Protokoll 355. Verhandlungstag – 30. März 2017

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An diesem Prozesstag stellt zunächst Zschäpe-Verteidiger RA Grasel den Antrag, ein Sachverständigengutachten zu einer verminderten Schuldfähigkeit Beate Zschäpes einzuholen und Prof. Dr. Joachim Bauer als Sachverständigen dazu zu bestellen. Im Anschluss geht es erneut um Anträge der Verteidigung Wohlleben zum Mord an Michèle Kiesewetter. Ein Ablehnungsgesuch gegen Teile des Senats durch die Verteidigung Wohlleben führt dann zum Ende des Verhandlungstages.

Der Verhandlungstag beginnt um 09:45 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung und nachdem geklärt ist, dass die Verteidigung Wohlleben keinen Rechtsverlust erleidet, erhält Zschäpe-Verteidiger RA Grasel das Wort: „Wenn Sie es gestatten, würde ich gern den Beweisantrag, den ich gestern schon per Fax eingereicht habe, verlesen.“ Grasel verliest den Antrag, zum Beweis der Tatsache, dass bei sämtlichen angeklagten Tatzeitpunkten bei Frau Zschäpe eine schwere dependente Persönlichkeitsstörung, ICD-10; F60.7 [ICD-10 ist die internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme] in einem solchen Ausmaß vorgelegen habe, dass die Voraussetzungen des in § 20 StGB genannten vierten Eingangsmerkmals – schwere andere seelische Abartigkeit – jeweils erfüllt waren, mit der Folge, dass auch die Voraussetzungen des § 21 StGB [verminderte Schuldfähigkeit]zu bejahen sind, ein Sachverständigengutachten einzuholen und Prof. Dr. Joachim Bauer als SV zu bestellen. Zur Begründung führt er aus:

Frau Zschäpe hat sich am 27.02.2017, sowie am 01.03.2017, 02.03. und 15.03.17 in insgesamt sechs Gesprächen mit einem zeitlichen Umfang von ca. 12 Stunden von Herrn Prof. Dr. Bauer explorieren lassen. Im Rahmen der Exploration hat Frau Zschäpe zusätzliche Angaben zu ihrem persönlichen Werdegang gemacht, die in ihren bisherigen Stellungnahmen noch nicht vorgetragen wurden, so zum Beispiel Einzelheiten über das Zusammenleben mit ihrer Mutter und weitere Einzelheiten über ihr Verhältnis zu und dem Zusammenleben mit Uwe Böhnhardt. Der Sachverständige wird aufgrund der umfassenden Exploration Angaben dazu machen, dass bei Frau Zschäpe eine schwere dependente Persönlichkeitsstörung (ICD-10; F60.7) vorgelegen hat, welche bei zusätzlicher Betrachtung von fortgesetzten schweren körperlichen Misshandlungen durch Uwe Böhnhardt, welche bislang noch nicht in ihren Stellungnahmen erwähnt wurden, das positive Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB als gegeben erscheinen lassen. Herr Prof. Dr. Bauer hat ein 48-seitiges schriftliches Gutachten verfasst, welches im Anschluss an die Gutachtenserstattung zu den Akten gereicht werden kann. Frau Zschäpe wird Herrn Prof. Dr. Bauer von seiner ärztlichen Schweigepflicht entbinden, so dass dieser sich sachverständig zur Frage der Schuldfähigkeit wird äußern können. Eine frühere Antragstellung war den Unterzeichnern nicht möglich, da das von Herrn Prof. Dr. Bauer erstattete Gutachten den Unterzeichnern erst seit dem 20.03.17 vorliegt.

Götzl: „Herr Rechtsanwalt Grasel, Sie hatten mich angerufen und mitgeteilt, dass Prof. Dr. Bauer nächsten Donnerstag anwesend sein könnte.“ Grasel: „Das ist zutreffend.“ Götzl: „Gibt es einen Grund, warum das vorbereitende Gutachten nicht dem Gericht und den anderen Verfahrensbeteiligten zur Verfügung gestellt wird?“ Grasel: „Schlicht und ergreifend, um zu vermeiden, dass vorher in der Presse davon zu lesen ist.“ Zschäpe-Verteidiger RA Borchert: „Es hat auch Gründe, die von der Schweigepflicht umfasst sind.“ Auf Nachfrage von Götzl sagt Borchert: „Es war uns auch einfach nicht möglich, das hat auch seine Begründung, die in der Person des Herrn Prof. Dr. Bauer liegt [phon.].“

Götzl: „Sind Stellungnahmen?“ NK-Vertreterin RAin Dierbach: „Ich meine, dass der Antrag abzulehnen ist, weil das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist. Es ist nicht dargetan und nicht ersichtlich, warum ein weiteres Gutachten hier nötig sein sollte.“ Prof. Saß sei nicht ungeeignet, so Dierbach, noch verfüge Prof. Bauer über überlegene Forschungsmittel. Bauer sei ja noch nicht einmal forensischer Psychiater. Warum Bauer über Forschungsmittel verfügen soll, die Prof. Saß nicht hat, sei nicht dargetan und auch nicht naheliegend. Zschäpe hätte, so Dierbach, das hier auch berichten können. Dass Zschäpe nur mit Bauer geredet hat und nicht mit Saß, führe nicht zu überlegenen Mitteln, zum Anderen sei das auch in Relation zu setzen zu dem, was hier in der Hauptverhandlung stattgefunden hat. Faktisch verfüge Bauer eher über unterlegene Erkenntnisquellen.

Grasel: „Ich denke, es darf nicht verkannt werden, dass Prof. Bauer 12 Stunden Exploration betrieben hat. Das geht sicherlich über die Erkenntnismöglichkeiten von Prof. Saß hinaus. Außerdem ist Prof. Bauer Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Facharzt für psychosomatische Medizin.“ Man könne Bauer nicht die Eignung absprechen, so Grasel. Dierbach: „Ich meine nicht, dass er nicht qualifiziert ist, aber er ist kein forensischer Psychiater. Er mag über den Inhalt seiner Exploration vernommen werden, aber das ist etwas anderes als ein neues psychiatrisches Gutachten.“ Wenn, dann müsse dies in Anwesenheit von Saß passieren, der dann sein Gutachten ergänzen müsse, so Dierbach weiter. Bundesanwalt Diemer: „Wir behalten uns eine Stellungnahme ausdrücklich vor.“ NK-Vertreter RA Behnke schließt sich den Ausführungen Dierbachs an und sagt dann: „Und ich möchte zu bedenken geben, ob Frau Zschäpe sich im Klaren ist über die Folgen, wenn auf 21 erkannt wird, und ob sie darüber belehrt wurde. Das kann ja zum Desaster führen.“ Behnke fragt in Richtung der Wahlverteidigung Zschäpe, ob Zschäpe über die Folgen einer Zuerkennung von § 21 StGB beraten worden sei. Borchert: „Es geht Sie schlichtweg nichts an, inwieweit ich die Mandantin dazu beraten habe.“

Götzl: „Es sind ja weitere Stellungnahmen angekündigt. Frau Schneiders?“ Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders: „Wir haben alles vorbereitet. Wir stehen parat für sämtliche Anträge, die Sie entgegennehmen wollen.“ Götzl: „Ist die Frage, ob Sie es gleich machen, Sie haben keinen Rechtsnachteil.“ Wohlleben-Verteidiger RA Klemke: „Wir stellen anheim, Sie haben die Sitzungsleitung.“

Dann erwidert Schneiders auf die Stellungnahme des GBA vom 354. Verhandlungstag zum Beweisantrag der Verteidigung Wohlleben vom 353. Verhandlungstag. Die Stellungnahme des GBA unterlasse bewusst die Erwähnung der Zeugenvernehmung von RAin Ricarda La. am 20.03.2017 vor dem UA Baden-Württemberg, so Schneiders. La. habe dort angegeben, eine Kontaktperson habe ihr berichtet, es sei am 25.04.2007 auf der Theresienwiese um ein Waffengeschäft gegangen. La. habe vor Gericht ein Mitglied der islamistischen „Sauerlandgruppe“ verteidigt, die Terroranschläge in Deutschland verüben wollte. Sie habe sich selbst als Zeugin beim UA gemeldet. Nach Angaben von La.s Kontaktperson sei, so Schneiders weiter, am Tag der Ermordung Kiesewetters ein Türke in Heilbronn gewesen, der sowohl für den türkischen Geheimdienst MIT als auch für den amerikanischen Geheimdienst CIA gearbeitet habe, letzterer sei auch selbst vor Ort gewesen. RAin La. habe erklärte, sie habe aus diesen Angaben geschlossen, dass es sich bei dem Türken um Mevlüt Ka. gehandelt habe, der der „Sauerlandgruppe“ Zünder geliefert haben solle.

Schneiders: „Zuletzt war der Ausschuss nach diversen Zeugenbefragungen davon ausgegangen, dass Mevlüt Ka. am 25.04.2007 nicht in Heilbronn gewesen sein konnte. Rechtsanwältin La. weigerte sich, dem Ausschuss den Namen ihrer Kontaktperson zu nennen, aus Sicherheitsgründen, wie sie sagte.“ Die vom GBA vorgelegte Stellungnahme des Rechtsattachés Stuart P. Wirtz vom 15.12.2012 verhalte sich, so Schneiders, lediglich dazu, dass das FBI zu keiner Zeit in Deutschland ohne Übereinstimmung mit seinen deutschen Partnern operativ tätig gewesen sei. Dazu, ob die Operation in Übereinstimmung mit den deutschen Partnern oder von der CIA oder einem anderen US-Dienst erfolgt sei, verhalte sich die Stellungnahme nicht. Im Stern-Artikel sei etwa auch angeführt worden, dass Mitarbeiter des LfV Baden-Württemberg in die amerikanische Observation involviert gewesen seien. Schneiders: „Eine Beteiligung deutscher Behörden wäre dann gegeben.“ Auf welche spezifisch gestellten Fragen des BKA-Beamten Br. die Stellungnahme mit Nein antwortet, ergebe sich aus der Anlage nicht. Schneiders erweitert dann den Beweisantrag und beantragt die Vernehmung von Ricarda La., die zu den Angaben ihrer Kontaktperson bekunden solle und außerdem dazu, aufgrund welcher Angaben ihrer Kontaktperson sie geschlossen hat, dass es sich bei dem Türken um Mevlüt Ka. „alias ‚Abu Obeida'“ gehandelt habe, und woraus sich ihre Angaben vor dem UA ergeben, dass Ka. in Waffengeschäfte verwickelt und in die Beschaffung von Zündern für die „Sauerlandgruppe“ involviert gewesen sei.

Insbesondere könne La. Angaben zur Identität der Kontaktperson machen; diese Person komme ebenfalls als Zeuge in Betracht. Die Beweiserhebung sei geboten, da aufgrund der Angaben La.s vor dem UA Zweifel daran bestünden, dass die Stellungnahme von Stuart P. Wirtz vollständig ist. Außerdem beantragt Schneiders, den Beamten Br. vom BKA Meckenheim sowie Ingrid Co., Verbindungsreferentin für den Freistaat Bayern und das Bundesland Baden-Württemberg, als Zeugen zu vernehmen zu „ihren getätigten Ermittlungen und Erkenntnissen im Zusammenhang mit der Berichterstattung im ‚Stern‘ und den Wahrnehmungen und Erkenntnissen amerikanischer Geheimdienstmitarbeiter am 25.04.2007 am Tatort in Heilbronn zum Tötungsverbrechen zum Nachteil der Polizeibeamtin Kiesewetter“. Br. sei außerdem zu den gestellten Fragen an den Rechtsattaché Wirtz zu befragen, welche dieser mit Nein beantwortet habe.

Schneiders führt dazu aus, dass es bereits erstaunlich sei, dass die BAW Ermittlungen im Zusammenhang mit der angeklagten Mordsache zum Nachteil von Michèle Kiesewetter dem Senat „vorenthält“. Abermals werde eine selektive Aktenvorlage durch die BAW offenbar und beanstandet, so Schneiders. Der Verteidigung lägen zwischenzeitlich Unterlagen vor, die als Anlage dem Antrag beigefügt würden. In einem Schreiben des BND vom 05.12.2011 an den damaligen GBA heiße es, dass vor dem Hintergrund einer Veröffentlichung des Stern zu einer früheren Observation eines US-Dienstes in Baden-Württemberg ein Sachverhalt angefallen sei. Schneiders zitiert dann aus dem Schreiben: ein „Mr. Geschwärzt“ von der US-Verbindungsstelle in Stuttgart habe bei einem Treffen in der MAD-Dienststelle Stuttgart einen ihm bekannten BND-Ermittler auf Presseberichte des Stern angesprochen, in denen auf eine US-Observation in zeitlicher und räumlicher Nähe zur Ermordung einer Polizistin bei Heilbronn verwiesen wird; der US-Mitarbeiter habe dabei erkennen lassen, dass eine eigene Untersuchung der Ereignisse die Beteiligung von zwei Mitarbeitern des FBI ergeben habe, und habe ein offizielles Gespräch zu den Hintergründen angeregt; wegen der BND-internen Weisung, die grundsätzlich inhaltliche Kontakte des Verbindungswesens zu den US-Diensten unterbinde, sei seitens des Ermittlers das Gespräch nicht fortgesetzt worden; ein Eingehen auf das Gesprächsangebot des Mitarbeiters des US-Dienstes sei „von hiesiger Seite“ nicht vorgesehen.

Danach setzt Schneiders mit ihrem Antrag fort. Die deutschen Behörden hätten offensichtlich die angebotenen Informationen der amerikanischen Nachrichtendienste zu Erkenntnissen von Mitarbeitern zur Ermordung von Michèle Kiesewetter verweigert, so Schneiders. Br. und Co. seien ausweislich der Stellungnahme von Wirtz sowie den als Anlage beigefügten Unterlagen in die Ermittlungen zu dem Stern-Artikel und der Anwesenheit von Mevlüt K. involviert gewesen. Schneiders beantragt dann, Stuart P. Wirtz zu vernehmen zu seinen Erkenntnissen zur Prüfung durch das FBI zur Anwesenheit von Agenten von US-Behörden am 25.04.2007 in Heilbronn am Tatort des Mordes an Kiesewetter. Dann sagt sie, dass sie, um dem Vorwurf der Verschleppungsabsicht vorzubeugen, darauf hinweise, dass die Anwesenheit von Ka. am Tatort Heilbronn zum Tattag bereits im Jahr 2013 in einem Beweisantrag der Verteidigung thematisiert worden sei. Die Vernehmung von RAin La. sei erst vor kurzem erfolgt, so dass diese neuen Erkenntnisse erst jetzt vorgebracht werden könnten. Außerdem sei die Vorlage der Stellungnahme Wirtz erst gestern erfolgt.

OStAin Greger: „Nur ganz kurz: Wir werden ausführlich dazu Stellung nehmen, aber auch diese ganzen Unterlagen und Erkenntnisse sind natürlich mit Ausnahme von Ricarda La. nicht neu, wurden als Hinweise abgearbeitet. Ist alles abgeklärt.“ Götzl: „Bei den Anträgen sehe ich gerade, dass hier Unterlagen dabei sind, die den Geheimvermerk tragen. Wissen Sie, wie es sich damit verhält?“ Schneiders: „Ich bin dahingehend nicht von der Schweigepflicht entbunden.“ Götzl: „Soweit ich es sehe, dürften alle Unterlagen derart eingestuft sein. Dann können wir sie also nicht kopieren zunächst mal. Es waren noch weitere Stellungnahmen anvisiert von Ihrer Seite, Frau Sturm.“ Dann erwidert Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm auf die Stellungnahme der GBA von gestern. Die „Bitte“ des Vorsitzenden könne nicht zu Verfügung umgedeutet werden, so Sturm, jedenfalls beanstande sie die mangelnde Transparenz der Verfügung. Eine Verfügung, die als solche nicht zu erkennen sei, sei unzulässig.

Götzl: „Sind sonstige Beweisanträge zu stellen, sonstige Anträge oder Erklärungen für heute, abgesehen von dem Gesuch?“ Niemand meldet sich. Götzl: „Dann kommen wir dazu.“ Wohlleben-Verteidiger RA Nahrath und später RA Klemke verlesen einen Befangenheitsantrag gegen Richter Kuchenbauer, Richterin Odersky und Richter Prechsl. Zunächst wird recht ausführlich der prozessuale Hergang aus Sicht der Verteidigung Wohlleben in Bezug auf einige Ablehnungsgesuche der letzten Zeit wiedergegeben, zur Begründung wird dann unter 1. ausgeführt:
Über die Ablehnungsgesuche vom 08.03.2017 und 20.03.2017 hätten die abgelehnten Richter nicht einheitlich entscheiden dürfen, weil sie damit dem Angeklagten Wohlleben in Bezug auf seine Ablehnung des Vorsitzenden vom 08.03.17 den gesetzlichen Richter, nämlich Richter am OLG Dr. Lang, entzogen haben. Die abgelehnten Richter hätten zunächst über die Ablehnungsgesuche vom 20.03.17 und 21.03.17 gegen den Vorsitzenden und Dr. Lang entscheiden müssen. Danach hätte der Senat unter Mitwirkung der nunmehr abgelehnten Richter Dr. Kuchenbauer und Odersky sowie Dr. Lang über das Gesuch gegen den Vorsitzenden vom 08.03.17 befinden müssen. Dr. Lang war zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden vom 08.03.17 berufen. Die Zuständigkeit von Dr. Lang entfiel nicht etwa deshalb, weil nunmehr auch gegen ihn nachträglich ein Ablehnungsgesuch angebracht wurde. Es spielt auch keine Rolle, dass die gegen Herrn Dr. Lang angebrachten Ablehnungsgründe sich auf dieselbe Verfügung des Vorsitzenden beziehen, wegen der der Vorsitzende am 08.03.17 abgelehnt wurde.

Dies gilt vor allem deshalb, weil die abgelehnten Richter bzgl. der Involvierung des abgelehnten Richters Dr. Lang in die Verfügung keinen Ablehnungsgrund zu sehen vermochten. Nur bei einer erfolgreichen Ablehnung des Richters am OLG Dr. Lang wäre dieser als gesetzlicher Richter entfallen und durch Richter am OLG Prechsl ersetzt worden. Etwas anderes hätte nur dann gegolten, wenn der Vorsitzende sowie Richter am OLG Dr. Lang gleichzeitig und aus demselben Grund abgelehnt worden wären. Das Gegenteil des ersteren liegt auf der Hand. Im Übrigen waren die Gründe nicht identisch. Sobald klar war, dass Dr. Lang lediglich in Bezug auf die Verfügung des Vorsitzenden vom 07.03.17 als schlichte Schreibkraft unterstützend und somit nicht als erkennender Richter tätig war, durfte über das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden nur isoliert und gerade nicht einheitlich mit dem Ablehnungsgesuch gegen Richter am OLG Dr. Lang entschieden werden. Die durch die sukzessive Entscheidung bedingte Verfahrensverzögerung ist nicht so bedeutsam, dass sie die Einschränkung der sich aus dem Grundsatz des gesetzlichen Richters ergebenden Erfordernisse rechtfertigen könnte. Dies musste den abgelehnten Richtern ohne weiteres bewusst sein. Aus Sicht des Angeklagten drängt sich damit der Eindruck auf, dass sich die abgelehnten Richter nur deshalb darüber hinweggesetzt haben, damit in dieser Kalenderwoche die Hauptverhandlung fortgesetzt werden konnte. Dies kennzeichnet deren Prozessieren aus der Sicht des Angeklagten Wohlleben als eine willkürliche Entziehung des gesetzlichen Richters.

Dann wird unter 2. sehr ausführlich aus dem Beschluss vom 29.03.2017 zitiert, bevor mit der Begründung fortgesetzt wird:
Bereits die Behauptung der abgelehnten Richter, die Fristsetzung zum Stellen von Beweisanträgen verstoße nicht gegen gesetzliche Vorschriften, ist nicht nachvollziehbar. Zudem befassen sich die abgelehnten Richter in keiner Weise mit der nahezu einhelligen Kritik an dieser richterlichen Rechtsschöpfung in der Literatur. Insbesondere setzen sich die Richter nicht mit dem Umstand auseinander, dass die durch Richterrecht geschaffene sogenannte Fristenlösung die Beweislast für das Vorliegen einer Prozessverschleppungsabsicht vom Gericht auf den Beweisantragsteller abgewälzt wird. Damit wird de facto der Grundsatz, dass ein Beweisantrag nicht wegen Verspätung abgelehnt werden darf, ausgehöhlt. Die abgelehnten Richter erwähnen in ihrer Begründung noch nicht einmal diese Vorschrift. Das Gesetz wird damit durch die abgelehnten Richter völlig ignoriert. Im Übrigen setzen sich die abgelehnten Richter mit folgender Überlegung nicht auseinander: Das Beweisantragsrecht zeichnet sich dadurch aus, dass es den Richter jenseits der Amtsaufklärungspflicht, vorbehaltlich gesetzlicher Ablehnungsgründe, dazu nötigt, Beweise zu erheben, die er nach seiner vorläufigen Beweiswürdigung nicht erheben will. Das Beweisantragsrecht erweitert damit die Beweiserhebungspflicht des Tatrichters über die Amtsaufklärungspflicht hinaus. Durch die Fristenlösung wird dieser Beweiserhebungsanspruch des Angeklagten völlig entwertet, da maßgebliches Kriterium der Beweiserhebung nach Ablauf der Frist nunmehr im Wesentlichen die Amtsaufklärungspflicht ist.

Damit handelt es sich bei der Fristenlösung um einen Systembruch im Beweisrecht der Strafprozessordnung. Das Beweisantragsrecht dient der Aufklärung der materiellen Wahrheit. Der Gesetzgeber war sich bewusst, dass diese nicht allein der richterlichen Aufklärungspflicht und damit allein der Einschätzung der Sach- und Beweislage durch den Richter überantwortet werden darf, weil der Mensch fehlbar, subjektiv und deshalb in seiner Erkenntnisfähigkeit begrenzt ist. Diese grundlegenden Erkenntnisse für die Strafrechtspflege und die hieraus zwingend zu ziehenden Folgerungen dürfen von der Rechtsprechung nicht unter Verstoß gegen geltendes Recht auf dem Altar des Beschleunigungsgrundsatzes geopfert werden. Genau dieses prozessuale Verhalten zeigen der Vorsitzende und die nunmehr abgelehnten Richter. Die abgelehnten Richter verkennen, dass die sogenannte Fristenlösung als richterliche übergesetzliche Notwehr des Richters gegen massiven und offensichtlichen Missbrauch des Beweisantragsrechts konzipiert worden ist. Gerade weil sie damit einen Systembruch contra legem darstellt, darf von ihr, wenn man ihr überhaupt nähertreten will, nur als Antwort auf einen bereits offenkundig und hartnäckig betriebenen Missbrauch des Beweisantragsrechts Gebrauch gemacht werden. Die abgelehnten Richter verschließen die Augen davor, dass die Voraussetzungen für die sogenannte Fristenlösung noch nicht einmal nach der Rechtsprechung des BGH und des Bundesverfassungsgerichts vorliegen.

Die abgelehnten Richter setzen sich nicht damit auseinander, dass in den Ablehnungsgesuchen gegen den Vorsitzenden bereits vorgetragen wurde, dass kein Beweisantrag wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt wurde. Ferner wurde kein Verfahrensbeteiligter befragt, warum er einen Beweisantrag nicht bereits frühzeitiger gestellt habe. Sie übernehmen in dem Beschluss nunmehr völlig kritiklos die Bewertung des Vorsitzenden aus dessen Verfügung vom 07.03.17 des Antragsverhaltens der Verfahrensbeteiligten nach dem 01.12.16. Die abgelehnten Richter behaupten, der Vorsitzende habe am 01.12.16 die Verfahrensbeteiligten „aufgefordert“, weitere beabsichtigte Beweisanträge gesammelt und zügig zu stellen.

Dann wird hierzu kurz aus dem Ablehnungsgesuch Wohllebens vom 08.03.2017 zitiert und festgestellt, dass die Verteidigung Wohlleben die Äußerung des Vorsitzenden vom 01.12.2016 als „höfliche Bitte“ beschrieben habe. Heer, Stahl und Sturm hätten, wird weiter vorgetragen, dazu im Ablehnungsgesuch vom 09.03.2017 ausgeführt, dass der Vorsitzende wörtlich Folgendes am 01.12.2016 geäußert habe: „Mich würde auch interessieren, ob weitere Beweisanträge gestellt werden sollen. Ich bitte, diese gesammelt und zügig zu stellen.“ Dies sei durch anwaltliche Versicherung auch glaubhaft gemacht worden. Es geht dann weiter mit dem aktuellen Ablehnungsgesuch:
Die abgelehnten Richter stützen den Beschluss auf die Behauptung des Vorsitzenden, er habe insoweit eine Aufforderung an die Verfahrensbeteiligten gerichtet. Mit dem gegenläufigen und glaubhaft gemachten Vortrag der Angeklagten Zschäpe und Wohlleben setzen sich die abgelehnten Richter nicht auseinander. Damit ignorieren sie deren Sachverhaltsdarstellung und machen sich die Behauptung des damals abgelehnten Vorsitzenden zu eigen. Es ist evident, dass eine Bitte nicht wesensgleich mit einer Aufforderung ist. Eine Bitte ist ein unverbindliches Ansinnen, dem der Gebetene nicht nachkommen muss. Eine Bitte hat keinen regelnden Charakter. Die abgelehnten Richter verkennen hierbei, dass der Vorsitzende sitzungsleitende Anordnungen bislang immer eindeutig als Verfügungen bezeichnet und verkündet hat. Die abgelehnten Richter versuchen, durch die Verwendung des nebulösen Begriffs Aufforderung der Bitte eine Bindungswirkung im Sinne einer Verfügung zuzuschreiben, die sie nicht hat. Dies ist willkürlich. Abgesehen davon übernehmen sie damit unreflektiert die Diktion des abgelehnten Vorsitzenden. Da es sich bei der Äußerung des Vorsitzenden vom 01.12.16 lediglich um eine höfliche Bitte handelte, ist die Erwägung der abgelehnten Richter willkürlich, dass diese Bitte nicht mit dem Ziel der Herbeiführung eines Gerichtsbeschlusses beanstandet wurde.

Beanstandet werden können nach § 238 Absatz 2 StPO nur sitzungsleitende Anordnungen des Vorsitzenden. Wenn die Bitte des Vorsitzenden als Anordnung erkennbar gewesen wäre, hätte die Verteidigung diese auch beanstandet und zwar bereits deshalb, weil sie in sich widersprüchlich war. Dies verkennen die abgelehnten Richter. Der Vorsitzende bat die Verfahrensbeteiligten, weitere Beweisanträge gesammelt und zügig zu stellen. Das Sammeln von Beweisanträgen schließt ein zügiges Stellen derselben aus. Nur vor diesem Hintergrund ist auch die Äußerung von Rechtsanwalt Nahrath zu verstehen, dass die Verteidigung Wohlleben die Beweisanträge zügig stellt, gesammelt sei aber schwierig. Weiter ignorieren die abgelehnten Richter, dass am 01.12.16 das Beweisprogramm des Senats noch nicht abgeschlossen war, da die Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. Saß noch ausstand. Es bestand daher am 01.12.16 kein Anlass für eine derartige sitzungsleitende Anordnung des Vorsitzenden. Auch deshalb kann es sich nur um eine unverbindliche Bitte gehandelt haben. Die abgelehnten Richter verkennen dabei auch, dass viele der Beweisanträge der Verteidigung Wohlleben Beweiserhebungen des Gerichts oder Anträgen anderer Verfahrensbeteiligter geschuldet waren. Solche Reaktionen sind dem gesammelten Stellen von Beweisanträgen oder Beweisermittlungsanträgen nicht zugänglich.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Verteidigung stets der Beweisaufnahme zu folgen hat und aufgrund der Vielzahl anderer prozessualer Aktivitäten zeitlich auch nach Sitzungsende gebunden ist, so dass für die Erarbeitung von Beweisanträgen während der laufenden Hauptverhandlung nicht immer Kapazitäten frei sind. Die abgelehnten Richter beachten den Aktenumfang des Verfahrens nicht. So sind Aktenteile, die bei Einarbeitung in das Verfahren gelesen wurden, nach fast vier Jahren Verfahrensdauer oft nicht mehr präsent und müssen durch erneutes Lesen wieder vergegenwärtigt werden. Der enorme Aktenumfang ist von einem normalen Menschen kaum beherrschbar. Konkret ist hinsichtlich der Beweisanträge der Verteidigung Wohlleben anzuführen, dass der Antrag auf Wiegen der Ceska 83 das Verfahren kaum verzögert haben dürfte. Die Argumentation der Prozessverschleppung hierauf zu stützen, erscheint schlicht lächerlich. Hinsichtlich des Beweisantrages vom 17.02.17 auf Vernehmung von 17 Zeugen lassen die abgelehnten Richter völlig außer Acht, dass dieses Beweisbegehren durch die Haftentscheidung des Senats vom Januar 2017 veranlasst worden ist. Beweisanträge der Verteidigung stellen sich in einer Vielzahl der Fälle als Reaktionen auf Verfahrenshandlungen des Gerichts und anderer Beteiligter dar.

Der Verteidigung des Angeklagten Wohlleben kann auch nicht vorgeworfen werden, eine Unzahl von Beweisanträgen gestellt zu haben. Nach eigener Zählung handelt es sich um weniger als 40 Beweisanträge in mehr als 350 Hauptverhandlungstagen. Der Beschluss erweckt deshalb beim Angeklagten Wohlleben den Eindruck, dass die abgelehnten Richter eine angebliche Verschleppungstendenz lediglich deshalb konstruieren, um die Verfügung des Vorsitzenden zur Fristsetzung heilen und den Vorsitzenden um jeden Preis im Verfahren halten zu können. Die abgelehnten Richter setzen sich nicht hinreichend damit auseinander, dass die vom Vorsitzenden gesetzte Frist von dreieinhalb Arbeitstagen angesichts des Prozessstoffes willkürlich kurz bemessen war. Insoweit stützen sie ihren Beschluss lediglich darauf, dass der abgelehnte Vorsitzende noch vor der Anbringung der Ablehnungsgesuche von sich aus darauf verwiesen habe, dass die Frist abgeändert werde. Dies ist irrelevant. Es handelt sich hierbei lediglich um eine Absichtserklärung. Der abgelehnte Vorsitzende hat weder die Frist angemessen verlängert, noch, was näher gelegen hätte, die fristsetzende Verfügung aufgehoben, um den zu erwartenden Ablehnungsgesuchen den Boden zu entziehen. Die gesetzte Frist bestand fort und ist mittlerweile abgelaufen. Allerdings dürfte sie prozessual überholt sein. Nach alledem erwecken die abgelehnten Richter beim Angeklagten Wohlleben die dringende Besorgnis der Befangenheit, d.h. dass sie ihm und seiner Sache nicht unparteilich und unvoreingenommen gegenüberstehen.
Es folgen dann die üblichen Anträge am Ende eines Befangenheitsantrages. Danach legt Götzl eine Pause von 10:50 Uhr bis 12 Uhr ein.

Um 12:02 Uhr geht es weiter. Götzl: „Dann setzen wir fort. Dann wird rechtliches Gehör zum Ablehnungsgesuch gegeben.“ Diemer: „Es verfestigt sich der Eindruck, dass die Verteidigung Wohlleben das Ablehnungsrecht mit dem Beschwerderecht verwechselt.“ Diemer sagt, es komme von Seiten des GBA auch noch detaillierter etwas zu dem Ablehnungsgesuch. Der Verhandlungstag endet um 12:03 Uhr.

Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Eine marschiert übers Kuckucksnest – Psycho-Antrag der Verteidigung Zschäpe – Inhaltlicher Höhe- bzw. Tiefpunkt des heutigen Verhandlungstages war ein Beweisantrag von Zschäpe-Verteidiger Grasel: der Psychiater Prof. Bauer, der Zschäpe an insgesamt vier Tagen in der U-Haft besucht hat, soll als Gutachter gehört werden zum Beweis der Tatsache, dass Zschäpe wegen einer ’schweren dependenten Persönlichkeitsstörung‘ zum Zeitpunkt der Taten nur eingeschränkt schuldfähig gewesen sei. […] Dieser Antrag stellt die logische Konsequenz der Verteidigungsstrategie von Rechtsanwälten Borchert und Grasel dar, die Zschäpe als ahnungsloses, passives, jetzt eben auch: abhängiges Anhängsel von Böhnhardt und Mundlos zu präsentieren versuchen. Und da diese Strategie bisher erkennbar nicht funktioniert hat, legt die Verteidigung jetzt nach und kündigt im Antrag an, Zschäpe habe Bauer von ‚fortgesetzten schweren körperlichen Misshandlungen durch Uwe Böhnhardt‘ berichtet – warum ihr das noch irgendjemand glauben soll, nachdem sie auch das über ein Jahr dauernde schriftliche Frage- und Antwortspiel mit dem Senat nicht genutzt hat, hiervon irgendetwas zu berichten, teilt die Verteidigung nicht mit. Besondere Erfolgsaussichten hat der Antrag also sicher nicht – wobei auch unklar ist, ob die Verteidigung den Antrag wirklich ernst meint. Denn eine Verurteilung wegen zehn Mordtaten und diverser weiterer Gewaltdelikte bei gleichzeitiger Feststellung verminderter Schuldfähigkeit kann sehr leicht zur Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus neben einer langen Freiheitsstrafe führen – ob das Zschäpe lieber wäre als eine lebenslange Freiheitsstrafe, ob die Verteidiger sie auf diese Gefahr überhaupt hingewiesen haben, darüber ließe sich nur spekulieren, das ist aber aus Sicht der Nebenklage auch nicht relevant. Es bleibt abzuwarten, wie das Gericht mit dem Antrag umgehen wird. Einerseits zeigt das bisherige Vorgehen des Vorsitzenden, dass dieser an jeder inhaltlichen Angabe Zschäpes interessiert ist, was für eine Anhörung Bauers spricht. Auf der anderen Seite hat der Sachverständige Prof. Saß schon ein sehr umfassendes Gutachten zu Zschäpe, auch zu ihrer Schuldfähigkeit, abgegeben – mit dem Ergebnis, dass es an dieser keine Zweifel gibt. Rechtlich überzeugend wäre ein Vorgehen, wie es heute Nebenklagevertreterin Doris Dierbach vorgeschlagen hat: Anhörung Prof. Bauers zu dem, was Zschäpe ihm mitgeteilt hat, gefolgt von der Bitte an Prof. Saß, anhand dieser Schilderungen sein schon erstattetes Gutachten zu ergänzen. Ansonsten brachte die Verteidigung Wohlleben heute ein Befangenheitsgesuch an gegen die RichterInnen, die gestern die Befangenheitsgesuche gegen den Vorsitzenden und einen Beisitzer abgelehnt hatten, mit der Begründung, in diesem Beschluss zeigten nunmehr diese RichterInnen ihre mangelnde Neutralität – ein weiterer Eintrag für die Kategorie ‚viel Lärm um nichts‘.“
https://www.nsu-nebenklage.de/blog/2017/03/30/30-03-2017/

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