Protokoll 263. Verhandlungstag – 23. Februar 2016

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Beim Banküberfall in Zwickau 2006 schießt der Täter einem Auszubildenden in den Bauch. Zum Überfall und den gesundheitlichen Folgen sagen Zeug_innen von der Polizei und aus dem Krankenhaus aus, wo der Bankmitarbeiter notoperiert worden war.

 

Zeug_innen und Sachverständige:

  • Bernd Kr. (Kriminalbeamter Polizeidirektion Zwickau)
  • Andreas Ma. (Kriminalhauptkommissar beim BKA, Berlin)
  • Dr. Katrin Zi. (Anästhesistin und Intensivmedizinerin)
  • Dr. Roland Scha. (Chirurg im Heinrich Braun Klinikum Zwickau)
  • Dr. Oliver Peschel (Professor am Institut für Rechtsmedizin Uni München)
  • Dr. Thomas Li. (Sachverständiger für Ballistik beim BKA)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:45 Uhr. Als erster betritt der Zeuge Bernd Kr. den Saal. Götzl erklärt, es gehe ihm um den Tatortbefundbericht des Überfalls in der Kosmonautenstraße 2 in Zwickau am 05.10.2006. Dafür lägen auch Lichtbilder vor. Bernd Kr. von der Polizeidirektion Zwickau antwortet, er und sein Kollege KHM Vo. hätten gegen 12:30 Uhr den Auftrag gehabt, in die Sparkassenfiliale nach Eggerbach zu fahren, weil dort ein Überfall gewesen sein sollte: eine maskierte Person, die mit pistolenähnlichem Gegenstand Geld herausfordert habe und eine Person sei durch einen Schuss verletzt worden. Zum Tatort, der Sparkassenfiliale, sagt Kr., sie sei im Erdgeschoss abgeriegelt gewesen. Davor hätten sich Streifenbeamte, das Fachdezernat und das Hauptdezernat der Kripo befunden. Rettungskräfte und Hundeführer seien auch noch vor Ort gewesen. Kr. und sein Kollege Vo. hätten sich einweisen lassen, was vorgefallen sei. Die verletzte Person habe sich bereits im Rettungswagen befunden und sei kurz nach ihrem Eintreffen abtransportiert worden.

Es werden nun Lichtbilder sowie eine Skizze vom Tatort in Augenschein genommen. Der Zeuge erläutert, dass im Foyer u.a. Geldautomaten gestanden hätten. Durch das Foyer gelange man in die Sparkasse. Rechts seien Beratungsräumlichkeiten und links befände sich der Servicebereich mit Serviceschalter. Dort seien die bluttypischen Anhaftungen festgestellt worden. Im obersten Bereich, der auf der Skizze mit der Ziffer 2 beschriftet ist, sei das Einschussloch im Teppich gewesen. Im Bereich, der mit „3“ gekennzeichnet ist, seien Kleidungsständer und umgekipptes Schild gefunden worden. An dem Ort, wo die Sitzgruppe sei, sei das erste Projektil vorgefunden worden. Bei der zweiten Suche sei im Bereich, der als „10“ beschriftet ist, das zweite Projektil gefunden worden. Im linken Bereich seien die Servicetresen gewesen. Darauf habe dieses Handtuch mit bluttypischen Anhaftungen gelegen und dahinter sei ein Lüfter im Bodenbereich gewesen. Der Zeuge zeigt in der Skizze den Ort der vorgefundenen Vase und die Beschädigung im Fensterbereich.
Götzl sagt, es lägen noch Lichtbilder von der Überwachungskamera vor. Diese Lichtbilder werden im Gerichtssaal in Augenschein genommen. Kr. kommentiert, es sei der Vorraum zu sehen, wo die Geldautomaten seien. Der Zeuge deutet auf dem Bild und sagt: „Hier geht's rein, hier geht's raus. Hier sieht man, wie der vermutliche Täter die Sparkasse betritt und hier wieder verlässt.“ Zum nächsten Bild erklärt Kr., man sehe, wie der vermutliche Täter mit einem pistolenähnlichen Gegenstand irgendwas haben will. Kr. sagt zu den nächsten Fotos: „Das ist ein Bild, dass er hier diesen Azubi bedroht. Hier gab's ein Gerangel. Hier die Auseinandersetzung. Hier sieht man, dass er schon am Boden lag.“ Um 10:12 Uhr wird der Zeuge entlassen.

Es folgt die Vernehmung des Zeugen Andreas Ma., Kriminalhauptkommissar aus Berlin.
Götzl erklärt dem Zeugen, es gehe um den Überfall in der Kosmonautenstraße in Zwickau am 05.10.2006. Der Zeuge Ma. berichtet, seine Aufgabe sei die Zusammenführung der Ermittlungsakten der örtlichen Behörden mit den aufgefundenen Asservaten im Wohnmobil in Eisenach gewesen. Des Weiteren seien in der Frühlingsstraße in Zwickau sehr viele Asservate angefallen, die sie mit den Raubstraftatenakten immer abgeglichen hätten. Bei den Raubstraftaten seien sehr oft Bilder der Überwachungskameras gemacht worden und diese Bilder hätten sie mit den Asservaten aus der Frühlingsstraße und dem Wohnmobil verglichen. Der Überfall in Zwickau hätte die Besonderheit gehabt, dass hier zwei Schussabgaben des Täters angefallen seien, so dass also Projektile sichergestellt worden seien. Diese hätten in der Tatmittelsammlung des BKA gelegen. Im Wohnmobil habe ein Revolver Alpha 38/31 Kaliber 38 Spezial gelegen. Der Vergleichsbeschuss habe ergeben, dass da ein Projektil des Vergleichsbeschusses mit dem Projektil aus der Sparkassenfiliale sicher übereingestimmt habe.

Sie hätten des weiteren Bekleidungsstücke verglichen, die sie sichergestellt hätten. Da habe es einen Treffer gegeben. Sie hätten eine grüne Regenjacke aus der Frühlingsstraße 26 gehabt, die eine sehr starke Ähnlichkeit gehabt habe mit der, die der Täter am 05.10.2006 getragen hätte. In der Jacke habe sich ein Durchschussloch mit Schmauchrückständen, Durchschussspuren und Verbrennung von Mündungsfeuer, befunden. Etwa in der Position, die mit dem übereingestimmt habe, was der Täter gemacht habe, als er den Angestellten R. angeschossen habe, der schräg hinter ihm gestanden habe. Und das Durchschussloch sei an genau dieser Stelle. Der Täter habe einen Rucksack mit hellem Schild und hellen Bändchen an den Reißverschlüssen getragen. Diese Kombination, dunkler Rucksack mit hellen Applikationen, sei auf den Überwachungsfotos zu sehen. Im Wohnmobil sei auch eine schwarze Sturmhaube sichergestellt worden. Diese habe der Täter auch in Zwickau getragen. Zusätzlich seien DNA-Spuren von Uwe Böhnhardt sichergestellt worden.

Ma. sagt, der große Unterschied sei, dass bei dem Banküberfall in der Kosmonautenstraße ein Einzeltäter gewesen sei. Sie hätten, von Eisenach zeitlich rückläufig, über die Serie rückwirkend aufgrund der Kleidung, Schuhgröße und Waffennutzung relativ gut festlegen können, wer Uwe Böhnhardt und wer Uwe Mundlos gewesen sei. Der Täter in Zwickau hätte eine sehr untypische, unsichere Haltung der Pistole gehabt: mit drei Fingern. Er habe die Waffe gar nicht mit der Hand umschließend gegriffen und es habe eine große Chance bestanden, dass sich die Waffe bei einer Schussabgabe aus der Hand bewegt. So eine Haltung würde bei einer ordentlichen Schießausübung vom Ausbilder verboten werden, so Ma. weiter. Bei der Raubserie sei es immer Uwe Böhnhardt gewesen, der einen Revolver derartig gehalten habe. In Stralsund hat Uwe Mundlos auch mal einen Revolver gehalten: Einen Schreckschussrevolver. Aber er habe ihn nicht so, sondern in einer richtigen Haltung gehalten. Die Hand habe die Waffe umschlossen. Deswegen seien sie sicher, dass der Täter hier Uwe Böhnhardt gewesen sei.
Götzl sagt, in Ma.s Bericht seien Lichtbilder enthalten. Diese werden im Gerichtssaal in Augenschein genommen. Ma. erklärt zu den Bildern seines Berichts. Auf dem oberen Bild sehe man den Einzeltäter in der Sparkasse Zwickau-Eckersbach. Man könne sehen, dass der Daumen hinten auf der Hand oder dem Hammer aufgelegt sei und sehe den Finger am Abzug. Das gleiche hätten sie sehr gut auf Bildern aus Chemnitz vom 15.04.2004, Albert Schweitzer Straße, hier im Detail besser zu sehen, sehen können. Zu einem weiteren Bild sagt Ma., es gäbe ein ähnliches Bild vom 22.11.2005 in Chemnitz. Auch hier sehe man eindeutig den Daumen am Hammer und den Finger am Abzug. Außerdem sei am Griffstück diese Ausbuchtung, weswegen es sicher die gleiche Waffe sei, die sie auch im Wohnmobil sichergestellt hätten. Zu weiteren Bildern gibt Ma. an: „Das war die grüne Regenjacke. Auf den Originalbildern am Computer haben wir gesehen, dass es eine enge Faltenbildung ist, also ein sehr dünner Plastikstoff wie bei Regenjacken. Und hier auf den Fotos ist es auch zu sehen: kleine, enge schmale Falten, die der Stoff wirft.“
Das nächste Bild zeige die kriminaltechnische Untersuchung. Man sehe einen sternförmigen Riss im Stoff: „Das schwarze sind Verbrennungen vom Mündungsfeuer. Die Untersuchung hat auch Schmauchspuren ergeben: Indizien, die sehr stark darauf hinweisen, dass der Täter diese Waffe benutzt hat.“ Der Rucksack schimmere leicht bläulich. Der Zeuge zeigt auf die weißen Applikation und das helle Bändchen. „Also dieser Rucksack hat sehr große Ähnlichkeit mit dem des Täters.“ Der Rucksack sei in einem Plastiksack in der Frühlingsstraße 26 gefunden worden. „Hier die Bilder der Rangelei zwischen Täter und Angestelltem R. Nach Polizeibericht hat der Täter gedroht, ihn zu erschießen und der Angestellte hat sich nicht anders zu helfen gewusst, als den Täter anzugreifen. Der Täter hat auf den Angestellten hier leicht nach hinten geschossen und ist dann ohne Beute geflüchtet.“

RA Stahl von der Verteidigung Zschäpe fragt den Zeugen zur eigentümlichen Haltung des Revolvers, ob der Zeuge Ma. Kenntnisse darüber habe, ob diese Waffe einen technischen Defekt gehabt habe. Ma. verneint. Er sagt, die Haltung sei bei Uwe Böhnhardt auch dann zu sehen, wenn er diesen langen, silbernen Revolver gehabt habe. Sie dachten, dass Böhnhardt habe verhindern wollen, dass er aus dem Reflex mit beiden Händen zugreift. Deswegen würde bei einer Schiessausübung gelernt werden, dass man nicht den Finger am Abzug habe, dass sich bei einer Griffbewegung mit der freien Hand kein Schuss löse. Ma. gehe davon aus, dass dass es einen Sicherungsmechanismus gegeben habe um eine Schussabgabe zu vermeiden, wenn er mit der anderen Hand was anderes macht. „Wenn man den Finger am Abzug hat und mit beiden Händen eine Griffbewegung macht, dann löst sich ein Schuss.“ Um 10:29 Uhr wird der Zeuge Ma. entlassen und bis 11 Uhr eine Pause eingelegt.

Es folgt die Vernehmung der Zeugin Katrin Zi. Der Vorsitzende Richter Götzl sagt, es gehe um die Behandlung des Patienten R., N. und Ereignisse aus dem Oktober 2006. Götzl fragt, ob und weswegen der Patient bei der Zeugin gewesen sei, wie die Behandlung erfolgt sei und was sie gegebenenfalls von ihm erfahren habe. Zi. sagt: „Der junge Mann kam am 05. Oktober gegen 12:30 Uhr mit dem Notarzt in die Klinik. Er hatte eine Schussverletzung im Abdomen. In der Rettungsstelle erfolgte Primärdiagnostik und Therapie, Sonographie der Abdominalorgane. Da war freie Flüssigkeit im Abdomen. Dann CT: komplexe Verletzung diagnostiziert, so dass der Patient umgehend in den OP-Saal gebracht wurde: Narkose, Laparotomie des Abdomens. Ich hab die Narkose durchgeführt und war für die Sicherung der Vitalfunktionen verantwortlich. Herr R. hatte eine Verletzung der Milzgefäße. Nachfolgend musste noch Splenektomie gemacht werden – die Entfernung der Milz auf Deutsch. Man fand eine Verletzung der Kapsel der Bauchspeicheldrüse sowie multiple Hämatome und Lufteinschlüsse im Bereich der Rückenmuskulatur und der linken Niere und Nebenniere. Es mussten noch die Schussverletzungen am Rücken versorgt werden. Intensivstation. Am Folgetag extubiert, wach und kreislaufstabil.“

Götzl fragt, ob der Patient bei der Aufnahme ansprechbar gewesen sei. Zi. bejaht, er sei auch kreislaufstabil gewesen. Der Druck und die Sättigung seien im Normbereich gewesen. Auf die Frage, wie lange er bei ihnen gewesen sei, antwortet Zi., R. sei 14 Tage in der Klinik und vom 05.10.-09.10. auf der Intensivstation gewesen. Dann sei er zur Weiterbehandlung in der Chirurgie gewesen. Der Sachverständige Peschel fragt nach dem Blutverlust. Zi. gibt an: „1,1 Liter.“ Postoperativ habe der Patient noch einen Fieberanstieg und deutlich erhöhte Entzündungswerte gehabt. Durch Antibiotikagabe hätten schlimmere Infektionen abgewendet werden können. Nebenklagevertreter RA Daimagüler fragt die Zeugin, ob sie etwas zu einer etwaigen Lebensgefahr sagen könne. Zi. sagt, der Patient wäre ohne operative Versorgung schon in eine prekäre und lebensbedrohliche Situation geraten. Durch die Verletzung der Blutgefäße wäre der Blutverlust noch größer geworden und infolge dessen hätte der Patient einen lebensbedrohlichen Zustand erreicht. Um 11:12 Uhr wird die Zeugin entlassen.

Der Zeuge Dr. Roland Scha. betritt den Gerichtssaal. Götzl erklärt, es gehe um die ärztliche Behandlung von N. R. im Oktober 2006. Er fragt den Zeugen, inwiefern er mit dem Patienten befasst gewesen sei. Scha. führt aus, er habe die Notfalloperation wegen der Bauchschussverletzung durchgeführt. Es sei ein Bauchschuss im linken Oberbauch mit Ein- und Ausschuss gewesen, mit Blutungen im Retroperitoneum, Verletzung der Milzgefäße und der Kapsel der Bauchspeicheldrüse. Scha. sagt: „Magen und Darm waren nicht verletzt: ein glücklicher Umstand. Wir haben versucht, die Milz zu erhalten. Am Ende der OP war die Durchblutung jedoch eingeschränkt, so dass wir aus Sicherheitsgründen die Milz entfernen mussten. Ein Urologe hat noch mitoperieret. Wir haben linke Niere und Nebenniere inspiziert. Da war keine Verletzung. Komplikation gab's keine schwerwiegende, nur eine kurzfristige Entzündung der Kapsel der Bauchspeicheldrüse.“ Auf die Frage nach der Blutmenge, sagt Scha. „In der Bauchhöhle war etwa 1 Liter freies Blut.“ Um 11:17 Uhr wird der Zeuge entlassen.

Götzl bittet den Sachverständigen Dr. Peschel um Ausführungen im Hinblick auf die Verletzungen des Herrn R. Götzl sagt: „Vielleicht noch die Information aus der Zeugeneinvernahme Ro. Die hat uns angegeben, dass Herr R. auf dem Boden gelegen sei, ansprechbar gewesen sei. Sie habe ihn gefragt, ob sie seine Eltern informieren soll und er habe dies verneint mit der Begründung, die würden sich nur Sorgen machen.“ Peschel sagt: „Wir haben gerade die beiden behandelnden Ärzte gehört. Frau Zi. und Dr. Scha. Wenn man diese Ergebnisse der geschilderten Anknüpfungstatsachen zusammenfasst, dann ist von einem Abdomen-Durchschuss auszugehen, der sich von vorne nach hinten ereignet hat. Die Verletzung dürfte im linken Oberbauch gelegen haben. Haut, Bauchwandmuskulatur und Darmschlingen, gegebenenfalls auch mal Magen. Warum sind ausgerechnet Magen und Darmschlingen nicht verletzt? Das liegt daran, dass ein Projektil nicht nur einen kanalförmigen Gewebsdefekt hinterlässt, sondern auch eine temporäre Wundhöhle, eine Verdrängung von Geweben nach außen hin und es baut sich ein gewisser Flüssigkeitskegel vor dem Projektil auf. Es kann dazu kommen, dass Darmschlingen verdrängt werden und die Darmwand nicht eröffnet werden muss. Das ist aber zufallsabhängig und man kann das nicht prognostizieren. Das hätte man ansonsten auch chirurgisch versorgen müssen.
Austritt von Darminhalt hat üblicherweise eine Bauchfellentzündung zur Folge, mit Letalität von 20 Prozent auch bei entsprechender Behandlung. Hier sind primär Organe des Hinterbauchraums betroffen gewesen. Der obere Rand am Schwanz der Bauchspeicheldrüse mit Vene und Arterie. Die laufen zur Bauchschlagader bzw. zur unteren Hohlvene, zu der die Milzvene zuläuft. Beide liegen am oberen Rand der Bauchspeicheldrüse.“ Peschel erklärt, bei Verletzung dieser Milzgefäße käme es zu einer erheblichen Blutung, die Gefäße seien mehr als Bleistiftdick. „Es kann rasch zu erheblichem Blutaustritt kommen. Die Bauchspeichelsdrüse produziert Enzyme. Es kann passieren, dass Eiweißstoffe, die zur Verdauung dienen, sich in die freie Bauchhöhle erstrecken und zu einer Selbstverdauung führen, auch das ist hier eingetreten. Primäre Verletzung hier beim Schusskanal, der seitlich ohne Verletzung des Rückenmarkes ausgetreten ist, ist neben der Verletzung der Bauchspeichelsdüsenkapsel, ist hier die Verletzung beider Milzgefäße.

Man kann nicht sagen, inwieweit es zu einer primären Tamponade kommt, aber wir haben hier ein bis 1,1 Liter Blutverlust in die freie Bauchhöhle. Das ist ganz erheblich. Und es kommt zu einer Blutung in den Hinterbauchraum. So dass hier auch der Verdacht kam, dass Niere und Nebenniere verletzt sind, was ausgeschlossen werden konnte. Es ist also eine Blutmenge von merklich mehr als ein Liter ausgetreten. Das ist eine erhebliche Menge, ein Kreislaufversagen beobachtet man ab etwa 1,5 bis zwei Liter. Das heißt, das ist hier eine erhebliche Menge. Und es steht durchaus damit in Einklang, was Frau Zi. gesagt hat, dass der Patient initial kreislaufstabil war, dann aber abgesackt ist: erste Zeichen eines Blutmangelschocks. 4 Ery-Konzentrationen sind etwa ein Liter. Und 2 F-F-Plasma, das ist Plasma-Ersatz mit Gerinnungsfaktoren. Wenn es zu vielen Faktoren der Gerinnungskaskade kommt, kann es passieren, dass es zu einem Defekt der Blutgerinnung kommt.

Die hier vorgenommene Therapie, die Versorgung der Milzgefäße, würde man hier auch erwarten. Dass es dabei zu so einer Verengung des Querschnitts der Milzarterie gekommen ist, das ist eine Komplikation gewesen, so dass die Milz letzten Endes entfernt werden musste. Das Entfernen hat keine unmittelbar lebensgefährlichen Folgen, aber das ist nur eingeschränkt zutreffend, denn die Milz hat auch wesentliche immunologische Funktionen: Produktion von Immunglobulinen, die Infektquellen eliminieren können. Ferner liegen hier Fresszellen, die Bakterien im Blut eliminieren und letztlich ist es auch ein Organ mit wesentlichen Funktionen beim Abbau roter Blutkörperchen. Wenn sich deren Lebensdauer zu Ende neigt, werden diese im Bereich der Milz abgebaut. Bei einem Milizverlust können daher ganz erhebliche Komplikationen entstehen: Overwhelming Postsplenectomy Syndrome. Foudroyant verlaufene Entzündungsreaktion des ganzen Körpers, Sepsis, massiv verlaufend und mit sehr hoher Letalität, 40 bis 50 Prozent. Man kann sehr schwer prognostizieren, wie häufig es zu so einer Erkrankung kommt nach Entfernung der Milz. Wenn es Tumorerkrankungen sind, ist das Risiko höher, bei Kindern auch. Auch bei traumatischen Veränderungen soll das Risiko etwas niedriger sein. Insgesamt ist es aber ein relevantes Risiko, das sich auch viele Jahre nach dem Verlust der Milz einstellen kann. Also auch wenn 10 Jahre verstrichen sind, kann man nicht davon ausgehen, dass es in Zukunft keine Komplikationen mehr hervorrufen kann. Sondern so ein Syndrom kann sich auch bei diesem Patienten noch einstellen, mit hoher Letalität. Ansonsten würden keine weiteren Komplikationen mehr zu erwarten sein. Zu den psychischen Folgen kann ich nichts sagen.

Was die verwendete Waffe betrifft: der 38er Spezial-Revolver. Das würde mit den aufgefundenen Geschossen im Kaliber 9 mm in Einklang zu bringen sein. Die Energiewerte kann man nicht angeben, denn das laboriert sehr stark. Aber es ist durchaus damit in Einklang bringen, dass es zu einer Durchschussverletzung im Abdominalbereich gekommen ist. Lässt sich gut ein Einklang bringen mit den Ausführungen von Herrn R.: Er habe sich rumgedreht und der Schuss sei nach hinten versetzt abgegeben worden. Das ist ja entgegengesetzt zu dem, was Frau Gr. gesagt hat: auf den Bauch gehalten und abgedrückt. Das ist mit den Lichtbildern auch nicht so in Einklang zu bringen. Herr R. hat die Infektanfälligkeit selber auch erwähnt. Die Schussentfernung, die er angegeben hat, 20 bis 30 cm, wenn man sich die Lichtbilder anschaut, durchaus nachvollziehbar und plausibel. Insgesamt für den Herrn R. sicher günstige Grundlagen, dadurch dass Dr. Wa. ja unmittelbar anwesend war und sofort eine entsprechende und sachgerechte medizinische Versorgung eingeleitet hat.“

Nebenklagevertreter RA Langer hält vor, der Zeuge habe gesagt, man habe ihm gesagt, er hätte sehr viel Glück gehabt, weil ein Vollmantelgeschoss verwendet wurde. Peschel bejaht. Er sehe das aus rechtsmedizinischer Sicht auch so, dass die Schussverletzung nicht unmittelbar lebensgefährlich war. Aber, so Peschel, es wäre, wenn die Verletzung nicht versorgt worden wäre, in allernächster Zeit zu unmittelbar lebensbedrohenden und tödlichen Konsequenzen gekommen. Zur Frage der verwendeten Munition gibt Peschel an: „Ein Vollmantelgeschoss deformiert sich nicht oder nur sehr wenig.“ Das Geschoss auf dem Lichtbild sei zwar deformiert, dies sei der Fall, weil es nach dem Durchschuss noch auf eine Wand aufgetroffen sei. „Es gibt neben den Vollmantelgeschossen reine Deformationsgeschosse, die ihre Energie nur an den Körper abgeben. Es gibt Zerlegungsgeschosse, die sich in kleine Splitter zerlegen und trichterförmig Gewebe verletzen.“ Peschel sagt, hätte man solche Geschosse verwendet, wäre es zu einem erhöhten Verletzungspotenzial gekommen und gegebenenfalls zu deutlich stärker ausgedehnten Verletzungen bei Darm, Milz, Bauchspeicheldrüse. Der Sachverständige Peschel wird um 11:39 Uhr als Zeuge entlassen. Im Anschluss wird die Verhandlung bis 13 Uhr unterbrochen.

Als nächster Zeuge wird der Sachverständige Dr. Thomas Li. befragt. Vorsitzender Richter Götzl fragt Dr. Li., ob und welche der Waffen, die in Eisenach und Zwickau gefunden worden seien, die Möglichkeit hätten, einen Schalldämpfer aufzuschrauben. Dr. Li. antwortet, die Waffen hätten ihnen im BKA vorgelegen. „An zwei dieser Waffen ließen sich Schalldämpfer aufschrauben: Die Česká 83, die mit aufgefundenem Schalldämpfer festgestellt wurde, und die MP Pleter 91, deren Schalldämpfer an einem Tatort sichergestellt worden ist.“ Nachdem es keine Fragen der weiteren Prozessbeteiligten gibt, wird der Zeuge Dr. Li. um 13:05 Uhr entlassen. Der Prozesstag endet um 13:06 Uhr.
Der Blog „nsu-nebenklage“:
„Heute ging es zunächst weiter um den Banküberfall auf eine Zwickauer Sparkasse im Oktober 2006. U.a. berichteten die ÄrztInnen, die den angeschossenen Auszubildenden operiert hatten, von seinen erheblichen Verletzungen, die zu erheblichen internen Blutungen und letztlich zur notfallmäßigen Entfernung der Milz führten. Nur durch Glück wurde eine Verletzung des Darmes vermieden. Der Sachverständige Dr. Peschel stufte die Verletzung als potentiell lebensgefährlich ein, Komplikationen wegen des Fehlens der Milz sind auch für die Zukunft noch zu befürchten.Weiter berichtete ein Waffensachverständiger vom BKA, dass von den beim NSU gefundenen Waffen nur zwei ein Gewinde für Schalldämpfer hatten – die Pistole und eine Maschinenpistole. Dies bestätigt ein weiteres Mal die Beweisaufnahme, wonach es sich bei der von Wohlleben und Schultze besorgten Pistole um die Ceska-Mordwaffe handelte.“

http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/02/23/23-02-2016

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