Protokoll 329. Verhandlungstag – 13. Dezember 2016

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An diesem Verhandlungstag sagt zunächst ein Beamter des BKA zu Ermittlungsergebnissen bezüglich einer möglichen Schussverletzung in Chemnitz und den Angaben von Carsten Schultze aus. Danach geht es um Anträge, Stellungnahmen und Beschlüsse.

Zeuge:

  • Christoph Schn. (BKA, Ermittlungen zu einer Schussverletzung in Chemnitz 2000, Angaben des Angeklagten Carsten Schultze)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:50 Uhr. Als erstes wird der Zeuge Christoph Schn. [zuletzt 311. Verhandlungstag]gehört. Götzl: „Es geht uns um Ermittlungen anknüpfend an einen Artikel, der uns von Rechtsanwalt Langer vorgelegt wurde, Wolgograder Allee in Chemnitz, 14.06.2000, angeschossener Bauarbeiter.“ Schn.: „Auf Grundlage des Beweisantrags von Herrn Langer und der beiden Artikel aus der Freien Presse haben wir anhand dieser konkreteren Angaben zunächst eine Anfrage bei der PD Leipzig gehalten mit der Bitte, nach dieser Straftat zu recherchieren. Da haben wir die Auskunft bekommen, dass kein entsprechender polizeilicher Vorgang vermerkt war und die Telefonnummer im Artikel der Polizei Chemnitz zugeordnet werden konnte, aber keinem bestimmten Sachbearbeiter. In Folge stellte ich Anfrage an den Chemnitzer Verlag wegen der Nutzung des Kürzels ‚hr‘ und bekam die Auskunft, dass Heiko R. das Kürzel verwandt und den Artikel verfasst hat. Er konnte im Archiv sehen, dass die Information aus einer Pressemitteilung der Polizei Chemnitz stammte. Er selber konnte sich nicht mehr erinnern und sei auch nicht vor Ort gewesen. Dann gab es Anfragen bei den Krankenhäusern, Rettungsdiensten und Feuerwehr. Es konnte keine Behandlung im Krankenhaus recherchiert werden. Aber Unterlagen zu ambulanten Behandlungen werden nach 10 Jahren gelöscht. Oder die Recherchen konnten wegen fehlendem Geburtsdatum nicht erfolgen. Oder es konnte eben keine entsprechende Behandlung recherchiert werden. Einen größeren Bereich in der Recherche nahm die Baustelle an der Wolgograder Allee ein. Erstmal erfolgte eine Anfrage an das Tiefbauamt Chemnitz.“

Dort hätten sich aus einem internen System Hinweise auf zwei Firmen aus Chemnitz und deren Bauleiter ergeben, so Schn. In der einen Firma habe es keine Erkenntnisse hinsichtlich einer Verletzung durch Schusswaffen gegeben. Anders sei es bei anderen Firma gewesen. Dort hätten sie einen Herrn Andreas K. befragt, der sei 2000 Geschäftsführer gewesen und habe sich nicht an einen solchen Sachverhalt erinnern können. K. habe angegeben, dass das Unternehmen 20 Mitarbeiter gehabt habe und über ein Steuerbüro in Köln die Mitarbeiter evtl. ermittelt werden könnten. Unterlagen hätten dort für März 2000 nicht mehr vorgelegen, aber für 12 Personen aus dem November 2002, darunter auch K. Schn.: „Ich habe versucht mit der Polizei Leipzig und LKA Thüringen, diese Personen zu kontaktieren. Das ist mit einer Ausnahme, Herr L., auch erfolgt. Neun Mitarbeiter konnten keine Angaben machen, zwei Mitarbeiter, Thomas K. sowie Heiko W. konnten sich vage erinnern, von einem solchen Sachverhalt gehört zu haben, aber konnten sich nicht erinnern, wer der Betroffene war oder wer dazu Auskunft geben könnte.“ Dann hätten sie noch die städtische Müllentsorgung kontaktiert und die Auskunft erhalten, dass keine Erkenntnisse vorliegen.“ Götzl: „Und die Person L.?“ Schn. sagt, da würden sie noch versuchen, den Aufenthaltsort zu ermitteln, einige LKA hätten eine Fehlanzeige gemeldet, von sechs anderen stehe noch eine Auskunft aus. Schn.: „Aber er war, glaube ich, Geburtsjahr 1948. Es ist natürlich möglich, dass Herr L. verstorben ist.“ Es gibt keine Fragen mehr; um 10:01 Uhr wird der Zeuge entlassen.

Götzl: „Dann geht es des weiteren um Stellungnahmen zu dem gestellten Beweisantrag ‚Beiziehung Akten Szczepanski‘.“ Bundesanwalt Diemer: „Da hätten wir gern bis morgen Zeit.“ Götzl: „Wenn Sie nicht Stellung nehmen, können wir nicht weiter arbeiten. Ich habe es drängend gemacht. [phon.] Ich bitte schon darum, Stellung zu nehmen. Zum Antrag Beiziehung Szczepanski, sind da ansonsten Stellungnahmen? Von keiner Seite?“

Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass für die Kopie des Briefes der Angeklagten Zschäpe an das Selbstleseverfahren angeordnet wird. Es bestehe Gelegenheit, in der Geschäftsstelle, ggf. mit Dolmetscher, vom Wortlaut des Schriftstücks Kenntnis zu nehmen. Die Einführung des Inhalts der Briefkopien im Wege des Selbstleseverfahrens habe angeordnet werden können, so Götzl. Ein Beweisverbot bestehe nicht. Umstände, die gegen eine Einführung sprechen, seien weder ersichtlich noch vorgetragen.

Götzl verkündet den Beschluss, dass den Anträgen, den bei der StA Bayreuth befindlichen Aktenbestand des Ermittlungsverfahrens wegen des Mordfalles „Peggy [K.]“ zu den hiesigen Verfahrensakten beizuziehen und Akteneinsicht zu gewähren [siehe 317. Verhandlungstag], nicht nachgekommen wird. Götzl sagt, es handele sich um Beweisermittlungsanträge und macht die üblichen Ausführungen zu Beweisermittlungsanträgen. Dann wiederholt er die wesentlich Argumentation des Antrags. Zur konkreten Begründung der Ablehnung sagt er, dass die Aufklärungspflicht nicht dazu dränge, die beantragten Akten beizuziehen. Die Beiziehung und anschließende Nutzung der beantragten Akten würden im vorliegenden Verfahren keinen Aufklärungserfolg versprechen:

1. Am Leichenfundort von Peggy [K.] wurde gemäß der Presseerklärung der StA Bayreuth die DNA-Spur von Uwe Böhnhardt festgestellt. Dieser Umstand dürfte in den Akten, deren Beiziehung beantragt wurde, dokumentiert sein. Allerdings führen die Beiziehung dieser Akten und ggf. die Einführung dieses Umstands in die Hauptverhandlung im vorliegenden Verfahren zu keinem Aufklärungsgewinn. Es steht, wie der GBA in seiner Stellungnahme ausführte, nicht fest, ob die Spur von Uwe Böhnhardt überhaupt im Zusammenhang mit einer Straftat zulasten von Peggy [K.] gesetzt worden ist oder ob die Spur im Wege der Tatortkontamination vertragen worden ist. Zudem sind weder der Ablauf der Tat zulasten von Peggy [K.] und die Tatmotivation noch eventuelle Täterschaften und/oder Gehilfenschaften geklärt, so dass auf die bloße Existenz einer DNA-Spur auch unter diesen Gesichtspunkten keine belastbaren Schlüsse gestützt werden können. Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe wohnten nach den polizeilichen Ermittlungen ab Mai 2001 in Zwickau. Der Wohnort bzw. der Leichenfundort von Peggy [K.] liegen nach dem Vortrag der Antragsteller von Zwickau ca. 80 bzw. 100 Kilometer entfernt. Aus dieser relativen Nähe lassen sich allerdings ohne weitere Anhaltspunkte im Hinblick auf die Möglichkeiten der heutigen Verkehrsmittel keine Schlüsse im Hinblick auf die Tat zulasten von Peggy [K.] ziehen. Zudem ist nicht ersichtlich, dass sich aus den beantragten Akten zu diesem Punkt weitere Erkenntnisse ergeben würden.

2. Die Ausführungen der Antragsteller im Zusammenhang mit und Bernd [B.] führen nicht dazu, dass die Amtsaufklärungspflicht die Beiziehung der beantragten Akten erfordern würde. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass sich die Akten, deren Beiziehung beantragt wurde, zu diesen Komplexen auch nur ansatzweise verhalten würden. Dies wird auch von den Antragstellern nicht behauptet.
3. Die Mutter von Peggy [K.] soll einen Brief erhalten haben, der auf einer Schreibmaschine verfasst worden sein soll. Dieser Umstand kann aber nicht als Indiz dafür dienen, dass der Autor dieses Briefes Uwe Mundlos gewesen wäre. Um eine Identifizierung zu vermeiden oder zumindest zu erschweren, liegt es bei Schreiben nahe, diese nicht handschriftlich, sondern maschinenschriftlich zu verfassen. Der Umstand, dass Uwe Mundlos, wie die Antragsteller vortragen, „immer maschinengeschriebene Schreiben verschickt hat“, sagt deshalb in diesem Zusammenhang nichts aus.

4. Der von den Antragstellern geäußerte Verdacht, das „Trio“ habe seinen Lebensunterhalt auch durch Kinderpornografie finanziert bzw. sei zumindest in dieses Milieu verstrickt gewesen, ist eine reine Spekulation. In der Frühlingsstraße 26 in Zwickau konnte ein Computer sichergestellt werden, auf dem Vorschaubilder gespeichert waren, die nach der Wertung der Antragsteller den Verdacht nahelegen, den sexuellen Missbrauch von Kindern darzustellen. Weder zur Motivation der Speicherung dieser Bilder auf dem Computer noch zum Zeitpunkt der Speicherung lassen sich Feststellungen treffen. Aus dem bloßen Vorhandensein dieser Bilder zieht der Senat mangels weiterer Anhaltspunkte nicht den Schluss, das Trio habe den Lebensunterhalt auch durch Kinderpornographie finanziert bzw. sei in dieses Milieu verstrickt gewesen. Zudem fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass sich die Akten, deren Beiziehung beantragt wurde, zu dieser Vermutung der Antragsteller verhalten.
5. Die Angaben der Angeklagten Zschäpe im Hauptverhandlungstermin vom 8.12.16 sind nicht geeignet, die Beiziehung der Akten „Peggy [K.]“ gleichwohl nahezulegen.

Die Beiziehung sei, so Götzl, auch nicht im Hinblick auf den Grundsatz der Aktenvollständigkeit geboten. Es handele sich bei den Schriftstücken ausnahmslos um Bestandteile des Verfahrens „Peggy [K.]“. Der Grundsatz der Aktenvollständigkeit könne daher im Zusammenhang mit dem hier gegenständlichen Verfahren nicht herangezogen werden. Götzl: „Sind sonst Anträge für heute vorgesehen? Keine. Dann machen wir jetzt eine Stunde Pause und setzen um halb Zwölf fort.“

Um 11:32 Uhr geht es weiter. OStAin Greger nimmt für den GBA zum Antrag der Verteidigung Wohlleben auf Beiziehung von Verfahrensakten betreffend Stellung. Der Antrag sei abzulehnen, so Greger, denn die allgemeine Aufklärungspflicht gebiete die Beiziehung der Akten nicht. Somit sei auch dem Antrag auf Einsicht in die Akten die Grundlage entzogen. Es handele sich beim Beiziehungsantrag um einen Beweisermittlungsantrag, da er keine konkreten Urkunden und Akten erwähne. Bei den Akten, die beigezogen werden sollen, handele es sich um Verfahrensakten in einem Ermittlungsverfahren gegen Carsten Szczepanski, die an zwei UAe versandt worden seien. Es sei nicht ersichtlich, welche konkreten verfahrensrelevanten Erkenntnisse die Akten zu den angeklagten Taten enthalten sollen. Der nicht näher substantiierte Verweis der Antragsteller, es handele sich nach Medieninformationen um für die Aufklärung der NSU-Mordserie relevante Inhalte sei ein ebenso wenig hilfreicher Hinweis wie die Behauptung, die Akten könnten mögliche Hinweise über Waffengeschäfte zwischen Szczepanski und Werner ergeben. Es handele sich um bloße Spekulationen der Antragsteller und dies rechtfertige grundsätzlich nicht die Beweiserhebung [phon.] in einem Strafverfahren.

Zschäpe-Verteidiger RA Heer sagt in Richtung Götzl: „Bezüglich der Mitteilung von Ihnen zur Verlesung des Vermerks. Wir, das heißt auch Kollegin Sturm und Kollege Stahl, widersprechen der Verlesung des Vermerks, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Im Übrigen beziehen wir uns auf unseren Widerspruch gegen die Verlesung eines Sachstandsberichts der Beiakte [phon.].“ Götzl: „Wir unterbrechen dann und setzen fort morgen um 09:30 Uhr.“ Der Verhandlungstag endet um 11:37 Uhr.

Das Blog „NSU-Nebenklage„: „Der Angeklagte Carsten Schultze hat u.a. in der Hauptverhandlung am 11.06.2013 berichtet, dass ihm der Angeklagte Ralf Wohlleben nach einem Telefonat mit den untergetauchten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos mitgeteilt habe: ‚Die Idioten haben jemanden angeschossen.‘ Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Langer hatte hierzu umfangreiche Recherchen angestellt und in einem Zeitungsarchiv Meldungen über einen Vorfall gefunden, bei dem im Juni 2000 ein Bauarbeiter in der Chemnitzer Wolgograder Allee mit einem Luftgewehr angeschossen wurde – Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe wohnten von April 1999 bis Juli/August 2000 in der Wolgograder Allee 76. Auf Antrag der Nebenklage hatte das BKA den Auftrag erhalten, dies zu überprüfen. Wieder einmal zeigte sich, dass der riesige Apparat des BKA nicht nur schwerfällig, sondern auch sehr ineffektiv ist: heute bestätigte ein Mitarbeiter des BKA, er habe die Informationen der Nebenklage nachrecherchiert und könne die im Wesentlichen nur bestätigen. Der mutmaßlich Angeschossene sei nicht gefunden worden, aber zwei Personen, die sich an den Vorfall erinnerten. Erneut wurde also eine der Angaben der Angeklagten Schultze nach Nachforschungen aus der Nebenklage bestätigt. Dies erhöht die Glaubhaftigkeit von Schultzes Angaben, natürlich auch seiner Angaben zum Ankauf der Ceska durch Wohlleben und Schultze selbst. […} Im Anschluss wurde noch der Antrag aus der Nebenklage, die Ermittlungsakte im Tötungsverfahren Peggy K. beizuziehen […], abgelehnt, obwohl bis heute noch keine wirklich plausible Erklärung für den Fund von DNA des Uwe Böhnhardt in der Nähe des Fundorts der Leiche vorliegt. Selbst wenn eine Täterschaft oder Beteiligung des NSU an der Ermordung des Mädchens nur sehr unwahrscheinlich ist, bleibt es natürlich unbefriedigend, wenn diesen offenen Fragen gar nicht nachgegangen wird.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/12/13/13-12-2016/

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