Keine Einzeltat – keine Einzeltäter. NSU-Watch beobachtet den Prozess gegen Stephan Ernst und Markus H. — Statement vom 15. Juni 2020.

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Knapp zwei Jahre nach Ende des NSU-Prozesses beginnt morgen in Frankfurt (Main) der Prozess gegen Stephan Ernst und Markus Hartmann, die unter anderem für den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke am 2. Juni 2019 verantwortlich sein sollen. Caro Keller von NSU-Watch erklärt dazu: „Wäre der NSU-Komplex aufgeklärt worden, wäre das Neonazi-Netzwerk aufgedeckt und entwaffnet und der Verfassungsschutz abgeschafft worden – Walter Lübcke könnte heute vielleicht noch leben. Stattdessen ging vom NSU-Prozess ein Signal aus, dass die terroraffine Neonazi-Szene noch ermutigt haben muss.“

Foto: Protestfotografie.Frankfurt

„Lehren aus dem NSU-Komplex müssten sein, die Betroffenen ernst zu nehmen, die Gefahr rechter Gewalt nicht zu unterschätzen und für eine breite Aufklärung rechtsterroristischer Attentate zu sorgen, um neue Morde zu verhindern. Neun Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU wiederholt sich heute leider vieles, was wir schon aus dem NSU-Komplex kennen.“, so Keller weiter. Der Nebenkläger Ahmad E. versuchte auf ein mögliches rechtes Motiv für den Angriff auf ihn aufmerksam zu machen. Die Behörden befragten zwar Stephan Ernst, ermittelten jedoch nicht intensiv – die Tatwaffe wurde erst nach dem Mord an Walter Lübcke gefunden. Der Verfassungsschutz gab 2015 – der NSU war längst bekannt – nicht sein gesamtes Wissen über Markus H. preis, weswegen das Verwaltungsgericht Kassel diesem in einem waffenrechtlichen Verfahren Recht gab. H. durfte Waffen besitzen und teilte diese mutmaßlich auch mit Ernst. Der Mord an Walter Lübcke ist auch Folge der rechten und rassistischen Mobilisierung der letzten Jahre, die bundesweit Rechte zu Gewalttaten anspornte. Caro Keller: „In der Anklage des Generalbundesanwalts spielen die Hintergründe des Mordes an Walter Lübcke keine Rolle, sie verengt erneut den Blick und geht von Einzeltätern aus. Das ist im Hinblick auf das gefährlich bleibende Netzwerk und Milieu, aus dem die mutmaßlichen Täter stammen, fahrlässig.“

Der Prozess in Frankfurt und der Untersuchungsausschuss in Wiesbaden müssen in den nächsten Monaten ihrer Verantwortung für eine lückenlose Aufklärung nachkommen. „Der Mord an Walter Lübcke ist Teil einer Serie von Gewalttaten, die Ende der 1980er ihren Anfang nahm. Die Angeklagten im Frankfurter Prozess waren eingebettet in ein Neonazimilieu in Kassel und Hessen, das stets zur Unterstützung rechtsterorristischer Taten bereit ist. Es muss sichergestellt werden, dass diese Serie aufgearbeitet und gestoppt wird.“

NSU-Watch beobachtet den Prozess in Frankfurt und den Untersuchungsausschuss in Wiesbaden. Caro Keller: „Wir lernen immer wieder, dass wir uns, entgegen aller Versprechen, auf staatliche Institutionen nicht verlassen können, wenn es um die Aufklärung und Verhinderung von rechtem Terror geht. Daher werden wir die staatliche Untersuchung des Mordes an Walter Lübcke kritisch begleiten, rufen zu antifaschistischer Aufklärungsarbeit auf und werden diese vorantreiben.“

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