Kurz-Protokoll 218 .Verhandlungstag – 15. Juli 2015

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An diesem Verhandlungstag sagt zunächst ein Zeuge aus, der Zschäpe 2000 in ihrem damaligen Wohnhaus im Treppenhaus mehrfach gesehen hat. Seine Mutter hatte sich über Lärm aus ihrer Wohnung beschwert. Die zwei darauf folgenden Polizeibeamt_innen sagen zum THS und zu Alias-Identitäten des NSU aus. Als weiterer Zeuge ist Mario Brehme geladen. Er ist Mitglied des THS gewesen. Brehme sagt nur sehr bruchstückhaft aus und muss dabei ständig vom Vorsitzenden Richter angetrieben werden.

Zeug_innen:
Jürgen Ba. (Erkenntnisse zur Wohnung von Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe in der Wolgograder Allee in Chemnitz)
Ottmar Ei. (Polizeibeamter, Auswerteberichte zum THS)
Annika Al. (BKA Meckenheim, Ermittlungen zu Aliaspersonalien des NSU)
Mario Brehme (Neonazi, ehem. Mitglied des THS, Erkenntnisse zu Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, Wohlleben)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:47 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl, dass man mit Verlesungen beginne. Es wird eine Erkenntniszusammenstellung des TLfV vom 14.11.2011 an das BKA, „BAO Trio“ zur Auswertung der „Vorgangsakte Drilling, Maßnahmen zur Aufenthaltsermittlung Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, Erkenntnisse des TLfV über die Person Wohlleben, Ralf“ verlesen. In der Erkenntnismitteilung werden Punkte aufgeführt, die belegen sollen, dass für die Jahre 1998 und 1999 Anhaltspunkte dafür vorliegen würden, dass Wohlleben als Fluchthelfer und Unterstützer fungierte, und dass für 2000 und 2001 Erkenntnisse vorliegen würden, dass Wohlleben als Mitwisser des Verbleibs der Flüchtigen fungiert haben, und dass ihm zumindest zeitweise eine steuernde Rolle zugekommen sein könnte.
Es folgt dann die Einvernahme des Zeugen Jürgen Ba. Götzl: „Es geht uns um Beobachtungen im Anwesen Wolgograder Allee 76 in Chemnitz. Schildern Sie uns, welche Beobachtungen Sie gemacht haben, zunächst von sich aus.“ Ba.: „Was ich gesehen habe? Die Frau Zschäpe habe ich gesehen. Zwei- bis dreimal im Haus, weil meine Mutter dort gewohnt hat, die habe ich regelmäßig besucht. Die ist mir zwei- bis dreimal im Haus begegnet.“ Götzl: „Welche Zeit war das?“ Ba. sagt, das müsse 2000 gewesen sein. Ich bin jede Woche einmal zu meiner Mutter, da ist sie mir im Treppenhaus entgegengekommen: Guten Tag. Und mehr war da auch nicht.“

Nach einer Unterbrechung bis 11:13 Uhr wird Ottmar Ei. einvernommen. Götzl sagt, es gehe um
Erkenntnisse zum THS: „Da würde mich interessieren, welche Feststellungen von Ihrer Seite getroffen wurde und aus welchen Quellen.“ Ei. sagt, er habe die Erkenntnisse zusammengetragen, die bei ihnen in der Dienststelle oder in den Jahresberichten des TLfV aufzufinden gewesen seien. Götzl „Ja, was war der THS?“ Ei.: „Ausweislich der Unterlagen eine Organisation von anfänglich um die 70, 80 Personen bis hin in Spitzenzeiten zu 170 Personen, die also aus dem rechtsextremistischen Klientel sich im Bereich Thüringen zusammengetan haben und als Organisation aufgetreten sind.“ Führer des THS sei Tino Brandt bis zum Schluss gewesen.

Danach wird die BKA-Beamtin Annika Al. vernommen. Götzl sagt, es gehe um Ermittlungen im Hinblick auf Aliaspersonalien von Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe. Al: „In der Asservatenauswertung wurden eine Vielzahl von Personalien festgestellt , diese wurden überprüft, ob sie von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe als Aliaspersonalien benutzt wurden, z. B. Kontounterlagen, Ausweise, Rechnungen.“ Man könne das unterteilen. Zum einen in die Aliaspersonalien, die von Beschuldigten zur Verfügung gestellt wurden. Zum anderen gebe es die Aliaspersonalien, zu denen Sie keine reale Person hätten ermitteln können.

Nach der Pause bis 13:38 Uhr sagt Götzl, dass man die Einvernahme von Al. unterbreche und mit Mario Brehme fortfahre. Nachdem Al. den Saal verlassen hat, betritt Brehme mit seinem Zeugenbeistand, Stefan Böhmer [Szeneanwalt] den Saal. Götzl stellt die obligatorische Frage, ob Brehme mit den Angeklagten verwandt oder verschwägert sei. Brehme: „Nicht bewusst.“ Götzl: „Ja, sind Sie verwandt oder verschwägert?“ Brehme: „Nicht bewusst.“ Götzl: „Das ist das erste Mal in diesem Verfahren dass wir bei den Personalien diese Probleme haben.“ Dann sagt Götzl, dass es um Erkenntnisse zu Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, Wohlleben gehe, um Fragen hinsichtlich der Vermittlung eines Interviews mit der Zeitschrift Stern, auch um Brehmes Verhältnis zu Wohlleben, die Einstellung Wohllebens, auch im Hinblick auf Gewalt. Mich würde mal zunächst interessieren, dass Sie uns im Zusammenhang berichten, was es damit auf sich hat.“ Brehme: „Bitte die erste Frage!“ Götzl: „Ich will, dass Sie zum Beweisthema berichten. Und ich hatte gesagt, Sie sollen überhaupt erstmal Stellung nehmen, inwiefern Sie die genannten Personen kennen?“ Brehme: „Also, den Ralf Wohlleben kenne ich seit mehreren Jahren, die Beate Zschäpe habe ich damals auch gekannt, mehrere Jahre, den Uwe Böhnhardt habe ich natürlich auch gekannt und den Uwe Mundlos auch.“ Götzl: „Berichten Sie uns, wann Sie sie kennengelernt haben, wie im Weiteren das Verhältnis verlaufen ist.“ Brehme: „Ich habe sie kennengelernt Mitte der 90er Jahre. Aber wo genau, kann ich nicht mehr sagen, entweder in Rudolstadt, oder im Landkreis Rudolstadt oder in Jena.“
Götzl fragt, wie der Kontakt zu den Personen verlaufen sei. Brehme: „Der Kontakt war gut. Schätze, ich habe in den damaligen Jahren einen der vier Genannten bestimmt einmal pro Woche gesehen, trotz der Entfernung von Jena nach Rudolstadt. Wobei die vier nicht als Vierergruppe aufgetreten sind und die Drei nicht als Dreiergruppe.“ Götzl: „Sondern?“ Brehme: „Mal eine Person, mal zwei, mal drei, mal sechs Jenaer. Wir haben die nicht wie später das LKA als ‚Drilling‘ oder ‚Trio‘ bezeichnet.“ Götzl: „Und Wohlleben: Was können Sie uns zu ihm sagen?“ Brehme: „Also, ich kann sagen, dass er erst im Lauf der 90er Jahre in verantwortungsvolle Position geraten ist, und konkret erst ab 2001. Mit dem Bekanntwerden Brandts als V-Mann sind halt Wohlleben und andere in leitende Position gekommen. Zuvor hatten sie nicht diese Tragweite. [phon.] Es entstand nach dem Bekanntwerden Brandts als V-Mann ein Vakuum und das wurde dann wiederbesetzt.“ Götzl: „Wie war es denn vorher gewesen, vor 2001?“ Brehme: „Vorher war es so, dass er gleichberechtigtes Mitglied der Kameradschaft Jena gewesen ist und keine Führungsverantwortung übernommen hat.“ Götzl fragt, was Brehme zur KS Jena sagen könne. Brehme: „Die war eine typische Kameradschaft Mitte der 90er Jahre auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Man konnte sie definieren durch ein Kommen und Gehen, wie bei anderen Kameradschaften. Die Leute sind mit 15, 16 Jahren gekommen und haben sie mit Ende der Lehre, Berufseintritt oder Wohnortwechsel wieder verlassen [phon.].“ Götzl: „Wer gehörte dazu“? Brehme: „Das kann ich nicht bis auf den letzten Mann wiedergeben.“ Götzl: „Mir geht es um Personen, mit denen Sie Kontakt hatten.“ Brehme: „Vor Augen habe ich schon den ein oder anderen. Namen haben wir damals auch nicht unbedingt gekannt.“ Götzl: „Wen ordnen Sie zu?“ Brehme nennt Wohlleben. Götzl: „Und sonst?“ Brehme schweigt.
Götzl: „Können Sie uns die Rolle Brandts beschreiben und wie der Kontakt zu ihm war?“ Brehme: „Bis 2001 war der Kontakt zu ihm sehr gut. Tino Brandt war die Schlüsselfigur der damaligen Zeit in Saalfeld-Rudolstadt und in ganz Thüringen. Mit zunehmender Bedeutung bundesweit durch den Eintritt in die NPD und die Gründung der Revolutionären Plattform in der NPD.“ Götzl: „Wie war Ihr Kontakt zu ihm?“ Brehme: „Sehr gut.“ Götzl: „Welche Rolle spielte Tino Brandt für die Kameradschaft Jena?“ Brehme: „Zunächst keine. Anfang der 90er war die Kameradschaftsstruktur in Jena nicht fassbar, es war ein Kommen und Gehen. Erst später als die Kameradschaftsstruktur etwas enger wurde, kann man sagen, dass Brandt auch da Einfluss gewonnen hat in Jena, ja.“
Götzl fragt, wann das gewesen sei. Brehme: „Beim Übergang von der ‚Anti-Antifa-Ostthüringen‘ zum THS.“ Das sei 1996, in der Zeit, gewesen. Götzl: „Was bedeutet: ‚Strukturen enger geworden‘?“ Brehme: „Wenn ich für Saalfeld-Rudolstadt reden darf: Wir hatten die ‚Anti-Antifa Ostthüringen‘ gegründet in Reaktion auf die vielen Übergriffe der Linksextremisten.
Götzl: „Wie muss ich mir den Übergang von der Kameradschaft Jena zum THS vorstellen?“  Brehme: „Der gewaltbereite Linke war nicht mehr der Hauptfeind, den hatten wir in den Griff bekommen. Und konnten uns um andere Sachen kümmern, die den Menschen stören [phon.].“ Götzl: „Um was?“ Brehme: „Um ein besseres Deutschland.“ Götzl: „Was ist damit gemeint?“ Brehme: „Ein Deutschland, in dem die Umwelt geschützt wird und die Heimat, in dem die Arbeit dem Menschen dient und nicht der Mensch der Arbeit, ein Land, das sich nicht an Auslandskriegen beteiligt, in dem die Bürger nicht überwacht werden, in dem es keine Gefangenschaften gibt von drei Jahren ohne Urteil.“
Götzl: „Was bedeutet ‚wir‘?“ Brehme: „Die Idee des Wirs.“ Götzl: „Bitte?“ Brehme: „‚Wir‘ als Idee.“ Götzl sagt, man spreche ja vom THS. Brehme: „Das von mir verwendete ‚Wir‘ beschränkt sich nicht auf den THS.“ Götzl: „Dann beschränken Sie sich mal auf die Personen des THS!“ Brehme: „Brandt hat sich auch ausgesprochen gegen den Bundeswehreinsatz.“ Götzl: „Sie weichen mir aus.“ Brehme: „Konkret Brandt und ich haben uns gegen den Krieg gegen Serbien ausgesprochen.“ Götzl: „Ja, bestand der THS aus Ihnen und Brandt?“ Brehme: „Auf alle Fälle.“ Auf Frage sagt er: „Ich kann mich durchaus an verschiedene weitere Personen erinnern, aber keine Namen.“ Götzl fragt immer wieder nach weiteren Namen, aber Brehme nennt stets nur Brandt und sich selbst als Mitglieder des THS.
Götzl fragt, wann und in welcher Form Brehme Kontakt zu Mundlos und Böhnhardt gehabt habe. Brehme: „Mittwochsstammtisch oder Wochenendveranstaltungen.“ Götzl: „Können Sie uns sagen, wie Ihr Verhältnis zu Ralf Wohlleben war?“ Brehme: „Etwas distanzierter.“ Auf Nachfrage sagt Brehme: „Die Vertrauensbasis zu den beiden Uwes war einfach besser, weil wir auf Veranstaltungen den Kontakt zueinander gesucht haben und uns unterhalten haben. Und Ralf Wohlleben halt andere Gesprächspartner gesucht hat.“
Götzl: „Können Sie denn mit dem Stichwort ‚Interview Zeitschrift Stern‘ etwas anfangen?“ Brehme : „Beim Verhör beim BKA wurde das auch erwähnt, da wurde das Datum 28.10.1998 oder 2000, helfen Sie mir kurz, genannt.“ Götzl: „Was hat es damit auf sich?“ Brehme: „Da kam das Angebot, ich weiß nicht von wem, für ein Interview zwischen 50.000 und 60.000 zu zahlen. Dann wird abgewogen. Und letzten Endes haben wir uns bei einem zweiten Treffen dagegen entschieden, um eben die Sicherheit des THS nicht zu gefährden.“ Götzl: „Worum sollte es bei der Interviewanfrage gehen?“ Brehme: „Es sollte darum gehen, dass die drei Jenaer, die sich auf der Flucht befanden, dass sie einfach zeigen wollen, sie können Kontakt aufnehmen und der Staat schafft es nicht [phon.]. Und dass sie nicht verhaftet werden, sondern sozusagen freies Geleit kriegen. Sagen, was sie gemacht haben oder nicht gemacht haben und dann wieder gehen.“
Götzl legt eine Pause ein bis 15:15 Uhr. Dann fragt er: „Wer hat denn die Entscheidung getroffen, dass das Interview nicht durchgeführt wird?“ Brehme: „Denke, das war basisdemokratisch.“ Götzl: „Mir genügt, wenn Sie sagen, wer.“ Brehme: „Ich denke, wahrscheinlich Brandt und ich.“
Götzl: „Wie haben Sie denn erfahren vom Untertauchen der drei Personen?“ Brehme: „Ich wurde ca. fünf Tage später angerufen. Das heißt, die ersten Radiomeldungen kamen zehn Tage später.“ Götzl: „Was haben Sie erfahren?“ Brehme: „Ich habe erfahren, dass die drei weg sind, also Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Götzl: „Haben Sie denn was über den Aufenthaltsort erfahren?“ Brehme: „Anfangs nicht, irgendwann später hieß es bei einem kleinen Zusammentreffen in Bad Blankenburg, dass Böhnhardt und Mundlos erschossen auf Kreta aufgefunden worden seien.“ Das sei Jahre später gewesen und diese Information solle von einem Bereitschaftspolizisten aus Rudolstadt gekommen sein: „Ansonsten war Tenor: Sie sind im Ausland. Und es hieß: Beate Zschäpe kommt zurück und stellt sich, weil sie nichts zu erwarten hat.“ Götzl fragt, von wem diese letztgenannten Informationen gekommen seien. Brehme: „Von Brandt.“ Götzl sagt, man werde Brehmes Einvernahme für heute unterbrechen müssen. Brehme und Böhmer verlassen den Saal. Der Verhandlungstag endet um 16:24 Uhr.

Hier geht es zum Kommentar des Blogs nsu-Nebenklage: http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/07/15/15-07-2015/

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