Im 2. NSU-Prozess, dem Prozess gegen Susann Eminger vor dem Oberlandesgericht (OLG) Dresden, sagten heute Nachbar*innen des NSU-Kerntrios aus dessen Zeit in der Polenzstraße und der Frühlingsstraße in Zwickau aus.
Zeug*innen:
- Martin F. (Nachbarschaft Polenzstraße)
- Katrin F. (Nachbarschaft Polenzstraße)
- Olaf B. (Nachbarschaft Frühlingsstraße)
- Heike Ku. (Nachbarschaft Polenzstraße)
- Uwe S. (Nachbarschaft Polenzstraße, Hausmeister)
Der Beginn des heutigen Verhandlungstages verzögert sich, weil der erste Zeuge nicht zum Prozessgebäude des OLG gefahren ist, sondern zum „Ständehaus“ in der Dresdener Altstadt, in dem das OLG eigentlich untergebracht ist. Später stellt sich heraus, dass gleich mehrere Zeug*innen zunächst zur falsc
hen Adresse gefahren sind. Der Zeuge Patrick Ku., der heute nicht erschienen ist, wird auf einen anderen Prozesstag umgeladen.
Um 9:36 Uhr beginnt dann der Verhandlungstag mit dem Zeugen Martin F. Dieser wohnte zeitweise in der Wohnung über der Erdgeschosswohnung des NSU-Kerntrios in der Polenzstraße 2 in Zwickau. Der für den Prozess gegen Susann Eminger wichtigste Punkt bei der Befragung von F. ist ein Wasserschaden in der Wohnung der F.s, der sich auf die darunter liegende Küche des NSU-Kerntrios auswirkte. Martin F. hatte damals den Sohn der Zeugin Heike Ku. im Verdacht, den Wasserhahn in der Wohnung der F.s aufgedreht zu haben. Wegen dieses Sachverhalts kam es zur polizeilichen Vernehmung Zschäpes, bei der sie als „Susann Eminger“ auftrat, begleitet von André Eminger.
Der Zeuge Martin F. zeigt bei seiner Befragung große Erinnerungslücken bezüglich des mittlerweile fast 20 Jahre zurückliegenden Zeitraums, in dem er in der Polenzstraße 2 wohnte. Allerdings zeigte er diese Lücken auch schon 2013 bei seiner Aussage im Münchener NSU-Prozess. F. berichtet, dass ihnen berichtet worden sei, dass bei Zschäpe Wasser in der Küche sei. Die Frage, ob er die Person damals schon unter dem Namen Zschäpe kannte, sagt F., die habe „Dietz“ geheißen oder so. Später sagt er auf Nachfrage, dass es der Name „Lisa Dienelt“ gewesen sein könne. Zschäpe habe sich ihm selbst nicht vorgestellt, aber im Haus habe es geheißen, dass das ihr Name ist. Sie hätten sich den Wasserschaden in der Küche anschauen können, so F., er selber sei aber nur in der Küche gewesen, nicht in anderem Räumen der Wohnung. Es habe sich um eine „normale Küche“ gehandelt, so F. Er sei nur das eine Mal in der Wohnung gewesen, sonst habe er Zschäpe nur im Treppenhaus getroffen: „Guten Tach, auf Wiedersehen.“ Als sie selbst dort eingezogen seien, habe Zschäpe schon da gewohnt. Mit Namen angesprochen habe er sie nicht. F.: „Wenn man sie getroffen hat, war sie freundlich.“ Zschäpe habe mit ihrem Freund oder Mann dort gewohnt. Das habe Zschäpe ihm gesagt, berichtet der Zeuge. Den Freund habe er insgesamt vielleicht sechs Mal gesehen. Eine dritte Person habe er nicht wahrgenommen. Er wisse nur, so F:, dass ein „dritter Mann“ ab und zu Computer mit dem Freund gespielt habe. F. berichtet, dass der Freund „Ballerspiele“ gespielt habe und deswegen die Wohnung gedämmt worden sei. Außerdem berichtet er von einem Wohnmobil vor der Tür. Erst auf Nachfrage berichtet F., dass das Wohnmobil immer wieder mal vor dem Haus gestanden habe und es geheißen habe, dass sie damit an die Ostsee in den Urlaub fahren würden. Auch bei seiner heutigen Befragung äußert F. bezüglich des Wasserschadens den Verdacht gegen den „Jungen von der Nachbarwohnung“, der habe einen Schlüssel gehabt und der habe in jede Wohnung gepasst.
Katrin F., die frühere Partnerin des ersten Zeugen, erinnerte sich bei ihrer dann folgenden Befragung deutlich besser als dieser. Sie beschrieb Zschäpe, die sie unter dem Tarnnamen „Dienelt“ (heute ebenfalls als „Dietz“ erinnert) kannte, als freundlich, hilfsbereit und höflich. „Sie kam mir eigentlich immer ordentlich rüber“, so die Zeugin über Zschäpe. Zschäpe habe auch mal Nachbar*innen durch Einkäufe unterstützt, so F., wenn diese finanzielle Probleme gehabt hätten. Sie selber, so F., habe jedoch keine Unterstützung erhalten. Man habe damals auch mal draußen gesessen und sich unterhalten, aber „dass es sich so entpuppt, das wussten wir alles nicht“. Zschäpe sei ja immer nett gewesen, eine rechte Gesinnung habe sie nicht wahrgenommen, so F.
In der Befragung von Katrin F. geht es u.a. um die beiden Mitbewohner Zschäpes, die laut Katrin F. „ein bisschen komisch“ gewesen seien, ebenfalls um ein Wohnmobil vor dem Haus und sechs- bis siebenwöchigen Urlaub „an der See“ sowie darum, dass die Männer ein Zimmer in der Wohnung gedämmt hätten, weil sie „Ballerspiele“ gespielt hätten. In Bezug auf den Wasserschaden berichtet Katrin F., dass sie vom Vermieter angerufen worden seien, dass oben Wasser runterlaufe. Sie hätten auch nicht gewusst, wer das aufgedreht hat, so F. Sie hätten dann dorthin gemusst und die Wohnung habe unter Wasser gestanden habe. Sie hätten alles trockenlegen müssen und damit auch sehr viel Stress gehabt. F.: „Frau Zschäpe hat uns nur in die Küche gelassen, in die anderen Zimmer durften wir nicht rein.“ Katrin F. berichtet auch davon, dass es geheißen habe, dass die beiden Männer beim Vater in der Computerfirma arbeiteten. Die seien immer mit dem Fahrrad weggefahren.
Es folgt Zeuge Olaf B., Nachbar des NSU-Kerntrios in der Frühlingsstraße. B. wohnte in der anderen Hälfte des Hauses Frühlingsstraße 26. In der Haushälfte des NSU-Kerntrios gab es laut B. keine anderen Bewohner*innen, in seiner Hälfte dagegen schon. Die drei Personen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt hätten dort gewohnt, seien dort regelmäßig ein- und ausgegangen. Bei ihrer Wohnung hätten die aus zwei Wohnungen eine große Wohnung gemacht. Im Erdgeschoss seiner Hälfte sei ein leerstehender Laden gewesen, in der anderen ein leerstehendes Restaurant. B. berichtet, dass er gern mit Freunden zum „Feierabendbierchen“ zusammen gesessen habe. Wenn die „beiden Männer“ mal nicht da waren, stieß auch Zschäpe (die B. unter dem Namen „Dienelt“ kannte und „Diddl Maus“ nannte) dazu. Zschäpe habe dann kein Bier, sondern ein „Weinchen“ getrunken, so Zeuge B. heute. Dass den Raum, in dem man sich traf, ein Hitlerbild ‚zierte’, kam heute nicht zur Sprache – in München hatte B. dafür die abstruse Begründung geliefert, dabei handele es sich um ein Andenken an einen Freund gewesen.
Zu den Männern habe er fast gar keinen Kontakt gehabt, die hätten sich aufs Fahrrad gesetzt und seien woanders hingefahren. Auf den Vorhalt, dass er in seiner polizeilichen Vernehmung angegeben habe, dass die beiden ihr Freund und dessen Bruder gewesen seien, sagt Olaf B.: „Wenn ich das damals gesagt habe. Ihr Bruder oder dessen Bruder, irgendwas war mit Bruder.“ Es hätten auch Wohnmobile da gestanden, das sei dann für ihn das Zeichen gewesen, dass sie wieder in Urlaub fahren. Das letzte, was da stand, habe ein Vogtländer Kennzeichen gehabt. Auf Vorhalt, dass das in der die letzte Woche vor der Explosion am 4. November 2011 gewesen sein solle, sagt B.: „Wenn ich das damals gesagt habe.“ B. war es heute besonders wichtig zu betonen, dass ihm in Folge des „ganzen Krawumms“ am 4. November 2011 seine Wohnung genommen worden sei – und zwar nicht von Zschäpe, sondern vom Freistaat Sachsen, der das Gebäude habe abreißen lassen. Das sei ein Einschnitt gewesen, so B., „aber ich habe es überlebt“.
Es geht im Folgenden um weitere frühere Aussagen von Olaf B., dass Zschäpe von zu Hause aus gearbeitet habe und die Männer Autos überführen würden. B. kann sich nicht mehr an die Aussagen erinnern, die Männer seien aber viel unterwegs gewesen: „Würde das nicht leugnen, was ich damals gesagt habe, zeitnah.“ Olaf B. sagte auch heute aus, dass Zschäpe in der Frühlingsstraße von einer Frau, einem Mann und zwei Kindern besucht worden sei. An seine früheren Aussagen, dass Zschäpe die Frau ihm gegenüber als ihre Schwester bezeichnet habe, will B. sich heute nicht erinnern. Zur früheren Aussage, dass er erfahren habe, dass „Schwester“ donnerstags gekommen sei und dort auf die Kinder gewartet habe, sagt B.: „Wenn das da in den Protokollen steht, dann habe ich das auch so gesagt.“
B. werden im Laufe seiner Vernehmung Fotos vorgehalten, die ihm bereits in seiner polizeilichen Vernehmung gezeigt worden waren. Auch heute erkannte er auf einem Bild André Eminger anhand von dessen Tätowierungen als „den männlichen Part der Frau, die mit da war, mit den zwei kleinen Kindern“. Bei einem Bild von Susann Eminger sagt er, das könne die Frau gewesen sein; das mache er an den Haaren fest.
Heike Ku. wohnte in dem Haus in der Polenzstraße, als auch das Kerntrio dort wohnte. Im November 2011 sei herausgekommen, dass „unsere angebliche Freundin“ in dem Haus (gemeint: in der Frühlingsstraße) „eine Bombe gelegt haben soll oder so was“. Ku.: „Wir sind alle vom Glauben abgefallen.“
Ku. berichtet, dass die Person bei ihnen „Lisa“ geheißen und im Erdgeschoss gewohnt habe. Die sei dann umgezogen, aber auch danach öfters mal zu Besuch gekommen auf eine Stunde oder zwei. Ku.: „Sie hat sich so bedeckt gehalten, im Nachhinein sagen wir uns: Warum haben wir nicht mal nachgefragt? Aber wollten wir da wohl nicht.“ Zu dem Namen „Lisa“ sei es gekommen, so Ku., weil ihre eigene Tochter Lisa heiße und sie sie mal gerufen habe und dann habe Zschäpe von „Namensvetterin“ gesprochen und seitdem habe Zschäpe bei ihnen „Lisa“ geheißen: „Am Klingelschild stand, glaube, Dienel oder Dienelt.“ Auf Nachfrage, ob im Zusammenhang mit dem Wasserschaden noch ein anderer Name genannt worden sei, sagt B.: „Ach, Susann!“ Der Name sei bei dem Wasserschaden gefallen, aber genau wisse sie das nicht: „Für mich ist das alles abgeschlossen, wollte auch keinen Brief mehr bekommen wegen der Frau.“ (Gemeint ist vermutlich die Zeuginnenladung.) Ku. berichtet davon, dass man zusammen im Hof gesessen habe und auch mal „Lisa“ dabei gewesen sei, Privates habe man von ihr aber nicht erfahren.
Die „zwei Uwes“ hätten sie „mit dem Fahrrad mal raushuschen und reinhuschen“ gesehen. Auch Ku. berichtet von finanzieller Unterstützung durch Zschäpe, die habe ihren Kindern zum Beispiel Spielzeug gekauft: „Die hatte immer Geld. Egal an welchem Tag des Monats sie kam, hat sie gesagt, komm wir machen mal einen schönen Abend. Im Nachhinein wundere ich mich, dass nicht einer von uns mal gefragt hat: Wie machst du das?“ Wo die zwei Männer gearbeitet hätten, könne sie nicht sagen, so Ku. Einmal im Sommer habe sie auch ein Wohnmobil gesehen, da habe es geheißen, dass die Drei gerade aus dem Urlaub zurückgekommen seien. Ku. wird vorgehalten, dass sie früher ausgesagt habe, dass sie im Sommer 2008 ein zweites Mal ein Wohnmobil gesehen habe, aber das habe nichts mit Urlaub zu tun gehabt. Ku.: „Stand es vielleicht auf der Straße, einfach so?“
Ku. bestätigt im Rahmen ihrer Vernehmung, dass Zschäpe ihr von einer Freundin erzählt habe, die Kinder habe. Eines der Kinder habe Zschäpe als ihr Patenkind bezeichnet. Diese Freundin habe sie nur einmal gesehen, so Ku. In ihrer polizeilichen Vernehmung steht, Ku. habe gesagt, dass es sich bei dieser Freundin um „Susann aus Planitz“ handele. Daran will sie sich heute nicht so recht erinnern, sie habe weder den Namen gekannt noch von Planitz gewusst. Ku. schwankte in ihrer Aussage heute aber sehr, gab dann zum Beispiel doch an, schon damals mal von Planitz gehört zu haben im Zusammenhang mit Zschäpes Freundin. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung hatte sie aus einer Reihe von Fotos das Foto von Susann Eminger als eines der Freundin von Zschäpe benannt. Diese Lichtbilder werden Ku. heute vom Senat in Dresden erneut vorgelegt – in schlechter Qualität. Ku. gibt an, die Frauen auf den Fotos sähen alle gleich aus. Zu dem Foto, das Eminger zeigt, sagt sie jedoch, das könne vielleicht die Freundin sein, wegen des schmalen Gesichts und der langen Haare. Gezeigt wurde Ku. auch ihre Unterschrift unter dem Vernehmungsprotokoll. Dazu gab sie an, dass das ihre Unterschrift sei. Auf Frage von Susann Emingers Verteidiger RA König, ob sie das komplette Vernehmungsprotokoll gelesen habe vor der Unterschrift sagt Ku.: „Nee, ich glaube nicht, sag ich mal in den Raum rein.“
Ku. berichtet ähnlich wie in München auch, dass Zschäpe sie wenige Tage vor dem 4. November 2011 besucht und sich anders verhalten habe. Zschäpe, so Ku. heute, habe gesagt, sie wolle sich verabschieden, wisse nicht, ob man sich nochmal wiedersehen werde, und sei dann gegangen, ohne diese Äußerung zu erklären.
Als letztes wird heute der Zeuge Uwe S. gehört. S. wohnte in der Nähe des Hauses Polenzstraße 2 und war zeitweise Hausmeister dieses Hauses. Der Zeuge konnte sich nur schlecht erinnern. Er berichtete davon, dass er sich den Wasserschaden in der Küche des NSU-Kerntrios angeschaut habe, weiter sei auch er nicht in die Wohnung gelassen worden. Es sei eine „normal eingerichtete Küche“ gewesen. S.: „Anwesend war niemand, bloß die Dame, die Beate. Habe mir das bloß angeguckt, damit ich das weiterleiten kann und bin wieder raus.“ Er habe die Frau zu dem Zeitpunkt nicht gekannt, erläutert S.: „Wenn man als Hausmeister im Garten war oder so, ist sie mal vorbei gelaufen, aber Verbindung hatte ich keine. Habe aber auch mal mit ihr gesprochen, klar. Über Wohnverhältnisse hat sie nichts groß erzählt, sie wär Studentin, so hieß es damals.“ S. berichtet auch von einer männlichen Person, die er ab und zu gesehen habe, „wenn er rein und raus gelaufen ist“. Auf den Vorhalt, dass im Urteil aus dem Münchener Prozess stehe, dass S. angegeben habe, der Freund von Beate habe auswärts gearbeitet, sagt S., daran erinnere er sich nicht.
Der 6. Verhandlungstag im 2. NSU-Prozess endet um 13:18 Uhr.
Die Zeug*innen konnten sich heute an vieles nicht mehr erinnern, dennoch bestätigten sie unterschiedliche Punkte aus ihren – lange zurückliegenden – Vernehmungen bei der Polizei und in München, die gegen die heutige Angeklagte sprechen. In unserem Buch „Aufklären und Einmischen“ (hier bestellen) schreiben wir, dass im Münchener Prozess von den Zeug*innen aus der Nachbarschaft des NSU-Kerntrios „keine Empathie für die Opfer“ geäußert wurde. Das setzte sich heute fort, besonders deutlich beim Zeugen B., der sich wegen des Abrisses des Hauses in der Frühlingsstraße 26 fast schon selbst als Opfer darstellte und die Verantwortung dafür auch noch dem Freistaat Sachsen zuwies, nicht Zschäpe oder dem NSU. Immerhin aber gab es heute keine rassistische Äußerungen. Der Zeuge F. hatte bei seiner Aussage in München gesagt, dass Zschäpe zu der vietnamesischen Familie im Haus keinen Kontakt gehabt habe, er selber aber auch nicht. F. damals: „Was soll ich mich da unterhalten, es gab ja keinen Gesprächsstoff. (…) Mir ist das vollkommen Rille, ob das Vietnamesen, Türken oder Griechen sind, für mich sehen die alle gleich aus.“
Protokolle und Berichte aus dem ersten NSU-Prozess zur ergänzenden Lektüre
Aussagen von Katrin F. und von Martin F. sowie von Uwe S.: 56. Verhandlungstag, 14. November 2013
Aussage von Olaf B.: 27. Verhandlungstag, 24. Juli 2013
Aussage von Heike Ku.: 67. Verhandlungstag, 10. Dezember 2013
(Text: scs. Redaktion: ck)