Wut, Widersprüche und unwillige Beamte – Bericht aus dem UA am 11. September 2012

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Die erste Sitzung nach der Sommerpause begann mit einem Eklat: Der Untersuchungsausschuss (UA) musste feststellen, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) den damaligen Wehrdienstleistenden Uwe Mundlos sehr wohl kannte, aber dem UA die Reste der schon geschredderten Akte oder wenigstens eine Notiz über deren Existenz vorenthielt. 1994/1995 wurde Mundlos als Dienender der Bundeswehr verhört und es wurde anscheinend versucht, ihn als V-Mann anzuwerben. Der MAD vernichtete das Gesprächsprotokoll, hatte aber damals schon die Informationen an mehrere Ämter weitergeleitet. Der MAD bestreitet, dass das Gespräch ein Anwerbeversuch gewesen sei. Der Inhalt war wohl, dass Mundlos gefragt wurde, ob er geplante Anschläge auf Asylbewerberheime und Infos aus der Szene dem MAD oder dem BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz) mitteilen will, dies habe er jedoch abgelehnt.

So ein Gespräch im Nachhinein lediglich als eine standardmäßige Gesinnungsprüfung eines Neonazis zu deklarieren, wie es der heutige Chef des MAD Hr. Birkenheier in der nicht-öffentlichen Vernehmung durch den Untersuchungsausschuss gestern tat, ist nicht überzeugend. So kamen sich auch alle Abgeordneten anscheinend irgendwie verarscht vor und waren offensichtlich richtig sauer. Die Statements vor der Presse reichten von „es ist mir komplett unverständlich“ (Edathy, SPD) über „ich bin mehr als verärgert um es offen zu sagen“ (Pau, Die Linke) bis zu der Drohung von Wieland (Grüne): „Wir werden diese Wut in Untersuchungsenergie umwandeln!“ Angesichts von erneut geschredderten und verheimlichten Akten sei anscheindend „die Bundesregierung in Teilen [..] der Ansicht: ‚Was wir nicht mehr haben, das müssen wir nicht mehr sagen.’“ (Wieland)

In den Medien wurde angesichts des erneuten skandalösen Verhalten der Behörden weniger über die übrigen Zeugenvernehmungen berichtet: Angehört wurden Andreas T. (ehemaliger V-Mann-Führer des LfV Hessen, der im Internetcafé anwesend war, kurz bevor oder während Halit Yozgat vom NSU erschossen wurde) und Lutz Irrgang (ehemaliger Leiter des LfV Hessen).

Zeugenvernehmung Andreas T.

Andreas T., gegen den nach dem Mord an Yozgat über mehrere Monate als Tatverdächtiger ermittelt wurde, inszenierte sich permanent als Opfer: Sein offensichtliches Fehlverhalten (v.a. dass er sich nicht als Zeuge meldete und warum er „Klein Adolf“ genannt wurde) versuchte er mit damaliger psychischer Labilität, seiner zum Zeitpunkt hoch schwangeren Frau und vergangenen Jugendsünden zu rechtfertigen. „Ich war das angreifbarste Opfer“, wobei hier Opfer der Presse gemeint ist: Er habe eigentlich nie mit der Presse reden wollen, “wir konnten uns nicht wehren“. Das kennen wir schon alles aus der Presse, nämlich aus der exklusiven, parteiischen „Berichterstattung“ von Panorama und SZ, die sich nicht zu schade waren, T. im Juli des Jahres beim Kirschenpflücken erzählen zu lassen, wie schwer es er und seine Frau dadurch gehabt haben, dass er einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sei und völlig unverschuldet als Mörder verdächtigt wurde. Nungut. Neben dem faden Beigeschmack, den diese selbstmitleidigen Ausführungen eines Beamten angesichts einer rassistischen Mordserie haben, wirft die Vernehmung T.s wieder mehr Fragen auf, als dass sie Antworten gibt. Es tauchen diverse Ungereimtheiten auf, die Glaubwürdigkeit des Zeugen scheint zumindest für viele Zuhörende zweifelhaft, doch die Nachfragen der Abgeordneten bleiben erstaunlich zahm.

Wieso kann sich T. daran erinnern, wie er am Mordtag bequem vor dem Internetcafé einparkte, woher er die später bei ihm beschlagnahmte Munition, das Buch „immer wieder töten“ und den Baseballschläger hat etc. – während er sich entweder gar nicht (so seine Aussage im März 2012) daran erinnert, dass er am Tattag mit seiner „Quelle“ aus der rechten Szene telefonierte bzw. sich jetzt an angeblich jene zwei Gespräche doch erinnert. So sagte er, dass es in dem ersten kurzen um die Verabredung für ein längeres Telefonat und im zweiten um Geld, „Menschliches“ und die Verabredung zum nächsten Treffen gegangen sei. Das erste Telefonat war allerdings laut den Akten lediglich ein Anrufversuch, also gar kein Gespräch, wie T. dann durch den UA aufgeklärt wurde.

Wieso kann sich T.s rechte Quelle laut 1 ½ Seiten Gesprächsprotokoll detailliert an eben jenes am Mordtag verabredete Treffen erinnern, das vier Tage später stattfand, und bei dem die beiden laut „Quelle“ auch über den Mord in Kassel geredet haben? T. sei „nervös“ gewesen, als er ihn nach seiner Meinung zu dem Mordfall gefragt habe. T. behauptet hingegen, es sei wieder nur um Geld und „Menschliches“ gegangen. Und wieso war diese Quelle, die T. und sein Chef Irrgang als „nicht so ergiebig“ beschreiben, dann doch so wichtig, dass VS-Chef und Innenminister der ermittelnden Staatsanwaltschaft 2006 die Vernehmung der Quelle verhinderten?

Wieso trifft sich, nachdem T. als Tatverdächtiger gehandelt wird, seine Dezernatsleiterin Frau P. mit ihm auf einer Autobahnraststätte (!) bei Kassel, wenn sie ihn lediglich fragen wollte (wie nett von ihr!), wie es ihm und seiner Familie ginge? T.s Erklärung, dass es vielleicht nicht angemessen sei, dieses persönliche Gespräch während seiner Suspendierung vor den KollegInnen zu führen, überzeugt zumindest uns nicht. Bei dem vorher abgehörten Telefonat zwischen T. und P. soll es laut Akten darum gegangen sein, sich an einem Ort zu treffen, der vor allem „abhörsicher“ sein sollte.

Warum ist der Chef des LfV (Lutz Irrgang) mindestens einmal dabei, wenn T. nach Wiesbaden fährt um das weitere disziplinarrechtliche Verfahren zu besprechen? Und war das wirklich nur ein Versprecher von T. als er gestern sagte: „bei meinem ersten Gespräch mit Herrn Irrgang…“, wenn es angeblich nur eins gab?

Zeugenvernehmung VS Hessen

Die abendliche Vernehmung von Lutz Irrgang (70), damaliger Chef des Verfassungsschutz Hessen, bringt da auch kein Licht ins Dunkel. Im Gegenteil fährt der Pensionär die Strategie der Zermürbung: Er hält ein ewiglanges Eingangsstatement, beantwortet klare Fragen nicht, indem er weitausschweifend die immer gleiche Leier von der Medienhetze gegen seinen Mitarbeitet T. wiederholt, betont, dass sein (!) Amt alles richtig gemacht habe, dass die Zusammenarbeit mit der Polizei von ihm aus immer gut gewesen sei und sowieso er sich immer für die Minderheiten engagiert habe. „Ich bin heute sehr froh darüber, dass sich das Amt damals 2006 nicht an der Bloßstellung des Beamten beteiligt hat“ und „wegen der Fußball WM“ konnte man 2006 auch nicht auf eine einzige Quelle verzichten, deswegen wäre die Aufdeckung des von T. geführten V-Mannes gegenüber der in einer Mordserie ermittelnden Polizeibehörde auch leider nicht zu verantworten gewesen – und hätte „erwiesenermaßen“ ja sowieso nichts gebracht. Später widerspricht er sich: „Ich habe keine Ablehnung gegenüber der Aussagen von Quellen ausgedrückt.“ Und die Aussagegenehmigung müsse ja vom Ministerium kommen, er habe den Wunsch der Polizei, die Quellen zu vernehmen, wohlwollend weitergeleitet. Die Ergebnisse einer eigenen Befragung der Quelle durch das LfV wurden als Antwort auf diesen Wunsch übrigens anscheinend erst acht Monate später schriftlich übermittelt.

So werden diese Fragen auch dem damaligen hessischen Innenminister Volker Bouffier gestellt werden. Er ist in zwei Wochen als Zeuge beim Untersuchungsausschuss in Berlin. Vielleicht kann er zum Beispiel erklären, wieso offensichtlich der Schutz der Quelle so wichtig war, dass die Ermittlungen in einer Mordserie nicht Vorrang hatten. Als damaliger politisch Verantwortlicher für einen unwilligen VS-Chef mit einem untergebenen Mordverdächtigen sollte er sich Mühe geben, die Hoffnung Eva Högls (Mitglied des UA für die SPD und Ombudsfrau) zu erfüllen, „dass jetzt endlich alle in der Bundesregierung verstanden haben, dass sie mit dem Untersuchungsausschuss zusammenarbeiten müssen.“