»Sieg oder Walhalla« – Die unaufgeklärten Taten der Nationalen Bewegung

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von Maik Baumgärtner

Verfassungsschützer, V-Leute und Neonazis. Nicht erst seit dem Auffliegen der rechtsterroristischen Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) im November 2011 sorgt dieser Dreiklang für Schlagzeilen. Seit der Wiedervereinigung mordeten, zündelten und prügelten Neonazis – oft war der Verfassungsschutz mit seinen Zuträgern nah am Geschehen. Zu nah. Im Märkischen reihte sich um die Jahrtausendwende ein Geheimdienstskandal an den nächsten, und immer ging es um militante Kameraden, die als V-Leute für den Dienst arbeiteten und während oder vor ihrer Tätigkeit in Verbrechen verstrickt waren.
Im Jahr 2000 sorgte eine Vereinigung mit dem Namen Nationale Bewe­gung durch Propagandaaktionen und Brandanschläge in Potsdam und Umgebung bundesweit für Aufsehen. Ein Drohbrief der konspirativ agierenden Organisation führte zu einem Polizeieinsatz mit Hunderten Beamten, um eine Lesung vor einem möglichen Anschlag zu schützen. Bis heute sind die Strukturen dieser rechtsterroristischen Gruppe nicht aufgeklärt. Kein Täter konnte gefasst werden. Viele Fragen sind offen, die drängendsten drehen sich um den Einsatz eines V-Mannes, der für den Verfassungsschutz tätig war und eine wichtige Polizeiaktion gegen die zum Desaster werden ließ.

Propaganda, Brände und Bedrohungen – Chronik der Nationalen Bewegung

Am 67. Jahrestag der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler trat die Nationale Bewegung erstmals öffentlich in Erscheinung. In der Nacht zum 30. Januar 2000 brachten ihre Mitglieder an einer Brücke an der A 115 zwischen Potsdam und Berlin, in Höhe des heutigen Dreiecks Nuthetal, eine rund ein mal ein Meter große, mit einem Hakenkreuz bemalte Platte an. In Gedenken an Horst Wessel, einen Berliner SA-Sturmführer, der in der »Sieg oder Walhalla« Neonazi-Szene als »Märtyrer der Bewegung« verehrt wird. Ein Bekennerschreiben, wie es üblich für die Vereinigung werden sollte, konnte von der Ermittlern am Tatort nicht gefunden werden.
Knapp vier Wochen später tauchte der Name Nationale Bewegung erstmals öffentlich im Zusammenhang mit einer Straftat auf. Am 24. Februar meldete sich ein anonymer Anrufer beim Radiosender Radio 1 mit den Worten: »Ich gehöre zur Nationalen Bewegung und habe heute auf einem jüdischen Friedhof ein Zeichen gesetzt.« Auf dem jüdischen Friedhof in der Potsdamer Puschkinallee wurde wenig später ein rotes Holzkreuz, das zwischen zwei Grabsteinen hing, gefunden. Darauf war ein Hakenkreuz und die Aufschrift »Die Nationale Bewegung gedenkt dem durch jüdische Kommunisten ermordeten SA-Helden Horst Wessel zum 70. Todestag.« Sowohl Farbton und chemische Zusammensetzung der roten Farbe stimmten mit der Farbe von der Aktion an der Autobahn im Januar überein. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass die Nationale Bewegung auf dem Jüdischen Friedhof zuschlug.
Ende März hängte die Nationale Bewegung an einer Eisenbahnbrücke in Potsdam ein rotes, mit einem Hakenkreuz besprühtes Tuch auf, dazu sprühte sie das Datum »21.03.1933«. Am Transparent war ein Bekennerschreiben befestigt, in dem die Gruppe anlässlich des Jahrestages des »Tages von Potsdam« Hitlers Ernennung zum Reichskanzler feierte. Symbolisch aufgeladene Propagandataten, die sich offen auf den Nationalsozialismus bezogen, sollten das Markenzeichen der Nationalen Bewegung werden. Aber mit ihrer vierten Aktion zeigte die Gruppe bereits ihre Gewaltbereitschaft: Die Nationale Bewegung schickte einen Drohbrief an die antimilitaristische Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär in Potsdam.
Am Morgen des 21. April hing an einem Gerüst am Lerchensteig in Potsdam-Nedlitz eine 4 mal 1,50 Meter große Hakenkreuzfahne. Vor Ort wurde ein Bekennerbrief sichergestellt, in dem die Nationale Bewegung Adolf Hitler zum Geburtstag gratulierte. Keine zehn Autominuten entfernt, an der B 273, wurde eine weitere Fahne, mit dem Spruch »Sieg Heil mein Führer« entdeckt. Zum Tag der Befreiung, am 8. Mai, beschädigte und schändete die Gruppe das sowjetische Ehrenmal in Stahnsdorf im Landkreis Potsdam Mittelmark. Der Obelisk wurde mit einem hölzernen Hakenkreuz und einem Eisernen Kreuz versehen, auf dem Hakenkreuz befand sich die Aufschrift: »Wir gedenken den deutschen Soldaten, die im 2. Weltkrieg 1939–45 gefallen sind.« In einem Bekennerschreiben erklärten die Neonazis, mit ihrer Tat »an die tapferen Soldaten des Reiches« erinnern zu wollen. Gegenüber der »Berliner Morgenpost« erklärte ein Polizeisprecher, dass es sich bei der Nationalen Bewegung nicht um eine konkrete Gruppe handele, sondern um wenige Täter, »die seit Beginn dieses Jahres in Potsdam und Umgebung ihr Unwesen treiben«.
Nachdem es mehr als drei Monate zu keinen bekanntgewordenen Anschlägen mehr gekommen war, meldete sich die Nationale Bewegung im Spätsommer zurück. In Glasow, einem Ortsteil von Mahlow, zwischen Potsdam und Königs Wusterhausen gelegen, sprühten die Neonazis auf ein sowjetisches Ehrenmal zwei Hakenkreuze und das Wort »Mörder«. Dreizehn Gräber wurden mit schwarzer Farbe besprüht, auf den Fußweg vor dem Ehrenmal wurden die Worte »Juden« und »Kommunisten« geschrieben. Die Schäden und Sprühereien wurden am 6. September 2000 entdeckt. Wieder hinterließ die Gruppe ein Bekennerschreiben. Die Vereinigung setzte ihre antisemitischen Aktionen fort und attackierte in der Nacht zum 20. September 2000 die Begegnungsstätte Villa Grenzenlos. In dem Gebäude, das der Stadt Potsdam gehörte, hatte wenige Tage zuvor eine Jüdische Volkshochschule eröffnet, deren Programm sich an jüdische Einwanderer richtete. An dem Gebäude und auf dem Grundstück sprühten die Neonazis die Parole »Juden raus«, ein Hakenkreuz und SS-Runen. Außerdem brachten sie ein Transparent mit einem durchgestrichenem Davidstern und dem Spruch »Potsdam ohne – keine Juden« an. In einem Bekennerschreiben forderte die Vereinigung »keine Fördergelder für Juden«. Der damalige Oberbürgermeister Matthias Platzeck erklärte in einer extra anberaumten Pressekonferenz, dass »solche Scheußlichkeiten« in Potsdam weder geduldet noch hingenommen würden. Doch bereits einen Tag später schlugen die Neonazis in Stahnsdorf erneut zu und führten ihren ersten belegbaren Brandanschlag aus. Dabei brannte am 21. September der Imbiss eines türkischen Gewerbetreibenden ab. Im Brandschutt lag eine Geldkassette mit einem Bekennerschreiben: »Kauft nicht bei Türken!!! Schluß mit der Schändung des deutschen Volkskörpers durch Ausländer und ihrer Multikulti-Küche. Die Nationale Bewegung.« Auch die brandenburgische Presse geriet in den Fokus der Organisation. Am 13. November 2000 ging ein Brief mit antisemitischem Inhalt bei der »Märkischen Allgemeinen Zeitung« in Potsdam ein. Adressat war die Chefredaktion der Zeitung, im Brief wurden Drohungen gegen die Jüdische Gemeinde ausgesprochen.
Kurz vor Silvester, am 28. Dezember 2000 brannten die Neonazis in Trebbin erneut den Imbisswagen eines türkischen Gewerbetreibenden nieder. In einer Geldkassette konnte ein verkohltes Schreiben gefunden werden: »(…) Kampf gegen unarische Überbevölkerung und Kanackenfraß (…) setzen Unschlüssigen, noch nicht zum öffentlichen Wiederstand Bereiten (…)n leuchtendes Zeichen! (…) im Türken !!! (…)e Bewegung.« Am 8. Januar 2001 kam es erneut zu einem Anschlag auf dem jüdischen Friedhof in Potsdam. Mit Brandbeschleunigern wurde eine Tür der denkmalgeschützten Trauerhalle in Brand gesetzt. Die Flammen zerstörten die Tür fast vollständig, durch Ruß wurden die Fassade und der Innenraum beschädigt. Da das Feuer von allein erlosch, entstanden keine weiteren Schäden. »Kampf dem Judentum«, proklamierte die Nationale Bewegung in einem Bekennerschreiben und löste mit ihrem Anschlag deutschlandweit Entsetzen aus.
»Die Gewalt nimmt ein Ausmaß an, das unerträglich ist«, sagte Paul Spiegel, zum Zeitpunkt des Brandanschlags Präsident des Zentralrats der Juden, gegenüber dpa. Sieben Tage später, am 15. Januar, schickte die Vereinigung ein Päckchen mit einer Scheibe verdorbenen Schweinefleisches an ein Wohnheim für jüdische Einwanderer. Die Neonazis drohten: »Der Friedhof war der Anfang, erkennt endlich die Zeichen der Zeit!«
Zum Jahrestag ihrer ersten Aktion meldete sich die Nationale Bewegung erneut. Am 30. Januar 2001 erreichten Drohbriefe der Gruppierung die Ausländerbeauftragte des Landes, Almuth Berger, und die Heinrich-Böll-Stiftung, einen Tag später gingen identische Schreiben an das Hans-Otto-Theater und das Polizeipräsidium Potsdam. In den Schreiben kündigten die Neonazis an, es werde »im Theaterhaus Am Alten Markt das Blut derer fließen, welche meinen, sich mit der Teilnahme an der Veranstaltung gegen den größten deutschen Kanzler schmücken zu können«. An diesem Abend sollte eine Lesung aus Adolf Hitlers »Mein Kampf« mit dem Kabarettisten Serdar Somuncu stattfinden. Trotz der Drohung fand die Veranstaltung ohne Störungen mit rund 700 Besuchern statt. Somuncu trug zu Beginn eine kugelsichere Weste, über 100 Polizeibeamte waren zum Schutz der Lesung im Einsatz – die Behörden nahmen die Drohung ernst. Der größte Polizeieinsatz, den die Nationale Bewegung durch ihre belegten Aktionen auslöste, war zugleich der letzte. In Berliner und Brandenburger Medien wurden der Gruppe zum Teil weitere Taten zugerechnet, die jedoch in den offiziellen Chroniken der Behörden nicht registriert sind. Ohne eine öffentliche Verlautbarung verschwand die Gruppe von der Bildfläche. Ob möglicherweise weitere Taten auf das Konto der rechtsterroristischen Vereinigung gehen, ist unbekannt. Die Ermittler des Landeskriminalamts verfolgten in den folgenden Jahren etliche weitere Spuren, aber ohne Erfolg.

Kein brauner Terrorismus

Wenige Monate vor der Drohung gegen das Theater, im Oktober 2000, sorgte ein Artikel im Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« für hektische Betriebsamkeit im Innenministerium in Potsdam. In dem Beitrag zitiert das Magazin einen Staatsschützer, der im Zusammenhang mit der Nationalen Bewegung von einer »neuen Qualität« sprach, da deren Taten »ein hohes Maß an intensiver Planung und zielgerichtetem Vorgehen« aufwiesen. Die in dem Artikel angedeuteten Parallelen zum organisierten, konspirativen und ideologischen Terrorismus der Roten Armee Fraktion wies die Innenbehörde entschieden zurück. »Wir haben keine Belege für einen organisierten terroristischen Untergrund«, sagte der damalige Ministeriumssprecher Heiko Homburg gegenüber der »Berliner Zeitung«. Diese Haltung änderte sich im Land nicht. Die Nationale Bewegung, so mutmaßte man im Brandenburger Innenministerium auch noch im Jahr 2002, sei eine »Kleinstgruppe« gewesen. »Rechtsextremistischer« oder »brauner« Terrorismus gebe es in nicht. Dabei wurden die Taten sehr wohl ernst genommen. Die Anschläge standen nahezu immer im Kontext zu historischen Ereignissen, waren antisemitisch, volksverhetzend und rassistisch. Im Landeskriminalamt ermittelte eine 18-köpfige, eigens eingerichtete Ermittlungskommission NABE. Im Visier der Ermittler waren dabei auch bekannte Anti-Antifa-Aktivisten aus Potsdam. Zwischenzeitlich verdächtigten die Ermittler mehr als zehn Personen, der Nationalen Bewegung oder deren Umfeld anzugehören. Doch zu einer Verhaftung oder Verurteilung von Mitgliedern haben die Ermittlungen nie geführt.
Anfang Januar 2001 hatte Generalbundesanwalt Kay Nehm die Ermittlungen zum Brandanschlag auf den jüdischen Friedhof und damit gegen die Nationale Bewegung an sich gezogen. Die Behörde erklärte in einer Pressemitteilung, dass die Täter hinter dem Anschlag entschlossen sein könnten, »künftig außer Propagandadelikten auch schwere Gewaltverbrechen zu begehen«. »Die strafbaren Aktionen der Nationalen Bewegung zeigten eine erhebliche Eskalation der Gewalt«, schrieb der zuständige Staatsanwalt. In nicht öffentlichen Aktenvermerken hieß es damals in Karlsruhe, dass keine »Umstände« ersichtlich seien, um von einem »Einzeltäter« auszugehen. Dafür spreche nicht nur die Verwendung des Fürwortes »Wir«, das »ein gemeinschaftliches Vorgehen bei der Tatausführung betont«. Auch die »Vorgehensweisen deuten auf ein Zusammenwirken mehrerer Personen hin«, da man »Spuren verschiedener Beteiligter festgestellt« habe und »die Bekennerschreiben mit unterschiedlichen Druckern hergestellt« wurden.
Die Nationale Bewegung ließ nichts mehr von sich hören. Als jedoch am 14. und 17. August 2001 vier Transparente mit der Aufschrift »Ewig treu wie Hess« von Unbekannten in Babelsberg und an der A 115 aufgehängt wurden, gab es plötzlich neue Spuren. An den Tatorten wurden zwar keine Bekennerschreiben gefunden, auch die Nationale Bewegung tauchte nicht namentlich auf. Doch mehrere Ermittlungsergebnisse ließen auf einen möglichen Zusammenhang mit den Aktionen der Vereinigung schließen. Zum einen der Tatort an der A 115, der nur wenige Kilometer von dem Punkt entfernt liegt, an dem die Nationale Bewegung am 30. Januar 2000 ihre erste Propagandaaktion durchgeführt hatte. Noch deutlicher waren die Erkenntnisse der kriminaltechnischen Untersuchungen. Drei der verwendeten Bettlaken stimmten in Farbe und Fadenaufbau mit dem Laken überein, das am 21. September 2000 an der Villa Grenzenlos entdeckt worden war. Zudem war die Sprühfarbe aller vier Laken in »Farbton« und »chemischer Zusammensetzung« identisch mit der verwendeten Farbe am 30. Januar 2000, am 23. Februar 2000 (Holzkreuz auf dem Friedhof ) und bei den Sprühereien an der Villa Grenzenlos. Nach vier Jahren, im Oktober 2005, stellte der Generalbundesanwalt die Ermittlungen schließlich ein.

Kein »V-Mann-Skandal«

Wenige Tage nach den Drohungen gegen die Veranstaltung im Hans-Otto-Theater hatten 200 Polizeibeamte am 7. Februar 2001 die Wohnungen von 19 Neonazis durchsucht, als »präventive Maßnahme«. Erst zwei Jahre später, die Taten der Nationalen Bewegung waren schon in Vergessenheit geraten, wurden die wahren Hintergründe der Durchsuchungsaktionen bekannt. Entgegen aller Bekundungen, dass es darum ginge, »den harten Kern der Rechtsextremen zu isolieren und die Mitläufer durch Verunsicherung aus der Szene zu lösen«, wie eine Sprecherin des Innenministeriums damals gegenüber der »taz« erklärte, war das eigentliche Ziel die Nationale Bewegung.
Die rückwirkend bekanntgewordenen Details aus dem Jahr 2001 bilden eine Chronologie des Versagens der brandenburgischen Sicherheitsbehörden. Sie zeigen einmal mehr die Risiken und Konsequenzen der Zusammenarbeit mit Spitzeln und Zuträgern aus der Neonazi-Szene. Am 6. Februar 2001 telefonierte Christian K., der als V-Mann für den Landesverfassungsschutz arbeitete, mit Sven S., einem wichtigen Akteur der im Jahr 2000 verbotenen Neonazi-Organisation Blood & Honour. Was er nicht wusste: Das Landeskriminalamt schnitt das Telefonat mit. In dem Gespräch teilte K. mit, dass er von einer Razzia erfahren habe, die für den 17. Februar geplant sei. Laut einem Bericht des »Spiegel« soll Sven S. wenig überrascht gewesen sein und seinem Gesprächspartner signalisiert haben, bereits über die geplanten Durchsuchungen Bescheid zu wissen. In einem Vermerk des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt hieß es, dass sich S. »aus der Konzert-Organisation und sonstigen strafrechtlich relevanten Aktivitäten zurückgezogen hat, seit er als Informant für das LKA Brandenburg geführt wird«. Das märkische LKA dementierte diese Zusammenarbeit jedoch. Das abgehörte Telefonat löste hektische Reaktionen aus. Die Razzia wurde vorgezogen und bereits am folgenden Abend durchgeführt. Hinweise auf die Taten oder Mitglieder der Nationalen Bewegung förderte sie nicht zutage.
Was die Öffentlichkeit erst 2003 erfuhr, ist ein Skandal, von dem es verschiedene Versionen gibt. Unstrittig ist allein das Telefonat zwischen K. und S. Danach gehen die Geschichten und Erklärungen auseinander. Die eine, für den Verfassungsschutz wohlwollende Variante, geht so: Der V-Mann-Führer von Christian K. habe, wie es häufig passiert, vor einer anstehenden Razzia gewarnt, ohne ein genaues Datum zu nennen. Den genauen Termin habe K. in der Kneipe Pippi Langstrumpf in Borkwalde erfahren, da sich zwei zivil gekleidete Polizisten darüber unterhalten hätten und K. das Gespräch mithören konnte. Die zweite und wahrscheinlichere Version ist schnell erzählt: Der V-Mann-Führer soll K. über das genaue Datum der Razzia informiert und seinem V-Mann die Geschichte mit den Beamten in der Kneipe als zu erzählende Geschichte diktiert haben.
Der durch Recherchen des »Tagesspiegel« und der »Märkischen Allgemeinen Zeitung« ins Rollen gekommene Fall beschäftige auch den Landtag. Gerade erst hatten sich dort die Wogen nach dem letzten Geheimdienstskandal etwas gelegt: Ein halbes Jahr zuvor hatten sich die Parlamentarier
mit dem V-Mann Toni Stadler beschäftigt. Der Gubener war vom Berliner LKA festgenommen worden, weil er Rechtsrock-CDs mit Mordaufrufen unter anderem gegen den Generalstaatsanwalt Brandenburgs produziert hatte. Nun standen die Vorgänge um die verratene Razzia und Christian K. auf der Tagesordnung der geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollkommission, dem zuständigen Gremium für den Geheimdienst. Der Landtagsabgeordnete Christoph Schulze, der für die SPD den Vorsitz der Kommission innehatte, erklärte völlig überraschend nach einer Sitzung mit dem Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin: »Es gibt keinen V-Mann-Skandal.« Durch den Verrat sei kein Schaden verursacht worden.
Kaum vorstellbar, dass keine verwertbaren Informationen über die Täter oder deren Umfeld durch die vielen Zuträger des Verfassungsschutzes Brandenburg in dieser Zeit gewonnen werden konnten. So hält sich auch eine Mutmaßung hartnäckig bei so manchem Szenekenner und polizeilichem Staatsschützer: Der Verfassungsschutz habe, so die nicht belegte Erzählung, einen V-Mann in oder nah an der Nationalen Bewegung gehabt. Die fortschreitenden Ermittlungen des Landeskriminalamts, die Einschaltung des Generalbundesanwalts und die bevorstehende Razzia hätten dazu führen können, dass dieser enttarnt wird. Dies hätte für den Verfassungsschutz nicht kalkulierbare Konsequenzen nach sich gezogen und wäre ein hochkarätiger Skandal gewesen. Um dem vorzubeugen, habe man bewusst die Szene über den V-Mann warnen lassen. Der V-Mann Christian K. belastete gegenüber dem Tagesspiegel« und der »Märkischen Allgemeinen Zeitung« seinen V-Mann-Führer, den er nur als Max kannte, schwer. Dieser habe ihn, so die Erzählung des Spitzels, über den genauen Termin ebenso informiert wie über die Hintergründe: Die geplanten Durchsuchungen zielten auf die Nationale Bewegung. Nach der Erzählung von K. sei er von seinem V-Mann-Führer regelrecht animiert worden, den Termin an den -Kader Sven S. zu verraten. Belegt sind die Aussagen und die dahinter stehende Theorie nicht.
Brüskiert gab sich die Staatsanwaltschaft Potsdam, die erst im Mai 2003, als Journalisten dem Skandal bereits auf der Spur waren, von der Bundesanwaltschaft informiert wurde. Die Karlsruher Behörde soll bereits im Februar 2001 von dem Verrat gewusst und die Landesstaatsanwaltschaft nicht darüber in Kenntnis gesetzt haben. Am Ende der Affäre erhielt Christian K. wegen Geheimnisverrats eine Strafe von fünf Monaten auf Bewährung. Sein V-Mann-Führer wechselte auf eigenen Wunsch im Innenministerium in die für kommunale Angelegenheiten zuständige Abteilung 3.
»Wir kämpfen bis zum Sieg oder gehen nach Walhalla.« Ihren Wahlspruch ist die Nationale Bewegung nicht gefolgt. Alle Ermittlungen sind abgeschlossen und die Taten der Gruppe bis heute nicht aufgeklärt.

© be.bra verlag 2016
Auszug aus dem Buch:
Heike Kleffner / Anna Spangenberg (Hg.)
Generation Hoyerswerda
Das Netzwerk militanter Neonazis in Brandenburg
304 Seiten, 24 Abb., 20,- €
ISBN 978-3-89809-127-5
www.bebraverlag.de/verzeichnis/titel/703-generation-hoyerswerda.html