Protokoll 354. Verhandlungstag – 29. März 2017

0

An diesem Prozesstag geht es um unterschiedliche Anträge. Richter Götzl weist zunächst das Ablehnungsgesuch von André Eminger als unzulässig zurück. Danach nimmt die GBA Stellung zu einem Beweisantrag der Verteidigung Wohlleben zum Mord an Michèle Kiesewetter. Die Verteidigung Wohlleben beantragt dann, den Verhandlungstag zu beenden, um ein Ablehnungsgesuch vorzubereiten. Bevor dies passiert, stellt NK-Vertreterin Antonia v. d. Behrens einen Beweisantrag zu antisemitischen und rassistischen Taten der , insbesondere der Angeklagten sowie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Der Verhandlungstag beginnt um 09:44 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung bittet Zschäpe-Verteidiger RA Heer um das Wort. Götzl: „Herr Rechtsanwalt Heer, worum geht es?“ Heer: „Es geht darum, dass Frau Sturm, Herr Stahl und ich beantragen, die Hauptverhandlung…“ Götzl unterbricht: „Ich bitte, das einfach zurückzustellen, Sie werden dadurch auch keinen Rechtsverlust erleiden. Es geht zunächst darum, einen Beschluss zu verkünden.“

Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass das Ablehnungsgesuch von André Eminger betreffend Götzl [Eminger hatte sich einem Ablehnungsgesuch von Zschäpe angeschlossen] als unzulässig verworfen wird. Götzl gibt zunächst den prozessualen Hergang wieder, dann sagt er, dass das Ablehnungsgesuch von Eminger gemäß § 26a Absatz 1 StPO als unzulässig zu verwerfen sei. Im Ablehnungsgesuch würden keine Tatsachen angegeben, aus denen sich die Rechtzeitigkeit des Antrags ergibt. In diesem Fall entscheide das Gericht, ohne dass der abgelehnte Richter ausscheidet. Die Voraussetzungen für das rechtzeitige Vorbringen seien durch den Angeklagten Eminger nicht glaubhaft gemacht worden. Der Erlass der Verfügungen des Vorsitzenden sei am 07.03. erfolgt. Eminger habe seit diesem Zeitpunkt Kenntnis von den Umständen gehabt, auf die er am 09.03. seine Richterablehnung stützte. Selbst unter Berücksichtigung der Überlegungsfrist und der Notwendigkeit der Besprechung mit dem Verteidiger könne eine Antragstellung am übernächsten Verhandlungstag nicht mehr als unverzüglich gewertet werden. Die Voraussetzungen seien auch nicht durch die Anschlusserklärung des Angeklagten Eminger an das Befangenheitsgesuch Zschäpes glaubhaft gemacht. Dieses beziehe sich ausschließlich auf interne Beratungen der Verteidigung Zschäpe, ein erhöhter Zeitbedarf der Verteidigung Eminger werde nicht glaubhaft gemacht. Wegen der Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs sei eine dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden nicht einzuholen gewesen.

Danach sagt Götzl: „Mir geht es jetzt noch um Stellungnahmen zum Beweisantrag der Verteidigung Wohlleben, Stichwort war gewesen: FBI-Agenten in Heilbronn.“ [siehe 353. Verhandlungstag]OStAin Greger nimmt für den GBA Stellung zum Antrag. Dem Antrag sei nicht nachzugehen, so Greger. Die allgemeine Aufklärungspflicht des Senats gebiete die angeregten Maßnahmen nicht, da die bekannt gewordenen Tatsachen im Verfahren und die bisher durchgeführten Ermittlungen eine gerichtliche Beweisaufnahme zu dem von den Antragstellern als möglich in den Raum gestellten Aufenthalt von FBI-Agenten in Heilbronn nicht nahelegten. Die Antragsteller stützten ihren Antrag auf eine Presseberichterstattung vom 20.09.2016. Der Journalist berufe sich darin auf geheime Dokumente, wonach ein amerikanischer Beamter erklärt habe, dass eine FBI-Operation auf deutschem Boden mit einer Zielperson im islamistischen Bereich wegen der Tat abgebrochen worden sei. Der Verfasser des Artikels führe auch aus, ein amerikanischer Dienst habe Kontakt mit einem BND-Beamten aufgenommen. Eine nähere zeitliche Einordnung der Aufnahme dieses Kontakts fehle im Artikel. Einem weiteren Presseartikel aus den Stuttgarter Nachrichten zu den Ermittlungen des UA Baden-Württemberg sei jedoch zu entnehmen, dass die fragliche Kontaktaufnahme am 02.12.2011, somit nach der Veröffentlichung des ersten Stern-Artikels stattfand.

Die Spekulationen um eine angeblich abgebrochene FBI-Operation beruhten auf einem Stern-Artikel vom 01.09.2011, so Greger. Der Hinweis von Rudolf K. sowie die vermeintliche Kontaktaufnahme mit dem BND seien nicht neu, sowohl die Ermittlungsbehörden als auch die UAe des Bundestags und insbesondere des Landtags Baden-Württemberg seien ihnen nachgegangen. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass Augenzeugen, insbesondere FBI-Agenten, den Anschlag in Heilbronn wahrgenommen hätten und Informationen geben könnten, hätten die breit angelegten Ermittlungen jedoch nicht erbracht. Es lägen nach diesen Ermittlungen keine belastbaren Anhaltspunkten vor, dass die Behauptungen im Stern-Artikel belastbar wären bzw. einen wahren Sachverhalt wiedergeben würden. [phon.] Die Angaben von K., während seiner Tätigkeit beim
US-Militärgeheimdienst Military Intelligence, am Tag nach dem Anschlag in Heilbronn ein Gespräch zweier Soldaten über eine abgebrochene Observation des Mevlüt Ka. mitbekommen zu haben, hätten sich als nicht belastbar dargestellt.

Zum einen sei bereits die Glaubwürdigkeit des Zeugen als solches nach Erkenntnissen zu seinem Vorleben fraglich. Vor allem aber sei seine Aussage vor dem Hintergrund der substantiierten Aussagen der Zeugen Holmes und Rogers, Military Intelligence, zu den internen Zuständigkeiten sowie der eindeutigen Auskünfte der amerikanischen Behörden nicht glaubhaft. Die angebliche Observation in Heilbronn habe nicht stattgefunden, so Greger. Für das FBI habe Stuart P. Wirtz im Oktober 2017 mitgeteilt, dass das FBI im Frühjahr 2007 keine Operation in Deutschland durchgeführt habe. Die Observation im Stern-Artikel habe nicht stattgefunden. Das Schreiben und eine beglaubigte Übersetzung der Aussage werde dem Senat nach Gregers Stellungnahme übergeben. Nach Auskünften des VS Bayern und des VS Baden-Württemberg sei die behauptete Observation dort nicht bekannt. Das in der Zeitschrift Stern veröffentlichte Observationsprotokoll werde von Angehörigen der US-Armee und den amerikanischen Behörden als Fälschung gewertet. Die Botschaft in Berlin habe das Dokument für nicht authentisch erklärt. Schließlich hätten auch die Zeugenvernehmungen des Zeugen Ur. vor dem UA Baden-Württemberg zu den Erkenntnissen des BND, des Zeugen Ch. zu den Erkenntnissen des MAD und des Zeugen Sch. zu den Erkenntnissen des LfV Baden-Württemberg keine Tatsachen zu Tage gefördert, die eine Observation am Tattag in Heilbronn stützen würden. Bezeichnenderweise ergebe sich dieses Fazit auch aus der von den Antragstellern zitierten Presseberichterstattung. Götzl: „Wir werden das kopieren und Ihnen zur Verfügung stellen.“

Heer: „Herr Vorsitzender? Frau Sturm, Herr Stahl und ich beantragen die Hauptverhandlung bis 10:50 Uhr zu unterbrechen, um den unmittelbar vor der Verhandlung ausgeteilten Beschluss zur Kenntnis nehmen zu können.“ Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders: „Die Verteidigung Wohlleben schließt sich an.“ Götzl: „Soll noch Stellung genommen werden zum Beweisantrag?“ Schneiders: „Wir haben ja noch keine Kenntnis von den Anlagen und würden dann natürlich gerne dazu Stellung nehmen.“ Götzl: „Wir setzen um 11:15 Uhr fort.“ Um 11:16 Uhr erfolgt eine Durchsage: „Die Verhandlung wird fortgesetzt um 11:45 Uhr.“

Um 11:47 Uhr geht es weiter. Wohlleben-Verteidiger RA Klemke: „Wir beantragen, die Hauptverhandlung bis morgen, 09:30 Uhr, zu unterbrechen zur Vorbereitung eines Ablehnungsgesuchs gegen Richter Kuchenbauer, Richterin Odersky und Richter Prechsel.“ Götzl: „Soll zu dem Unterbrechungsantrag Stellung genommen werden?“ Bundesanwalt Diemer: „Das ist natürlich überraschend jetzt, aber angesichts der Tageszeit wäre es m.E. möglich, heute noch fortzusetzen und das Ablehnungsgesuch heute anzubringen.“ Klemke: „Wollen Sie uns noch unterstützen oder wie soll ich das auffassen? Ich habe kein Taxameter, aber es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass wir es heute noch schaffen, und ich halte es auch nicht für angängig, den anderen Verfahrensbeteiligten hier zuzumuten bis in die Nachtstunden zu warten.“ Götzl: „Welche Zeit benötigen Sie?“ Klemke: „Voraussichtlich bis morgen.“ Götzl: „In Stunden?“ Klemke: „Bisher musste ich alle meine Prognosen revidieren, deswegen bin ich zurückhaltend.“

Götzl: „Vielleicht dass wir das erstmal zurückstellen, Sie erleiden dadurch keinen Rechtsverlust. Ich möchte verlesen das Schreiben des Rechtsattachés Stuart P. Wirtz vom 15.10.“ Schneiders sagt, sie wolle dazu noch Stellung nehmen und weitere Unterlagen einreichen zum Beweisantrag. Götzl: „Schriftliche Unterlagen?“ Schneiders: „Ja.“

Dann verliest Götzl die Übersetzung des Schreibens des Rechtsattachés Stuart P. Wirtz. Dem Schreiben zufolge habe dieser vom BKA Meckenheim eine E-Mail mit Anlage erhalten, bei der Anlage scheine es sich um ein Überwachungsprotokoll zu handeln. Das FBI habe die Angelegenheit geprüft und teile mit, dass das FBI zu keiner Zeit ohne Übereinstimmung mit deutschen Behörden operativ tätig gewesen sei. FBI-Agenten agierten in Deutschland nur in vollstem Wissen und mit Unterstützung ihrer deutschen Gesprächspartner. Die Antwort auf die gestellten Fragen laute jeweils Nein. Das FBI habe weder Einsätze durchgeführt, noch am 25. Februar 2007 in Heilbronn eine Überwachung durchgeführt. [phon.]

Götzl: „Erklärungen?“ Schneiders: „Ich wollte dazu schriftlich Stellung nehmen und weitere Unterlagen einreichen.“ Götzl: „Bis wann?“ Schneiders: „Ich hoffe bis morgen früh.“ Götzl: „Weitere Stellungnahmen, auch zu dem Beweisermittlungsantrag der Verteidigung Wohlleben?“ Niemand meldet sich. Götzl: „Sollen denn heute Beweisanträge gestellt werden von Seiten der Verfahrensbeteiligten?“ NK-Vertreterin RAin von der Behrens: „Wir hätten noch einen kurzen.“

Von der Behrens verliest den folgenden Beweisantrag:
In der Strafsache gegen Zschäpe u.a. – 6St3/12 – ist im Laufe des Verfahrens bereits Beweis erhoben worden zu rassistischen und antisemitischen Straftaten, die aus dem Kreise der Kameradschaft Jena, insbesondere der hier Angeklagten sowie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, begangen wurden. Zwei Straftaten sind indes zwar erwähnt, aber noch nicht näher zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht worden: So berichtete der Zeuge KHK Kö. in der Hauptverhandlung am 02.08.2016 von einer „ersten“ im Stadtgebiet Jena gefundenen Puppe mit einem Davidstern. Diese Tat war auch in der Vernehmung des Uwe Böhnhardt am 20.06.1996 im Verfahren wegen der an der Autobahnbrücke aufgehängten Puppe Thema, wo dieser angab, er wisse von der ersten Tat, aber damit habe er „auch nichts zu tun“. Zudem war ein versuchter Anschlag auf ein Heim für Bürgerkriegsflüchtlinge thematisiert worden. Hierzu hatte etwa der Zeuge Rene Scha. unter Schilderung von Einzelheiten in einer polizeilichen Vernehmung angegeben, nach seiner Erinnerung handele es sich um eine Tat aus dem Jahr 1994, in die Uwe Böhnhardt verwickelt gewesen sei und von der André Kapke ihm berichtet habe.

Jedoch hatte etwa der Zeuge Ku., ehemaliger Staatsschutzermittler bei der KPI Jena, in der Hauptverhandlung am 26.01.2017 angegeben, ihm sei eine solche Tat nicht bekannt. Insoweit konnten nunmehr folgende Informationen ermittelt werden: Am 9. November 1995 – am Jahrestag der antisemitischen Pogrome des Jahres 1938 – wurde eine Puppe mit einem Davidstern an einem Rohr der Stadtwerke Jena aufgehängt gefunden. Hierzu wurde durch die StA Gera unter dem Aktenzeichen 114 UJs 104037/95 ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet. Der Verdacht richtete sich damals gegen die Mitglieder der Kameradschaft Jena. Zudem wurde am 10. November 1995 – also nur einen Tag nach dem Aufhängen der ersten Puppe – in einem Wohnheim für bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge in Jena ein mit einem Selbstlaborat gefüllter Sprengkörper aufgefunden. Insofern wurde seitens der StA Gera unter dem Aktenzeichen 114 UJs 104036/95 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Sprengstoffdelikts eingeleitet. Die Zielrichtung der letztgenannten Tat und der Zeitraum beider Taten korrespondieren im Übrigen mit den Angaben des Zeugen Frank T., Uwe Mundlos habe ihm 1994 gegenüber angegeben, alle „Ausländer“ unterschiedslos „plattmachen“ zu wollen, wenn er sie erwischen würde und des Zeugen Tibor Re., der beim BKA angegeben hatte, er habe „auf jeden Fall vor 1996″ zusammen mit Uwe Mundlos das Asylbewerberheim auf dem Forst in Jena ausgespäht und Mundlos habe dabei geäußert, bei einem Anschlag seien Tod oder Verletzungen des Wachpersonals als „Kollateralschaden“ hinzunehmen.

Es wird insofern beantragt,
1. bei der Staatsanwaltschaft Gera anzufragen, ob die Ermittlungsakten der Verfahren 114 UJs 104036/95 und 114 UJs 104037/95 noch vorhanden sind, verneinendenfalls welche Aktenbestandteile bzw. Aktenkopien bei der Staatsanwaltschaft sowie den ermittelnden
Polizeibehörden zu den damaligen Ermittlungen noch vorhanden sind,
2. sämtliche Akten bzw. Aktenbestandteile beizuziehen und in diese Akteneinsicht zu gewähren. Der Antrag kann derzeit nur als Beweisermittlungsantrag gestellt werden, da der genaue Inhalt der Akten nicht bekannt ist – dies aufgrund der Tatsache, dass die Bundesanwaltschaft trotz der genannten Hinweise auf diese Straftaten und ihre mögliche Verbindung zu den hier Angeklagten die Ermittlungsakten bis heute nicht zum Gegenstand ihrer Ermittlungen gemacht und zum hiesigen Verfahren gereicht hat.
Die Aufklärungspflicht gebietet die beantragte Beiziehung der Akten im Hinblick darauf, dass hier Hinweise auf ganz konkrete weitere antisemitisch und rassistisch motivierte Propaganda- und Gewaltstraftaten bestehen sowie Gründe zu der Annahme vorliegen, dass die hier Angeklagten sowie Böhnhardt und Mundlos in diese Taten involviert waren. Dies ist für die Vorsatzfrage sowie im Rahmen der Strafzumessung relevant. Nach Kenntnis des Inhalts der genannten Ermittlungsakten sollen ggf. konkrete Beweisanträge hierzu gestellt werden.

Götzl: „Soll Stellung genommen werden?“ Diemer: „Wir nehmen dazu Stellung, aber würden gern erst mal nachlesen.“ Klemke: „Nur ad hoc: Ich vermisse jeglichen Vortrag, warum die Fundstellen, die sich aus den Akten ergeben, jetzt erst ermittelt wurden. Aber vielleicht werde ich da auch noch schlau gemacht.“

Götzl: „Sind weitere Beweisanträge für heute zu stellen? Keine? Dann möchte ich noch einen Punkt ansprechen.“ Von Stahl, Heer und Sturm habe es, so Götzl, im Schriftsatz vom 19.03.2017 gegenüber dem Spruchkörper, der über das Befangenheitsgesuch zu entscheiden gehabt habe, eine Beanstandung der Verfügung vom 01.12.2016 gegeben. [phon.] Götzl: „Meine Frage wäre einfach: Soll die Beanstandung hier in der Hauptverhandlung gestellt werden?“ Sturm: „Ich dachte, dass wir nur bei unaufschiebbaren Dingen sind, aber ja, selbstverständlich.“ Sturm beanstandet die Verfügung vom 01.12.2016, darüber hinaus sei noch zu erklären, dass die Verfügung unzulässig sei, weil sie in sich widersprüchlich sei. Sturm: „Wenn ich einen Beweisantrag sammeln soll, kann ich ihn nicht unverzüglich stellen [phon.], jedenfalls nicht zulässig.“ Götzl: „Soll dazu Stellung genommen werden?“

OStAin Greger nimmt für den GBA Stellung. Die Vorschrift des § 238 Absatz 1 StPO weise die Leitung dem Vorsitzenden zu, so Greger. Zur Beschleunigung des Verfahrens müsse jede Möglichkeit genutzt werden. Aufgabe des Vorsitzenden sei es, die Verhandlung gründlich und auch zügig abzuwickeln. Der Vorsitzende dürfe daher und sei im Interesse der Angeklagten auch dazu gehalten gewesen, im Dezember 2016 nach über drei Jahren die Verfahrensbeteiligten dazu anzuhalten, weitere Beweisanträge zügig und konzentriert zu stellen.

Klemke: „Wir benötigen erst mal eine Klarstellung, ob es sich bei dem damals als Bitte geäußerten Wunsch um eine sitzungsleitende Anordnung gehandelt hat. Wir haben es als Bitte verstanden. Und im Übrigen, wie Kollegin Sturm bereits gesagt hat: Zügig stellen und sammeln schließen sich gegenseitig aus. Sammeln heißt Vorratshaltung. Diese Anordnung ist, wenn es sich überhaupt um eine Anordnung gehandelt hat, in sich widersprüchlich, da kann ich der Kollegin nur zustimmen.“
Sturm: „Ich würde die Frau Oberstaatsanwältin beim BGH auffordern, die Fundstellen zu wiederholen. Wir konnten das nicht mitschreiben.“ Götzl wiederholt die Fundstellen. Sturm: „Wir würden dazu auch gern erwidern und müssten uns das in Ruhe anschauen.“

Götzl: „Sonst dazu, zu diesem Punkt, noch Stellungnahmen von Seiten der Verfahrensbeteiligten?“ Niemand meldet sich. Götzl: „Soll zur Beanstandung der Verfügung vom 07.03.17, soll dazu Stellung genommen werden?“ Greger: „Dazu habe ich auch was vorbereitet.“ Die Verfügungen wiesen keinerlei Rechtsfehler auf, so Greger. Nach der Rechtsprechung des BGH stehe dem Vorsitzenden in länger andauernden Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen das Recht zu, eine Frist zu setzen. Dies könne angezeigt sein, wenn das Verfahren bereits seit längerem andauere. Die Voraussetzungen, die die Rechtsprechung dazu entwickelt hat, lägen vor, so Greger. Die Hauptverhandlung habe seit 351 Tagen angedauert, das Beweisprogramm, wie vom Gericht vorgesehen [phon.], sei aus Sicht des Vorsitzenden beendet gewesen, Beweisanträge seien ebenfalls beschieden worden. Die Anhörung des psychiatrischen SV Prof. Dr. Saß, die das Gericht am Ende terminiert habe, sei bereits im Februar 2017 abgeschlossen worden. An dem Verfahren sei eine außergewöhnlich hohe Anzahl von Verfahrensbeteiligten mit eigenen Antragsrechten beteiligt. Das Antragsverhalten der Verfahrensbeteiligten habe der Vorsitzende in seiner Verfügung vom 07.03. hinreichend dargestellt.

Ein sachlicher Grund, dass die in dieser Verfügung erwähnten Beweisanträge bislang nicht konzentriert gestellt worden sind, sei bei keinem der Anträge ersichtlich. Der Vorsitzende sei auch dazu gehalten, das Verfahren zu einem Abschluss zu bringen. Die Fristsetzung, die grundsätzlich gegenüber allen Verfahrensbeteiligten in gleicher Weise zu erfolgen habe, komme daher nach alledem für die Angeklagten nicht überraschend. Die Verfahrensweise des Vorsitzenden, nach einer vierjährigen Beweisaufnahme eine knappe Frist anzuordnen, sei mit Blick auf die Vielzahl der Verfahrensbeteiligten, 60 Nebenklägervertreter und 14 Verteidiger, ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Vorsitzende habe am nächsten Tag zudem angekündigt, dass er die Frist ändern würde. [phon.] Er habe dadurch zu erkennen gegeben, dass er die Dauer der Frist der Verfahrenslage anpassen würde. Ein Vertrauenstatbestand auf eine Weiterführung bis Ende 2017 habe damit ersichtlich nicht konstituiert werden sollen. Auch bzgl. Prof. Faustmann sei der Vorsitzende nicht gehalten gewesen, die Beweisaufnahme offen zu halten, wie auch bzgl. der in den Raum gestellten Möglichkeit, die Angeklagte ziehe nunmehr in Erwägung sich einer Exploration durch Prof. Bauer zu stellen. Eine Beschneidung von Verteidigungsmöglichkeiten liege nicht im Ansatz vor. Götzl: „Wir machen eine kurze Pause und setzen um 12:20 Uhr fort.“

Um 12:23 Uhr geht es weiter. Götzl: „Sind denn jetzt zu dem Unterbrechungsantrag von Seiten der Verteidigung Wohlleben noch Ausführungen oder Stellungnahmen? Frau Rechtsanwältin Schneiders, Sie wollten bis morgen noch Unterlagen vorlegen und Stellung nehmen. Frau Rechtsanwältin Sturm, Sie ebenfalls? Ja. Dann wird die Hauptverhandlung unterbrochen und wir setzen fort morgen um 09:30 Uhr.“ Der Verhandlungstag endet um 12:24 Uhr.

Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Die Befangenheitsgesuche vom 8. und 9. März sowie den Folgewochen waren sämtlich erfolglos. Dabei stellte das Gericht zu den nachgeschobenen Befangenheitsgesuchen der Verteidigung Zschäpe aus den letzten beiden Wochen fest, diese seien zurückgenommen worden. Hintergrund ist ein Schriftwechsel, der zeigt, dass der kurze Moment der Zusammenarbeit innerhalb der Verteidigung Zschäpe wieder beendet ist: den Beginn machte Zschäpe selbst mit einem Schreiben an den Vorsitzenden, in dem sie behauptete, zu den letzten Befangenheitsgesuchen, die Verteidiger_innen Heer, Stahl und Sturm in ihrem Namen gestellt hatten, sei sie nie befragt worden, die wolle sie nicht. Heer, Stahl und Sturm antworteten in einem langen Schriftsatz, Rechtsanwälte Borchert und Grasel hätten ihnen mehrmals versichert, Zschäpe sei einverstanden. Die wiederum wiesen das zurück und warfen ihrerseits Heer, Stahl und Sturm vor, ihre Verschwiegenheitspflicht verletzt zu haben. Bei Beobachter_innen bleibt erneut der Eindruck eines geschickten manipulativen Vorgehens von Zschäpe im Umgang mit ihren verschiedenen Verteidiger_innen. Heer, Stahl und Sturm nutzten diesen Eindruck, um einmal mehr zu beantragen, entpflichtet zu werden, weil entweder Grasel und Borchert oder Zschäpe sie angelogen hätten. Zschäpe im Gegenzug beantragte ihrerseits die Entpflichtung von Heer, Stahl und Sturm wegen Verletzung der Verschwiegenheitspflicht. Die Verteidigung Wohlleben leitete die nächste Runde im Befangenheitstango ein. Sie bat um Unterbrechung bis morgen früh, weil sie morgen die drei Richter, die über die Befangenheitsanträge entschieden hatten – zwei Beisitzer sowie der Ergänzungsrichter des Senats –, nun ihrerseits als befangen ablehnen will. […] Vertreter_innen der Nebenklage beantragten, Ermittlungsakten zu einem antisemitischen Propagandadelikt und einem rassistisch motivierten versuchten Bombenanschlag aus 1995 beizuziehen, zu denen es Hinweise auf eine mögliche Involvierung von Mitgliedern der Kameradschaft Jena gibt – diese Akten sind von der Bundesanwaltschaft bis heute nicht zur Münchener Akte gereicht worden.“
https://www.nsu-nebenklage.de/blog/2017/03/29/29-03-2017/

    » «