Protokoll 345. Verhandlungstag – 09. Februar 2017

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Zu Beginn des Prozesstages lehnt Richter Götzl ein weiteres Mal die Anträge der sog. Alt-Verteidigung von Beate Zschäpe zum psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. Henning Saß ab. Diese hatte u.a. gefordert, Saß müsse sein Notizen in der Hauptverhandlung vorlegen. Später befragen RAe Sturm und Stahl den SV ausführlich u.a. zu seinen Notizen und seinen Methoden.

Sachverständiger:

  • Prof. Dr. Henning Saß (Psychiatrische Begutachtung von Beate Zschäpe)

Der Verhandlungstag beginnt heute planmäßig um 10:30 Uhr. Um 10:45 Uhr geht es tatsächlich los. Nach der Präsenzfeststellung verliest Götzl den Beschluss, dass es bei dem Beschluss des Senats vom 08.02.2017, mit der er die Verfügung des Vorsitzenden zu den handschriftlich gefertigten Notizen des SV Prof. Dr. Saß bestätigte, sein Bewenden habe (I.). Die weiteren Anträge [Unterbrechung der Befragung von Saß; Aufforderung an Saß, seine Notizen, die er im Rahmen seiner Teilnahme an der Hauptverhandlung angefertigt hat, dem Gericht vorzulegen oder andernfalls deren Beschlagnahme anzuordnen und anschließend Akteneinsicht zu gewähren, Fortsetzung der Befragung des SV nach einer angemessenen Zeit zur Auswertung der Notizen] werden abgelehnt (II.). Außerdem werden die Anträge, die in der schriftlichen Begründung der Gegenvorstellung im Rahmen der Prozessgeschichte dargestellten Vorgänge zu protokollieren und die dargestellten Äußerungen wörtlich zu protokollieren, abgelehnt (III.). Götzl gibt dann zunächst den prozessualen Verlauf bis zum Beschluss sowie die Begründungen aus den Anträgen der Zschäpe-Verteidiger_innen Sturm, Stahl und Heer wieder.

Dann verliest Götzl zur Begründung des Beschlusses unter I.: Nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage unter besonderer Berücksichtigung des Vortrags der Gegenvorstellung und der Neuanträge kann der Senat keine Umstände erkennen, die es rechtfertigen würden, den angefochtenen Beschluss abzuändern. Es hat demnach bei dem Beschluss sein Bewenden.
I. Zur Begründung wird zunächst Bezug genommen auf die Ausführungen in dem angegriffenen Beschluss vom 08.02.2017 und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verteidigung weiterhin ihr Fragerecht hinsichtlich des Sachverständigen ausüben kann und somit Passagen des mündlichen Gutachtens, die ihnen erläuterungsbedürftig erscheinen, bzgl. weiterer Details hinterfragen kann.

II. Im Hinblick auf den Vortrag der Gegenvorstellung wird ausgeführt: Auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Gegenvorstellung drängt die Aufklärungspflicht nicht dazu, den Sachverständigen Prof. Dr. Saß zu leiten, handschriftlich gefertigten Notizen zum Gerichtsort zu bringen. Auch unter dem Gesichtspunkts des Anspruchs auf ein faires Verfahren und dem Anspruch auf rechtliches Gehör besteht keine Verpflichtung zu der beantragten Anleitung:
1. Bei der Gutachtenerstattung ist wesentlich, dass der Sachverständige die Anknüpfungstatsachen, von denen er bei seinem Gutachten ausgeht, im Einzelnen bezeichnet. Die Anknüpfungstatsachen, von denen der Sachverständige in seinem Gutachten ausgeht, die er somit für relevant für die Beantwortung der Gutachtensfragen gehalten hat, hat der Sachverständige ausführlich und detailliert in seiner Vernehmung dargestellt. Der Sinn einer anwaltlichen Überprüfung von Umständen, die keine Bedeutung für die Gutachtensfragen haben, erschließt sich dem Senat nicht. Ganz plastisch ausgedrückt, bedeutet dies: Der Sachverständige hat wie die anderen Prozessbeteiligten sicherlich auch die Beobachtung gemacht, dass die Angeklagte Zschäpe an manchen Hauptverhandlungstagen offenes Haar und an manchen Hauptverhandlungen hochgestecktes Haar trug. Es ist dem Senat allerdings nicht nachvollziehbar, weshalb die Aufklärungspflicht, der Anspruch auf ein faires Verfahren oder der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangen sollte, dass der Sachverständige diese Wahrnehmung referiert und zudem angibt, dass und aus welchen Gründen beispielsweise offenes oder hochgestecktes Haar für die Beantwortung der Gutachtensfragen belanglos sind. Die weitergehende Erforschung von für die Gutachtensfragen irrelevanten Umständen gebieten daher weder Aufklärungspflicht noch der Grundsatz des fairen Verfahrens und der Anspruch auf rechtliches Gehör.

2. Ein Gutachten hat nachvollziehbar und überprüfbar zu sein. Es muss im Gutachten dargestellt werden, aufgrund welcher Anknüpfungstatsachen, Untersuchungsmethoden und Denkmodelle der Sachverständige zu den von ihm gefundenen Ergebnissen gelangt ist. Diesen Erfordernissen hat der Sachverständige in den von ihm gemachten Ausführungen entsprochen. Die von den Antragstellern herangezogenen Prozessgrundsätze erfordern es aber nicht, auch Tatsachen in die Hauptverhandlung einzuführen, die für die Erlangung der Ergebnisse des Sachverständigen gerade keine Rolle spielten.
3. Weder unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht, noch des fairen Verfahrens oder des Anspruchs auf rechtliches Gehör erschließt sich, aus welchem Grunde die Gegenvorstellung sämtliche Beobachtungen des Sachverständigen – also auch die irrelevanten und deren Bewertung – bekannt sein müssen. Eine effektive Überprüfung des methodischen Vorgehens erfolgt anhand des Gutachtens, in dem sämtliche für die Gutachtensfragen relevanten Beobachtungen mitgeteilt wurden. Anhaltspunkte dafür, sofern der Vortrag der Gegenvorstellung so zu verstehen sein sollte, dass der Sachverständige Prof. Dr. Saß Umstände von Relevanz aufgrund von fehlender Sachkunde oder aus Versehen nicht mitgeteilt haben sollte, bestehen nicht. Die Äußerung von Prof. Dr. Saß, er sei eigentlich nicht gewillt, das vorzutragen – also seine handschriftlichen Notizen – , was er ins Unreine gedacht habe, kann nicht als Anhaltspunkt dafür herangezogen werden, der Sachverständige halte seine Notizen zurück, weil sich dort mglw. doch bislang noch nicht dargestellte relevante Feststellungen befänden. Unmittelbar nach seiner Äußerung und auf erneute Bitte von RAin Sturm, die Frage zu beantworten, meinte der Sachverständige, man hätte da einen Dissens, das möge das Gericht beantworten. Mit dieser Äußerung stellte der Sachverständige ausdrücklich klar, dass er sich nicht weigere, Fragen zu beantworten, wenn er vom Gericht dazu angehalten werde.

4. Weder unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht, noch des fairen Verfahrens oder des Anspruchs auf rechtliches Gehör erschließt sich, aus welchem Grunde die Gegenvorstellung überprüfen muss, ob der Sachverständige bei der Information durch den Vorsitzenden alle Umstände erfassen konnte. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Sachverständige die ihm vom Vorsitzenden gegebenen Informationen nicht erfasst hätte.
5. Der Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die des Bundesgerichtshofs verfängt nicht: a. Der von den Antragstellern herangezogene Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bezog sich auf einen Fall, in dem die Befundtatsachen des Sachverständigen bestritten waren. Dies ist hier nicht der Fall. Zudem bezieht sich die Entscheidung auch nur auf die Kenntnis von Tatsachen, die ein Sachverständiger seinem Gutachten zugrunde gelegt hat. Diese zugrunde gelegten Tatsachen hat der Sachverständige Prof. Dr. Saß im vorliegenden Fall ausführlich und detailliert in der Hauptverhandlung dargelegt und erläutert. b. Der von den Antragstellern erwähnte Beschluss des Bundesgerichtshofs stellt zunächst fest, dass ein unbedingter, keinen Beschränkungen unterliegender Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf Vorlage und Zugänglichmachung sämtlicher zur Vorbereitung des Gutachtens dienender Arbeitsunterlagen eines Sachverständigen nicht gibt. Ob und wie weit das Gericht und die Verfahrensbeteiligten Kenntnis vom Inhalt vorbereitender Arbeitsunterlagen des Sachverständigen haben müssen, hänge von den Umständen des Einzelfalles ab. Maßstab sei – so der BGH – letztlich die tatrichterliche Aufklärungspflicht. Dass die Aufklärungspflicht im vorliegenden Verfahren nicht dazu drängt, Kenntnis vom Inhalt der handschriftlichen Unterlagen von Prof. Dr. Saß zu nehmen, wurde bereits ausführlich im angegriffenen Beschluss dargelegt.

Zu den Beschlüssen unter II. verliest Götzl, Grundanliegen dieser Anträge sei es, die handschriftlichen Unterlagen des SV zu erlangen entweder durch freiwillige Herausgabe oder durch Beschlagnahme der Unterlagen geschehen. Die weiteren Anträge (Unterbrechung etc.) würden an die Beibringung der Unterlagen anknüpfen. Götzl führt dann aus:
I. Sowohl die Verpflichtung auf Herausgabe nach § 95 Abs. 1 StPO als auch die Beschlagnahme nach § 94 StPO beziehen sich auf einen Gegenstand, der als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein kann.
1. Von Bedeutung für die Untersuchung ist jeder Gegenstand, der die Aufklärung und Ahndung einer Straftat zu fördern geeignet ist, wie etwa Beutestücke, Tatwerkzeuge, Spurenträger, Vergleichsproben und anderes mehr. Ohne Bedeutung im Sinne des § 94 und § 95 StPO sind Gegenstände, wenn jeder Anhaltspunkt dafür fehlt, dass sie auch im Rahmen einer Gesamtwürdigung mehrerer Beweise Aufschluss auf eine beweiserhebliche Tatsache geben können.
2. Letzteres ist hier der Fall. Der Sachverständige hat mehrmals ausdrücklich erklärt, dass er die für die Gutachtensfragen relevanten Wahrnehmungen, die er in seinen Unterlagen notiert hatte, in der Hauptverhandlung bereits mündlich dargestellt hat. Die im Rahmen der mündlichen Gutachtenerstattung nicht erwähnten Wahrnehmungen sind entweder irrelevant oder Wiederholungen bereits geschilderter Umstände. Anhaltspunkte dafür, dass der Sachverständige relevante Wahrnehmungen aufgrund von fehlender Sachkunde oder aus Versehen nicht mitgeteilt habe, bestehen nicht. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen oben unter II. 3.

3. Die Voraussetzungen für das beantragte Vorgehen nach § 95 oder § 94 StPO liegen somit nicht vor. Die diesbezüglichen Anträge waren daher abzulehnen.
II. Die Anträge auf Beibringung der handschriftlichen Unterlagen des Sachverständigen Prof. Dr. Saß wurden abgelehnt. Daher haben sich die damit zusammenhängenden Anträge auf Unterbrechung der Befragung des Sachverständigen, die Anträge auf Akteneinsicht in die handschriftlichen Unterlagen und die Anträge auf Fortsetzung der Befragung des Sachverständigen erst nach angemessener Zeit, die zur Auswertung der handschriftlichen Notizen genutzt werden sollte, erledigt.

Zu den Protokollierungsanträgen unter III. führt Götzl aus:
I. Ein Vorgang ist, wenn es auf seine Feststellung ankommt, nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO vollständig niederzuschreiben und die Niederschrift zu verlesen. Die Feststellung eines Vorgangs im Sitzungsprotokoll setzt ein rechtliches Interesse an der Protokollierung voraus. Sie kann sowohl Vorgänge betreffen, die normalerweise im Protokoll nicht zu erwähnen sind, weil sie nicht zu den wesentlichen Förmlichkeiten gehören, als auch Vorgänge, die als wesentliche Förmlichkeiten ohnehin in das Protokoll aufgenommen werden müssen, bei denen aber darüber hinaus eine ausführlichere Darstellung oder das Festhalten besonderer Einzelheiten aufschlussreich erscheint. Nach der genannten Vorschrift ist eine Aussage oder eine Äußerung wörtlich zu protokollieren, wenn es auf den Wortlaut ankommt. Unter Aussage wird dabei die Einlassung des Angeklagten oder die Aussage einer Beweisperson verstanden, während Äußerungen alle sonstigen Bemerkungen sind, die von jeder im Sitzungssaal anwesenden Person stammen können. Solche Bekundungen wörtlich festzuhalten ist etwa dann angebracht, wenn es aus Sach- oder Rechtsgründen, eventuell auch nur wegen der gebrauchten Ausdrücke auf den genauen Wortlaut ankommt, so, wenn verschiedene Deutungsmöglichkeiten bestehen.

II. Es wurde zusammengefasst beantragt, den Vorgang der Befragung des Sachverständigen an mehreren Hauptverhandlungstagen durch RAin Sturm, RA Prof. Behnke und den Vorsitzenden zu protokollieren. Weiter wurde beantragt, den Vorgang der Unterbrechung der Befragung des
Sachverständigen und die Anregung einer Beweiserhebung durch RA Narin zu protokollieren. Es ist weder ersichtlich noch wurde es von den Antragstellern vorgetragen, welches rechtliche Interesse sie an der Feststellung dieser Vorgänge gemäß § 273 Abs. 3 StPO haben, so dass es auf deren Feststellung ankommen würde. Die bezeichneten Vorgänge haben insbesondere keine besondere Bedeutung im Sinne einer Beweissicherung oder für die Beweiswürdigung.
III. Zusätzlich wurde beantragt, die „zitierten Äußerungen“ wörtlich zu protokollieren. Nachdem die Antragsteller auch umfangreich Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. Saß zitieren, legt der Senat ihren Antrag zusätzlich so aus, dass auch die wörtliche Protokollierung der Aussagen des Sachverständigen, die keine Äußerungen im Sinne des § 273 Abs. 3 StPO sind, beantragt wurde. Auch hinsichtlich dieser Anträge ist weder erkennbar noch wurde ein rechtliches Interesse an wörtlicher Protokollierung vorgetragen, so dass es auf den Wortlaut der Äußerungen oder der Aussagen ankommen würde. Es kommt in diesem Zusammenhang vielmehr lediglich auf den Inhalt der Äußerungen und Aussagen an.

RA Heer: „Herr Vorsitzender, Frau Sturm, Herr Stahl und ich stellen die Anträge, zunächst eine Abschrift zu bekommen und die Hauptverhandlung bis 11:35 Uhr zu unterbrechen.“
Götzl unterbricht die Verhandlung. Gegen 11:30 Uhr wird verkündet, dass die Hauptverhandlung erst um 11:50 Uhr fortgesetzt wird.

Um 11:55 Uhr geht es dann tatsächlich weiter. Heer: „Frau Sturm, Herr Stahl und ich beantragen, die Hauptverhandlung zur Fertigung eines Ablehnungsgesuchs bis 14:30 Uhr zu unterbrechen.“ Götzl: „Gegen wen?“ Heer: „Gegen die Mitglieder des Senats.“ Götzl: „Ist das Ihr Antrag, Frau Zschäpe?“ Beate Zschäpe schüttelt den Kopf. Götzl: „Sie wissen von nichts?“ Götzl richtet sich an Heer, Stahl, Sturm: „Dann sollten Sie das besprechen.“ Er gedenke nicht, so Götzl weiter, die Hauptverhandlung bis 14:30 Uhr zu unterbrechen, wenn das nicht von der Mandantin getragen sei. Heer sagt, der Antrag bleibe aufrechterhalten. OStA Weingarten erwidert, dass ein Ablehnungsgesuch nur zulässig sei, wenn es von der Angeklagten komme: „Nun ist bereits knapp eine Stunde unterbrochen worden und es ist nicht dargelegt und nicht erkennbar, warum eine Abstimmung mit der Angeklagten Zschäpe bis 14:30 Uhr dauern sollte.“ Es sei zuerst eine Abstimmung mit der Angeklagten zu suchen und erst dann sei Zeit einzuräumen, einen Antrag zu formulieren. Für die Besprechung mit der Mandantin, ob dem Grunde nach ein Ablehnungsgesuch gestellt wird, werde nicht so viel Zeit benötigt. Weingarten weiter: „Die Verteidiger müssen die Bedenken der Angeklagten formulieren und nicht der Angeklagten Bedenken vorschlagen.“ Götzl: „Soll dazu Stellung genommen werden?“ Sturm, Stahl und Heer besprechen sich längere Zeit flüsternd.

Dann sagt Heer: „Wir sehen es so, dass ein Verteidiger auch im Sinne des Interesses des Mandanten dieses Recht ausüben kann. Sie, Herr Vorsitzender, haben uns in diesem Verfahren belassen, sie halten unsere Mitwirkung also für erforderlich. Wir ziehen daraus den Schluss, dass wir dann alle Mittel nutzen können, die die StPO vorsieht, im Interesse der Mandantin.“ Weingarten: „Ich sagte es bereits: Ein Befangenheitsgesuch im Interesse, aber nicht im Namen des Angeklagten, ist unzulässig. Es steht nicht den Verteidigern zu. [phon.] Nach ganz herrschender Meinung wäre ein Befangenheitsgesuch im Interesse der Mandantin unzulässig. Nachdem Rechtsanwalt Heer nun zum Ausdruck gebracht hat, dass er offenbar selber die Zustimmung der Angeklagten nicht erwartet, sondern ein offensichtlich unzulässiges Gesuch stellen will, verbietet sich eine Unterbrechung bis 14:30 Uhr erst recht.“ NK-Vertreter RA Scharmer: „Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass man das im Interesse der Angeklagten stellen kann, steht ja nicht fest, ob so ein Interesse überhaupt vorliegt. Ich schlage vor, das der mit ihr kommunizierende Verteidiger jetzt mal mit der Angeklagten kommuniziert, ob sie dafür bis 14:30 Uhr braucht. Das wäre doch mal ein pragmatisches Vorgehen.“ Sturm, Stahl, Heer beraten sich kurz untereinander, dann sagt Heer: „Angesichts der besonderen Situation in diesem Verfahren brauchen wir eine Beratungspause bis 12:15 Uhr.“ Götzl: „Wir werden die Mittagspause einlegen bis 13 Uhr.“

Um 13:08 Uhr geht es weiter. Götzl begrüßt Zschäpe-Verteidiger RA Borchert, der zuvor nicht anwesend war. RA Heer: „Aus unserer Sicht ist alles Erforderliche gesagt.“ Götzl wendet sich an die Angeklagte: „Hat sich etwas geändert, Frau Zschäpe?“ Zschäpe schüttelt den Kopf. Götzl: „Nein. Sollen noch Stellungnahmen erfolgen? Dann unterbrechen wir die Hauptverhandlung und setzen um ein Uhr fünfzehn fort.“

Um 13:17 Uhr geht es weiter. Götzl verfügt, dass die Anträge von Sturm, Stahl, Heer, die Hauptverhandlung zur Abfertigung eines Ablehnungsgesuchs lediglich im Interesse, nicht im Namen der Angeklagten zu unterbrechen, abgelehnt werden. Im vorliegenden Fall beabsichtigten die Antragssteller ein offensichtlich unzulässiges Gesuch zu stellen, so Götzl. Heer: „Ich beanstande Ihre Verfügung und beziehe mich auf meine vorangegangene Erklärung.“ Weingarten wendet sich an Götzl: „Es wird niemanden überraschen, wenn wir Ihre Verfügung für richtig halten.“ Götzl: „Dann wird die Hauptverhandlung bis 13:30 Uhr unterbrochen.“

Um 13:36 Uhr geht es weiter. Götzl verkündet dann den Beschluss, dass seine Verfügung bestätigt wird. Im Beschluss geht Götzl darauf ein, dass die Angeklagte in die Entscheidung, ein Ablehnungsgesuch zu stellen, nicht eingebunden worden sei. Der Verteidiger habe kein eigenes Ablehnungsrecht, das beabsichtigte Gesuch sei daher offensichtlich unzulässig. Es sei sachgerecht und ermessensfehlerfrei, die beantragte Unterbrechung abzulehnen. Die Rechte der Angeklagten würden durch diese Entscheidung nicht beeinträchtigt. Die Angeklagte habe in der Mittagspause ausreichend Zeit gehabt, sich mit ihren weiteren Anwälten zu beraten.

Götzl zu Prof. Dr. Henning Saß: „Dann setzen wir mit Ihrer Anhörung fort, Herr Prof. Saß. Wir waren stehengeblieben bei der Befragung durch Sie, Frau Rechtsanwältin Sturm. Wollen Sie fortsetzen?“ Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm: „Vielen Dank. Herr Prof. Dr. Saß, gab es zwischen Ihnen und Mitgliedern des Senats seit meiner ersten Befragung von Ihnen und vorgestern eine Kommunikation?“ Saß: „Nein.“ Sturm: „Dann komme ich zurück auf das Thema Ihrer Beobachtungen. Sie hatten ja geschildert, an welche Beobachtungen vom ersten Tag Sie sich erinnern. Erinnern Sie sich noch daran, was Sie zum ersten Tag notiert hatten?“ Saß: „Im Detail nicht, ich verweise auf meine Ausführungen in der Stellungnahme.“ Sturm: „Ja, mich interessiert, woran Sie sich jetzt erinnern können.“ Götzl: „Die Frage war schon gestellt.“ Sturm: „Ich habe gefragt, Herr Vorsitzender, ob sich der Sachverständige daran erinnert, was er sich an Beobachtungen zum ersten Tag notiert hat.“ Götzl: „Das ist aber eine Wiederholungsfrage.“ Sturm: „Nein, das ist keine Wiederholung, ich hatte ihn bisher gefragt, an was er sich selbst erinnerte. Ich hatte nicht gefragt, was er sich von diesen Wahrnehmungen notiert hatte.“ Das Gericht blättert kurz in seinen Notizen. Dann sagt Götzl: „Es war sogar so, dass Sie die Frage vorhin schon einmal gestellt und dann wiederholt hatten.“ Sturm: „Ich hatte die Frage nur insoweit wiederholt, als er meine Frage nicht beantwortet hat, sondern lediglich auf etwas verwiesen hat, was schriftlich ausgefertigt wurde.“ Götzl: „Die Antwort war: ‚Im Detail nicht‘. Und dann kam der Zusatz, den Sie erwähnt hatten.“ Sturm: „Sie lassen die Frage nicht zu?“ Götzl: „Sie können ja daran anknüpfen.“

Sturm: „Wenn Sie sagen, Sie erinnern sich im Detail nicht und verweisen auf die Ausführungen im Vorgutachten, auf welche verweisen Sie?“ Saß: „Nicht im Vorgutachten, sondern in der vorbereitenden Stellungnahme vom 19.10., und da sind diese Dinge ab Seite 78 ff. vermerkt.“ Sturm: „Über das dort Festgehaltene hinaus: Gab es weitere Aspekte, die Sie zunächst für sich notiert haben?“ Saß: “ Ich bin nicht in der Lage, das, was ich notiert habe, jetzt zu reproduzieren. Das was mir an Ereignissen am ersten Tag von Bedeutung erschien, habe ich festgehalten.“ Sturm: „Es geht mir nicht darum, dass Sie eins zu eins Ihre Beobachtungen reproduzieren, sondern die Frage war, ob Sie über das hinaus, was Sie auf S. 78 ff. formuliert haben, hinausgehend noch Notizen angefertigt haben, die Sie dort nicht verwendet haben.“ Saß: „Also grundsätzlich ist es so, dass ich deutlich mehr Notizen gemacht habe, als ich verwendet habe. Ich habe die Notizen daraufhin durchgesehen, ob sie von Bedeutung für die Gutachtenerstattung sind.“ Sturm: „Können Sie insoweit noch differenzieren, an welchen Tagen Sie sämtliche Ihrer Notizen verwandt haben und an welchen Tagen nur auszugsweise.“ Saß: „Das kann ich bezogen auf 340 Tage, nein, vielleicht 270, nicht.“

Sturm: „Wann haben Sie sich Ihre Notizen durchgesehen im Hinblick auf die Relevanz für die Gutachtenerstattung?“ Saß: „Eigentlich immer wieder.“ Sturm: „Was heißt das?“ Saß: „Im Verfahren in Verhandlungspausen, zu Hause, in der Vorbereitung der Stellungnahme und in der Vorbereitung des in der Hauptverhandlung zu erstattenden Gutachtens.“ Sturm: „Erinnern Sie sich noch zum Hauptverhandlungstag 2, was Sie da an Wahrnehmungen gemacht haben?“ Saß schweigt kurz und sagt dann: „Im Detail nicht.“ Sturm: „Außer der zusammenfassenden Bewertung, die wir Ihren vorläufigen Ausführungen oder dem Manuskript entnehmen können: Erinnern Sie sich an einzelne Wahrnehmungen konkreter Art?“ Saß: „Nicht, dass ich sie jetzt auf den Tag differenziert darstellen könnte.“ Sturm: „Und an eine konkrete Beobachtung losgelöst vom zeitlichen Bezug, also nicht auf einzelnen Hauptverhandlungstag bezogen?“ Saß bittet darum, dass ihm die Frage nochmal komplett gestellt wird. Sturm: „In Ihrer vorläufigen schriftlichen Stellungnahme findet sich eine Zusammenfassung der ersten Tage, Ihrer Eindrücke. Haben Sie losgelöst von dieser Zusammenfassung konkrete Erinnerungen an einzelne Wahrnehmungen?“ Saß: „Ja, ich habe viele Erinnerungen an einzelne Wahrnehmungen, die ich an einzelnen Prozesstagen gemacht habe.“

Sturm: „Sie haben in Ihrem vorläufigen Manuskript ausgeführt, Frau Zschäpe sei ‚in der Motorik gehemmt“ und ‚etwas befangen‘.“ Götzl fragt, worauf sich Sturm jetzt beziehe. Sturm: „Ich beziehe mich auf das, was Herr Prof. Saß hier mündlich vorgetragen hat. Ich kann nicht mehr sagen, an welchem Tag. ‚Motorik gehemmt‘ und ‚befangen‘, waren das Teile Ihrer Notizen?“ Saß: „Ja, also alle Beschreibungen die ich hier in die vorbereitenden Stellungnahme vom 19.10. aufgenommen habe ab den Seiten 77 f. und alle in der Verschriftung des mündlichen Gutachtens, Seite 32 bis 34 [phon.], resultieren aus meinen Aufzeichnungen.“ Sturm: „Haben sie sich zu ihren jeweiligen Aufzeichnungen Notizen gemacht, in welcher Verfahrenssituation Sie die entsprechenden Beobachtungen gemacht haben?“ Saß: „Ja, die Aufzeichnungen halten viele Einzelheiten fest: Worum es ging, etwa welche Zeugen, welche Sachverständigen, die Videos, die Verlesungen. Ich habe nicht die 770 Seiten mit Beobachtungen von Frau Zschäpe allein gefüllt, sondern auch sehr viele Details aus der Verhandlung, Zeugenaussagen, Sachverständigenvortrag, Dinge die gezeigt wurden und so etwas.“ Sturm: „Haben Sie für sich die von Ihnen getätigten Beobachtungen des Verhaltens von Frau Zschäpe in Bezug zur Hauptverhandlung gesetzt?“ Saß: „Ja, das hatte ich ja auch so vorgetragen. Da beziehe ich mich auf meine ursprüngliche Gutachtenerstattung und die zusätzlichen Ausführungen, die ich in der vorläufigen Stellungnahme gemacht habe.“

Sturm: „Wann haben Sie entschieden, dass etwas relevant ist?“ Saß: „Mal war es so, dass ich direkt bei der Beobachtung den Eindruck hatte, dass das von Relevanz ist, manchmal hat es sich aus späteren Zusammenhängen ergeben. Das Ganze ist ein Prozess und eine Entwicklung, in der sich allmählich ein Bild formt, Erwägungen überprüft werden, wo sich Eindrücke festigen und schließlich, wenn ich es für tragfähig gehalten habe, in das Gutachten eingegangen sind.“ Sturm: „Sie hatten unter anderem davon gesprochen, dass Sie in Ihren Notizen auch Gedanken und Hypothesen niedergeschrieben haben, die Sie wieder verworfen haben. Können Sie schildern, in welchem Bezug Sie Ihre Hypothesen wieder verworfen haben? [phon.]“ Saß sagt, das könne er nicht im Detail beantworten: „Ich habe auch keine Registratur [phon.] darüber geführt.“ Sturm: „Wenn Sie sagen, Sie können das nicht im Detail, mich interessiert zunächst eine grobe Beantwortung.“ Saß: „Es stellt sich zu Anfang ein Eindruck ein, im Laufe der dreieinhalb Jahre wird etwas davon fester oder zum Teil revidiert. Ich sage nochmal: Ich bin nicht in der Lage aufgrund einer Aufzeichnung zu sagen, wann genau sich welches Bild oder welcher Gedanke in welchem Aspekt gefestigt hat oder weiterentwickelt wurde.“ Sturm: „Welches Bild hatten Sie denn zu Beginn der Hauptverhandlung?“ Saß: „Wovon?“ Sturm: „Von Frau Zschäpe.“ Saß: „In welcher Beziehung?“ Sturm: „Wovon Sie gerade gesprochen haben.“ Saß: „Dass Sie zu Beginn gehemmt war, eine gewisse Befangenheit und Bemühen um Kontrolle. Ich berufe mich auf all das, was ich hierzu ausführlich schon vorgetragen habe und wie es auch in meiner Stellungnahme steht.“

Sturm: „Ich habe es so verstanden, dass das was Sie vorgetragen haben, Ihre abschließende Bewertung ist. Meine Frage zielte konkret auf Ihr Bild von Frau Zschäpe zu Beginn der Hauptverhandlung ab.“ Saß: „Das habe ich jetzt bereits mehrfach gesagt.“ Sturm: „Nein, haben Sie nicht. Sie hatten gesagt, Sie haben hier eine abschließende Beurteilung abgegeben. Die Frage lautete: Welches Bild hatten Sie zu Beginn von Frau Zschäpe?“ Saß: „Das was ich geschildert hatte: etwas befangen, gehemmt und um Beherrschung bemüht. Aber ich weise darauf hin, dass ich das hier schon zur Genüge gesagt habe und dass ich auch gesagt habe: Eine exakte Dokumentation, wie sich im Laufe der Zeit die Eindrücke verfestigt haben, die gibt es nicht.“ Sturm: „Sie brauchen das nicht zu wiederholen. Ich möchte Sie bitten, sich anzustrengen. [phon.] Meine Fragen zielen darauf ab, an was Sie sich noch erinnern, und einzelne Eindrücke, die sich abgeschwächt haben, die Sie verworfen haben, hier wiederzugeben.“ Saß: „Also die wesentlichen Eindrücke, die ich im Laufe der Zeit gewonnen habe, sind in meinem Gutachten vorgetragen worden und in der zusätzlichen Befragung.“ Sturm: „Sie hatten hier ausgeführt zu der Frage der angewandten Methodik, dass es die Möglichkeit gäbe, hypothesengeleitet vorzugehen, die von Ihnen gewählte Methodik sei aber eine andere gewesen. Sie hätten vorgezogen, Beobachtungen und Eindrücke zu verschiedenen Bereichen wie Biografie, Verhalten Lebenslauf, Psychomotorik, Psychopathologie zu gewinnen. Können Sie erläutern, worin genau der Unterschied liegt zwischen einer hypothesengeleiteten Untersuchung und der von Ihnen gewählten?“

Götzl: „Hatte ich abgefragt, eine ganz eindeutige Wiederholungsfrage.“ Saß: „Ich habe das Vorgehen detailliert dargestellt und gesagt, dass es unterschiedliche Herangehensweisen sind, die ansonsten keine grundsätzlichen Unterscheide beinhalten, und dass in den Mindestanforderungen für Prognosegutachten, auf die ich ja hingewiesen wurde, der Begriff des ‚hypothesengeleiteten Vorgehens‘ nicht vorkommt.“ Sturm: „Moment bitte.“ Sturm berät sich ausführlich mit RA Stahl. Dann sagt sie: „Ich darf nochmal auf Ihre Beobachtungen, Wahrnehmungen und die Überarbeitung Ihrer Notizen zu sprechen kommen. In Bezug auf welche gutachterlichen Fragestellungen haben Sie denn Ihre Notizen im Laufe des Prozesses bewertet?“ Saß: „Bewertet?“ Sturm: „Ja.“ Saß: „Bewertet habe ich am Ende, als ich das Gutachten gemacht habe.“ Sturm: „Sie haben vorhin ausgeführt, dass Sie das im Verlaufe des Prozesses immer wieder gemacht haben.“ Saß: „Das ist richtig, immer wieder, bei der Beobachtung, beim Lesen, beim späteren Zur Handnehmen, bei der Gutachtenerstellung. Immer wieder habe ich versucht, mir die entsprechenden Situationen, Zeugenaussagen usw. vor Augen zu führen und zu einem Gesamteindruck zu verfestigen. Das ist ein Prozess, der sich über die dreidreiviertel Jahre erstreckt hat.“ Sturm: „Wenn etwas als relevant eingestuft wird, handelt es sich für mich um eine Bewertung. Und ich bleibe jetzt an den ersten Tagen, wann Ihre Beobachtungen relevant waren.“ Saß: „Ich gehe da ganz offen ran: Gutachtensauftrag war zu Beginn Stellungnahmen zum § 66, und im Laufe des Verfahrens kam dann, als am 09.12.2015 die Alkoholproblematik auftauchte, die Frage der Schuldfähigkeit und des § 64 hinzu.“

Sturm: „Konkret die Frage: Eine gehemmte Motorik und ein befangenes Erscheinungsbild, für welche gutachterlichen Fragestellungen ist das relevant?“ Saß: „Die Beobachtungen angestellt habe ich völlig offen, einfach um mir ein Bild zu machen. Es in Beziehung zu den Fragestellungen gesetzt habe ich erst später. Zunächst habe ich versucht, möglichst umfassend und möglichst unbelastet und unbefangen zu beobachten und diese Beobachtungen festzuhalten.“ Sturm: „Als Sie angefangen haben, das einer Bewertung zu unterziehen, haben Sie da differenziert im Hinblick auf die Frage, ob ein Hang in psychiatrischer Hinsicht besteht, und die Frage, ob Gefährlichkeit im Sinne einer Wahrscheinlichkeitsprognose vorliegt?“ [phon.] Saß: „Differenziert zwischen Prognose und Schuldfähigkeit?“ Sturm: „Nein, zwischen Hang und Gefährlichkeitsprognose.“ [phon.] Saß sagt, das habe er immer im Hinterkopf gehabt. Auch habe er sehr sorgfältig auf alles geachtet, was über die allgemeine psychische Verfassung, Persönlichkeitsentwicklung, psychische Erkrankungen und Sucht Auskunft gibt. Saß: „In dem Sinne habe ich versucht, wenn ich nicht abgehalten wurde, Zeugen Fragen zu stellen, auch im Hinblick auf etwaige psychische Erkrankungen und allgemeinen Zustand [phon.]. Ja, so war es, Herr Stahl.“ Sturm: „Können wir kurz unterbrechen, ich muss etwas in meinen Notizen suchen.“ Götzl: „Machen wir Pause bis Viertel nach.“

Um 14:18 Uhr geht es weiter. Sturm: „Herr Prof. Saß, Sie hatten zuletzt ausgeführt, dass Sie sich die Notizen noch einmal angesehen haben.“ Saß: „Nicht einmal.“ Sturm: „Nicht durchgesehen?“ Saß: „Nicht einmal, sondern mehrfach!“ Sturm: „Nach der ersten Befragung durch mich, haben Sie sich anschließend Ihre Notizen noch einmal durchgesehen?“ Saß: „Ja, es gibt viele Notizen, die 770 Seiten, dann Zwischenstufen davon, es gibt sehr viele Materialien, die ich im Laufe der Zeit immer wieder zur Hand genommen habe, auf Richtigkeit und Aktualität überprüft habe. Das ist ein ganzes Konvolut von Unterlagen und ich habe auch in der letzten Zeit mit diesem Konvolut gearbeitet.“ Sturm: „Was konkret haben Sie sich da angesehen, alle 770 Seiten plus die jetzt erstmals erwähnten Unterlagen?“ Saß: „Nein.“ Sturm: „Was haben Sie sich seit meiner Befragung angesehen?“ Saß: „Was mir wichtig erschien. Ich habe kursorisch geblättert, die Versionen – da gab es unterschiedliche Reifegrade – zur Hand genommen. Im Wesentlichen das, was ich am 19.10. abgegeben habe und hier vorgetragen habe im Januar.“ Sturm: „Wann haben Sie sich entschieden, was Sie aufarbeiten und was Sie nur kursorisch durchblättern?“ Saß: „Es fällt mir schwer, das zu beantworten. Ich habe einiges durchgearbeitet und ich hatte die Gutachtenfragen im Kopf und natürlich im Kopf, was die Prozessbeteiligten wohl für Fragen haben. Relevant? Wenn Sie mich fragen, was für mich der Maßstab für Relevanz ist, ist es das, was für die Beantwortung der Beweisfragen wichtig ist. Aber es hat mich mal dieser Aspekt mehr interessiert, mal ein anderer. Ich habe die Materialien mal im Hinblick auf die Hangfrage, dann auf die Gefährlichkeit durchgesehen. [phon.] Dann habe ich mal die Erklärungen von Frau Zschäpe hergenommen, dann meine persönliche Notizen [phon.]. Wie man halt vorgeht, wenn man einen großen Apparat durcharbeiten muss.“

Sturm: „Ich hatte begonnen, Sie zu Ihren Beobachtungen an einzelnen Tagen zu befragen. Sie verwiesen auf meine Fragen auf Notizen, welche Sie nochmal ansehen müssten. Haben Sie sich im Anschluss daran nochmal im Hinblick auf ihre konkreten Beobachtungen vorbereitet?“ Saß: „Ich habe mich insgesamt auf die Befragung vorbereitet.“ Sturm sagt, sie wolle aber auf die Beobachtungen hinaus. Saß: „Das sind etwa zehn Prozent von der gesamten Begutachtung, die Beobachtungen. Das andere sind die Akten, die verschiedenen Zeugenaussagen, die Erklärungen von Frau Zschäpe, so wie ich es in meiner Gliederung ausgeführt habe.“ Sturm: „Sie haben, wenn ich auf Ihre Ausführungen in der Hauptverhandlung rekurrieren darf, geschildert, dass Frau Zschäpe die Ausführungen von Herrn Schultze mit sachlichem Interesse verfolgt habe. Können Sie darlegen, woran Sie das festgemacht haben?“ Saß: „Ich kann nicht mehr für den einzelnen Tag die Wahrnehmungen reproduzieren, Aber grundsätzlich hatte ich an einigen Tagen den Eindruck, das Frau Zschäpe abschweifte, sich dem Laptop zuwandte. Es gab aber auch Tage, wo Sie aufmerksam das Geschehen verfolgte.“

RA Heer und RA Stahl beschweren sich ohne Mikrofonverstärkung, dass Saß langsamer sprechen solle. Götzl: „Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass Sie den Sachverständigen in seiner Konzentration stören wollen, Herr Rechtsanwalt Heer! Das ist kein guter Eindruck.“ Heer: „Ich bitte dann um einen Vorschlag, wie ich verfahren soll, wenn ich nicht mitkomme, außer dass ich das äußere.“ Götzl: „Ich komme mit.“ Heer sagt, es gebe eine Beschluss dazu. Götzl: „Aber es sollte nicht der Eindruck aufkommen, dass Sie seine Konzentration stören!“ Heer erwidert, er weise mit Nachdruck den Vorwurf zurück, dass er den Sachverständigen irritieren wolle.

Saß: „Eine Formulierung wie ‚mit augenscheinlichem Interesse verfolgt‘ steht vor dem Hintergrund unterschiedlicher Eindrücke. Dass ich mal den Eindruck hatte, sie beschäftigt sich mit etwas anderem, hinter dem Haarvorhang oder dem Laptop, manchmal aber auch ein aufmerksames Hinwenden zu Herrn Schultze und ein Mienenspiel, als ob das, was gesagt wird, auch verfolgt wird und das Gesagte auch eine mimische Reaktion hervorruft. [phon.] Da berufe ich mich auf das, was ich zur Psychomotorik gesagt habe.“ Sturm: „Das ist zunächst mal auf der abstrakten Ebene absolut nachvollziehbar und auch plausibel. Mich interessiert, was Sie sich damals notiert haben. Jetzt sprechen Sie davon, Frau Zschäpe habe zu Herrn Schultze hingesehen. Haben Sie sich das notiert, dass Frau Zschäpe sich zu Herrn Schultze gewandt habe?“ Saß: „Ich kann das nicht beantworten, weil ich so detailliert meine Notizen nicht im Kopf habe.“ Sturm: „Erinnern Sie, ob Sie Entsprechendes notiert haben?“ Saß: „Das erinnere ich nicht. Aber wenn ich überlege, wie ich einen psychischen Befund schreibe, zum Beispiel ‚aufmerksam‘, dann ist dieses Aufmerksamsein ein Begriff, der aus einer Vielzahl von Einzeleindrücken entsteht. Und falls die Frage ist, ob ich die Vielzahl notiert habe oder in Erinnerung habe, muss ich verneinen.“ Sturm: „Das Notieren oder das Erinnern?“ Saß: „Dass ich erinnere, ob ich es notiert habe, das muss ich verneinen. Aber ich habe etwa einen Eindruck wie ‚wirkt aufmerksam‘, ‚wirkt gedrückt‘ notiert.“ [phon.]

Sturm: „Wäre es Ihnen möglich, durch Einsichtnahme in Ihre Notizen zu rekapitulieren, wie detailliert Sie Ihre Wahrnehmungen notiert haben?“ Saß: „Ich weiß jetzt schon, wie detailliert das war. So wie ich sonst auch einen psychischen Befund notiere, da steht ‚bedrückt‘, ‚frisch‘ oder ‚gedrückt‘. ‚abgespannt‘ oder ‚aufmerksam‘ an einem anderen Tag. Das ist so der Detaillierungsgrad.“ Sturm: „Wenn Sie aufschreiben ’sachliches Interesse‘, welches weitere Interesse könnte damals noch bestanden haben und haben Sie dies in Zusammenhang mit Ihrer Bewertung verworfen?“ Saß: „Also es gab auch Zeugen, bei denen ich den Eindruck hatte, dass das Interesse weniger um die Sache als mehr um die Person der Zeugen ging, z. B. bei den jüngeren Zeuginnen aus den Campingurlauben, da war es in meinen Augen eher ein Interesse, was auch mit den Personen zu tun hatte.“ Sturm: „Ich bin jetzt bei den ersten Prozesstagen, bei denen sie dieses ‚mit sachlichem Interesse‘ wahrgenommen haben. Aufgrund welcher Beobachtungen haben Sie das vorgenommen? [phon.]“

OStA Weingarten: „Ich beanstande das. Die Verteidigerin will suggerieren, er habe das nicht beantwortet. Sie hat aber gefragt: Welches andere Interesse außer einem sachlichen gab es? Und die Frage ist beantwortet.“ Sturm entgegnet, dass die Frage nicht beantwortet sei, sie habe zu den ersten Prozesstagen gefragt. Saß: „Nach meiner Auffassung habe ich dazu Ausführungen gemacht.“ Sturm: „Mir geht es um die ersten Tage. Diese Bewertung ‚augenscheinlich sachliches Interesse‘, wann haben Sie die Bewertung vorgenommen?“ Saß: „Ich gehe davon aus, dass das schon gleich war, später von mir überprüft und dann stehen gelassen wurde.“ Wieder beschwert sich RA Heer, dass Saß das wiederholen solle. Götzl zu Saß: „Bitte Seien Sie so nett!“ Saß: „Ich gehe davon aus, dass ich das gleich so festgehalten habe, später überprüft und dann stehen gelassen habe.“

Sturm: „Sie haben vorhin ausgeführt zur Begründung ’sachliches Interesse‘: ‚Zuwendung zum Angeklagten Schultze‘. Da sagten Sie, Sie hätten das nicht einzeln notiert. Wie kommen Sie zu der Begründung, dass Sie dieses sachliche Interesse daraus abgeleitet haben, dass sich Frau Zschäpe dem Angeklagten Schultze zugewandt habe?“ Saß: „Ich bin nicht sicher, dass Sie das, was ich gesagt habe, sachlich zutreffend wiederholt haben. Dieses sachliche Interesse, wenn ich so eine Beobachtung äußere, dann habe ich das aus der Psychomotorik entnommen, der Gesichtsmimik, der mimischen Reaktion auf das, was gesagt wurde.“ Sturm: „Die mimischen Reaktionen im Detail haben Sie nicht notiert?“ Saß: „So ist es. Also ich habe den Gesamteindruck notiert, nicht, dass der rechte Mundwinkel oder die linke Augenbraue oder dieser oder jener Gesichtsmuskel innerviert wurden. So detailliert ist mein Mitschrieb nicht. Ich habe es so festgehalten, wie man es in einem Befund festhält mit solchen Beschreibungen, die eine Summe von ganz vielen kleinen Details enthalten: Körperhaltung, Kopfhaltung, Mienenspiel, Zuwendung, Abwendung.“ Sturm: „Gibt es Untersuchungen dazu, wie sich eine Hauptverhandlung mit besonderem öffentlichen Interesse und insbesondere die Anwesenheit eines psychiatrischen Sachverständigen auf das Prozessverhalten von Angeklagten auswirken?“ Saß: „Auf das Verhalten? Ist mir nicht bekannt. Ich weiß, dass es Untersuchungen gibt über sprachliche Äußerungen, welchen Einfluss juristische und Gerichtssprache auf Angeklagte und deren Sprache hat; im verbalen Bereich sind mir solche Studien mal untergekommen. Dass es darüber hinaus Studien oder Publikationen gibt, ist mir nicht bekannt, da wäre ich für einen Hinweis offen.“

Sturm: „Wenn Sie sagen, Studien zum Einfluss der Sprache: Einfluss auf was konkret?“ Saß: „Studien, die sich damit befassen, wie Menschen mit unterschiedlicher Vorbildung, die in einem Gerichtssaal aufeinander treffen, sich verstehen können, wie das Juristendeutsch auf Angeklagte wirkt und sie dann in der Lage sind oder nicht in der Lage sind, sich selbst auszudrücken. Also ein verbaler Bereich, der hier keine Rolle spielt.“ Sturm: „Der motorische Bereich, Gesichtsmimik etc., ist dies bei jeder Person gleich?“ Saß: „Nein.“ Sturm: „Wovon hängt das ab?“ Saß: „Ja, von der jeweiligen Person. Es gibt ganz viele Dinge: Vom Lebensalter, von der Persönlichkeit, von Vorerfahrungen, von Erwartungen, bewussten Kontrollbemühen. Es hängt vielleicht von Ängsten ab, von der Anwesenheit anderer Personen. Ob es bei einem Kartenspiel wie Poker darum geht, sich nichts anmerken zu lassen. Ob man im animierten Gespräch sich befindet. Es gibt eine Fülle von Einflussfaktoren darauf, wie Psychomotorik abläuft.“ Sturm: „Jetzt verstehe ich das so, dass das Faktoren sind, wie die Psychomotorik entsteht.“ Saß: „Nein, nicht wie sie entsteht, sondern Einflussfaktoren, wie Psychomotorik in Erscheinung tritt.“ Sturm: „Genau. Sie beschreiben mal einzelne Beobachtungen, die Sie gemacht haben. Also beispielhaft: Augen aufgerissen oder Mundwinkel starr oder bewegt. [phon.] Lässt sich aus so einer abstrakten Beschreibung ein Rückschluss auf das dahinter liegende Gefühl schließen?“ Saß: „Ja, ein gewisser schon, aber man muss natürlich vorsichtig sein und berücksichtigen, in welcher Situation sich der Proband befindet, und versuchen, es durch wiederholte Beobachtungen zu bestätigen [phon.].“

Sturm: „Wenn Sie sagen, in Teilen ist ein Rückschluss möglich, können Sie sagen, wo ein Rückschluss möglich ist und wo nicht?“ Saß: „Ja. Ein Psychiater hat in der Regel viele Jahre gelernt, die Psychomotorik zu beobachten und Rückschlüsse zu ziehen im Gespräch, wo man das auch verbalisiert: ‚Ich habe den Eindruck, dass Sie jetzt traurig sind.‘ Und ob das zutreffend ist dann oder nicht, das geht im Lauf der Jahre in den Erfahrungsschatz ein.“ Saß sagt, es gebe auch Studien aus dem experimentellen Bereich mit Gesichtsschemata, bei Borderline-Patienten bspw., wo sie versucht hätten, Gesichtsausdrücke [phon.] zu untersuchen und dann zu beurteilen. Saß: „Also, es gibt den Erfahrungsschatz aus Gesprächen und Visiten wie auch eine experimentell-wissenschaftliche Literatur darüber, was Psychomotorik aussagen kann.“ Sturm: „Welche Ergebnisse brachten die Untersuchungen bei Borderline-Patienten zum Beispiel?“ Saß: „Man hat Reize gegeben und versucht, die Gesichtsmimik auszuwerten und gleichzeitig die Rückmeldung der Probanden.“ Sturm: „Lagen Störungen bei den Probanden vor und wenn ja, welche?“ Saß sagt, man nehme da Gruppen, wo keine Störungen vorliegen, als Kontrollgruppe und dann Experimentalgruppen mit Persönlichkeitsstörungen. [phon.] Sturm: „Gibt es da Unterschiede in der Mimik?“ Saß bejaht das; überhaupt gebe es ein großes Repertoire. Saß: „Jeder weiß, es gibt Menschen, da kann man vieles am Gesicht ablesen und bei anderen ist es ganz anders. Partiell sind die eigenen Reaktionen steuerbar, aber nicht ganz.“ Sturm: „Ich habe Sie so verstanden, dass Sie in psychotherapeutischen Gesprächen durch das Verbalisieren Ihres Eindrucks, durch Nachfragen bei den Probanden, versucht haben zu verifizieren. Haben Sie hier entsprechende Fragen auch gestellt?“

Weingarten: „Zwar hat Rechtsanwältin Sturm die Frage noch nicht gestellt, es ist aber eine Wiederholungsfrage. Die Antwort liegt für jedermann offen zutage, die Frage ist schlichtweg ungeeignet.“ Sturm: „Ich verstehe Sie nicht.“ Weingarten: „Die Frage geht doch dahin, ob der Sachverständige seinen Eindruck in einer verbalen Kommunikation mit Frau Zschäpe rückgekoppelt hat. Die Antwort liegt doch auf der Hand und alle hier kennen die Antwort.“ Sturm: „Ich halte meine Frage aufrecht. Ich habe allgemein gefragt, ob Herr Prof. Saß eine Frage an Frau Zschäpe dahingehend gerichtet hat.“ [Im Saal kommt kurz ein Raunen auf.] Saß: „Ich hatte einmal eine verbale Kommunikation mit ihr. Am ersten Tag bin ich hingegangen, habe ihr die Hand gegeben und gesagt, dass wir jetzt lange miteinander zu tun hätten und dass ich gehört hätte, dass sie keine Exploration wünscht, und ob es dabei bleibe. Das hat sie bejaht. Sie wirkte insgesamt ein wenig überrascht. Es hat begonnen mit einem Händedruck, einer Ansprache und dann war es zu Ende.“ Sturm: „Das war nicht das Ziel meiner Frage.“ Saß: „Darüber hinaus habe ich keine Frage gestellt, etwa: ‚Frau Zschäpe, Sie wirken erstaunt oder verärgert, sind Sie erstaunt oder sind Sie verärgert?‘ Ich hatte dazu keine Gelegenheit, ich hätte gerne im Rahmen einer Exploration dies getan.“

Sturm: „Sie haben gleichwohl nach der verlesenen Erklärung von Frau Zschäpe Fragen formuliert. Und diese Fragen, die der Vorsitzende übernommen hat, wurden von Frau Zschäpe auch beantwortet. Meine Frage ist, ob Sie nach Ihren Eindrücken, ob Sie dahingehend entsprechend verifizierende Fragen gestellt haben.“ Sturm: „Wie Sie wissen, habe ich das nicht getan. Das hat mit dem Prozedere hier zu tun. Das ist etwas, was in der direkten Kommunikation stattfindet. Es in eine Frage zu kleiden, die eine schriftliche Form einnimmt und einige Wochen lang ruht, das ist nicht das, was ich mit Rückkopplung und Falsifizierung eines Gesichtsausdrucks meine.“ Sturm: „Sie haben ausgeführt, dass in möglicherweise emotional belastenden Zeugensituationen oft eine hängende Kopfhaltung kam mit den Haaren in der Funktion eines abschirmenden Vorhangs. Warum haben Sie Frau Zschäpe auf diese Beobachtungen nicht angesprochen?“ Saß: „Ich habe Frau Zschäpe nie angesprochen, weil mir das versagt war in diesem Prozess.“ Sturm: „Missverstehen Sie mich doch nicht absichtlich!“ Saß: „Sie verlangen von mir Präzision und es ist bekannt, dass ich nie Gelegenheit hatte zum direkten Fragen.“ Sturm: „Warum haben Sie das nicht gefragt, als Sie an der Reihe waren, Fragen zu stellen? Sie hatten Gelegenheit, Fragen zu formulieren.“ Saß: „Die Frage habe ich schon beantwortet. Entschuldigung, ich war zu schnell. [vermutlich hatte Saß den Eindruck, dass Sturm noch nicht fertig war mit ihrer Frage]“ Götzl reagiert offenbar darauf, dass von Sturm, Stahl, Heer eine Unterbrechung gewünscht wird und sagt: „Machen wir eine Unterbrechung bis 5 nach.“

Um 15:10 Uhr geht es weiter. Sturm: „Ja, Herr Prof. Dr. Saß, ich würde das Thema Ihrer konkreten Beobachtungen gerne zu einer anderen Gelegenheit fortsetzen und lediglich darum bitten, dass Sie bei Gelegenheit dann nochmal in Ihre Notizen Einblick nehmen.“ Saß: „Bezogen auf 343 einzelne Tage?“ Sturm: „Grundsätzlich schon, insbesondere aber den Beginn der Hauptverhandlung und die Jahre 2014 und 2015 im Prinzip.“

Dann übernimmt RA Stahl die Befragung. Stahl: „Mir geht es ausschließlich um das Thema Prognosefragestellung und da würde ich gerne ganz grundsätzlich erklärt bekommen: Diese neun Kriterien, wo kommen die her?“ Saß: „Das ist aus unserer Arbeit entwickelt. Das ist das Ergebnis jahrelanger eigener Erfahrungen, außerdem denjenigen des Herrn Habermeyer, der sich habilitiert hat über die Sicherungsverwahrung und der mein Schüler war. Und dann noch aus der Literatur. Aus diesen drei Quellen sind diese Anhaltspunkte herausdestilliert worden.“ Stahl: „Der Aufsatz von Habermas …“ Saß: „Habermeyer.“ Stahl: „Habermeyer. Ich habe ihn nicht gelesen, ich bin ja nicht vom Fach. Das heißt, Sie haben also diese Kriterien selber mitentwickelt?“ Saß: „Ja.“ Stahl: „Haben Sie da Untersuchungen gemacht, welche Erfahrungen führten dazu, dass es gerade diese neun Kriterien geworden sind?“ Saß: „Die eigenen Erfahrungen, andere Fälle. Da geht man die Fälle durch: Was findet man gehäuft bei mir wie auch bei Habermeyer. [phon.] Der hat ja seine Habilitationsschrift dazu gemacht und die Tauglichkeit daraus empirisch abgeleitet.“ Stahl: „Meine Frage zielte drauf, ob es Validitätsuntersuchungen zu diesen Kriterien gibt.“ Saß: „Was meinen Sie mit Validität, Validität im Hinblick worauf?“ Stahl: „Vielleicht sprechen wir nicht über denselben Validitätsbegriff. Ich meine, die Belastbarkeit, dass ein Hang festgestellt werden kann anhand des Zutreffens dieser Kriterien. Vielleicht habe ich es nicht richtig verstanden.“ Saß: „Ich berufe mich auf das, was ich schon ausgeführt habe. Also, ich habe sehr großen Wert darauf gelegt, dass der Hang nicht vom Psychiater festgestellt werden muss, sondern vom Gericht.“

Stahl: „Sie nannten es ‚Hangkriterien‘.“ Saß: „Kriterien, die der Psychiater zusammenträgt und die es dem Gericht erlauben, die Frage Hang Ja/Nein zu entscheiden. Ich lege Wert darauf, dass das keine gutachterliche Tätigkeit ist. [phon.] Der Gutachter hat die Aspekte zusammenzutragen und das können viele Aspekte sein wie Werdegang, Persönlichkeit usw. Deswegen sind sie in diesen wesentlichen Kriterien zu ordnen, zusammenzutragen. Und daraus mag das Gericht dann den Schluss ziehen: Es liegt ein Hang vor oder es liegt ein Hang nicht vor.“ Stahl: „Ich zitiere aus Seite 51 Ihres Manuskripts: ‚An dieser Stelle sollen die eingangs dieses Abschnittes erwähnten Hangkriterien auf der Grundlage der vorgetragenen Einschätzungen und Befunde erörtert werden.‘ Und Sie zählen diese neun Kriterien auf und sagen auf der Folgeseite: ‚Resümierend ergibt sich also auch bei Zugrundelegung dieser Kriterien ein hohes Überwiegen solcher Aspekte, die für das Vorliegen eines Hanges sprechen‘. Meine Frage ist: Gibt es valides Material, dass diese Resümees, die Sie oder Ihr Kollege in seiner Habil ziehen, dass man da sagen kann, das sind Hangkriterien, und was ist das für ein Material?“ Saß: „Das ist eine interessante Frage. Der eine Aspekt wäre ja: Sind die Kriterien geeignet, um für das Gericht die Beantwortung der Hangfrage zu ermöglichen, und wenn die Kriterien vorliegen, hat das Gericht die Hangfrage bejaht oder verneint? Das andere wäre: Ist diese Disposition zu Straftaten validiert worden. Ich weiß nicht, was Sie meinen: Ob die Gerichte diesen Kriterien folgen oder ob die Personen, denen ein Hang durch Anwendung der Kriterien zugesprochen worden ist, tatsächlich einen Hang haben. Letzteres müsste man durch Langzeitstudien untersuchen. Das gibt es nicht nach meinem Wissen.“

Stahl: „Das meine ich natürlich. Mich interessiert doch nicht, ob Gerichte wen lebenslang einsperren. Nein, mir kommt es darauf an, ob tatsächlich eine Aussage über das Vorliegen eines Hangs gemacht werden kann. Und wenn ja, auf welcher Grundlage.“ Saß: „Hang ist ein juristisches Konstrukt. Darüber sage ich als Psychiater nichts. Ich sage etwas über Voraussetzungen, die es dem Gericht ermöglichen, die Hangfrage zu beantworten.“ Stahl: „Das mag meiner skeptischen Verteidigerhaltung geschuldet sein, dass ich den Eindruck habe, Sie würden meiner Frage ausweichen.“ Saß: „Dann bitte ich, nochmal die Frage zu stellen.“ Stahl: „Was ich wissen will, ist, was Sie dazu sagen können, ob die einzelnen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Hanges, festzustellen sind bei Probanden, die diese Kriterien erfüllt haben.“ [phon.] Saß sagt, dass sei wie immer bei solchen Merkmalskatalogen, etwa zum Affekt, und fragt, wie man das anders validieren sollte, als durch Langzeitstudien oder dadurch, dass das das Gericht einen Affekt angenommen hat oder nicht. [phon.] Stahl: „Mir fehlen die Fakten, das Evidenzbasierte. Ich habe den Eindruck, da basiert das Resümee auf der Anwendung dieser Kriterien.“ Saß: „Nein, das ist unzutreffend. Ich habe wiederholt ausgeführt im Abschnitt der Hangfrage, dass ich zwei Wege gegangen bin. Der erste ist der, der sich aus der Literatur über Prognosegutachten [phon.] ergibt. Und der zweite ist der mit den von Habermeyer vorgeschlagenen Merkmalen. Beide Wege bin ich gegangen. Bei beiden bin ich unter bestimmten Annahmen dazu gekommen, dass viel dafür spricht, dass aus psychiatrischer Sicht die Voraussetzungen zu bejahen sind.“

Stahl: „Ich bin nur beim Kriterienkatalog. Und auf Blatt 52 des Manuskripts steht, da ist das Wort ‚resümierend‘ unterstrichen: ‚Resümierend ergibt sich also auch bei Zugrundelegung dieser Kriterien ein hohes Überwiegen solcher Aspekte, die für das Vorliegen eines Hanges sprechen, jedenfalls insoweit, wie es sich aus psychiatrischer Sicht beurteilen lässt.‘ Da habe ich jetzt noch nicht so ganz verstanden, wie Sie zu dieser hohen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Hanges kommen dieser Kriterien wegen.“ Saß: „Nein, da steht ‚auch‘. Also auch beim Anlegen dieser Kriterien ergibt sich es, so wie es sich auch bei dem anderen Weg ergibt.“ Stahl: „Jetzt weichen Sie mir aus. Sie wollen nicht mit mir über die Kriterien sprechen.“ Saß: „Nein, nicht mir unterstellen, dass ich etwas nicht will.“ Stahl fragt, warum bei Zugrundelegung der Kriterien ein hohes Überwiegen von Aspekten, die für das Vorliegen eines Hanges sprechen, gegeben sei. Saß: „Da müssen wir das von 1 bis 9 durchgehen.“ Stahl: „Nein, mir geht es abstrakt darum.“ Saß: „Weil die in einer hohen Mehrzahl zu bejahen sind, bei Zugrundelegung des Szenarios 2.“ Stahl: „Moment, ich brauche eine Denkpause.“

Stahl schweigt kurz und sagt dann: „Mir geht’s drum: Wie sind die Kriterien entwickelt worden?“ Saß: „Aus meinem Erfahrungshintergrund zur Sicherungsverwahrung und aus denen des Kollegen Habermeyer, der ein großes Habilitationsthema zur Sicherungsverwahrung gemacht hat, und aus der Berücksichtigung der Literatur.“ Stahl: „Welches Ist Ihr Erfahrungshintergrund?“ Saß: „Das sind die Gutachten, die ich seit langer Zeit erstatte, wo ich mit Problemen und Fällen, mit Lebens- und Delinquenzgeschichten konfrontiert war, oft mit Fragen der Rückfälligkeit usw. Und das was an empirischem Material zu gewinnen war aus diesen Fällen und der Berücksichtigung der Literatur. Man prüft den eigenen Fall ja immer ab an Auffassungen, die in der Literatur dazu bestehen.“

Stahl fragt, zu welchen Ergebnissen Saß aus seiner Erfahrung gekommen sei. Saß: „Dass das geeignete Merkmale sind, um das zu ordnen bei der Diskussion um Hang.“ Stahl: „Und warum?“ Saß: „Das ist die Analyse, die sich aus der Betrachtung vieler Fälle ergibt. Das ist genauso, wenn Sie den Merkmalskatalog für Affektdelikte nehmen. Sie haben sehr viele Fälle und Gesichtspunkte, die in diesen Fällen enthalten sind. [phon.] Es bilden sich gewisse Überschriften heraus [phon.], die werden an der Literatur abgeprüft und so kommt am Ende heraus z. B.: Geschlecht könnte ein wichtiger Faktor sein.“ Stahl: „Können Sie sagen, wie viele Fälle das sind, die Sie da zugrunde legen?“ Saß: „Vielleicht 50.“ Stahl: „Oh.“ Saß: „In denen die Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgeworfen wurde, der Fortdauer der Sicherungsverwahrung oder des Aussetzens.“ Stahl: „Und wie viele beim Kollegen Habermeyer?“ Saß: „Ähnlich.“ Stahl: „Die gleichen Fälle oder andere?“ Saß: „Andere.“ Stahl: „Also hundert?“ Saß: „Es sind Fälle, wo Sicherungsverwahrung ausgesprochen wurde und der Fall dann überprüft wurde. Sicherungsverwahrung ist ja kein sehr häufiges Thema.“ Stahl: „Und nicht so einfach.“ Saß: „Da stimme ich Ihnen zu.“ Stahl: „Bei den etwa rund hundert Fällen, in wie vielen Fällen ist es dann zu einer Anordnung von Sicherungsverwahrung gekommen?“ Saß: „Das kann ich aus dem Stand nicht sagen.“ Stahl: „Grob?“ Saß: „Aber wenn es wirklich grob ist, dann vielleicht die Hälfte.“

Stahl: „Und habe ich das dann richtig verstanden, dass aus diesen wissenschaftlichen Erfahrungen dann daraus diese Kriterien entstanden sind, und Ihre Annahme, dass das anwendbar ist auf die Frage nach dem Vorliegen eines Hanges, dass das daraus gezogen wird?“ Saß: „Im Großen und Ganzen ist das so richtig. Auch in den Mindestanforderungen für Prognosegutachten sind Merkmalsbereiche aufgeführt. Die sind auch das Destillat dieser Erfahrungen.“ Stahl: „Bei der prognostischen Beurteilung anhand dieser Kriterien, kommen Sie da zu einer sicheren Überzeugung?“ Saß: „Das kommt drauf an.“ Stahl: „Worauf?“ Saß: „Auf den Fall. In einem Fall komme ich zu einer sicheren Überzeugung, in anderen Fällen: vielleicht, in anderen Fällen komme ich nicht zu einer sicheren Überzeugung. [phon.]“ Stahl: „Gibt es da eine Skalierung für eine Wahrscheinlichkeitsaussage?“ Saß: „Ist mir nicht bekannt.“ Stahl: „Hat hinsichtlich der Kriterien mal eine Supervision stattgefunden?“ Saß: „Was meinen Sie mit Supervision?“ Stahl: „Dass das außer Ihnen beiden mal jemand nachgeprüft hat.“ Saß: „Also das wird von Kollegen angewendet und auch in Handbüchern für geeignet gehalten. [phon.] Aber das ist keine Frage der Supervision, sondern der Akzeptanz.“ Stahl: „Haben Sie Erkenntnisse, wie oft diese Methodik angewandt wird von Kollegen?“ Saß: „Nein.“ Stahl: „Gab es kein Feedback?“ Saß verweist auf eine Publikation von Koller [phon.], wo empfohlen wird, die Kriterien zu nehmen, und auf die Aufnahme in Handbücher. Saß: „Mit aller Vorsicht, die auf diesem Gebiet angebracht ist.“

Stahl: „Dann zu den Kriterien selbst. Das erste Kriterium: ‚Eine zustimmende, ich-syntone Haltung zur Delinquenz: Dies wäre, wenn man von Szenario 2 ausgeht, zu bejahen'“ Saß: „Ja.“ Stahl: „Was ist abstrakt unter einer ‚zustimmenden, ich-syntonen Haltung zur Delinquenz‘ zu verstehen?“ Saß: „Es gibt Delikte, die aus Versehen entstehen oder aufgrund einer situativen Aufwallung, wie eine Wirtshausschlägerei. Und man fragt sich nachher: ‚Mein Gott, wie konnte mir das passieren‘. Und es gibt andere Delikte, wo jemand sein delinquentes Verhalten als eine für ihn legitime Verhaltensweise sieht.“ Stahl: „Welcher Zeitpunkt ist denn dafür erforderlich?“ Saß: „Das sind ja oft jahrelange Vorgänge, wie auch im vorliegenden Fall. Die vorgeworfenen Handlungen haben sich über viele Jahre hingezogen. Entscheidend ist, ob das auch bis zu dem Beurteilungszeitpunkt aufrecht erhalten wird.“ Stahl: „Ich habe es vermutet, dass Sie das sagen würden. Ist denn für die Beurteilung die Situation heute entscheidend, der Tatzeitpunkt oder der Zeitpunkt einer möglichen Entlassung in der Zukunft?“ Saß: „Die Situation in der Zukunft habe ich nicht im Kopf gehabt. Ich gehe vom gegenwärtigen Zeitpunkt aus, weil das meines Wissens nach so auch gefordert ist.“

Stahl: „Sie legen den Kriterien das sogenannte Szenario 2 zugrunde, also das Zutreffen der Anklage des Generalbundesanwalts. Dann legen Sie auch einen Schuldspruch zugrunde und damit müsste auch eine Zeit bis nach dem Absitzen einer Strafe vergehen. [phon.] Und wenn Sie eine Prognoseentscheidung treffen müssen, ob später ein Hang vorliegt, ist dann nicht maßgeblich der Zeitpunkt, wenn eine Freiheitsstrafe zu Ende ist?“ Saß: „Wie gesagt, es sind ja genügend hochrangige Juristen im Raum und dann bitte ich darum, mich zu belehren, den richtigen Zeitpunkt zu wählen. [phon.] Ich bin davon ausgegangen, dass der Gutachter den gegenwärtigen Zustand zugrunde zu legen hat. Das ist meiner Meinung nach im Gesetzestext aufgenommen.“ Stahl: „Ich meine, das kann man so nicht machen. Wenn Sie sagen, Sie legen das Szenario 2 zugrunde, das Zutreffen der Anklage des Generalbundesanwalts, dann müssen Sie ja auch einen gewissen Zeitpunkt vor Augen haben, und der kann nur in der Zukunft liegen.“ Saß: „Ich habe keineswegs eine Festlegung getroffen. Zur Frage des Zeitpunktes: Meines Wissens ist die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des Hanges vorliegen oder nicht, ist der jetzige Zeitpunkt. [phon.] Ich meine, das ist in die Formulierung von § 66 StGB auch aufgenommen.“ Stahl: „Von welchem Zeitpunkt sind Sie also im konkreten Fall ausgegangen?“ Saß: „Nicht von einem Zeitpunkt, sondern von der Entwicklung bis aktuell, also bis heute hin. Haltung ist ja etwas, was sich entwickelt.“

Stahl: „Kann eine Haltung aufgegeben werden?“ Saß: „Natürlich.“ Stahl: „Also bei ‚ich-syntoner Haltung zur Delinquenz‘ sagen Sie: Bei Frau Zschäpe liegt das auch heute noch vor?“ Saß: „Ich sage nicht: Liegt das heute noch vor. Ich sage: Wenn man von Szenario 2 ausgeht, dann ist es zu bejahen.“ Stahl: „Dann müssen wir besprechen, was mit Szenario 2 gemeint ist.“ Saß: „Das habe ich doch beschrieben.“ Stahl: „Was heißt ‚wenn wir von Szenario 2 ausgehen‘? Was bedeutet das?“ Saß: „Da berufe ich mich auf die Ausführungen. Ich habe das hier vorgetragen in der Hauptverhandlung, was Szenario 1 und Szenario 2 sind.“ Stahl: „Ich habe das nicht alles im Kopf, ich muss das nachgucken. Also auf Blatt 49 schreiben Sie: ‚In einem zweiten Szenario wäre im Großen und Ganzen von der Darstellung der Anklageschrift auszugehen.‘ Was heißt das jetzt?“ Saß: „Das war gemeint mit Szenario 2. Ich habe es noch ein bisschen ausgeführt, aber brauchen wir vielleicht nicht zu wiederholen.“ Stahl: „Naja, ‚im Großen und Ganzen‘.“ Saß: „Ja, weil ich mich hüten würde, mich detailliert zu äußern.“ [phon.] Stahl: „Wir antizipieren mal: Tag der Urteilsverkündung und der Senat sagt: Im Großen und Ganzen Szenario 2, Verurteilung. Was soll man damit anfangen?“ Saß: „Damit habe ich nichts zu tun. Für mich bedeutet Szenario 2, dass im Großen und Ganzen die Darstellung, wie es in der Anklageschrift steht, zutrifft. Wenn man das unterstellt, komme ich zu der Schlussfolgerung.“ Stahl: „Und das überprüfen, kann ja nur der Senat. Dann wäre der Zeitpunkt ja die Urteilsverkündung. Mir geht es einfach darum, ob Sie heute oder am Tag, wo das festgestellt werden wird, ob Sie da eine solche ‚ich-syntone Haltung‘ zur Delinquenz bei Frau Zschäpe festgestellt haben.“ Saß: „Nein, das liegt ja in der Zukunft. Das habe ich nicht festgestellt.“

Stahl: „Eine ‚zustimmende ich-syntone Haltung zur Delinquenz‘ und dann sagen, Sie, dies wäre, wenn man von Szenario 2 ausgeht, zu bejahen.“ Saß: „Ja, so ist das gemeint.“ Stahl: „Ja, zu welchem Zeitpunkt?“ Saß: „Für mich ist das heute so, aber gewachsen ist die Haltung aus einer jahrelangen Entwicklung.“ Stahl: „Gut, heute. Und woran machen Sie jetzt fest, heute, dass Frau Zschäpe eine ‚zustimmende ich-syntone Haltung zur Delinquenz‘ aufweist?“ Saß: „Das ist im Grunde eine Extrapolation aus dieser jahrelangen Entwicklung seit dem Untertauchen [phon.]. Und der Punkt ist: Verlässliche, belastbare, konkrete Anhaltspunkte, dass es zu einer Änderung gekommen ist, sind für mich nicht deutlich geworden.“ Stahl: „Ja, dann kommen wir jetzt quasi an den Punkt. Voraussetzung dafür, dass dieses Kriterium 1 erfüllt ist, diese Zustimmung zur Delinquenz, ist, wenn sich diese Haltung gefestigt hat. Und dann gibt es ja den Zeitpunkt November 2011, das ist jetzt fünf Jahre her. Seitdem befindet sich Frau Zschäpe in Untersuchungshaft und spielt sich dieses Verfahren ab. Haben Sie in diesem Zeitraum Anhaltspunkte dafür feststellen können, dass bei Frau Zschäpe eine ‚zustimmende ich-syntone Haltung zur Delinquenz‘ aufrechterhalten geblieben ist?“ Saß: „Ich habe gesagt, dass konkrete Anhaltspunkte für eine Änderung sich für mich nicht ergeben haben.“ Stahl: „Mir geht es um etwas dieses Kriterium Bejahende in dieser Zeit?“ Saß: „Nein, ich habe deutlich gemacht, was die Grundlage ist. Nicht, dass Frau Zschäpe gesagt hättet: Ja, ich will so weitermachen. Sondern ich habe gesagt, es sind keine belastbaren Erkenntnisse zu gewinnen gewesen, dass sich die Haltung geändert hat.“

Stahl: „Wir kommen zu der Frage, ob solche Kriterien dann geeignet sind. Wenn Sie sagen, wir haben den Zeitpunkt heute, das Vorliegen des Kriteriums ‚zustimmende ich-syntone Haltung‘. Sie sprechen die Prognose ja heute aus und nicht vor der Festnahme, da haben Sie aber keine Anhaltspunkte dafür, dass es in den letzten Jahren eine entsprechende Zustimmung gegeben hat?“ Saß: „Habe ich beantwortet.“ Stahl: „Also Sie unterstellen, dass es eine Änderung nicht gegeben habe.“ Saß: „Den Begriff Unterstellung habe ich nicht benutzt. Ich hab mich so ausgedrückt: Wenn man das [Szenario 2] annehmen will, dann muss man das bejahen. Das was zugrunde liegt, hat der Sachverständige nicht zu beurteilen. Anders wäre das bei psychischen Erkrankungen.“ Stahl: „Ich bräuchte eine kurze Pause, weil ich nachdenken muss.“ Götzl: „Machen wir Pause bis 16 Uhr.“

Um 16:06 Uhr geht es weiter. Stahl: „Wir waren stehengeblieben beim Kriterium Nummer 1, ich-syntone Haltung zur Delinquenz, und dem Zeitpunkt, wann Sie das Vorliegen dieser Haltung bejahen, nämlich jetzt. Und Sie haben gesagt, das tun Sie, weil Sie von Szenario 2 ausgehen [phon.] und eine Haltung etwas ist, was sich über Jahre entwickelt, und Sie in der letzten Zeit, ich nehme an mangels Exploration, …“ Saß wirft ein: „Habe ich nicht gesagt.“ Stahl: „… nichts Gegenteiliges dazu bringt, dass diese Haltung aufgegeben worden sei.“ Saß: „Im Großen und Ganzen ja.“ Stahl: „Sie sagten aber vorhin, eine Haltung könne aufgegeben werden.“ Saß: „Ja, kann sich ändern.“ Stahl: „Gibt es da Untersuchungen oder Erfahrungen, wie sich U-Haft auf Haltungen oder Lebenseinstellungen auswirkt?“ Saß: „Wissenschaftliche Studien sind mir nicht bekannt, wobei man sagen muss dass die U-Haft ein besonderes Setting darstellt, in der es schwer fällt, etwas unverfälscht über Haltungen zu erfahren, da die Menschen in Erwartung eines Prozesses gegen sie sind. Ich kann mich dazu äußern wie Prof. Leygraf [psychiatrischer SV, Gutachten über Carsten Schultze]: Es gibt Menschen, die das sehr beeindruckt und es gibt Menschen, die das recht unbetroffen lässt.“ Stahl: „Wenn Sie sagen, Sie hätten jetzt keine Anhaltspunkte dafür beobachtet, dass eine solche Haltung aufgegeben worden wäre: Was müssten das denn für Anhaltspunkte sein?“ Saß: „Ich habe nicht gesagt, keine Anhaltspunkte, sondern ich habe keine konkreten, belastbaren, authentisch erscheinenden Hinweise erkennen können. Auch wieder mit der gebotenen Vorsicht. Und ich habe ausgeführt, dass das zum Teil auf die Beobachtung des Verhaltens und der Reaktionen in der Hauptverhandlung zurückgeht. Das ist ja ausführlich in meinem Gutachten dargelegt worden.“ Stahl: „Nee, das ist gar nicht ausführlich dargelegt worden, weswegen keine konkreten Hinweise erkennbar waren. Damit befassen Sie sich außer hier an keiner Stelle.“

Götzl: „Also Blatt 50, 51 würde ich mir schon mal anschauen und zu den Behandlungsaussichten lesen Sie mal Blatt 55 [phon.].“ Stahl: „Zu der Frage, dass die Haltung nicht aufgegeben worden sein soll, wo finden sich da Ausführungen?“ Götzl: „Auf Seite 50.“ Stahl: „Und wo noch? Da reden wir aneinander vorbei, Herr Vorsitzender.“ Götzl: „Dann warten wir’s ab.“ Stahl: „Es ist immer schwierig. Welche konkreten Umstände, Anhaltspunkte darauf können denn vorliegen oder woran machen Sie es fest? Was kann denn festgestellt werden, was sind das für Hinweise, dass eine Haltung aufgegeben wird?“ Saß: „Ich habe das ausführlich hier erörtert. Die Art der zu beobachtenden Reaktionen auf Ereignisse in der Hauptverhandlung.“ Stahl: „Wo haben Sie erörtert, wann eine Haltung aufgegeben wird oder nicht? Das meine ich nicht gelesen zu haben.“ Saß: „Das Fehlen von authentisch scheinenden Reaktionen bei Zeugen, die Dinge berichtet haben, die emotional berührend sind, das habe ich erörtert, und auch erwogen, ob das vielleicht zurückgeht auf Anweisungen der Verteidiger. Und dann habe ich hinzugefügt, dass diese Beherrschung und die ausbleibenden Reaktionen als Verteidigeranweisung eigentlich nicht mehr gilt ab Mitte 2015, als sich die Verteidigerstrategie vielleicht geändert hatte und auch die schriftliche Erklärung abgegeben worden ist. Und da war dennoch kein Hinweis auf eine authentische Abstandnahme. Auch dann ist es beim Ausbleiben von authentischen Reaktionen, beispielsweise bei Schilderungen von Tatopfern, geblieben. Das war der Argumentationsgang, den ich mindestens zweimal hier bereits erörtert habe.“

Stahl: „Vollkommen richtig. Das war aber nicht Gegenstand meiner Frage. Ich wollte wissen, in Bezug auf das Merkmal einer ‚ich-syntonen Haltung zu Delinquenz‘, da haben Sie in der Dauer des Verfahrens keine authentischen Hinweise gefunden, dass diese Haltung aufgegeben worden wäre. Ich wollte wissen, welche Hinweise es überhaupt geben kann.“ [Im Saal kommt Gemurmel auf.] Saß: „Nach meiner Erinnerung habe ich es beantwortet. Nämlich Anzeichen von Erschütterung, Betroffenheit, Äußerung von Mitgefühl. Wobei ich erörtert habe, dass diese in den schriftlichen Erklärungen enthalten sind, wobei mir das recht papieren erschien und wir von Rechtsanwalt Borchert erfahren haben, dass diese Formulierungen weitgehend von den Verteidigern vorgegeben waren.“ Stahl: „Ja, das betraf jetzt allgemein das Verhalten von Frau Zschäpe in der Hauptverhandlung. Mir ging es aber um das Kriterium 1, Frau Zschäpes Haltung zur Delinquenz. Und Sie beantworten das damit, dass die Abwesenheit von authentischen Hinweisen, dass eine solche Haltung zur Delinquenz nicht aufgegeben worden ist, heute das Vorliegen von Kriterium 1 noch nahelegt [phon.]. Am Fehlen von aufrichtigem Bedauern etwa bei Zeugen. Ist das so?“ Saß: „Das haben wir ja schon drei mal gesagt. Es ist Ihre Formulierung, aber im Großen und Ganzen: Ja.“

Stahl: „Jetzt ein Exkurs: Die von Ihnen getätigten Beobachtungen in der Hauptverhandlung bei Frau Zschäpe. Sie sagten zuletzt. ‚Die Erklärungen wirkten papieren.‘ Handelt es sich bei diesen Beobachtungen nicht zunächst einmal um relativ sozialadäquate Verhaltensweisen eines Menschen, der Angeklagter in einem Verfahren vor dem OLG ist? Denn so grundsätzlich, das ist meine laienhafte Haltung, ist das Verhalten, das Frau Zschäpe an den Tag legte, nicht allzu unterschiedlich zum Verhalten der anderen Angeklagten. Also mal desinteressiert zu sein oder so zu gucken, auf den Laptop usw. Aber auch Richter etc. haben ja in ihren Laptop geguckt.“ Götzl: „Das ist keine Frage, ist das eine Würdigung?“ Stahl: „Nein, die Frage ist, ob es sich dabei nicht um ein sozialädaquates Verhalten eines Angeklagten handelt.“ Saß: „Ob es sozialadäquat ist, da müssten wir länger drüber sprechen. Aber das Verhalten von Herrn Schultze war zum Beispiel deutlich anders.“ Stahl: „Inwiefern? Das Aussageverhalten? Hat der nicht auch mal gelangweilt auf seinen Laptop geguckt? Ließe sich das nicht auch auf mich oder Richter Kuchenbauer anwenden, diese Beobachtung, die Sie aufführen?“ Saß: „Ich habe gesagt, dass eine normale emotionale Reagibilität da ist, also keine Störung. Aber eine Erschütterung beispielsweise, die habe ich nicht gesehen.“ Stahl: „Also Sie setzen die voraus?“ Saß: „Ich würde nein sagen. Ich setze gar nichts voraus. Ich beobachte und versuche dann, daraus Schlussfolgerungen und Bewertungen zu ziehen.“ Stahl: „Meine Ursprungsfrage war, ob das bei Frau Zschäpe zu beobachtende Verhalten, ob das nicht als sozialadäquates Verhalten anzusehen ist.“ Saß: „Sozialadäquat möchte ich weglassen, aber es ist kein ungewöhnliches Verhalten.“ Stahl: „Warum wollen Sie das weglassen?“ Saß: „Weil wir dann darüber reden müssten, was sozialadäquat ist.“ Stahl: „Der sozialen Rollen eines Angeklagten entsprechend.“ Götzl: „Das ist eine Wertung! Wir kommen hier in Bereiche rein, da müsste ich nachfragen, was Sie darunter verstehen. Vielleicht könnten Sie auf die Punkte, die Sie vor Augen haben, abstellen. Sonst diskutieren wir herum und zum Schluss wissen wir nicht, was jeweils zugrunde gelegt wurde.“ Saß: „Ich wollte das ’sozialadäquat‘ vermeiden und sage dafür: Das ist nicht ungewöhnlich.“ Stahl: „Das gefällt mir nicht so.“ Saß: „Tut mir leid.“ Im Saal kommt kurz Gelächter auf.

Stahl: „Ich lasse das mal beiseite. Ich komme nochmal zurück auf die Grundvoraussetzung der Annahme aufgestellter Hangkriterien. Das zweite Szenario, das im Großen und Ganzen der Darstellung der Anklageschrift entspräche. Was ganz genau muss ich mir unter ‚im Großen und Ganzen‘ vorstellen?“ Götzl: „Es finden sich entsprechende Ausführungen, was der Sachverständige dem Szenario 2 zugrunde legt!“ Stahl: „Ich meine, keine sehr konkreten Angaben gehört zu haben, sondern nur, dass es im Großen und Ganzen der Anklageschrift entspricht.“ Götzl: „Sehen Sie sich Seite 49, Seite 50 an!“ Stahl: „Herr Vorsitzender, ich sehe Ihre Erregung!“ Götzl lacht: „Von Erregung bin ich weit entfernt. Ich will Sie nur darauf hinweisen.“ Saß: „Sie müssen nur weiterlesen und dann kommen die Ausführungen, und die habe ich hier mindestens einmal vorgetragen.“ Stahl: „Mir ist wichtig, was Sie meinen.“ Stahl wendet sich an die Vertreter_innen, der BAW [vermutlich hat OStA Weingarten zuvor seinen Unmut geäußert]: „So schlimm ist das auch nicht, was ich hier mache. Ich bin ja kein Psychiater. Das ist eine Nebenwissenschaft für mich und ich versuche hier mit jemandem, der da echte Ahnung hat, zu sprechen [phon.]. Und es steht Ihnen zu, Herr Vorsitzender, weil Sie die Sachleitung haben, aber was Herr Oberstaatsanwalt Weingarten macht, das geht nicht, das bringt mich raus.“ Götzl: „Ich habe ja schon in Ihrem Sinne mit Oberstaatsanwalt Weingarten interagiert, damit Sie weiter fragen können. Aber mir drängt sich der Verdacht auf, dass Sie eine Diskussion wollen.“ Stahl sagt, er habe eine Diskussion vermeiden und eine vernünftige Grundstimmung erzeugen wollen. Dann sagt er: „Ich komme zurück auf meine Ausgangsfrage. Das ‚Große und Ganze‘, was heißt das, das Zutreffen aller angeklagten Tatvorwürfe?“ Weingarten: „Ich beanstande das jetzt, nachdem offenbar Hinweise des Vorsitzenden nicht gehört werden. Der Sachverständige hat dazu eingehend Stellung genommen. Auf Seite 49 letzter Absatz, der dritte Satz: ‚Hiernach müsste davon ausgegangen werden, dass‘. Und so hat der Sachverständige das auch erklärt. Ihnen steht kein Vernehmungsrecht zu und keine Wiederholungsfragen. Und der Beschleunigungsgrundsatz gilt auch auf der Mikroebene!“

Götzl: „Frau Zschäpe, Rechtsanwalt Grasel hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass Sie Kopfschmerzen haben, und sagte, bis halb Fünf geht’s noch. Können wir noch etwas weitermachen, dass wir den Komplex jetzt noch abschließen?“ Zschäpe nickt.

Stahl: „Wir haben die Beanstandung von Oberstaatsanwalt Weingarten. Mir geht es nur um die Frage und das ist eine Verständnisfrage. Wenn Sie sagen ‚im Großen und Ganzen‘, gehen Sie davon aus, dass alle Taten wie in der Anklageschrift zugrunde gelegt, begangen wurden?“ Saß: „Das ‚im Großen und Ganzen‘ ist der Vorsicht geschuldet, dass sich der Sachverständige tunlichst nicht zum Anklagegegenstand äußert. Dem ist das ‚im Großen und Ganzen‘ geschuldet. Wenn Sie mir sagen, ich soll davon ausgehen, dass die ersten sieben Anklagepunkte nicht vorliegen, dann müsste ich erneut bewerten.“ Stahl: „Das ist mir klar. Sie haben ein Resümee gezogen, darüber reden wir jetzt. Anhand der neun Kriterien. Deswegen muss ich schon wissen, was Sie genau zugrunde legen. Blenden Sie bei der Zugrundelegung der Anklagehypothese des Generalbundesanwalts den Verlauf der bisherigen Hauptverhandlung aus oder berücksichtigen Sie sie? Das bringt mich wirklich raus, Herr Oberstaatsanwalt Weingarten, wenn Sie sich da an den Kopf fassen, so ‚das muss ja total bekloppt sein, was der Stahl da macht‘.“ Saß: „Ich denke, es wäre falsch gewesen, wenn ich geschrieben hätte, dass sie das und das getan hat. Der Sachverständige muss im Hintergrund haben, was in der Anklageschrift steht, ohne dass er sich erdreisten könnte, etwas zur Anklageschrift festzustellen. Das ist ja nicht seine Aufgabe. Dennoch ist er ja nicht im luftleeren Raum. Und so ist das ‚im Großen und Ganzen‘ zu verstehen, nicht: der und der Anklagepunkt trifft zu.“

Stahl: „Das habe ich mir gedacht. Aber ist es dann so, dass Sie das Ergebnis weiter Strecken der Hauptverhandlung mitberücksichtigt haben, oder haben Sie das beiseite gelassen bei Szenario 2?“ Saß:“ Ich habe die Summe dessen, was ich in der Hauptverhandlung erlebt habe, mit einbezogen. Und ich habe mich darauf oft berufen. Auf Zeugenaussagen, Videos. Natürlich ist das ein Szenario, das aus sehr vielen Informationen besteht.“ Stahl: „Unter Berücksichtigung der Hauptverhandlungstage, an denen Sie teilgenommen haben?“ Saß: „Und über die ich informiert wurde.“ Stahl: „Also da haben Sie angenommen, dass Szenario 2 vorliegt?“ Saß: „Nein, da haben Sie mich völlig falsch verstanden.“ [Im Saal kommt Unmut auf.] Stahl zu Götzl: „Wo ist denn das Problem, Herr Vorsitzender?“ Saß: „Jetzt unterstellen Sie mir doch nicht, dass ich mich festgelegt hätte betreffend der Anklagepunkte!“

Stahl: „Sie sagen, die Kriterien 1 bis 9 werden beantwortet unter Zugrundelegen eines Szenarios. Und da wissen wir jetzt, was das ist.“ Saß: „Nicht erst jetzt.“ Stahl: „Ich habe es jetzt verstanden. Und da sagen Sie, Sie haben berücksichtigt, was Sie hier in der Hauptverhandlung erlebt haben.“ Saß: „Natürlich, deshalb bin ich doch hier anwesend. Nicht, um das auszublenden.“ Stahl: „Ein Beispiel: Es gibt ja hier Prozesserklärungen zur Sache von Frau Zschäpe, das war Gegenstand der Hauptverhandlung. Wie ist das nun in Kongruenz zu bringen?“ Götzl reagiert ungehalten: „Das war Szenario 1! Wieso müssen wir andauernd Wiederholungsfragen hören?“ Stahl: „Das empfinde ich jetzt als Beschränkung meines Fragerechts. Das ist eine ganz neue Frage! Ich möchte jetzt wissen, wie diese Diskrepanz, dass eine entgegen dem Szenario 2 stehende Angabe von Frau Zschäpe damit in Einklang zu bringen ist, dass er die Annahme von Szenario 2 vornimmt. Das mögen Sie als Fangfrage verstehen, aber …“ Götzl unterbricht: „Das wurde doch alles ausgeführt! Ich bitte Sie!“ Stahl: „Sie haben meine Frage nicht verstanden.“ Götzl: „Sie müssen in den Alternativen bleiben. Wir hatten den Sachverständigen dazu angehalten in den jeweiligen Alternativen zu bleiben.“

Stahl: „Da der Sachverständige kein Zeuge ist, muss er nicht den Saal verlassen. Aber auf Ihre tiradenhaften Vorwürfe möchte ich auch entgegnen dürfen.“ Götzl: „Bitte, dann machen Sie das!“ Stahl: „Für mich ist wichtig, von welcher Basis der Sachverständige bei der Anwendung der Kriterien ausgeht. Und jetzt kann man sagen, ist ja alles geklärt, Szenario 2.“ Götzl: „Nein.“ Stahl: „Ich habe gefragt, ob er gleichwohl die Geschehnisse in der Hauptverhandlung berücksichtigt hat. Da sagt er: Ja. Und wenn der Sachverständige ja sagt, frage ich, ob er auch das Einlassungsverhalten berücksichtigt hat. Und das steht der Anklage zum Teil ja diametral entgegen. Und ich will wissen, wie er damit umgeht.“ Götzl: „Dazu hat er Angaben gemacht. Wir haben eine Verschriftung seiner mündlichen Ausführungen.“ Stahl: „Ich habe das gelesen, ich war zum Teil auch zugegen. Sind Sie denn so freundlich und weisen mich darauf hin wo das steht?“ Götzl: „Auf Seite 45 zum ersten Szenario. Dann auf Seite 49 bis 51 oben.“

OStA Weingarten: „Ich möchte diese Art der Befragung, und nicht nur eine Frage, beanstanden. Weil sie per se ungeeignet ist. Ich vermute, unabsichtlich unterläuft Herrn Rechtsanwalt Stahl ein logischer Fehler. Man kann bei Szenario 2 die Einlassung vom Frau Zschäpe nicht irgendwie einarbeiten, weil die Einlassung und Szenario 2 nicht kompatibel sind. Deswegen gibt es ja Szenario 1. Jede mit kritischem Impetus formulierte Frage an den Sachverständigen, wie er Szenario 1 und 2 überein bringt, ist ungeeignet, weil zwei nicht miteinander zu vereinbarende Voraussetzungen in Frageform kumuliert werden.“ Götzl: „Es stellt sich die Frage nach Alternativen. Dafür ist er Sachverständige da, dass er uns seine Sachkunde für zusätzliche Alternativen zur Verfügung stellt.“ Stahl: „Ich habe nicht Szenario 1 und 2 überein gebracht. Es geht um das erste Kriterium der neun Kriterien. Es gibt das Szenario, das der Anklage entspricht im Großen und Ganzen. Und dann habe ich gefragt, ob bei Zugrundelegen des Szenarios 2 auch die Ergebnisse der Hauptverhandlung berücksichtigt werden. Jetzt mag ich plakativ die Erklärung von Frau Zschäpe gewählt haben. Er kann ja sagen: Nein, die Erklärung habe ich nicht berücksichtigt. Damit ich mal so langsam weiß, was Tatsachengrundlage war. Das ist doch so schwer nicht! Da verwechsele ich nicht, das habe ich schon gut präsent.“ Götzl zu Stahl: „Jetzt müssen Sie sich aber auch beruhigen!“

Weingarten: „Ich muss, solange Herr Rechtsanwalt Stahl von der Frageart nicht abrückt, bei der Beanstandung bleiben. Der Sachverständige hat klipp und klar deutlich gemacht, was er bei Szenario 2 zugrunde legt und das auf Seite 49 bis 51 spezifiziert. Und im Übrigen muss der Rechtsanwalt einfach, das ist ihm doch unbenommen, dem Sachverständigen andere Sachverhaltsalternativen unterbreiten.“ Stahl: „Diese Vorhalte sind allesamt falsch, die mir Oberstaatsanwalt Weingarten macht. Ich habe die Frage gestellt, ob er bei Zugrundelegen des Szenarios 2 auch die Ergebnisse der Hauptverhandlung zugrunde gelegt hat. Und das hat der Sachverständige mit Ja beantwortet.“ [SV Prof. Saß beschwert sich ohne Mikrofonverstärkung; seine Äußerung ist auf der Empore nicht zu verstehen.] Stahl: „Und ich möchte wissen, was er da zugrunde gelegt hat. Und es kann ja nicht sein, dass ich keine Folgefragen stellen darf, weil der Sachverständige was anderes zuvor gesagt hat.“ NK-Vertreter RA Hoffmann: „Ich muss dann doch der BAW Recht geben, Herr Stahl. Sie haben gefragt, ob er das Ergebnis der Hauptverhandlung berücksichtigt hat. Damit versuchen Sie, ihn aufs Eis zu führen. Was ist denn das Ergebnis der Hauptverhandlung? Dann müssen Sie sagen, was das Ergebnis Ihrer Meinung nach ist.“ Götzl: „Das ist richtig.“ Stahl sagt, man müsse ihm nicht unterstellen, dass er Fangfragen stelle: „Mir geht es nicht um Taschenspielertricks.“ Götzl: „Ich denke, dass wir an der Stelle unterbrechen und am Dienstag fortsetzen.“ Der Verhandlungstag endet um 16:50 Uhr.

Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Zu Beginn des Verhandlungstages lehnte das Gericht die Gegenvorstellung der Verteidigung Zschäpe von gestern ab. Die Zschäpe-Verteidiger_innen Heer, Stahl und Sturm beantragten daraufhin – nach einer längeren Beratungspause – weitere 2 ½ Stunden Unterbrechung, um ein Ablehnungsgesuch gegen die Richter_innen wegen vermeintlicher Befangenheit zu formulieren. Indes kann nur die Angeklagte selbst die Richter_innen ablehnen, nicht die Verteidiger_innen ohne oder gegen deren Willen. Und auf Frage des Vorsitzenden teilte Zschäpe mit, dass sich Heer, Stahl und Sturm nicht mit ihr abgestimmt hatten. Auch nach der Mittagspause blieben die Altverteidiger_innen bei ihrem Antrag, obwohl Zschäpe persönlich auf Frage des Vorsitzenden mitteilte, bei ihr habe sich nichts geändert. Das Gericht lehnte daher den Antrag auf Unterbrechung der Verhandlung ab. Heer, Stahl und Sturm ließen das Befangenheitsgesuch dann auch sein. Es folgte eine sehr unbeholfen wirkende Befragung des Sachverständigen, zunächst durch Rechtsanwältin Sturm, dann durch Rechtsanwalt Stahl. Irgendwelche Aspekte, die Zweifel am wissenschaftlichen Vorgehen des Sachverständigen oder an seinen Schlussfolgerungen wecken könnten, ergaben sich hieraus nicht ansatzweise. Man kann der Verteidigung allerdings auch wirklich keine geschickte oder gut vorbereitete Befragung attestieren – so warf etwa Rechtsanwalt Stahl anlässlich der Diskussion eines Aufsatzes, in dem Saß und sein Schüler Habermeyer zentrale wissenschaftliche Grundlagen entwickelt hatten, auf denen auch das Gutachtens beruht, ein, ‚den Aufsatz mit Habermas‘ habe er gar nicht gelesen. Dass dann der Psychiater Saß noch den Juristen Stahl über die juristischen Fragen, etwa den im Gesetzeswortlaut bestimmten Beurteilungszeitpunkt, aufklären lassen musste, setzte dem peinlichen Schauspiel die Krone auf.“
https://www.nsu-nebenklage.de/blog/2017/02/09/09-02-2017

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