Protokoll 326. Verhandlungstag – 30. November 2016

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An diesem Prozesstag ist erneut Frank Gr. geladen, der mutmaßlich Beate Zschäpe und andere beim Ausspähen der in Berlin im Jahr 2000 bemerkte. Er konkretisiert seine bisherige Aussage noch einnmal.

Zeuge:

  • Frank Gr. (Erkenntnisse zu einer möglichen Sichtung von Beate Zschäpe in Berlin, mögliche Ausspähung der Synagoge Rykestraße am 07.05.2000)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:46 Uhr. Götzl: „Dann haben wir für heute den Zeugen Gr. geladen.“ [zuletzt 317. Verhandlungstag]Nach der erneuten Belehrung des Zeugen Frank Gr. sagt Götzl: „Es geht nochmal um das Thema Beobachtungen Objektschutz, 07.05.2000, Rykestraße 53 und im Umfeld. Haben Sie gegenüber der letzten Vernehmung noch etwas zu ergänzen?“ Gr.: „Im Wesentlichen nicht mehr. Ich habe bloß, wo ich nach Hause kam, mit meiner Frau drüber gesprochen. Da haben wir festgestellt, also ich hatte mich zeitmäßig etwas verschätzt. Es war am gleichen Tag, wo ich in Thüringen angerufen hatte und ich musste am nächsten Tag zum LKA Berlin zur Aussage. Ich hatte mich verschätzt, aber meine Frau wusste es noch ziemlich gut.“ Götzl: „Am gleichen Tag?“ Gr.: „Gegen 18:30 Uhr, 19 Uhr war ich zu Hause und da habe ich die Sendung dann gesehen, also praktisch am gleichen Tag, wo ich die dort gesehen habe.“ Götzl: „Wie kamen Sie jetzt drauf?“ Gr.: „Ich habe mit meiner Frau gesprochen und sie sagte: Es war am gleichen Tag gewesen. Ich hatte keine Chance, wenn Sie mich mal hingestellt hätten und gesagt, wenn Sie wollen können Sie Einsicht nehmen, dann hätte sich das besser eingefügt. [phon.]“ Götzl: „Ist das Ihre eigene Erinnerung oder die Angabe Ihrer Frau?“ Gr.: „Da ist bei mir auch die Erinnerung wiedergekommen wo wir eingehender geredet haben.“

Götzl: „Können Sie denn nun sagen: Wann war das genau, von der Datumseinordnung?“ Gr.: „Nee, das ist nicht mehr möglich.“ Götzl: „Können Sie sich erinnern, dass ich Ihnen beim letzten mal Lichtbilder gezeigt habe?“ Gr.: „Ja, das ist richtig.“ Götzl: „Haben Sie sich damit nochmal beschäftigt, gibt es was zu ergänzen?“ Gr.: „Zu ergänzen gibt es nicht mehr. Ich hatte Ihnen ja gesagt, dass es nicht die gleichen Bilder waren wie die, die mir im LKA vorgelegt wurden, die sahen anders aus.“ Götzl: „Ich will auf das Protokoll eingehen und vorlesen, was darin zu diesen Lichtbildvorlagen steht. Ob Sie dazu was sagen können, ob eine Erinnerung kommt oder auch nicht.“ Vorhalt: Mir werden hier 3 Wahllichtbildvorlagen mit jeweils 6 verschiedene Personen vorgelegt. Gr.: „Ob das sechs oder acht waren, weiß ich nicht mehr. Es wurden mir drei Seiten vorgelegt, aber meines Erachtens nach waren da mehr Personen drauf, als was Sie mir gezeigt haben.“ Vorhalt: 1. Wahllichtbildvorlage 7908: ‚Hier erkenne ich die von mir als Zweite beschriebene Person unter Bild Nummer 5 wieder.

Götzl bittet Gr. nach vorn an den Richtertisch zu kommen. Als Gr. vorn ist, zeigt Götzl die entsprechende Wahllichtbildvorlage. Götzl: „Schauen Sie sich das bitte an und sagen Sie, wie Ihre Erinnerung ist.“ Auf der Vorlage sind sechs Bilder zu sehen. Gr.: „Ja, das könnte damit zusammenhängen: An der Frisur, also der ziemlich kurze Haarschnitt. Aber sonst, aus heutiger Sicht kann ich da eigentlich nichts mehr sagen. Wie schon gesagt, sportliches Aussehen.“ Götzl: „Frisur? Was ist damit gemeint?“ Gr.: „Ziemlich kurze Haare, kann fast von Halbglatze reden, da habe ich ihn wiedererkannt oder gedacht, ich erkenne ihn wieder.“ Götzl: „Kommt da jetzt eine Erinnerung zu den Lichtbildern?“ Gr.: „Da ist die Qualität ein bisschen schlecht.“ Götzl: „Abgesehen davon: Wenn es im Protokoll heißt ‚erkenne die von mir als Zweite beschriebene Person unter Bild Nummer 5 wieder‘, kommt eine Erinnerung?“ Gr.: „Nein.“ Vorhalt: Anders als auf dem Bild trägt diese Person jetzt einen dunkelblonden Kinnbart; die Haare sind etwas länger als auf dem Bild, wirken aber immer noch wie ein Igelschnitt. Gr.: „Das ist zu lange her.“

Vorhalt: Wahllichtbildvorlage 7907: ‚Hier erkenne ich keine der von mir beschriebenen Personen wieder.‘ Götzl legt die entsprechende Wahllichtbildvorlage vor: „Schauen Sie sich das bitte auch nochmal an.“ Gr.: „Eine Ähnlichkeit besteht, aber das ist zu lange her.“ Vorhalt: Wahllichtbildvorlage 7906: ‚Hier erkenne ich die von mir als Erste beschriebene Person unter Bild Nummer 3 wieder. Diese Person wirkt im Original etwas gepflegter, als auf dem Bild der Wahllichtbildvorlage und trägt glatte lange über die Schultern reichende Haare. Götzl: „Und das ist Blatt 258, da heißt es oben ‚WLV 7906‘.“ Gr.: „Nee, dieses Blatt habe ich noch nie gesehen. Das waren andere Blätter.“ Götzl: „Wir machen mal eine kurze Unterbrechung bis zehn nach, bleiben Sie bitte in der Nähe.“

Um 10:15 Uhr geht es weiter. Götzl sagt zu Gr.: „Jetzt will ich Sie nochmal nach vorne bitten. Es geht um Blatt 259.“ Gr. geht nach vorn und schaut sich das Blatt an. Götzl: „Vorher war es eine Kopie.“ Götzl fragt, ob Gr. das bei der damaligen Vernehmung schon mal gesehen haben oder nicht. Gr.: „Ja, das könnte sein. Da ist die Qualität wesentlich besser und die Bilder waren alle von dieser Qualität. Aber meiner Meinung nach dichter, mehr Fotos.“ Götzl: „Was heißt das?“ Gr.: „Mindestens neun oder zehn [phon.] Fotos drauf.“ Götzl: „Auf einem Blatt?“ Gr.: „Auf einem Blatt.“ Götzl: „Und was ist mit ‚die Qualität ist besser‘ gemeint?“ Gr.: „Es ist deutlicher und die Personen besser zu erkennen.“ Götzl: „Und sagen Ihnen die Personen was?“ Gr.: „Den einen kenne ich vom Fernsehen her.“ Götzl: „Welchen kennen Sie vom Fernsehen her?“ Gr.: „Das ist die Person hier.“ [Gr. zeigt auf Bild 5, das Uwe Mundlos zeigt.]

Götzl: „Sind denn weitere Fragen der Verfahrensbeteiligten?“ Niemand meldet sich. Götzl sagt, dass dann Verlesungen vorgesehen seien nach § 253 Abs. 1 StPO [Protokollverlesung zur Gedächtnisunterstützung]. Götzl benennt kurz, was verlesen werden soll, und sagt dann zu Gr.: „Sie hatten ja gesagt, Sie haben datumsmäßig keine Erinnerung mehr dran. Dann kommt zur Verlesung das Datum des Vernehmungsprotokolls, da heißt es: ‚Vernehmung eines Zeugen‘, dann kommt Ihr Name, ‚08.05.2000‘ und weiter unten: ‚So war ich am 07.05.2000 in der Zeit von 7 Uhr bis 19 Uhr im Bereich des Abschnittes 77, Posten Synagoge Rykestraße 53, tätig.‘ Wollen Sie etwas ergänzen?“ Gr.: „Nein, das ist der Bereich gewesen und das war auch die Örtlichkeit.“ Götzl sagt, es werde dann nach § 253 Abs. 1 StPO eine weitere Stelle verlesen: „Blatt 253 der letzte Satz: ‚So hatte ich am gestrigen Tag in der Zeit von 13 bis 14 Uhr Postendienst vor der Synagoge.‘ Gibt es da was zu ergänzen?“ Gr.: „Ja, das war immer im Wechsel. Wir waren ja drei Kollegen, einer vor der Synagoge, einer im Hof und einer in Bereitschaft.“ Götzl sagt, dass dann verlesen werden solle nach § 253 Abs. 1 von Blatt 254, zweiter Absatz, Satz 1 und aus dem dritten Absatz, Satz 2 [phon.] bis zum Ende des vierten Absatzes: „an den Händen geführt“.

Zschäpe-Verteidiger RA Stahl: „Nur zum Verständnis: Wir hatten uns, nachdem Sie gestern angekündigt hatten, dass Sie nach 253 zu verfahren beabsichtigen, angeschaut, was da wohl in Betracht kommt. Jetzt verlesen Sie einzelne Teile. Wir sehen es aber schon so, dass die Erhebung des Beweises nicht gescheitert ist. Er hatte ja einzelne Erinnerungen. [phon.] Wenn ich die Kommentierung mir anschaue, dann ist das die ultima ratio, nachdem der Versuch, den Zeugen zu vernehmen, unmöglich ist. Er hat aber dazu bekundet.“ Götzl sagt, es gehe aber darum, inwieweit der Zeuge geltend gemacht habe, sich zu erinnern oder nicht. [phon.] Und diese Aspekte sehe der § 253 Abs. 1 vor, so Götzl. Stahl: „Angesichts dessen widersprechen wir der Anordnung zur Verlesung, wir sehen die Voraussetzungen nicht als gegeben an.“ Götzl: „Wir setzen uns gerne damit auseinander, auch der Senat, aber Sie müssen schon eine Begründung liefern.“

Stahl: „Auch nach der Kommentierung des § 253 ist es so, dass der Urkundsbeweis [phon.] nur ultima ratio sein soll, sofern die Vernehmung eines Zeugen in der Hauptverhandlung gescheitert ist. Wir sehen das aber so, dass der Zeuge durchaus bekundet hat, und von daher ist ein Scheitern der Beweiserhebung nicht gegeben.“ Götzl: „Mir geht es nur um bestimmte Aspekte. Bezüglich des ersten Punktes geht es mir um den Namen des Restaurants. Da hat er geltend gemacht, dass er dazu keine Erinnerung mehr hat, nur dass es möglich ist. Dann geht es um die Dauer des Aufenthalts der Personen. Da sagte er, da habe er keine Erinnerung dazu. Hinsichtlich des Verlassens der Personen hat er angegeben, keine Erinnerung. [phon.] Auch geht es mir um die Reaktion der Frau, auch da wurde der Vorhalt gemacht mit dem entsprechenden Ergebnis. Dann geht es mir um die weibliche Person mit zwei Kindern. Da hat er auf Vorhalt gesagt, dass er keine Erinnerung mehr habe. Dann geht es um den Vorhalt Personen mit Stadtplan oder Landkarte [phon.], da hat er auch angegeben, keine Erinnerung mehr zu haben. Deswegen die Verlesung, das sieht der § 253 Absatz 1 vor. Und natürlich muss man das im Zusammenhang vorlesen, sonst versteht es kein Mensch.“ Stahl: „Angesichts dieser Erläuterungen nehmen wir das zurück.“

Götzl: „Dann kommt zur Verlesung Blatt 254 aus Absatz 2 der Satz 1 und aus dem dritten Absatz der Satz 2 bis zum Ende des vierten Absatzes. Ich würde Sie bitten, falls es was zu ergänzen gäbe, dass Sie sich dazu äußern.“ Götzl verliest dann: „‚Etwa 15 bis 20 m von der Synagoge entfernt, an der Ecke Rykestraße/Knaackstraße, befindet sich das Restaurant Wasserturm.‘ Ist da noch eine Erinnerung?“ Gr.: „Das stimmt soweit. Nur dass die Gaststätte mehrmals den Besitzer gewechselt hat.“ Götzl verliest: In der Zeit zwischen 13 und 14 Uhr waren fast alle Plätze besetzt. Innerhalb dieser Stunde bin ich öfters, ich denke mehrere Dutzend Male an diesem Restaurant vorbeigelaufen. Dabei schaue ich mir auch die Personen an, welche dort sitzen. Kurz nach 13 Uhr fiel mir rechterseits der Eingangstür vor dem Restaurant eine Frau auf, welche für meinen Geschmack sehr gut aussah und im Stile der 60er Jahre gekleidet war. Dementsprechend habe ich die Frau auch angeschaut, worauf diese das mit einem giftigen Blick erwiderte. Zu dieser Zeit nahm ich auch die beiden männlichen Begleiter dieser Frau und eine weitere weibliche Person wahr. Alle vier saßen an an einem Tisch. Die Personen waren während meiner Wahrnehmung mit einem Stadtplan oder einer Landkarte beschäftigt. Des weiteren konnte ich noch zwei Kinder, das eine ca. 2 Jahre und das andere ca. 3 oder 4 Jahre alt, wahrnehmen. Diese spielten in der Nähe des Tisches. Gegen 13.45 Uhr hat die komplette Personengruppe das Restaurant verlassen und ist in Richtung Wörther Straße davongegangen. Dabei wurden die beiden Kinder von der anderen Frau an den Händen geführt. Götzl: „Gibt es da noch etwas zu ergänzen?“ Gr.: „Zu ergänzen ist da nichts mehr. Da ist das Erinnerungsvermögen nicht mehr so genau, da das ja dann mehr oder weniger nicht mehr von Wichtigkeit gewesen ist.“

Götzl: „Dann geht es mir noch um Blatt 255, Seite 3 dieses Protokolls, hier ist beabsichtigt zu verlesen den ersten Absatz, den zweiten, den dritten und den fünften. Ich kann gerne auch auf einzelne Punkte eingehen.“ Stahl: „Wir sind nur etwas irritiert ob Ihrer Vorgehensweise. Das ist nach unserer Wahrnehmung zum ersten Mal im Verfahren, dass Sie nach 253, 1 Verlesungen durchführen. Bisher war das immer anders. [phon.] Zum anderen ist die Art und Weise, wie Sie es machen, dass Sie verlesen und dann dennoch den Zeugen fragen, ob er was dazu sagen kann, das ist irritierend für uns.“ Götzl: „So sieht's die Rechtsprechung vor!“ Stahl: „Laut Karlsruher Kommentar nicht.“ Stahl zitiert aus dem Karlsruher Kommentar zur StPO zu § 253 unter Randnummer 2, „von Herrn Diemer kommentiert“, dass es einer zusätzlichen Erklärung der Beweisperson dazu nicht bedürfe [phon.]. Götzl sag, es gehe hier nicht um einen Vorhalt. [phon.] Stahl: „Ich sage ja, es ist nicht verboten, aber es irritiert uns.“ Götzl: „Dann kommt zur Verlesung der erste Absatz.“

Götzl verliest: Männliche Person mit dunkelblonden Haaren, ca. 30 bis 35 Jahre alt, ca. 180 bis 185 cm groß, schmale Figur, blaue ausgewaschene Jeansjacke und Jeanshose, Kinnbart, kurz geschnitten, Igelschnitt, keine Besonderheiten, ein Wiedererkennen wäre mir möglich.‘ Götzl: „Haben Sie etwas anzumerken?“ Gr. „Nein.“ Götzl verliest die nächste Stelle: Zweite männliche Person, ca. 30 bis 35 Jahre alt, ca. 190 cm groß, sportliche Figur, braune ganz kurze Haare, helles Hemd, Wiedererkennen nicht möglich. Gr.: „Stimmt.“ Götzl: „Was ist damit gemeint?“ Gr.: „Aus heutiger Sicht sowieso nicht mehr.“ Götzl verliest: Zweite weibliche Person: Ca. Mitte bis Ende 20, cm 175 cm groß, schlanke Figur blonde gelockte halblange Haare, nicht bis zur Schulter reichend, Bekleidung evtl. Jeans, Wiedererkennen nicht möglich. Gr.: „Weil ich diese Person nicht weiter beachtet habe.“ Götzl verliest: Kurz vor 16 Uhr stand ich mit dem Streifenwagen vor dem Abschnitt 77 in der Immanuelkirchstraße, dort war ein Kollege abzulösen. Als ich im Auto saß und wartete, kamen die erste und zweite von mir beschriebene Person aus Richtung Greifswalder Straße durch die Immanuelkirchstraße am Streifenwagen vorbei in Richtung Prenzlauer Allee gelaufen. Götzl: „Da muss ich verlesen, wer die erste und zweite Person gewesen ist.“ Götzl verliest: 1. Die Frau, die im Stil der 60er Jahre bekleidet war: Ca. 30 Jahre alt, ca. 168 bis 170 cm groß, schwarze über die Schultern reichende glattgekämmte Haare, großgeblümtes kurzes Kleid, schwarze Strickjacke, keine Besonderheiten, welche mir aufgefallen sind, ein Wiedererkennen wäre mir möglich. Götzl: „Gibt es zu der Stelle noch von Ihnen etwas zu sagen, der Stelle mit dem Streifenwagen?“ Gr.: „Nein.“

Götzl: „Blatt 256, hier geht es mir um den ersten Absatz bis zu der siebten Zeile, endend mit ‚eine weibliche Person zu erkennen‘. Hier geht es auch um die Verlesung nach 253 Absatz 1 StPO. [phon.] Der Zeuge hatte angegeben, er hätte keine Erinnerung hinsichtlich der Taten, wegen deren ihm Fahndungsfotos gezeigt worden wären. Er hatte zuerst von Raub gesprochen, auf Vorhalt hatte er aber keine Erinnerung. Er hat zur zeitlichen Einordnung heute andere Angaben gemacht als am ersten Tag. Dann kommt zur Verlesung Seite 256 erster Absatz die ersten fünf Sätze.“ Götzl verliest: Kurz vor 20 Uhr am gestrigen Abend schaute ich dann u.a. Fernsehen. Auf dem MDR lief die Sendung Kripo Live, welche ich teilweise verfolgte. Da ich mich zum Teil in der Küche befand, habe ich die Sendung allerdings nur sehr unvollständig wahrgenommen. Als ich ins Wohnzimmer kam, wurden gerade Fahndungsfotos von drei Personen im Zusammenhang mit rechtsgerichteten Straftaten dargestellt. Darauf waren zwei männliche und eine weibliche Person zu erkennen. Götzl: „Gibt es dazu von Ihrer Seite etwas anzumerken?“ Gr.: „Nein.“

Götzl: „Letztendlich geht es jetzt noch um eine Verlesung nach 253 Absatz 2 StPO. [phon.] Und zwar im Hinblick auf Blatt 256 letzter Absatz. Sollen dazu Erklärungen abgegeben werden? Das ist die Wahllichtbildvorlage 7908. Erklärungen hierzu?“ Stahl: „Wir hatten das eben schon bei uns intern beraten. Im Hinblick auf das aus unserer Sicht irritierende Vorgehen würden wir die Protokollierung nach 255 beantragen.“ Götzl: „Dass jeweils der Grund angegeben wird?“ Stahl: „Ja.“ Götzl: „Das machen wir hier sowieso von Amts wegen. Dann kommt nach 253 Absatz 2 [phon.] zur Verlesung der Satz mit ‚Wahllichtbildvorlage 7908‘. Götzl verliest: Hier erkenne ich die von mir als Zweite beschriebene Person unter Bild Nummer 5 wieder. Anders als auf dem Bild trägt diese Person jetzt einen dunkelblonden Kinnbart. Die Haare sind etwas länger als auf dem Bild, wirken aber immer noch wie ein Igelschnitt. Götzl: „Gibt es da etwas zu ergänzen von Ihrer Seite?“ Gr.: „Nein.“ Götzl: „Wir nehmen das nochmal in Augenschein.“ Das Blatt wird in Augenschein genommen. Götzl: „Sind denn jetzt an den Zeugen noch irgendwelche Fragen?“ Niemand meldet sich. Um 10:42 Uhr wird der Zeuge entlassen. Stahl: „Wir möchten uns im Hinblick auf die Bekundungen des Zeugen und die Verlesungen gerade eine Erklärung vorbehalten.“

Götzl sagt, es sei eine Anordnung zum Selbstleseverfahren beabsichtigt zur Asservatenauswertung vom 24.02.2012 zum PC AMD, Asus, Asservat EDV 01, das finde sich im Ordner 267, Blatt 105 bis 129. Dann gehe es um den vorläufigen Untersuchungsbericht vom 06.11.2011 [phon.], SAO 267, 222 bis 477 [phon.]. Und drittens gehe es um die Asservatenauswertung vom 14.02.2012 zum Asservat Festplatte aus dem Notebook Acer, Asservat 1.4.33.0, SAO 240, Blatt 200 bis 211. Götzl: „Sie haben Gelegenheit zur Stellungnahme, gegebenenfalls auch später. Ich wollte es Ihnen nur bekanntgeben. Wollen Sie sofort etwas sagen, Herr Rechtsanwalt Klemke?“

Wohlleben-Verteidiger RA Klemke: „Wir hatten uns eine Erklärung vorbehalten zur gestrigen Beweiserhebung durch Abspielen des Liedes ‚Türken raus‘. Dazu habe ich keine Erklärung, aber einen Beweisantrag. Und zwar beantragt die Verteidigung Wohlleben, Herrn , geboren am 12.01.1964 in Hamburg, wohnhaft in Kelkheim (Taunus) zu vernehmen. Der Zeuge wird nach Einsichtnahme in die Dateiverzeichnisse bekunden, dass sich auf dem Asservat 24.1.3.1. im Ordner ‚‘ 36 Unterordner mit 589 Dateien befinden, in denen sämtliche sowohl offizielle als auch nicht autorisierte Alben der Rockband Böhse Onkelz vollständig abgespeichert sind. Der Zeuge war und ist der Leadsänger der Band Böhse Onkelz.

Begründung: Am 325. Verhandlungstag nahm der Senat im Rahmen der Vernehmung der Zeugin KOKin Pflug die Audiodatei ‚Türken raus‘ aus dem Unterordner ‚Mülla Milch‘ durch Abspielen in Augenschein. Die Beweiserhebung wird ergeben, dass sich in dem Ordner ‚Böhse Onkelz‘ die gesamte Diskographie der Band befindet. Der Existenz der Datei ‚Türken raus‘, die i.Ü. frühestens am 12.11.2009 auf der Festplatte abgespeichert wurde, kommt bei dieser Sachlage nicht einmal eine schwache indizielle Bedeutung für die Klärung der Schuld- und Rechtsfolgenfrage zu. Abgesehen davon, dass von dem Text des Titels bei der Inaugenscheinnahme nur die Textzeile ‚Türken raus‘ akustisch deutlich wahrnehmbar war, schließt der Umstand, dass das Lied ‚Türken raus‘ eines von mehr als 500 auf der Festplatte abgespeicherten Liedern der Böhsen Onkelz ist, aus, dass es sich bei dem Abspeichern auch dieses Liedes um ein Bekenntnis zu seinem Text handelt, wie Rechtsanwalt Reinecke in seinem Beweisantrag meinte behaupten zu müssen. Für den Fall, dass der Senat den soeben gestellten Antrag ablehnen sollte, beantragt die Verteidigung bereits jetzt, sämtliche Dateien in dem Ordner ‚Böhse Onkelz‘ durch Abspielen in Augenschein zu nehmen. Die Beweiserhebung wird ergeben, dass auf dem Asservat 24.1.3.1. mehr als 500 Musiktitel der Band Böhse Onkelz abgespeichert sind.“

Götzl wendet sich an NK-Vertreter RA Reinecke: „Zu gestern hatten Sie sich eine Erklärung vorbehalten.“ Reinecke: „Ja, und ich will auch gleich hier zum Beweisantrag Stellung nehmen. Meine Beweisbehauptung, dass das Lied in sehr schlechter Tonqualität vorliegt, ist bestätigt worden. Zu den Schlüssen: Wenn wir davon ausgehen, dass Menschen bewusst etwas tun, – und auch der Beweisantrag der Verteidigung gerade behauptet ja nicht, jemand Drittes hätte die Böhse Onkelz-Sammlung auf die Festplatte von Herrn Wohlleben kopiert – wenn also Menschen etwas freiwillig tun, dann können wir das Handeln auch bewerten. Es ist etwa bekannt, dass es von den Beatles von ihren ersten Live-Auftritten im Starclub auch Mitschnitte gibt, die aber niemand hat, weil sie von so schlechter Qualität sind. Dagegen ist dieses Lied ‚Türken raus‘ aber eine Hymne der Bewegung. Mir ist es zum ersten Mal im Solinger Brandstifterprozess begegnet, weil einer der rassistischen Brandstifter das Lied auch gehört hat. Nun so zu tun, als ob Ralf Wohlleben das Lied nur aus Vollständigkeitswahn gehabt hätte und sonst nichts damit zu tun gehabt hätte, ist natürlich völlig unzutreffend. [phon.]

Die Frage ist: Welche Bedeutung hat die politische Auffassung für die angeklagte Tat? Da wird man sagen müssen: Nicht jeder, der die Auffassung hat, gibt Waffen weiter. Aber man kann sicherlich sagen, dass es dabei hilft. Zu der ganzen Beweiserhebung ist es deswegen gekommen, weil die Verteidigung hier den Eindruck erweckt hat, die ihm vorgeworfenen Taten seien für Ralf Wohlleben quasi wesensfremd sei, weil er ja ein Friedenskämpfer usw. sei. Das scheint mir in der Tat widerlegt, auch durch dieses gestern abgespielte Musikstück. Zum Beweisantrag von heute: Das kann unproblematisch als wahr unterstellt werden. Oder man kann die Unterverzeichnisse durchgehen und sich das anschauen. Dazu muss man niemanden vernehmen. Ich würde auch gleich zur Stellungnahme von Herrn Weingarten von gestern zu meinem Beweisantrag etwas sagen.“

Reinecke sagt, dass Weingarten wohl der Meinung sei, man müsse an die Presseerklärung der Verteidigung den Maßstab anlegen, den man auch an eine Erklärung von Verteidigern im Prozess anlegen muss, wenn man die dem Angeklagten zurechnen wolle. Dieser Ansicht sei er, Reinecke, nicht. Die Mitteilung der Verteidigung, also von Personen, die vermuteterweise Wohlleben nahestehen, habe so zumindest Indizwert. [phon.] Reinecke: „Daher habe ich auch keine Veranlassung, Herrn Wohlleben danach zu fragen. Herr Wohlleben hat Angaben gemacht. Er könnte auch seinen Werdegang schildern, warum er als Gegner von Gewalt und als Friedenskämpfer diese Sachen auf dem Computer hatte. Angesichts der Geburtstagszeitung erscheint es nicht als wahrscheinlich, dass er seine Auffassung geändert hat.“ Klemke: „Eine Frage hat Herr Reinecke nicht beantwortet. Warum befragt er nicht unseren Mandanten. Weder die BAW noch die Nebenklage hat eine Frage dazu gestellt. Und hier wird versucht, über irgendwelche Titelchen etwas zu konstruieren. Mit Verlaub gesagt, ich bin erschüttert.“ Götzl: „Dann wird die Hauptverhandlung unterbrochen und fortgesetzt morgen, Donnerstag, 01.12. um 09:30 Uhr.“ Der Verhandlungstag endet um 10:56 Uhr.

Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Heute dauerte die Hauptverhandlung geringfügiger länger als gestern – etwa 70 Minuten befasste sich das Gericht mit der Aussage eines Berliner Wachpolizisten, der Zschäpe und Mundlos im Mai 2000 beobachtet hatte, wie sie mit zwei weiteren Personen in einem Café direkt neben der Berliner Synagoge in der Rykestraße saßen und sich mit Stadtplänen beschäftigten. […] Das Gericht verlas, wie schon gestern angekündigt, Teile des Protokolls seiner Vernehmung aus dem Jahr 2000 ‚zur Gedächtnisunterstützung‘. Nun ist es nichts Neues, dass der Vorsitzende Richter Götzl Zeugen große Teile ihrer früheren Vernehmungen vorliest – bisher geschah dies allerdings immer in der Form des Vorhalts – als Beweis eingeführt wird dann nicht der vorgelesene Text selbst, sondern das, was der Zeuge daraufhin angibt. Mit einer ‚ergänzenden Verlesung‘, wie sie heute durchgeführt wurde, wird dagegen der Inhalt des verlesenen Vernehmungsprotokolls selbst eingeführt. Das macht deutlich, dass der Senat auf die Aussage des Zeugen großen Wert legt und sie wahrscheinlich auch seinem Urteil zu Grunde legen will – nachvollziehbar, legt die Angabe des Zeugen doch eine direkte Einbindung Zschäpes in die Ausspähung möglicher Anschlagsziele nahe. (Insofern ist es auch bezeichnend, dass die Thematik erneut erst auf Antrag der Nebenklage berücksichtigt wurde, selbst eine erneute Vernehmung des Zeugen nach Selbstenttarnung des NSU 2011 hatte man für überflüssig gehalten.) Aus Sicht der Verteidigung hätte es nun nahegelegen, zumindest zu versuchen, sich gegen diese Einführung eines recht zentralen belastenden Beweismittels zur Wehr zu setzen. Das fand indes nicht statt – RA Stahl teilte mit, man sei ‚irritiert‘ über das Vorgehen des Vorsitzenden, nahm indes eine Beanstandung auch gleich wieder zurück. […] Auch für morgen ist nur ein sehr eingeschränktes Beweisprogramm vorgesehen – womit sich erneut zeigt, dass die lange Dauer dieses Prozesses nicht v.a. auf Anträge der Nebenklage zurückzuführen ist, sondern dass z.B. die schleppende Prozessführung des Gerichts einen entscheidenden Anteil hat.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/11/30/30-11-2016/

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