Protokoll 359. Verhandlungstag – 26. April 2017

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An diesem Verhandlungstag geht es im ersten Teil um den Antrag der sog. „Altverteidigung“ von Beate Zschäpe, Prof. Dr. Faustmann als Sachverständigen zu seinem methodenkritischen Gutachten zum Gutachten von Prof. Dr. Saß zu hören. Der GBA nimmt zunächst Stellung dazu. Daraufhin entspinnt sich eine längere Diskussion, um die Verschriftlichung dieser Stellungnahme. Später bestätigt Richter Götzl seine Verfügung, dass es eine Frist zum Stellen der ausstehenden Beweisanträge gibt.

Der Verhandlungstag beginnt um 09:44 Uhr. Bei der Präsenzfeststellung sagt Götzl in Richtung der Sachverständigenbank: „Ich nehme an Herr Prof. Dr. Faustmann“. Als SV ist außerdem Prof. Dr. Saß anwesend. Götzl: „Dann kommen wir zunächst zu den Stellungnahmen zu dem Antrag von Seiten der Verteidigung Frau Zschäpes von gestern.“

OStAin Greger nimmt für den GBA Stellung: „Herr Vorsitzender, hoher Senat, der Antrag vom gestrigen Tage stellt keinen Beweisantrag im Sinne der Paragraphen 244 Absatz 3 und 245 Absatz 2 StPO dar.“ Die Anhörung des SV Faustmann sei daher nicht nach 245 Absatz 2 StPO geboten, so Greger. Ein Beweisantrag im Sinne dieser Vorschriften sei das in der Hauptverhandlung vorgebrachte, ernsthafte Verlangen, über eine die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betreffende Behauptung durch bestimmte Beweismittel Beweis zu erheben. Eine bestimmte Beweistatsache zur Schuld- oder Rechtsfolgenfrage behaupteten die Antragsteller jedoch nicht. Sie beschränkten sich vielmehr auf eine Bewertung, die der neue SV vornehmen solle, nämlich ob das von Saß bereits erstattete Gutachten den anerkannten wissenschaftlichen Standards genügt, ohne dass sich der weitere SV zur Schuld- und Rechtsfolgenfrage verhalten soll. Der Antrag sei somit nach dem Maßstab eines Beweisermittlungsantrags zu verbescheiden. Die allgemeine Aufklärungspflicht gebiete die beantragte Beweiserhebung ebenfalls nicht, auch unter Berücksichtigung des Maßstabs des § 83 Absatz 1 StPO, denn die Antragsteller zeigten weder Kompetenzdefizite des Gutachters auf noch gebe ihr Vortrag nebst Anlage Anlass, Bedenken an der methodischen Integrität des SV Saß zu entwickeln.

Zur Auswahl des SV sagt Greger, dass das Tatgericht, wenn es um die Frage der Schuldfähigkeit in nicht krankhaften Zuständen der Persönlichkeit geht, nach seinem Ermessen einen Psychiater oder einen Psychologen als SV zuziehen könne. Wähle es wie hier einen psychiatrischen SV, sei es nicht notwendig, neben dem Psychiater noch einen Psychologen anzuhören. Gehe es um die Frage der Anordnung einer Sicherungsverwahrung, bestünden gegen die Beauftragung eines erfahrenen forensischen Psychiaters ebenfalls keine rechtlichen Bedenken. Greger: „Der Ansatz von Prof. Dr. Faustmann, dem psychiatrischen Sachverständigen fehle die Kompetenz, einen gesunden Menschen zu begutachten, ist daher von vornherein verfehlt.“ Auch zur Methode zeigten die Antragsteller keine Unzulänglichkeiten auf, die die Anhörung von Faustmann nahelegen könnten. Denn die „sogenannten methodenkritischen Ausführungen“ basierten auf einem grundlegend unzutreffenden Verständnis der Aufgabe und Herangehensweise eines forensischen SV. Gegenstand der Beurteilung der Schuldfähigkeit sei die strafrechtliche Schuld, also ein Rechtsbegriff: „Schuld ist keine empirisch-medizinische Diagnose.“

Die Aufnahme eines bestimmten Krankheits- oder Symptombildes in eines der anerkannten Klassifikationssysteme wie ICD 10 habe dementsprechend keine Verbindlichkeit für die rechtliche Beurteilung der Schuldfähigkeit. Nach der gefestigten Rechtsprechung sei der Begriff der „krankhaften seelischen Störung“ im Sinne der Paragraphen 20 und 21 StGB unabhängig von dem eigenständigen psychiatrisch-medizinischen Krankheitsbegriff auszulegen. Auch die „schwere andere seelische Abartigkeit“ setze nicht an einer Klassifikation oder medizinischen Diagnose an, sondern beziehe sich auf eine Abweichung der Persönlichkeitsstruktur von einem normativ – und gerade nicht medizinisch kategorisierten – zugrunde gelegten Durchschnitt. Greger: „Somit ist festzustellen: Dem Ansatz von Prof. Dr. Faustmann, der auf eine diagnostische Abgrenzung psychopathologischer Störungen abstellt, liegt bereits dem Grunde nach ein unzutreffendes Verständnis der maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen zugrunde.“ Ähnliches gelte für die Beurteilung des Hanges. Unter „Hang“ im Sinne des § 66 StGB verstehe man nach der Rechtsprechung des BGH einen „eingeschliffenen inneren Zustand“, eine intensive Neigung zu Rechtsbrüchen. Dieser Begriff sei wiederum ein Rechtsbegriff.

Zschäpe-Verteidigerin RAin Sturm sagt, sie seien gerade nicht in der Lage, mitzuschreiben: „Ich möchte geklärt wissen, ob es die Möglichkeit gibt, eine Abschrift zu bekommen?“ Götzl: „Das hatten wir schon abgeklärt.“ Greger: „Ich spreche aber langsamer.“ Greger setzt damit fort, dass der Rechtsbegriff des „Hanges“ eine Wertung der Persönlichkeit voraussetze. Wie die Feststellung eines „Hanges“ nach der Rechtsprechung nicht ohne eine Gesamtwürdigung auskomme, sei auch für die Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 66 StGB eine rechtliche Gesamtbewertung aller Umstände, aus denen sich Anhaltspunkte für ihre Beurteilung ergeben, vorzunehmen, so Greger weiter. Der SV Saß sei daher von Rechts wegen gehalten gewesen, auf die Persönlichkeit der Angeklagten, auf eventuelle Persönlichkeitsauffälligkeiten, auf die Biographie, die delinquente Vorgeschichte, die Entwicklung der Angeklagten unter verschiedenen Aspekten, die Beschreibung von Charakterzügen durch Zeugen, ihr soziales Umfeld, ihr Verhalten in der Hauptverhandlung einschließlich ihres Ausdrucksvermögens und ihrer Schwingungsfähigkeit einzugehen, um dem Senat eine möglichst breite Beurteilungsgrundlage für die vom Senat zu treffenden Entscheidungen zu verschaffen.

Es seien auch unter Berücksichtigung der von den Antragstellern vorgetragenen Kritikpunkte keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beweisfragen des Senats vom Gutachter unzulänglich beantwortet worden wären, etwa dass der Gutachter Methoden angewendet hätte, die wissenschaftlich nicht anerkannt, nicht überprüfbar oder unausgereift sind, oder dass eine Nachprüfung der Untersuchungsmethode und der Ergebnisse nicht möglich wäre, oder dass der SV von wissenschaftlichen Kriterien abgewichen wäre, die in seinem Fach anerkannt sind und die Billigung in der Rechtsprechung gefunden haben. Methodenkritische Gesichtspunkte seien mit Saß in der Beweisaufnahme eingehend und umfassend und auch auf der Grundlage der von der sachverständig beratenen Verteidigung geltend gemachten Aspekte erörtert worden. So sei Saß bei seiner Anhörung etwa mit dem Problembereich der Wahrnehmung und Ausdeutung psychomotorischen Verhaltens der Angeklagten konfrontiert worden. Auch das Problem der Subjektivität von Wahrnehmung und Einschätzung sei angesprochen worden.

Der SV habe hierzu u.a. am 346. Verhandlungstag erläutert, dass es sich bei der forensischen Psychiatrie wesentlich auch um eine Erfahrungswissenschaft handele, deren Begutachtungsergebnisse, wenn sie von erfahrenen Gutachtern erzielt würden, unabhängig von deren jeweiliger Lehrmeinung gute Übereinstimmungen aufwiesen; allerdings seien naturwissenschaftlich-validierte Testungen nicht möglich, es gebe auch keine exakten Messverfahren; das Tauglichkeitskriterium sei letztlich die Plausibilität des Ergebnisses; die Belastbarkeit eines Gutachtens ergebe sich daraus, dass Befunde, Anhaltspunkte, Tatsachen enthalten und geordnet, miteinander in Bezug gesetzt und Schlussfolgerungen nachvollziehbar gezogen sind; der von Saß selber gegebene Hinweis auf die Subjektivität der Einschätzungen offenbare die Grundlagen und die Grenzen des Gutachtens zugleich, wobei die Subjektivität keinen Qualitätsmangel des Gutachtens darstelle, sondern unabänderlich sei; sein Gutachten erhebe naturgemäß keinen absoluten Gültigkeitsanspruch, sondern solle das Gericht und die Verfahrensbeteiligten in die Lage versetzen, die Überzeugungskraft seiner Bewertung eigenständig zu bewerten. Zur Frage eines hypothesengeleiteten Vorgehens habe sich Saß ebenfalls ausführlich geäußert, u.a. am 343. Verhandlungstag, an dem er ausgeführt habe, dass und aus welchem Grunde ein solches Vorgehen bei psychiatrischen Beurteilungen und Prognosegutachten nicht üblich sei.

Aus der Sicht von Saß würde allerdings ein hypothesengeleitetes Vorgehen nicht zu einem anderen Ergebnis führen, diese Vorgehensweise stehe nicht in einem substantiellen Widerspruch zu seiner Vorgehensweise, so Greger. Anhand der bereits erfolgten Ausführungen von Saß zu seiner Qualifikation sei der Senat bereits jetzt in der Lage, sich ein Bild über dessen hinreichende Sachkunde zur Beurteilung der Gutachtenfragen zu machen. Saß habe zudem die wissenschaftlichen und wissenschaftstheoretischen Grundlagen seines Gutachtens ausführlich erläutert, so dass der Senat beurteilen könne, dass die gewählte Herangehensweise den forensischen Ansprüchen im Hinblick auf die konkrete Gutachtenfrage genügt. Greger: „Soweit die Antragsteller einzelne Formulierungen des Sachverständigen als vermeintlich suggestiv – wie z.B. ‚dissoziale Tendenzen‘ – oder als unklar – wie etwa ‚ähnliche Richtungen‘, ‚interessanterweise‘, ‚bemerkenswert‘, ‚Alltagsverständnis‘ – oder nicht operationalisiert – wie z.B. ‚Authentizität‘ bezeichnen, hat der Sachverständige in seiner Anhörung substantiiert dargelegt, von welchem Anknüpfungstatsachen er jeweils ausgegangen ist, in welchem Kontext seine Beurteilung und die jeweilige Begrifflichkeit ergangen ist und auf welchem Weg er zu seiner Beurteilung gekommen ist.“ Daher sei dem Senat aufgrund seiner eigenen forensischen Erfahrung auch insoweit die Beurteilung, ob die entsprechenden Wendungen valide unterlegt sind und ob ihre Verwendung im Einzelfall den anerkannten wissenschaftlichen Kriterien an ein psychiatrisches SV-Gutachten entspricht, ohne weiteres eröffnet. Nach alledem dürfe sich, so Greger abschließend, der Senat die Beurteilung, ob Saß die anerkannten wissenschaftlichen Standards eingehalten hat, auch ohne die Anhörung von Faustmann selbst zutrauen.

NK-Vertreter RA Behnke: „Danke. Hoher Senat, die Ausführungen der Oberstaatsanwältin Greger sind umfassend und richtig, ich schließe mich dem an. Ich habe daher meinen Vortrag jetzt sehr stark zusammengestrichen. Der Beweisantrag der Verteidigung Zschäpe geht dahin, dass das Gutachten des Prof. Saß nicht den wissenschaftlichen Standards entspricht, es soll eine Methodenkritik sein. Die Ausführungen belegen dies nicht. Ich werde mich auf wenige Punkte konzentrieren und nur zwei Beispiele zitieren. Seite 17, unter 14.a ist Folgendes vermerkt: ‚Auf Seite 22 im letzten Absatz, unten, letzte Zeile, findet sich der Satz: ‚wenn Frau Zschäpe formulierte, man könne sagen, ohne wären diese ganzen Untersuchungen nicht möglich gewesen, so findet sich hier erneut die Tendenz, auf eine Außenverursachung hinzuweisen‘.‘ Die Verteidigung Zschäpe formuliert dazu, das sei nicht hypothesengeleitet, sondern für sich ‚tendenziell‘. Sie übersieht dabei, dass der Gutachter tatsächlich die Einlassung der Angeklagten verwendet hat. Diese ist selbstverständlich nicht hypothesengeleitet. So geht es in dem ganzen Antrag Stück für Stück durch, dass eine Kritik des Sachverständigen Saß erfolgt, dass dies aber nicht psychiatrisch begründet wird und somit auch kein auf den Antrag hindeutender Schluss gezogen kann. So dass insgesamt für mich festzustellen ist, dass dieser Antrag gestern natürlich eine Fleißarbeit darstellt, aber im Hinblick auf eine Methodenkritik keine tatsächliche Grundlage zur Beurteilung bildet.“

Zschäpe-Verteidiger RA Heer: „Heer Vorsitzender, wir möchten natürlich erwidern auf den Generalbundesanwalt. Ich darf bitten um eine Zeitspanne bis 11:40 Uhr. Ich möchte noch zwei, drei Worte sagen zum Verhalten des Generalbundesanwalts. Ich verstehe es einfach nicht, Frau Oberstaatsanwältin Greger. Jeder Verfahrensbeteiligte überreicht hier eine schriftliche Ausfertigung. Ich verstehe es nicht, warum Sie es verweigern. Ich verstehe auch nicht, an welchen Kriterien Sie festmachen, wann Sie etwas übergeben und wann nicht. Ich halte Ihr Verhalten für nicht in Ordnung und grob unfair, um es ganz deutlich zu sagen. Was Sie, Herr Vorsitzender, gemacht haben, halte ich ebenfalls nicht für in Ordnung. Dass Sie das einfach schlucken, dass Sie ein schlichtes Nein akzeptieren, ist aus meiner Sicht ebenfalls eine grobe Behinderung, eine grobe Behinderung der Verteidigung. Ich beantrage, dass Sie die Vertreterin des Generalbundesanwalts bitten, eine Verschriftlichung zu erbitten und dann uns überreichen.“

Götzl wendet sich an Greger: „Wir hatten ja Blickkontakt und Sie hatten auf handschriftliche Unterlagen verwiesen, das war mein Eindruck.“ Greger: „Also bislang ist das handschriftlich fixiert.“ Diemer: „Wenn Sie es möchten, können wir es machen, aber das dauert lang. Handschriftliches geben wir nicht raus.“ Götzl: „Natürlich macht es das einfacher, wenn man es schriftlich hat. Aber wir haben auch mitgeschrieben und ich bin in der Lage, ich habe das auch verarbeitet. Deshalb verstehe ich die Aufregung nicht und den Ton nicht. Und es ist so gehandhabt worden, dass ich nachgefragt habe, und letztlich ist es auch eine Bitte. Aber eine Verpflichtung als solche besteht selbstverständlich nicht.“ Heer: „Also wenn wir es vollständig mitschreiben hätten können …“ Bundesanwalt Diemer versucht zu unterbrechen. Heer: „Herr Diemer, Sie haben mich wirklich rausgebracht. Ich weiß jetzt nicht, Herr Vorsitzender, was ich jetzt gesagt hätte. Herr Diemer, wir haben Ihnen doch auch kein Schmierexemplar übergeben. Sie sind doch mit EDV ausgestattet. Ich verstehe nicht, warum Sie zu Papier und Stift greifen.“ Diemer, sehr ungehalten: „Also ich muss jetzt mal eines sagen, also dieses Theater der ersten Pflichtverteidiger mit dem Mitschreiben, das sind Schikanen der Zeugen und der Prozessbeteiligten. Das ist unerträglich, das ist der Versuch der Verteidigung, eine vernünftige Stellungnahme zu unterbinden. Es geht nicht an, dass Sie hier, Frau Sturm, die Frau Greger unterbrechen, sondern Sie haben stillzuschweigen, bis Frau Greger fertig ist! Und es ist prozessual nicht vorgesehen, dass wir das verschriften. Es ist prozessual vorgesehen, dass Sie es verschriften!“ [phon.]

Es gibt ein großes Durcheinander. Viele der Mikrofon-Leuchten, die anzeigen, dass um das Wort gebeten wird, blinken. RAin Sturm möchte etwas sagen. Götzl: „Moment! Will jemand das Wort? Dann werde ich es erteilen.“ RAin Sturm bekommt schließlich das Wort. Sturm: „Also zwei Dinge in Ihren Ausführungen lassen wirklich auf ein fehlgeleitetes Verständnis von Verteidigung schließen. Zum einen werde ich mich selbstverständlich unverzüglich zu Wort melden, wenn wir uns nicht im Stande sehen, Frau Zschäpe ordnungsgemäß zu verteidigen. Das ist dann gegeben, wenn wir nicht in der Lage sind, mitzuschreiben und wir nicht sicher sind, ob es gewährleistet ist, dass wir am Ende alles mitbekommen haben. Das ist sogar meine Aufgabe! So viel zum Ersten. Und zum Zweiten ist es geradezu unerhört, hier zu behaupten, dass das Vorgehen der Verteidigung, hier für eine angemessene Arbeitsgrundlage zu sorgen, das als Schikane zu bezeichnen. Das lässt mich nahezu sprachlos werden. Wenn ich es richtig sehe, da mag mich die Frau Oberstaatsanwältin belehren, aber ich gehe davon aus, dass Sie die Stellungnahme aufgrund unseres Antrags, den wir überreicht haben, den wir nicht hätten überreichen müssen, gefertigt hat.“ Sturm sagt, sie habe den Eindruck, dass auf Seiten des GBA mglw. ein großes Missverständnis besteht in Bezug auf den Beweisantrag und auch, was das methodenkritische Gutachten, das subtil sei, angeht. Sturm: „Wir möchten darauf gerade vernünftig erwidern, also gerade nicht schikanieren. Und insofern weise ich dieses Ansinnen, wir würden hier schikanieren, aufs Schärfste zurück!“

Zschäpe-Verteidiger RA Stahl: „Also, Herr Bundesanwalt Dr. Diemer, ich muss auch sagen, auch wenn das eben hitziger geworden ist, weil Kollege Heer deutlichere Worte gefunden hat, als das sonst so seine Art ist. Wenn hier in dieser Runde die Behauptung aufgestellt wird, wir machen Theater, also da muss ich sagen, Herr Dr. Diemer, so habe ich Sie bisher nicht kennengelernt. Der Punkt, den wir kritisieren – zu Recht, wie ich meine – ist, dass gelegentlich die wohlgesetzten Stellungnahmen schriftlich ausgearbeitet werden und gelegentlich nicht, dass das aus unserer Sicht einem gewissen Kalkül unterliegt. Insbesondere wenn es eine heiklere Materie betrifft, dann wird es nicht übergeben. [phon.] Das ist der Eindruck, den wir haben. Der mag ja falsch sein, aber hier entsteht der Eindruck, wenn Sie hier ein seitenlanges Manuskript erstellt haben, dass das nicht fair ist. Wir sollen uns damit befassen und hier geht es ja nicht um eine Dose Katzenfutter, sondern um ein wichtiges Gutachten, das von der Verteidigung mit viel Arbeitsaufwand kritisiert [phon.] worden ist. Und da sollen wir drauf eingehen. Ich empfinde es nicht als fair. Und das ist die Kritik, die Herr Heer geäußert hat, und die trage ich in vollem Umfang mit.“

Heer: „Herr Dr. Diemer, ich habe eine Frage in strafprozessualer Hinsicht: Ich wüsste schon gerne, wie Sie darauf kommen, unsere Anträge [phon.] müssten schriftlich abgegeben werden, Sie aber Ihre Stellungnahmen nicht verschriftlicht einzureichen haben.“ Götzl: „Dass letztlich nach Ansicht der Bundesanwaltschaft ein Beweisermittlungsantrag vorliegt und die Tatsachen nicht formuliert sind, das wäre ja wohl der erste Punkt. Und deswegen, nehme ich an, haben Sie eine Unterbrechung beantragt. Wie lange brauchen Sie?“ Heer: „Wir möchten auf die Stellungnahme erwidern. Das sage ich jetzt in aller Allgemeinheit. Wir sind nicht der Auffassung, dass wir keinen ordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt hätten.“ Stahl: „Wenn der Senat signalisieren würde, dass Sie ungeachtet der Stellungnahme des GBA ohnehin Herrn Faustmann hören möchten, könnten wir uns die stundenlange Unterbrechung sparen. Aber solange wir kein Signal haben, müssen wir uns damit auseinandersetzen.“ Götzl sagt, er habe sowieso vorgehabt, zu unterbrechen, und fragt: „Wie lang brauchen Sie Zeit?“ Heer: „Der Antrag ist gestellt! Ich habe zweimal daran erinnert. Sie wollen jetzt offenbar die Hauptverhandlung unterbrechen und keine Entscheidung treffen. Ich warte auf Ihre Entscheidung.“ Im Saal kommt erneut Unruhe auf. Götzl: „Wir haben das geklärt: Es besteht kein Anspruch auf eine schriftliche Stellungnahme. Der Generalbundesanwalt ist bereit, eine schriftliche Fassung zu verfassen, benötigt aber Zeit dafür. Und Sie haben eine Unterbrechung bis 11:40 Uhr beantragt und die kriegen Sie.“ Heer: „Wir brauchen anderthalb Stunden nach Erhalt der schriftlichen Stellungnahme.“ Diemer: „Das muss doch getippt werden. Das geht nicht bis 11:40 Uhr, auch nicht bis 12 Uhr. Das geht doch nicht, Herrgott nochmal!“ RA Heer beginnt etwas: „Ich erinnere nur an Ihren Satz, Herr Dr. Diemer, …“ Götzl unterbricht und sagt, dass Heer jetzt nicht dran sei, sondern eigenmächtig das Wort ergriffen habe. Götzl sagt, wo die Reihe ist, das bestimme er, und erteilt NK-Vertreter RA Reinecke das Wort.

Reinecke: „Ich wollte nur sagen, das man sich vielleicht überlegen müsste, wer uns in diese Situation gebracht hat. Die Ladungsurkunde von Prof. Faustmann datiert auf den 28.03. und die Gutachten auf den 22.04. M.E. war gestern um halb Vier Schluss. Wenn sich Frau Greger gestern hinsetzt, dass das heute nicht getippt vorliegen kann, das ist doch klar. Niemand hat Sie gehindert, das Gutachten vorab zu verteilen. Wenn ich mir das umgekehrt vorstelle, es hätte jemand anderes einen Antrag von 20, 30 Seiten gestellt, da hätten Sie direkt eine Pause von zwei Wochen gewollt, so wäre es doch gelaufen! Es ist doch äußerst entgegenkommend, dass sie heute schon vorgetragen hat. Dann müssen wir halt vertagen auf morgen.“ Heer sagt, man müsse doch überlegen, ob nur repliziert werden muss oder die Stellungnahme erst erstellt werden muss. [phon.] Heer weiter: „Und zum anderen, Herr Dr. Diemer, wenn Sie sagen, man braucht bis morgen früh: Man kann das doch auch sofort verschriftlichen. Ich empfinde es als Frechheit, dass es nicht vorgelegt wurde. Sie haben mir vor Jahren mal vorgeworfen, ich verschleppe. Sie betreiben gerade Prozessverschleppung mit Ihrem Verhalten.“

Diemer: „Ich sehe es jetzt nicht als veranlasst, mich mit solchen Ausführungen zu beschäftigen. Nur so viel zu dem, was Sie als Frechheit bezeichnen: Der Vorsitzende spricht langsam, die Zeugen und Sachverständigen sprechen langsam, wir sprechen extra langsam, damit die Verteidigung mitschreiben kann.“ Diemer sagt, er habe Rücksprache gehalten und sie könnten es bis 13 Uhr schriftlich bringen, wenn der Vorsitzende das wünsche. Diemer: „Wir sind nicht verpflichtet dazu.“
Götzl: „Man kann, aber muss nicht. Es wäre ein Entgegenkommen der Bundesanwaltschaft. Ich war in der Lage , das mitzuschreiben, die Kollegen auch. Das ist ein Problem des Services für Sie. Deswegen denke ich, die starken Worte, Herr Rechtsanwalt Heer, waren hier nicht angebracht. Sie müssen jetzt nicht andere Verfahrensbeteiligte in dieser Form angreifen. Es ist angebracht, weil Sie selber es ja so zum Ausdruck gebracht haben, hier etwas ruhiger oder sachlicher zu verfahren. Sonst könnte ich jetzt entscheiden, die Entscheidung wäre ganz einfach: Nein, man kann es, aber muss es nicht.“ Heer: „Wir bedanken uns, wenn wir es schriftlich bekommen. Außerdem: Bleiben Sie auch so ruhig, wie Sie es von mir verlangen, Herr Vorsitzender! Ich habe nur Bezug genommen auf einen Angriff von Dr. Diemer gegen mich.“ Götzl: „Ich verbitte mir diese persönliche Schiene. Warum greifen Sie mich jetzt an?“ Heer: „Dann würdigen Sie nicht mein Verhalten. Das steht Ihnen nicht zu.“ Götzl: „Doch, steht mir zu. [phon.] Jetzt machen wir mal 10 Minuten Pause erstmal.“ Es folgt eine Pause bis 10:42 Uhr.

Götzl: „Also zum Prozedere: Bis 13 Uhr würden Sie brauchen, es zu verschriften?“ Götzl bittet eine Justizangestellte das dann zu kopieren. Götzl weiter: „Anderthalb Stunden, also bis 14:30 Uhr, würden Sie dann benötigen?“ Götzl weist darauf hin, dass in Betracht kommt, dass der gestellte Antrag als Beweisermittlungsantrag qualifiziert wird: „Sollen dazu Erklärungen erfolgen?“ NK-Vertreter RA Kolloge: „Ich könnte mir vorstellen, dass die Hauptverhandlung schneller vorangetrieben wird, wenn sich alle Beteiligten darauf einigen, dass dieser Professor gehört wird und zwar jetzt gleich.“ Stahl: „Ich muss sagen, lieber Herr Kolloge, sehr vernünftig! Es tut doch niemandem weh. Auch der Senat kann doch keine Probleme damit haben, Dinge, die er schon kennt, von uns vorgetragen, auch zu hören. [phon.] Damit würde man das Verfahren in erheblichem Maße beschleunigen, niemand müsste warten, es würde alles sehr schnell gehen.“ Götzl: „Wir haben aber den 245 Absatz 2, wo von einem Beweisantrag die Rede ist. Ich sage es nur mal.“ Schneiders: „Die Verteidigung Wohlleben sieht das genauso wie Herr Kolloge.“ RA Behnke sagt, er widerspreche Kolloge insoweit, und bitte den Senat, nach StPO zu verfahren und es als Beweisantrag [phon.] zu werten und zu bescheiden. Götzl: „Dann unterbrechen wir bis 14:30 Uhr.“ Um 10:45 Uhr wird die Hauptverhandlung unterbrochen. Gegen 14:30 gibt es eine Durchsage, dass um 15:15 Uhr fortgesetzt wird.

Um 15:19 Uhr wird tatsächlich fortgesetzt. RA Heer verliest die Erwiderung von Sturm, Stahl, Heer auf die vorherige Stellungnahme des GBA zum Antrag auf Einvernahme des SV Faustmann. Bei dem betreffenden Antrag handele es sich, so Heer, um einen Beweisantrag im Sinne des § 245 Absatz 2 StPO. Der GBA weise insoweit zutreffend darauf hin, dass ein Beweisantrag Behauptungen zu einem Sachverhalt, der die Schuld- und Rechtsfolgenfrage betrifft, enthalten muss. Ferner sei dem GBA insoweit zuzustimmen, dass die gestern aufgeführten Beweistatsachen die Schuld- und Rechtsfolgenfragen nicht unmittelbar betreffen, da der SV Faustmann nicht dazu bestimmt ist, eine Einschätzung darüber abzugeben, ob gegen Zschäpe eine Maßregel anzuordnen oder diese vorzubehalten ist. Dies sei Faustmann auch gar nicht möglich, da ihm die erforderlichen Anknüpfungstatsachen fehlten, so Heer weiter. Indes gehe der GBA in seinem Auslegungsmaßstab des § 245 Absatz 2 in Verbindung mit § 244 Absatz 3 fehl. Der 3. Strafsenat des BGH habe insoweit zu der Frage, welchen Abstraktionsgrad die Behauptung einer Beweistatsache bei einem Antrag auf SV-Beweis aufweisen darf 2015 ausgeführt, dass keine überspannten Anforderungen an die Präzisierung der Beweistatsache gestellt werden dürften, denn dort sei der Antragsteller vielfach nicht in der Lage, die dem Beweisziel zugrunde liegenden Vorgänge oder Zustände exakt zu bezeichnen.

Da es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine hinreichend bestimmte Behauptung einer Beweistatsache darstelle, dass die Voraussetzungen der Paragraphen 20, 21 oder 63 StGB vorliegen, könne dies bei den im Antrag von Sturm, Stahl, Heer „deutlich konkreteren Darlegungen“ nicht in Abrede gestellt werden. Der Senat habe den Antrag, den SV Prof. Saß zu entbinden, und die hilfsweise gestellten Anträge, ein methodenkritisches Gutachten zum Gutachten von Saß einzuholen und das eingeholte methodenkritische Gutachten von Prof. Faustmann zu verlesen, abgelehnt, weil die Tatsachen, die bewiesen werden sollten, für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung seien. Diese Beschlussfassung bedeute nichts anderes, als dass der Senat seinerzeit von dem Vorliegen eines Beweisantrags ausging, der die Anforderungen erfüllt. Warum er nunmehr davon ausgehe, ein solcher läge gar nicht vor, sei nicht nachvollziehbar und erwecke den Anschein der Willkür. § 246a StPO sehe in den Fällen, in denen das Gericht die Anordnung einer Maßregel oder deren Vorbehalt konkret erwägt, die Einvernahme eines SV über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vor. Der Senat habe dieser gesetzlichen Vorgabe mit Bestellung und Anhörung von Prof. Saß entsprochen.

Der GBA verkenne, dass das Gericht gezwungen sei, ein SV-Gutachten einzuholen, ohne dass es insoweit auf eine konkrete, von Seiten eines antragsberechtigten Verfahrensbeteiligten vorgebrachte Tatsachenbehauptung ankäme. Wenn wie hier also konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass ein SV-Gutachten im Sinne des § 246a StPO auf einer wissenschaftlich falschen Herangehensweise basiert, werde die Ratio dieser Vorschrift – nämlich das Erreichen der bestmöglichen Sachaufklärung – konterkariert, wenn der Senat der Rechtsauffassung des GBA folgen würde. Denn sonst könnte, so Heer, ein SV-Gutachten gleich welcher Fachrichtung niemals mittels der Einholung eines methodenkritischen Gutachtens angegriffen werden, obwohl diese Möglichkeit von der Rechtsprechung anerkannt werde. Indem der GBA in seiner Stellungnahme darauf hinweise, dass der Ansatz von Faustmann, dem psychiatrischen Sachverständigen fehle die Kompetenz, einen gesunden Menschen zu begutachten, von vornherein verfehlt sei, sowie dass es keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Gutachter wissenschaftlich nicht anerkannte, nicht überprüfbare oder unausgereifte Methoden angewandt habe, dass eine Nachprüfung der Untersuchungsmethode und der Ergebnisse nicht möglich wäre oder dass der Sachverständige von wissenschaftlichen, in seinem Fach und der Rechtsprechung anerkannten Kriterien abgewichen wäre, maße sich der GBA eine dem SV Faustmann überlegene Sachkunde an.

Obwohl in dem betreffenden Beweisantrag die methodische Kritik von Faustmann wortgetreu enthalten sei, stelle der GBA die globale und durch nichts belegte Behauptung auf, das angegriffene Gutachten sei lege artis erstellt. Er setze sich damit letztlich selbst in Widerspruch zu der Kritik, die Beweisbehauptungen seien nicht bestimmt genug. Ferner verkenne der GBA, dass dem SV-Beweis immer eine Bewertung von Tatsachen immanent sei. Diese habe gerade auch der SV Saß vorgenommen. Gerade weil der SV Saß, worauf der GBA auch hinweise, weitgehend nur subjektive Einschätzungen vornehme und explizit darauf hingewiesen habe, bei der forensischen Psychiatrie handele es sich um eine Erfahrungswissenschaft, es seien naturwissenschaftliche Testungen nicht möglich und es gebe keine exakten Messverfahren, sei es für die ordnungsgemäße Sachaufklärung zwingend geboten, Zweifel an der Vorgehensweise und damit an der Sachkunde des SV unter Beweis zu stellen und Beweis zu erheben. Zumal das Gericht den SV bereits zu Nachbesserungen habe auffordern müssen.

Insbesondere da Saß auf die Plausibilität seines Gutachtens abstelle, sei vorliegend über die im Antrag behaupteten Beweistatsachen Beweis zu erheben, da Saß von unzutreffenden Prämissen bei der Plausibilitätserörterung ausgehe. Die Anhörung von Faustmann sei auch nicht deswegen entbehrlich, weil Saß unter anderem darauf verweise, die Adressaten seines Gutachtens mögen seine Bewertungen eigenständig bewerten. Denn dies, so Heer, sei ausweislich der schriftlichen Stellungnahme des von der Verteidigung hinzugezogenen SV nicht wissenschaftlich und solle mittels der Vernehmung von Faustmann unter Beweis gestellt werden. Der Senat sei, selbst wenn es sich nicht um einen förmlichen Beweisantrag handeln sollte, aufgrund seiner aus § 244 Absatz 2 StPO folgenden Verpflichtung gehalten, den SV Faustmann anzuhören, denn aus dessen Gutachten ergäben sich zahlreiche konkret benannte Umstände, dass das Gutachten von Saß in methodischer Hinsicht mängelbehaftet sei. Substantiierte Fehler des Gutachtens seien entscheidend, nicht generelle Kompetenzdefizite, so Heer. Der Senat könne sich auch nicht drauf zurückziehen, er besitze die erforderliche eigene Sachkunde, und insbesondere nicht darauf, diese sei ihm durch das SV-Gutachten von Saß vermittelt worden, denn dieses sei ja gerade Gegenstand der anstehenden Zwischenentscheidung des Senats. Anstatt die zeitlich überschaubare Anhörung des SV Faustmann vorzunehmen, was selbst aus den Reihen der Nebenklage angeregt worden sei, setze sich der erkennende Senat, der durch seinen Vorsitzenden die Qualifizierung als Beweisermittlungsantrag und damit die Ablehnung der beantragten Einvernahme angekündigt habe, ohne Not dem Risiko der Aufhebung seines Urteils und dem Erfordernis der Durchführung einer erneuten Hauptverhandlung aus. Heer: „Es ist aus unserer Sicht völlig unverständlich, warum sich der GBA der Schaffung einer möglichst breiten Beurteilungsgrundlage verschließt und dies offensichtlich auch der erkennende Senat beabsichtigt.“ Götzl: „Das sind sieben Seiten. Dann wird die Hauptverhandlung bis 45 unterbrochen.“

Um 15:54 Uhr geht es weiter. Götzl: „Sind jetzt hierzu noch Stellungnahmen? Ist denn vorgesehen sonst für heute Anträge zu stellen? Keine.“ Dann verkündet Götzl folgenden Beschluss:
Die Verfügungen des Vorsitzenden vom 07.03.2017, mit denen er unter Fristsetzung den Verfahrensbeteiligten 1. für den Fall, dass noch weitere Beweisanträge gestellt werden sollen, hierzu Gelegenheit gab und 2. zur Feststellung, dass allen Beweisanträgen entweder nachgegangen wurde der sie abschlägig verbeschieden wurden, Gelegenheit zur Stellungnahme gab, werden bestätigt.
Gründe:
I. Im Hauptverhandlungstermin vom 07.03.2017 setzte der Vorsitzende den Verfahrensbeteiligten eine Frist bis zum 14.03.2017, um gegebenenfalls noch weitere Beweisanträge zu stellen und um hinsichtlich der Erledigung von Beweisanträgen Stellung zu nehmen. Um den Verfahrensbeteiligten Zeit zur Bearbeitung zu geben, kündigte der Vorsitzende bereits bei der Verkündung der beiden Verfügungen an, er wolle die terminierten Hauptverhandlungstermine vom 08.03.17 und 09.03.17 absetzen. Nach Erlass der genannten Verfügungen beantragten die Verteidigung des Angeklagten Wohlleben und Rechtsanwalt Heer, ein Verteidiger der Angeklagten Zschäpe, die Unterbrechung der Hauptverhandlung bis zum Folgetag um 13 Uhr. Am 08.03.17 unmittelbar nach Feststellung der Präsenz verfügte der Vorsitzende: „Im Hinblick auf die am 07.03.17 getroffenen Fristsetzungsverfügungen wird mitgeteilt, dass eine Änderung hinsichtlich der gesetzten Fristen erfolgen wird.“

Gegen Ende des Hauptverhandlungstermins vom 08.03.17 beanstandete die Verteidigung des Angeklagten Wohlleben die am 07.03.17 verkündeten Verfügungen des Vorsitzenden als unzulässig. Zur Begründung wurde Bezug genommen auf das am selben Tag angebrachte Ablehnungsgesuch. Zusätzlich wurde vorgebracht, die Frist wäre unverhältnismäßig kurz. Am 09.03.17 beanstandeten die Rechtsanwälte Heer und Sturm die beiden Verfügungen ebenfalls und bezogen sich zur Begründung auf ihr an diesem Tag angebrachtes Befangenheitsgesuch. Die ganztägig terminierten Hauptverhandlungstermine vom 14.03., 15.03., 16.03., 21.03., 22.03, 23.03, 28.03. und 04.04.17 wurden in der Folgezeit abgesetzt. Am 25.04.17 verfügte der Vorsitzende die angekündigte Verlängerung der gesetzten Fristen auf den 17.05.17.
II. Die beanstandeten Verfügungen des Vorsitzenden waren zu bestätigen, da sie nicht unzulässig im Sinne von § 238 Abs. 2 StPO sind: Unzulässig im Sinne dieser Vorschrift ist eine Maßnahme des Vorsitzenden dann, wenn sie gegen gesetzliche Vorschriften oder ungeschriebene Verfahrensgrundsätze verstößt oder wenn ein Ermessensmissbrauch vorliegt.

1. Der Vorsitzende hat den Verfahrensbeteiligten die am 07.03.17 gesetzte Frist zur Stellung von Beweisanträgen nunmehr verlängert bis zum 17.05.17.
a. Die Fristsetzung zum Stellen von Beweisanträgen verstößt weder gegen gesetzliche Vorschriften noch gegen ungeschriebene Verfahrensgrundsätze:
i. Die Zulässigkeit einer Fristsetzung zum Stellen von Beweisanträgen ist strittig. Die in der Literatur gegen die Zulässigkeit dieser der Beschleunigung dienenden Maßnahme vorgebrachten Argumente überzeugen nicht. Der Senat hält die Fristsetzung vielmehr für zulässig und folgt damit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts.
(1) In der Literatur wird von verschiedenen Autoren vertreten, die vom BGH entwickelte Möglichkeit der Fristsetzung zum Stellen von Beweisanträgen und die bei Verfristung erleichterte Ablehnung eines Beweisantrags wegen Verschleppungsabsicht sei unzulässig. Es wird argumentiert, die Anerkennung der Möglichkeit einer Fristsetzung sei ein bedenklicher Akt „richterlicher Rechtsschöpfung“, der in nicht zu rechtfertigender Überbetonung des Beschleunigungsgrundsatzes die Grenzen des Gesetzes missachtet und als „mögliche“ Korrektur desselben dem Gesetzgeber hätte Vorbehalten bleiben müssen. Eine Fristsetzungslösung sei mit der gegebenen Gesetzeslage – insbesondere mit § 246 StPO – nur „schwerlich vereinbar“. Die Fristsetzung würde zudem die „Beweislast“ für das Vorliegen einer Prozessverschleppungsabsicht vom Gericht auf den Beweisantragsteller abwälzen, das Beweisantragsrecht, das die Beweiserhebungspflicht des Tatrichters über die Amtsaufklärungspflicht hinaus erweitert, würde entwertet. Eine Fristsetzung wäre, wenn überhaupt, nur dann zulässig, wenn ein hartnäckig betriebener Missbrauch des Beweisantragsrechts bereits offenkundig sei.

(2) Der BGH und das Bundesverfassungsgericht halten die Fristsetzung zum Stellen von Beweisanträgen für zulässig. Nach den §§ 213 ff. StPO und § 238 Absatz 1 StPO hat der Vorsitzende die Durchführung der Hauptverhandlung durch geeignete Maßnahmen vorzubereiten und deren Durchführung sicherzustellen. Dies gibt ihm – soweit der Verfahrensgang nicht durch § 243 StPO festgelegt ist – auch die Befugnis, den Gang der Beweisaufnahme, insbesondere auch die zeitliche Reihenfolge der einzelnen Beweiserhebungen, zu bestimmen. Daraus folgt auch die Befugnis, durch eine Fristsetzung für eventuelle Beweisanträge die weitere Gestaltung der Beweisaufnahme zu fördern, wenn die vom Gericht nach dem Maßstab der Aufklärungspflicht für geboten gehaltene Beweiserhebung abgeschlossen ist. Eine solche Vorgehensweise wird bei Verfahren, die bereits seit längerem andauern, insbesondere solchen mit einer Hauptverhandlung, die mindestens zehn Verhandlungstage umfasst, regelmäßig im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz, der einen Abschluss des Verfahrens in einem angemessenen zeitlichen Rahmen gebietet, angezeigt sein, um eine hinreichend straffe Verhandlungsführung zu ermöglichen. § 246 Absatz 1 StPO verbietet demgegenüber lediglich aufgrund des im Strafprozess geltenden Prinzips materieller Wahrheit eine Präklusion von Beweisvorbringen auf Grund Zeitablaufs. Eine solche geht indes mit der Fristsetzung nicht einher. Werden Anträge nicht innerhalb der gesetzten Frist gestellt, sind für eine Verschleppungsabsicht des Antragstellers lediglich signifikante Indizien gegeben, wenn dieser die Gründe für die verspätete Antragstellung nicht nachvollziehbar und substantiiert darlegen kann und auch die Aufklärungspflicht nach § 244 Absatz 2 StPO nicht zur Beweiserhebung drängt.

Auch soweit § 246 Absatz 1 StPO ein Verbot enthalten sollte, den Verfahrensbeteiligten einen Zeitpunkt für die Stellung von Beweisanträgen vorzuschreiben, würde gegen dieses Verbot durch die Fristsetzung nicht verstoßen. Denn den Verfahrensbeteiligten bleibt es – sei es aus prozesstaktischen oder aus anderen Gründen – weiter freigestellt, auch nach der gesetzten Frist Beweisanträge zu stellen. An der Pflicht des Gerichts zur Entgegennahme und Verbescheidung der Beweisanträge ändert sich nichts. Im Spannungsfeld zur grundlegenden Bedeutung des Beweisantragsrechts für eine effektive aktive Verteidigung und zum Fehlen einer gesetzlichen Präklusionsregelung für die Stellung von Beweisanträgen versteht es sich freilich von selbst, dass die so entwickelte Verfahrensweise vorsichtiger und zurückhaltender Handhabung bedarf. Sie wird regelmäßig erst nach zehn Hauptverhandlungstagen und nicht vor Erledigung des gerichtlichen Beweisprogramms in Betracht zu ziehen sein. Zudem wird Anlass für die in Frage stehende Fristsetzung überhaupt nur bei bestimmten Anzeichen für Verschleppungsabsicht im bisherigen Verteidigungsverhalten gegeben sein, die vom Vorsitzenden im Zusammenhang mit der entsprechenden Anordnung ausdrücklich zu bezeichnen sind. Das letztgenannte Erfordernis ist Konsequenz der Funktion der betroffenen Verfahrensweise als Vorbereitung späterer, leichter begründbarer ablehnender Entscheidungen über nach Fristablauf gestellte Beweisanträge wegen Prozessverschleppungsabsicht. Weder die Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen im Strafverfahren noch die Ablehnung von Hilfsbeweisanträgen erst im Urteil begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken.

(3) Der Senat hält die Fristsetzungslösung für zulässig. Die gegen die Zulässigkeit der Fristsetzung für Beweisanträge vorgebrachten Argumente überzeugen nicht: a) Eine verfassungsrechtlich unzulässiger Akt „richterlicher Rechtsschöpfung“ liegt nicht vor. Das vom BGH entwickelte Fristsetzungsmodell respektiert die gesetzgeberische Grundentscheidung des § 246 StPO
und macht von den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung in vertretbarer Weise Gebrauch. Ein Verstoß gegen § 246 StPO ist nicht gegeben. Die Fristsetzungslösung ist materiell lediglich eine zulässige Auslegung von § 244 Absatz 3 Satz 2 StPO. Die Regelung des § 246 StPO steht ihr nicht entgegen, weil die Ablehnung eines Beweisantrags weiterhin nicht allein an die verspätete Antragstellung geknüpft ist; sie erleichtert dem Tatrichter lediglich den Nachweis der subjektiven Absicht der Prozessverschleppung. Auch an der Pflicht des Gerichts zur Entgegennahme und Verbescheidung von Beweisanträgen ändert sich nichts. Die Befugnis des Vorsitzenden, eine Frist zu setzen, folgt aus § 238 StPO.

b) Die „Beweislast“ für das Vorliegen einer Prozessverschleppungsabsicht liegt auch im Rahmen der Fristsetzungslösung nach wie vor beim Gericht. Ein Beweisantrag kann wegen Verschleppungsabsicht abgelehnt werden, wenn objektiv die verlangte Beweiserhebung nach Ansicht des Gerichts nichts Sachdienliches zugunsten des Antragstellers erbringen kann und die verlangte Beweiserhebung weiter geeignet ist, den Abschluss des Verfahrens erheblich zu verzögern, wobei die Voraussetzung der erheblichen Verzögerung neuerdings wieder strittig ist. In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Antragsteller sich der Nutzlosigkeit der Beweiserhebung bewusst ist und mit dem Antrag ausschließlich die Verzögerung des Verfahrensabschlusses bezweckt. Hinsichtlich der objektiven Voraussetzungen des
Ablehnungsgrundes ändert sich durch die Fristsetzungslösung nichts. Das subjektive Element dieses Ablehnungsgrundes kann sich aus der Gesamtwürdigung äußerer Beweisanzeichen ergeben. Von wesentlicher Bedeutung sind dabei insbesondere der bisherige Verfahrensablauf und das Prozessverhalten des Antragstellers. Mit der Fristsetzung legt das Gericht dar, dass es neben den genannten äußeren Beweisanzeichen zusätzlich auch aus dem Umstand der Beweisantragstellung nach Fristablauf im Einzelfall auf das Vorliegen der subjektiven Verschleppungsabsicht schließen will. Dabei handelt es sich bei dem Umstand der Antragstellung nach Fristablauf lediglich um einen von mehreren Umständen, der das Vorliegen auch nur einer Voraussetzung des Ablehnungsgrundes nach § 244 Absatz 2 Satz 2 StPO begründen kann. Um die Diktion der Kritiker der Fristsetzungslösung aufzugreifen, bleibt die „Beweislast“ für die objektiven und subjektiven Kriterien daher weiterhin allein beim Gericht.

c) Gegen die Fristsetzungslösung wird vorgebracht, das Beweisantragsrecht erweitere die Beweiserhebungspflicht des Tatrichters über die Amtsaufklärungspflicht hinaus. Maßgebliches Kriterium der Beweiserhebung nach Ablauf der Frist sei im Wesentlichen die Amtsaufklärungspflicht. Durch die Zulassung der Fristsetzungslösung werde daher das Beweisantragsrecht völlig entwertet. Dieser Argumentation folgt der Senat nicht. Selbst wenn aus der Antragstellung nach Fristablauf und etwaigen weiteren Indizien das Vorliegen der Verschleppungsabsicht offensichtlich ist, muss das Gericht gleichwohl prüfen, zu welchem Ergebnis der Antrag führen kann. Nur wenn es überzeugt ist, dass die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches ergeben wird, darf es den Antrag nach § 244 Absatz 2 Satz 2, 6. Alt. StPO ablehnen. Es müssen daher auch im Rahmen der Fristsetzungslösung die Voraussetzungen des gesetzlichen Ablehnungsgrundes für Beweisanträge vorliegen. Eine generelle Beschränkung auf die Amtsaufklärungspflicht findet daher gerade nicht statt. Von einem Systembruch im Beweisrecht der Strafprozessordnung kann daher keine Rede sein. d) Unter Abwägung aller Gesichtspunkte geht der Senat von der Rechtmäßigkeit der sogenannten Fristsetzungslösung aus. Die Regelung bringt sachgerecht das rechtliche Gehör des Angeklagten und sein Recht, sich an der Aufklärung des wahren Sachverhalts durch die Stellung von Beweisanträgen aktiv zu beteiligten und das Ziel einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und die Forderungen des Beschleunigungsgebots zum Ausgleich. Gründe dafür, dass von der Fristsetzungslösung „nur als Antwort auf einen bereits offenkundig und hartnäckig betriebenen Missbrauch des Beweisantragsrechts“ Gebrauch gemacht
werden dürfte, sind vor diesen Hintergrund nicht gegeben.

ii. Die von der Rechtsprechung weiter entwickelten Voraussetzungen für eine Fristsetzung sind im vorliegenden Verfahren gegeben:
(1) Die Hauptverhandlung dauert seit über 355 Tagen an.
(2) Das gerichtlich vorgesehene Beweisprogramm war, soweit zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung am 07.03.17 ersichtlich, erledigt.
(3) Anlass für das Setzen einer Frist war gegeben, da sich im Verfahren „Anzeichen für Verschleppungsabsicht“ abgezeichnet haben. Diese Anzeichen wurden in der Verfügung vom 07.03.17 im Hinblick auf die sukzessive Stellung von Beweisanträgen durch die Verfahrensbeteiligten ausdrücklich dargelegt.
a) Die Beschleunigung des Verfahrens, die durch die Fristsetzungslösung erstrebt wird, kann nur erreicht werden, wenn allen Verfahrensbeteiligten eine einheitliche Frist zur Stellung von Beweisanträgen gesetzt wird. Gerade ein Verfahrensbeteiligter der durch sein vorheriges Verhalten
zur Fristsetzung nicht unmittelbar Veranlassung bot, dürfte ein Interesse an einer zügigen Durchführung des Verfahrens haben. Im vorliegenden Verfahren ist der Kreis der Verfahrensbeteiligten außergewöhnlich groß. Die praktische Handhabung einer Fristsetzung in diesem speziellen Verfahren ist deswegen nur möglich, wenn das Verfahren einer Gesamtbetrachtung unterzogen wird und nicht auf die Verfahrensbeteiligten einzeln abgestellt wird. Das Ziel der Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen würde nämlich verfehlt, wenn die Zulässigkeit der Fristsetzung jeweils isoliert anhand des Prozessverhaltens eines einzelnen Verteidigers oder anhand des Prozessverhaltens aller Verteidiger eines Angeklagten oder anhand des Prozessverhaltens eines jeden einzelnen der über 60 Nebenklägervertreter auf Anzeichen von Verschleppungsabsicht untersucht werden würde. Naheliegend wäre dann das sachwidrige Ergebnis, dass eine Fristsetzung gegenüber einem Teil der Prozessbeteiligten möglich wäre. Gegenüber einem anderen Teil der Prozessbeteiligten wäre eine Fristsetzung wegen des Fehlens von Anzeichen für Verschleppungsabsicht aber unzulässig.

b) In der Hauptverhandlung konnten bei einer Gesamtbetrachtung aller Verfahrensbeteiligten im oben genannten Sinne mehrere Anzeichen für Verschleppungsabsicht festgestellt werden. 1. Die Verfahrensbeteiligten wurden vom Vorsitzenden im Hauptverhandlungstermin vom 01.12.16 aufgefordert, weitere beabsichtigte Beweisanträge gesammelt und zügig zu stellen. Rechtsanwalt Nahrath, ein Verteidiger des Angeklagten Wohlleben, führte dazu aus, die Verteidiger des Angeklagten Wohlleben würden ihre Beweisanträge zügig stellen. Gesammelt sei aber „schwierig“. Bis zum Erlass der beanstandeten Verfügungen am 07.03.17 stellten verschiedene Verfahrensbeteiligte, darunter auch die Verteidigung des Angeklagten Wohlleben und verschiedene
Nebenklägervertreter, am 08. und am 20.12.16, am 24., 25. und 26.01.17 und am 16., 21. und 22.02.17 weitere Anträge zur Beweiserhebung. Dabei erschließt es sich dem Senat nicht, aus welchen Gründen die Verteidigung Wohlleben die Anträge auf Abwiegen der Waffe erst am 08.12.16, also erst am 328. Hauptverhandlungstag, anbrachte. Am 16.02.17, dem 348. Hauptverhandlungstag, stellten die Verteidiger des Angeklagten Wohlleben die Anträge, insgesamt neun Zeugen zum Beweis der Tatsachen zu vernehmen, dass es für Kontaktpersonen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Ende der 90er bis einschließlich das Jahr 2000 nicht erkennbar war, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt schwerste Straftaten gegen das Leben von Menschen aus ausländerfeindlichen Motiven begehen könnten.

Am selben Tat beantragten die Verteidiger des Angeklagten Wohlleben zusätzlich, insgesamt acht Zeugen zum Beweis der Tatsachen zu vernehmen, dass der Angeklagte Wohlleben die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Zeile stets abgelehnt hat und dass der Angeklagte Wohlleben sich im Rahmen der Ausländer-Thematik für ein ausgesprochen hat und Ausländern nicht feindselig oder gar mit Hass begegnete, sondern mit Achtung gegenüber den Völkern und mit Respekt gegenüber den Menschen. Die Einvernahme der am 16.02.17 benannten Zeugen im Ermittlungs- bzw. Strafverfahren lag zum Antragszeitpunkt schon längere Zeit zurück. Der Umstand, dass diese Anträge erst am 328. bzw. am 348. Hauptverhandlungstag gestellt wurden, kann als Anhaltspunkt für eine zögerliche Beweisantragsstellung mit Verschleppungscharakter gewertet werden. Der Hinweis der Verteidigung Wohlleben, die Beweisanträge vom 16.02.17 seien durch die Haftentscheidung des Senats vom Januar 2017 veranlasst worden, überzeugt nicht. In der angesprochenen Haftentscheidung vom 30.01.17 nahm der Senat hinsichtlich der Umstände, die den dringenden Tatverdacht in objektiver und subjektiver Hinsicht begründen auf vorangegangene Beschlüsse Bezug und stützte sich demnach nicht auf neue Umstände. Hinsichtlich der inneren Tatseite, auf die sich die Beweisanträge vom 16.02.17 beziehen, verwies der Senat unter dem 30.01.17 insbesondere auf die Ausführungen in einem Beschluss, der bereits am 25.06.14 erlassen worden war. Der Senat ist den Anträgen, die von den Verfahrensbeteiligten nach der Aufforderung durch den Vorsitzenden vom 01.12.16 gestellt wurden bis zum Erlass der Verfügung vom 07.03.17 entweder nachgegangen oder er hat sie abschlägig verbeschieden.

2. Am 01.12.16 teilte Rechtsanwalt Prof. Behnke in der Hauptverhandlung mit, es werde „kolportiert“, dass von den Verteidigern der Angeklagten Zschäpe, den Rechtsanwälten Heer, Stahl und Sturm, ein Gegengutachten zum Gutachten von Prof. Dr. Saß erstellt werden solle. Der Vorsitzende forderte sodann die Verfahrensbeteiligten zu zügigen und gesammelten Beweisantragstellung auf und Rechtsanwalt Nahrath gab dazu die oben dargestellte Erklärung ab. Sodann beantragte die Verteidigung des Angeklagten Wohlleben die Aufhebung des Haftbefehls gegen ihren Mandanten. Nach weiteren Stellungnahmen zu verschiedenen Bereichen und der Mittagspause erklärte nun Rechtsanwalt Heer, ein Verteidiger der Angeklagten Zschäpe, die Verteidiger Heer, Stahl und Sturm würden sich externen Sachverstand zu Nutze machen. Dieser externe Sachverstand sei aber im aktuellen Monat – also im Dezember 2016 – nicht mehr zu erhalten. Es sei auch nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. Saß bereits am 20. und 21.12.16 durchgeführt werden solle, bevor sie – die Verteidiger Heer, Stahl und Sturm – ihre interne Beratung beendet hätten. In diesem Zusammenhang stellt der Senat fest, dass die Verfahrensbeteiligten und damit auch die Verteidiger der Angeklagten Zschäpe das schriftlich ausformulierte vorbereitende Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Saß bereits Ende Oktober/Anfang November erhalten haben. Es stand folglich geraume Zeit für die von der Verteidigung geplanten Maßnahmen zur Verfügung.

3. Rechtsanwalt Borchert, der Wahlverteidiger der Angeklagten Zschäpe, hat am 346. Hauptverhandlungstag in der Hauptverhandlung angekündigt, er werde in der Folgewoche – also in der Zeit vom 20.02.17 bis zum 24.02.17 – einen Beweisantrag stellen. Am 347. Hauptverhandlungstag konnte die Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. Saß nicht fortgesetzt werden, da die Rechtsanwälte Heer, Stahl und Sturm mitteilten, sie könnten derzeit keine Fragen an den Sachverständigen stellen, da der angekündigte Beweisantrag von Rechtsanwalt Borchert der Befragung vorgreiflich sei. Am 349. Hauptverhandlungstag teilte Rechtsanwalt Grasel, ein Verteidiger der Angeklagten Zschäpe, mit, der von Rechtsanwalt Borchert angekündigte Beweisantrag könne aus „organisatorischen Gründen“ derzeit nicht gestellt werden. Die Rechtsanwälte Heer Stahl und Sturm erklärten daraufhin, sie wollten vor der Befragung des Sachverständigen Prof. Dr. Saß durch sie erst den angekündigten Beweisantrag abwarten. Rechtsanwalt Grasel teilte zusätzlich auf Nachfrage mit, der Beweisantrag werde gestellt, sobald ein „letzter Aspekt geklärt“ sei. Ein Datum könne er aber nicht nennen. Der von Rechtsanwalt Borchert angekündigte Beweisantrag wurde von Rechtsanwalt Grasel erst am 30.03.17 in der Hauptverhandlung gestellt und lag daher zum Zeitpunkt des Erlasses der beanstandeten Verfügung am 07.03.17 noch nicht vor.

(4) Die weiteren von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei einer Fristsetzung vorgesehenen Hinweise wurden in der beanstandeten Verfügung erteilt.
b. Ein Ermessensmissbrauch liegt in der Verfügung, eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen zu setzen, nicht.
i. Die Leitung der Verhandlung und damit auch die Entscheidung, ob den Verfahrensbeteiligten eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen mit den im Falle der Verfristung beschriebenen Folgen gesetzt wird, obliegt nach § 238 Absatz 1 StPO dem Vorsitzenden. Er muss hierbei den Erfordernissen einer zweckmäßigen und zügigen Verfahrensabwicklung Rechnung tragen; dabei hat er sich von dem Ziel der bestmöglichen Sachaufklärung und einer fairen Verhandlungsführung leiten zu lassen, die den Verfahrensbeteiligten Raum für die sachgerechte Wahrnehmung ihrer Verfahrensbefugnisse lässt.
ii. Ein Ermessensmissbrauch bei der Fristsetzung ist nicht erkennbar:
(1) Der Umstand, dass bislang über 355 Hauptverhandlungstage durchgeführt wurden, dass in diesem Verfahren insgesamt über 70 potentielle Beweisantragsteller beteiligt sind und dass trotz einer am 01.12.16 ergangenen Aufforderung zur „gesammelten und zügigen“ Stellung von Beweisanträgen zahlreiche Beweisanträge gestaffelt bzw. ein Mitte Februar 2017 angekündigter
Beweisantrag erst am 30.03.17 gestellt wurde, lassen eine Fristsetzung im Interesse der Beschleunigung als sachgerecht erscheinen.

(2) Die Fristsetzung kam für die Verfahrensbeteiligten auch nicht überraschend: a) Es wurde im Laufe der Hauptverhandlung eine umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt. Die in den letzten Monaten erfolgten Beweiserhebungen beruhten in der Regel auf Beweisanträgen der Verteidigung oder der Nebenklage oder haben sich aufgrund der durchgeführten Beweiserhebung ergeben. Die Anhörung des psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. Saß erfolgte vom 17.01.17 bis zum 22.02.17 an insgesamt 10 Terminen. Die Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe zu § 105 JGG im Hinblick auf den Angeklagten Schultze wurde am 21.02.17 in die Hauptverhandlung eingeführt. Diese genannten Elemente des Strafprozesses werden üblicherweise erst zum Ende der Beweisaufnahme durchgeführt. Für die Verfahrensbeteiligten war danach bereits seit mehreren Wochen erkennbar, dass die erfolgte Beweisaufnahme auf den gestellten Beweisanträgen basiert und sich das Beweisprogramm des Senats seinem Ende nähert. b) Am 01.12.16 wurden die Verfahrensbeteiligten, wie bereits dargestellt, aufgefordert, weitere beabsichtigte Beweisanträge gesammelt und zügig zu stellen. Das in der Aufforderung verwendete Wort „bitte“ wurde aus Gründen der Höflichkeit gebraucht. Rechtsanwalt Prof. Behnke fasste am 01.12.16 die Aufforderung auch in der Hauptverhandlung dergestalt zusammen, er verstehe die Aufforderung des Vorsitzenden, Beweisanträge zu stellen, so, dass das Ende der Beweisaufnahme sichtbar sei. Zudem wurde in der Haftentscheidung vom 21.12.16, die allen Verfahrensbeteiligten im Rahmen der Akteneinsicht zugänglich gemacht wurde, ausdrücklich ausgeführt, der Vorsitzende habe die Prozessbeteiligten am 01.12.16 aufgefordert, etwa noch vorgesehene Beweisanträge zügig und gesammelt zu stellen. Damit ist nochmals ausdrücklich die erfolgte Aufforderung betont und deren Bedeutung unterstrichen worden. Es ist daher weder plausibel noch nachvollziehbar, wenn in der Beanstandung nun behauptet wird, diese „Bitte“ sei trotz des geschilderten Hintergrunds lediglich als unverbindliche Äußerung des Vorsitzenden verstanden worden.

c) Aus der als „höchstvorsorglich“ bezeichneten weiteren Terminierung der Hauptverhandlung bis Januar 2018 ergibt sich kein Vertrauenstatbestand darauf, dass die Hauptverhandlung tatsächlich so lange dauern werde bzw. dass die Hauptverhandlung jedenfalls noch nicht die Endphase erreicht hat. Das ergibt sich schon aus der Verwendung des Ausdrucks „höchstvorsorglich“. Dass bei einem Verfahren dieser Größe mit fünf Angeklagten, vierzehn Verteidigern, sechzig Nebenklagevertretern und über neunzig Nebenklägern das Verfahren nach Schließen der Beweisaufnahme nicht innerhalb weniger Wochen beendet sein wird, liegt auf der Hand. Schon zur Sicherung des Verfahrens war es unumgänglich, auch für die Zeit ab September 2017 eine Terminierung vorzunehmen. Für jeden Verfahrensbeteiligten ist auch ersichtlich, dass zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht vorhergesagt werden kann, wie sich das Verfahren bis zu und nach einer eventuellen Schließung der Beweisaufnahme in zeitlicher Hinsicht entwickeln wird. Dass vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die erfolgte Beweisaufnahme der letzten Wochen ein Prozessbeteiligter davon ausgehen konnte, die Erledigung des Beweisprogramms stünde noch in weiter Ferne, ist nicht nachvollziehbar.

2. Der Vorsitzende hat den Verfahrensbeteiligten die am 07.03.17 in einer weiteren Verfügung gesetzte Frist zur Stellungnahme hinsichtlich der Behandlung von Beweisanträgen nunmehr verlängert bis zum 17.05.17:
a. Es ist weder ersichtlich noch wurde vorgetragen, dass die befristete Gewährung der Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer gerichtlichen Feststellung gegen gesetzliche Vorschriften oder ungeschriebene Verfahrensgrundsätze verstoßen würde.
b. Ein Ermessensmissbrauch liegt nicht im Einräumen einer befristeten Gelegenheit zur Stellungnahme: i. Die Leitung der Verhandlung und damit auch die Entscheidung, ob den Verfahrensbeteiligten befristet die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt wird, obliegt nach § 238 Absatz 1 StPO dem Vorsitzenden. Er muss hierbei den Erfordernissen einer zweckmäßigen und zügigen Verfahrensabwicklung Rechnung tragen; dabei hat er sich von dem Ziel der bestmöglichen Sachaufklärung und einer fairen Verhandlungsführung leiten zu lassen, die den Verfahrensbeteiligten Raum für die sachgerechte Wahrnehmung ihrer Verfahrensbefugnisse lässt. ii. Die Gewährung der Gelegenheit zur Stellungnahme auf eine gerichtliche Feststellung beruht auf dem Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör und ist daher nicht unzulässig. Das Setzen einer Frist dient der zügigen Verfahrensabwicklung und ist damit im Hinblick auf den bereits dargestellten Stand des Verfahrens sachgerecht.

3. Der Vorsitzende hat den Verfahrensbeteiligten die am 07.03.17 gesetzte Frist hinsichtlich beider Verfügungen nunmehr verlängert bis zum 17.05.17. Diese Frist ist sachgerecht und nicht unverhältnismäßig kurz. a. Die Frist ist nunmehr, ausgehend vom Tag des Erlasses der Verfügungen am 07.03.17, auf 10 Wochen bemessen worden. b. Nach dem Erlass der Verfügungen am 07.03.17 bis zum Fristablauf wurden von den zunächst geplanten 15 Hauptverhandlungstagen, die von den Verfahrensbeteiligten grundsätzlich zur Teilnahme an der Hauptverhandlung freizuhalten waren, wurden bislang – nach dem Stand vom heutigen Tag – nur sieben durchgeführt. Es sind damit acht geplante Hauptverhandlungstage entfallen. Damit wurde auch unter Berücksichtigung der Tätigkeiten der Antragsteller in den Befangenheitsverfahren für die Verfahrensbeteiligten zusätzliche Arbeitszeit gewonnen, die zur Reaktion auf die ergangenen Verfügungen genutzt werden konnte. c. Wie bereits ausgeführt, war es seit längerem erkennbar, dass die nach derzeitigem Stand vom Gericht durchzuführende Beweisaufnahme ihrem Ende zuging, so dass sich die Verfahrensbeteiligten auf diese Prozesssituation einstellen konnten. d. Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass zwei befristete Verfügungen ergingen, erscheint ein Zeitraum von 10 Wochen für die Auseinandersetzung mit den Verfügungen vor allem vor dem Hintergrund der Anforderung vom 01.12.16 und des Umstands, dass die Angeklagte Zschäpe von fünf Rechtsanwälten, der Angeklagte Wohlleben von drei Rechtsanwälten und die Angeklagten Eminger, Gerlach und Schultze von je zwei Rechtsanwälten verteidigt werden, als sachgerecht. Sie ist aus den aufgeführten Gründen nicht unverhältnismäßig kurz.
4. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände liegt eine „Unzulässigkeit“ der vom Vorsitzenden getroffenen Verfügungen im Sinne des § 238 Absatz 2 StPO nicht vor. Dies gilt auch für die Länge der gesetzten Fristen. Die Verfügungen des Vorsitzenden waren daher zu bestätigen.

Götzl: „Wir würden jetzt nochmal aus organisatorischen Gründen unterbrechen.“

Um 16:46 Uhr geht es weiter. Götzl: „Sind dann für heute noch Erklärungen oder Anträge? Keine? Dann wird unterbrochen, wir setzen morgen um 09:30 Uhr fort.“ Der Verhandlungstag endet um 16:47 Uhr.

Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Zu Beginn des Verhandlungstages nahm die Bundesanwaltschaft Stellung zum Antrag der Verteidigung, den Gutachter Prof. Faustmann zu vernehmen. Der Antrag sei abzulehnen, kurz gesagt weil die ‚methodenkritischen‘ Ausführungen Faustmanns keine Zweifel an der Kompetenz des vom Gericht gehörten Sachverständigen Saß und der Belastbarkeit von dessen Gutachten aufwerfen. Es folgte ein längerer unwürdiger Austausch zwischen den Zschäpe-VerteidigerInnen Heer, Stahl und Sturm, die eine Abschrift dieser Stellungnahme haben wollten, weil sie – wieder einmal und wieder einmal anscheinend als einzige – nicht mitgekommen waren, und der Bundesanwaltschaft, deren Vertreter Diemer sich zu der Äußerung verstieg, wenn die Bundesanwaltschaft Stellungnahmen verlese, habe die Verteidigung still zuzuhören und nicht zu unterbrechen. Am Ende durften die Verfahrensbeteiligten einmal wieder über vier Stunden warten, bis die Bundesanwaltschaft ihre handschriftlichen Aufzeichnungen getippt, die VerteidigerInnen diese gelesen und hierauf eine Erwiderung erstellt hatten. […] Der Vorsitzende hat […] angedeutet, dass das Gericht der Auffassung der Bundesanwaltschaft zuneigt – nicht überraschend, stellt doch das ‚methodenkritische Gutachten‘ Faustmanns, das vorab übersandt wurde, eher eine Ansammlung von kritischen Detailanmerkungen dar, die das Gutachten Saß‘ in der Tat nicht ansatzweise in Frage stellen.“
https://www.nsu-nebenklage.de/blog/2017/04/26/26-04-2017/

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