5. Verhandlungstag im Prozess zum antisemitischen und rassistischen Anschlag von Halle. Montag, 03.08.2020 – Zusammenfassender Bericht

0

Am Montag, den 3. August, wird im Gebäude des Landgerichtes Magdeburg die Hauptverhandlung gegen den Attentäter von Halle fortgesetzt Der Termin ist lediglich einstündig angesetzt, bevor der Prozess danach bis zum 25. August pausiert. Gegenstand des kurzen Prozesstages ist zum einen ein Gutachten des Kriminaltechnischen Instituts des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden über die bei dem Anschlag genutzten Waffen. Im weiteren Verlauf ordnet die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens ein Selbstleseverfahren für Urkunden und Vermerke zu diversen Sachverhalten an, welches in einer Erklärung aus der Nebenklage kritisiert wurde.

Die Vorsitzende Richterin verliest ein Gutachten des Kriminaltechnischen Instituts des BKA. Inhalt des kriminaltechnischen Gutachtens ist die Wirkungsbegutachtung der beim Anschlag genutzten Waffen im Vergleich zu handelsüblichen Waffen. Gegenstand der Untersuchung waren dabei drei von dem Angeklagten selbst hergestellte Waffen: eine Maschinenpistole, eine Pistole sowie eine Flinte. Laut Gutachten wurden die Untersuchungen unter anderem auf Grundlage von Schusstests auf ballistische Gelatineblocks durchgeführt, die menschliches Gewebe nachbilden sollen. Ergebnis der Untersuchung sei gewesen, dass die Wirkung zweier Waffen leicht unterhalb der Wirkung von vergleichbaren handelsüblichen Waffen liege, jedoch in derselben Größenordnung. Einzig die Wirkung der dritten Waffe habe deutlich unterhalb der Wirkung einer handelsüblichen Waffe gelegen. Für alle drei Waffen lasse sich laut Gutachten jedoch festhalten, dass mit potenziell tödlichen Verletzungen gerechnet werden könne.

Nach einer Unterbrechung der Verhandlung führt die Vorsitzende Richterin mit der Ankündigung fort, dass sie beabsichtige, ein umfangreiches Selbstleseverfahren anzuordnen. Beim sogenannten Selbstleseverfahren nehmen die Verfahrensbeteiligten Aktenbestandteile, die als Beweismittel dienen sollen, selbstständig zur Kenntnis beziehungsweise erhalten die Gelegenheit dazu. Diese Aktenbestandteile werden also nicht – wie etwa das kriminaltechnische Gutachten zuvor – in der öffentlichen Hauptverhandlung verlesen. Mertens gibt nach der Ankündigung des Selbstleseverfahrens Gelegenheit zu Stellungnahmen. Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann gibt daraufhin eine Erklärung der am Prozesstag nicht persönlich anwesenden Nebenklageanwältin Antonia von der Behrens ab. RA Hoffmann selbst und eine Reihe weiterer Nebenklagevertreter*innen schließen sich dieser Erklärung an. In der Erklärung heißt es, dass die Hauptverhandlung durch das Selbstleseverfahren abgewertet werde, da wichtige Ermittlungserkenntnisse aus dem öffentlichen Teil der Verhandlung ausgegliedert würden. Aufgrund des Ausmaßes der antisemitischen und rassistischen Tat bestehe jedoch zu Recht großes inländisches sowie ausländisches Interesse. Weiter wird ausgeführt, dass viele Erkenntnisse bisher nur in Vernehmungen im Beisein des Angeklagten und der Vernehmungsbeamten verhandelt und ausgetauscht worden seien. Von daher sei es – schon aufgrund sonst fehlender öffentlicher Kontrolle – wichtig, in öffentlicher Hauptverhandlung auf die Ermittlungsergebnisse einzugehen und umfassende Vermerke und Urkunden zu zentralen Ermittlungserkenntnissen nicht durch ein Selbstleseverfahren der Öffentlichkeit zu entziehen.

Weiter werden in der Erklärung konkrete Vermerke und Urkunden benannt, welche zum Bestandteil der öffentlichen Hauptverhandlung gemacht werden sollten, anstatt im Selbstleseverfahren eingeführt zu werden. Hierunter sind Vermerke zu Erkenntniszusammenstellungen zur Vortatphase, zu Erkenntnissen zu sonstigen Personen und möglichen Unterstützer*innen des Angeklagten sowie zu Erkenntnissen über das Internetverhalten des Angeklagten. Ebenso müssten laut Erklärung die Übermittlungsschreiben mit Erkenntnissen über den Angeklagten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) sowie des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) an das BKA öffentlich verlesen werden. Weiter führte die Erklärung eine Vielzahl von Urkunden und Vermerken auf mit Bezug zu den Tatorten und der nachträglichen Sicherungsarbeit der Polizei. Darunter auch Urkunden über das molekulargenetische Material „unbekannter Personen“ an sichergestellten Asservaten und zur Arbeit der Einsatzkräfte in der Wohnung des Angeklagten.

Die Bundesanwaltschaft, am 5. Verhandlungstag vertreten durch den Oberstaatsanwalt Schmidt, erklärt, dass es aus Sicht der Bundesanwaltschaft keine Bedenken gegen die Anordnung des Selbstleseverfahrens gebe.

Die Vorsitzende Richterin ordnet schließlich das Selbstleseverfahren an, erklärt jedoch, dass dies nicht ausschließe, dass als relevant betrachtete Urkunden und Vermerke zusätzlich auch in der Hauptverhandlung verlesen werden könnten. Anträge seien bezüglich konkreter Sachverhalte weiter möglich. Abschließend gibt Mertens bekannt, dass am 13. Oktober die mündliche Erstattung des psychiatrischen Gutachtens durch Prof. Leygraf erfolgen solle. Danach könne die Beweisaufnahme theoretisch geschlossen werden, dennoch seien vorsichtshalber bereits weitere Termine im Oktober geblockt worden.

Auch am 5. Prozesstag organisierten Aktivist*innen vor dem Gerichtsgebäude in der Halberstädter Straße erneut eine Mahnwache unter dem Motto „Solidarität mit den Betroffenen – Keine Bühne dem Täter“.