Kurz-Protokoll 310. Verhandlungstag – 20. September 2016

0

Am heutigen Verhandlungstag geht es erneut um den Angriff an der Straßenbahnhaltestelle in Jena-Winzerla, den Carsten Schultze schilderte. Der geladene Zeuge, der laut Schultze dabei gewesen sein soll, kann sich allerdings nicht daran erinnern. Danach stellen die Nebenklage-Vertreter_innen der Familie Yozgat einen Antrag. Dieser dreht sich um den ehemaligen Verfassungsschützer Andreas Temme, der sich während des Mordes an Halit Yozgat in dessen Internetcafé aufhielt. Der Antrag fordert ein Sachverständigengutachten, das belegen soll, dass Temme den Schuss auf Yozgat gehört haben müsse.

Zeuge:

  • Frank Wu. (Erkenntnisse zu einem von Carsten Schultze geschilderten Angriff an einer Straßenbahnhaltestelle in Jena-Winzerla)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:46 Uhr. Es folgt die Einvernahme des Zeugen Frank Wu. Götzl: „Es geht uns um Erkenntnisse zu einer Schlägerei an einer Straßenbahnendhaltestelle Ende der 90er Jahre in Winzerla, zweite Hälfte der 90er.“ Götzl sagt, Wu. solle zunächst von sich aus berichten. Wu.: „Um eine Schlägerei an der Haltestelle Jena-Winzerla? Ich würde mal behaupten, da gab es mit Sicherheit mehrere. Wenn Sie auf eine spezielle anspielen, wüsste ich nicht, wie ich die auseinanderhalten sollte.“ Götzl sagt, Wu. solle berichten, was er in Erinnerung habe. Wu.: „Aus der Zeit habe ich in Erinnerung, dass an der Endhaltestelle, dass die sehr nahe an diesem Winzerclub war. Ich habe in Winzerla gewohnt, war weiß nicht wie viele hundert Mal an der Haltestelle. Zu der Zeit war bei mir sicherlich eine Menge Alkohol im Spiel. Ich gehe davon aus, dass da mehrere Vorfälle waren. Aber im Einzelnen, mit wem und gegen wen vor allem, da wüsste ich jetzt nichts Spezielles. In Karlsruhe wurde ich verhört, da wurde nach einer Schlägerei gefragt, wenn Sie sich darauf beziehen, gehe ich von aus, was soll ich da sagen? [phon.] Ich kann zu hundert Prozent nichts sagen.“
Wu. sagt, er könne nur vermuten, dass sie sicherlich aus dem Winzerclub gekommen seien, aber wer da dabei gewesen sei, das könne er nur raten nach 17 Jahren. Wu.: „Ich nehme an, dass ich dabei war, ansonsten: ich weiß nicht.“ Götzl: “ Fällt Ihnen irgendeine Person ein, die überhaupt mal dabei war?“ Wu.: „Ich kann mich daraufhin beziehen, was ich in Karlsruhe gefragt wurde. Da ging es um den Herrn Carsten Schultze, hieß der.“ Wu. sagt, ihm sei berichtet worden, dass Schultze angegeben habe, er sei jemandem auf den Rücken gesprungen und er, Wu. habe gesagt, das macht man nicht. Er könne sich aber nicht erinnern, so Wu. Götzl fragt, ob sich Wu. an eine Schlägerei mit Carsten Schultze erinnern könne. Wu. antwortet, das sei ihm so gesagt worden, aber er könne sich nicht erinnern.
Götzl: „Mit wem waren Sie damals dann unterwegs?“ Wu.: „Das war unterschiedlich. Der Herr Schultze war mit Sicherheit mal dabei. Der hat ja, soweit ich weiß, auch in Winzerla gewohnt.“ Götzl: „Von den Angeklagten des vorliegenden Verfahrens, wen kennen Sie?“ Wu.: „Von hier, wer angeklagt ist?“ [phon.] Götzl: „Kennen Sie Beate Zschäpe?“ Wu.: „Ja. Herrn Wohlleben auch, aber nicht wirklich eng. Man hat sich halt gesehen.“ Götzl fragt nach Holger Gerlach. Wu.: „Kenne ich auch. Vom Sehen.“ Götzl: „Herrn Eminger?“ Wu.: „Nee. Ist der hier?“ Götzl: „Sagt Ihnen der Name etwas?“ Wu.: „Nee, der Name selbst sagt mir gar nichts.“ Götzl: „Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos?“ Wu.: „Ja, also auch dasselbe, vom Sehen, im Winzerclub häufig, also sonst in der Freizeit so eher weniger. Also, was heißt Freizeit? Außerhalb des Winzerclubs haben wir uns so gut wie nie [phon.] gesehen.“
Götzl fragt, woher Wu. Wohlleben gekannt habe. Wu.: „Winzerclub. Das war eine Art Treffpunkt dieser Szene.“ Ansonsten sei das gespalten gewesen, großartig miteinander zu tun habe man nicht gehabt: „Die einen, die mit Glatze rumgelaufen sind, die anderen mit Haaren, die gepflegter unterwegs waren, also Skins und Scheitels. Ich hatte das Gefühl, es war getrennt. Das fand ich nichts Schlimmes. Wir als Glatzen haben halt mehr getrunken sicherlich, uns ein bisschen mehr geprügelt [phon.], und ich denke mal, die andere Seite war da eher ein bisschen zurückhaltender.“ Götzl: „Die Personen, von denen wir gesprochen haben, wen ordnen Sie da wo zu?“ Wu.: „Wenn Sie von Wohlleben und Gerlach sprechen, sicherlich eher die Scheitelfraktion. Ich hatte mit denen eher weniger zu tun. Man kannte sich halt, hat sicherlich das ein oder andere Wort gewechselt, aber persönlichen Kontakt gab es da eher nicht.“
Vorhalt: Beate Zschäpe habe ich sicherlich damals auch gesehen, die hing immer mit Böhnhardt und Mundlos rum. Wu.: „Ja.“ Götzl: „Was ist damit gemeint?“ Wu.: „Na, dass wenn man sich im Winzerclub gesehen hat, dass die meisten zu dritt aufgetreten sind und meist auch dann verschwunden sind. Tische, sie an dem einen und wir saßen halt an dem anderen. [phon.] Man hat gesehen, dass sie befreundet waren und eben dann sicherlich auch ihre Freizeit miteinander verbracht haben. Wie auch immer.“ Götzl fragt, ob Wu. näheren Kontakt gehabt habe. Wu.: „Was verstehen Sie darunter?“ Götzl fragt, ob Wu. mal mit denen gesprochen habe. Wu.: „Sicherlich mal das eine oder andere Wort, aber nichts, was ich als engere Beziehung benennen [phon.] würde.“
Götzl: „Hatten Sie Informationen, was Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe machen in ihrer Freizeit?“ Wu.: „Ich bin davon ausgegangen, dass sie von der politischen Einstellung genauso die Seite sind wie wir. Vielleicht ein bisschen extremer. Also nicht was Gewalttätigkeit angeht, sondern ein bisschen extremere Ansichten.“
Vorhalt: Aus meiner Erinnerung war Böhnhardt der Radikalste von allen. Wu.: „Wenn würde ich sagen, der Gewalttätigste.“ Götzl: Was meinen Sie?“ Wu.: „Hat immer was zum Schlagen dabei gehabt oder eine Luftpistole. Damit hat er auch mal auf mich geschossen im Winzerclub, als Spaß oder um mich zu provozieren. Man hatte immer den Eindruck, wenn es Stress gibt, ist er ganz vorne mit dabei.“ Götzl fragt, was mit „was zum Schlagen“ gemeint sei. Wu.: „Teleskopschlagstock oder Ähnliches.“ Götzl: „Ähnliches?“ Wu.: „Ja, Schlagring, Keule, Kette, abgebrochene Bierflasche oder was auch immer. Man kann sich mit so vielem wehren.“ Um 10:57 Uhr wird der Zeuge entlassen.

Dann verliest NKRA Bliwier den Antrag. Er beantragt die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage „Wahrnehmbarkeit von zwei Schüssen aus einer Ceska 83 mit Schalldämpfer im Internetcafé des getöteten Halit Yozgat am 06.04.2006“:
Der Sachverständige wird zu dem Ergebnis gelangen, dass die in dem Internetcafé abgegebenen Schüsse vom Zeugen Temme aufgrund ihrer Lautstärke und ihrer Charakteristik gehört worden sein müssen und zudem die Abgabe der Schüsse eine so starke Druckwelle ausgelöst hat, dass diese auch an dem Sitzplatz des Zeugen deutlich wahrnehmbar gewesen sein muss. Der Sachverständige wird bekunden, dass die Bekundungen des Zeugen Sh., der Geräusche ähnlich wie das Zerplatzen eines Luftballons geschildert hat, plausibel sind und die Lärmintensität einer Schussabgabe mittels eine schallgedämpften Waffe realistisch beschreiben. Der Sachverständige wird bekunden, dass auch unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse ein Mensch mit durchschnittlichem, altersentsprechenden Hörvermögen sowohl die Schüsse als auch die Druckwelle gehört bzw. gespürt haben muss. Der Sachverständige wird darüber hinaus bekunden, dass das Schussgeräusch der Waffe, welches für sich genommen bereist eine Lautstärke von 137,5 dB(C) aufweist, noch durch dasjenige Geräusch deutlich wahrnehmbar verstärkt wird, welches das Auftreffen des Projektils auf den Körper verursacht.

Götzl: „Dann geht es mir noch um Fragen ans Sie, Frau Zschäpe. Thema Erkrankungen: Bezieht sich das auch auf den psychischen Bereich? Dann die nächste Frage: Gab es längere Zeiten, in denen Sie keinen Alkohol getrunken haben? Ggf. kam es zu Entzugserscheinungen oder sonstigen Beschwerden? Wie war der Alkoholkonsum im Urlaub? Wie war die Situation nach der Verhaftung? Wurden Sie medikamentös behandelt? Es ist die Frage wieder: Soll sogleich ggf. drauf geantwortet werden?“ Zschäpe-Verteidiger RA Grasel: „Wir werden das außerhalb der Hauptverhandlung besprechen und dann ggf. beantworten.“ Götzl: „Dann zum Thema Medikamente: Haben Sie jemals Schlaf-, Schmerz- Betäubungsmittel genommen, wenn ja welche, wie oft, in welcher Dosierung? Und die Frage, woher diese bezogen worden sind. Dann zum Zusammenleben mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos: Was waren Gemeinsamkeiten, was waren ggf. übereinstimmende Themen? Gab es Konfliktfelder, ggf. welche? Welche Gesprächsthemen gab es? Kam es in diesem Bereich im Laufe der Zeit zu Veränderungen?
Dann die Frage: Haben Sie gerne gelesen? Ggf. welcher Art war Ihre Lektüre? Welche TV-Serien und Filme haben Sie angesehen? Haben Sich Ihre Interessen im Laufe der Jahre verändert? Gab es in Ihrem Leben wichtige Bezugs- und Kontaktpersonen? Wer waren diese ggf.? Bitte beschreiben Sie ggf. das Verhältnis zu diesen Personen näher.
Dann anknüpfend noch an die Einlassung vom 09.12.2015: Haben Sie mit jemandem über das geschilderte ‚emotionale Dilemma‘ gesprochen? Dann: Sind Ihnen Kriterien für die Auswahl der Opfer der Tötungsdelikte von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bekannt und ggf. welche? Gab es neben den in der Hauptverhandlung angesprochenen Wohnungen weitere Wohnungen, die Sie, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt genutzt haben? Haben Sie vor dem 11.01.2007 André Eminger und/oder Susann Eminger erzählt, wovon Sie bzw. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ihren Lebensunterhalt bestritten haben? Dann anknüpfend an Einlassung vom 09.12.15: Führten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Exemplare der von Uwe Mundlos erstellten und versandfertig vorbereiteten DVDs bei den Fahrten zu den von den beiden Ihnen ggü. geschilderten Taten mit sich? Kennen Sie ggf. die Gründe hierfür? Dann des weiteren anknüpfend an Ihre Einlassung vom 21.01.16: Was ist konkret Anfang Dezember 1998 in dem geschilderten Gespräch über ihre aktive Beteiligung an einem Raubüberfall gesprochen worden?
Dann anknüpfend an die Einlassung vom 09.12.15: Von wem und bei welcher Gelegenheit erfuhren Sie, dass Uwe Mundlos die Morde fotografiert hatte? Dann: Was meinen Sie mit der Formulierung in der Einlassung vom 09.12.15, dass Sie nun auch ‚in einem Mord verwickelt‘ wären? Dann: Kennen Sie das Motiv bzw., die Motive von Uwe Mundlos, weswegen er mit Ihnen und Uwe Böhnhardt am 26.01.1998 untergetaucht ist? Dann zur Einlassung vom 16.03.16: War Uwe Mundlos bei Handgreiflichkeiten Uwe Böhnhardts Ihnen ggü. zugegen? Wie hat er sich dabei verhalten? Also Uwe Mundlos. Gab es Überlegungen bzw. Gespräche von Ihnen mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, wie Sie, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sich im Falle einer Entdeckung in der Wohnung in der Frühlingsstraße durch die Polizei verhalten wollten? Frage: Sollen dazu Angaben gemacht werden?“ [RA Grasel sagt etwas, was nicht zu verstehen ist. Vermutlich gibt er eine positive Antwort.] Der Verhandlungstag endet um 11:55 Uhr.

Der Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.

Die vollständige Version des Protokolls findet sich hier.