Kurz-Protokoll 234. Verhandlungstag – 07. Oktober 2015

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An diesem Verhandlungstag stellt zunächst RA Heer einen Antrag, der auf die Entpflichtung von NKRA Willms Bezug nimmt. Dann sagt Tom Turner erneut zur Kameradschaft Jena aus. Es geht auch noch einmal um Videos, die Gewaltausübung propagieren. Turner revidiert hier seine Aussage, er habe diese gemeinsam mit der Kameradschaft angesehen. Dieses mal sagt er aus, er hätte sie zu einem späteren Zeitpunkt mit anderen Leuten gesehen.

Zeug_innen:

  • Tom Turner (Mitbegründer der KS Jena, ehem. Sänger der Jenaer Neonaziband „Vergeltung“, Erkenntnisse zu Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt, Wohlleben, Gerlach)
  • Yvonne D. (Lebensgefährtin von Tom Turner)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:50 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung verliest RA Heer für sich und seine Kolleg_innen Sturm und Stahl einen Antrag. [Beate Zschäpe dreht sich in Richtung ihres neuen Verteidigers RA Grasel und spricht mit diesem.] Es geht bei dem Antrag Heers um den mittlerweile entpflichteten NK-Vertreter RA Willms und die offenbar nicht existente Nebenklägerin „Meral Keskin“.

[Zum Fall Ralph Willms und zur nicht existenten Nebenklägerin „Meral Keskin“ siehe unsere Stellungnahme: http://www.nsu-watch.info/2015/10/es-ist-nicht-nur-ein-strafprozess/ und die Stellungnahme der Initiative Keupstraße ist überall: http://keupstrasse-ist-ueberall.de/medienwirbel-um-die-nebenklage-stellungnahme-der-initiative-keupstrasse-ist-ueberall/]

Zur „Vorbereitung etwaiger weiterer Prozessanträge bzw. -gesuche“ beantragt Heer dann, dass der Vorsitzende sich dienstlich dazu äußern möge, 1. welches bzw. welche Mitglieder des erkennenden Senats mit der Vorbereitung der Beschlussfassung betreffend die Nebenklage von „Keskin“ befasst war bzw. waren; 2. ob er bereits vor der ersten Veröffentlichung in „Spiegel Online“ bzw. dem Antrag von RA Willms vom 02.10.2015 über Erkenntnisse verfügte, dass das von Willms vorgelegte Dokument gefälscht sein könnte; 3. ob Willms der Aufforderung des Vorsitzenden nachkam, sich am 232. Hauptverhandlungstag und am darauf folgenden Tag zu erklären und ggf. mit welchem Inhalt.
Danach sagt Zschäpe-Verteidiger Grasel: „Ich möchte feststellen, dass weder mir noch Frau Zschäpe der Antrag zuvor bekannt war. Anscheinend wurde zwar der Senat vorher in Kenntnis gesetzt, eine Information von mir oder der Mandantin hat nicht stattgefunden.“

Es folgt die Einvernahme des Zeugen Tom Turner. Götzl: „Wir sprachen über die Kameradschaft Jena und Erhebung von Geldern bei Mitgliedern, die Frage der Finanzierung. Da hatte ich Sie gefragt, was finanziert werden sollte, da ging es um Spuckis, Plakate, Flugblätter und dass für Demofahrten Geld in der Kasse war. Gab es noch weitere Unternehmungen, die finanziert werden sollten?“ Turner: „Nee, das war genau so wie ich es gesagt habe, soweit ich mich erinnere.“ Götzl: „Eine Nachfrage zu André Kapke. Sie hatten angegeben: ‚ein engagierter Typ, der was bewegen wollte‘. Was wollte er bewegen?“ Turner: „Dass er halt jemand war, der vorne dran war, wenn es was zu organisieren gab, Demonstrationen, Fahrten zu Konzerten, solche Sachen eben.“ Götzl: „Und bei Ralf Wohlleben sei es ähnlich gewesen. Können Sie das noch näher ausführen?“ Turner: „Auch nicht viel anders, wie ich das eben beim Herrn Kapke gesagt habe.“
Götzl: „Zu Frau Zschäpe hatten Sie angegeben, sie hätte gesagt, wenn ihr etwas nicht passte. Können Sie ein Beispiel schildern, haben Sie eine Situation in Erinnerung?“ Turner: „Beim besten Willen nicht.“ Götzl: „Es ging auch um die Person Uwe Böhnhardts das letzte Mal. Sie hatten angegeben, ‚er bekam was in den falschen Hals und wirbelte gleich los‘. Was ist mit ‚wirbelte gleich los‘ gemeint?“ Turner: „Was gibt’s denn da nicht zu verstehen, das ist ein impulsiver Typ halt gewesen. Wir waren sowieso nicht die dicksten Freunde, wir haben uns früh kennengelernt, aber auch früh gemerkt, dass wir nicht so zueinander passen. Da gab es sicherlich auch mal das ein oder andere Streitgespräch zwischen uns, aber wie das halt so ist, zusammen rumhängen mit so unterschiedlichen Charakteren und so.“
Götzl: „Wir hatten uns auch über Videos aus Skandinavien unterhalten, und da hatten Sie das letzte Mal angegeben, dass Sie Videos angesehen hatten, aber es sei einstimmig gewesen, dass das ‚für uns einen Spur zu hart ist‘. Welche Art von Videos haben Sie sich da angeschaut?“ Turner: „Die Videos nannten sich ‚Kriegsberichter‘, das war so etwas wie MTV für Leute wie uns damals. Da waren halt so, was weiß ich, so Berichte von bewaffneten Gruppen so. Ich habe zu Hause nochmal nachgedacht. Ich glaube, von der Zeit her geht das gar nicht, die sind so ’97 rausgekommen oder ’98, da hatte ich schon mit denen nichts mehr zu tun. Das habe ich ein bisschen verhauen oder so.“ Götzl: „Was wollen Sie sagen?“ Turner: „Dass ich das verwechselt habe oder zeitlich durcheinander gehauen.“ Götzl: „Was haben Sie durcheinander gebracht?“ Turner: „Die Videos nannten sich ‚Kriegsberichter‘, da waren Interviews von Bands aus England, Deutschland etc., da waren auch Videobeiträge dabei, wie Typen auf Plastikpuppen geschossen haben, wie die das bei der Bundeswehr machen, wo sie bei Übungen auf Ziele schießen. Nur dass das keine Bundeswehrsoldaten waren, sondern Skinheads. Aber ich meine, dass ich das zeitlich durcheinander gehauen habe, denn die Videos waren ’97/’98, da hatte ich mit denen gar nichts mehr zu tun, so ein Zeitfenster. Gut, dass man das durcheinander bringt, kann schon mal passieren.“ Götzl: „Nichts mehr damit zu tun?“ Turner: „Mit der KS J hatte ich nichts mehr zu tun.“
Götzl: „Ja, in welchem Rahmen haben Sie sich die Videos dann angesehen?“ Turner: „Sicher mit Kollegen. Sie werden das nicht mehr hören können, wenn ich sage: Keine Ahnung. Aber es ist ja schon 17 Jahre her oder 18. In der KS J hat das keine Rolle gespielt in der Gruppe. Jedenfalls nicht da, wo ich dabei war.“ Götzl: „Was hat keine Rolle gespielt?“ Turner: „Irgendwelche bewaffneten Geschichten oder sonst irgendwas, ne.“
OStA Weingarten: „Sie hatten beim vergangenen Mal ausgeführt, dass Andreas Schultz Ihr bester Freund gewesen sei?“ Turner: „Das ist richtig.“ Weingarten: „Können Sie Angaben machen, ob Herr Schultz und Herr Länger sich kannten?“ Turner: „Ja, wir kannten uns alle. Die Freundschaft zwischen mir und Länger [phon.] hat sich ja durch den Laden ergeben oder teilweise gefestigt.“ Weingarten: „Haben Sie Erkenntnisse zu Geschäften, die Schultz, ich sage mal, unter der Ladentheke abgewickelt hat?“ Turner: „Nein.“ Weingarten: „Dass Länger mal Dinge verkauft hat, die man nicht offen verkaufen kann, Diebesgut, Waffen?“ Turner: „Davon habe ich nie was gehört.“
NK-Vertreterin RAin Lunnebach sagt, Turner sei zu den Videos habe der Vorsitzende beim letzten Mal einen Vorhalt gemacht. Vorhalt: Frage: Wie sollte der Kampf geführt werden? – Antwort: Durch Flugblätter und Demonstrationen. Es gab hin und wieder mal Diskussionen zur Bildung einer militanten Organisation, wenn man sich Videos über die rechte Szene aus Skandinavien angeschaut hat. Lunnebach: „Und beim letzten Mal hier sagten Sie: ‚Das ging uns zu weit.‘ Wen haben Sie mit ‚uns‘ gemeint?“ Turner: „Wie ich das vorher gesagt habe, dass ich das zeitlich durcheinander gehauen habe. Das konnte zeitlich nicht sein, denn das war so ’97/’98.“ Lunnebach: „Was war ’97/’98?“ Turner: „Da bin ich der Meinung, dass ich die Videos zum ersten Mal gesehen habe. Und da hatte ich ja mit der KSJ gar nix mehr zu tun.“
Auf Aufforderung von Götzl hält Lunnebach den Abschnitt nochmal komplett vor. Vorhalt: Frage: Was war das Ziel der KSJ? – Antwort: Unser Ziel war die Bekämpfung des Staates, letztlich bis zum Umsturz, um wieder eine nationale und sozialistische Gesellschaftsform zu schaffen. – Frage: Wie sollte der Kampf geführt werden? – Antwort: Durch Flugblätter und Demonstrationen. Es gab hin und wieder mal Diskussionen zur Bildung einer militanten Organisation, wenn man sich Videos über die rechte Szene aus Skandinavien angeschaut hat. Dies war aber lediglich in einer euphorischen Stimmung und nicht ernsthaft. Über die Beschaffung von Waffen wurde in der Zeit als ich noch in der KSJ war, nicht gesprochen. Turner: „Natürlich erinnere ich mich, wie ich das gesagt habe.“ Lunnebach: „Und das ist auch richtig so?“ Turner: „Ja.“ Lunnebach: „Mit wem haben Sie das diskutiert?“ Turner: „Das habe ich vorher schon gesagt, dass ich das zeitlich durcheinander gehauen habe. Mit wem ich da drüber geredet habe, keine Ahnung, jedenfalls waren die Leute, mit denen ich darüber geredet habe, zu militanten Geschichten nicht bereit.“
RA Stolle: „Waren Sie mal mit Böhnhardt, Mundlos oder Zschäpe in Rostock?“ Turner: „Wir waren mal da, zu irgendeiner Silvesterparty.“ Stolle: „Was wissen Sie noch?“ Turner: „Wir haben Silvester gefeiert, Musik gehört, getrunken, später ein paar Knaller losgelassen.“ Stolle: „Wer ‚wir‘?“ Zschäpe, Mundlos und ich.“ Stolle: „Und Böhnhardt?“ Turner: „Böhnhardt war nicht dabei.“ Stolle: „Bei wem war denn diese Silvesterfeier?“ Turner: „Oh, ich weiß, dass wir dort waren, aber das ist zu lange her. Namen kann ich Ihnen nicht nennen.“ Stolle: „Über wen lief diese Fahrt nach Rostock, über Sie, über Frau Zschäpe oder über Mundlos oder über Dritte?“ Turner: „Das waren Konzertbekanntschaften.“ Stolle: „Von wem?“ Turner: „Mundlos, Frau Zschäpe und ich halt noch. Ich bin der Meinung, wir haben die über Konzerte kennengelernt.“ Stolle: „Wissen Sie noch, in welchem Jahr das war, ungefähr, welches Silvester?“ Turner schweigt zunächst und sagt dann: „Festlegen möchte ich mich nicht, aber ich würde sagen, zwischen ’94 und ’96.“ Stolle: „Sagt Ihnen ein Waffenladen in Rostock was, ein Besuch in einem Waffenladen mit Uwe Mundlos?“ Turner: „Nein.“
NKRAin V. d. Behrens: „Gab es Kreuzverbrennungen durch Mitglieder der Kameradschaft Jena oder woran Sie beteiligt waren?“ Turner schweigt lange. V. d. Behrens macht einen Vorhalt aus einer Vernehmung von Turner vom 21. Januar 1997. Vorhalt: Ergänzend muss ich sagen, das Kreuzverbrennungen nur im Wald stattfanden, bei der Fliegerscheune, das Kreuzverbrennen war … Nachahmung vom Ku-Klux-Klan. V. d. Behrens: „Kommt da eine Erinnerung?“ Turner: „Ja, wenn Sie das so sagen.“ V. d. Behrens: „Woran erinnern Sie sich?“ Turner: „Dass wir aus Jux und Tollerei in der Fliegerscheune so ein Kreuz zusammen gezimmert haben und angebrannt haben.“ V. d. Behrens: „Wer war dabei?“ Turner: „Weiß ich nicht mehr.“ V. d. Behrens: „Mehrfach oder nur einmal?“ Turner: „Ich kann mich nur an das eine Mal erinnern und das auch nur schwach.“

Es folgt die Einvernahme der Zeugin Yvonne D. Götzl: „Uns geht es hier darum, ob Sie Erkenntnisse haben zu Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe, Holger Gerlach, Ralf Wohlleben, zur so genannten Kameradschaft Jena. Nicht ob Sie aus den Medien etwas erfahren haben, sondern um Erkenntnisse, die Sie unmittelbar oder durch Berichte von anderen gewonnen haben. Was können Sie uns denn dazu sagen?“ D.: „Gar nichts, ich kenne weder die Angeklagten noch die Kameradschaft Jena. Ich weiß eigentlich gar nicht, was ich hier soll.“ Der Verhandlungstag endet um 13:25 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.

Die vollständige Version des Protokolls findet sich hier.