Protokoll 333. Verhandlungstag – 10. Januar 2017

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An diesem Prozesstag wird zunächst ein Polizeizeuge zur „“ befragt. Bei dieser neonazistischen Veranstaltung wurde u.a. Beate Zschäpe festgestellt. Im Anschluss daran stellt die Verteidigung Beate Zschäpes Anträge zu der anstehenden Vorstellung des Gutachtens von Prof. Dr. Saß. Zschäpe lässt außerdem eine weitere Erklärung verlesen.

Zeuge:

  • Carsten Br. (Polizeibeamter, Zufahrtskontrolle am 21.06.1997 bei der neonazistischen „Hetendorfer Tagungswoche“, bei der u.a. Beate Zschäpe festgestellt wurde)

Der Besucher- und Pressebereich ist relativ gut gefüllt. Im Besucherbereich haben auch mehrere Neonazis Platz genommen. Heute ist Foto- und Kameratermin. Um 09:40 Uhr betreten die Angeklagten den Saal. Kurz drauf werden die Foto- und Kameraleute aus dem Saal gebeten. Um 09:44 Uhr betritt der Senat den Saal. Zschäpes fünfter Verteidiger RA Borchert ist heute, anders als üblich, anwesend. Anwesend ist auch der psychiatrische Sachverständige Prof. Dr. Saß.

Götzl: „Dann setzen wir fort. Geladen ist der Zeuge Br. Rufen Sie ihn bitte auf.“ Es folgt die Einvernahme des Zeugen Carsten Br., Polizeibeamter bei der PI Oldenburg-Stadt. Nach der üblichen Personalienfeststellung und Belehrung sagt Götzl: „Es geht uns um eine Situation, die schon lange zurückliegt, aus dem Jahre 1997, am 21.06. soll es gewesen sein, eine Zufahrtskontrolle. Können Sie dazu etwas sagen? Der Zusammenhang wäre Hetendorfer Tagungswoche.“ Br.: „Das ist korrekt. Damals war ich Angehöriger der Bereitschaftspolizei Niedersachsen in Lüneburg. Wir waren mehrfach in Hetendorf eingesetzt. Das ist ein Dorf in der Südheide zwischen Soltau und Celle. Dort wurde durch einen damals öffentlich bekannten Rechtsanwalt ein kleines landwirtschaftliches Anwesen gepachtet bzw. stand in seinem Eigentum, das weiß ich nicht mehr. Dort sind verschiedene Veranstaltungen durchgeführt worden, die überwiegend durch rechtsmotivierte Personen besucht worden sind. Wir hatten am 21.06.1997 den Auftrag Zufahrtskontrollen zu tätigen, haben die Fahrzeuge angehalten, kontrolliert, Identitäten festgestellt und die Fahrzeuge durchsucht.“

Götzl: „An Personen, die Sie kontrolliert haben, haben Sie noch eine Erinnerung dazu?“ Br.: „An Personen nicht mehr. Ich weiß, dass es diesen Einsatz gab, allerdings nicht mehr so detailliert.“ Götzl: „Können Sie zur Identität der Personen überhaupt noch was sagen?“ Br.: „Lediglich aus dem Vermerks, aus der Erinnerung heraus kann ich das aufgrund der verstrichenen Zeit nicht mehr sagen.“ Götzl: „Wenn Sie sagen, lediglich aus dem Vermerk, was bedeutet das? Ich nehme an, Sie haben ihn sich angesehen?“Br.: „Jawohl.“ Götzl: „Ist Ihnen nach der Einsichtnahme in den Vermerk dann im Hinblick auf die Personen nochmal etwas eingefallen?“ Br.: „Bezogen auf die Kontrolle im Detail nicht mehr, ist ja fast 19 Jahre her, kann ich mich detailliert an die Personen nicht mehr erinnern. [phon.] Ich kann letztlich nur Bezug auf meinen Vermerk nehmen.“ Götzl hält aus dem Vermerk die Namen André Kapke, Beate Zschäpe und Sven La. vor: „Haben Sie mit den Personen zu tun gehabt?“ Br.: „Vor Ort wurde noch eine weitere Frau kontrolliert, es waren insgesamt vier. Ich kann mich nicht erinnern, ich kann letztlich nur Bezug auf meinen Vermerk nehmen.“ Götzl: „Es ist von einer Jana A. die Rede. Können Sie dazu was sagen?“ Br.: „Aus dienstlicher [phon.] Sicht so nicht, nein.“

Götzl: „Unabhängig von der Identität: Können Sie etwas dazu sagen, ob die Personen Ihnen irgendetwas berichtet haben, ob ein Gespräch stattgefunden hat?“ Br.: „Ein Gespräch hat sicherlich im Rahmen der Kontrolle stattgefunden, denn alle vier wurden sicherlich zur Identitätsfeststellung angesprochen und aufgefordert sich ordnungsgemäß auszuweisen. Ob es da noch ein anderes Gespräch gegeben hat, kann ich mich nicht erinnern.“ Götzl fragt nach anderen Angaben. [phon.] Br.: „Nein.“ Es gibt keine Fragen von den anderen Verfahrensbeteiligten. Um 10:08 Uhr wird der Zeuge entlassen.

Götzl: „Ja, wir würden dann zur Anhörung von Ihnen kommen, Herr Prof. Dr. Saß.“ RA Borchert sagt, es solle eine Erklärung abgegeben werden vor der Gutachtenerstattung und bittet um fünf Minuten Pause, um das mit den Kollegen zu besprechen. Götzl legt eine Pause ein. Die Pause wird einmal verlängert. Weiter geht es um 10:32 Uhr. RA Borchert sagt, dass die Kollegin einen Antrag stellen wolle. Götzl: „Ja, jetzt habe ich Ihnen das Wort erteilt.“ Borchert: „Wir werden eine Stellungnahme verlesen nach Rücksprache mit der Mandantin, zuvor möchte die Kollegin einen Antrag verlesen.“ Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm beantragt, den SV Saß gemäß § 78 StPO dahingehend zu leiten, dass 1. er seinem Gutachten ausschließlich Anknüpfungstatsachen aus dem „Inbegriff der Hauptverhandlung“ zugrunde zu legen, also Beobachtungen Zschäpes während und außerhalb der Hauptverhandlung außer Acht zu lassen habe; 2. den SV auf sämtliche seitens der Verteidigung erhobenen Beweisverwertungswidersprüche und von Amts wegen zu beachtenden Beweisverwertungsverbote hinzuweisen und ihn aufzufordern, alternativ die Verwertbarkeit bzw. Unverwertbarkeit der betreffenden Beweistatsache zugrunde zu legen; 3. einem Gutachten die „anerkannten methodischen Standards“ zugrunde zu legen, d. h. unter anderem streng zwischen Befunderhebung und Bewertung zu differenzieren und sich bei seiner Bewertung ausschließlich auf sein Fachgebiet als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Schwerpunkt Forensische Psychiatrie, auf den Bereich der Psychopathologie zu begrenzen sowie die von Prof. Dr. Faustmann in seinem methodenkritischen Gutachten niedergelegten fachlichen Grundsätze zu beachten.

Zur Begründung sagt Sturm, dass der Richter die Tätigkeit des SV zu leiten habe. Götzl habe mit Schreiben vom 29.11.2012 Saß mit der Erstellung eines vorbereitenden schriftlichen Gutachtens „über den Zustand der Angeschuldigten Zschäpe und die Behandlungsaussichten“ beauftragt. Am 312. Hauptverhandlungstag habe Götzl den Auftrag insofern erweitert, dass der SV in Bezug auf die Frage der Alkoholisierung auch zu der Frage der Schuldfähigkeit sowie einer Unterbringung gemäß § 64 StGB [Unterbringung in einer Entziehungsanstalt] in seinem Gutachten Stellung nehmen solle. Am 25.03.2013 und am 20.10.2016 habe der SV jeweils ein vorläufiges schriftliches Gutachten überreicht. Sturm: „Eine darüber hinausgehende Leitung des Sachverständigen fand nicht statt, obwohl dies erforderlich gewesen wäre.“ Götzl habe lediglich in der Hauptverhandlung festgestellt, der SV wisse selbst, was er seinem Gutachten zugrunde legen darf. Die bisherigen Anträge der Verteidigung Zschäpe gemäß § 78 StPO seien mit rechtsfehlerhaften Begründungen abgelehnt worden.

Sturm führt Anträge der Verteidigung Zschäpe an vom 60. Verhandlungstag (keine Feststellungen zugrunde zu legen, die der SV anhand von Gesprächen der Mandantin mit ihren Verteidigern sowie durch Inaugenscheinnahme der Mandantin in Sitzungspausen erlangt hat) und vom 205. Verhandlungstag (die Anwesenheit des SV in der Hauptverhandlung auf Beweiserhebungen zu beschränken, bei denen Beweistatsachen zu einem unmittelbaren Verhalten Zschäpes zu erwarten sind und keine Feststellungen zugrunde zu legen, die er anhand von Gesprächen und sonstigen Interaktionen der Mandantin mit ihren Verteidigern innerhalb und außerhalb der Hauptverhandlung sowie durch Inaugenscheinnahme der Mandantin in Sitzungspausen erlangt hat). Dann nennt Sturm Beschlüsse des Senats, denen zufolge die Beobachtung der Angeklagten durch den SV keine verbotene Vernehmungsmethode sei und bei einer schweigenden Angeklagten, die sich nicht explorieren lasse, auch verhältnismäßig sei. Am 16.07.2015 und 05.08.2015 sei seitens Sturm, Stahl, Heer beantragt worden, Schriftstücke betreffend die Anträge auf Aufhebung ihrer Bestellung als Verteidiger nicht zur Grundlage des Gutachtens zu machen.

Der Vorsitzende habe in einer Verfügung vom 07.09.2015 einen Beschluss des 3. Strafsenats des BGH vom 08.08.2002 herangezogen, dem SV keine Weisungen erteilen zu dürfen. Allerdings betreffe diese Entscheidung einen gänzlich anderen Sachverhalt. Es sei dort nämlich um die Frage gegangen, ob dem Verteidiger des Beschuldigten ein Anwesenheitsrecht während der Exploration gegen den ausdrücklichen Willen des SV zustehe. Dies habe der 3. Strafsenat unter Hinweis auf die fachliche Kompetenz des SV verneint. Demgegenüber gehe es in den Anträgen von Sturm, Stahl, Heer um die Frage der Berücksichtigungsfähigkeit bereits vorhandener Tatsachen, nämlich bestimmter Schriftstücke, mündlicher Stellungnahmen und des verbalen wie nonverbale Kommunikations- sowie allgemeinen Verhalten Zschäpes während der Verhandlung. Dann nennt Sturm den Widerspruch gegen die Verlesung von Schreiben Zschäpes vom 313. Verhandlungstag und deren Ergänzungen und erwähnt, dass der Antrag vom 60. Verhandlungstag am 27.10.2015 abgelehnt worden sei.

Sturm führt weiter aus, dass es beim § 78 StPO darum gehe, die an den Erfordernissen des konkreten Strafprozesses ausgerichtete Gutachterarbeit zu fördern. Dazu zählten insbesondere die vom Gutachter zu beachtenden verfahrensrechtlichen Vorgaben wie auch sachlich-rechtliche Besonderheiten des Falles. Von der Leitung gemäß § 78 erfasst sei die Bekanntgabe der Anknüpfungstatsachen durch den Vorsitzenden an den Gutachter. Es sei Aufgabe und Verpflichtung des Richters, die Einhaltung der für das Fachgebiet des SV gültigen wissenschaftlichen Mindeststandards bei der Gutachtenerstattung zu überwachen und gegebenenfalls durch die Leitung herbeizuführen. Götzl habe bei der Beauftragung von Saß den reinen Wortlaut des § 246a Abs. 1 StPO wiedergegeben, wo er, so Sturm, konkrete Fragestellungen hätte vorgeben müssen. Das vorläufige Gutachten von Saß enthalte erhebliche Mängel, daher habe die Leitung zumindest jetzt zu erfolgen. Saß selbst rege in seinem vorläufigen Gutachten eine solche Leitung an. Sturm zitiert aus dem vorläufigen Gutachten.

Dann sagt sie, dass in Anbetracht der von der Verteidigung erhobenen Beweiserhebungs- und Beweisverwertungswidersprüche der SV darüber zu informieren sei, von welchen Tatsachen er bei seiner Begutachtung auszugehen habe. Falls das Gericht sich die Frage der Verwertbarkeit einzelner Beweismittel der abschließenden Urteilsberatung vorbehalte, seien dem SV die konkreten Fallalternativen vorzugeben. Die Begründung des Vorsitzenden in einer Verfügung vom 08.09.2015, dass eine Anleitung des SV im Hinblick darauf, er solle die Inaugenscheinnahme der Angeklagten in den Sitzungspausen bzw. den Inhalt von Schriftstücken und Stellungnahmen nicht zur Grundlage seines Gutachtens machen, nicht möglich sei, verkenne daher die Funktion der Leitung. Auf die Tatsache, dass es einem Menschen grundsätzlich unmöglich sei, willkürlich Sinneswahrnehmungen nicht zu tätigen, komme es hierbei nicht an. Der SV sei anzuhalten, sich bei der Befunderhebung ausschließlich auf die psychopathologische Befunderhebung zu beschränken und diese bei der Gutachtenerstattung differenziert nach objektiv wahrnehmbarem Verhalten und der von ihm vorgenommenen „subjektiven Zuschreibung“ wiederzugeben. Beobachtete Interaktionen zwischen Zschäpe und ihrer Verteidigung dürfe er nicht berücksichtigen. Er dürfe die aus der „Dauerbeobachtung“ gewonnenen Eindrücke auch nicht in Bezug zu der stattfindenden Beweisaufnahme setzen und die daraus gezogenen Bewertungen dem Gutachten zugrunde legen.

Sturm: „Die Umstände, die zu der Entscheidung über Art und Inhalt der Verteidigungsstrategie geführt haben, sind regelmäßig einer Kognition durch das Gericht entzogen; sie gehören zum Kernbereich der Verteidigung.“ Das Gericht dürfe entsprechende Beobachtungen nicht seiner Urteilsfindung zugrunde legen und das gelte auch für den SV. Davon seien dann auch Gespräche während der laufenden Verhandlung oder in Pausen erfasst, denn diese würden lediglich während der Hauptverhandlung stattfinden, zählten aber nicht zu deren Gegenstand. Das Bundesverfassungsgericht habe zum § 81 StPO [Unterbringung des Beschuldigten in einem öffentlichen psychiatrischen Krankenhaus zur Vorbereitung eines Gutachtens] ausgeführt, dass eine Anordnung zu einer Unterbringung nicht erfolgen könne, wenn der Beschuldigte sich weigert, sie zuzulassen bzw. bei ihr mitzuwirken, soweit die Untersuchung nach ihrer Art die freiwillige Mitwirkung des Beschuldigten voraussetzt.

Sturm zitiert aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2002: „Der hier angestrebten Totalbeobachtung, die Erkenntnisse über die Persönlichkeit des Beschuldigten erbringen soll, die er von sich aus nicht preisgeben will, steht der unantastbare Kernbereich des Persönlichkeitsrechts des Beschuldigten entgegen, der dadurch zum bloßen Objekt staatlicher Wahrheitsfindung gemacht würde, dass sein Verhalten nicht mehr als Ausdruck seiner Individualität, sondern nur noch als wissenschaftliche Erkenntnisquelle verwertet würde.“ Diese Konstellation, so Sturm weiter, sei auf die hier gegebene „Totalbeobachtung, sogar in Verhandlungspausen“ zu übertragen. Dem SV würden entsprechend die Beweiserhebungen in der Hauptverhandlung als Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen, mit der Folge, dass eine Beobachtung nicht unerlässlich sei und damit unzulässig sei, so Sturm. Das OLG München habe in einer aktuellen Entscheidung darauf hingewiesen, dass eine Diagnose aufgrund der Beobachtung des Verhaltens des Angeklagten während der Beweisaufnahme, insbesondere der Beobachtung seiner Reaktionen auf Zeugenangaben und ohne Erkenntnisse aus einer Exploration für eine spezifische Gefährlichkeitsprognose nicht hinreichend fundiert sei.

Sturm zitiert dann aus einem Text von Ulrich Eisenberg aus dem Heft „Recht & Psychiatrie“ 2015 zu der entsprechenden Entscheidung: „Zunächst ist zweifelhaft, ob ein solches Vorgehen mit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) vereinbar ist, da der Betroffene ggf. in die Rolle eines dauerbeobachteten und -abgehörten Objekts herabgewürdigt wird. Der Einwand gilt umso mehr, wenn Anlass nicht die Untersuchung von Schuld bzw. der Schuldvorwurf ist, sondern das Verfahren zur Prüfung der Voraussetzungen eines Sonderopfers.“ Ferner sehe Eisenberg, so Sturm, die Gefahr, dass der Beobachtete sein Verhalten, aber auch die konkrete Ausgestaltung der Verteidigung daran orientiert, dass er permanent durch den SV beobachtet wird. Damit komme es laut Eisenberg, so Sturm, nicht nur zu einer Verletzung grundrechtlicher Positionen, sondern auch einer Gefährdung der Wahrheitsfindung. Eisenberg führe das anhand eines konkreten Beispiels aus.

Wieder zitiert Sturm aus dem Text Eisenbergs in „Recht & Psychiatrie“: „Zur Veranschaulichung sei angeführt, dass anlässlich einer vorausgegangenen Verhandlung zur Frage der Fortdauer der einstweiligen Unterbringung der Gutachter C sich zu einer Antwort des Betroffenen äußerte: Auf die Frage eines anderen Sachverständigen an den Betroffenen, wie er sich eine mögliche künftige Beziehungsgestaltung vorstelle, hatte dieser geantwortet: ‚Grundsätzlich habe ich vor, alleine zu leben. Dies schließt ja Beziehungen nicht aus.‘ Daraufhin bemerkte der Gutachter C – ebenso abstrakt und unbegründet wie dem Betroffenen nachteilig -, es ‚gibt offenbar ein Bedürfnis nach Distanz und zum Ausweichen vor engen Beziehungen (…). Aus psychiatrischer Sicht bedeutet dies (…) ein erhebliches Gefährdungsrisiko‘. Hiermit hat der Gutachter allem Anschein nach eine Ursache für das nachfolgend weitgehende Schweigen des Betroffenen gesetzt, und da er in diesem seinem Rollenverständnis auch der im NSU-Prozess Angeklagten Z nicht unbekannt geblieben sein mag, hätte die Justiz mit der Auswahl dieses Gutachters ihrerseits eine Ursache für das Schweigen der Angeklagten Z gesetzt. – Zumindest kann die permanente Anwesenheit von Sachverständigen eine schwere psychische Belastung mit sich bringen und den Angeklagten ggf. in der Wahrnehmung seiner Verfahrensrechte unzulässig beschränken.“

Sturm zitiert dann eine Fußnote aus dem Text Eisenbergs: „„Es handelt sich zudem just um denjenigen, der in dem hier erörterten Verfahren das Gutachten C erstellte.“ Sturm führt dann aus, dass die Verwertung der aus der „Dauerbeobachtung“ von Zschäpe gewonnenen Erkenntnisse verletze Zschäpe in ihrer Menschenwürde, weil sie hierdurch zum bloßen Objekt des Verfahrens degradiert würde, wie auch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör und führe zu einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Aushöhlung des nemo-tenetur-Grundsatzes. [nemo tenetur se ipsum accusare = niemand ist verpflichtet sich selbst anzuklagen]Sturm: „Frau Zschäpe obliegt es lediglich, an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Zu einer aktiven Mitwirkung ist sie indes nicht verpflichtet. Es kann weder von ihr verlangt werden, an einer Aufklärung der angeklagten Taten mitzuwirken, noch dem erkennenden Gericht über die Wahrnehmungen des psychiatrischen Sachverständigen Anknüpfungstatsachen hinsichtlich der Frage der Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung zu liefern. Die Verwertung der durch eine Dauerbeobachtung generierten Erkenntnisse führte zu einem Verlust ihrer garantierten Dispositionsfreiheit.“ Zu dem Erfordernis einer Dauerbeobachtung habe sich der SV in seinem Vorgutachten von 2013 auch nicht geäußert, so Sturm. In seinem vorbereitenden Gutachten habe sich der SV auf die Aussagen verschiedener Zeugen im Ermittlungsverfahren bezogen, die auch als Zeugen in der Hauptverhandlung vernommen worden seien. Insoweit stehe dem SV eine Vielzahl an Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung, so dass die Beobachtung nicht unerlässlich sei und damit unzulässig sei. Eine beratende Kommunikation von Zschäpe mit ihrer Verteidigung während der Hauptverhandlung, auch ohne eine Unterbrechung, sei unerlässliche Voraussetzung für eine effektive Verteidigung.

Auch die vom SV seinem Vorgutachten zugrunde gelegte Nichtkommunikation könne nicht zugrunde gelegt werden. Wenn ein Angeklagter für sich zu der Überzeugung gelangt sei, mit seinem Verteidiger nicht mehr zusammenarbeiten zu wollen, stelle es für ihn ein legitimes Verteidigungsverhalten dar, Gespräche abzulehnen. Daher handele es sich dabei ebenso um einen Bereich der geschützten Verteidigungssphäre. Saß habe bei weitem nicht an allen Verhandlungstagen teilgenommen. Anschließende Informationen durch den Vorsitzenden hätten sich ausschließlich auf den Inhalt der Bekundungen von Zeugen und nicht auf beobachtungsbasierte Wahrnehmungen betreffend Zschäpe durch Mitglieder des Senats bezogen. Damit handele es sich bei dem im Vorgutachten erwähnten Beobachtungen um eine rein zufallsbasierte Auswahl und es sei festzustellen, dass Wahrnehmungen des SV aufgrund einer Beobachtung von Zschäpe für die Beantwortung der Gutachtensfrage letztlich auch nicht erforderlich seien, so Sturm abschließend.

RA Heer: „Ich bitte um das Wort für einen kurzen, dreiseitigen prozessualen Antrag.“ Heer beantragt dann, die Gutachtenerstattung durch Prof. Dr. Saß und dessen Befragung vollständig akustisch aufzuzeichnen und anschließend zu verschriften. Hilfsweise beantragt er, den Unterzeichnern den Datenträger mit der Aufzeichnung zur eigenen Anfertigung einer Verschriftung auszuhändigen bzw. den Unterzeichnern zu gestatten, eine eigene akustische Aufzeichnung zur ausschließlich internen Verwendung vorzunehmen. Bei der Erstattung des forensisch-psychiatrischen und kriminalprognostischen Gutachtens handele es sich um einen der zentralen Aspekte der Beweisaufnahme, so Heer. Dem Gutachten komme für die Entscheidung des Senats auf den zu erwartenden Antrag des GBA auf Anordnung der Sicherungsverwahrung eine wesentliche Bedeutung zu. Heer sagt, die Verteidigung Zschäpe sei nicht nur für die effektive Ausübung des Fragerechts auf eine exakte Dokumentation angewiesen. Es sei außerdem beabsichtigt, den von Sturm, Stahl und Heer bereits hinzugezogenen SV Prof. Dr. Faustmann mit der Erstattung eines Gutachtens zu beauftragen. Dieses werde sich mit dem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten von Saß auseinandersetzen. Da Faustmann heute verhindert sei, seien ihm die Anknüpfungstatsachen valide zu vermitteln, was bestmöglich über ein aus einer Aufzeichnung gewonnenes Wortprotokoll erfolgen könne.

Eine wörtliche Mitschrift sei ihnen selbst nicht möglich, da keiner der Unterzeichner über eine ausreichende Geschwindigkeit im Tastschreiben verfüge und selbst wenn während einer ganztägigen Mitschrift der Ausführungen des SV und Fragen die gebotene Konzentration auf den Vortrag nicht zu gewährleisten sei. Der zusätzliche technische Aufwand für die akustische Aufzeichnung sei sehr gering, da die ohnehin ständig betriebene Mikrofonanlage problemlos mit einem Datenträger gekoppelt werden könne. Die Unterzeichner würden angemessene Sicherungsmaßnahmen ergreifen, um einem Missbrauch der Aufzeichnungen bzw. Verschriftungen zu verhindern. Dann geht Heer darauf ein, dass der Senat einen am 3. Verhandlungstag gestellten Antrag auf Aufzeichnung der gesamten Hauptverhandlung, hilfsweise der wesentlichen Teile der Beweisaufnahme, abgelehnt hat. Dabei habe der Senat auf die Gefahr von verfahrensfremden Auswirkungen hingewiesen, die die Aussage von Auskunftspersonen und ihren Beweiswert beeinträchtigen können, weil das Besprechen eines Tonbandes bei vielen Betroffenen eine Hemmung auslöse, frei und unbefangen zu reden, so dass die Aufzeichnung einer Aussage dazu führen könne, dass diese nicht frei und unbelastet erfolge und damit die Wahrheitsfindung gefährdet sei. Dies könne aber bei Saß nicht herangezogen werden. Bei Saß handele es sich um einen forensisch außerordentlich erfahrenen SV und es sei daher nicht zu befürchten steht, dass die Aufzeichnung seine Unbefangenheit bei seinen Ausführungen tangieren könne. Auf eine Zustimmung der Verfahrensbeteiligten komme es nicht an, da das gerichtliche Tonband ohne Zustimmung aufgenommen werden könne. Bei einer der Verteidigung genehmigten Aufzeichnung sei diese aber einzuholen.

Götzl: „Dann kommen wir zu Ihnen, Herr Borchert. Zum Prozedere: Es geht um Erklärungen für Frau Zschäpe?“ Borchert: „Ja, der Kollege Grasel wird es verlesen.“

Dann verliest RA Grasel für Zschäpe folgende Erklärung:

Zum vorläufigen Gutachten des Herrn Prof. Dr. Saß möchte ich folgendes mitteilen:

1. Beginnen möchte ich mit dem 1. Hauptverhandlungstag, dem 06. Mai 2013. Ich wurde in den Sitzungssaal geführt und dutzende Reporter standen mit ihren Kameras wie eine Wand vor mir. Leider musste ich feststellen, dass keiner meiner drei Anwälte anwesend war. Ich war desorientiert und fühlte mich allein gelassen. Ein Polizeibeamter zeigte mir den mir zugewiesenen Platz und ich drehte mich instinktiv um. Ich bin bis heute fest davon überzeugt, dass ich ohne diese Reflexhandlung den ersten Prozesstag nervlich nicht durchgehalten hätte. Allein dadurch ergab sich das im Gutachten angesprochene „Ritual“. Mit der Zeit wurde es zu etwas Vertrautem, was mir eine gewisse Sicherheit gab.

Erst ab Dezember 2015 gelang es mir, den „Schutzraum dieses Rituals“ zu verlassen und mich somit offener zu zeigen. Das Gefühl, mich offensiver gegen die mir zur Last gelegten Vorwürfe wehren zu können, gab mir die Kraft, diesen für mich großen Schritt zu tun. Endlich hatte die zermürbende Schweigestrategie mit all den daraus resultierenden internen Unstimmigkeiten ein Ende gefunden. Mit meinen beiden neuen Verteidigern und der geänderten Verteidigungsstrategie fühlte ich mich endlich in meinem Sinne verteidigt.
Wie bekannt hatten mir die Rechtsanwälte Stahl, Heer und Sturm dringend angeraten, sowohl gegenüber dem Senat als auch gegenüber allen weiteren Prozessbeteiligten jegliche Gefühlsregungen, ja sogar jeden Blickkontakt zu vermeiden, damit keine Rückschlüsse in Bezug auf die erhobenen Anklagevorwürfe gezogen werden können. Ich war deshalb von Anfang an bemüht, so wenig wie möglich Gefühlsregungen zu zeigen, wohl wissend, dass jede Gefühlsregung von der Öffentlichkeit und einigen Vertretern der Nebenklage bewusst oder unbewusst falsch dargestellt oder gedeutet werden würden.
Auch aus Angst vor einer dauerhaften Prozessunfähigkeit habe ich versucht und werde ich auch weiterhin versuchen, hier einen „öffentlichen Zusammenbruch“ zu verhindern, da es in diesem Prozess in erster Linie nicht um mein Seelenleben gehen sollte. Keinem Zeugen konnte ich deshalb meine wahren Gefühle zu zeigen. Beim Ansehen der Videos und Fotos versuchte ich alle Gemütsregungen zu unterbinden – was mir sehr, sehr schwer fiel und worauf ich noch detailliert eingehen werde.

2. Ich möchte betonen, dass ich zu jahrelangen gleichbleibenden Gemütsbewegungen nicht in der Lage bin. Natürlich kann es sein, dass ich über den langen Zeitraum hinweg ab und zu den Eindruck des Gelangweilten und Desinteressierten vermittelt habe. Ich möchte dieses Verhalten jedoch lediglich auf solche Verfahrensthemen beschränkt wissen, die mich nicht unmittelbar betrafen oder auf Verlesungen von Schriftstücken, die mir durch vorherige Lektüre bereits bekannt waren.
In der Regel habe ich mich nicht „hinter den Laptop zurückgezogen“, sondern versucht, Zeugenaussagen, verlesene Urkunden etc. anhand des mir auf dem Laptop zur Verfügung stehenden Akteninhalts zu verifizieren oder zu rekonstruieren. Ich möchte an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass sich auf dem Laptop ausschließlich die elektronischen Verfahrensakten und Nachlieferungen und keine anderweitigen, zur Ablenkung geeignete Programme oder Ähnliches befinden.
Wenn der Eindruck des gelangweilten Rückzugs auf den Laptop gewonnen wurde, so ist dieser Eindruck schlichtweg falsch.

Das im vorläufigen Gutachten angesprochene und immer wieder erwähnte „Selbstbewusstsein“ in Alltagssituationen Dritten gegenüber hatte nichts mit dem nötig gewesenen, aber offensichtlich nicht vorhandenen Durchsetzungsvermögen gegenüber den beiden Uwes – insbesondere gegenüber Uwe Böhnhardt – zu tun.

Das Verbergen und Unterdrücken von Gefühlsregungen jeglicher Art musste ich mir schon in den Jahren des Untertauchens angewöhnen, um einerseits nicht aufzufallen und um andererseits die damalige Lebenssituation überhaupt ertragen zu können. Ich war damals in einem Kreislauf von Isolation, Angst und Resignation gefangen, die in einer totalen Verdrängung der Wirklichkeit und einer Verleugnung meiner selbst mündete. Um mich daraus zu befreien, fehlte mir aus bereits mehrfach beschriebenen Gründen die Kraft. Der Eindruck jetziger „fehlender Betroffenheit“ ist falsch.
Wenn ich den Eindruck „fehlenden Leidens“ oder „fehlender Bedrücktheit“ vermittelt habe, so ist dieser Eindruck damit zu erklären, dass ich mich auf anwaltlichen Rat hin so verhalten habe – immer vor Augen, dass ich aufgrund falsch verstandener Gestik oder Mimik für etwas verurteilt werden könnte, was ich nicht zu verantworten habe. Eine betont „kontrollierte“ Ausstrahlung wurde so für mich – wie schon das „Ritual“ des Umdrehens – ein Rückzugsort einer vermeintlichen Sicherheit.

Manche Zeugen oder andere eingebrachte Beweismittel gingen mir sehr nahe, aber ich war und bin mir bewusst, dass es sich hier um einen medienwirksamen „öffentlichen Prozess“ handelt, in dem jede meiner Gefühlsregungen von der Presse bewusst oder unbedacht „fehlinterpretiert“ werden könnten.
Auch deshalb habe ich mich, dem anwaltlichen Rat folgend, konsequent „betont gleichgültig“ verhalten, obwohl es mir – je nach Begebenheit – schwer fiel.

Ich möchte hierzu einige Beispiele anführen:

Zunächst einmal der Tag, an dem sich die Mutter des Halit Yozgat an mich gewandt hatte. Ihren Appell „von Frau zu Frau“ habe ich noch heute vor Augen und werde ihn niemals vergessen. Ich konnte ihr keine Antwort auf ihre Fragen geben und ich hatte mich gezwungen, regungslos zu bleiben, obwohl meine Gefühle völlig andere waren.
Ich möchte auch auf den Prozesstag eingehen, an welchem erstmals das „Paulchen-Panther-Video“ bzw. Vorgängerversionen gezeigt wurden. An diesem Tag sah ich diese Filme zum ersten Mal. Die Filme wurden unangekündigt nach einer Sitzungspause gezeigt (Herr Prof. Saß war nicht anwesend) und ich hatte keine Ahnung, was auf mich zukam. Vor Beginn der Hauptverhandlung hatte ich mit den Rechtsanwälten Stahl, Heer und Sturm zu keinem Zeitpunkt diese Videos angesehen und diese auch nicht besprochen. Ich hatte natürlich anhand der Anklageschrift Kenntnis von den Videos, den Gedanken jedoch verdrängt mir diese anzuschauen.

Zu Beginn des Films erfolgte ein Knall wie von einem Schuss und ich erschrak zutiefst. Nachdem ich den Film gesehen hatte kann ich meine ersten Gefühle nur so beschreiben, dass ich nicht glauben konnte was ich gesehen hatte. Ich war wie „versteinert“, „durch den Wind“ und dennoch zwang ich mich erneut, keinerlei Gefühlsregungen zu zeigen. Es ist etwas völlig anders ein Ereignis erzählt zu bekommen, als sich die Geschehnisse auf einem Video anzusehen. Bilder bringen es näher, machen alles realer. Ich hatte ihr Tun verdrängt – wie bereits beschrieben aus Angst, dass sie sich umbringen, aus Angst vor einer langen Inhaftierung und aus „blinder Liebe“ zu Uwe Böhnhardt. Nun gab es kein Verdrängen mehr, sondern ich war unmittelbar mit dem Geschehen konfrontiert und „gezwungen“ mir nichts anmerken zu lassen. Wenn ich äußerlich beschrieben werde als „ohne Zeichen von Bedrücktheit, Leiden und Betroffenheit“, so war und ist mein Inneres das genaue Gegenteil.

Im Rückblick auf die vergangenen Prozesstage bewundere ich die Haltung mancher Zeugen, deren Aussagen auch für mich zum Teil sehr einschneidende Erlebnisse waren, weil mir bei den jeweiligen Aussagen der Umfang und die Auswirkungen der von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begangenen Taten auf die Angehörigen der Opfer, auf die Überlebenden der Bombenanschläge und auf die Menschen, die uns vertraut haben, voll bewusst wurde.

Ich möchte an dieser Stelle nochmals darauf hinweisen, dass jedes Wort meiner Einlassung, meine Entschuldigung, mein aufrichtiges Bedauern und meine Distanzierung von der sogenannten rechten Szene von mir absolut ernst gemeint sind. Es ist das Ergebnis mehrjährigen Auseinandersetzens mit dem Geschehenen – insbesondere während des laufenden Prozesses -, dem Eingestehen des eigenen Fehlverhaltens und dem festen Willen, für dieses Fehlverhalten Verantwortung zu übernehmen. All dies mündete in die von mir am 29.09.2016 selbst verlesene Distanzierung.

Ich beschreibe hier sehr offen meine Emotionen mit der Gewissheit, dass sie von einer Vielzahl der Prozessbeteiligten und der Presse als Lüge, Heuchelei und vieles mehr bezeichnet werden – aber es sind meine wahren Gefühle.

3. Ich hatte in meiner Einlassung vom 09.12.2015 angegeben, dass ich – nachdem ich vom Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße erfahren hatte – entsetzt war und ihr Handeln nicht nachvollziehen konnte. Ich hatte auch angegeben, dass ich den beiden nicht mehr vertraute, dass sie mir die Wahrheit über ihre Vorhaben sagen.
Ca. 6 bis 7 Wochen später waren wir zu dritt gemeinsam im Urlaub. Die entsprechenden Bilder wurden bereits in Augenschein genommen. Sofern hierdurch der Eindruck entsteht, dass wir einen völlig unbeschwerten Urlaub verbracht hätten, möchte ich dazu folgendes sagen:
Zu dieser Zeit lebten wir bereist 6 1/2 Jahre gemeinsam im Verborgenen. Wir hatten uns mit dieser arrangiert und ich hatte mich daran gewöhnt, mich nach außen hin unauffällig zu verhalten, selbst wenn es mir innerlich schlecht ging.
Wie ich bereits ausführlich versucht habe zu erklären, sah ich für mich keine Möglichkeit, mich von den beiden zu trennen und mich der Polizei zu stellen. Deshalb sah ich mich während des Urlaubs gezwungen, mich unauffällig zu verhalten und keinen Streit vom Zaun zu brechen, wodurch wir hätten auffallen können.
Also verhielt ich mich, wie von den zahlreichen Zeugen beschrieben: nämlich ruhig, unauffällig, nett, freundlich, hilfsbereit, unterhaltsam und auch im Umgang mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos harmonisch. Über die Jahre des Untertauchens hatte ich mir dies angeeignet. Wie es innerlich in mir aussah und mit welcher Gewissenslast ich mich auseinanderzusetzen hatte, ließ ich mir nicht anmerken.
Natürlich war mir durch den Kopf gegangen, nicht mit in Urlaub zu fahren, aber meine Gefühle gegenüber Uwe Böhnhardt überwogen und ein alleine zurückbleiben konnte ich gedanklich nicht ertragen.
Es versteht sich selbst, dass auf den Urlaubsbildern keine Streitereien oder ähnliches abgebildet sind. Wer fotografiert sich schon während eines Streits? Wir hatten versucht, das Beste aus der Situation zu machen und hatten den Urlaub – der für mich eine dringend benötigte Abwechslung und einen „Tapetenwechsel“ darstellte – so gut es ging miteinander verbracht.
Aus dem Eindruck, der sich für Außenstehende ergibt, zu schlussfolgern, dass mich die Taten der beiden, von denen ich vor dem Urlaub Kenntnis erlangt hatte, innerlich unberührt gelassen hätten, ist unzutreffend. Dies möchte ich hiermit richtigstellen.

4. Die Tatsache, dass Fragen der Nebenklägervertreter von mir nicht beantwortet werden, ist keinesfalls als Missachtung gegenüber den Opfern und den Angehörigen der Opfer zu verstehen. Die unzähligen Fragen der anwaltlichen Vertreter der Nebenklage werden aus folgenden Gründen nicht beantwortet:
– Alle prozessrelevanten Fragen habe ich mit meiner Einlassung vom 09.12.2015 und den folgenden Stellungnahmen beantwortet.
– Aufgrund des bisherigen Prozessverhaltens einzelner anwaltlicher Vertreter der Nebenklage gehe ich davon aus, dass auf die bisher gestellten Fragen weitere Fragen in gleicher Anzahl gestellt würden, weil ich deren Erwartungen aus eigener Unkenntnis nicht erfüllen kann.
– Schließlich bin ich der Meinung, dass viele der gestellten Fragen eher in einem Untersuchungsausschuss und nicht in einem Strafprozess gestellt werden sollten.

5. Die Art der Formulierung meiner Antworten ist natürlich mit den beiden Verteidigern meines Vertrauens abgesprochen. Der Presse – die mich schon vor Prozessbeginn ohne Kenntnis näherer Umstände als „Nazi-Mörder-Braut“ bzw. als „Teufel“ darstellte – ist zu entnehmen, dass jedes meiner Worte „auf die Goldwaage gelegt“ wird. Ich gehe davon aus, dass viele Prozessbeteiligte einen ähnlichen Maßstab anlegen.
Die lang andauernde Untersuchungshaft und die damit für mich verbundenen Erschöpfungserscheinungen, zunehmende Konzentrationsprobleme sowie Kopfschmerzen und Magenbeschwerden sind ein Grund, die Unterstützung der Anwälte bei den Ausformulierungen in Anspruch zu nehmen.
Dies alles betrachtet verstehe ich die gutachterliche Stellungnahme zu der Art und Weise meiner bisherigen Ausführungen nicht, wenn Rückschlüsse auf meinen Charakter daraus gezogen werden, dass ich eben diesen anwaltlich nüchternen Formulierungen vertraue, um jedes Missverständnis zu vermeiden.

Grasel: „Und die Unterschrift von Frau Zschäpe.“ Götzl: „Sind das Ihre Angaben, Frau Zschäpe?“ Zschäpe bestätigt das. Götzl sagt, er wollen eine Pause zum Kopieren der Anträge und der Erklärung einlegen und im Anschluss könne Stellung genommen werden. Bundesanwalt Diemer: „Wenn wir zu allem im Einzelnen Stellung nehmen sollen, was wir auch möchten, brauchen wir den Nachmittag schon.“ Götzl: „Dann legen wir die Mittagspause ein, setzen um 13 Uhr fort, um das weitere Prozedere zu besprechen.“

Um 13:07 Uhr geht es weiter. Götzl: „Dann setzen wir fort. Es geht jetzt um Stellungnahmen zunächst zu den beiden Anträgen der Verteidigung Zschäpe und zum anderen um die Äußerungen Frau Zschäpes, ggf. Erklärungen, die dazu abgegeben werden sollen?“ Diemer: „Die in den beiden Anträgen heute Vormittag vorgetragenen Gesichtspunkte, dazu haben wir z. T. Stellung genommen. Es sind aber doch auch neue Gesichtspunkte dabei und dazu hätten wir gern etwas formuliert.“ Dafür wolle die BAW den Nachmittag gern nutzen, so Diemer. Nachdem sich die Angeklagte heute nochmal eingelassen habe, sei auch vorstellbar, dass der Sachverständige das evtl. noch einordnen [phon.] wolle. Zur Einlassung von Zschäpe gibt es auf Frage von Götzl keine Erklärungen von Verfahrensbeteiligten. Götzl sagt zur Verteidigung Zschäpe: „Einen Punkt wollte ich noch ansprechen: Zum Antrag hinsichtlich 78 StPO: Da wäre sinnvoll, wenn Sie auf diese Beweisverwertungswidersprüche und die von Amts wegen zu beachtenden Beweisverwertungsverbote, also wenn Sie die benennen würden.“ Der Verhandlungstag endet um 13:12 Uhr.

Pressemitteilung der NK-Vertreter RA Scharmer und RA Stolle: „Sie hätte die ganze Zeit während des Prozesses ihre Emotionen verborgen, weil ihr die alten Verteidiger dazu geraten hätten. Die Presse hätte zudem, wie ‚einige Nebenklagevertreter‘ jede Gefühlsregung ‚bewusst oder unbewusst falsch dargestellt oder gedeutet‘. Keinem Zeugen – insbesondere den Verletzen der Anschläge und den Hinterbliebenen der Getöteten – hätte sie deshalb ihre Gefühle zeigen können. Welche Gefühle das gewesen sein sollen, blieb in der anwaltlich verfassten Erklärung allerdings vollkommen substanzlos. Es wird vielmehr dargestellt, dass Zschäpe selbst meint, dass sie sich das Verbergen und Unterdrücken von ‚Gefühlsregungen jeglicher Art‘ schon in den Jahren des Untertauchens angewöhnt hat – damit quasi im Prozess nur habe fortsetzen müssen. Ihr Bedauern und ihre ‚Distanzierung von der sogenannten rechten Szene‘ sei ‚absolut ernst gemeint‘. Von was sie sich jedoch inhaltlich tatsächlich distanzieren will, beschreibt sie genausowenig, wie ihr angebliches Bedauern. […] Rechtsanwalt Scharmer erklärt dazu: ‚Die heutige Erklärung von Zschäpe über Rechtsanwalt Grasel ist ein rein taktischer Versuch, das Ergebnis der Begutachtung im letzten Moment noch zu ändern. Sinnvoll erscheint die Erklärung nicht. Zschäpe versucht sich damit selbst als Opfer von teilweise ‚bewussten‘ Falschdarstellungen der Nebenklage und Presse zu inszenieren – fehlt nur noch der Begriff der ‚Lügenpresse‘. Nichts von der Erklärung ist emotional unterfüttert. Der anwaltliche Schreibstil vermittelt floskelhafte Behauptungen von nicht näher dargestellten ‚Emotionen‘ und ‚Bedauern‘. Was Frau Zschäpe allerdings selbst mitteilt, ist, dass es ihr 13 Jahre beim Untertauchen und gleicher Maßen vor Gericht gelungen ist, sich zu verstellen, teilweise auch andere zu manipulieren. Warum sollte man ihr jetzt nicht weiter beschriebene ‚Emotionen‘ und ein ‚Bedauern‘ für Taten, die sie selbst leugnet, auch nur ansatzweise abnehmen? Dass sie keine einzige Frage von uns beantwortet und dem Gericht gegenüber nur langfristig von ihren neuen Anwälten vorbereitete Stellungnahmen präsentiert, zeigt auch, dass die Fassade brüchig ist: Zschäpe würde einer direkten Befragung und Konfrontation mit ihren zahlreichen Widersprüchen niemals Stand halten können.'“
http://www.dka-kanzlei.de/news-reader/zschaepe-laesst-ihre-emotionen-durch-ihren-anwalt-erklaeren-verstellen-und-manipulation-hat-sie-13-jahre-waehrend-des-untertauch.html

Das Blog „nsu-nebenklage„: „In dieser Erklärung versucht Zschäpe erneut, die Glaubhaftigkeit ihrer bisherigen Erklärungen zu beteuern und dem aus der Beweisaufnahme erwachsenen Bild der manipulativen Persönlichkeit, die sich ohne Mitgefühl an den Straftaten des NSU beteiligt hat, entgegenzuwirken. Einerseits gibt Zschäpe an, sie habe auf Anweisung der Altverteidiger keine Regung und Gefühle gezeigt, weil dies ‚von der Öffentlichkeit und einigen Vertretern der Nebenklage bewusst oder unbewusst falsch dargestellt oder gedeutet werden‘ würde. Dieses Verhalten, nämlich keine Gefühlsregungen zu zeigen, habe sie sich schon in den Jahren des Untertauchens angewöhnt. Allerdings werden auch in der gesamten, achtseitigen Erklärung Gefühle immer nur dann konkret benannt, wenn sie Zschäpe selbst betreffen. So erklärt sie, sie habe sich am ersten Hauptverhandlungstag von ihren VerteidigerInnen ‚alleingelassen‘ gefühlt und sei ‚desorientiert‘ gewesen, ihre der Presse abgewandte Körperhaltung habe ihr Sicherheit gegeben. Sobald Zschäpe aber Gefühle in Bezug auf dritte Personen, etwa die Mutter des ermordeten Halit Yozgat, beschreibt, kommen nur inhaltsleere Worthülsen. Deren ‚Appell von Frau zu Frau‘ […] habe sie noch heute vor Augen und würde ihn nie vergessen, sie hätte ihr damals keine Antwort auf ihre Fragen geben können. Welche Gefühle Zschäpe konkret in diesem Moment gehabt haben will, bleibt erneut offen – und insbesondere erklärt Zschäpe nicht, warum sie auch heute noch die Fragen der Frau Yozgat nicht beantworten will. Für ihre Außenwirkung während des Prozesses schiebt Zschäpe nunmehr alle Verantwortung auf ihre Altverteidiger, mit derselben Logik, mit der sie die gesamte Verantwortung für die Verbrechen des NSU auf Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos schiebt. Und so beschreibt sich Zschäpe weiter als Opfer – der beiden Uwes, der Altverteidiger, der bösen Nebenklage und der Lügenpresse. Sie weigert sich nach wie vor, für ihr Handeln in irgendeiner Weise Verantwortung zu übernehmen.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2017/01/10/10-01-2017/

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