Kurz-Protokoll 359. Verhandlungstag – 26. April 2017

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An diesem Verhandlungstag geht es im ersten Teil um den Antrag der sog. „Altverteidigung“ von Beate Zschäpe, Prof. Dr. Faustmann als Sachverständigen zu seinem methodenkritischen Gutachten zum Gutachten von Prof. Dr. Saß zu hören. Der GBA nimmt zunächst Stellung dazu. Daraufhin entspinnt sich eine längere Diskussion, um die Verschriftlichung dieser Stellungnahme. Später bestätigt Richter Götzl seine Verfügung, dass es eine Frist zum Stellen der ausstehenden Beweisanträge gibt.

Der Verhandlungstag beginnt um 09:44 Uhr. Bei der Präsenzfeststellung sagt Götzl in Richtung der Sachverständigenbank: „Ich nehme an Herr Prof. Dr. Faustmann“. Als SV ist außerdem Prof. Dr. Saß anwesend.

OStAin Greger nimmt für den GBA Stellung: „Herr Vorsitzender, hoher Senat, der Antrag vom gestrigen Tage stellt keinen Beweisantrag im Sinne der Paragraphen 244 Absatz 3 und 245 Absatz 2 StPO dar.“ Die Anhörung des SV Faustmann sei daher nicht nach 245 Absatz 2 StPO geboten, so Greger.
Eine bestimmte Beweistatsache zur Schuld- oder Rechtsfolgenfrage behaupteten die Antragsteller jedoch nicht. Sie beschränkten sich vielmehr auf eine Bewertung, die der neue SV vornehmen solle, nämlich ob das von Saß bereits erstattete Gutachten den anerkannten wissenschaftlichen Standards genügt, ohne dass sich der weitere SV zur Schuld- und Rechtsfolgenfrage verhalten soll. Der Antrag sei somit nach dem Maßstab eines Beweisermittlungsantrags zu verbescheiden. Die allgemeine Aufklärungspflicht gebiete die beantragte Beweiserhebung ebenfalls nicht, auch unter Berücksichtigung des Maßstabs des § 83 Absatz 1 StPO, denn die Antragsteller zeigten weder Kompetenzdefizite des Gutachters auf noch gebe ihr Vortrag nebst Anlage Anlass, Bedenken an der methodischen Integrität des SV Saß zu entwickeln.
Zur Auswahl des SV sagt Greger, dass das Tatgericht, wenn es um die Frage der Schuldfähigkeit in nicht krankhaften Zuständen der Persönlichkeit geht, nach seinem Ermessen einen Psychiater oder einen Psychologen als SV zuziehen könne. Wähle es wie hier einen psychiatrischen SV, sei es nicht notwendig, neben dem Psychiater noch einen Psychologen anzuhören. Gehe es um die Frage der Anordnung einer Sicherungsverwahrung, bestünden gegen die Beauftragung eines erfahrenen forensischen Psychiaters ebenfalls keine rechtlichen Bedenken. Greger: „Der Ansatz von Prof. Dr. Faustmann, dem psychiatrischen Sachverständigen fehle die Kompetenz, einen gesunden Menschen zu begutachten, ist daher von vornherein verfehlt.“ Auch zur Methode zeigten die Antragsteller keine Unzulänglichkeiten auf, die die Anhörung von Faustmann nahelegen könnten. Denn die „sogenannten methodenkritischen Ausführungen“ basierten auf einem grundlegend unzutreffenden Verständnis der Aufgabe und Herangehensweise eines forensischen SV. Gegenstand der Beurteilung der Schuldfähigkeit sei die strafrechtliche Schuld, also ein Rechtsbegriff: „Schuld ist keine empirisch-medizinische Diagnose.“
Es seien auch unter Berücksichtigung der von den Antragstellern vorgetragenen Kritikpunkte keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beweisfragen des Senats vom Gutachter unzulänglich beantwortet worden wären, etwa dass der Gutachter Methoden angewendet hätte, die wissenschaftlich nicht anerkannt, nicht überprüfbar oder unausgereift sind, oder dass eine Nachprüfung der Untersuchungsmethode und der Ergebnisse nicht möglich wäre, oder dass der SV von wissenschaftlichen Kriterien abgewichen wäre, die in seinem Fach anerkannt sind und die Billigung in der Rechtsprechung gefunden haben. Methodenkritische Gesichtspunkte seien mit Saß in der Beweisaufnahme eingehend und umfassend und auch auf der Grundlage der von der sachverständig beratenen Verteidigung geltend gemachten Aspekte erörtert worden.
Anhand der bereits erfolgten Ausführungen von Saß zu seiner Qualifikation sei der Senat bereits jetzt in der Lage, sich ein Bild über dessen hinreichende Sachkunde zur Beurteilung der Gutachtenfragen zu machen. Saß habe zudem die wissenschaftlichen und wissenschaftstheoretischen Grundlagen seines Gutachtens ausführlich erläutert, so dass der Senat beurteilen könne, dass die gewählte Herangehensweise den forensischen Ansprüchen im Hinblick auf die konkrete Gutachtenfrage genügt.
Nach alledem dürfe sich, so Greger abschließend, der Senat die Beurteilung, ob Saß die anerkannten wissenschaftlichen Standards eingehalten hat, auch ohne die Anhörung von Faustmann selbst zutrauen.

Zschäpe-Verteidiger RA Heer: „Heer Vorsitzender, wir möchten natürlich erwidern auf den Generalbundesanwalt. Ich möchte noch zwei, drei Worte sagen zum Verhalten des Generalbundesanwalts. Ich verstehe es einfach nicht, Frau Oberstaatsanwältin Greger. Jeder Verfahrensbeteiligte überreicht hier eine schriftliche Ausfertigung. Ich verstehe es nicht, warum Sie es verweigern. Ich verstehe auch nicht, an welchen Kriterien Sie festmachen, wann Sie etwas übergeben und wann nicht. Ich halte Ihr Verhalten für nicht in Ordnung und grob unfair, um es ganz deutlich zu sagen.“
Götzl wendet sich an Greger: „Wir hatten ja Blickkontakt und Sie hatten auf handschriftliche Unterlagen verwiesen, das war mein Eindruck.“ Greger: „Also bislang ist das handschriftlich fixiert.“ Diemer: „Wenn Sie es möchten, können wir es machen, aber das dauert lang. Handschriftliches geben wir nicht raus.“ Götzl: „Natürlich macht es das einfacher, wenn man es schriftlich hat. Aber wir haben auch mitgeschrieben und ich bin in der Lage, ich habe das auch verarbeitet. Deshalb verstehe ich die Aufregung nicht und den Ton nicht. Und es ist so gehandhabt worden, dass ich nachgefragt habe, und letztlich ist es auch eine Bitte. Aber eine Verpflichtung als solche besteht selbstverständlich nicht.“
Heer: „Also wenn wir es vollständig mitschreiben hätten können …“ Bundesanwalt Diemer versucht zu unterbrechen. Heer: „Herr Diemer, Sie haben mich wirklich rausgebracht. Ich weiß jetzt nicht, Herr Vorsitzender, was ich jetzt gesagt hätte. Herr Diemer, wir haben Ihnen doch auch kein Schmierexemplar übergeben. Sie sind doch mit EDV ausgestattet. Ich verstehe nicht, warum Sie zu Papier und Stift greifen.“
Diemer, sehr ungehalten: „Also ich muss jetzt mal eines sagen, also dieses Theater der ersten Pflichtverteidiger mit dem Mitschreiben, das sind Schikanen der Zeugen und der Prozessbeteiligten. Das ist unerträglich, das ist der Versuch der Verteidigung, eine vernünftige Stellungnahme zu unterbinden. Es geht nicht an, dass Sie hier, Frau Sturm, die Frau Greger unterbrechen, sondern Sie haben stillzuschweigen, bis Frau Greger fertig ist! Und es ist prozessual nicht vorgesehen, dass wir das verschriften. Es ist prozessual vorgesehen, dass Sie es verschriften!“ [phon.]
Diemer: „Ich sehe es jetzt nicht als veranlasst, mich mit solchen Ausführungen zu beschäftigen. Nur so viel zu dem, was Sie als Frechheit bezeichnen: Der Vorsitzende spricht langsam, die Zeugen und Sachverständigen sprechen langsam, wir sprechen extra langsam, damit die Verteidigung mitschreiben kann.“
Diemer sagt, er habe Rücksprache gehalten und sie könnten es bis 13 Uhr schriftlich bringen, wenn der Vorsitzende das wünsche.

RA Heer verliest dann die Erwiderung von Sturm, Stahl, Heer auf die vorherige Stellungnahme des GBA zum Antrag auf Einvernahme des SV Faustmann.
Obwohl in dem betreffenden Beweisantrag die methodische Kritik von Faustmann wortgetreu enthalten sei, stelle der GBA die globale und durch nichts belegte Behauptung auf, das angegriffene Gutachten sei lege artis erstellt. Er setze sich damit letztlich selbst in Widerspruch zu der Kritik, die Beweisbehauptungen seien nicht bestimmt genug. Ferner verkenne der GBA, dass dem SV-Beweis immer eine Bewertung von Tatsachen immanent sei. Diese habe gerade auch der SV Saß vorgenommen. Gerade weil der SV Saß, worauf der GBA auch hinweise, weitgehend nur subjektive Einschätzungen vornehme und explizit darauf hingewiesen habe, bei der forensischen Psychiatrie handele es sich um eine Erfahrungswissenschaft, es seien naturwissenschaftliche Testungen nicht möglich und es gebe keine exakten Messverfahren, sei es für die ordnungsgemäße Sachaufklärung zwingend geboten, Zweifel an der Vorgehensweise und damit an der Sachkunde des SV unter Beweis zu stellen und Beweis zu erheben. Zumal das Gericht den SV bereits zu Nachbesserungen habe auffordern müssen.
Insbesondere da Saß auf die Plausibilität seines Gutachtens abstelle, sei vorliegend über die im Antrag behaupteten Beweistatsachen Beweis zu erheben, da Saß von unzutreffenden Prämissen bei der Plausibilitätserörterung ausgehe. Die Anhörung von Faustmann sei auch nicht deswegen entbehrlich, weil Saß unter anderem darauf verweise, die Adressaten seines Gutachtens mögen seine Bewertungen eigenständig bewerten. Denn dies, so Heer, sei ausweislich der schriftlichen Stellungnahme des von der Verteidigung hinzugezogenen SV nicht wissenschaftlich und solle mittels der Vernehmung von Faustmann unter Beweis gestellt werden.
Heer: „Es ist aus unserer Sicht völlig unverständlich, warum sich der GBA der Schaffung einer möglichst breiten Beurteilungsgrundlage verschließt und dies offensichtlich auch der erkennende Senat beabsichtigt.“

Dann verkündet Götzl folgenden Beschluss:
Die Verfügungen des Vorsitzenden vom 07.03.2017, mit denen er unter Fristsetzung den Verfahrensbeteiligten 1. für den Fall, dass noch weitere Beweisanträge gestellt werden sollen, hierzu Gelegenheit gab und 2. zur Feststellung, dass allen Beweisanträgen entweder nachgegangen wurde der sie abschlägig verbeschieden wurden, Gelegenheit zur Stellungnahme gab, werden bestätigt.
Die Fristsetzung kam für die Verfahrensbeteiligten auch nicht überraschend: a) Es wurde im Laufe der Hauptverhandlung eine umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt. Die in den letzten Monaten erfolgten Beweiserhebungen beruhten in der Regel auf Beweisanträgen der Verteidigung oder der Nebenklage oder haben sich aufgrund der durchgeführten Beweiserhebung ergeben. Die Anhörung des psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. Saß erfolgte vom 17.01.17 bis zum 22.02.17 an insgesamt 10 Terminen. Die Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe zu § 105 JGG im Hinblick auf den Angeklagten Schultze wurde am 21.02.17 in die Hauptverhandlung eingeführt. Diese genannten Elemente des Strafprozesses werden üblicherweise erst zum Ende der Beweisaufnahme durchgeführt. Für die Verfahrensbeteiligten war danach bereits seit mehreren Wochen erkennbar, dass die erfolgte Beweisaufnahme auf den gestellten Beweisanträgen basiert und sich das Beweisprogramm des Senats seinem Ende nähert. b) Am 01.12.16 wurden die Verfahrensbeteiligten, wie bereits dargestellt, aufgefordert, weitere beabsichtigte Beweisanträge gesammelt und zügig zu stellen. Das in der Aufforderung verwendete Wort „bitte“ wurde aus Gründen der Höflichkeit gebraucht. Rechtsanwalt Prof. Behnke fasste am 01.12.16 die Aufforderung auch in der Hauptverhandlung dergestalt zusammen, er verstehe die Aufforderung
des Vorsitzenden, Beweisanträge zu stellen, so, dass das Ende der Beweisaufnahme sichtbar sei. Zudem wurde in der Haftentscheidung vom 21.12.16, die allen Verfahrensbeteiligten im Rahmen der Akteneinsicht zugänglich gemacht wurde, ausdrücklich ausgeführt, der Vorsitzende habe die Prozessbeteiligten am 01.12.16 aufgefordert, etwa noch vorgesehene Beweisanträge zügig und gesammelt zu stellen. Damit ist nochmals ausdrücklich die erfolgte Aufforderung betont und deren Bedeutung unterstrichen worden. Es ist daher weder plausibel noch nachvollziehbar, wenn in der Beanstandung nun behauptet wird, diese „Bitte“ sei trotz des geschilderten Hintergrunds lediglich als unverbindliche Äußerung des Vorsitzenden verstanden worden.
c) Aus der als „höchstvorsorglich“ bezeichneten weiteren Terminierung der Hauptverhandlung bis Januar 2018 ergibt sich kein Vertrauenstatbestand darauf, dass die Hauptverhandlung tatsächlich so lange dauern werde bzw. dass die Hauptverhandlung jedenfalls noch nicht die Endphase erreicht hat. Das ergibt sich schon aus der Verwendung des Ausdrucks „höchstvorsorglich“. Dass bei einem Verfahren dieser Größe mit fünf Angeklagten, vierzehn Verteidigern, sechzig Nebenklagevertretern und über neunzig Nebenklägern das Verfahren nach Schließen der Beweisaufnahme nicht innerhalb weniger Wochen beendet sein wird, liegt auf der Hand. Schon zur Sicherung des Verfahrens war es unumgänglich, auch für die Zeit ab September 2017 eine Terminierung vorzunehmen. Für jeden Verfahrensbeteiligten ist auch ersichtlich, dass zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht vorhergesagt werden kann, wie sich das Verfahren bis zu und nach einer eventuellen Schließung der Beweisaufnahme in zeitlicher Hinsicht entwickeln wird. Dass vor diesem Hintergrund und im
Hinblick auf die erfolgte Beweisaufnahme der letzten Wochen ein Prozessbeteiligter davon ausgehen konnte, die Erledigung des Beweisprogramms stünde noch in weiter Ferne, ist nicht nachvollziehbar.

Der Verhandlungstag endet um 16:47 Uhr.

Kommentar das Blogs NSU-Nebenklage, hier.

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