Kein Ende in Sicht – Aufklärung vorantreiben!

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Redebeitrag NSU-Watch auf der Demonstration „Kein nächstes Opfer“ in Kassel am 06.04.2017

Der NSU-Prozess in München geht dem Ende entgegen. Es steht zu erwarten, dass die Angeklagten nach dann über vier Jahren im Prozesssaal A 101 schuldig gesprochen werden.
Die Berichterstattung über den Prozess und damit auch über die Taten des NSU waren allzu oft geprägt von der Hauptangeklagten. Ihrer Kleidung, ihrer Stimmung, ihren Gefühlen, ihrer Show. Mit dem Prozessende wird dieser Blickwinkel hoffentlich zumindest weniger präsent sein.
Gleichzeitig halten wir es aber nicht für Zufall, dass es eine größere Faszination, eine größere Identifikation mit den TäterInnen gibt. Immer noch scheint es so, dass der weißdeutschen Mehrheitsgesellschaft Neonazis näher stehen als von Rassismus Betroffene.
Der NSU und seine Ermöglichung wird aber erst dann gesellschaftlich überwunden sein, wenn sich das ändert.
Wenn endlich, wie unter anderem Ibrahim Arslan, Überlebender des Brandanschlags in Mölln, es schon lange fordert, die Betroffenen und Angehörigen als Hauptzeug*innen des Geschehenen verstanden werden.

Passieren wird wohl etwas anderes. Wir befürchten, dass die NSU-Berichterstattung ersatzlos gestrichen wird. Die Bemühungen, einen Schlussstrich unter den NSU-Komplex zu ziehen, ihn als historisches, abgeschlossenes Ereignis abzuhaken, sind seit Jahren spürbar.
Trotz all ihrer Leerstellen und Lücken wird spätestens nach dem Ende des Prozesses und der Untersuchungsausschüsse ein Abschluss verkündet werden. Dieser wird signalisieren: Deutschland hat dazu gearbeitet, hat aufgeklärt, ist fertig mit den Taten des NSU.
Das ist nicht richtig und kann nicht unser Abschluss sein. Weder sind alle TäterInnen belangt, noch sind die Zustände, die den NSU ermöglicht haben, aufgeklärt und überwunden.

Entgegen aller Versprechungen von Politiker*innen, musste jedes Stück Aufklärung in den letzten fünfeinhalb Jahren den Behörden abgerungen werden. Diese Kämpfe sind nicht vorbei, zu viele Fragen noch offen. Eben jene, die auch die Angehörigen immer wieder stellen: Warum wurde ausgerechnet ihr Bruder, Sohn oder Ehemann ermordet? Wer half dem NSU-Kerntrio dabei? Welche Rolle spielten die Polizei und der Verfassungsschutz?

Wir werden daher das Buch mit Ende des Prozesses nicht zuschlagen.

Dies ist gerade in der aktuellen politischen Situation unausweichlich. Das zeigt auch das Motto dieser Demo: „Kein nächstes Opfer“. Wir denken dabei daran, dass der überwiegende Teil des NSU-Netzwerks auf freiem Fuß ist und weiter neonazistisch agiert. Dass sie auftauchen als AkteurInnen in der aktuellen rassistischen Mobilisierung. Die Gefahr zeigt sich in täglichen Anschlägen, in neuen neonazistischen Gruppen, die bereit sind, den Terror des NSU weiterzuführen. Denn der NSU steht nicht allein, er ist Teil der Geschichte rechten Terrors, die bis heute weitergeht.

Um diese Kontinuität zu stoppen, müssen auch gesellschaftliche Leerstellen in den Blick genommen werden. Der gesamtgesellschaftliche Rassismus war eine der tragenden Säulen des NSU. Er zeigt sich heute in Desinteresse an Aufklärung und an der Akzeptanz und Unterstützung von Bewegungen wie Pegida und AfD.

Was steht also an? Da wäre die Unterstützung der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Wir schließen uns der Forderung nach der Umbenennung der Holländischen Straße in Halit-Straße an. Zudem darf der Ruf nach Aufklärung nicht verstummen. Öffentlicher Druck, selbst in kleinen Dosen, hat im NSU-Komplex für Ergebnisse gesorgt. Sorgen wir gemeinsam dafür, möglichst viele Antworten aus den Kellern der Ämter ans Licht zu zerren.

Die Suche nach Wahrheit darf nicht mit Prozessende und dem Ende der Untersuchungsausschüsse enden. Die Öffentlichkeit muss Druck aufbauen und dafür sorgen, dass die Leerstellen, die der Prozess hinterlässt, gefüllt werden. Gleichzeitig braucht es eine gesellschaftliche Bewegung, die sich des gesamtgesellschaftlichen und institutionellem Rassismus‘ annimmt.

Als Gesellschaft haben wir nicht einmal angefangen.