Protokoll 292. Verhandlungstag – 29. Juni 2016

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Als einziger Zeuge ist heute geladen, doch die Befragung zu seiner V-Mann-Tätigkeit wird unterbrochen, weil das Gericht erst klärt, dass der Zeuge bei seiner letzten Vernehmung nicht endgültig entlassen worden war. Weiter stehen Entscheidungen zu Beweisanträgen und Gegenvorstellungen der Nebenklage an. Das Gericht lehnt diese alle ab.

Zeuge:

  • Marcel Degner (Neonazi-Umfeld, Blood and Honour Thüringen, ehemaliger V-Mann des LfV Thüringen)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:50 Uhr. Befragt werden soll der Zeuge Marcel Degner. Zunächst wird die Beiordnung eines Zeugenbeistand von dem ihn begleitenden Anwalt gestellt, die Götzl bewilligt. Dann beginnt die Befragung des Zeugen Marcel Degner. Zunächst erfolgt eine Belehrung nach §55 STPO. Zu Beginn will Götzl von dem Zeugen wissen, ob er zu dem, was er bisher im Prozess berichtet hat, noch ergänzende Angaben machen kann, was der Zeuge verneint. Götzl fragt nun direkt, ob der Zeuge als V-Mann für den Verfassungsschutz gearbeitet hat. Marcel Degner verweigert diese Aussage mit Bezug auf §55 STPO. Götzl zweifelt an, ob die Voraussetzungen für den §55 letztendlich vorliegen, da der Zeuge nach der letzten Befragung nicht entlassen worden sei. Wohlleben-Verteidiger RA Klemke widerspricht Götzl und verweist auf den Vermerk, wonach der Zeuge nach dem 20. Mai 2015 erneut geladen worden sei. Götzl entgegnet, der Entlassung sei widersprochen worden, so dass der Zeuge nicht entlassen worden sei. Es entwickelt sich eine kontroverse Diskussion zu diesem Thema zwischen Götzl, Klemke und OStA Weingarten. Um zu klären, ob der Zeuge wirklich entlassen worden ist, wird die Sitzung bis 10:25 Uhr unterbrochen.

Um 10:33 wird die Verhandlung fortgesetzt. RA Klemke und RA Kolloge berichten aus ihren Mitschriften, aus denen hervorgeht, dass der Zeuge am 20.05.2015 zunächst entlassen wurde, Nebenklage-Vertreter RA Hoffmann der Entlassung jedoch widersprochen habe. Unklar bleibt, ob die Tatsache, dass Götzl angeordnet hatte, dass der Zeuge noch einmal kommen muss, als Rücknahme der Entlassung gelten kann. Um dies zu klären, unterbricht Götzl die Sitzung noch einmal bis 10:50 Uhr. Um 10:54 Uhr verkündet Götzl, der Zeuge sei aufgrund des Widerspruchs von RA Hofmann nicht endgültig entlassen worden. Die Einvernahme des Zeugen Marcel Degner wird für diesen Sitzungstag unterbrochen, sie soll am 20.07.2016 fortgesetzt werden.

Götzl verliest dann einen Beschluss. Er bezieht sich auf die Gegenvorstellung der Nebenklage bzgl. der abgelehnten Beweisanträge zu .

Beschluss: Bei dem Beschluss des Senats vom 11.05.2016 [282. Verhandlungstag], mit dem (I.) die Anträge auf Vernehmung des Zeugen Ralf Marschner, wohnhaft Chur in der Schweiz zum Beweis der Tatsachen, dass er Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe bereits vor dem 26. Januar 1998 persönlich kannte, dass ihm bekannt war, dass und warum Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Chemnitz nach dem 26. Januar 1998 untergetaucht waren und beim Untertauchen von Mitgliedern von Chemnitz unterstützt wurden, dass ihm bekannt war, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe im Jahr 2000 nach Zwickau umgezogen sind und ihm auch die Wohnung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in der Polenzstr. 2 bekannt war, dass er Andre Eminger und persönlich kannte, dass er von der militant neonazistischen Einstellung der beiden Brüder wusste, dass er zudem Kenntnis darüber hatte, dass Andre Eminger zusammen mit Maik Eminger die „“ gegründet und dass beide das Fanzine „“ herausgebracht und für dieses geschrieben haben und dass Andre und Maik Eminger Kontakt zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe hatten, dass er Uwe Mundlos in seiner Zwickauer Baufirma in den Jahren 2000 und 2001 unter den Alias Personalien Max-Florian Burkhardt beschäftigt hat, dass er die Beweistatsachen a. bis e. seinem V-Mann-Führer im Bundesamt für Verfassungsschutz, Richard Kaldrack, während seiner Tätigkeit als V-Mann berichtet hat, abgelehnt wurden, weil die Einvernahme des Zeugen nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist

(II.) den Anträgen, den Zeugen Marschner im Wege der Beweisermittlung zu fragen, ob er oder Jens Gü. Fahrzeuge angemietet haben, die sie der Angeklagten Zschäpe oder Uwe Mundlos und/oder Uwe Böhnhardt zur Verfügung gestellt haben und wenn ja, zu welchem Zweck dies geschehen ist, ob er die Angeklagte Zschäpe in einem seiner Läden beschäftigt hat, wer das Pink Panther-Lied auf seinem PC gespeichert hat bzw. wer ihn auf das Lied aufmerksam gemacht hat und ob ihm das Bekenner-Video des NSU vor November 2011 bekannt war, nicht nachgekommen wurde.

(III.) die Anträge, den Zeugen KHK Steiner, LKA Sachsen, zu vernehmen sowie das Schreiben von KHK Steiner vom 11. Dezember 2001, gerichtet an das LKA Thüringen, z. Hd. Herrn Wießner, beizuziehen und zu verlesen, zum Beweis der Tatsachen, dass es dem LKA Sachsen und dem LKA Thüringen spätestens im Dezember 2001 bekannt war, dass die Unterstützer des NSU aus der Blood and Honour-Szene kommen, dass sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Zwickau aufhalten und dass zu den möglichen Unterstützern des NSU im Untergrund neben Jan Werner, , auch Ralf Marschner gehörte, dass diese Erkenntnisse auch an das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen weitergegeben worden sind, abgelehnt wurden, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung sind und dem Beiziehungsantrag nicht nachgekommen wurde.

(IV.) die Anträge, den Zeugen Richard Kaldrack, zu laden über das Bundesamt für Verfassungsschutz, zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass Ralf Marschner die Beweistatsachen I. a. bis l.e. ihm während Marschners Tätigkeit als V-Mann berichtet hat, abgelehnt wurden, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung sind.

(V.) Die Anträge, den Lagefilm aus der Zeit vom 4. bis zum 11. November 2011 des Führungs- und Lagezentrums in der Polizeidirektion Zwickau zum Beweis der Tatsache beizuziehen und zu verlesen, dass Ralf Marschner dort am 11. November 2011 als Spurenkomplex Nr. 85 verzeichnet ist, abgelehnt wurden und dem Beiziehungsantrag nicht nachgekommen wurde,

(VI.) den Anträgen, sämtliche weitere Ermittlungen, insbesondere Vernehmungsprotokolle mit Bezug zu Ralf Marschner und den Zwischenbericht in dem Ermittlungsverfahren gegen Max-Florian Burkhardt (Az. 2 BJs 12/12-2) beizuziehen und den Unterzeichnern Akteneinsicht zu gewähren nicht nachgekommen wurde, hat es sein Bewenden.

Gründe:
(I) Unter dem 12.04.2016 beantragten verschiedene Prozessbeteiligte die Beweiserhebung zu den im Tenor genannten Tatsachen und damit zusammenhängende Beweisermittlungen. Mit Beschluss vom 11.05.2016 lehnte der Senat die Beweiserhebung aufgrund der gestellten Beweis- und Beweisermittlungsanträge ab. Am 02.06.2016 wurde von den Antragstellern Gegenvorstellung gegen den genannten Senatsbeschluss erhoben.

(II) Nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage unter besonderer Berücksichtigung des Vortrags der Gegenvorstellung kann der Senat keine Umstände erkennen, die eine Abänderung des Beschlusses vom 11.05.2016 rechtfertigen würden. Es hat demnach bei dem Beschluss sein Bewenden. Zur Begründung wird Bezug genommen auf den angegriffenen Beschluss, in dem dargelegt wurde, dass die Beweisanträge auf Vernehmung des Zeugen Marschner abgelehnt werden konnten, weil die Vernehmung des Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist; dass den Anträgen, den Zeugen Marschner im Wege der Beweisermittlung zu den in den Anträgen aufgeführten Sachverhalten (vgl. oben II) zu befragen, nicht nachgekommen wurde, weil die Aufklärungspflicht zu diesen Ermittlungen nicht drängt; dass die Beweisanträge auf Vernehmung des Zeugen KHK Steiner, auf Verlesung seines Schreibens vom 11.12.2001, auf Vernehmung des Zeugen Kaldrack und auf Verlesung des Lagefilms der PD Zwickau abgelehnt werden konnten, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung sind; dass den Anträgen, das Schreiben von KHK Steiner vom 11.12.2001, den Lagefilm der PD Zwickau und sämtliche weitere Ermittlungen, insbesondere Vernehmungsprotokollemit Bezug zu Ralf Marschner und den Zwischenbericht in dem Ermittlungsverfahren gegen Max-Florian Burkhardt beizuziehen, nicht nachgekommen wurde, weil die Aufklärungspflicht zu diesen Ermittlungen nicht drängt.

1. Die Gegenvorstellung führt zusammengefasst aus, das Aufklärungsgebot gebiete die in diesem Zusammenhang beantragten Beweiserhebungen und Beweisermittlungen. Aufzuklären seien die weiteren Lebensumstände von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt während der Zeit in Zwickau, weil hierzu noch keine ausreichenden Feststellungen getroffen worden seien. Die Beschäftigung von Mundlos und gegebenenfalls auch der Angeklagten Zschäpe bedeute eine „weitere Geldquelle“, die im Rahmen der Feststellungen zu der terroristischen Vereinigung wichtig seien. Die Finanzierung der Lebenshaltungskosten der Untergetauchten sowie die Finanzierung der „Vorbereitung und Ausführung der Taten“ spielen eine gewichtige Rolle. Von Bedeutung sei auch der Umstand, dass eine Erwerbstätigkeit belege, dass man sich in „unglaublicher Sicherheit vor den Ermittlungsbehörden“ gewogen hat. Zudem habe die Nebenklage aus menschenrechtliehen Vorgaben einen Aufklärungsanspruch hinsichtlich staatlicher Mitverantwortung für Tötungsdelikte, die unabhängig von der Straffrage sei.

Die Qualifizierung der weiteren Lebensumstände in Zwickau sind auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Gegenvorstellung für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung: a) Der Senat hat bereits umfangreich Beweis erhoben zu den Lebensumständen der Angeklagten Zschäpe und der verstorbenen Mundlos und Böhnhardt. ln diesem Zusammenhang wird hingewiesen auf die zahlreichen Vernehmungen von Nachbarn aus der Polenzstraße und aus der . b) Die Feststellung eines Beschäftigungsverhältnisses von Mundlos und/oder der Angeklagten Zschäpe sind in diesem Zusammenhang ebenfalls tatsächlich ohne Bedeutung für die Entscheidung. Aus den Beweiserhebungen zur Asservatensicherstellung ist belegt, dass die verstorbenen Mundlos und Böhnhardt sowie die Angeklagte Zschäpe über umfangreiche Finanzmittel verfügten. Ob dazu noch Einnahmen aus einem Beschäftigungsverhältnis auf dem Bau bzw. in einem Ladengeschäft kommen, führt zu keiner anderen Bewertung von Aktionsmöglichkeiten und Gefährlichkeit der angeklagten terroristischen Vereinigung. c) Dass sich die untergetauchten Personen subjektiv vor Entdeckung sicher fühlten, steht mit der Schuld- und Straffrage in keinem Zusammenhang. d) Ein von der Straffrage unabhängiger Anspruch auf Aufklärung staatlicher Mitverantwortung bei Tötungsdelikten für Nebenkläger existiert nicht. ln diesem Zusammenhang wird Bezug genommen auf den Senatsbeschluss, der auf die Gegenvorstellung zur abgelehnten Beiziehung von acht Ordnern Akten des Innenministeriums Brandenburg ergangen ist. Götzl unterbricht die Sitzung bis 11:25 Uhr.

Um 11:30 Uhr wird der Prozess fortgesetzt. Götzl verliest folgenden Beschluss:
Den Anträgen, die Strafakte aus dem Verfahren der Staatsanwaltschaft Zwickau, das gegen den Zeugen Marschner und die gesondert Verfolgte wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung vom 21.04.2001 in Zwickau geführt worden ist, beizuziehen und Akteneinsicht zu gewähren, wird nicht nachgekommen.

Gründe:

(I) Bei den Anträgen auf „Beiziehung“ der genannten Strafakte handelt es sich nicht um Beweisanträge, da keine bestimmten Beweistatsachen bezeichnet werden. Es handelt sich demnach um Beweisermittlungsanträge, die durch Beiziehung der Unterlagen und Gewährung von Akteneinsicht erfüllt werden sollen. Ob einem derartigen Beweisermittlungsantrag ganz, teilweise oder überhaupt nicht nachgegangen wird, ist im Rahmen der gerichtlichen Aufklärungspflicht zu entscheiden. Diese Pflicht reicht so weit wie die aus dem gesamten Prozessstoff bekannt gewordenen Tatsachen zum Gebrauch von Beweismitteln drängen oder ihn nahe legen. Dabei muss nur den erkennbaren und sinnvollen Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts nachgegangen werden. Die Aufklärungspflicht, deren Rahmen durch die prozessuale Tat abgesteckt wird, erstreckt sich auf alle rechtlich erheblichen Tatsachen. Das bedeutet nicht, dass versucht werden muss, jedes Detail der Vorgeschichte oder des Randgeschehens oder etwa Teile der Lebensgeschichte von Zeugen wegen deren Glaubwürdigkeit zu ermitteln.

Der Tatrichter ist nicht zu ausufernder Aufklärung verpflichtet. Kern und Ausgangspunkt des Aufklärungsgebotes ist es, die Wahrheit in Bezug auf die zu beurteilende Tat zu erforschen und deren tatbestandsverwirklichenden Unrechtsgehalt festzustellen. Es kommt darauf an, ob bei verständiger Würdigung der Sachlage durch den abwägenden Richter die Verwendung einer Aufklärungsmöglichkeit den Schuldvorwurf – und dieser ist entscheidend – möglicherweise widerlegt, in Frage gestellt oder als begründet erwiesen hätte. Im Rahmen des ihm von Recht und Gesetz eingeräumten Ermessens darf der Richter auch bedenken, wie bei gewissenhafter Verwirklichung des Aufklärungsgebotes die Wichtigkeit der Zeugenaussage oder einer sonstigen Beweiserhebung für die Wahrheitsfindung einerseits gegen das Interesse an einer reibungslosen und beschleunigten Durchführung des Verfahrens andererseits zu beurteilen ist. Bei dieser Interessenabwägung verliert die Aufklärungsmöglichkeit in dem Maße an Gewicht, in dem eine konkrete Verknüpfung mit dem Schuldvorwurf, die genaue Bezeichnung der Tatsachen, die der Zeuge bekunden soll und der Umstände, auf denen sein Wissen beruht, fehlen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der gegenständliche Umfang der gerichtlichen Aufklärungspflicht mit der in der Anklage bezeichneten Tat deckt. Zu dieser sind alle Tatsachen festzustellen, die für die Anwendung des materiellen Strafrechts maßgeblich sind.

(II) Die Aufklärungspflicht erfordert es bei Anwendung dieser Grundsätze nicht, die Strafakte beizuziehen und den Verfahrensbeteiligten hierin Einsicht zu gewähren: 1. Die Antragsteller führen zur Begründung ihrer Anträge im Wesentlichen aus, die Beiziehung der genannten Akten sei notwendig, um weitere „potentielle Zeugen namhaft machen zu können“. Zudem würde die Kenntnis der Akte es den Antragstellern ermöglichen, die eingelegte Gegenvorstellung zum abgelehnten Antrag auf Ladung von Ralf Marschner „weitergehend“ zu begründen. 2. Die Aufklärungspflicht erfordert es weder aus den vorgetragenen noch aus sonstigen Gründen die beantragten Akten beizuziehen:

a. Die Antragsteller führen aus, aus der Akte würde sich ergeben, welch engen Kontakt der Zeuge Marschner mit Susann Eminger und dem Angeklagten Eminger hatte, und dass der Zeuge Marschner und Susann Eminger zusammen mit Personen, deren ldentitäten sich ebenfalls aus der Akte ergeben würden, am 21.04.2001 gezielt eine Schlägerei in einer Zwickauer Kneipe angezettelt hätten. All diese Umstände haben jedoch keinerlei erkennbaren Zusammenhang mit den in diesem Verfahren angeklagten Taten und damit keine Auswirkungen auf eine mögliche Schuld und/oder Straffrage. Eine Beteiligung der angeklagten Personen an der Schlägerei wird von den Antragstellern nicht behauptet. b) Dass die weiteren, sich aus der Akte ergebenden, Beteiligten an der Schlägerei potentielle Zeugen für die politische Einstellung und Aktivitäten des Angeklagten Eminger seien, ist eine bloße Vermutung der Antragsteller. Sie stützen diese auf ein bestehendes Kennverhältnis oder auf die gemeinsame Beteiligung an einer Schlägerei mit der nunmehrigen Ehefrau des Angeklagten Eminger. Beide Umständen führen aber nicht zu der Annahme, diese Personen könnten überhaupt und auch dann noch über das bisherige Beweisergebnis hinaus, weitere Aufklärung zu einem für eine mögliche Schuld- und/oder Straffrage relevanten Umstand erbringen.

c) Der Vortrag der Antragsteller, das enge Verhältnis des Zeugen Marschner zu den Eheleuten Eminger belege, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz „deutlich mehr Informationen über den Angeklagten haben“ müsse, als es bisher mitgeteilt habe, ist eine reine Spekulation, für die es keine Anhaltspunkte gibt. Gleiches gilt für den Vortrag, aus der Akte würden sich potentielle Zeugen ergeben, die für die weitere Begründung der bereits eingelegten Gegenvorstellung von Bedeutung sind.

Götzl bittet dann um Stellungnahmen zum Ablehnungsgesuch des Sachverständigen Prof. Dr. Leygraf. Carsten Schultzes Verteidiger RA Hösl stellt in Frage, dass der Antrag überhaupt zulässig sei. Der abgelehnte SV sei beauftragt worden, ausschließlich über den Angeklagten Schultze, und keinen anderen Angeklagten, Befunde zu erheben und hieraus sachverständige Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob Schultze zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Tat in seinem Entwicklungsstand einem Jugendlichen gleichstand oder ob es sich bei der ihm angelasteten Tat um eine Jugendverfehlung handelte. Die vom SV zu dieser Frage getroffenen Feststellungen würden ausschließlich Schultze betreffen. Bereits deshalb vertrete die Verteidigung Schultze die Auffassung, dass Wohlleben gar nicht zur Ablehnung befugt ist, da er unter gar keinen Umständen von den Feststellungen betroffen sei. Es ergebe sich bzgl. der vom SV zu beantwortenden Frage auch keine mittelbare Betroffenheit Wohllebens. Die Erwägungen zu den Wirkungen der Äußerungen des abgelehnten SV auf eine mögliche Bestrafung Wohllebens im Unterschied bzw. „in Abstimmung“ mit der möglichen Bestrafung Schultzes nach den Vorschriften des Jungendgerichtsgesetzes in der Stellungnahme Wohllebens vom 27.06.2016 seien abwegig.

Die unterschiedliche Behandlung von nach Jugendrecht zu verurteilenden und erwachsenen Angeklagten sei vom Gesetzgeber vorgesehen. Schon im Erwachsenenrecht würden Strafzumessungserwägungen, wie sie in der Stellungnahme ausgeführt würden, auch zwischen Mitangeklagten derselben Tat keinerlei Grundlage finden. Es sei auch denkbar, dass von zwei Angeklagten derselben Tat, der eine schuldig verurteilt und der andere frei gesprochen wird. Der Antrag sei aber auch, wenn man von einer Antragsbefugnis Wohllebens ausgehe, jedenfalls unbegründet. Bei einem Ablehnungsgesuch komme es auf die Sicht des Angeklagten an, wobei die Maßstäbe eines objektiv vernünftigen Angeklagten zugrundezulegen seien und nicht dessen rein subjektive Vorstellungen und Empfindungen etc. Dabei müssten vernünftige Gründe vorgebracht werden, die jedem unbeteiligten Dritten einleuchten.

Schließlich bedürfe es auch einer Gesamtbetrachtung der Umstände. Da der hier abgelehnte SV zu Feststellungen ausschließlich bzgl. Carsten Schultzes zu treffen habe, komme es maßgeblich darauf an, ob aus seiner Sicht ein Sachverhalt gegeben ist, der die Besorgnis der Befangenheit in diesem Sinne begründet. Dies gelte für den Antrag Wohllebens umso mehr, als Wohlleben bzw. dessen Verteidigung einen Sachverhalt zur Grundlage ihres Antrags mache, der ausschließlich Schultze betreffe und die sich daraus mutmaßlich ergebende Besorgnis der Voreingenommenheit gegenüber dem Angeklagten Wohlleben „und damit auch der übrigen Angeklagten“ lediglich in völlig allgemeiner Art und Weise gleichsam appendixartig hinzugesetzt sei, ohne jedoch die individuelle Besorgnis des Angeklagten Wohlleben oder anderer Angeklagter darzulegen. Bei der Beurteilung des Verdachts der Voreingenommenheit des SV bedürfe es aus Sicht Schultzes und seiner Verteidigung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der Berücksichtigung folgender Gesichtspunkte: Erstens gebe zunächst der Ablehnungsantrag Wohllebens zutreffend wieder, dass der abgelehnte SV bzgl. seiner Vorstellung über „rechte Szene“ und mutmaßlich „ausgeprägte ausländerfeindliche Parolen“ in dieser Szene, in der sich Schultze seinerzeit bewegt hatte, im Rahmen der Exploration des Angeklagten Schultze Wertungen vorgenommen habe, wie zum Beispiel „er hat sich um die Verantwortung gedrückt“ bzw. die Angaben Schultzes seien bzgl. dieses Themenkreises „ausweichend“ gewesen.

Zutreffend werde im Antrag ausgeführt, dass diese Wertungen, wie sich durch die Befragung des SV durch die Verteidigung Wohlleben am 288. Verhandlungstag auch gezeigt habe, einer Vorstellung über „rechte Szene“ und mutmaßlich „ausgeprägte ausländerfeindliche Parolen“ entspringe, die tatsächlich ohne tragfähige Sachkenntnis des SV über die „so genannte rechten Szene“ bzw. der mutmaßlich dort herrschenden „ausgeprägten ausländerfeindlichen Parolen“ in dem hier maßgeblichen Zeitraum getroffen worden seien. Zweitens wäre dies, so Hösl weiter, unter Umständen geeignet, eine Unvoreingenommenheit des SV aus Sicht des Angeklagten Schultze zu begründen, tue dies aber nicht und zwar aufgrund der folgenden Erwägungen: Wenn im Ablehnungsantrag behauptet werde, die vom SV dem Angeklagten Schultze gemachten Vorhaltungen insbesondere der mutmaßlichen „ausgeprägten ausländerfeindlichen Parolen“ in der rechten Szene seien von Schultze „übernommen“ worden, so sei dies unzutreffend. Dabei sei in allgemeiner Hinsicht davon auszugehen, dass eine vollständige Kongruenz zwischen Vorstellung über einen Sachverhalt der an einer Kommunikation beteiligten Personen durch Kommunikation in Form der Verwendung von Begrifflichkeiten in der Regel nie hergestellt werden kann.

Dies gelte umso mehr, wenn Sachverhalte besprochen würden, die lediglich einer der Gesprächspartner als tatsächlichen Sachverhalt wahrgenommen habe, Schultze, während der andere, der SV, hierüber lediglich eine Vorstellung habe, die zudem, wie der Ablehnungsantrag richtig darstelle, eine nur oberflächliche Vorstellung sei, die sich aus sekundären und tertiären Quellen speise, die zudem wiederum nicht im engeren Sinn Fachquellen seien. Dies gelte besonders bei den hier verwendeten Begrifflichkeiten „ausgeprägte“, „ausländerfeindliche“ und „Parolen“. Hierbei handele es sich um Oberbegriffe, die in ihrer Allgemeinheit so unbestimmt seien, dass von einer „Übernahme“ des Angeklagten Schultze schon allein deswegen nicht ausgegangen werden könne, da Schultze mit diesen Oberbegriffen mglw. etwas völlig anderes verbinde als der SV. Eine solche Übernahme dieser Begrifflichkeiten könne auch nicht aus der Antwort Schultzes auf den diesbezüglichen Vorhalt des SV unterstellt werden: „Ja, die habe ich mir schön geredet. Ich habe damals leider nicht dahinter gedacht, irgendwie. Ja, das gehörte irgendwie dazu.“ Den Antworten Schultzes sei insoweit allenfalls die Übernahme der selbstverständlich ausfüllungsbedürftigen Oberbegriffe zu entnehmen. Eine inhaltliche Aussage, was hierunter zu verstehen ist, habe Schultze gar nicht übernehmen können und auch nicht übernommen.

Dass eine solche „Übernahme“ nicht erfolgt ist, ergebe sich auch aus den weiteren Äußerungen Schultzes, indem er sodann eine eigene Darstellung seiner Wahrnehmung der Inhalte der „rechten Szene“ wiedergegeben habe, die nicht Sachverhalte wiedergebe, die den Oberbegriffen „ausgeprägte ausländerfeindliche Parolen“ zuzuordnen sind. Dies werde auch im Antrag Wohllebens so wiedergegeben. Insofern sei der Ablehnungsantrag bereits widersprüchlich. Bzgl. der Wertungen, die der abgelehnte SV aufgrund der Antworten Schultzes auf diese Vorhaltungen abgegeben habe, ergebe sich aus Sicht des Angeklagten Schultze kein Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit des SV. Dabei sei zunächst zu berücksichtigen, dass der SV diese Wertungen im Rahmen der Exploration bzw. seiner zeugenschaftlichen Vernehmung über die Exploration abgegeben habe und dies nicht seine sachverständigen Feststellungen über die Beweisfrage betrifft.

Des Weiteren hätten sich entsprechende Wertungen des SV auf die sachverständigen Feststellungen bzgl. der Frage, ob der Angeklagte zum Tatzeitpunkt in seinem Entwicklungsstand einem Jugendlichen gleichstand bzw. die Tat eine Jugendverfehlung ist, ersichtlich nicht als voreingenommen ausgewirkt. Die diesbezüglichen Feststellungen des SV seien nämlich nach den hierfür anerkannten wissenschaftlichen Kriterien zutreffend. Dies gelte umso mehr, als der SV gerade auf die Befragung der Verteidigung Wohlleben hin im Detail ausführend in vollständiger Übereinstimmung des diesbezüglichen wissenschaftlichen Kenntnisstandes auch bezogen auf den Angeklagten Schultze zutreffend, anschaulich und nachvollziehbar die Bedeutung des homosexuellen Coming-out-Prozesses in der psychischen bzw. persönlichen Entwicklung eines Homosexuellen dargelegt hat. Zwar habe der SV diese Problematik in dieser Ausführlichkeit und Deutlichkeit erstmals in seiner erneuten Vernehmung bzw. Anhörung am 288. Verhandlungstag dargelegt, jedoch gebe dies dem Angeklagten Schultze noch weniger Anlass, an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten SV zu zweifeln.

Zu ergänzen sei, dass der SV keinerlei Äußerungen abgegeben habe, denen zu entnehmen sei, dass die von ihm gemachten Wertungen der Äußerungen Schultzes, die seiner tatsächlich nur rudimentären Vorstellung über „rechte Szene“ entsprungen seien, Bestandteil seiner sachverständigen Feststellungen wären. Er habe auch in sonstiger Hinsicht nicht zu erkennen gegeben, dass er insoweit als SV erwarte, diese Wertungen seien im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Der SV sei auch kein Zeuge bzgl. der den Wertungen zugrunde liegenden Sachverhalte. Er habe in keiner Weise zu erkennen gegeben, dass er diesbezüglich über Sachkunde verfüge, die Beweiswert hätte. Bereits bzgl. des Angeklagten Schultze entfalteten die oben dargestellten Wertungen des SV keinerlei irgendwie geartete Bindungswirkung im Rahmen der Beweiswürdigung. Dies gelte erst recht für den Angeklagten Wohlleben und die anderen Angeklagten, da sie insoweit noch weniger von den Wertungen des SV betroffen seien als Schultze. Eine von der Perspektive des Angeklagten Schultze abweichende Fernwirkung auf andere Angeklagte in der Weise, dass aus vernünftiger Sicht des Angeklagten Wohlleben und der anderen Angeklagten Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des SV begründet sein könnte, sei nicht denkbar.

Nebenklagevertreter RA Reinecke stellt den Antrag, das Asservat EDV22 beizuziehen und die Bilder unter „Urlaub 2006“ in Augenschein zu nehmen. Es werde sich zeigen, dass auf Bild 27 der Angeklagte Holger Gerlach zu erkennen ist. Weiter wird beantragt, Frau KHK Glanz zu vernehmen, sie wird bestätigen, dass es sich auf Bild 27 um den Angeklagten Holger Gerlach handelt. RA Reinecke begründet den Antrag damit, dass Beate Zschäpe erklärt habe, zwischen 2005 und 2009 hätten nur Treffen zwischen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Holger Gerlach stattgefunden und es habe keine gemeinsamen Urlaube mehr gegeben. Entgegen dieser Aussage werde die Beweiserhebung ergeben, dass die Angeklagte auch 2006 noch im Urlaub mit Holger Gerlach zusammengetroffen sei. Nebenklage-Vertreter Narin, Basay und Kolloge schließen sich dem Antrag an. Götzl kündigt die Planung für die nächsten Sitzungen an, unter anderem soll auch der Nebenklage die Möglichkeit gegeben werden, Fragen an Beate Zschäpe zu formulieren. Dann schließt er die Sitzung um 11:55 Uhr.

Auf dem Blog „nsu-nebenklage“ heißt es:
Das Gericht wies dann weitere Beweisanträge bzw. Gegenvorstellungen der Nebenklage zurück und blieb damit seiner Linie, jede weitere Aufklärung über die enge Anklage hinaus zu verweigern, treu.
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/06/29/29-06-2016/

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