Auch die UN kritisiert Deutschlands Umgang mit institutionellem Rassismus

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Nachdem die Bundesregierung der UN ihren Staatenbericht zu rassistischer Diskriminierung vorgelegt hatte, legte im April 2015 ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis einen Parallelbericht vor und forderte die Bundesregierung auf, endlich die richtigen Lehren aus dem NSU-Komplex zu ziehen. Nun hat die UN-Kommission CERD den institutionellen Rassismus – auch in Hinblick auf den NSU – in Deutschland klar benannt und abschließende Empfehlungen ausgesprochen.

Am 15. Mai 2015 hat das UN-Committe on the Elimination of Racial Discrimination (CERD) ihre abschließenden Empfehlungen für Deutschland veröffentlicht. In dem 11-seitigen Dokument wird immerhin auf einer ganzen Seite auf das Thema NSU eingegangen: Institutioneller Rassismus werde immer noch nicht erkannt und benannt und man sei alarmiert ob der staatlichen Praxis im Umgang mit V-Leuten. Konkret heißt es unter der Überschrift Institutional shortcomings in investigating racially motivated acts:

(10.) Während die Kommission zur Kenntnis nimmt, dass die Delegation die Schwierigkeit auf staatlicher Seite bei der Durchführung einer effektiven Aufklärung der von der NSU verübten Mordserie einräumt, bleibt die Kommission dennoch angesichts der Tatsache, dass die staatliche Seite es weiterhin versäumt, die eigenen systemischen Mängel und das rassistische Motiv hinter diesen Taten zu erkennen, besorgt. Hinter diesem Versäumnis könnte sich institutioneller Rassismus verbergen. Die Kommission ist über die von Vertretern der Zivilgesellschaft vorgebrachten Informationen, nach denen von Ermittlungsbeamten während der Ermittlungen beauftragte V-Leute selbst NSU-Unterstützer gewesen sind, beunruhigt. Ebenso ist die Kommission darüber beunruhigt, dass einem Zeugen, der seine Unterstützung für den NSU eindeutig angezeigt hatte, von staatlicher Seite im Verfahren rechtlicher Beistand zuteil wurde. Die Kommission ist darüber besorgt, dass selbst der Bericht des mit der Untersuchung des staatlichen Versagens beauftragten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses weder spezifisch auf rassistische Diskriminierung noch auf das rassistische Motiv für die begangenen Morde Bezug nimmt. In der Gesamtheit scheinen all diese Elemente auf eine strukturelle Diskriminierung als die eigentliche Ursache für diese Probleme hinzudeuten (Art. 2, 5 und 6).

Die Bundesrepublik Deutschland hat das internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form rassistischer Diskriminierung vom 7. März 1966 (CERD) ratifiziert. In diesem Rahmen unterrichtet die Bundesregierung den UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung (CERD) regelmäßig über die Maßnahmen, die staatliche Stellen zur Verhinderung und Beseitigung von rassistischer Diskriminierung ergreifen. Die unabhängigen Fachleute des UN-Ausschusses formulieren Einschätzungen und Empfehlungen, nachdem sie Vertreter*innen der Bundesregierung und von Menschenrechtsorganisationen angehört haben.

Der Parallelbericht des Bündnisses

Die NebenklagevertreterInnen (von links nach rechts) Carsten Ilius, Sebastian Scharmer, Dr. Mehmet Daimagüler, Angelika Lex (c) nsu-watch

Die NebenklagevertreterInnen Ilius, Scharmer, Daimagüler und Lex hatten schon nach dem UA des Bundestages eine fehlende Analyse des institutionellen Rassismus kritisiert (c) nsu-watch

Um die fehlerhafte staatliche Problembearbeitung anzuklagen und Verbesserungen einzufordern, hatte sich Anfang des Jahres ein breites Bündnis aus Anwält*innen der Nebenklage des „NSU“-Prozesses, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Wissenschaftler*innen und Engagierten aus ganz Deutschland formiert. Ihr im April 2015 verfasste Gegenbericht sieht sich als kritische Antwort zum Staatenbericht der Bundesregierung an den UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung.

Das Bündnis kritisiert:

Die Bundesrepublik Deutschland führt in ihrem 19.-22. Staatenbericht viele Maßnahmen auf, mit denen sie Rassismus, Antisemitismus und Xenophobie entgegentritt, verschweigt dabei jedoch dringenden Handlungsbedarf: Innerhalb des Sicherheitsapparats herrschen strukturelle Missstände, die zu rassistischen Diskriminierungen führen und die Maßnahmen gegen institutionellen Rassismus notwendig machen. Obwohl der Staatenbericht den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) thematisiert, versäumt die Bundesregierung, das breite Spektrum rassistischer Diskriminierung, welches der Fall vor Augen führt, zu adressieren oder sogar zu begreifen.

Detailliert kommentiert und kritisiert der Parallelbericht den Staatenbericht der Bundesregierung: „Entgegen der Angaben in dem Bericht der Bundesregierung hat sich in dem Strafverfahren gegen Beate Zschäpe u.a. und in den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen gezeigt, dass mangelhafte Koordination zwischen Verfassungsschutz und Polizei und fehlende Kenntnisse der rechtsextremen Szene nicht die Ursache dafür waren, dass das Motiv hinter den Morden und Anschlägen unentdeckt blieb.“
Es sei „nicht ersichtlich, welchen Nutzen ein verbesserter Austausch und eine weitergehende Koordination [zwischen den Behörden, Anmerkung Red. NSU-Watch]gehabt hätten.“ Als Konsequenz fordert das Bündnis den Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen auf, „einen Bericht über den „NSU“-Komplex anzufertigen und dabei der Frage des individuellen und institutionellen Rassismus bei der Ermittlungsarbeit der Polizei und der Arbeit der Verfassungsschutzbehörden nachzugehen.“

Dieses Ziel ist noch nicht erreicht, doch die Kommission CERD betont nun in ihren „Concluding Observations“, dass die Bundesregierung das Problem des Rassismus deutlicher fokussieren und jenseits von Rechtsextremismus und Neonazismus klar benennen sollte. Auch empfiehlt die CERD : „(11. f) Unverzüglich, gründlich und unparteiisch zu Vorwürfen des racial profiling zu ermitteln; die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft zu ziehen; effektive Rechtsmittel bereitzustellen, einschließlich von Entschädigung und Garantien zur Nicht-Wiederholung.“ Empfehlungen des Gremiums sind allerdings nicht völkerrechtlich bindend. Doch gerade ein internationaler Blick auf den Rassismus in Deutschland im Allgemeinen und den NSU-Komplex und das Handeln der deutschen Behörden im Besonderen kann den Druck für die weitere Aufklärung des NSU-Komplexes und die Forderung nach politischen und gesellschafltichen Konsequenzen erhöhen.

CERD (15. Mai 2015): http://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CERD/Shared%20Documents/DEU/INT_CERD_COC_DEU_20483_E.pdf

Der Parallelbericht „Institutioneller Rassismus am Beispiel des Falls der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) und notwendige Schritte, um Einzelne und Gruppen vor rassistischer Diskriminierung zu schützen“ (April 2015):
deutsch:
http://www.opferperspektive.de/wp-content/uploads/2015/04/NSU_RassismusParallelbericht.pdf
english: http://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CERD/Shared%20Documents/DEU/INT_CERD_NGO_DEU_20170_E.pdf

Kontakt zum „Bürgerbündnis“:
Dr. Mehmet Daimagüler und Dr. Britta Schellenberg
Mobil: 0160 8362103
Email: md@daimaguler.com, britta.schellenberg@lrz.uni-muenchen.de

 

Zur Kritik am Untersuchungsausschuss des Bundestages kann man hier weiterlesen:

“Der Fehler liegt im System” – PM von Anwält_innen der Nebenklage (22.8.2013)

Lückenhafte Aufklärung: NSU-Ausschuss legt Abschlussbericht vor (Artikel von Felix Hansen / Eike Sanders, nsu-watch vom 28.10.2013)

»Wenn die Gesamtanalyse lückenhaft ist, helfen auch Reformen nicht«
15.09.2014 Rede von Özge Pınar Sarp von NSU-watch vor dem Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhaus zum Thema NSU.