Kurz-Protokoll 242. Verhandlungstag – 28. Oktober 2015

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An diesem Prozesstag sagt ein Zeuge der Polizei zu Kartenausschnitten aus. Danach dreht sich der Tag um Beweisanträge. Zunächst stellen Nebenklagevertreter_innen Anträge u.a. zu Holger Gerlach und seinen Verbindungen in die Neonazi-Szene auch nach seinem angegebenen Ausstieg 2004. Danach lehnt Götzl einige Beweisanträge der Verteidigung und der Nebenklage ab.

Zeuge: Lutz Ti. (BKA Meckenheim, Kartenmaterial zu Dassow, Mecklenburg-Vorpommern)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:48 Uhr. Erster Zeuge ist KOK Lutz Ti. Götzl sagt, es gehe um die Auswertung von Kartenmaterial. Ti.: „Auftrag war, die Kartenfragmente nach möglichen handschriftlichen Aufzeichnungen zu untersuchen.“ Ein handschriftlicher Eintrag, „Holmer Berg“, sei zweifelsfrei zu identifizieren gewesen. Ti.: „Ich habe dann anfänglich mittels Internetrecherche nach Informationen gesucht und herausfinden können: Keine geographische Besonderheit, die als Ausflugsziel zu finden ist, aber ein Gewerbegebiet in der Gegend, was den Namen führt, mit verschiedenen ansässigen Firmen.“ Götzl fragt nach den Ergebnissen. Ti. sagt, es sei eine [phon.] Firma gelistet gewesen, die Serviceleistungen für Boote anbieten und eine Druckerei, die für das ebenfalls in dem Gebiet ansässige CD-Presswerk die Cover hergestellt habe. Laut Presse im Internet sei die Firma in der Vergangenheit durchsucht worden und es seien Cover beschlagnahmt worden mit dem Hintergrund rechtsextremer Musik. Das sei ihm auch im Hause [im BKA]bestätigt worden, dass die Firma Gegenstand von Ermittlungen war.

Nach der Einvernahme von Ti. sagt Götzl: „Jetzt hatten Sie, Frau von der Behrens, mitgeteilt, dass Sie heute Beweisanträge stellen würden?“ V. d. Behrens sagt, es gehe um insgesamt vier Anträge und beginnt mit dem ersten Antrag: Holger Gerlach hat in seiner Einlassung [vgl. 7. Verhandlungstag] behauptet, der Prozess seiner Loslösung von der Naziszene habe bereits etwa 1999 nach dem Umzug nach Hannover eingesetzt, 2004 sei er endgültig ausgestiegen. Die folgend beantragten Beweismittel werden belegen, dass Gerlach noch mindestens bis 2002 aktiv Kontakte zu hochrangigen Nazifunktionären in Niedersachsen [u.a. Thorsten Heise] unterhielt. Dies stelle seine behauptete innerliche Loslösung erheblich in Frage. Damit wird auch seine Behauptung, kein Interesse an und keine Kenntnis von den Taten des NSU gehabt zu haben, erheblich in Frage gestellt.
Zur Begründung: Heise ist bisher in diesem Verfahren nur einmal vernommen worden, obwohl er laut Angaben von Brandt und Gerlach und Tonbandaufzeichnungen eines Gesprächs zwischen Brandt und Heise im Jahr 2007 in die Unterstützung des Trios eingebunden war. Die Relevanz des engen Kontakts von Gerlach mit Heise ergibt sich aus dessen herausragender Stellung in der Neonaziszene. Heise ist eine Leitfigur und Multifunktionär der militanten Neonaziszene, bundesweit und international vernetzt und gehört nach Einschätzung des BKA zu den bedeutendsten deutschen Neonazis. Aufgrund seiner Stellung laufen bei ihm Kontakte und Informationen zusammen. Seine vielfältigen Kontakte in die KS– und Skinhead-Szene, zu B&H und C18 sowie seine Affinität zu Waffen erklären, warum die direkten Unterstützer von Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe ihn um Hilfe gebeten haben. Heise wurde durch Holger Gerlach in die Unterstützung des Trios eingebunden, was sich aus Gerlachs eigenen Angaben und fünf Meldungen von Tino Brandt aus der Zeit von 22.03.1999 bis 01.02.2000 ergibt. In drei im November 2011 sichergestellten Mobiltelefonen von Holger Gerlach war die Telefonnummer von Heise gespeichert.

Dann verliest RA Elberling den nächsten Antrag: Aus einem Ermittlungsverfahren der StA Mühlhausen gegen Heise die Kassetten A und B oder technisch aufbereite Kopien von diesen beizuziehen und in der Hauptverhandlung abzuspielen. Zur Begründung: Auf den Kassetten befinden sich Mitschnitte von Gesprächen Heises mit Brandt und einer weiteren Person, mutmaßlich Kai-Uwe Trinkaus. Der Inhalt des Gesprächs ist verfahrensrelevant zum einen im Hinblick auf die Äußerung Brandts, wonach es anscheinend Anlass gab, in Bezug auf die „verschwundenen Jenaer“ den THS als „legalen Arm einer Terrorbewegung“ anzusehen, zum anderen im Hinblick auf die Angabe Brandts zu den „Sachen“, die die Drei hätten machen müssen, die wiederum seine Kenntnis davon belegt, dass das Trio weitere Straftaten zur Finanzierung des Lebens im Untergrund beging. Dies wiederum deckt sich mit dem Inhalt einer Meldung von Tino Brandt vom 10.04.2001, in der er mitteilt, Wohlleben habe eine Spende für die Drei abgelehnt, weil die kein Geld mehr bräuchten, weil sie so viele „Sachen/Aktionen“ gemacht hätten, von denen der Zeuge nichts wissen sollte. Es ist davon auszugehen, dass das Wissen Brandts darüber, dass die Drei strafbare „andere Sachen“ machten, um sich zu finanzieren, aus dem Gespräch mit Wohlleben stammt. Hierfür spricht schon die gleiche Wortwahl „Sachen“ gemacht. Auch der Gesprächsteil zur ideologischen Einstellung Wohllebens und der KS Jena als damals NS-lastig bzw. als „absolute NS-Kameradschaft“ ist relevant. Der NS-Ideologie ist die Durchsetzung ihrer Ziele mit Gewalt inhärent; damit ist der Versuch von Brandt, in der Hauptverhandlung Wohlleben als Gewaltgegner darzustellen, schon durch diese ideologische Beschreibung widerlegt.

Dann verliest RAin Luczak den Antrag auf die Vernehmung verschiedener Polizist_innen zur Auswertung technischer Geräte, bspw. Handys und Computer, die bei Gerlach gefunden worden, zu vernehmen. Zur Begründung: Die Beweise werden ergeben, dass Gerlach nie aus der Neonaziszene ausgestiegen ist und weiterhin einer Nazi-Ideologie verhaftet geblieben ist. Gerlach hat in seiner Einlassung in der Hauptverhandlung angegeben, er sei nach einem längeren inneren Ausstiegsprozess und einer Entfremdung von der Szene 2004 endgültig ausgestiegen. Auslöser sei gewesen, dass sein bester Freund ihn mit seiner Freundin betrogen habe.
Diesen angeblichen Szeneausstieg hat Gerlach in seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung selbst in den Kontext seiner Unterstützungshandlungen gesetzt und behauptet, der behauptete verringerte Kontakt zu dem Trio sei angeblich mit seinem Szeneausstieg verbunden: „Dann habe ich den persönlichen Kontakt abreißen lassen und mich nicht mehr gemeldet, da ich aus der Szene ausgestiegen bin. Dann haben die Drei Kontakt zu mir aufgenommen. Dies war etwa 2005.“ Die bisherige Hauptverhandlung hat bereits ergeben, dass der Kontakt zum Trio nicht im Jahr 2004 abgerissen ist. So ist der Angeklagte Gerlach noch im Jahr 2006 zusammen mit dem Trio in den Urlaub gefahren. Die beantragte Beweiserhebung wird zeigen, dass auch der vermeintliche Ausstieg so nicht stattgefunden hat. Nach Darstellung von Gerlach müssten dann alle drei ihm in der Anklage vorgeworfenen Unterstützungshandlungen in die Zeit nach seinem vermeintlichen „Ausstieg“ fallen: Die Übergabe des Führerscheins und der ADAC-Mitgliedskarte 2004, der AOK-Mitgliedskarte der Zeugin Sch. 2006 und des Reisepasses und der AOK-Mitgliedskarte im Jahr 2011.
Insofern ist es für den in der Anklage angenommenen Eventualvorsatz ein wichtiges Indiz, wenn der Angeklagte in dieser Zeit der Unterstützung nicht ausgestiegen war, er also auch weiterhin die nationalsozialistische Überzeugung mit dem Trio teilte. Wie die unter Beweis gestellten Taten ergeben, ist Gerlach nicht „ausgestiegen“. Vielmehr war er bis zu seiner Festnahme durchgehend der Ideologie und relevanten Personen aus der Nazi-Szene verbunden und nahm nach den bisherigen Erkenntnissen zumindest 2005 und ab 2011 regelmäßig an Szene-Events teil.

Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass der Beweisantrag [vgl. 210. Verhandlungstag] der Verteidigung Wohlleben auf Ladung von Norbert Wießner [zuletzt 199. Verhandlungstag]abgelehnt wird.
Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass der Beweisantrag von RA Langer zu einer im Wohnmobil in Eisenach gefundenen Tankquittung [vgl. 213. Verhandlungstag] abgelehnt ist.
Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass der Antrag der Verteidigung Wohlleben auf Vernehmung von Mitarbeitern der Firma Sellier & Bellot zum Beweis der Tatsache, dass Sellier & Bellot nur scharfe Patronen, nie Schreckschusspatronen des Kalibers 6,35 mm erstellt hat [vgl. 174. Verhandlungstag], abgelehnt ist.
Schließlich verkündet Götzl den Beschluss, dass der Antrag der NK auf Beiziehung der von Jürgen Zweigert [zuletzt 227. Verhandlungstag]zur Vorbereitung seiner Aussage eingesehenen Deckblattmeldungen von Zweigert, Neisen und Wießner [vgl. 229. Verhandlungstag] abgelehnt ist. Der Verhandlungstag endet um 12:47 Uhr.

Hier geht es zum Kommentar des Blog NSU-Nebenklage: http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2015/10/28/28-10-2015/

Zur vollständigen Version des Protokolls geht es hier.