Pernod“ wurden eingezogen. Die Urteilsbegründung beginnt mit Feststellungen zu den Lebensumständen von Böhnhardt, spricht von intakten Familienverhältnissen, einer dominanten Mutter, guten Beziehungen zwischen Angeklagtem und Eltern bis sich der Angeklagte den Eltern wegen des Todes des Bruders mehr und mehr entzogen habe. Nach der Schilderung der bisherigen Schul- und Ausbildungslaufbahn Böhnhardts und der Feststellung, dass Böhnhardt Arbeitslosengeld erhalte, wird bekanntgegeben, dass er strafrechtlich bisher dreimal in Erscheinung getreten sei, u.a. wegen fortgesetztem, teils gemeinschaftlich begangenen Diebstahls, Widerstands, Gefährdung des Straßenverkehrs, Erpressung und gefährlicher Körperverletzung sowie Fahren ohne Fahrerlaubnis.

Dann werden die Feststellungen der Hauptverhandlung benannt. Tino Bö. habe seinen Geburtstag gefeiert, Einladungen an Freunde verteilt und vier bis fünf Einladungen zur Verfügung gestellt. Nachdem sie Einladungen erhalten haben, entschlossen sich Böhnhardt, Wohlleben, Zschäpe, St., und Mundlos die Feier aufzusuchen. Es sei klar gewesen, dass es sich um eine Veranstaltung ideologisch Gleichgesinnter handelte. Dann ist die Rede von der KS Jena, welche für einige rechtsgerichtete Aktionen verantwortlich sei. Gegen 21 Uhr des 12.4.1996 sei man auf der Feier in Schwarzbach angekommen, habe dort Christian Kapke, Robert He. und andere Gleichgesinnte angetroffen. Nach einiger Zeit auf einer Geburtstagsfeier habe sich der Angeklagte gegen 24 Uhr mit dem PKW seiner Eltern auf den Weg zur Pösener Brücke gemacht. Dort angekommen habe er zwischen 1 Uhr und 1.20 Uhr auf der Autobahnbrücke bei Kilometer 178,5 einen Puppentorso in Fahrtrichtung Dresden hängend angebracht. Auf Brust und Rücken der Puppe habe sich ein gelber Davidstern mit Aufschrift „Jude“ befunden. Der Kopf habe in einer Schlinge gesteckt, das Seilende sei am Geländer befestigt gewesen. Das Unterteil der Puppe habe sich abgelöst und sei auf dem Seitenstreifen der Autobahn aufgefunden worden. Aufgrund der Höhe sei es nicht zu einer konkreten Gefährdung vorbeifahrender Fahrzeuge gekommen. Auf der Brücke habe der Angeklagte zwei Kartons abgestellt, die durch ein Elektrokabel verbunden gewesen seien, ein Kabel habe zur Puppe geführt. Auf einem Verkehrszeichen sei die Aufschrift „Vorsicht Bombe“ aufgemalt gewesen. Das habe eine bevorstehende Bombenexplosion vorgetäuscht.

Der Angeklagte habe ausgeführt, am frühen Abend auf der Geburtstagsparty gewesen zu sein, dann aber mit Wohlleben, Mundlos und St. zur Wohnung Beate Zschäpes in Jena gefahren zu sein, wo man gegen 1 Uhr angekommen sei. Man habe dort Skat bzw. Nintendo gespielt. Mundlos, Wohlleben und St. seien dann nach Hause gefahren. Er selbst sei mit Zschäpe in der Wohnung geblieben. Er habe keine Erklärung dafür, wie sein Fingerabdruck auf einen der Kartons gekommen sei, man wolle ihm etwas anhängen. Dann wird ausgeführt, dass das Gericht aber zu der Überzeugung gelangt ist, dass sich der Angeklagte am Abend auf der Geburtstagsfeier aufgehalten hat, welche er vor 24 Uhr verlassen hat. Ansonsten handele es sich um eine Schutzbehauptung, die voll widerlegt sei. Das Ergebnis der daktyloskopischen Spurenauswertung sei eindeutig, es handele sich um ein Fingerabdruckspur des Mittelfingers der linken Hand des Angeklagten. Der Angeklagte sei mit absoluter Sicherheit der Verursacher der Fingerabdruckspur. Es müssten acht erkennbare Merkmale übereinstimmen. Bei dem vorliegenden Vergleich habe der Sachverständige nach 15 erkennbaren Merkmalen aufgehört zu zählen.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen habe sich der Angeklagte dahingehend eingelassen, dass seine Eltern immer Sekt und Wein zu Hause hätten. Diese Sektkiste habe sich derjenige, der ihm etwas anhängen wolle, besorgt. Auch dieser Einlassung folgte das Gericht nicht. Der Angeklagte fühle sich selbst der rechten Szene zugehörig und bezeichne sich als national. Der Zeuge KOK Ho. habe angegeben, dass der Angeklagte eine führende Rolle in der KS Jena spiele, einer Gruppierung mit Verantwortung für Straftaten und Aktionen mit rechtsgerichteter Motivation in Jena. Also handele es sich beim Fingerabdruck um den Abdruck einer Person, die eindeutig der rechtsextremen Szene zugeordnet werden könne. Der Charakter der Tat entspreche der Gesinnung der Szene. Das Gericht könne nicht nachvollziehen, dass womöglich ein Linker auf diesen Karton wartet und ihn dann einsetzt um dem Angeklagten etwas anzuhängen, das liege fern.

Auch die Einlassung des Angeklagten, er habe sich mit Wohlleben, Mundlos, St. und Zschäpe in deren Wohnung aufgehalten, überzeuge nicht. Zwar hätten die Zeugen bestätigt, dass man sich bei Zschäpe aufgehalten habe und der Angeklagte Skat gespielt habe, die anderen Nintendo. Nach Überzeugung des Gerichts seien diese Aussagen aber unglaubhaft. Nach Aussage des KOK Ho. seien die vier Zeugen ebenfalls Mitglieder der KS Jena. Sie hätten die gleiche Gesinnung. Nach Überzeugung des Gerichts entspreche Charakter und Hintergrund der Tat jeweils der Gesinnung der Zeugen. Auf Befragen nach Details sei bei allen vier Zeugen nichts mehr erinnerlich gewesen, z. B. wer beim Skat gewonnen hat und wie aufgeschrieben wurde. Die Aussagen der Zeugen Zschäpe Wohlleben, Mundlos, St. seien nach Überzeugung des Gerichts abgesprochen gewesen. Nach Überzeugung des Gerichts würden die Zeugen Wohlleben, Mundlos, Zschäpe, St. ein Eigeninteresse am Ausgang des Verfahrens haben in Bezug auf die Gefahr einer weiteren Strafverfolgung und eine ideologische Verbundenheit zum Angeklagten und zur Tat.

Bzgl. der CDs habe sich Böhnhardt eingelassen, er sei Eigentümer und habe sie in der elterlichen Wohnung aufbewahrt und gewusst, dass die Titel „Kanaken raus“, „Verrecke“, „Dreck muss weg“, „Deutschland erwache“ durch ihren volksverhetzenden Inhalt zum Hass gegen Ausländer aufrufen. Er habe jedoch bestritten, die CDs vorrätig gehalten zu haben, um sie an einen Käufer für 200 DM zu veräußern. Er habe das gegenüber Zschäpe zwar telefonisch so geäußert, das sei aber nicht ernst gewesen. Dieser Einlassung folge das Gericht ebenfalls nicht. Eine polizeiliche Zeugin habe glaubhaft bekundet, dass sie ein abgehörtes Telefonat zwischen Angeklagtem und Zschäpe wortwörtlich protokolliert habe. Aufgrund des damals aufgezeichneten Telefonats sei für die Annahme der Vorspielung eines Scheingeschäfts kein Raum. Der Angeklagte habe die CDs an einen bisher unbekannt gebliebenen Kunden abgeben wollen.

Der Angeklagte sei zum Tatzeitpunkt Heranwachsender gewesen, seine Mutter sei sehr dominant. Die bisherige Entwicklung sei sehr problemhaft verlaufen. Es seien erhebliche Entwicklungs- und Reifeverzögerungen festzustellen. Daher sei Jugendstrafrecht anzuwenden. Zugunsten sei zu berücksichtigen gewesen, dass Böhnhardt in einem Teilbereich geständig war. Andererseits müsse Berücksichtigung finden, dass er mehrfach gravierend in Erscheinung getreten sei, die erhebliche kriminelle Energie in der Tatausführung, die Schwere der Tat. Der Angeklagte sehe keinen Unrechtsgehalt in der Tat, habe erhebliche Anlage- und Entwicklungsschäden. Den schädlichen Neigungen könne nur durch Verhängung einer Jugendstrafe begegnet werden. Der Angeklagte sei mit Urteil des AG Jena vom 6.12.93, rechtskräftig seit dem 28.4.94, zu einer Einheitsjugendstrafe in Höhe von 2 Jahren verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt worden sei. Der Angeklagte habe sich von dieser Verurteilung nicht beeindruckt gezeigt und erhebliche neue Straftaten in der Bewährung begangen.

Es folgt eine Unterbrechung bis 11.07 Uhr, dann wird das Urteil der Berufungskammer des Landgerichts Gera vom 16.10.1997 verlesen, das wir zusammenfassend wiedergeben: Auf die Berufung des Angeklagten wurde das Urteil des AG Jena aufgehoben. Der Angeklagte wird wegen Volksverhetzung unter Einbeziehung des Urteils AG Jena von 1993 zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren und drei Monaten verurteilt, im Übrigen wird er freigesprochen, die CDs von „Macht und Ehre“, „Landser“ und „Kommando Pernod“ werden eingezogen. Das Urteil geht ebenfalls zunächst auf die familiären Verhältnisse Böhnhardts ein, der durch den frühen Tod des älteren Bruders stark belastet sei. In der neuen Schule habe er keine Akzeptanz gefunden und sich älteren Jugendlichen angeschlossen. Er habe in der Gruppe Halt und Achtung gefunden. Die Gruppe sei rechtsorientiert und der Angeklagte habe sich hiermit identifiziert.

Dann werden die Angaben zum Besuch des Geburtstags, des Besuchs bei Zschäpe sowie der Tathergang geschildert. Es wird festgestellt, dass die Behörden einen Fingerabdruck des Angeklagten hätten sichern können, vom Mittelfinger der linken Hand. Dieser habe sich auf dem Karton „Asti Spumante“ befunden. Böhnhardt habe angegeben, er könne sich nicht erklären, wie sein Fingerabdruck auf den Karton gelangt sei. Der Begriff „Asti Spumante“ sei ihm auch nicht bekannt gewesen. Er könne nur vermuten, das möglicherweise seine Feinde im linken Spektrum oder in der eigenen Gruppe den Karton absichtlich aufstellten. Oder dass es Zufall sei, dass er den Karton bei einer Feier in der Hand hatte oder von seinen Eltern zum Altpapier brachte. Böhnhardts Aussagen zur Geburtstagsfeier seien durch die Aussagen der vernommenen Zeugen Bl., Bö., He. und Kapke bestätigt worden. Anhaltspunkte für eine Gefälligkeitsaussage habe die Kammer nicht feststellen können. Nachvollziehbar sei ebenfalls, dass sich der Angeklagte bei der ersten polizeiliche Befragung nicht an seinen Aufenthaltsort an diesem Abend habe erinnern können. Trotz einiger Zweifel der Kammer habe man nicht mit einer für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit davon ausgehen können, dass die Aussagen als Schutzbehauptungen zu werten sind. Zur daktyloskopischen Spur wird festgestellt, dass Böhnhardt den auf der Pösener Brücke sichergestellten Karton zumindest einmal in der Hand gehabt habe. Die von dem Angeklagten vorgebrachten Erklärungsversuche würden reine Vermutungen darstellen, die unrealistisch erschienen. Ausgehend von der rechts eingestellten Gesinnung des Angeklagten und seiner Beteiligung an rechten Aktivitäten verschiedener Art sowie des Umfelds des Angeklagten und der festgestellten Fingerabdruckspur sei zu vermuten, dass der Angeklagte in irgendeiner Art und Weise an der Tatbegehung beteiligt war. Denkbar sei aber auch, dass er den Karton übergeben hat, ohne dass er den Verwendungszweck kannte. Wegen Fehlens weiterer Beweismittel sei die mögliche Tatbeteiligung des Angeklagten reine Spekulation.

Auch sichergestellter weißer Faden, der mit einem beim Angeklagten sichergestellten Faden identisch war, helfe da nicht, er sei überall erhältlich und finde in der Hälfte der Haushalte der BRD Verwendung. Das sei nicht geeignet, den Angeklagten hinreichend einer Tatbeteiligung zu überführen. Das Urteil nennt den Grundsatz in dubio pro reo. Hinsichtlich des zweiten von der StA Gera vorgeworfenen Vorwurfs einer Volksverhetzung stellt das LG fest, dass der Verkauf der CDs, von dem im Telefonat mit Zschäpe die Rede war, ernst gemeint gewesen sei. Die Einlassungen dazu seien in sich widersprüchlich und nicht nachvollziehbar und bekräftigten den Eindruck, dass sie lediglich als Schutzbehauptungen vorgebracht werden. Böhnhardt habe die CDs nicht nur im Besitz gehabt, sondern zur Verbreitung vorrätig gehalten. Er sei, so das Urteil, zur Tatzeit Heranwachsender gewesen, Reifeverzögerungen seien zumindest nicht auszuschließen. Das Jugendstrafrecht sei anzuwenden. Aufgrund der in der Vergangenheit begangenen Taten würden schädliche Neigungen bei dem Angeklagten feststehen, eine Jugendstrafe sei erforderlich. Böhnhardt sei zweimal bereits mit erheblicher Jugendstrafe bedacht worden und innerhalb der Bewährungszeit wiederum straffällig geworden. Es sei erforderlich, dass er unter dem Eindruck des Strafvollzuges „nachreift“.

Es folgt die Mittagspause bis 13.05 Uhr. Dann verkündet Götzl, dass angeordnet wird, die Beschuldigtenvernehmungen Böhnhardts vom 20.6. und 18.7.1996 zu verlesen. Böhnhardt sei verstorben, die Verlesung seiner Vernehmungen könne daher angeordnet werden. Zunächst wird die Vernehmung vom 20.6. verlesen, die wir zusammenfassend wiedergeben. Hier hatte Böhnhardt u.a. angegeben, er sei das mit der Puppe nicht gewesen, er könne es sich überhaupt nicht erklären, es könne sein, dass ihm jemand etwas anhängen wolle. Er sei „national“, sei und fühle deutsch und wolle alles dafür tun, dass der deutsche Staat deutsch bleibt. Dann ist in der Vernehmung von Böhnhardts Kumpels, den Saalfeld-Rudolstädter „Kameraden“ und Tino Brandt, den er vom Sehen kenne, die Rede. Bei Mittwochstreffen in der Gaststätte Weinberg in Saalfeld sei er zweimal gewesen, das sein nicht sein Ding. Man habe sich vor dem Winzerclub über die Puppe unterhalten, der eine sei dagegen, der andere dafür gewesen. Aus heutiger Sicht finde er dies total beschissen, weil es ihn in diese Situation gebracht hat. Insgesamt habe dieser Vorfall „uns Rechten“ keine Pluspunkte gebracht, sei zu radikal gewesen. Damit erreiche man nichts bei den Normalbürgern. Er habe es mit normalen Plakaten versucht. Plakate, ob der 8. Mai wirklich Tag der Befreiung war, habe er am 8. Mai 1995 im Stadtgebiet Jena aufgehängt.

Zur Frage, wo er sich in der relevanten Zeit aufgehalten hat und wer Angaben dazu machen kann, hatte Böhnhardt angegeben, er sei mit Kumpels und seiner Freundin zusammen gewesen. Dann nennt er die Namen Mundlos, Wohlleben, Holger Gerlach, Kai St. und Zschäpe, mit irgendwelchen von denen sei er an dem Abend bestimmt zusammen gewesen. Böhnhardt sprach davon, dass es sich bei den Tätern auch um Weimarer handeln könne, da damals Bubis [damals Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland]in Weimar gewesen sei. Übernachtet habe er bei Zschäpe. Von der Puppe wisse er vermutlich aus der Zeitung. [André] Kapke kenne er, er glaube aber schon aufgrund seiner Masse, Kapke sei sehr dick, nicht, dass er was damit zu tun haben könnte. Er habe sich mit seiner ehemaligen Freundin Zschäpe unterhalten, herausgekommen sei nichts, er habe gesagt, sie solle sich erkundigen, wo sie am besagten Tag waren. Kapke habe aushilfsweise für eine Firma Straßenabsperrungen und Schilder aufgestellt, ihm sei nichts aufgefallen, ob Kapke solche Schilder mit nach Hause nahm, er selber habe keine Straßenschilder gehabt.

Er besitze einen roten Hyundai, seine Eltern einen dunklen Nissan Primera, den er nur manchmal gefahren sei, manchmal sei er auch den blauen Nissan Sunny seines Bruder gefahren. Sonst habe von ihnen nur Mundlos einen PKW, der sei weiß. Dann geht es in der Vernehmung kurz um Reisen nach Tschechien. Danach wird Böhnhardt gefragt, ob er Pappkartons mit der Aufschrift „Spumante“ besitze. Das verneinte Böhnhardt, er wisse gar nicht, was „Spumante“ ist. Seine Eltern hätten manchmal im Schrank Weinkartons stehen, es sei möglich, dass er die mal angefasst habe.

Dann wird die Beschuldigtenvernehmung Böhnhardts vom 18.7.1996 verlesen, die wir zusammenfassend wiedergeben. In dieser Vernehmung hatte Böhnhardt ausgesagt, er könne jetzt angeben, was er in der fraglichen Nacht gemacht habe. Er sei mit Wohlleben, Mundlos, St. und seiner damaligen Freundin Zschäpe unterwegs gewesen, habe sie mit dem blauen Nissan Primera abgeholt. Man habe erfahren, dass in Schwarzbach eine Geburtstagsfeier stattfindet. Von [Christian] Kapke habe jeder eine Einladung erhalten. Wie viele Karten der gehabt habe, wisse er nicht mehr. Er habe ungefähr gewusst, wo die Ortschaft liegt. Unterwegs habe man einen Mopedfahrer gefragt und in der Ortschaft habe man wir nochmals gefragt. Von Kapke habe man gewusst, dass der Gastgeber ein Gesinnungsgenosse sei. Es sei möglich, dass er den vorher schon einmal gesehen habe. Es seien zehn bis 15 Personen da gewesen, gekannt habe er nur Christian Kapke. Es sei ein kneipenähnliches Ding gewesen, eine Theke und mehrere zusammengeschobene Tische. Es könne gegen 22.30 Uhr gewesen sein, als er mit den Personen die Party wieder verlassen habe. Er habe nur Cola getrunken, die anderen Bier und die Beate Wein. Gegen 0 Uhr sei man bei der Beate gewesen, habe sich in deren Zimmer begeben. Er habe mit Beate und St. Skat gespielt, Mundlos und Wohlleben Nintendo. Mundlos habe die beiden nach Hause fahren wollen, er selber sei bei Beate geblieben. Wie in der ersten Vernehmung könne er sich erklären, wie sein Fingerabdruck auf den Karton kommt. Auf keinen Fall habe er sein Alibi nachträglich mit den anderen abgesprochen. Einige der eingezogenen CDs habe er aus der „Tschechei“ mit gebracht, andere bei Oi-Konzerten gekauft. Die CD „Macht und Ehre“ habe er seit einem halben Jahr.

Danach nimmt  zum Beweisantrag vom 9.10.14, gerichtet auf die Vernehmung der Schweizer Polizeibeamten Es. und Bi. Dieser sei abzulehnen. Die Einvernahme der Zeugen sei nicht erforderlich. Weder der bisherige Gang der Hauptverhandlung noch der Verfahrensstoff der Akte legten die Vernehmung nahe oder drängten dazu. Es handele sich lediglich um Hilfsumstände ohne tatsächliche Beweisbedeutung, die auch mittelbar nicht zu verfahrensrelevanten Schlussfolgerungen führen könnten. Die Chronologie der Besitzverhältnisse der Ceska bis zum ersten Mord an Enver Şimşek habe im Hinblick für die Schuldfrage Wohlleben und Schultze keinen Belang. Dies wäre nur der Fall, wenn man davon ausginge, dass zwischen der verwendeten Ceska und der weitergegebenen Waffe keine Sachidentität bestehe, dann wäre die von Schultze und Wohlleben übergebene Waffe nicht eingesetzt worden. Das sei nicht ersichtlich.

Böhnhardt und Mundlos hätten auf eine Schalldämpferwaffe gedrängt, wenn es eine zweite Schalldämpferwaffe gegeben hätte, hätten Böhnhardt und Mundlos beim Mord sicher nicht auf die umgebaute Bruni zugegriffen. Es handele sich also bei der von Schultze und Wohlleben übergebene Pistole um die Tatwaffe. Dies werde bestätigt durch die Einlassungen Schultzes, den Waffentyp Ceska 83, Kaliber 7,65 identifiziert zu haben. Das sei bereits für sich genommen ein erhebliches Indiz dafür, dass es sich um die spätere Tatwaffe gehandelt hat. Diese Wiedererkennungsleitung korrespondiere mit den Äußerungen des Andreas Schultz, die durch Beamte hier eingeführt worden sei. In der Folgevernehmung habe Andreas Schultz präzisiert, es habe sich um eine osteuropäische Dienstwaffe gehandelt. Nehme man dann noch zur Kenntnis, dass sich im Waffenbestand des NSU am 4.11.2011 nur eine Waffe mit Schalldämpfer befunden hat, die Tatwaffe, dann stehe fest, dass es sich bei der von Wohlleben und Schultze weitergegebenen Waffe um die Ceska gehandelt hat. Der beantragten Beweiserhebung komme nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Der Eintrag im Waffenbuch von Schl. & Z. bzgl. Kriegsmaterial beziehe sich nicht auf das Jahr 1996, sondern es gehe um einen Frank We. im Jahr 1997. Ein Zusammenhang zur Auslieferung der Tatwaffe Ceska bestehe nicht. Hinsichtlich des Verkaufs der Tatwaffe Ceska 83 würde sich ein Fehleintrag nicht auswirken, sondern nur, dass der Eintrag möglicherweise unrichtig sein könnte.

Diese Möglichkeit habe der Senat sowieso in Betracht zu ziehen. Ein Mehrwert werde durch die Beweisaufnahme nicht erzielt werden können. Die Richtigkeit des Eintrags im Waffenbuch Schl. & Z. werde aber durch weitere Beweismittel bestätigt. Germann habe bestätigt, Pistolen erhalten und an Müller übergeben zu haben. Bereits der Zeuge Ry. habe angegeben, dass Germann schon bei polizeilichen Vernehmungen eingeräumt gehabt habe, die Waffenerwerbsscheine an Müller weitergegeben zu haben. So dass einzig die Alternativen in Raum stehen, dass Germann die Tatwaffe erhalten hat und an Müller weitergegeben oder Müller sie sich selber beschafft hat mit Waffenerwerbsschein Germann. Anhaltspunkte, dass die Ceska einen gänzlich anderen Verkaufsweg genommen hat, würden sich daraus unter keinem weiteren Gesichtspunkt ergeben. Insoweit werde auf die Angaben des Zeugen Schultz verwiesen, der die Waffe von Länger erhalten habe.

An der von der Verteidigung Wohlleben angegriffenen Verwertbarkeit der Bekundungen beider Schweizer Zeugen würden keine Zweifel bestehen. Das Beweisverwertungsgebot erfasse nur unzulässige Vernehmungsmethoden deutscher Beamten. Bei ausländischen Behörden gebe es nur bei besonders gegen die Menschenwürde verstoßende Vernehmungsverbote. Weder sei ersichtlich, dass die Schweizer Behörden in besonders krasser Weise gegen die Menschenwürde von Germann verstoßen haben könnten, noch sei ihm mit ungesetzlichen Maßnahmen gedroht, noch sei er getäuscht oder Zwang angedroht worden. Auch aus der mögliche Einschätzung des Zeugen, ein Geständnis könne zur Vermeidung der Haft sinnvoll sein, lasse sich kein Beweisverwertungsverbot begründen. Das stelle allenfalls die Inaussichtstellung eines justizförmigen Nachteils dar. Die Frage ob ex post die Schweizer Voraussetzungen einer Inhaftnahme vorlagen, sei unerheblich. Andernfalls würde jede Einlassung, die ein Beschuldigter unter dem Eindruck einer drohenden Inhaftierung abgibt, unverwertbar. Dem Antrag, Andreas Z. in Ecuador zu vernehmen, beantragen die BAW abzulehnen. Auch bei Z. handele es sich um einen so genannten Auslandszeugen. Das Gericht sei nicht verpflichtet, jedes Beweismittel auszuschöpfen. Das Gericht habe nur sinnvollen Möglichkeiten der Aufklärung des Sachverhalts nachzugehen. Es sei nach aller Erfahrung nicht davon auszugehen, dass der Zeuge bekunden könne, an wen er 1996 eine einzelne Waffe verkauft hat, zumal das Waffenbuch als Erinnerungsstütze, anders als bei Schl., nicht in Betracht komme. Es würden überhaupt keine Anhaltspunkte vorliegen, dass die behaupteten Tatsachen zutreffen könnten. Zum Beweisantrag auf Vernehmung von RA Ünlücay, der in Thun von Müller auf dem Marktplatz angesprochen worden sei, sagt Weingarten, diesem Beweisantrag trete die BAW nicht entgegen.

Klemke behält sich vor, zu erwidern. Der Verhandlungstag endet um 13.55 Uhr.

Das Blog NSU-Nebenklage: „Werners Aussageverweigerung erschwert zwar die weitere Aufklärung des Unterstützernetzwerkes des NSU, erspart allen Beteiligten aber wenigstens eine weitere Zeugenvernehmung nach dem Motto ‚Ich weiß nix‘. Frustrierend an dieser Prozesssituation ist erneut der Umstand, dass sich aus den Akten keine besondere Ermittlungstätigkeit der Bundesanwaltschaft gegen Werner ergibt. Auch das gegen ihn geführte Verfahren, dass ihm jetzt zum Schweigerecht verhilft, wird aller Wahrscheinlichkeit nach irgendwann still und heimlich eingestellt werden.“

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