Kurz-Protokoll 314. Verhandlungstag – 06. Oktober 2016

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An diesem Prozesstag sind keine Zeug_innen geladen. Es geht daher um Anträge. NK-Vertreter Yavuz Narin beantragt, einen Objektschützer der Berliner Polizei als Zeugen zu hören. Dieser hatte angegeben, er habe im Mai 2000 u.a. Zschäpe und Mundlos dabei gesehen zu haben, wie sie die Synagoge in der Berliner Rykestraße ausspähten. Das Gericht lehnt danach u.a. Anträge der Verteidigung Wohlleben ab. Diese reagiert mit einer Gegendarstellung.

Heute ist Fototermin. Nachdem die Fotograf_innen und Kameraleute den Saal verlassen haben, beginnt um 09:49 Uhr der Verhandlungstag. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl: „Herr Rechtsanwalt Heer und Herr Rechtsanwalt Stahl, Sie hatten Widerspruch erhoben, es ging drum, das zu erläutern.“ RA Lickleder, Vertreter von Zschäpes Verteidigerin RAin Sturm, verliest die Begründung des am 313. Verhandlungstag erhobenen Widerspruchs, die Anträge und Stellungnahmen Zschäpes betreffend die Rücknahme der Bestellung ihrer Verteidiger sowie die Bestellung eines weiteren Verteidigers durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen. Der Vorsitzende habe am letzten Verhandlungstag die Absicht des Senats mitgeteilt, die Schreiben Zschäpes an den Vorsitzenden, womit der Schriftverkehr der Mandantin betreffend der „Entpflichtungsvorgänge“ gemeint sei, zu verlesen.
OStAin Greger: „Zu der Frage, ob und wie weit schriftliche Anträge und Eingaben der Angeklagten Zschäpe an den Vorsitzenden dem Urkundsbeweis unterliegen, gebe ich folgende Stellungnahme ab: Sämtliche Schriftstücke, die Frau Zschäpe an den Senat oder den Vorsitzenden gerichtet hat, stellen Urkunden dar, die uneingeschränkt in das Verfahren eingeführt werden können, soweit sie wegen ihres Inhalts als Beweismittel in Betracht kommen.“

NK-Vertreter RA Narin: „Ich würde gerne einen Beweisantrag stellen.“ Narin verliest den Antrag, Frank Gr. von der Polizei Berlin, Zentraler Objektschutz, als Zeugen zu vernehmen: Dieser wird bekunden, dass er am 7.5.2000 als Polizeiangestellter im Objektschutz für den Postendienst an der Synagoge Rykestraße in Berlin eingeteilt war und hierbei im so genannten Sicherheitsbereich, wenige Meter neben dem Haupteingang der Synagoge, die Angeklagte Zschäpe, den Uwe Mundlos und zwei weitere Personen dabei beobachtete, wie diese sich mit Kartenmaterial beschäftigten; dass er am selben Tag gegen 16 Uhr am Rande einer Wachablösung die Angeklagte Beate Zschäpe und den Uwe Mundlos erneut dabei beobachtete, wie diese sich zu Fuß in Richtung der Synagoge bewegten. Ziel des Beweisantrags ist es, den Nachweis zu führen, dass die Angeklagte Zschäpe bereits zum damaligen Zeitpunkt an der Ausspähung und Bestimmung von potentiellen Anschlagszielen des NSU mitwirkte. Die Angeklagte identifizierte sich mithin noch vor der Begehung des ersten Mordes an Enver Şimşek mit den völkischen, antisemitischen und rassistischen Überzeugungen der Gruppierung und war gewillt, ihre Überzeugung, die sie in ihrer Einlassung vom 29.09.2016 als „nationalistisches Gedankengut“ verniedlichte, durch terroristische Gewalttaten umzusetzen.
Am selben Abend sah der Zeuge den in der Sendung „Kripo Live“ ausgestrahlten Fahndungsaufruf des TLKA zu den Untergetauchten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Der Zeuge erkannte sofort Zschäpe als die Person wieder, die er zuvor an der Synagoge beobachtet hatte. Auch den Mundlos erkannte der Zeuge wieder, gab allerdings an, dass dieser anders als auf dem Fahndungsbild einen Kinnbart und etwas längere Haare getragen habe. Der Zeuge wandte sich umgehend telefonisch an das TLKA und wurde am folgenden Tag, d. h. am 8.5.2000 durch KK Se. vom LKA Berlin vernommen. Im Rahmen der Vernehmung schilderte der Zeuge seine Wahrnehmungen sehr präzise und beschrieb die beobachteten Personen äußerst detailliert. Auch erkannte er Zschäpe und Mundlos im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage wieder. Gerade auch die Schilderung des Zeugen, die Person, die er als Uwe Mundlos identifiziert hatte habe einen Kinnbart getragen deckt sich mit den Erkenntnissen aus dem hiesigen Verfahren. Dies ergibt sich sowohl aus zahlreichen Aussagen von Beschuldigten und Zeugen, als auch aus den in der Hauptverhandlung bereits in Augenschein genommenen Lichtbildern des Uwe Mundlos.

Götzl verkündet dann einen Beschluss. Es geht um die Anträge der Verteidigung Wohlleben zu einer TKÜ im Rahmen des „Landser“-Verfahrens gegen Jan Werner und Ralf Marschner etc. Götzl nennt zunächst noch einmal vollständig die Anträge und Beweistatsachen und sagt, dass den Anträgen nicht nachgekommen wird. Zur konkreten Begründung führt Götzl zunächst zu den Anträgen zu den TKÜ-Akten aus dem „Landser“-Verfahren aus, dass es sich trotz ihrer Formulierung als Beweisanträge um Beweisermittlungsanträge handele. Mit der beantragen Beiziehung der Aktenbestandteile aus dem so genannten „Landser“-Verfahren seien nach der mündlichen Klarstellung der Antragsteller in der Hauptverhandlung ausschließlich die TKÜ-Protokolle aus diesem Verfahren bzgl. Werner und Marschner gemeint. Die beantragte Beiziehung dieser Protokolle und die Gewährung von Akteneinsicht in diese Protokolle, was allein beantragt worden sei, würde der Interessenlage der Antragsteller jedoch nicht entsprechen, so Götzl. Mit einer bloßen Beiziehung und Akteneinsicht werde keiner der von den Antragstellern unter Beweis gestellten Umstände ins Verfahren eingeführt.

Dann geht es um die Anträge zur Ladung der Zeugen An., hilfsweise von dessen Vernehmungsbeamten, sowie des Zeugen Marschner. Götzl macht allgemeine Ausführungen zur Ladung von Zeugen im Ausland, zur Aufklärungspflicht. U.a. sagt er, dass allgemein im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht gelte, dass bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden könne, insbesondere wenn er nur zu Beweisthemen benannt sei, die lediglich indiziell relevant seien oder die Sachaufklärung sonst nur am Rande betreffen würden. Dann sagt er konkret zu den Anträgen der Verteidigung Wohlleben, dass die Aufklärungspflicht nicht dazu dränge, die in der Schweiz zu ladenden Zeugen zu den im Antrag der Verteidigung unter Beweis gestellten Tatsachen zu vernehmen. Die Beweistatsachen seien ausnahmslos für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung. Sie seien identisch mit den in den Anträgen zu den TKÜ-Protokollen unter Beweis gestellten Tatsachen. Daher nehme der Senat auf die Begründung der Ablehnung der Anträge zu den TKÜ-Protokollen. Mangels tatsächlicher Bedeutung der Beweistatsachen könne, so Götzl, ein Einfluss der Aussage der Zeugen auf die Überzeugungsbildung des Senats auch dann sicher ausgeschlossen werden, wenn die Zeugen die in ihr Wissen gestellten Behauptungen in der Hauptverhandlung bestätigen würden.

Dann geht es um den Antrag auf Ladung des Zeugen An. in Zusammenhang mit einem „Pfingstfußballturnier“. Zunächst nimmt Götzl hier wieder Bezug auf seine Ausführungen zur Ladung von Auslandszeugen. Dann sagt er, dass die Aufklärungspflicht nicht dazu dränge, den in der Schweiz zu ladenden Zeugen zu unter Beweis gestellten Tatsachen bzgl. eines „Pfingstfußballturniers“ zu vernehmen. Die Beweistatsachen seinen ausnahmslos für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung. Götzl verweist auf seine schon gemachten Ausführungen zur prognostischen Prüfung etc. Dann sagt er, dass die unter Beweis gestellten Tatsachen, ihre Erweislichkeit unterstellt, kurz zusammengefasst Folgendes belegen würden:
Zu den Anträgen, zum Beweis der Tatsache, dass der Zeuge An. bei einer Vernehmung durch die Polizei Basel-Landschaft aufgrund einer Lichtbildvorlage bestätigt habe, dass es sich bei dem dicken Mann um Ralf Marschner gehandelt habe, An. bzw. hilfsweise dessen Vernehmungsbeamten zu vernehmen, verweist Götzl zunächst wieder auf die Ausführungen zur Ladung von Auslandszeugen. Dann sagt er, die Aufklärungspflicht dränge nicht dazu, die in der Schweiz zu ladenden Zeugen An., hilfsweise dessen Vernehmungsbeamten, dazu zu vernehmen. Die Beweistatsache sei für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung.

Dann führt Götzl zum konkreten Ablehnungsgrund aus, dass die Aufklärungspflicht nicht dazu dränge, die V-Mann-Akten des BfV bzgl. Marschner beizuziehen, Akteneinsicht zu gewähren und sie durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen, weil keine Anhaltspunkte für den behaupteten Inhalt der V-Mann-Akte vorhanden seien und auch das Beweisziel lediglich spekulativ sei: Die Antragsteller führen in diesem Zusammenhang aus, die Akten des Bundesamtes würden ergeben, dass der Verfassungsschutz durch den V-Mann Primus über den Aufenthaltsort der drei untergetauchten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe informiert gewesen sei. Hieraus schließen die Antragsteller, dass deshalb eine Festnahme der Gesuchten bei Weitergabe dieser Informationen an die Ermittlungsbehörden möglich gewesen wäre. Rechtsfolge dieser gezielten Vereitelung der Festnahme durch die Nichtweitergabe der Information zum Aufenthaltsort an die Ermittlungsbehörden wäre im Falle einer Verurteilung des Angeklagten Wohlleben eine Strafmilderung.

Zu den Anträgen 1. zum Beweis der Tatsache, dass sich aus der TKÜ des „Landser“-Verfahrens bzgl. Jan Werner und Ralf Marschner, aus den Akten des Strukturverfahrens der BAW gegen Unbekannt sowie aus den Verfahrensakten der BAW gegen Marschner und Werner ergebe, dass sowohl Werner als auch Marschner in den Jahren 1998 bis 2000 Kontakte über die B&H-Szene in die Schweiz hatten, diese Akten beizuziehen, Akteneinsicht zu gewähren und sie zu verlesen; 2. zum Beweis der Tatsache, dass sich aus den Akten des Strukturverfahrens der BAW sowie aus den Verfahrensakten der BAW gegen Marschner und Werner eine Fülle von Zeugenaussagen ergäben, wonach der Verdacht bestehe, dass Uwe Mundlos in der Baufirma Marschners unter der Aliaspersonalie Max Florian Burkhardt gearbeitet haben soll, diese Akten beizuziehen, Akteneinsicht zu gewähren und die Akten zu verlesen, sagt Götzl wieder, es handele sich um Beweisermittlungsanträge, bei den Akten handele es sich um Urkundensammlungen etc. Die Aufklärungspflicht dränge nicht dazu, diesen Ermittlungsanträgen nachzugehen, so Götzl weiter. Die unter Beweis gestellten Tatsachen seien für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung.

Wohlleben-Verteidiger RA Klemke gibt eine Gegenvorstellung ab. Der Senat fasse, so Klemke, zwar richtig zusammen, dass es bei der Frage, ob aus dem Gesichtspunkt des Aufklärungsrundsatzes [phon.] die Beweiserhebung durchzuführen ist, auf eine Gesamtwürdigung ankommt, in die sämtliche Erkenntnisse des Senats einzubeziehen sind. Man „besorge“ aber, dass der Senat hier nicht alle Umstände in seine Überlegungen einbezogen hat, die die Erhebung von Beweisen nahelegen oder aufdrängen. Der Verhandlungstag endet um 14:24 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.

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