Protokoll 339. Verhandlungstag – 24. Januar 2017

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An diesem Verhandlungstag sagen zunächst zwei Beamte vom Staatsschutz Jena zum Angeklagten Ralf Wohlleben aus. Danach befragt RA Borchert von der Verteidigung Beate Zschäpes den Sachverständigen Prof. Dr. Saß zu dem psychiatrischen Gutachten, das dieser zu Zschäpe erstellt hat.

Zeugen und Sachverständige:

  • Werner Pr. (Staatsschutz Jena, Erkenntnisse zu Ralf Wohlleben)
  • Detlev K. (Staatsschutz Jena, Erkenntnisse zu Ralf Wohlleben)
  • Prof. Dr. Henning Saß (Psychiatrischer SV, Begutachtung von Beate Zschäpe)

Die Angeklagten Zschäpe, Wohlleben und Schultze betreten um 09:42 Uhr den Saal. Heute ist Fototermin. Nachdem die Fotograf_innen und Kameraleute den Saal verlassen haben, kommt um 09:47 Uhr der Senat herein. Nach der Begrüßung folgt die Präsenzfeststellung. Zschäpes Wahlverteidiger RA Borchert ist heute anwesend.

Erster Zeuge ist Werner Pr., Polizeibeamter bei der KPI Saalfeld. Götzl: „Es geht uns um Erkenntnisse im Hinblick auf Herrn Wohlleben. Äußerungen, Aktivitäten, zum einen im Hinblick auf Ausländer-/Asylpolitik, zum anderen um Erkenntnisse zu Ermittlungen, Straftaten der rechten Szene, , gegenüber Ausländern. Das wären so Stichwörter. Was können Sie denn zu diesen Themen berichten? Dass Sie zunächst vielleicht berichten, inwiefern Sie denn überhaupt mit solchen Themen befasst gewesen sind und gegebenenfalls zu den Einzelheiten.“ Pr. berichtet, er sei zur Jahrtausendwende in den Bereich Staatsschutz gekommen, seine Aufgabe sei gewesen, Straftaten, Ermittlungsverfahren zu bearbeiten. In Bezug auf Wohlleben habe er nach Recherche fünf Ermittlungsverfahren bearbeitet, wo Wohlleben Zeuge oder Beschuldigter gewesen sei. Pr.: „Aber nach dieser Einsichtnahme in den letzten Wochen sind mir keine Straftaten bekannt in Bezug auf Ausländer. Das war meistens Rechts/Links oder wegen Propagandamitteln. Diese Ermittlungsverfahren waren so in den Jahren 2002 bis 2004.“

Götzl: „Da muss ich nochmal nachfragen: Es gab fünf Ermittlungsverfahren?“ Pr.: „Ja, ich glaube, es waren fünf. Er war auch Zeuge, Geschädigter in einem Ermittlungsverfahren mal.“ Götzl: „Und auch Beschuldigter?“ Pr.: „Und auch Beschuldigter.“ Auf Frage sagt Pr., er sei im Oktober 1999 zum Staatsschutz gekommen, wobei er richtig aktiv im Januar 2000 geworden sei, weil er aus einem anderen Bereich gekommen sei und noch Restverfahren abgearbeitet habe. Götzl: „Waren Sie selbst unmittelbar mit Herrn Wohlleben befasst?“ Pr.: „Nein. Nach meiner Erinnerung kam es nie zu einer Vernehmung, er ist nicht erschienen. Beziehungsweise einmal hat er angerufen und hat halt nur gesagt, dass er nicht erscheinen wird. Das konnte ich letzte Woche aus den Akten herauslesen.“ Götzl: „Von diesem Anruf abgesehen, kam es von Ihrer Seite zu irgendwelchen Gesprächen mit Herrn Wohlleben?“ Pr.: „Nicht dass ich mich erinnern kann. Also keine direkten Gespräche.“ Götzl: „Haben Sie Informationen zu Fragen politischer Ansicht, politischer Arbeit, zu Äußerungen Herrn Wohllebens, sei es jetzt auch anderen Beamten gegenüber oder aus sonstigen Quellen?“ Pr. sagt, es sei bekannt, dass Wohlleben mal stellvertretender Landesvorsitzender der gewesen sei, ansonsten als Organisator des Festes der Völker 2006, das in Jena stattgefunden habe. Es entziehe sich seiner Kenntnis, ob Wohlleben bei den Heß-Demonstrationen der Anmelder oder Redner gewesen sei.

Götzl fragt zu den 90er Jahren, der Jahrtausendwende. Das sei vor seiner Zeit gewesen, so Pr., da sei ihm nur das bekannt, was er aus den Medien, der Presse erfahren habe. Götzl sagt, es gehe nur um Pr.s dienstliche Befassung. Götzl: „Können Sie zu einzelnen Demonstrationen, Plakaten, Aufklebern, Unterschriftsaktionen, dazu etwas sagen, in der damaligen Zeit, Jahrtausendwende?“ Pr. schweigt etwas und sagt dann: „Das eine Ermittlungsverfahren war ein Wahlkampfverfahren.“ Götzl: „Etwas lauter bitte!“ Pr.: „In der Vorbereitung eines NPD-Wahlkampfes, da wurde halt eine CD festgestellt, die, glaube ich, die Lebensrune abgebildet hatte, da hatte man eine Anzeige gemacht. Nach meiner Erinnerung wurde dies eingestellt. Bezüglich Reden ist mir nichts bekannt. Aber wenn irgendwelche Demonstrationen waren, war man ja nicht immer vor Ort eingesetzt, unterschiedliche Aufgabenbereiche, und demzufolge hatte man selten was mit ihm zu tun. Es gab in Jena auch Plakatierungen, ja, auch meistens um Heß herum, aber ob die jetzt dem Herrn Wohlleben zuzurechnen sind?“ Götzl: „Unter den Ermittlungsverfahren, waren da Körperverletzungsdelikte Gegenstand der Verfahren?“ Pr.: „Es war mal ein Ermittlungsverfahren, muss zwischen 2002 und 2004 gewesen sein, da war Herr Wohlleben als Zeuge erfasst.“ Götzl: „Wissen Sie noch, worum es da ging?“ Pro.: „Konkret nicht, aber es könnte eine Auseinandersetzung Rechts/Links gewesen sein, im Stadtgebiet Jena.“ Götzl: „Sind Fragen von Seiten des Senats an den Zeugen, der Bundesanwaltschaft, der Verteidigung, der Angeklagten selbst? Der Nebenklägervertreter? Keine Fragen? Dann bleibt der Zeuge unvereidigt. Haben Sie vielen Dank. Wenn Sie hier Ihre Anweisung mit sich nehmen, bekommen Sie Ihre Entschädigung.“ Götzl: „Dann den Herrn K. Dauert fünf Minuten? Dann bitte ich Sie, in der Nähe zu bleiben. Setzen wir um 10:10 Uhr fort.“

Um 10:11 Uhr geht es weiter mit dem Zeugen Detlev K., Kriminalbeamter aus Jena. Götzl nennt dem Zeugen das gleiche Thema wie Pr. K.: „Diesbezüglich kann ich so gut wie nichts sagen, da ich mit NSU keine Berührungspunkte hatte. Wir hatten lediglich Straftaten, die zwischen links und rechts gelagert waren, in Jena, also zwischen dem ‚Braunen Haus‘ und der Jungen Gemeinde in Jena gelagert waren. Konkretes zu den Personen kann ich nicht sagen.“ Götzl: „Wann waren Sie denn tätig in diesem Bereich?“ K.: „Ab 2007.“ Götzl: „2007?“ Götzl fragt, ob es noch Fragen an den Zeugen gebe. Niemand meldet sich. Um 10:14 Uhr wird der Zeuge entlassen.

Götzl: „Herr Wohlleben, mir geht es jetzt um Kontakt zu Herrn K. [305. Verhandlungstag], Herrn Tu., den beiden hier gehörten Beamten. Können Sie dazu etwas sagen, inwieweit Sie Kontakt hatten?“ Wohlleben: „Meine Verteidiger weisen mich drauf hin, dass wir Herrn Tu. noch gar nicht gehört haben. Herrn K. kenne ich länger als Herrn Tu. [phon.], weil die Herren K., Ke. und Ku. waren unter der Abkürzung ‚KKK‘ bei uns bekannt. Ansonsten hatte ich mit Herrn K. wenig zu tun. Anfänglich mal Vorladungen, anfänglich noch Folge geleistet, später nicht mehr. [phon.] Und den Herrn Tu. habe ich bei der Hausdurchsuchung am 24.11. bei mir nochmal gesehen. Und mit Herrn K. hatte ich 2010 nochmal eine kurzen Zusammenstoß, wo Polizeibeamte auf dem Grundstück vom Braunen Haus ohne Durchsuchungsbefehl mehrere Garagen aufgebrochen haben. Und da bin ich nochmal kurz mit ihm aneinandergeraten.“ Götzl: „Und den Herr Ke., haben Sie zu dem Kontakt gehabt?“ Wohlleben: „Den kenne ich durch seine dienstliche Tätigkeit, aber der Kontakt beschränkte sich wahrscheinlich auch auf Veranstaltungen oder einen Besuch bei der Polizei, wenn mal eine Vorladung kam, der man noch Folge geleistet hat.“

Götzl: „Sind Sie denn einmal von einem dieser Herren vernommen worden?“ Wohlleben: „Ich kann mich erinnern, Gespräche gab es mal. [phon.] Ich meine mich zu erinnern, dass, wo der Überfall vor dem Rathaus war, dass ich da mit Herrn Ke. gesprochen habe und mir Bilder von Linksextremisten vorgelegt wurden, aber ob das eine Vernehmung oder ein allgemeines Gespräch war, das ist mir nicht mehr in Erinnerung.“ Götzl fragt, ob Wohlleben wisse, worum es da gegangen sei. Wohlleben: „Nee, wie gesagt, das ist …“ Wohlleben schweigt kurz und sagt dann: „An die eben erwähnte Beschlagnahme der CD kann ich mich noch erinnern, das müsste eine -CD gewesen sein. Aber ich glaube, dass es nicht wegen einer Lebensrune war, sondern wegen der Musik, die da drauf war, die öffentlich gespielt wurde bei der NPD-Wahlveranstaltung. Und da ich der Veranstalter war, hat man mir die CD quasi zugeordnet.“ Götzl: „Herr Wohlleben, zu der dritten Person, zu Herrn Ku., was können Sie zu diesem Beamten sagen?“ Wohlleben: „Ich habe nicht mal mehr ein Gesicht im Kopf. Ich weiß nur noch, dass wir die drei Herren aufgrund der Buchstaben im Nachnamen ‚KKK‘ gerufen haben. Ich würde ihn als jemanden mit Vollbart bezeichnen. [phon.] Werde ihn ja sehen diese Woche, wie auch Herrn Ku. Mir ist eigentlich Herr K. und Herr Tu. am bekanntesten von den Staatsschützern in Jena.“ Götzl: „Machen wir eine kurze Pause. Wir würden dann zu Ihnen kommen, Herr Prof. Saß. Wir setzen fort um 10:40 Uhr. “

Um 10:44 Uhr geht es weiter. Götzl: „Dann setzen wir mit Ihnen fort. Herr Prof. Dr. Saß, sind Ergänzungen von Ihrer Seite vorgesehen?“ Saß: „Zunächst nicht.“ Götzl: „Sind Fragen von Seiten des Senats? Von Seiten der Bundesanwaltschaft?“ OStAin Greger: „Ich wüsste gern, ob Sie Anhaltspunkte gefunden haben, dass ein Affektzustand bei der Angeklagten vorliegt, insbesondere bei der Brandlegung am 04.11.?“ Saß: „Wenn ich mit der Brandlegung beginne, so haben wir da ja die ausführlichen Angaben von Frau Zschäpe selbst, was sie sich um Vorfeld überlegt hat, wie sie vorgegangen ist. Das hat sie mit guter Erinnerung dargelegt. [phon.] Und die vielen Vorsichtskautelen [= Vorsichtsmaßregeln], die sie nach ihrer Darstellung eingehalten hat. Das spricht entschieden [phon.] gegen die Annahme einer affektiven Erregung, die zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung geführt hätte. Hinzu kommen die Zeugenschilderungen, die keinen psychischen Ausnahmezustand beschrieben haben. Also von daher ist keinerlei Anhaltspunkt für eine Störung der psychischen Funktionen durch Affektstörungen vorhanden.“ Greger: „Danke.“

Götzl: „Sind Fragen von Seiten der Verteidigung Frau Zschäpes?“ RA Borchert: „Zunächst hätte ich eine allgemeine Frage und werde dann Bezug nehmen auf Ihr Gutachten, das Sie schriftlich erstattet haben. In Ihrem vorläufigen Gutachten beschäftigen Sie sich auf über 20 Seiten mit dem Verhalten der Mandantin in der Hauptverhandlung. Warum?“ Saß: „Angesichts der Tatsache, dass eine Exploration nicht möglich war, musste versucht werden, andere Informationen zu gewinnen, aus denen etwa Hinweise für erhebliche Störungen zu finden wären. Und deswegen habe ich das ausführlich und sorgfältig getan.“ Borchert: „Ich habe mir das angeschaut. Sie charakterisieren die Mandantin mit Adjektiven im Umfang von weit über 100 verschiedenen Adjektiven. Warum? Vor dem Hintergrund, dass Frau Zschäpe doch weitgehend emotionslos gesessen hat auf ihrem Stuhl.“ Saß: „Die Einschätzung, dass Frau Zschäpe weitgehend emotionslos auf ihrem Stuhl gesessen hat, charakterisiert nicht das Verhalten in der gesamten Hauptverhandlung in dreieinhalb Jahren.“ Borchert: „Sondern?“ Saß: „Ich habe ja beschrieben, welche Beobachtungen ich gemacht habe und warum.“ [phon.] Borchert: „Im Vorgutachten setzen Sie sich damit intensiv auseinander, im Hauptgutachten, nachdem Rügen erhoben wurde, mit nicht einem Wort. Warum im Vorgutachten?“ Saß: „Vorbereitende Stellungnahme. Dass ich in meinem Gutachten mit keinem Wort auf Verhalten eingegangen bin, trifft nicht zu. Ich habe resümierend gesagt, dass sich aus der Beobachtung keine Hinweise für psychische Störungen ergeben und dass eine Vielfalt von Reaktionen zu beachten war.“

Borchert: „Auf ihr Gutachten gehe ich nunmehr ein, und zwar zunächst auch relativ allgemein.“ Borchert zitiert aus Seite 1 des Gutachtens, dass angesichts der Entwicklung im Verfahren erhebliche Erweiterungen und Änderungen erfolgt seien, etwa bzgl. des Briefes an . Weitere Aspekte seien, zitiert Borchert, Aussagen bzgl. eines möglichen Berlin-Besuchs [mögliche Ausspähung einer Synagoge]. Borchert: „Haben Sie die Aussagen im mündlichen Gutachten berücksichtigt und, wenn ja, in welchem Umfang?“ Saß: „Ich habe sie nicht explizit berücksichtigt. Ich habe sie vorne erwähnt, weil das Dinge sind, die in der Hauptverhandlung noch passiert sind, nachdem ich die vorbereitende Stellungnahme abgegeben habe.“ Borchert: „Welche Aspekte meinen Sie dann?“ Saß: „Den Inhalt der Aussage.“ Borchert: „Aber, wenn ich Sie richtig verstehe, sind Sie doch auf den Inhalt der Aussage im Gutachten gar nicht eingegangen.“ Saß: „Das Nennen von Aspekten und das Berücksichtigen von Aspekten sind für mich zwei verschiedene Dinge.“ Borchert: „Nennen Sie die Aspekte?“ [phon.] Saß: „Ich habe sie doch nicht berücksichtigt.“ Borchert: „Gut, wissen Sie nicht.“ [phon.] Saß: „Ich habe nicht gesagt, dass ich sie nicht weiß. Ich erwähne die Aspekte, aber ich habe sie bei der Beurteilung nicht explizit berücksichtigt.“

Borchert: „Auf Seite 13 des Gutachtens: ‚als zeige sich zum ersten Mal eine gewisse Tendenz von Frau Zschäpe, die Verantwortlichkeit für auftretende Probleme und eigenes Verhalten wie auch Fehlverhalten anderen Personen oder äußeren Umständen zuzuordnen‘. Meine Frage dazu ist relativ einfach: Wieso? Wieso schiebt sie eigene Verantwortung auf Dritte und woraus schlussfolgern Sie das? Ich darf erinnern, dass Frau Zschäpe Ausführungen gemacht hat, in denen sie dazu eindeutig Stellung genommen hat und sich auch schuldig bekannt hat [phon.]. In welchem Punkt schiebt sie Verantwortung von sich weg?“ Saß: „Das Begehen dieser von Frau Zschäpe als kleinere Diebstähle bezeichneten Delikte wird in ihrer Darstellung unmittelbar angeknüpft an die Darstellung, dass sie von der Mutter keinerlei Geldmittel bekommen hat. Insofern wird ein enger Bezug hergestellt, weil es eng aneinandergerückt wird. Und deswegen habe ich gesagt, hier sieht es so aus, als trete zum ersten Mal die Tendenz in Erscheinung [phon.], andere Personen verantwortlich zu machen.“ Borchert: „Habe ich Sie richtig verstanden, dass Frau Zschäpe ihre Mutter verantwortlich machen soll? Woraus schlussfolgern sie das? Aus ihrer Erklärung?“ Saß: „Ich habe überhaupt nicht von Schuld gesprochen. Zum anderen habe ich einfach eine denkbare Interpretation genannt für den genannten Sachverhalt, dass die so genannten kleineren Diebstähle und Geldknappheit, dass die Mutter ihr keine Geldmittel gegeben habe, in einen engen Zusammenhang gerückt hat.“ Borchert: „Gäbe es denn eine andere Interpretation?“ Saß: „Das kann ja jeder von uns selber in seinem Kopf ausmachen. Ich denke, ja.“ Borchert: „Also ist eine andere Interpretation möglich als Ihre, nämlich die Außenverlagerung auf die Mutter?“ Saß: „Es gibt zu vielen Dingen, die ich ausgeführt habe, auch andere Interpretationsmöglichkeiten.“ Borchert: „Sind Sie darauf eingegangen? Stellen wir es zurück, da komme ich schon noch drauf.“ Saß: „Vielleicht wenn ich gerade noch ergänzen darf: Ich habe an anderer Stelle ausgeführt, dass es sich bei den Dingen, die ich im Gutachten bringe, zum größten Teil nicht um unumstößliche Fakten handelt, sondern um Interpretationen [phon.].“

Borchert: „Seite 16. Da führen Sie aus: ‚Frau Zschäpe hat sich in ihrer Selbstdarstellung ähnlich geäußert, wobei allerdings aus psychiatrischer Sicht auffällt, wie nüchtern, sachlich, emotionsarm und unpersönlich ihre schriftliche Schilderung wirkte.‘ Von welcher Selbstdarstellung gehen Sie aus?“ Saß: „Im Grunde gehe ich von allen aus, die in schriftlicher Form vorgelegt wurden und auch von der einen kurzen, die auch mündlich abgegeben wurde.“ Borchert: „Sie hat sich u.a. bei den Opfern und Angehörigen entschuldigt. Wenn Sie dieses als sachlich und nüchtern bezeichnen, was hätten Sie denn erwartet von Ihr gegenüber den Opfern? In welcher Form hätte das denn geschehen sollen, damit Sie es nicht als nüchtern, sachlich und emotionsarm bewerten?“ Saß: „Ich weiß nicht, ob es hier um meine Erwartungen geht, aber man kann sich sicherlich ein breiteres Spektrum von emotionaler Begleitung einer Aussage vorstellen oder von Beschreibungen, als es bei der mündlichen, aber auch in den schriftlichen Erklärungen geschehen ist. Der Eindruck, den ich gewonnen habe, ist so, wie ich es im Gutachten ausgeführt habe.“

Borchert: „Haben Sie dabei berücksichtigt, dass die Formulierungen von den Anwälten vorgeschlagen und zu Papier gebracht wurden, wie Frau Zschäpe es selber auch ausgeführt hat, um Missverständnisse zu vermeiden, so dass eine sachliche, emotionsarme Sicht geschildert wurde. Man kann ja auch emotionsvoll etwas schildern und sich auch den Vorwurf der Heuchelei einhandeln. [phon.]“ Saß: „Dieses ‚emotionsvoll‘ brauche ich nicht zu berücksichtigen [phon.], weil es ja nicht stattgefunden hat. Ich habe gesagt: ‚wirkt‘ sachlich und emotionsarm‘. Nicht ‚ist‘ es, ‚wirkt‘ es. Ob das darauf zurückzuführen ist, dass die Verteidiger diese Worte gewählt [phon.] haben, ist mir nicht bekannt.“ Borchert: „Sie hat es doch selber vorgetragen.“ Saß: „Sie hat es zu ihren eigenen Worten gemacht auf Nachfrage. Insofern sind es ihre Erklärungen. Und ich habe gesagt, wie sie wirken.“ Borchert: „Welche Schlussfolgerungen können Sie denn ziehen, wenn Sie unterstellen, dass diese Formulierungen ausschließlich auf Rat der Anwälte erfolgt sind? Welche Rückschlüsse ziehen sie dann?“ Saß: „Einen Rückschluss kann ich mangels Erkenntnis über das innere Erleben von Frau Zschäpe nicht ziehen. Ich kann nur sagen, dass das, was mir hier bekannt wurde, so wirkte, wie es hier dort steht. Ob es innerlich ganz anders aussähe, ist mir, so weit ich es sehen kann, nicht bekannt geworden aus dem so genannten Inbegriff der Hauptverhandlung, einschließlich der Erklärungen. Denkmöglich ist natürlich auch da vieles.“ Borchert: „Damit ist diese Frage für mich schon beantwortet.“

Borchert zitiert, dass im Gutachten stehe, dass Angaben zu Sozialkontakten Zschäpes gemacht habe. Borchert: „Ist das, was der Zeuge Stefan Apel ausgesagt hat in Bezug auf Frau Zschäpe, übertragbar auf die Zeit im Untergrund?“ Saß: „Das weiß ich nicht. Er beschreibt ja Verhaltensweisen, und ob die im Untergrund stattgefunden haben, ist mir nicht bekannt, also ob sie etwa auf Partys gegangen sei. Das was aus den Verhaltensbeschreibungen an Persönlichkeitseigenschaften nahegelegt wird, da gehe ich davon aus, dass sie sich auch in späterer Zeit nicht grundlegend geändert haben, die Persönlichkeitseigenschaften. Die weisen eine Stabilität auf. Grundzüge der Persönlichkeit bleiben nach aller Erfahrung vom frühen Erwachsenenalter her relativ stabil.“ Borchert: „Stimmen Sie mir zu, dass ein Leben in Freiheit mit einem Leben im Untergrund nicht vergleichbar ist? Es hat sich ja auch im Rahmen der Hauptverhandlung ergeben, dass sie sich nicht nur den Mitbewohnern in den Häusern, ich sage mal, verstellt gegeben hat, sondern auch den Bekanntschaften im Urlaub. Kann man dieses Verhalten übertragen auf das Verhalten vor dem Leben im Untergrund, ist das eins zu eins übertragbar?“ Saß: „Also in meinen Ausführungen war, glaube ich, nichts darüber enthalten, dass es vor dem Abtauchen Verstellung gegeben habe. Verstellung ist ein Verhalten, was von situativen Umständen und den Zielen, die man hat, abhängt. Für die Zeit vor dem Untertauchen ist nichts zu erkennen, was mit Verstellung zu tun hat. Abgesehen vielleicht manchem gezielten Verhalten bei der einen oder anderen Vernehmung, wo man etwas anders angibt.“

Borchert: „Ich habe die Frage deshalb gestellt, weil Sie sich ja intensiv mit der Aussage Stefan Apels auseinandersetzen, aber der hat keine Aussagen zum Verhalten während des Untertauchen machen können [phon.].“ Saß: „Sie haben vielleicht wahrgenommen, dass sich das im im Abschnitt meines Gutachtens zu Biografie und früher Entwicklung befindet. Ich habe das chronologisch aufgebaut, mit der frühen Jugend begonnen, gehe dann chronologisch weiter. [phon.] Stefan Apel ist vor allem wichtig für die Jugendzeit.“ Borchert: „Dann komm ich zu meiner nächsten Frage: Sie befassen sich auf den Seiten 18 folgende mit Aussagen Christian Kapkes, André Kapkes und der Zeugin [Jana] J. und da habe ich folgende Frage zu. Zunächst ein Vorhalt. Soweit ich informiert bin, hatten Christian und André Kapke über viel längere Zeit Kontakt zu Frau Zschäpe als die Zeugin J. Jetzt setzen Sie sich intensiv mit der Zeugin J. auseinander, obwohl die Frau Zschäpe nur zwei oder drei Mal gesehen hat. Haben Sie verschiedene Schwerpunkte gesetzt bei den Auswertungen der Zeugenaussagen?“ Saß: „Also ich habe versucht aus den Aussagen der Zeugen, die Frau Zschäpe gekannt haben und mit ihr Umgang hatten damals, solche Teile herauszuziehen [phon.], aus denen man Informationen über ihr damaliges Verhalten, ihren Umgang mit Kontakten [phon.] und vielleicht auch Persönlichkeitseigenschaften ziehen konnte. Da habe ich aus den Aussagen das exzerpiert, was mir relevant erschien. Und da war die Zeugin J. in meinen Augen, die Angaben von ihr, durchaus informativ.“

Borchert: „Haben Sie eine Gewichtung vorgenommen bei Zeugen, die unterschiedlich lang Kontakt zu Frau Zschäpe hatten?“ Saß: „Ich habe mich daran orientiert, was für die von mir genannten Aspekte von den jeweiligen Zeugen zu gewinnen war.“ Borchert: „Sie haben die Aussage des Zeugen Ku. zur Kenntnis genommen. Sie haben ihn in Ihrem Gutachten auch an zwei Stellen erwähnt. Haben Sie dessen Aussagen auch berücksichtigt im Bezug auf Äußerungen Frau Zschäpes zu ihrer Einstellungen zur rechtsradikalen Szene?“ Saß: „Ich weiß nicht, auf welche Äußerungen Sie jetzt anspielen.“ Borchert: „Dann sage ich Ihnen das.“ Borchert hält Saß vor, dass Ku. laut dessen Vernehmungen in der Verhandlung und bei der Polizei angegeben habe, dass Zschäpe ihm gesagt habe, er solle sich von der rechten Szene fernhalten. Saß: „Ich erinnere mich an diese Passagen.“ Borchert: „Sie haben den Zeugen erwähnt, aber ich kann nicht erkennen, dass sie ihn berücksichtigt haben in Ihrem Gutachten.“ Saß: „Die Frage wäre ja, ob die damals gemachte Äußerung ein Hinweis darauf ist, dass eine innere Distanzierung von der rechten Szene stattgefunden hat. Und das zu beurteilen ist eigentlich nicht in Gänze meine Sache. Aber wenn man die damaligen Lebensumstände und das weitere Verhalten ansieht, dann finde ich das kein belastbares Indiz dafür, dass mit der rechten Szene gebrochen wurde.“

Borchert: „Das beantwortet meine Frage nicht, wieso Sie das in ihrem Gutachten nicht berücksichtigt haben.“ Saß: „Es gibt sicher viele Dinge, die ich nicht berücksichtigt habe aus dieser gesamten Hauptverhandlung. Ich habe versucht, diejenigen Dinge zu berücksichtigen, die für meine Beurteilung von Bedeutung sind. Man könnte das ausführen, ob das ein Beleg für eine Bruch mit der rechten Szene ist. [phon.] So habe ich es nicht eingeschätzt. Hätte ich es getan, hätte ich es im Gutachten genannt.“ Borchert: „Sie erwähnen selber den Zeugen Ku.“ Saß: „Ich habe nicht von allen Zeugen, die ich erwähne, alles berücksichtigt, was von ihnen ausgesagt worden ist. Und den Grund dafür habe ich Ihnen genannt.“ Borchert: „Nein, eigentlich nicht.“ Saß: „Ich habe gesagt, wenn ich es als gewichtiges Indiz für einen Bruch mit der rechten Szene angesehen hätte, hätte ich es erwähnt.“ Borchert: „Dann erklären Sie es doch bitte näher! Sie sagt einem Zeugen, er solle sich von der rechten Szene fernhalten. Sie sagt aus freien Stücken heraus: ‚Halt dich von der rechten Szene fern!‘ Und das ist nicht relevant für Ihr Gutachten, das ist für Sie ohne Bedeutung?“ Saß: „Ich habe das schon ausgeführt. Ich habe das nicht als einen belastbaren Hinweis dafür angesehen, dass Frau Zschäpe mit der rechten Szene gebrochen hat, u.a. deswegen, weil sie damals ja ein Leben geführt hat, das nicht mit der rechten Szene gebrochen hat, was sie selbst betrifft. Ob sie anderen so etwas rät, ist nicht relevant, zumal der Zeuge noch sehr jung war. [phon.]“

Borchert: „Ist Ihnen in Erinnerung, wann dieses Gespräch mit Ku. war?“ Saß: „Die Jahreszahl habe ich jetzt nicht im Kopf.“ Borchert: „Ich frage das mit Blick auf die Anklageschrift, für welchen Zeitraum die Mordvorwürfe gemacht werden, und die Zeit der Äußerungen Ku.s, das lässt ja Rückschlüsse zu.“ Saß: „Vielleicht nennen Sie mir Ihre Rückschlüsse.“ Borchert: „Nein, ich frage Sie!“ OStA Weingarten: „Um diesen Vorhalt zu stellen, müsste der Rechtsanwalt Borchert den Zeitpunkt schon benennen, damit der Sachverständige das einpflegen kann.“ Borchert: „Muss ich nicht. Genau das Gegenteil. Ich will wissen, ob der Sachverständige den Zeitpunkt hat und das berücksichtigt hat. [phon.]“ Saß: „Es muss, wenn ich das zu rekonstruieren versuche – aber da kann ich mich irren [phon.] und bitte um Hinweis – in der späten Polenzstraßenzeit gewesen sein, also zu einer Zeit, wo durchaus schon einige der von Ihnen benannten Vorfälle stattgefunden haben.“ Borchert: „Und könnte das Auswirkungen auf die psychiatrische Beurteilung der Mandantin haben?“ Saß: „Für mich nicht, weil ein Ratschlag an ein Kind oder einen jungen Mann – ich weiß gar nicht, wie alt der war – und das eigene Verhalten zwei verschiedene Dinge sind. Und angesichts der dann weiter geführten Lebensweise kann ich nicht erkennen, dass ein Bruch mit der rechten Szene stattgefunden hat.“ Borchert: „Das darf ich so zur Kenntnis nehmen.“

Borchert hält aus dem Gutachten vor, dass in der Erklärung von Zschäpe die Beziehung zu Mundlos „recht kühl und unpersönlich“ abgehandelt werde, auch das Verhältnis zu Böhnhardt, das sie an einigen Stellen als Liebe bezeichnet habe, werde von ihr ansonsten nicht in „tieferer, differenzierter oder gefühlsbezogener Weise“ geschildert; der Ausdruck „blinde Liebe“ in der Erklärung vom 10.01.2017 wirke „recht floskelhaft und pauschal“. Borchert: „Welche Formulierung hätten Sie als Gutachter und Sachverständiger denn erwartet in Bezug auf ihr Verhältnis zu Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, wenn nicht so wie geschildert. Sie ist ja keine Literaturkritikerin. Was hätten Sie denn erwartet?“ NK-Vertreter RA Narin beanstandet die Frage; der SV solle zu Spekulationen angeregt werden: „Was er erwartet hätte. Das so zusammenzuschustern, wie es der Verteidiger geschustert hat, das kann doch keine Rolle spielen!“ Borchert: „Den Ausdruck ‚Schustern‘ weise ich zurück.“ Götzl: „Das andere wäre ja die Frage, dass Sie den Sachverständigen zur Spekulation auffordern.“ Borchert: „Nein. Meine Frage ist, wie Sie es denn anders hätte darstellen sollen aus psychiatrischer Sicht, um es plausibel zu machen.“ Weingarten: „Verteidigerfreundlich formuliert würde ich jetzt sagen, wenn man das sachlich formuliert: Der Sachverständige hat keine Liebeserklärung vorzuschlagen, die Frau Zschäpe hätte abgeben können. Ich vermute aber den Gehalt in der Frage, dass er vom Sachverständigen erfahren will, an welcher emotionalen Schilderung es denn gemangelt hätte. So wäre es zulässig. Formulierungsvorschläge zu machen, da hat Rechtsanwalt Narin recht, ist nicht Aufgabe des Sachverständigen, das wäre nicht zulässig.“

Narin: „So wie es Herr Weingarten interpretiert hat, kann man die Frage akzeptieren. Aber das geht in den hochspekulativen Bereich. Was der Sachverständige erwartet, kann keine Rolle spielen. Er geht von den Tatsachen aus.“ Götzl fragt, ob Borchert das neu formulieren wolle oder ob das so gemeint sei, wie es von Weingarten formuliert wurde. Borchert: „So ist es gemeint.“ Saß: „Ich möchte in dem Zusammenhang darauf hinweisen, dass es von Frau Zschäpe nicht nur die Formulierungen gibt, die ich als recht kühl und unpersönlich bezeichnet habe, sondern etwa auch im Brief an Robin S. ganz andere Formulierungen mit sprachlicher Kompetenz, einfallsreichen Schilderungen gibt. So dass man nicht sagen kann, es ist ein Problem des Sprechvermögens oder des Formulierungsvermögens, sondern möglicherweise der Kontrolliertheit möglicherweise durch sich selbst oder die Verteidiger. Ich habe nur festgestellt, wie die Formulierungen auf mich wirken.“

Borchert: „Dann möchte ich zum Brief an Robin S. springen. Ist Ihnen bekannt, dass diese Formulierung im Brief an Robin S. und die Bilder, die nachgezeichnet wurden, dass die aus einer Karte entnommen sind, die man aus dem Internet laden kann. Sprich die Formulierung stammt von einem Vordruck, ist das bekannt?“ NK-Vertreter RA Scharmer beanstandet, dass Borchert sagen müsse, woher er das hat. Götzl sagt, das treffe zu, das sei nicht Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen. Borchert: „Ich gebe Ihnen insofern Recht, dass ich es nicht wissen kann, weil ich nicht immer in der Hauptverhandlung war. [phon.] Dann gebe ich für die Mandantin an dieser Stelle die Erklärung ab, dass die Formulierungen aus dem Internet stammen, und auch die Zeichnungen. Die Formulierung ‚Ach, du mein Sonnenschein‘ … [phon.]“ Götzl unterbricht und sagt, dass Borchert nicht so schnell vortragen solle, denn es handele sich ja jetzt um eine Einlassung von Zschäpe. Borchert: „Ich hätte die an den Schluss meiner Fragen gestellt, aber möchte sie jetzt aufgreifen.“ Götzl: „Ich möchte Sie bitten, dass Sie es nicht so schnell vorlesen!“

Borchert: „Ich gebe jetzt die Erklärung dazu ab, dass die Mandantin mit Blick auf diesen Brief die von Ihnen zitierten Worte einem Vordruck aus dem Internet entnommen hat, wo die Ausdrücke zitiert sind: ‚Sonnenschein‘, ‚Muße‘, dann ‚Schreibgerät‘, 'schmerzlicher Schluss‘, ‚Schokoschnäuzchen‘, dass diese aus einer Karte stammen, die dem Internet zu entnehmen ist, und dass diese Zeichnung, die im Brief enthalten ist, ebenfalls von dieser Karte abgezeichnet wurde. [phon.]“ Zschäpe-Verteidiger RA Grasel: „Bei dieser Zeichnung handelt es sich um die Ente.“ Götzl: „Frau Zschäpe, ist das zutreffend, ist das Ihre Erklärung?“ Zschäpe antwortet persönlich: „Die Worte, die der Sachverständige aufzählt, sind nicht meine eigenen Worte. ‚Muße‘ und drei weitere Beispiele, die sind nicht von mir.“ RA Scharmer: „Ich hatte das beanstandet. Aber dann jetzt die Rückfrage, woher Frau Zschäpe in der Untersuchungshaft mit den Auflagen dieses Verfahrens Internetzugang hat.“ Zschäpe-Verteidiger RA Stahl beantragt, für fünf bis zehn Minuten zu unterbrechen, man habe Beratungsbedarf. Götzl: „Worum geht es denn? Geht es um die Einlassung?“ Stahl: „Den Beratungsbedarf werde ich nicht erläutern. Wir haben jetzt dringenden Beratungsbedarf.“ Götzl: „Wie lange?“ Stahl: „Zehn Minuten.“ Götzl: „Dann unterbrechen wir bis 45.“

Um 11:43 Uhr geht es weiter. Götzl: „Dann setzen wir fort.“ Stahl: „Vielen Dank.“ Götzl: „Soll denn von Ihrer Seite noch etwas ergänzt werden hinsichtlich der Nutzung des Internets?“ Borchert: „Um Missverständnissen vorzubeugen: Frau Zschäpe hat natürlich keinen Internetzugang. Ich habe auch nicht behauptet, dass sie die Zeichnung heruntergeladen hat. Ich habe nur gesagt, dass es herunterladbar ist. Das ist ihr zugeschickt worden, ganz normal über die Postkontrolle.“ Götzl: „Ist das zutreffend, Frau Zschäpe?“ [Vermutlich nickt Zschäpe.]

Borchert zitiert aus dem Gutachten, dass „blinde Liebe“ in der Regel nicht über Jahrzehnte bestehe. Borchert: „Da ist jetzt meine Frage dazu: Gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse dahingehend, dass ‚blinde Liebe‘ in der Regel nicht über Jahrzehnte besteht?“ Saß: „Ich überlege gerade, welche Disziplin für Liebesforschung zuständig ist. Also, der Ausdruck ‚blinde Liebe‘, den ich in Anführung gesetzt habe, legt ja nahe, dass a) Liebe besteht und b) Blindheit, also eine Einschränkung der Realitätswahrnehmung und der Urteilsfähigkeit durch blinde Liebe. Meine Aussage soll dahin gehen, dass es sicherlich Zeiten der Verliebtheit gibt, in der die vernünftige Urteilsbildung beeinträchtigt ist, dass aber nach allgemeiner Erfahrung und psychiatrischer Erfahrung das nicht über Jahrzehnte andauert. Damit meine ich die Zeit des Kennenlernens von Herrn Böhnhardt bis 2011.“ Borchert: „Sie sagen ‚in der Regel‘, worauf stützt sich das, ist das Ihre eigene Lebenserfahrung oder worauf stützt sich diese Ausführung?“ Saß: „Das stützt sich auf meine psychiatrische, psychotherapeutische Berufserfahrung. Ich habe auch andere Erfahrungen, aber die lasse ich hier jetzt weg.“ Borchert: „‚In der Regel‘. Schließt das denn aus, dass blinde Liebe so lange möglich ist?“ Saß: „Denkmöglich wäre das, Herr Borchert.“

Borchert fragt, was Saß mit der Formulierung meint, dass über die Jahre „vieles offen“ geblieben sei. Saß: „Zum einen meine ich, dass die Informationsdichte darüber, wie man zusammengelebt hat in der Dreierkonstellation oder eventuell mit Personen außerhalb der Dreierkonstellation, diese Informationsdichte nicht sehr groß ist. Ich beziehe mich darauf, dass die Urlaubsbekanntschaften etwa keine so enge Liebesbeziehung zwischen Frau Zschäpe und Herrn Böhnhardt geschildert haben. Außer in dem einen Jahr; ich habe das ja geschildert. Und auch später, von den Wohnungsnachbarn wurde ja nicht wahrgenommen, zum einen, dass man ständig zusammen war, und zum anderen, dass zu einem Partner eine besonders intensive Beziehung bestand.“ Borchert: „Wären aus Ihrer Sicht weitere Details zu erwarten gewesen?“ Saß: „Wenn es Explorationsergebnisse gegeben hätte oder weitere Schilderungen von Zeugen, dann wäre eine bessere Interpretationsgrundlage da, um die Intensität der Beziehung Zschäpe und Böhnhardt zu beurteilen.“ Borchert: „Sie führen weiter aus, dass die Schilderungen Frau Zschäpes zu Herrn Böhnhardt ambivalent seien. Sie charakterisieren ihn als zu Tätlichkeiten neigend. Ist so eine solche ambivalente Beziehung ungewöhnlich oder kommt die öfter vor?“ [phon.] Saß: „Ich würde sagen, das kommt immer mal vor.“ Borchert: „Ist es deshalb ungewöhnlich? Weil Sie es besonders hervorheben im Gutachten.“ Saß: „Ich hebe das nicht besonders hervor. Ich konstatiere das und beschreibe die Züge in beide Richtungen. Man könnte noch hinzufügen: Der Ärger, wie sie reagiert hat im Hinblick auf die Tötungshandlungen, auch das belegt eigentlich, dass der Begriff ‚blinde Liebe‘ nicht geeignet ist, um die Gesamtheit der Beziehung zu charakterisieren.“ Borchert: „Haben Sie die Ausführungen so verstanden, dass die Beziehung ausschließlich aus ‚blinder Liebe‘ bestand?“ Saß: „Nein.“

Borchert: „Auf Seite 21 führen Sie aus: ‚Ein solches Verhalten kann für ihre starke Bindung an Uwe Böhnhardt sprechen.‘ – gemeint ist die Garage – „Möglich erscheint aber auch, dass es sich um eine Kaschierung anderer Beweggründe durch die Konstruktion einer mehr oder weniger plausiblen Version gehandelt hat.‘ Ist das eine Hypothese oder eine Spekulation ihrerseits?“ Saß: „Es ist genau so gemeint, wie es ausgedrückt ist. Es erscheint zumindest mir möglich, dass es auch andere Beweggründe gegeben hat.“ Borchert: „Haben Sie da an bestimmte Beweggründe gedacht oder ist das nur so pauschal formuliert?“ Saß: „Also ich habe bei vielen meiner Formulierungen eine ganze Reihe von Gedanken, die nicht alle in die Formulierung Eingang finden, aber zur Formulierung dann beitragen, die im Gutachten steht.“ Borchert: „Sie gehen auf die Formulierung 'nationalistisches Gedankengut‘ ein, die Frau Zschäpe gewählt hat, Seite 22 oben, und äußern sich dann dazu auch mit Blick auf ‚rechtsradikales Gedankengut‘. Sehen Sie da einen Widerspruch oder ist das ähnlich oder gleich?“ Saß: „Für mich ist ‚rechtsradikal‘ noch stärker ausgeprägt als 'nationalistisch‘. Also zumindest in meinem Verständnis ist so eine Reihe denkbar: national, nationalistisch, rechtsradikal. Vielleicht liege ich da ja falsch, aber so ist es gemeint von mir.“ [phon.] Borchert: „Verstehe ich Sie richtig: nationalistisches Gedankengut ist Teil rechtsradikales Gedankenguts, nur abgemildert?“ Saß: „Für mich ist rechtsradikal, durch den Begriff ‚radikal‘, noch radikaler als nationalistisch. Aber das sind Nuancen. Was ich ausdrücken wollte, ist, dass mir der Begriff 'nationalistisch‘ etwas zu euphemistisch, zu positiv umschrieben ist.“ Borchert: „Haben Sie das wissenschaftlichen Ausführungen entnommen oder dem Internet? Woraus schlussfolgern Sie das?“ Saß: „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass das mein Verständnis ist. Und dass das keine harte wissenschaftliche Formulierung ist, geht aus der Formulierung ‚wohl etwas euphemistisch‘ hervor. Deswegen ist das keine Formulierung, die Anspruch auf politologische oder sonstige Wissenschaftlichkeit erhebt.“

Borchert: „Seite 22 unten: ‚Wenn Frau Zschäpe formulierte, man könne sagen, ohne wären diese ganzen Unternehmungen nicht möglich gewesen, so findet sich hier erneut die Tendenz, auf eine Außenverursachung hinzuweisen.‘ Wie meinen Sie das?“ Saß: „Eigentlich so wie es da steht. Die Tendenz habe ich an verschiedenen Beispielen ausgeführt. Ich habe, was Sie aufgegriffen haben, die Erklärung für die kleinen Diebstähle erwähnt, an anderer auch anderes: dass der rechtsradikale Schmuck an der Wand von Uwe Böhnhardt stamme, die Stelle mit der Garage. Ich habe nicht alles im Kopf, aber so vier, fünf Gesichtspunkte dafür führe ich an.“ Borchert: „Ist mir bekannt. Ist es in dem Sinne gemeint, dass Frau Zschäpe dazu neige zu behaupten, das was an Fakten passiert ist, beruht nicht auf ihren eigenen Aktivitäten, sondern auf Aktivitäten Dritter?“ Saß: „Das ist jetzt nicht meine Formulierung. Aber wenn ich von der Tendenz spreche, zu externalisieren, dann geht es in diese Richtung, ja.“ Borchert: „Wird damit nicht zum Ausdruck gebracht, dass für Handlungen eine gewisse Verantwortlichkeit verschoben wird?“ Saß: „Ich habe nicht mitgekriegt, was Sie fragen wollen.“ Borchert: „Sie sprechen von Außenverursachung. Das lässt doch den Gedanken näher treten, dass man Verantwortung Dritten zuschiebt.“ Saß: „Zumindest teilweise in äußeren Umständen oder dritten Personen sieht, ja.“ Borchert: „Zu Tino Brandt hat Frau Zschäpe ausgeführt, ohne sein Geld hätten Aktionen nicht stattgefunden, Plakatierungen usw. Unterstellen Sie, dass das so zutrifft? [phon.]“ Saß: „Das zu beurteilen, ist nicht meine Aufgabe, aber ich bin davon ausgegangen, dass da was dran ist, ja.“

Borchert: „Ich komme auf Blatt 23 zurück, oben, erste Zeile: ‚Persönliche Anteile an den potentiell gefährlicheren Aktionen, die nach und nach geplant und durchgeführt wurden, hat Frau Zschäpe weitgehend im Dunklen gelassen.‘ Meine Frage dazu: Sind Ihnen weitere gefährliche Aktionen bekannt? Das legt ja nahe, dass es weitere Aktionen gab.“ Saß: „Es sind ja weitere Handlungen, die in der Gruppe der rechten Szene damals gemacht worden sind, hier im Verfahren behandelt worden. Und Frau Zschäpe hat sich hier nicht ausführlicher dazu geäußert, sondern lediglich diese mit Schwarzpulver präparierten Briefen eingeräumt.“ Borchert sagt, seine Nachfrage sei, was Zschäpe im Dunklen gelassen habe. OStA Weingarten beanstandet die Frage als Wiederholungsfrage: „Das ist doch Gegenstand der Ausführungen des Sachverständigen bereits gewesen, auf welche Aktionen er rekurriert und wie er jeweils die Beteiligungsform von Frau Zschäpe einschätzt.“ Saß: „ und Koffer fällt mir jetzt aus dem Stegreif noch ein. Koffer auf dem Theatervorplatz in Jena. Der Puppentorso auf der Autobahn, zeitlich zusammenhängend mit dem Besuch von Ignatz Bubis in Jena.“ Götzl: „Rechtsanwalt Borchert hat bereits gesagt, dass die Frage erledigt ist.“

Borchert: „Sie erwähnen dann erneut ‚Verharmlosung und Verlegung der Verantwortlichkeit nach außen‘. Frau Zschäpe hat sich insofern eingelassen und geäußert und hat ihre Beteiligung dargestellt. Inwiefern hat sie ihren eigenen Tatbeitrag verharmlost?“ Saß: „Dazu haben wir uns doch schon ausgetauscht, worauf ich dieses Nach-außen-schieben und Verharmlosen stütze. Ich habe die Beispiele benannt.“ Borchert: „Die sind abschließend, ja?“ Saß: „Ja, was heißt abschließend? Die Beispiele, die mir jetzt im Kopfe sind, habe ich benannt. Abschließend ist das nicht, nein.“

Borchert: „Auf Seite 26 folgende gehen Sie auf drei Punkte ein, um Charakterisierungen vorzunehmen: Urlaubsbekanntschaften, Hausmitbewohner. Ich will zunächst auf den ersten Punkt eingehen, Seite 26 oben: ‚Als zweiten Bereich von Informationen über die Dreiergruppe gibt es die Berichte der Urlaubsbekanntschaften bei den verschiedenen Campingreisen nach Norddeutschland in den Jahren zwischen 2007 und 2011‘. Warum gehen Sie auf den Zeitpunkt 2007 und 2011 ein. Was war da Besonderes?“ Saß: „Vielleicht ist es irrtümlich von mir, aber das waren nach meiner Erinnerung die Zeiten, in denen die Urlauber dort gewesen waren. Die Zeugen haben sich in den Jahren dort befunden.“ Borchert: „Ich habe deshalb die Frage so gestellt, weil zwischen 2007 und 2011 keine Straftaten angeklagt wurden. Ob Sie deshalb diese Jahre genommen haben.“ Saß: „Nein, nein.“ Borchert: „Sie hatten nicht die Straftaten im Kopf dabei?“ Saß: „Nein. Ich bin davon ausgegangen, dass die Urlaubsbekanntschaften in diesen Zeiten lagen, also dass sie diese Leute dann getroffen haben.“ [phon.]

Borchert: „Dann führen Sie auf Seite 28 unten aus: ‚Hinsichtlich der wahren Interessen und Aktivitäten wurden, soweit erkennbar, erfolgreich die Gebote der Heimlichkeit, des Verbergens, des Verschleierns und des Täuschens eingehalten.‘ Kann man daraus Schlussfolgerungen auf den Charakter insgesamt ziehen, wenn ich im Untergrund verschleiere?“ Saß: „Ich meine, dass man daraus Rückschlüsse auf den Charakter und Charaktereigenschaften ziehen kann, die man aber auch vor dem Hintergrund sehen muss, dass damals im Untergrund gelebt wurde, natürlich.“ Borchert: „Dazu eine Frage, auch wenn sie kritisiert werden könnte: Ist das unter den Umständen des Untergrunds ein normales Verhalten oder ein außergewöhnliches Verhalten aus psychiatrischer Sicht?“ Saß: „Also für Menschen, die sich in dieser Situation befinden, ist das sicherlich das Verhalten, um das man sich bemüht. Mir kommt es darauf an, dass hier offenbar große Fähigkeiten vorliegen, dass sie das gut geschafft haben, da es über eine lange Zeit keine großen Pannen gegeben hat.“

Borchert: „Gibt es dazu wissenschaftliche Erkenntnisse?“ Saß: „Ich denke nein.“ Borchert: „Ist das also wiederum Ihre persönliche Einschätzung?“ Saß: „Das ist meine Einschätzung, die sich allerdings stützt auf langjährige Erfahrungen in forensisch-psychiatrischer Hinsicht und mit Persönlichkeitseigenschaften, die ich seit drei Jahrzehnten sehr intensiv zu bearbeiten versuche.“ Borchert: „Dann führen Sie aus: ‚In ihren schriftlichen Erklärungen bzw. Antworten hat Frau Zschäpe durchgängig die zentrale Rolle der Verstorbenen sowohl für das Untertauchen in das 13-jährige Leben im Verborgenen wie auch für sämtliche Straftaten betont.‘ Sämtliche Straftaten, die der Mandantin vorgehalten werden, können es nicht sein, die Brandlegung.“ Saß: „Richtig.“ Borchert: „Also ein Schreibfehler?“ Saß: „Nein, das ergibt sich aus dem Zusammenhang. Wenn Sie da einen Gegensatz konstruieren wollen, dann räume ich den ein. Im Übrigen ist das im vorletzten Absatz auf Seite 29 genau thematisiert: ‚Ferner hat sie eingehend die schließliche Brandlegung am Ende dieser Periode geschildert, wobei sie auch in diesem Zusammenhang darauf abhob, dass dies der Erfüllung von Wünschen bzw. einem Auftrag der Verstorbenen entsprochen habe.'“

Borchert: „Dann auf Seite 30 Ihrer Ausführungen. Da führen Sie zum einen aus, dass Frau Zschäpe in der Lage war, Dinge zu verdrängen, und auf der anderen Seite auch ein Faktenmensch sei. Ist das ein Widerspruch in Ihren Augen?“ Saß: „Ich habe nicht ausgeführt, dass sie ein Faktenmensch sei, sondern ich habe ausgeführt, dass sie zum Zeugen Bi. gesagt haben soll, sie sei ein Meister im Verdrängen. Dem steht entgegen, dass Sie zum Zeugen Le. gesagt haben soll, sie sei ein Faktenmensch. Dieses Spannungsfeld, das ist ja eine durchaus aktuelle Geschichte. Das habe ich darin ausgedrückt, indem ich weiter ausgeführt habe: ‚Dem stünde allerdings entgegen‘.“ Borchert: „Ist das ein Widerspruch?“ Saß: „Nein, ein absoluter Widerspruch ist es nicht. Aber es ist so, dass die Eigenschaft sich an Fakten zu orientieren, eine ganz andere Eigenschaft als die Eigenschaft, Dinge zu verdrängen oder sich zu täuschen, weil man es nicht wahrhaben will [phon.]. Als Widerspruch habe ich es nicht bezeichnet. Wenn Sie wollen, können Sie den Begriff Ambivalenz heranziehen. Es ist nicht unüblich, dass Ambivalenzen [phon.], unterschiedliche oder widersprüchliche Eigenschaften in einer Person enthalten sind.“

Borchert: „Sie tragen wiederholt vor, die Formulierungen wirken ‚für den psychiatrischen Leser recht formal und unpersönlich. Ganz im Vordergrund stehen ihre eigene Situation, die Kritik am Verhalten der Partner, die Verantwortungszuschiebung nach außen und die sorgfältige Beschreibung von Umständen, die, wenn sie zugrunde gelegt werden, eine entlastende Funktion hätten. Weniger entsteht dagegen der Eindruck einer authentischen Auseinandersetzung mit den abgelaufenen Geschehnissen, mit den Empfindungen der von den Taten betroffenen Personen und ihrer Angehörigen sowie den Konsequenzen für deren Leben.‘ Aus welchen Fakten schlussfolgern Sie das, dass nicht der ‚Eindruck einer authentischen Auseinandersetzung‘ vorliegt?“ Saß: „Das ist das Resümee, was in den vorangegangen Seiten entwickelt wurde. Dass im Vordergrund dieses unpersönlich und formal Wirkende stand, während Beobachtungen, die für eine authentische Auseinandersetzung, eine Erschütterung, ein inneres Aufgewühltsein, starke Betroffenheit sprechen, solche Beobachtungen nicht zu machen waren. Ich räume Ihnen ein, dass das ein Eindruck ist. Das habe ich auch so formuliert.“

Borchert: „Wenn Sie die Begriffe ‚formal‘ und ‚unpersönlich‘ – vor dem Hintergrund, dass das Ausdruck anwaltlicher Beratung war – wenn Sie das unberücksichtigt lassen würden, würde sich an Ihrer Einschätzung etwas ändern?“ Saß: „Sie meinen, wenn ich das Formale und Unpersönliche den Anwälten zurechne?“ Borchert: „Ja.“ Saß: „Dann würde ich immer noch feststellen, dass das was fehlt, weiterhin fehlt: Nämlich Hinweise darauf, dass es Ansätze zu einer authentischen Auseinandersetzung, einer emotionalen Erschütterung, Bewegtheit, Betroffenheit gegeben hat.“ Borchert: „Berücksichtigen Sie wiederum die Tatsache, dass der Angeklagten anwaltlich geraten wurde, keine Erschütterung zu zeigen?“ Saß: „Mit dem Gesichtspunkt habe ich mich im Gutachten ja dezidiert auseinandergesetzt, dass es offenbar hinsichtlich der Wirksamkeit von Angaben [phon.] der Verteidiger im Laufe der Verhandlung eine Änderung gegeben hat, dass man sich entschlossen hat, Angaben zu machen, mit dem Hinzukommen von Herrn Grasel und Ihnen. Von daher reicht die Erklärung ‚ich habe mich auf Anraten der Verteidiger so verhalten‘ in meinen Augen nicht aus. Nach dem Wechsel in der Verteidigung sehe ich nicht, wie dazu noch dieses strenge Verbot bestanden hat, wie es vorher vielleicht bestanden haben mag.“

Borchert: „Berücksichtigen Sie, dass danach die Mordvorwürfe nicht mehr verhandelt wurden und dazu keine Zeugen mehr vernommen wurden? Es ging nicht mehr um diese Vorwürfe, die hätten Emotionen hervorrufen können.“ Saß: „Ja, das habe ich berücksichtigt. Und es ist ja auch weiterhin noch um erhebliche Straftaten gegangen – das ‚erheblich‘ nehme ich weg – um Straftaten gegangen, bei denen es sehr gefährlich zugegangen ist, etwa um die Banküberfälle, mit Schießen usw.“ Borchert: „Frau Zschäpe hat sich ja diesbezüglich mit einer schriftlichen Erklärung an die Betroffenen gewandt. Welchen Wert, welches Ausmaß an persönlicher Betroffenheit messen Sie dieser Erklärung zu, wenn diese nur schriftlich abgefasst wurde, nicht mündlich?“ Saß: „Ich habe doch jetzt schon häufig den Eindruck geschildert, den die schriftlichen Erklärungen machen: Dass sie formal und unpersönlich wirken, nicht mit einer lebhaften inneren Beteiligung und Emotionalität von Frau Zschäpe verbunden waren. [phon.] Für mich ist wichtig, dass Hinweise für eine intensive, authentisch wirkende Auseinandersetzung, vielleicht Umkehr, nicht zu erkennen waren.“

Borchert: „Ist es in Ihren Augen möglich, durch Sätze eine lebhafte Auseinandersetzung schriftlich zu formulieren, bei den Vorwürfen, die hier verhandelt werden? Ihnen ist ja bekannt, wie die Presse hier reagiert und wie die Vertreter der Nebenklage reagieren.“ [phon.] Saß: „Also auf der einen Seite möchte ich darauf hinweisen, dass der Brief an Robin S., wenn er nicht gänzlich aus dem Internet kommt, plastische Schilderungen enthält, die auch Emotionalität erkennen lassen. Wenn Sie sagen, das sei in den Erklärungen nicht der Fall, weil sie von den Verteidigern kamen, dann kann ich das nicht beurteilen. Ich kann nur sagen, was fehlt.“ Borchert: „Sie erwähnten jetzt zum wiederholten Mal den Brief an Robin S. aus einer Gefangenenzelle heraus. Ist Ihnen auch die Stellungnahme des Prof. Nedopil bekannt?“ Saß: „Ja.“ Borchert: „Würde, wenn diese Stellungnahme hier in den Prozess eingeführt würde, würde sich dann etwas ändern in Bezug auf emotionale Regungen der Mandantin?“ Saß: „Ich denke nein. Ich habe das schon im Hinterkopf gehabt und habe versucht, das anzudeuten, was daraus für die hiesigen Fragestellungen relevant ist: die Anspannungen, die Belastungssituation, das was zu einer psychischen Belastung bei Frau Zschäpe geführt hat, dass das zu psychovegetativen Störungen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen usw. geführt hat, was im Begriff der Belastungsreaktion gefasst ist. Ich habe das schon berücksichtigt, glaube aber, dass es nicht zu einer wesentlichen Änderung der Ausführungen führt. Ich habe das auch geschrieben.“ Borchert fragt, an welcher Stelle. Saß blättert und nennt dann die Seite 33.

Saß: „Da steht: ‚Das Ausmaß an Anspannung kam im Frühjahr 2014 eher indirekt zum Vorschein mit möglicherweise als psychovegetativ einzuordnenden Schwankungen im gesundheitlichen Befinden, was zu einer externen psychiatrischen Untersuchung zur Frage der Verhandlungsfähigkeit durch Herrn Prof. Dr. Nedopil und sodann für einige Monate zu einer reduzierten Frequenz der Verhandlungstage führte‘. Also da habe ich durchaus in Rechnung gestellt, dass das Verfahren und auch die Verteidigersituation – das hat Frau Zschäpe ja auch in ihren schriftlichen Erklärungen genannt – zu einer erheblichen Belastung durch emotionale Anspannung geführt haben.“ Borchert: „Können Sie Rückschlüsse auf das Ausmaß der emotionalen Anspannung ziehen? Und wenn das so ist, hat das nicht doch Auswirkungen auf Ihre Gutachtenerstattung, was die emotionale Seite der Frau Zschäpe betrifft, dass sie sehr wohl vom Verlauf der Verhandlung, von der Art und Weise der Zeugenvernehmungen und Reaktionen belastet war bis zu dem Punkt, dass sie körperlich am Rande der Verhandlungsunfähigkeit war?“ Saß: „Im Großen und Ganzen würde ich dem zustimmen. Ich würde es anders formulieren, aber das ist sicherlich ein Hinweis, dass das damals eine sehr belastende Zeit war und sozusagen psychosomatische Konsequenzen gehabt hat. Worin die Belastung bestanden hat, muss man dann überlegen. Thematisiert wurde sehr stark, dass das mit der kämpferischen Auseinandersetzung mit den Verteidigern zu tun hatte und damit, schweigen zu müssen.“ Borchert: „Wir haben an diesem Punkt Rückfragen an die Mandantin und ich muss um eine Pause bitten.“ Götzl: „Jetzt ist eh Zeit für die Mittagspause. Unterbrechen wir und setzen um 13:30 Uhr fort.“

Um 13:33 Uhr geht es weiter. Götzl: „Dann setzen wir fort. Wir waren bei Ihnen, Herr Rechtsanwalt Borchert.“ Borchert: „Ich möchte meine Befragung fortsetzen anhand der Ausführungen, die schriftlich niedergelegt wurden.“ Dann zitiert Borchert aus der schriftlichen Ausfertigung des Gutachtens von Saß. Borchert: „‚Vorherrschend war der Eindruck, wie sehr die Angeklagte um Selbstkontrolle und sachlich-kühles Verhalten bemüht war, während über Gefühlsregungen, tiefere Empfindungen und inneres Erleben nahezu nichts offenbar wurde. Es gab allerdings auch immer wieder Passagen mit einer gewissen Lockerheit und Erheiterung bei entsprechenden Gelegenheiten. Eine durchgängige Bedrücktheit durch die Gesamtsituation ließ sich hingegen nicht beobachten.‘ Dazu meine Frage: In welcher Form sehen Sie eine durchgängige Bedrücktheit anhand von, ich sage mal, äußeren Begebenheiten von Frau Zschäpe, woran machen Sie eine ‚durchgängige Bedrücktheit‘ fest?“ Saß: „Ich habe ja bei den methodischen Vorbemerkungen etwas zur Psychomotorik gesagt. Zur Psychologie [phon.] gehört, dass man aus der Mimik, Gestik, Körperhaltung versucht, Rückschlüsse auf das Befinden zu ziehen. Und eine Bedrücktheit, eine Niedergeschlagenheit lässt sich für den insoweit geschulten Beobachter an diesen Merkmalen in der Gestik, Mimik, Körperhaltung absehen, eben an der Psychomotorik erkennen. Ja, ist so, Herr Stahl.“ Borchert fragt, ob Saß das „durchgängig“ erklären könne. Saß: „Es gab ja, wie ich geschildert habe, durchaus Änderungen, Zeiten, wo es Frau Zschäpe nicht so gut ging. Was eben geschildert wurde, die psychovegetative Störung, die Anspannung, die Beschwerden, die Auseinandersetzung über die Verteidiger, die Anweisung des Schweigens, das war in der Psychomotorik auch abzusehen oder zu erkennen. Dass es Zeiten gab, die mit Feindseligkeit, Einsamkeit, Abwehr, mit Anspannung, mit Ärger verbunden waren. Natürlich muss man vorsichtig darauf hinweisen, dass es lediglich Eindrücke sind, die sich aus der Beobachtung der Psychomotorik ergeben. Aber das sind wir gewohnt. [phon.] Die Psychomotorik ist ein ganz wesentlicher Informationskanal in der zwischenmenschlichen Kommunikation.“

Borchert: „Haben Sie während der Befragung einzelner Zeugen, Angehörigen, Opfer, Bedrücktheit an der ein oder anderen Stelle feststellen können?“ Saß: „Ich habe durchaus wechselnde Gemütsbewegungen [phon.], soweit es sich von außen beobachten lässt, registriert. Anspannung habe ich vor allem in der Zeit der so genannten Verteidigerkrise beobachtet. Einen sehr angespannten Zustand glaubte ich auch wahrzunehmen an dem Tag, als die Mutter hier kurz war.“ Borchert: „Sie machen Ausführungen in Zusammenhang mit dem Verteidigerwechsel und erwähnen dort wie folgt: ‚Bemerkenswert an diesen streitigen Abläufen erschien, erneut abgesehen von inhaltlichen Aspekten, mit welcher Vehemenz, Entschlossenheit und Konsequenz sie auf Seiten der Angeklagten geführt wurden‘. Sind Ihnen die Voraussetzungen bekannt, unter denen ein Wechsel der Pflichtverteidigung möglich ist?“ Saß sagt, das sei ja Gegenstand der Verhandlung hier gewesen, da habe er zugehört. Borchert: „Und haben Sie auch gehört, dass für den Wechsel der Verteidiger eine hohe Vehemenz erforderlich ist?“ NK-Vertreter RA Behnke: „Die Frage ist nicht korrekt gestellt. Es gab keinen Pflichtverteidigerwechsel.“ Borchert: „Ich meinte einen angestrebten Wechsel.“ Saß: „Das ist eher eine rechtliche Frage als eine an mich. Aber dass die Hürde hoch ist, glaube ich aus dem, was ich hier vernommen habe, auch wahrgenommen zu haben, ja.“

Borchert: „Könnte dies Voraussetzung für eine Vehemenz und Entschlossenheit sein, weil die Hürde so hoch ist? Wie würden Sie das aus psychiatrischer Sicht beurteilen?“ Saß: „Ich verstehe die Frage nicht ganz. Soll damit gemeint sein, das absichtlich ein das Zerwürfnis betonendes Verhalten gezeigt wurde?“ Borchert: „Ich meine nicht, dass sie sich diesbezüglich verstellt hätte, das meine ich nicht.“ Saß: „Also dass die Bedingungen, unter denen Änderungen in der Verteidigerkonstellation zu erreichen sind, zu den Schwierigkeiten und Anspannungen beigetragen haben, erscheint mir gut vorstellbar.“ Borchert: „In diesem Zusammenhang führen Sie aus: ‚Dennoch blieb es in dieser Zeit unverändert bei ihrem Bemühen um ein sehr beherrschtes Ausdrucksverhalten, ohne dass etwa empathische Reaktionen auf potenziell bewegende Zeugenaussagen erkennbar wurden.‘ Welche Zeugenaussagen meinen Sie?“ Saß: „Die konkrete Benennung ist mir jetzt so aus dem Kopf nicht möglich. Ich beziehe mich auf die Eindrücke, die ich in der Hauptverhandlung gewonnen habe.“ Borchert: „Können Sie das nicht eingrenzen?“ Saß: „Wenn ich sage ‚potenziell bewegend‘, meine ich, wenn Verletzungen geschildert wurden, wenn Ängste geäußert wurden, Sorgen um Angehörige von den Zeugen geäußert wurden.“ Borchert: „Aber konkrete Zeugen können Sie nicht benennen, verstehe ich Sie richtig?“ Saß: „Jetzt so extemporierend kann ich keine konkreten benennen.“

Borchert: „Am Ende Ihrer Ausführungen, Seite 34, setzen Sie sich mit dem Verhältnis von Frau Zschäpe mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auseinander: ‚Setzt man dieses Verhalten in Beziehung zu den Angaben von Frau Zschäpe über die Differenzen mit den beiden Uwes, etwa in Hinblick auf das Sich-Stellen und vor allem auf die Tötungshandlungen, so bleibt die Frage, wie plausibel die Schilderungen von Frau Zschäpe sind, wenn sie sich für die damalige Zeit als abhängig und quasi ohnmächtig resignierend beschreibt.‘ Deswegen meine Frage: Wo ist der Widerspruch, wenn sich einerseits die Ohnmacht, die von ihr so beschrieben wurde, auf das Töten von Menschen bezieht, das sie nicht verhindern kann, und Durchsetzungswille andererseits? [phon.] Was ich damit meine ist: Frau Zschäpe hat Ausführungen gemacht, dass sie sich ohnmächtig sah, dass sie die beiden nicht von Tötungshandlungen abhalten konnte. Sie hat nicht gesagt, über welchen Zeitraum dieser Zustand des Resignierens vorlag. Und das, was Sie geschrieben haben, dass es nicht plausibel sei, haben Sie das auf einen langen oder auf eine kurzen Zeitraum bezogen? [phon.]“ Saß: „Ich habe gegenübergestellt das in der Hauptverhandlung zu Tage getretene Verhalten und die von Frau Zschäpe für die Zeit nach der ersten Tötung beschriebene Verfassung als abhängig, ohnmächtig-resignierend. Und das hat sich ja weiter hingezogen auf die Zeit, wo es zu weiteren Tötungshandlungen gekommen ist nach ihren Angaben. Und ich habe das nicht für plausibel gehalten und deswegen gesagt: So bleibt die Frage, wie plausibel das ist.“

Borchert: „Sie werden sich erinnern, dass Frau Zschäpe sich dahingehend geäußert hat, dass sie gegen diese Tötungshandlungen ihrer Freunde war und diese beiden ihr das Versprechen gaben, das nicht weiter zu tun. Und dann, als sie das nicht eingehalten haben, dass sie dann resigniert hat. Sie hat nicht gesagt, auf Jahre hin täglich resigniert. Auf welchen Zeitraum beziehen Sie sich dann jetzt, wenn Sie ein Resignieren erwähnen?“ Saß: „Diese Formulierung sollte eigentlich die Zeit der Tötungsdelikte umfassen. Das ist ja die Hauptfrage, um die es in der Erklärung ging, wo Frau Zschäpe sagte, dass sie sich nicht durchsetzen konnte und dass sie resigniert hat.“ Borchert: „Nehmen Sie Bezug auf Stellungnahmen von Frau Zschäpe, wo von ‚resignierend‘ gesprochen wurde? Meines Wissens nach ist nur eine Stellungnahme dahingehend erfolgt.“ Saß: „Ja, ich gehe davon aus, dass nicht in jeder Stellungnahme von Ohnmacht und Resignation die Rede war.“ Borchert sagt, Zschäpe habe nicht immer wieder gesagt, dass sie wieder resigniert gewesen sei, das habe sich nur auf die Auseinandersetzung bezogen nach dem Versprechen der beiden, wo sie sich nicht habe durchsetzen können, wo sie es trotzdem wieder getan hätten. [phon.] Borchert: „Ändert sich dann was an Ihrer Aussage?“ Saß: „Nein. Man kann dann noch die Überlegung anschließen, ob es nach den übrigen Tötungsdelikten nicht dieses Gefühl der Ohnmacht und Resignation gegeben hat.“

Borchert: „Darf ich Sie so verstehen, dass dieser Zustand nach 2007 nicht mehr bestand?“ [phon.] Saß: „Nein, so dürfen Sie mich nicht verstehen. Dieses ‚abhängig‘ und ‚resignierend‘ [phon.] bezieht sich ja auf die Erklärung, welche Frau Zschäpe abgegeben hat. Das ist zu sehen vor dem Hintergrund der übrigen Informationen, gegen die man das dann halten müsste mit der Abhängigkeit und Ohnmacht.“ Borchert: „Zur Abhängigkeit und Ohnmacht bezüglich Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos: Haben Sie bei den Beobachtungen in der Hauptverhandlung, bei der Kenntnisnahme von Zeugenaussagen Kenntnisse erlangt, in welchem Umfang Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gegenüber Frau Zschäpe dominant waren, also Frau Zschäpe sich nicht mit ihren Vorstellungen durchsetzen konnte?“ Saß: „Na ja, Frau Zschäpe hat ja geschildert, dass etwa durch Uwe Böhnhardt Tätlichkeiten gegen sie ausgeübt wurden. Das würde in die Richtung gehen, von der Sie sprechen, nehme ich an. Dass sie ansonsten von den beiden Partnern in dominanter Weise bestimmt wurde, an eine solche Beobachtung aus der Hauptverhandlung kann ich mich jetzt nicht erinnern. Vielleicht können Sie mir einen Hinweis geben.“

Borchert: „Sie hat z. B. benannt die Geschichte mit den 10.000 DM, die an einen Spielsüchtigen gegeben werden sollten, wo sie sich nicht durchsetzen konnte.“ Saß: „Ja ja, das war eine Gelegenheit, wo es auch zu Tätlichkeiten gekommen sein soll. Das waren drei Gelegenheiten, die genannt worden sind.“ Borchert: „Das sind ja jetzt nur Beispiele. Meine Frage: Gab es sonst noch Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung, dass Frau Zschäpe den beiden grundsätzlich gleichgestellt war in ihrer Dominanz?“ Saß: „Wie gesagt, mir sind nur Frau Zschäpes Erklärungen geläufig.“ [phon.] Borchert: „Mir fällt da noch ein: Vor dem 04.11. waren die beiden im Besitz von 40.000 Euro, wovon Frau Zschäpe nichts wusste gemäß ihrer Einlassung, sie war überrascht davon. Spielt das eine Rolle?“ Saß: „Auf den Gedanken bin ich bisher nicht gekommen. Das müsste man dann überlegen. Aber es waren insgesamt doch ganz erhebliche Geldmittel.“ Borchert: „40.000 Euro plus die Beute.“ Saß: „Ja, aber auch in der Wohnung. Dass das ein Zeichen der Dominanz über Frau Zschäpe sei, darauf bin ich bisher nicht gekommen.“ Borchert: „Und wenn Sie den Gedanken jetzt aufnehmen?“ Saß: „Nein, also tut mir leid, ich kann überhaupt nichts dazu sagen, was diese 40.000 bedeuten sollen, da fällt mir jetzt kein psychiatrischer Aspekt dazu ein. Tut mir leid.“ Borchert: „Haben Sie ansonsten im Rahmen der Hauptverhandlung Feststellungen treffen können, inwieweit die zwei dominant gegenüber Frau Zschäpe waren oder nicht?“ Saß: „Eigentlich habe ich prominente Hinweise dafür, dass die beiden sich dominant verhalten hätten ihr gegenüber, nicht erhalten. Mir fallen zwei Aspekte ein. Das eine ist das Rauchen und das andere ist das Döneressen, wo eine gewisse Missbilligung durch die beiden ausgedrückt worden sein soll. Das sehe ich aber hinsichtlich der Dominanzfrage und dessen, worum es geht – nämlich die Straftaten, die im Untergrund begangen worden sein sollen -, als untergeordnet an, dieses über Döner sprechen oder Rauchen sprechen.“

Borchert fragt, inwiefern Saß als untergeordnet ansehe, dass die beiden die Taten vorher nicht mit Zschäpe besprochen hätten, dass alles hinter ihrem Rücken passiert sei. [phon.] Saß: „In meinen Augen geht auch daraus nichts zum Aspekt der Dominanz hervor, eher, wie die Kommunikation zwischen den dreien verläuft und wer wem was mitgeteilt hat.“ Borchert fragt, ob es für Saß keine Frage der Dominanz sei, wenn sich eine gegen die Tötungen ausspreche und die anderen hinter ihrem Rücken Tötungshandlungen begehen würden. [phon.] Saß: „Nein, Dominanz ist, wenn jemand über mich bestimmt, mir sagt, was ich tun soll. Und falls es so gewesen sein sollte, dass hinter ihrem Rücken, ohne ihr Wissen diese Taten begangen worden sind, dann hat das nichts mit Dominanz zu tun, sondern mit Einweihen und Nichteinweihen.“ Borchert: „Das muss ich dann zu einem späteren Zeitpunkt überprüfen. Aber gut, ich bin nicht der Sachverständige, ich werde sicher nachfragen.“

Borchert schweigt eine Weile, dann sagt er: „Das ist schon beantwortet, deshalb kann ich zur nächsten Frage übergehen. Sie schildern auf Blatt 37, es geht wohl um den viel zitierten Brief und dann schreiben Sie auf Seite 37, 2. Absatz: “Andere Äußerungen betreffen die Empathiefrage, wobei der Eindruck entsteht, dass es in bestimmten Situationen durchaus Empathie gibt, aber offenbar auch die Fähigkeit, diese abzuschalten oder zu kontrollieren.‘ Welche anderen Äußerungen meinen Sie?“ Saß: „Damit ist die Briefstelle gemeint, wo es drum geht, dass ihr eine Gänsehaut über den Rücken läuft, wenn ihr jemand etwas Schlimmes berichtet.“ [phon.] Wieder schweigt Borchert eine Weile. Dann sagt er: „Die anschließend resümierend dargestellten Ausführungen, ist das quasi das Ergebnis dessen, was Sie schlussfolgern und sachverständig beurteilen in Bezug auf diesen Brief, nur auf diesen Brief?“ Saß: „Ja, dieser Absatz bezieht sich auf den Brief, auch der nächste Absatz noch bezieht sich auf den Brief. Wobei ich heute erfahren habe, dass einige Formulierungen aus dem Internet stammen sollen, sie machen aber in einem 26-seitigen Brief nur einen Bruchteil aus. Sonst müsste man mir sagen, wieviel sich auf Internetquellen stützt. Wenn jetzt zwei Drittel oder drei Viertel aus dem Internet stammen sollten, dann müsste ich meine Beurteilung nochmal überdenken. Ich habe das bisher so verstanden, dass das nur die Entenzeichnung und dann die zitieren Äußerungen wie ‚Schokoschnäuzchen‘ und so sind.“

Borchert: „Auf Seite 37 führen Sie aus: ‚Das aus dem Schreiben entstehende Bild spricht gegen die Hypothese einer schwachen, abhängigen, fremdbestimmten und sich resignierend unterordnenden Person.‘ In welcher Stellungnahme bezeichnet sich Frau Zschäpe als schwach, fremdbestimmt?“ Saß sagt, das sei nicht in ihren Worten [phon.], aber das Resignieren und die Abhängigkeit, das nehme er alles aus Erklärungen von Zschäpe. Borchert: „Das ist richtig, aber wir reden doch über einen Zeitraum von vielen, vielen Jahren. Und ich habe doch dargelegt, das Resignieren bezog sich nur auf einen sehr kurzen Zeitpunkt.“ Saß: „Also Sie meinen, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie nur September 2000 meinen und das für die Jahre danach nicht zutreffen soll?“ Borchert: „Nein, natürlich nicht. Wenn ich erfahre, dass meine Freunde Menschen getötet haben, dann bin ich nicht glücklich darüber, wenn ich das nicht gut finde. [phon.]“ RA Narin: „Ich beanstande den Vorhalt, das geht nicht aus der Erklärung Zschäpes hervor, das ist Ihre Interpretation.“ Götzl sagt, man könne das als Alternative betrachten, die abgefragt werde. Borchert: „Herr Vorsitzender, da stehe ich drüber.“ Saß: „Dieses 'schwach‘ und 'sich resgnierend unterordnen‘ [phon.] bezieht sich im Grunde genommen auf den wesentlichen Komplex in diesem Verfahren, die Tötungsdelikte und die Sprengstoffdelikte. Weil das alles Dinge sind, von denen Frau Zschäpe gesagt hat, dass sie damit nicht einverstanden war.“ Borchert: „Der Folgesatz: ‚Hinweise für Brüche in der Entwicklung, eine persönliche Erschütterung oder eine innere Umkehr lassen sich daraus nicht entnehmen.‘ Innere Umkehr wovon? Was meinen Sie damit?“ Saß: „Im Grunde das Einverständnis mit nationalistischen oder rechtsradikalen Handlungen und Gewalttaten, die eine ideologische Fundierung haben.“

Borchert: „Dann beurteilen Sie das genauso wie bei dem Vorhalt der Aussage Ku. von heute morgen, wo sie sich dagegen stellt, warnt vor der rechten Szene?“ Saß: „Zur Aussage Ku. habe ich schon gesagt, dass mir das in dieser Situation nicht als ein belastbarer Hinweis für eine innere Umkehr erscheint. Man muss auch den Kontext betrachten, vor dem das geäußert wurde.“ Dieser Kontext sei, so Saß, ein Zusammenleben mit Menschen im Untergrund, die sehr dezidiert rechtsradikal gedacht und gehandelt hätten, in einem Haus, wo von diesem Rechtsgerichteten möglichst nichts habe bekannt werden sollen. Borchert: „Gegenüber einem 14-Jährigen? Okay.“ Borchert fragt, ob Saß auch die schriftlichen Äußerungen von Zschäpe in der Hauptverhandlung berücksichtigt habe, als er die Einschätzung zu der inneren Umkehr getroffen habe: „Und wenn ja, woraus schlussfolgern Sie das?“ Saß: „Ich habe das ja gegenübergestellt, dass es einerseits die Angabe gibt, dass sie Menschen nicht nach der Nationalität beurteile, sondern nach ihrem Benehmen, und dass es andererseits diese 13 Jahre gibt, die da entgegenzuhalten sind. Aber ich räume Ihnen ein: Wenn man völlig von dem ausgeht, was Frau Zschäpe erklärt hat, dann würde das eine Umkehr bedeuten. Aber zu entscheiden, wovon man auszugehen hat, ist keine psychiatrische Frage.“

Borchert: „Seite 38, zweiter Absatz, letzte Zeile, da sprechen Sie auch von einer ‚Kontinuität der wesentlichen Persönlichkeitszüge vom Beginn der Berichtszeit Mitte der 90er Jahre bis in die Gegenwart.'“ Saß: „Ja, so ist es auch gemeint.“ Borchert: „Meinen Sie da auch die Zeit zwischen 2007 und 2011?“ Saß: „Der Brief ist ja um März [phon.] 2013 wohl entstanden und ich meine tatsächlich die Zeit von Mitte der 90er bis zu diesem Briefzeitpunkt.“ Borchert: „Sie haben den Absatz aber begonnen: ‚Würde man den Brief weglassen, so ergäbe sich kein gänzlich anderes Bild von der Angeklagten.‘ Wenn man den Brief jetzt weglässt, bezieht sich der Absatz dann auf 2007 bis 2011?“ Saß: „Dieser Absatz ist dem geschuldet, dass ich aufgefordert worden bin, mich alternativ zu äußern, mal mit Brief und mal ohne. Und hier habe ich gesagt, auch wenn man den Brief weglässt gibt es weitreichende Schilderungen, die für eine Kontinuität der wesentlichen Persönlichkeitszüge sprechen [phon.]. Das soll bedeuten, dass meine Persönlichkeitseinschätzung nicht ihren Boden verliert, wenn der Brief weggelassen wird. Der Brief ergänzt und unterfüttert sie, aber er ist nicht entscheidend dafür.“

Borchert: „Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie von einer Kontinuität der Persönlichkeitsmerkmale von 1995 bis 2011 ausgehen, trotz dieses bewegten Lebens dazwischen?“ [phon.] Saß: „Ja, wobei ich darauf verweise, was ich vorhin gesagt habe: Im Allgemeinen sind die wesentlichen Eigenschaften der Persönlichkeit vom frühen Erwachsenenalter an recht konstant. Natürlich können sie sich verändern, zunehmen, abnehmen, es kann sich die Fähigkeit ändern, mit diesen Persönlichkeitszügen umzugehen, und es kann passieren, dass bei wichtigen Lebensereignissen eine gewisse Umstrukturierung stattfindet. Aber im Fall von Frau Zschäpe war ich der Auffassung, dass die von mir herausgestellten Eigenschaften doch recht übereinstimmend von den vielen Informationsquellen abzuleiten sind.“ Borchert: „Unter den Informationsquellen vermute ich die Bekanntschaften von den Campingplätzen, aus den Wohnadressen?“ Saß: „Ja, es ist genauso, wie ich es in meiner Gliederung aufgeführt habe: Die Informationen über die Biografie und die frühe Entwicklung. Dann Informationen von Zeugen, die in der Zeit des Untergrundes mit Frau Zschäpe zu tun hatten. Das sind erstens Zeugen aus der rechten Szene, wo ich gesagt hatte, dass die Auskunftsfreudigkeit gering war – aber immerhin: auch da gibt es Informationen. Dann sind es die Urlaubsbekanntschaften. Dann sind es Angaben von Mitangeklagten in der Hauptverhandlung. Dann sind es die Wohnungsnachbarn in der Polenzstraße und dann sind es die Wohnungsnachbarn in der Frühlingsstraße. Also in meinen Augen ein relativ reichhaltiges Material. Zumal es in meinen Augen keine großen Widersprüche gibt, sondern recht konsistent in Richtung der von mir vorgetragenen Persönlichkeitseigenschaften spricht.“

Borchert: „Sie schreiben Frau Zschäpe eine ‚Abspaltungsfähigkeit‘ zu. Was meinen Sie?“ Saß: „Das hängt mit dem Begriff des Verdrängens zusammen, der Fähigkeit, Dinge, die einen beschäftigen, zur Seite zu legen und sich davon frei zu machen, so weiter zu leben, zumindest nach außen, dass da nichts erkennbar wird.“ Borchert: „Können Sie da Beispiele nennen?“ Saß: „Im Grunde das gesamte Leben im Untergrund und recht locker und frei und liebenswürdig mit Begegnungen im Urlaub oder in den Häusern umzugehen. Das setzt eine gute Fähigkeit zum Abspalten voraus. Alles was so die Camouflageexistenz, die Aliasexistenz angeht.“ Borchert: „Könnte diese Fähigkeit der Grund dafür sein, dass sie in der Lage war mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zusammenzuleben im Wissen um deren Taten?“ Saß: „Dass das eine Art und Weise ist, mit der Situation fertig zu werden – wenn man davon ausgeht, dass sie mit der Situation nicht einverstanden war – das könnte man da schon sagen. Ob es im Großen und Ganze ein Einverständnis gab oder ob es eine ohnmächtig-resignierende Situation war. [phon.]“

Borchert: „Sie nehmen eine Einschätzung vor auf Blatt 47 Ihres Gutachtens, da führen Sie wie folgt aus: ‚Unklar erscheint, warum nach dem Entschluss, sich nunmehr zu erklären und auf Fragen zu antworten, weiterhin durchgängig eine überaus kontrollierte Haltung beibehalten wurde. Psychologisch plausibel wäre es durchaus auch gewesen, wenn in diesem Prozessstadium die von ihr angegebenen Regungen von Abscheu, moralischer Verurteilung und Schuldgefühl einen persönlicheren Ausdruck im Verhalten gefunden hätten.‘ Könnten Sie dafür ein Beispiel geben, aufgrund welcher Mimik, Regungen sich dieses hätte ausdrücken können / müssen?“ Saß: „Also es hätte sowohl in den schriftlichen Erklärungen wie auch in der mündlichen Erklärung andere Ausdrucksformen, intensivere, differenziertere, emotional stärker gefüllte Ausdrucksformen gegeben, wie sie zum Beispiel im Brief von 2013 erkennbar sind. So etwas kann Frau Zschäpe offenbar, aber hier ist es bei diesem Kontrollierten geblieben.“

Borchert: „Haben Sie bei dieser Beurteilung in Erwägung gezogen, dass diese emotional gesteigerte Ausdrucksweise sich bei den Vertretern der Nebenklage und in der Presse ausgewirkt hätte?“ Saß: „Ja, das wird ja in den schriftlichen Erklärungen, bis in die letzte aus dem Januar, thematisiert. Man muss dann auch noch die Relation bedenken, die zwischen den vorgeworfenen Handlungen auf der einen Seite und dem Medienecho auf der anderen Seite besteht. Also ich bleibe dabei, dass es in meinen Augen psychologisch plausibel gewesen wäre, wenn wirklich Schuldgefühle und Abscheu dabei seien [phon.], dass das auch einen durchaus persönlicheren Ausdruck im Sprechen und im Schreiben hätte finden können. Wobei ich das lediglich deswegen auch thematisiert habe, weil ich auf die Frage einzugehen habe, ob ich Anhaltspunkte für eine Änderung sehe. Es geht nicht drum, was besser gewesen wäre, sondern ob ich Anhaltspunkte für Änderungen gesehen habe. Ich habe diese nicht gesehen.“ Borchert: „Haben Sie berücksichtigt, dass Frau Zschäpe bestreitet, an den Morden beteiligt gewesen zu sein und nicht Schuld dafür übernehmen kann? Haben Sie das dabei berücksichtigt?“ Saß:“ Ja.“

Borchert schweigt eine Weile, dann sagt er: „Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen. Seite 48, zweiter Absatz. Ich darf Sie zitieren wie folgt: ‚Lässt man beim geforderten alternativen Vorgehen die Informationen und Beobachtungen zum Verhalten in der Verteidigerfrage außer Acht, so wird die Argumentationslinie etwas weniger dicht‘. Können Sie diese Formulierung näher erläutern?“ Saß: „Ich habe gesagt, es ist reichhaltiges Material da. Man kann dann bei dem geforderten alternativen Vorgehen immer Sachen wegstreichen: Lassen Sie den Brief weg, lassen Sie die Beobachtungen in der Verteidigerfrage weg, lassen Sie die Beobachtungen aus der Hauptverhandlung insgesamt weg. Mit jedem dieser Reduktionsschritte wird die Argumentationsbasis [phon.] natürlich schmäler und weniger belastbar. Das ist damit gemeint. Man könnte noch weitere Dinge nennen, die wegzulassen sind, Angaben gegenüber Polizeibeamten. Je mehr der Sachverständige aufgefordert wird, von den Informationen wegzulassen, umso schmäler wird die Informationsgrundlage.“

Borchert: „Mir ist noch ein Punkt aufgefallen, den ich gerne abgeklärt hätte. Seite 48 unten: ‚Psychologisch nicht ohne weiteres stimmig erscheint schließlich die Darstellung, wonach die Partner ihre Situation und die Zukunftsaussichten durchgängig als desolat angesehen hätten – ‚das Leben verkackt‘.‘ Den Spruch ‚das Leben verkackt‘ hat ja nach Schilderung von Frau Zschäpe Uwe Mundlos gebraucht, ganz zu Anfang des Untertauchens. Später tauchte dieser Satz nicht mehr auf. Jetzt sprechen Sie von ‚durchgängig‘.“ NK-Vertreter RA Narin: „Die Formulierung ‚verkackt‘ taucht zwei weitere Male in der Erklärung von Frau Zschäpe auf, nämlich auf Seite 20 und auf Seite 29. Und zwar in dem Kontext: ‚reagierte Uwe Mundlos lediglich dahingehend, dass ‚eh alles verkackt sei‘ und dass er es zum ‚knallenden Abschluss‘ bringen wolle‘. Und: ‚Beide begründeten ihr Tun damit, die türkische Bevölkerung in Köln in Angst und Schrecken versetzen, zu wollen und – zum wiederholten Male – dass sie ihr ‚Leben verkackt‘ hätten.'“ Borchert: „Dann nehme ich den Vorhalt zurück. Trotzdem: Wenn er die Formulierung dreimal gebraucht hätte, ist das dann trotzdem ‚durchgehend‘?“ Saß: „Ich habe, wenn Sie das lesen, geschrieben, dass ich das bezweifle, dass das durchgehend so war. Wenn sich die Darstellung, wie Rechtsanwalt Narin gesagt hat, von 2000 bis 2004 hingezogen hätte mit dem ‚verkackt‘, dann ist das nicht in Einklang zu bringen mit dem, was sonst so geschildert wurde mit dem Verhalten im Urlaub und außerhalb.“ Borchert: „So wollen Sie das mit dem Begriff erklärt wissen?“ Saß: „Ja, ich habe gesagt, es ist nicht stimmig, dass es durchgängig als desolat angesehen wurde. Dabei bleibe ich auch nach der Erläuterung jetzt.“

Borchert: „Ein letzter Vorhalt bzw. Hinweis auf ihre Ausführungen auf Blatt 49, zweiter Absatz: ‚Dabei fanden sich nach psychiatrischem Eindruck keine Hinweise, die deutlich für eine Authentizität ihrer Erklärungen sprechen können. Gemeint sind etwa Anzeichen einer persönlichen Betroffenheit, eines gefühlsmäßigen Mitschwingens und einer spürbaren Anteilnahme an den Aussagen der Zeugen in entsprechenden Situationen in der Hauptverhandlung, die zeitweise durchaus einen emotional stark berührenden Charakter trugen.‘ Meine Frage ist jetzt: Psychiatrischer Eindruck oder Ihr eigener psychiatrischer Eindruck, warum ist gefühlsmäßiges Mitschwingen erforderlich für eine Beurteilung der Authentizität einer Erklärung? Also hätte sie sich theatralischer Verhalten sollen?“ Saß: „Diese letzte Formulierung übernehme ich nicht. Aber dass eine Aussage oder ein Verhalten authentischer oder nachvollziehbarer wird, wenn es von dazu passenden Gefühlsregungen begleitet wird, das ist psychiatrische Erfahrung, aber auch allgemeine Lebenserfahrung.“

Borchert: „Ist das immer so oder gibt es Ausnahmen, insbesondere in einem Strafverfahren, wo 10 Morde und Raubüberfälle vorgeworfen werden, wo man gesteht, mitgewirkt zu haben?“ [phon.] Saß: „Es gibt Personen, die sich um ein so genanntes Pokerface bemühen und das auch schaffen. Hier geht es drum: Gibt es authentische Anzeichen für das, was im Szenario 2 stattgefunden hat, Verzeihung, im Szenario 1. Gibt es Anzeichen dafür, dass es ein inneres Ablehnen, ein Resignieren und ein Nichteinverstandensein mit wesentlichen Handlungen in der Zeit im Untergrund gegeben hat. Und da sage ich: Hinweise, die das authentisch belegen, haben sich aus der Verhaltensbeobachtung nicht entnehmen lassen.“ Borchert: „Schließt das das Gegenteil aus?“ Saß: „Nein, das schließt das Gegenteil nicht aus.“ Borchert: „Keine Fragen mehr.“ Götzl: „Dann machen wir Pause bis 14:55 Uhr.“

Um 14:58 Uhr geht es weiter. Götzl: „Wir sind bei Fragen der Verteidigung von Frau Zschäpe.“ Zschäpe-Verteidiger RA Grasel: „Eine einzige Frage hätte ich: Prof. Leygraf hat seinerzeit angegeben, dass er bei seinen Gutachten generell von der Täterschaft ausgeht. Wie handhaben Sie das, konkret hier?“ Saß: „Eigentlich so wie ich es am Schluss beschrieben habe. Ich gehe zunächst davon aus, dass dem Verfahren schon etwas zugrunde liegt [phon.] und habe dann bei der Beurteilung am Schluss meines Gutachtens mich in alternativer Form verhalten.“

Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm: „Wir haben natürlich auch ein Fragekonzept erarbeitet, welches wir aber gern in Bezug auf die umfangreiche Befragung durch Herrn Rechtsanwalt Borchert und Rechtsanwalt Grasel abgleichen wollen und würden daher drum bitten, dass wir das morgen beginnen können.“ Götzl: „Können wir so handhaben, also dass wir das Fragerecht jetzt zurückstellen und zunächst an andere Verfahrensbeteiligte geben und Sie kommen dann morgen dran.“ Sturm: „Nein, das meinen wir nicht. Wir haben jetzt wie wild mitgeschrieben und müssten das dann ja weiter so handhaben. Insoweit würde ich drum bitten, die Befragung jetzt nicht fortzusetzen und mit der Befragung durch uns morgen zu beginnen.“ Götzl: „Wenn wir generell nochmal sondieren, wie viele Fragen sind? Sind von Seiten der Nebenklägervertreter mehr Fragen?“ NK-Vertreter RA Schön: „Ich habe nur eine kurze Frage.“ Götzl: „Und bei der Verteidigung außerhalb der Verteidigung Zschäpe? Keine Fragen. Dann würden wir Herrn Schön und Frau Wierig vorziehen und dann können morgen Sie, Frau Sturm.“

NK-Vertreterin RAin Wierig: „Ich knüpfe an an eine Frage, die in ihrem Gutachten offen geblieben ist. Da fragten Sie sich nach der Kontinuität der Beziehung der drei Personen Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe und fragten sich, wie das so lange gehen konnte. Ich möchte anknüpfen an die drei ersten Taten [phon.]: die Puppe an der Autobahnbrücke, wo Frau Zschäpe gesagt hat, damit habe sie nichts zu tun gehabt, sich aber dennoch zur Aktion äußert in ihrer Erklärung vom 09.12.2015: ‚Rückblickend betrachte ich diese ‚Operation“, wie es beide nannten, als unsinnig. Es wurde nicht darauf aufmerksam gemacht, wer hinter der Aktion steht, so dass nicht ansatzweise eine Zielführung zu erkennen war – damals empfanden wir die Aktion jedoch als Erfolg.‘ Dann kommen zwei weitere Aktionen, die Garage um eine zu basteln und die Briefe mit Schwarzpulver. Bei der Bombenattrappe war Frau Zschäpe ihren Angaben zufolge nicht dabei, bei der zweiten Aktion wurde allerdings eine Botschaft beigelegt und da war Frau Zschäpe beteiligt.

Mir geht es um die Verknüpfung von politischer Aktion und Botschaft. Ich weiß nicht, inwieweit Sie sich mit der Psychologie von Böhnhardt und Mundlos beschäftigt haben. Aber was bei Mundlos und Böhnhardt auffällt, sind diese Fotografien, die von den erschossenen Menschen gemacht wurde. Entweder weil man schon wusste, dass man ein Bekennervideo machen will, oder dass das eine Art Trophäe sein sollte. Dann wäre es nicht politische Zielsetzung, sondern Lust am Töten. [phon.]“ Wenn es Trophäen gewesen seien, stelle sich die Frage, so Wierig, inwiefern aus Lust am Töten gehandelt worden sei auf Seiten der Männer und Zschäpe denen nur die politische Rechtfertigung geliefert habe. [phon.] Saß: „Ja, ähm, Lust am Töten ist ja ein außerordentlich gravierender und beladener Begriff und ich muss sagen, dass mir die Kenntnisse über Psyche und Motivation bei Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nicht ausreichen, um dazu seriös etwas zu sagen.“ Wierig: „Na, dann hat es sich erledigt.“

Götzl sagt, dass die Befragung von Saß dann für heute unterbrochen werde. Götzl: „Frau Rechtsanwältin von der Behrens, Sie wollten den Antrag umstellen oder erweitern, könnten wir zu dem Punkt kommen?“ NK-Vertreterin RAin von der Behrens: „Es ist tatsächlich eine Erweiterung des Antrags, leider ein bisschen länger, zehn Seiten.“

Von der Behrens verliest den Antrag: In der Strafsache gegen Zschäpe u.a. 6 St 3/12 wird der Antrag vom 26.10.2016 dahingehend erweitert, dass nunmehr beantragt wird, die Zeugin, die mit am 7.5.2000 telefonischen Kontakt hatte und die in dem Schreiben des Sächsischen LfV vom 17.5.2000 abstrakt bezeichnet wird, über sämtliche VS-Behörden und/oder das LKA Sachsen und/oder das LKA Thüringen – und nicht wie bisher beantragt nur über das LfV Sachsen – namhaft zu machen und zu laden. Weiter wird beantragt, die Vernichtungsverhandlung des LfV Sachsen zu der Vernichtung der G10-Protokolle aus der Maßnahme „Terzett“ und die Vernichtungsverhandlungen bzgl. der Dokumente oder Datenträger, aus denen sich die in der G-10-Maßnahme Terzett erfassten Standortdaten ergeben, beizuziehen.

Begründung: I. 1. Mit Antrag vom 26. Oktober 2016 wurde beantragt, die über das LfV Sachsen namentlich zu machende Zeugin, die mit Jan Werner bekannt ist und die am 7.5.2000 mehrfach mit Jan Werner telefonierte, zu laden und in der Hauptverhandlung zu dem Beweis der Tatsache zu hören, dass sie u.a. zusammen mit der Angeklagten Zschäpe am 7.5.2000 in Berlin in dem Restaurant Wasserturm in der Rykestraße war. Hintergrund für den Antrag war eine Mitteilung des sächsischen an das thüringische LfV vom 17.5.2000, in der es heißt, dass im Rahmen einer G10-Maßnahme der Aufenthalt von Werner am 7.5.2000 in Berlin sowie dessen telefonischer Kontakt mit einer Frau mit zwei Kindern festgestellt worden sei, bei der es sich mglw. um die von dem Zeugen Gr. beschriebene weibliche Begleitperson der Angeklagten Zschäpe handele. Weiter heißt es in dem Vermerk, dass das LfV Sachsen es aufgrund von Werners Standortdaten am Abend des 7.5.2000 für möglich hält, dass Werner Zschäpe und Mundlos aus Berlin wieder mit nach Chemnitz genommen habe. Diese unbekannte weibliche Person ist nicht nur mögliche Zeugin für den Aufenthalt der Angeklagten Zschäpe in dem Restaurant Wasserturm, den Zschäpe selbst in der Einlassung vom 26.10.2016 geleugnet hat, sondern sie könnte auch Auskunft darüber geben, ob Werner bei diesem Zusammentreffen anwesend war. Dieser Umstand war damals trotz der Ermittlungsanregung des LfV Sachsen aus nicht dokumentierten und nicht nachvollziehbaren Gründen nicht weiter verfolgt worden; dem Zeugen Gr. waren auch nicht – wie vom LfV angeregt und naheliegend – Lichtbilder von Jan Werner vorgelegt worden. Auch ist aus den Akten nicht ersichtlich, dass diese unbekannte weibliche Person damals namhaft gemacht und als Zeugin vernommen worden wäre; auch dieses Unterlassen erklärt sich nicht, da sie eine mögliche direkte Kontaktperson von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt war.

2. Im Zuge der Nachermittlungen zum Komplex Rykestraße im November 2016 versuchte das BKA, nunmehr diesen weiblichen Telefonkontakt von Werner am 7.5.2000 zu identifizieren. Das BKA konnte die Zeugin Heike Be., geb. We., die ebenfalls zwei Kinder hat und auf die Beschreibung des Zeugen Gr. zutraf, zumindest als Kontaktperson von Werner am 6.6.2000 in Berlin namhaft machen. Die in der Hauptverhandlung vom 14.12.2016 vernommene Zeugin Heike Be. behauptete jedoch, zwar die Frau auf einem Observationsfoto vom 6.6.2000 zu sein, auf dem auch Jan Werner abgebildet ist, aber Jan Werner nicht zu kennen und sich nicht mit ihm und/oder der Angeklagten Zschäpe am 7.5.2000 oder zu einem anderen Zeitpunkt in dem Restaurant Wasserturm getroffen zu haben. Ob diese Behauptung der Zeugin, die zumindest in anderen Punkten offensichtlich nicht alles sagte, was sie wusste, plausibel ist, hängt u.a. maßgeblich davon ab, ob sie diejenige weibliche Person ist, mit der Jan Werner am 7.5.2000 telefonischen Kontakt hatte, was sich aus dem Aktenrückhalt zu der G10-Maßnahme ergeben muss.

3. Aufgrund eines konkreten Ersuchens des BKA vom 2.11.2016, in dem um die Daten bzgl. des Gesprächs von Werner mit der unbekannten weiblichen Person vom 7.5.2000 gebeten wurde, teilte das LfV Sachsen am 11.11.2016 mit, das „im Rahmen der Prüfung noch vorhandener Protokolle aus der Beschränkungsmaßnahme Terzett“ eine mglw. relevante SMS von Werner an eine Claudia Scha. vom 3.8.2000 aufgefallen sei; das entsprechende SMS-Protokoll aus der G10-Maßnahme Terzett war dem Schreiben angehängt. Auf die eigentliche Frage des BKA nach den Daten zu dem Gespräch am 7.5.2000 ging das LfV Sachsen in seinem Antwortschreiben nicht ein, beschäftigte vielmehr das BKA mit der Abklärung der Person Scha., deren Verfahrensrelevanz nicht erkennbar war. Ein Ermittlungsersuchen des Gerichts vom 14.12.2016 führte zu einer weiteren Anfrage des BKA bzgl. des Gespräches vom 7. Mai 2000. Auf dieses Ermittlungsersuchen reagierte dieses Mal der Präsident des sächsischen LfV, Gordian Meyer-Plath, und teilte unter dem 5.1.2017 mit, dass „die überwiegende Anzahl der Protokolle der betreffenden G10-Maßnahme“ vernichtet seien, es sei nur noch ein Protokoll eines zeitlich und inhaltlich nicht relevanten Gespräches vom 7.5.2000 erhalten. Aus einem weiterhin erhaltenen Protokoll vom 8.5.2000 ergebe sich der Aufenthalt Werners in Berlin am 7.5.2000, allerdings auch keine weiteren relevanten Informationen.

II. Der Beweisantrag vom 26.10.2016, mit dem beantragt worden ist, die weibliche Kontaktperson von Werner am 7.5.2000 durch den VS namhaft zu machen, ist durch das Schreiben des sächsischen LfV vom 5.1.2017 noch nicht erledigt, daher gibt es keinen Anlass, den Antrag zurückzunehmen. Erst wenn bekannt ist, ob die Zeugin Be. diejenige ist, die am 7.5.2000 mit Werner telefoniert hat, ist geklärt, ob sich der Beweisantrag erledigt hat oder welche Person alternativ als Zeugin geladen werden muss. 1. Ob die Angaben in dem Schreiben des sächsischen LfV vom 5.1.2017 zu der Vernichtung der „überwiegenden Anzahl“ der G-10-Protokolle zutreffend sind, kann nicht nachgeprüft werden, da schon konkrete Hinweise auf das Datum der Vernichtung und die konkret vernichteten Dokumente fehlen und auch keine Abschrift einer Vernichtungsverhandlung beigefügt ist. Deren Vorlage wäre schon allein deshalb angezeigt gewesen, weil es sich um einen Ermittlungsauftrag des Gerichts handelte – entsprechend hat auch der GBA auf die gerichtliche Anforderung der im Landser-Verfahren angefallenen TKÜ-Protokolle von Jan Werner sämtliche Vernichtungsverhandlungen vorgelegt.

Die Notwendigkeit, die konkrete Vernichtung der fraglichen Dokumente nachzuvollziehen, besteht auch deshalb, weil laut Angaben des LfV Sachsen die Vernichtung der Protokolle in Umsetzung der Verpflichtung aus § 4 Abs. 1 Artikel-10-Gesetz erfolgt sei. Zu dieser Angabe im Widerspruch stehen augenscheinlich die völlig unbestimmte Mitteilung des LfV, es sei die „überwiegende Anzahl“ der Protokolle vernichtet worden, und der Umstand, dass das LfV allein noch drei relevante Protokolle, u.a. vom 7., 8.5.2000 und 3.8.2000, dem GBA vorgelegt hat. Warum nur ein Teil der fraglichen Protokolle der Löschungsverpflichtung aus dem G-10-Gesetz unterfallen sein soll, die vorgelegten aber nicht, hat das LfV nicht dargelegt. Weitere Zweifel an den Angaben des LfV Sachsen ergeben sich daraus, dass dieses vielfach gesetzlichen Verpflichtungen im Umgang mit G10-Maßnahmen nicht nachgekommen ist – so wurden etwa am 10.7.2012 im LfV Sachsen in einer Mappe in einer Ecke eines Schrankes Vorgänge aus G10-Maßnahmen mit Bezug zum NSU-Komplex – u.a. Protokolle einer gegen Werner gerichteten G10-Maßnahme des BfV aus 1998/1999 – aufgefunden, die weder ordnungsgemäß registriert noch ansonsten ordnungsgemäß behandelt worden waren.

2.a) In jedem Fall ist aber davon auszugehen, dass die fraglichen Informationen zu dem telefonischen Kontakt zwischen Werner und der weiblichen Person selbst bei einer Vernichtung des Ausgangsvorganges nicht verloren sind, sondern sich aus anderen Akten des sächsischen LfV rekonstruieren lassen. Dies ergibt sich aus Folgendem: Bei der fraglichen G10-Maßnahme handelt es sich um eine Maßnahme vom 5.5. bis 5.8.2000, die im Rahmen der Maßnahme „Terzett 7“ erfolgte. Terzett ist die Fallbezeichnung für mindestens 12 Maßnahmen des sächsischen LfV zur Aufklärung der B&H-Szene in Chemnitz und zum Auffinden von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt aus der Zeit von März bis Oktober 2000. Die Intensität der Suche nach den Untergetauchten durch das sächsische LfV wird schon durch die Zahl der Personen deutlich, die mit den Maßnahmen befasst waren, zu denen insbesondere Observationen und G-10-Anordnungen gehörten: 58 Mitarbeiter des Amtes waren beteiligt, darunter drei Beschaffer aus dem Bereich B&H-Sachen und dem Plattenlabel von Jan Werner Movement Records, sämtlichen Quellen aus dem rechten Spektrum wurden Bilder der drei Untergetauchten vorgelegt und es gab insgesamt – nach den Angaben des LfV – 50 erfolglose Versuche V-Personen in der rechten Szene zu werben.

Terzett Nummer 7 war eine Observation vom 6. bis zum 8.5.2000 und die genannte G10-Maßnahme deren Begleitmaßnahme. Beide wurde unterstützend zu der für den 7.5.2000 angesetzten Ausstrahlung der „Kripo live“-Sendung intensiv unter Beteiligung des TLfV, TLKA und des sächsischen LKA vorbereitet. Der Antrag auf Anordnung der G10-Maßnahme wurde damit begründet, dass das Ziel der Vereinigung sei „schwere Straftaten gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung zu begehen“. Schließlich wurde der öffentliche Fahndungsaufruf in der „Kripo live“-Sendung vom 7.5.2000 mit erheblichem Aufwand durch nachrichtendienstliche Maßnahmen begleitet, so dass es nicht plausibel ist, dass der einzige konkrete und glaubhafte Hinweis, nämlich der des Zeugen Gr. und die damit korrespondierenden Erkenntnisse zu Jan Werner aus der G10-Maßnahme, auf den Aufenthalt von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt und deren Begleitpersonen nicht in weiteren Akten wenigstens in Zusammenfassung erhalten geblieben ist. Bei dem oben dargestellten Umfang und der Intensität, mit der die Terzett-Maßnahmen vom LfV Sachsen betrieben wurden, muss es entsprechend der gängigen Arbeitsweisen der VS-Ämter nicht nur umfangreiche Akten zu den Terzett-Maßnahmen als solchen geben, sondern es müssen die daraus gewonnen Erkenntnisse und einzelne Aktenstücke auch in eine Vielzahl von verschiedenen Sachakten, u.a. zu den Themenkomplexen B&H, Landser, Movement Records, Skinheadszene Chemnitz etc. eingeflossen sein. Somit ist es sehr wahrscheinlich, dass sich auch bei Vernichtung der Ursprungsvorgänge noch G10-Protokolle oder deren inhaltliche Zusammenfassung in den genannten oder ähnlichen Sachakten befinden. Zusammengefasst: Auch vernichtete Akten lassen sich bei entsprechendem Willen ganz oder jedenfalls teilweise wieder rekonstruieren. Dass dies möglich ist, zeigen u.a. die Vorgänge um die durch den gesondert verfolgten „Lothar Lingen“ angeordnete Aktenvernichtung im BfV am 11.11.2011. Dass eine solche Rekonstruktion auch nur versucht worden wäre, hat das LfV Sachsen aber nicht mitgeteilt.

b) Schließlich geht aus dem Schreiben des LfV vom 17.5.2000 hervor, dass im Rahmen der G10-Maßnahme auch laufend die Standortdaten von Jan Werner gesichert wurden. Das LfV Sachsen teilt nunmehr in dem Schreiben vom 5.1.2017 mit, Standortdaten seien generell nicht aus G10-Protokollen zu entnehmen, was – soweit diese vorgelegt wurden – zutreffend ist. Woraus sich aber dann die erhobenen Standortdaten ergeben und ob die entsprechenden Datensätze auch vernichtet worden sind, teilt das LfV Sachsen nicht mit. 3. Sollte sich die fragliche Information tatsächlich in keiner Akte des sächsischen LfV mehr finden, besteht zudem die Möglichkeit der Namhaftmachung der Kontaktperson Werners durch andere VS-Behörden, allen voran das BfV und das TLfV, sowie durch die LKA Thüringens und Sachsens. Denn es ist davon auszugehen, dass das sächsische LfV nicht nur das TLfV abstrakt über die Ergebnisse der G10-Maßnahme informierte, sondern dass es zumindest an das TLfV und insbesondere das BfV die Protokolle oder zumindest die konkreten Informationen zu der weiblichen Kontaktperson von Jan Werner aus der sächsischen G10-Maßnahme gesteuert hat und dass diese Informationen bei diesen Behörden noch vorhanden sind.

Dafür spricht, dass diese beiden VS-Behörden in die nachrichtendienstliche Suche nach dem Trio eingebunden waren und die Erkenntnisse aus der G10-Maßnahme zusammen mit der Aussage des Zeugen Gr. den – von dem sächsischen LfV auch schon im Mai 2000 gezogenen – Schluss nahelegen, dass es sich bei Jan Werner und der weiblichen Person um eine direkte Kontaktperson von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt handelte. Für eine zusätzliche Mitteilung der konkreten Ergebnisse aus der G10-Anordnung auch an das thüringische und sächsische LKA spricht zudem, dass diese in einem Schreiben im Rahmen der Vorbereitung der begleitenden Maßnahmen zu der
Ausstrahlung der „Kripo live“-Sendung ausdrücklich auch um die Weiterleitung entsprechender, sich im Zusammenhang mit der Sendung ergebender Information gebeten hatten. Das Schreiben hatte folgenden Wortlaut: „unabhaengig von der einleitung sofort notwendiger masznahmen ist das lka thueringen unter nachrichtlicher beteiligung des lka sachsen hierüber zu informieren und weitere masznahmen abzustimmen. Um telefonische vorausmeldung an den einsatzabschnittleiter des lka sachsen, khk
[Tr.] wird gebeten.“. Somit ist das Ermittlungsersuchen bzgl. der Namhaftmachung der Zeugin nicht nur an das sächsische LfV, sondern insbesondere auch an das BfV und das Amt für Verfassungsschutz Thüringen sowie das LKA Thüringen und Sachsen zu richten.

4. Schließlich ist davon auszugehen, dass am 7.5.2000 das Mobiltelefon von Jan Werner neben der Maßnahme des sächsischen LfV noch mit einer oder mehreren weiteren G10- und/oder TKÜ-Maßnahmen belegt war, so dass sich die Informationen zu der fraglichen Gesprächspartnerin und den genauen Koordinaten von Jan Werner auch aus Protokollen dieser möglichen weiteren Maßnahmen ergeben dürften. Für diese Annahme spricht, dass Jan Werner in der Zeit von ca. 1996 bis 2001 für die Nachrichtendienste und Strafverfolgungsbehörden von erheblichem Interesse war. Er war unter anderem Sektionschef von B&H Sachsen, stellte mit seinem Label Movement Records eine der zentralen Figuren im B&H-Musik-Geschäft mit vielen bundesweiten und internationalen Kontakten dar, er war seit Anfang 2000 mit der Produktion der Landser CD „Ran an den Feind“ beauftragt, und Carsten Szczepanski hatte ihn bereits im September 1998 als Finanzier von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt und möglichen Waffenbeschaffer beschrieben. Gleichzeitig liefen im Mai 2000 mehrere Verfahren, in denen Werner jeweils eine Zentralfigur war und bei denen Strafverfolgungs- und VS-Behörden eng zusammenarbeiteten. Dies waren das sächsische und das Berliner Landser-Verfahren von ca. 1999 bis zur Anklageerhebung am 9.9.2002, das B&H-Verbotsverfahren von ca. März 2000 bis zum Erlass der Verbotsverfügung am 14.9.2000 und die Zeit der intensiven Suche nach Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt von Februar 1998 bis ca. 2002.

Aufgrund seines bundesweiten Einflusses und seiner wichtigen Rolle in diesen Verfahren ist von einer nachrichtendienstlichen und/oder polizeilichen Überwachung von Werner nicht nur durch das Sächsische LfV, sondern mindestens auch durch das BfV, daneben wahrscheinlich auch durch weitere Behörden auszugehen. Dies gilt umso mehr, als mindestens eine G10-Maßnahnme des BfV gegen Werner vom 9.6.1998 bis zum 30.4.1999 bekannt ist, die sich insbesondere auf seinen Handel mit verbotenen Tonträgern und seine mögliche Unterstützung von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt bezog. Die zu dieser Maßnahme gehörenden sogenannten Anlageordner wurden am 5.12.2011 vernichtet, die entsprechenden Protokolle waren schon früher vernichtet worden. Somit ist es wahrscheinlich, dass das BfV und auch andere Behörden die entsprechenden Informationen zur Namhaftmachung der weiblichen Kontaktperson von Werner am 7.5.2000 auch aufgrund eigener Maßnahmen noch besitzen.

III. An dem Komplex Rykestraße zeigt sich erneut, dass die Nachrichtendienste und die Strafverfolgungsbehörden zwar ganz erheblichen Aufwand zum Ergreifen von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt unternommen haben, dass sie aber immer dann, wenn sie unmittelbar vor der Erlangung konkreter Informationen standen, die zum Auffinden der Untergetauchten hätten führen können, die zu deren Gewinnung notwendigen Ermittlungsschritte angeblich oder tatsächlich nicht unternommen haben. Nunmehr, fast 17 Jahre später, diese Ermittlungen durch Namhaftmachung der Kontaktpersonen nachzuholen, mag zwar schwierig sein, allerdings bestehen, wie dargelegt, entgegen der Darstellung des LfV Sachsen durchaus noch zahlreiche, bislang nicht ausgeschöpfte Erkenntnisquellen. Götzl: „Wir werden den Antrag kopieren. Sollen denn zugleich Ausführungen gemacht werden?“ Mehrere NK-Vertreter_innen schließen sich der Erweiterung an. Götzl: „Dann unterbrechen wir für heute und setzen morgen um 09:30 Uhr fort.“ Der Verhandlungstag endet um 15:33 Uhr.

Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Bevor heute die Befragung des Sachverständigen Prof. Saß fortgesetzt wurde, wurden zunächst zwei Polizeibeamte befragt, die in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren in Jena tätig waren. Beide erinnerten sich kaum, sie hätten vor allem mit ‚Auseinandersetzungen Rechts-Links‘ und ‚Propagandadelikten‘ zu tun gehabt. Ausländerfeindliche Aktivitäten des Angeklagten Wohlleben hätten sie nicht wahrgenommen. Es wurde allerdings deutlich, dass sie sich für solche auch nicht besonders interessiert hatten. Im Anschluss stellte der Sachverständige Prof. Saß zunächst auf Frage der Bundesanwaltschaft nochmals fest, dass keinerlei Anhaltspunkt für eine Störung der psychischen Funktionen der Angeklagten Zschäpe durch Affektstörungen am Tag der Brandlegung in der Frühlingsstraße vorhanden sind. Danach bot die Befragung des Sachverständigen durch den Wahlverteidiger Zschäpes, RA Borchert, einen negativen Höhepunkt des Prozesses: Borchert meinte, er könne den Sachverständigen anhand von Nachfragen zu Einzelheiten seines Gutachtens verunsichern und widerlegen. Borchert versuchte insbesondere die Auseinandersetzung des Sachverständigen mit den Erklärungen Zschäpes anzugreifen, die ja von den Rechtsanwälten Borchert und Grasel geschrieben waren und die Saß als wenig authentisch und ohne erkennbare Gefühlsäußerungen beschreibt. Diese Befragung gestaltete sich äußerst unbeholfen, sie gipfelte in der Frage, wie eine Darstellung in einer Erklärung denn hätte lauten müssen, damit Saß authentische Gefühlsäußerungen bejaht hätte. Es machte den Eindruck, als habe Zschäpe Borchert die Textstellen aus dem Gutachten angegeben, die ihr nicht gefallen. Andererseits stellte Borchert keine einzige Frage, die auf Wissen aus den umfangreichen Akten basierte. Bereits am Anfang der Befragung wurde deutlich, dass diese Herangehensweise nicht geeignet ist, Saß erfolgreich anzugreifen, so dass sogar Zschäpe persönlich ‚eingriff‘. Borchert hatte angegeben, bestimmte Passagen aus dem Brief Zschäpes an einen inhaftierten Neonazi stammten gar nicht von ihr, sie habe diese von einer Internetvorlage abgeschrieben, auch ein Bild davon abkopiert. Zschäpe meldete sich nun persönlich und bestätigte diese Angabe. Tatsächlich machte diese Angabe aber keinerlei Sinn, zumal der Sachverständige die Ausschnitte ohnehin nur am Rande gewürdigt hatte. Die Frage, wie Zschäpe in der Untersuchungshaft zu einer aus dem Internet stammenden Vorlage kam, blieb offen. Als Borchert dann noch dem Sachverständigen vorhielt, er habe seine Einschätzung von Zschäpes Darstellung, Böhnhardt und Mundlos hätten ihre Situation und die Zukunftsaussichten durchgängig als desolat angesehen hätten (‚das Leben verkackt‘), nur auf eine einzige Aussage in Zschäpes Erklärung gestützt – und als dann ein Nebenklagevertreter intervenierend klarstellte, dass dieses angebliche Zitat ‚der Uwes‘ insgesamt dreimal in der Erklärung zu finden ist -, war endgültig die Luft raus und die Befragung schnell beendet.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2017/01/25/24-01-2017/

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