Kurz-Protokoll 342. Verhandlungstag – 31. Januar 2017

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An diesem Prozesstag sind zunächst Verlesungen auf der Tagesordnung. Danach werden einige Ablehnungs- und Beweisanträge abgelehnt. Es geht dabei unter anderem um den V-Mann Piatto. Der vorsitzende Richter Götzl erklärt in dem Zusammenhang, dass er die Ausführungen von dessen V-Mann-Führers Görlitz im Prozess für glaubhaft halte.

Der Verhandlungstag beginnt um 09:46 Uhr. Danach sagt Götzl, dass Verlesungen vorgesehen seien und nennt ein Behördenzeugnis des TLfV vom 08.12.2016. Zschäpe-Verteidiger RA Heer bittet um das Wort. Dann verliest Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm, dass Heer, Stahl, Sturm der Beweiserhebung durch den Urkundsbeweis widersprechen.

Richterin Odersky verliest danach einen Vermerk, demzufolge am 21.06.1997 gegen 11:10 Uhr im Rahmen der Zufahrtskontrolle zur „Hetendorfer Tagungswoche“ ein PKW mit einem Saalfelder Kennzeichen angehalten und durchsucht worden sei. Im Rahmen der Identitätsfeststellung seien André Kapke aus Jena und Beate Zschäpe aus Jena, festgestellt worden. Beide Personen seien durch das LKA Thüringen zur beobachtenden Fahndung ausgeschrieben. Des weiteren seien Sven La. sowie Jana A. festgestellt worden. Nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen seien die Personen wieder entlassen worden.

Richter Lang beginnt mit der Verlesung eines Vermerks vom BKA, EG Trio, vom 19.12.2016 aufgrund eines Ermittlungsauftrags von Götzl. Hintergrund sei, dass in Zusammenhang mit Beweisanträgen von RA Narin und RAin von der Behrens vom 317. Hauptverhandlungstag ersucht worden sei, ein Asservat nach dem Muster des im Schreiben genannten Vermerks im Hinblick auf weitere mögliche Synagogen auszuwerten. Das Asservat sei dann auf Daten durchsucht worden, das Hauptaugenmerk sei auf Synagogen gelegt worden, sämtliche jüdische Gemeinden und/oder Einrichtungen. 232 Orte oder in Zusammenhang stehenden jüdischen und israelischen Einrichtungen deutschlandweit. Bei der Auswertung sei es zu Adressgleichheiten gekommen, da mehrere jüdische Institutionen an derselben Adresse ihren Sitz hätten. Die Synagoge in der Rykestraße in Berlin sei in dieser Liste aufgeführt. Im Folgenden verlesen Lang, dann Odersky und schließlich Richter Kuchenbauer aus einer Tabelle eine Vielzahl von Adressen von Synagogen, jüdischen Gemeinden, Einrichtungen und Organisationen, von jüdischen Friedhöfen, von Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit und Museen zur jüdischen Geschichte.

Götzl verkündet dann den Beschluss, dass der Antrag von İsmail Yozgat, den Tatort Holländische Straße 82 in Kassel in Augenschein zu nehmen, abgelehnt wird. Zur Begründung führt er aus, dass der Augenschein nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei. Die Erforderlichkeit des Augenscheins sei nicht gegeben, weil die Aufklärungspflicht des Gerichts nicht zur gerichtlichen Augenscheinseinnahme vor Ort dränge:
Die Beschaffenheit des Augenscheinsobjekts steht bereits aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme fest. In der Hauptverhandlung wurden zahlreiche Lichtbilder der Tatörtlichkeit in Augenschein genommen, die vom Spurensicherungsbeamten I. in der Hauptverhandlung zusätzlich erläutert wurden. Zudem wurde ein Video in Augenschein genommen, das bei der Rekonstruktion der vom Zeugen Temme am Tatort zurückgelegten Wege aufgezeichnet wurde. Zur weiteren Veranschaulichung der örtlichen Gegebenheiten des Tatorts wurde eine Skizze des Internetcafés „Holländische Straße 82“ in Augenschein genommen, die vom Zeugen KHK Ge. in der Hauptverhandlung erläutert wurde. Ergänzend beschrieben die polizeilichen Zeugen Rommel und Gerstenberg den Tatort in Rahmen ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung. Bei dieser Sachlage verspricht eine zusätzliche gerichtliche Augenscheinseinnahme vor Ort keine weitere Sachaufklärung. Eine Konstellation, dass eine bereits vorliegende Zeugenaussage gerade durch den Augenschein widerlegt werden soll und daher ein Augenschein von der Aufklärungspflicht gefordert wird, liegt nicht vor. Die Heranziehung von anderen Beweismitteln als Ersatz für den gerichtlichen Augenschein ist mit der Aufklärungspflicht vereinbar, da die unter Beweis gestellten Tatsachen mit Hilfe der Ersatzbeweismittel ebenso gut beurteilt werden können.

Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass die verschiedenen Anträge zum Treffen zwischen dem Zeugen Görlitz vom LfV Sachsen und dem Zeugen Szczepanski (V-Mann „Piatto“) vom 25.08.1998, abgelehnt werden. Die unter Beweis gestellten Tatsachen seien für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung. Den Beiziehungsanträgen werde nicht nachgekommen, weil die Aufklärungspflicht nicht dazu dränge, die beantragten Unterlagen beizuziehen. Götzl macht die üblichen allgemeinem Ausführungen zur Bedeutungslosigkeit einer unter Beweis gestellten Indiz- oder Hilfstatsache aus tatsächlichen Gründen, zur prognostischen Prüfung etc. Dann führt er zur konkreten Begründung der Ablehnung der „im Tenor unter I. unter Beweis gestellten“ Umstände [Antrag auf Beiziehung und Verlesung des Vermerks von Görlitz vom 26.08.1998 und einer einzelverbindungsgenauen Abrechnung zu dem Mobiltelefon] aus:
Die dort unter Beweis gestellten Tatsachen als erwiesen unterstellt, belegen zusammengefasst verschiedene Details zum Treffen des Zeugen Szczepanski mit seinem V-Mann-Führer, dem Zeugen Görlitz, am 25.08.1998 und den Erwerb von zwei Mobiltelefonen durch den Zeugen Görlitz auf den Namen „Dieter Borchert“. Zudem wird belegt, dass in dem vom Zeugen Görlitz zu diesem Treffen gefertigten Bericht keine Ausführungen zum Verbleib, insbesondere zur Rückgabe des vom Zeugen
Szczepanski genutzten „alten“ Handys an den Zeugen Görlitz enthalten sind. Nicht erwähnt werden im Bericht die Übergabe des neuen Handys an den Zeugen Szczepanski und der Zeitpunkt dieser Übergabe. Weiter werden verschiedene Details im Zusammenhang mit dem „alten“ dienstlich genutzten Handy
[0172-Nummer] des Zeugen Szczepanski belegt, ins besondere, dass am 25.08.1998 von diesem Anschluss um 16.25 Uhr eine Verbindung aufgebaut wurde.
Die hier unter Beweis gestellten Tatsachen als erwiesen unterstellt führen nicht dazu, dass der Senat die von den Antragstellern gewünschten Schlüsse zieht und die Angaben des Zeugen Görlitz als unglaubhaft würdigt.
Die Ausführungen des Zeugen Görlitz speziell zum Komplex „Handytausch“ sind im Zusammenhang gesehen hinsichtlich des geschilderten Gesamtgeschehens glaubhaft. Der Zeuge hat die abgefragten Lebenssachverhalte jeweils plausibel, nachvollziehbar und ohne logische Brüche geschildert. Er hat immer wieder darauf hingewiesen, dass es sehr schwer sei, sich an ein Geschehen zu erinnern, das ca. 18 Jahre zurückliege. Deshalb könne er sich nicht an alle Details erinnern.
Dieses Ergebnis wird nicht durch die objektiv falsche Angabe zum Inhalt des Treffberichts in Frage gestellt. Der Zeuge war bei seiner Vernehmung nervös und hat ausdrücklich und mehrfach klargestellt, dass er zur Vorbereitung der Aussage umfangreiches Aktenmaterial und darunter auch den gegenständlichen Treffbericht gelesen habe. Es sei schwierig gewesen, alles durchzuarbeiten. Der Zeuge hat in der Vernehmung auch auf eigene Erinnerungslücken hinsichtlich des verwendeten Materials hingewiesen.
Zwar kann – und hierauf zielen die Anträge ab – das Verhalten staatlicher Behörden strafmildernd zu berücksichtigen sein. Eine derartige staatliche Mitverantwortung mindert aber nur dann die Schuld eines Angeklagten, wenn den staatlichen Entscheidungsträgern die Tatgenese vorgeworfen werden kann. Eine bloße kausale, nicht vorwerfbare Verursachung, ist nicht geeignet, sich auf den Schuldumfang auszuwirken. Bei unterstelltem Erwiesensein aller unter Beweis gestellter Tatsachen und gleichzeitiger Berücksichtigung des sonstigen Ergebnisses der Beweisaufnahme zieht der Senat jedoch nicht den Schluss, dass das Behördenverhalten kausal für die weiteren (angeklagten) Taten war. Mangels Kausalität liegt dann auch kein strafmildernd zu berücksichtigendes Behördenverhalten vor: Voraussetzung für die Annahme der Kausalität des Verhaltens der staatlichen Entscheidungsträger wäre, dass eine an sich mögliche Festnahme unterblieben ist. Grundvoraussetzung für eine Festnahme ist es, dass die staatlichen Stellen in der Lage gewesen wären, den Aufenthalt der gesuchten Personen festzustellen. Diesen Schluss zieht der Senat jedoch nicht: Die unter Beweis gestellten Tatsachen belegen nicht, dass der Aufenthaltsort der Gesuchten bekannt oder feststellbar gewesen wäre.
Anhaltspunkte, dass der Zeuge Szczepanski Kontakt zu den gesuchten Personen hatte, sind nicht vorhanden. Bei Jan Werner gibt es zwar Hinweise auf einen Kontakt zu den Gesuchten. Allerdings sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass ihm der Aufenthaltsort der Gesuchten bekannt war und vor allem, dass er bereit gewesen wäre, sein Wissen den Behörden mitzuteilen. Anzunehmen eine Telefonüberwachung und/oder eine Observation der Zeugen Szczepanski und Werner würde indirekt zu Erkenntnissen führen, welche die Festnahme der gesuchten Personen ermöglicht hätte, wäre rein spekulativ. Weder bei einer TKÜ-Maßnahme noch bei einer Observation kann unterstellt werden, dass der Aufenthalt der gesuchten Personen feststellbar ist und dass, wenn der Aufenthalt ermittelt wurde, eine Festnahme gelingt. Es ist nicht zwingend, dass es im Überwachungszeitraum zu telefonischen Kontakten zwischen der überwachten Person und den gesuchten Personen kommt.
Aus dem übrigen Beweisergebnis haben sich keine Erkenntnisse dazu ergeben, dass die gesuchten Personen sich in regelmäßigem telefonischem Kontakt mit Jan Werner befanden. Selbst im Fall von überwachtem telefonischen Kontakt ist es nicht zwingend, dass damit der Aufenthalt der Gesuchten feststellbar ist. Es bestünde immer und im vorliegenden Fall sogar die naheliegende Möglichkeit, dass die Gesuchten aus einer öffentlichen Telefonzelle ihre Anrufe tätigten. Diese Art der telefonischen Kontaktaufnahme durch die Gesuchten wurde vom Angeklagten Wohlleben und dem Angeklagten Schultze insoweit glaubhaft berichtet. Die Feststellung des Standorts einer öffentlichen Telefonzelle wäre im Hinblick auf den Aufenthaltsort der Gesuchten ohne Bedeutung. Ähnliche Überlegungen gelten für mögliche Telefonate mit einem Mobiltelefon. Bei einem überwachten Gespräch der Gesuchten, das nicht in der genutzten Wohnung geführt wurde, könnte man nur den beweglichen Standort des Handys feststellen. Diese Information ist für die Durchführung einer Festnahme im Regelfall nicht ausreichend.
Eine Observation führt ebenfalls nicht zwingend zur Feststellung des Aufenthalts der Gesuchten. So besteht die Möglichkeit, dass im Observationszeitraum kein persönlicher Kontakt zwischen der überwachten Person und den gesuchten Personen stattfindet und somit die Observation aus diesem Grunde ohne Ergebnis bleibt.
Ähnliches gilt dann, wenn die Observation der überwachten Person auffällt und sie erfolgreich besondere Vorkehrungen trifft, dass ihr nicht gefolgt werden kann. Weiter ist zu berücksichtigen, dass selbst für den Fall, dass eine Wohnung der gesuchten Personen ermittelt hätte werden können, das Gelingen einer Festnahmeaktion ebenfalls nicht zwingend feststeht. Beispielsweise können Vorsichtsmaßnahmen der Gesuchten, wie das Schaffen eines Fluchtwegs oder das Auffallen polizeilicher Vorbereitungsmaßnahmen den Erfolg einer Festnahme vereiteln. Vor diesem Hintergrund zieht der Senat in der Gesamtschau nicht den Schluss, die beteiligten Behörden hätten den Aufenthalt der gesuchten Personen ermitteln und die Festnahme veranlassen können. Somit ist das Verhalten der beteiligten Behördenmitarbeiter auch nicht kausal für eine möglicherweise später begangene Tat. Eine staatliche Mitverantwortung kann daher vom Senat nicht festgestellt werden.

Götzl geht dann zur konkreten Begründung der Ablehnung der „im Tenor unter II. unter Beweis gestellten“ Umstände [Antrag auf Beiziehung und Verlesung der beiden Verträge des D2-Shops Kreysch in Potsdam zu den am 25.08.1998 von Görlitz auf seinen damaligen Tarnnamen „Dieter Borchert“ im Rahmen des Treffens mit „Piatto“ angeschafften Mobiltelefonen nebst zugehöriger Rechnungen und von einzelnen Urkunden aus den Zielfahndungsakten des TLKA aus 1998] über.

Götzl verkündet dann den Beschluss, dass den Anträgen auf Namhaftmachung und Vernehmung der Zeugin, die mit Jan Werner am 07.05.2000 telefonischen Kontakt hatte und die im Schreiben des Sächsischen LfV vom 17.05.2000 abstrakt bezeichnet wird, und auf Beiziehung der Vernichtungsverhandlung des LfV zu Protokollen bzgl. der Maßnahme „Terzett“ nicht nachgekommen wird.

Götzl verkündet den Beschluss, dass den Anträgen, die vom Justizministerium Brandenburg an den NSUUA des brandenburgischen Landtages sowie an den NSUUA des Bundestages übersandten Verfahrensakten betreffend den V-Mann des LfV Brandenburg Carsten Szczepanski beizuziehen und der Verteidigung sodann Einsicht zu gewähren, nicht nachgekommen wird.

Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass der Hilfsantrag, dem SV Prof. Dr. Faustmann, den die Antragsteller gemäß § 245 Abs. 2 StPO zu laden gedächten, im Wege des Sachberichts durch den Vorsitzenden die für die Erstellung eines methodenkritischen Gutachtens notwendigen Anknüpfungstatsachen zu vermitteln, abgelehnt wird. Der Antrag sei nach Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens abzulehnen gewesen. Einem von der Verteidigung geladenen und zum Verhandlungstermin präsenten SV müsse das Gericht grundsätzlich keine – weitere – Vorbereitungszeit für die Gutachtenerstattung einräumen, sondern der SV müsse sein
Gutachten aufgrund der meist vom Angeklagten und dessen Verteidiger vermittelten Kenntnisse sowie der Erörterungen in der Hauptverhandlung erstatten. Besonderheiten, die es nahelegen, von diesem Grundsatz abzuweichen, seien nicht ersichtlich. Eine ausreichende Information des SV Faustmann ist mit dem schriftlichen Manuskript des mündlichen Gutachtens von Prof. Dr. Saß zusammen mit den von den Antragstellern angefertigten Mitschriften objektiv möglich. Die
Antragsteller hätten zur Sicherung der Qualität ihrer Mitschriften die Anregung des Senats aufgegriffen, bei Bedarf den SV zu unterbrechen und ihn zum Wiederholen von Ausführungen oder zum langsameren Vortrag aufzufordern.

Zuletzt verkündet Götzl den Beschluss, dass der Antrag, den Brief Zschäpes an Robin Schmiemann, soweit es sich um das Bild der „selbst gezeichneten Ente“ handele, in Augenschein zu nehmen, abgelehnt wird. Der Verhandlungstag endet um 13:56 Uhr.

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Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.