Protokoll 21. Verhandlungstag – 10. Juli 2013

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Sieben Zeug_innen, ein gestellter Beweisantrag, ein richterlich abgelehnter Antrag und zwei Erklärungen durch Anwält_innen: Der 21. Verhandlungstag war vollgepackt und behandelte neben den prozessualen Vorgängen wie der abgelehnten Freistellung des Angeklagten André E. auch die Glaubwürdigkeit des Angeklagten Holger G. In erster Linie ging es aber um den Mord an Enver Şimşek: Beamten und Zeugen beschrieben in bestürzender Detailliertheit den Tatort. Andere Zeugen hatten Männer in Fahrradkleidung am Fahrzeug des Blumenhändlers gesehen und damit wertvolle Hinweise gegeben, die wohl nie ernsthaft verfolgt wurden.

[Türkçe]

Zeugen:

  • Helmut Kr. (KHK, Spurensicherung Mordfall Şimşek)
  • Josef L. (KHK, Sicherung eines Projektils, Mordfall Şimşek)
  • Günther Bu. (Zeuge Mordfall Şimşek)
  • Achim E. (Zeuge Mordfall Şimşek)
  • Reiner G. (KHK, LKA Bayern, Ermittlungen zum Mordfall Özüdoğru)
  • Werner Ki. (KHK a.D., Mordfall Özüdoğru, Aussagen der Zeugin M.)
  • Andreas H. (Zeuge Mordfall Şimşek)

Der Prozess beginnt heute gegen 9.40 Uhr. Anwesend ist die Nebenklägerin Adile Şimşek, Witwe des ermordeten Enver Şimşek.

Erster Zeuge ist der Kriminalbeamte Kr., der am 9. September 2000 als Spurensicherer am Tatort in der Liegnitzer Straße in Nürnberg eingesetzt war. Im Wesentlichen decken sich seine Aussagen mit den Aussagen des am 20. Verhandlungstag gehörten Zeugen S. Die Fotos aus der Lichtbildmappe, die S. in der letzten Sitzung vorgestellt hatte, stammten von ihm, so Kr.
Er habe am Wochenende Bereitschaft gehabt und sei gegen 15.30 Uhr am Tatort eingetroffen, dort seien schon einige Kollegen gewesen. Bei seinem Eintreffen sei Şimşek bereits im Klinikum Süd gewesen. Şimşek habe sich in Lebensgefahr befunden. Die Schiebetür des Lieferwagens habe offen gestanden. Schon von außen seien eine große Blutlache und blutige Pflanzenreste zu sehen gewesen: Er habe, so Kr., dann mit der Spurensicherung begonnen. Auch Kr. berichtet von mehreren Patronenhülsen der Kaliber 6.35 und 7.65. Umgestürzte Pflanzenkübel und Pflanzenreste, die blutverschmiert gewesen seien, führt Kr. auf den Todeskampf von Şimşek oder die Maßnahmen der Rettungskräfte zurück. Anzeichen für Kampfeshandlungen seien nach dem ersten Stand nicht erkennbar gewesen. Das Fahrzeug sei dann nach den ersten Spurensicherungen sicher gestellt und gegen 19.30 Uhr mit dem Blumenstand zur Dienststelle verbracht worden, um dort die weitere Spurensicherung durchzuführen. Auch Kr. berichtet von einem Defekt im Dach, das mit Styropor ausgekleidet gewesen sei. Das LKA habe sich den Defekt genauer angeschaut, es habe sich um einen Durchschuss gehandelt. Später in der Vernehmung wird Kr. aussagen, dass der Tatort mit einem Metallsuchgerät und Kräften der Bereitschaftspolizei nach dem entsprechenden Projektil angesucht worden sei, allerdings ohne Erfolg. Das Führerhaus sei offenbar nicht durchsucht worden. Es seien Fingerabdruckspuren im Bereich des Kotflügels und der Beifahrertür gefunden worden. Diese seien, so Kr. später, Şimşek selbst, Verwandten von Şimşek und einem Mitarbeiter des Abschleppdiensts, der das Auto transportiert habe, zugeordnet worden. An der Schiebetür hätten sich keine Fingerabdrücke gefunden. Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Götzl berichtet Kr. von den Blutspuren. Die Blutlache sei ca. 70 mal 50 cm groß gewesen, die Wand gegenüber der Schiebetür sei bis zu einer Höhe von 1,85 m sehr zahlreich mit Blutspritzern bedeckt gewesen.
An den anderen Wänden hätten sich nicht so zahlreiche Spritzer befunden. Die Schiebetüre habe überhaupt keine Blutspuren gezeigt: „Das war das Zeichen, dass die zum Tatzeitpunkt geöffnet war.“ In der Blutlache habe er einen Zahn von Herrn Şimşek aufgefunden, so Kr. Die Liegnitzer Straße sei eine stark befahrene Straße, auf beiden Seiten seien Radwege, die Gegend sei hochfrequentiert.

Es folgt der Zeuge L., Kriminalhauptkommissar beim Erkennungsdienst der Kripo Nürnberg. Bei seiner Aussage geht es um ein Projektil, das eine Ärztin bei der Reanimation Şimşeks am Tattag gefunden habe. Die Ärztin habe das ein paar Tage im Ärztekittel mit sich herum getragen und es ihnen übergeben. Sie seien dann mit dem Geschoss zur Obduktion gefahren, so hätten sie ein Vergleichsprojektil gehabt mit den bei der Obduktion gefundenen gehabt.

Rechtsanwältin Dierbach, Nebenklage Yozgat, verliest einen zu Beginn des Verhandlungstages angekündigten Beweisantrag. Sie beantragt die Ladung und Vernehmung der Kriminalbeamtin La. zum Transport von nach Gera (siehe auch Protokoll 18). La. werde aussagen, dass Zschäpe zu keinerlei Angaben verpflichtet gewesen sei, und dass es einen expliziten Hinweis auf eine Gesprächsnotiz gegeben habe. La. werde bestätigen, dass Zschäpe angegeben habe, dass sie möglicherweise aussagen werde, und wenn umfangreich und vollständig, weil sie niemand sei, der nicht zu seinen Taten stehe. Es gehe bei dem Antrag um Verwertbarkeit der Angaben Zschäpes auf dem Transport. Es sei nicht entscheidend, ob es sich faktisch um eine Vernehmung gehandelt habe oder nicht, entscheidend sei die Belehrung, Zschäpe sei nicht getäuscht worden. Das Gespräch habe indizielle Bedeutung für die Schuldfrage. Zschäpe sei selbst davon ausgegangen, dass sie schwere Straftaten begangen habe.
Oberstaatsanwältin Greger sagt, die BAW trete dem nicht entgegen, sie habe die Zeugin ohnehin schon benannt. Mehrere Nebenklageverteter_innen schließen sich an. RAin Sturm, Verteidigerin von Zschäpe sagt, sie wolle angesichts dessen, dass aus der Nebenklage bereits gegen Anträge der Verteidigung agitiert worden sei, Stellung nehmen. Die Nebenklage Yozgat stelle Anträge, die redundant seien. Die Zeugin sei nicht nur benannt, sondern bereits geladen.

Nach einer längeren Pause folgt gegen 11.05 Uhr der Zeuge Bu. Bu. berichtet, er sei am Samstag, den 9. September 2000, mit seinem Sohn von der Wohnungsauflösung seines Schwiegervaters unterwegs zu einem Recyclinghof gewesen. Die Hinfahrt müsse vor 12 Uhr stattgefunden haben, die Rückfahrt am frühen Nachmittag, der Recyclinghof schließe jedenfalls um 14 Uhr. Auf dem Rückweg seien sie auf der Liegnitzer Straße stadteinwärts an dem links gelegenen Parkplatz vorbei gefahren. Die Fenster seien runter gekurbelt gewesen. Sie hätten dann im Vorbeifahren drei bis vier metallische, harte Schläge gehört, nach links geschaut und ihm seien zwei Männer in Radlerkleidung aufgefallen, die schnell weggingen. Er habe nicht gesehen, wohin. Die Männer seien um die 20 Jahre alt gewesen, vielleicht auch älter, hätten sehr kurze Haare gehabt und einer habe, soweit er sich erinnere, ein Basecap aufgehabt. Auf Nachfrage von Götzl sagt Bu.: „Es waren richtig harte Schläge.“ Diese seien aus Richtung des Lieferwagens gekommen. Die Tür des Wagens sei offen gewesen. Erklären habe er sich das Ganze nicht können. Die Männer hätten nichts in der Hand gehabt. Ein unmittelbarer Handlungsbedarf sei nicht ersichtlich gewesen. Die Vernehmung sei so zustande gekommen, dass er von der Tat in der Zeitung gelesen habe und sie sich dann bei der Polizei gemeldet hätten. Ein weiteres Fahrzeug habe er am Tatort nicht gesehen. Die Männer seien nicht gerannt, hätten sich aber doch schnell bewegt in Richtung der Liegnitzer Straße stadteinwärts. Er habe erst durch die harten Schläge hingeschaut, dann seien die beiden Männer weggerannt. Götzl will wissen, wieviel Zeit zwischen Schlägen und dem Weglaufen der Männer gewesen sei. Bu.: „Eigentlich hat man gleich rübergeschaut.“ Götzl hält Bu. vor, er habe in einer Vernehmung ausgesagt, das er eine männliche Person am Trittbrett der Schiebetür gesehen habe,die dort verharrt sei, die Person habe mit der rechten Hand eine Bewegung ins Fahrzeuginnere gemacht. Weiter hält Götzl Bu. vor, Bu. habe damals ausgesagt, er habe nicht erkennen können, ob die Person etwas in der Hand gehabt habe, eine weitere dunkel gekleidete Person sei im rechten Bereich der Tür zu sehen gewesen, nachdem sie den Tatort fast passiert hätten, hätten sie noch zwei blecherne Schläge gehört. Bu. sagt zu den Vorhalten, er habe keine Erinnerung. Götzl hält Bu. vor, dass er ausgesagt habe, das Besondere bei den beiden Männern sei gewesen, dass sie kein Fahrrad dabei gehabt hätten. Bu. bestätigt, es sei dazu nichts zu erkennen gewesen. Götzl fragt nach dem Verkehr. Bu. sagt, es sei kein dichter Verkehr gewesen, es seien aber doch immer wieder Fahrzeuge hin und her gefahren. Aus einer Vernehmung vom 2. Oktober 2000 hält Götzl vor, dass Bu. damals den Zeitpunkt auf zwischen 12.35 und 12.55 Uhr eingegrenzt habe. Bu.: „Muss man so jetzt daher nehmen.“ Nebenklagevertreter RA Scharmer fragt Bu., wie oft er befragt wurde. Bu. sagt, er sei einmal nach der Tat im Präsidium befragt worden, dann habe es noch einen Telefonanruf über Details gegeben, und dann sei er 2010 nochmal aufgesucht worden von einem Kriminalhauptkommissar, „und da gab es die zeitliche Anpassung da“. Götzl sagt, die Nachfrage zur zeitlichen Einordnung stamme aus einer Vernehmung von 2000.  Scharmer fragt, ob Bu. bei der Vernehmung von 2010 Fotos gezeigt worden seien. Bu. verneint das. Ein Nebenklagevertreter möchte dem Zeugen Bilder aus dem Tatkomplex Keupstraße vorhalten. Es entsteht Verwirrung darum, welche Bilder gemeint sind. Nach zwei Unterbrechungen kann sich der Zeuge die Bilder – Standfotos aus einem Video aus der Keupstraße, auf denen zwei Männer zu sehen sind, einer mit Fahrrädern – am Richtertisch anschauen. er kann jedoch nur ungefähr die Größe bestätigen. Die Kleidung passe nicht, sie sei hier zu leger. RAin Basay fragt, ob ihm diese Bilder einmal im Rahmen einer Vernehmung, zum Beispiel 2007, vorgelegt worden sind. Götzl interveniert, hier werde der Vater mit dem Sohn verwechselt. Basay erwidert und nennt aus dem Vernehmungsprotokoll den Vornamen und das Geburtsdatum des gerade befragten Zeugen. Bu. sagt, er könne sich nicht erinnern, auch daran, dass ihm ein Video vorgespielt worden sei, könne er sich nicht erinnern. Basay hält aus der Vernehmung vor, dass Bu. ausgesagt habe, die Person mit den Fahrrädern habe eine gewisse Ähnlichkeit mit der Person, die am Lieferwagen Şimşek gestanden habe. Bu. sagt, er habe keine Erinnerung, von der Größe her könnte es passen. RA , Verteidiger von , moniert, Basay würde „nur die Rosinen raus picken“. Basay verliest die Aussage ganz, in der steht, Bu. habe sich nicht in der Lage gesehen, die Personen wieder zu erkennen. Bu. wiederholt, die Größe könne stimmen. An die Vernehmung von 2007 habe er keine Erinnerung mehr. RA Narin hält Bu. vor, er habe ausgesagt, die Männer hätten sich komisch benommen. Worauf sich das bezogen habe, will Narin wissen. Bu. sagt, das habe sich auf Handlungsweise bezogen, dass hier junge Männer in Fahrradkleidung ohne Fahrrad von einem Fahrzeug komisch weg gehen. RA Scharmer fragt zur Vernehmung von 2010, von der Bu. gesprochen hatte. Soweit er sich erinnern könne, sei es um die Vernehmung 2000 gegangen und ob sich was geändert habe, so Bu., exakt wisse er es nicht mehr, Lichtbilder seien ihm nicht vorgelegt worden.
RAin , Verteidigerin von Wohlleben, hält Bu. vor, er habe ausgesagt, bei den beiden Männern habe es sich um Südeuropäer handeln können, er habe es am dunklen Teint erkannt, es seien keine norddeutschen Typen gewesen. Die Frage sei allerdings nicht mitprotokolliert worden, so Schneiders. Bu. antwortet, er wisse nichts dazu zu sagen, er glaube auch kaum, dass er das gesagt habe.

Nach der Mittagspause folgt um 13.15 Uhr der Zeuge E. E. ist der Sohn des Zeugen Bu. E. erzählt, er sei um die Mittagszeit mit seinem Vater auf dem Weg zu der ehemaligen Wohnung seines Großvaters gewesen, sie seien von einem Recyclinghof gekommen. Dann seien sie an der Straße entlang gefahren und hätten einen lauten Schlag gehört. Sie hätten sich umgedreht, er habe als erstes an einen Unfall gedacht. Sie hätten an einer Parkbucht einen Lieferwagen, „eher so wie ein Sprinter von Mercedes oder so“, stehen sehen und, so wie er sich erinnern könne, seien zwei Männer weggelaufen. Er habe nicht viel gesehen, weil er auf dem Beifahrersitz gesessen habe, aber er habe die Männer auf 25 bis 30 Jahre geschätzt. Götzl hält dem Zeugen aus seiner ersten Vernehmung vor. Es geht zum Beispiel um die Kleidung der beiden Männer. An die Frage könne er sich noch erinnern, so E. Er habe das mit der Fahrradkleidung damals nicht bestätigen können. Zu weiteren Vorhalten gibt er meist an, dass er keine Erinnerung mehr habe: Etwa zur Zeitangabe, dass die Beobachtung zwischen 12.45 und 13 Uhr gemacht worden sei, die Schiebetüre geöffnet gewesen sei und er zwei Männer mit dem Rücken zu ihm an der Tür gesehen habe, einer mit Mütze, und dass die Situation seiner Meinung nach nach einer Rauferei ausgesehen habe. Auch daran, dass  der Mann mit der Mütze hektische Bewegungen ins Fahrzeuginnere gemacht habe, und er einen bewegten Schatten im Fahrzeuginneren wahrgenommen habe, könne er sich nicht erinnern, so E. Weiter hält Götzl E. vor, er habe ausgesagt, dass er als sie zehn Meter weiter gewesen seien mehr als zwei blecherne Geräusche gehört habe. E. sagt: „Ich hätte jetzt gedacht, dass ich mich erst umgedreht hätte, weil ich das Geräusch gehört habe.“
Es geht dann um die Vernehmung 2007. E. sagt, die Beamten hätten ein Video gezeigt, eine Sequenz, wo ein Mann ein Fahrrad abstellt oder abholt in einer Innenstadt. Die Frage sei gewesen, ob er den Mann erkennen würde. Er habe niemanden identifizieren können. Dann geht es nach einer Frage von RAin Basay darum, ob die Vernehmung aufgezeichnet worden sei und E. etwas unterschrieben habe. E. sagt, er könne sich nicht erinnern. Er habe sich nicht weiter mit seinem Vater über die Aussage ausgetauscht, 2007 habe er ja auch nicht mehr im Elternhaus gewohnt. Von einer Vernehmung seines Vaters in 2010 wisse er nichts. Auf Initiative von RAin Dierbach wird dem Zeugen eine Einverständniserklärung zur Tonbandaufzeichnung vorgelegt. An das Dokument könne er sich nicht erinnern, die Unterschrift sei aber seine, so E.

Es folgt der Zeuge Reiner G., Kriminalhauptkommissar beim LKA Bayern. Es geht um die Rekonstruktion der Geldeinzahlungen der Zeugin Rita G. im Zusammenhang mit dem Mord an Abdurrahim Özüdoğru, (siehe Protokoll zum 14. Verhandlungstag). Der Zeuge bestätigt, dass er Einzahlungsquittungen erhalten habe und bestätigt insgesamt die Angaben der Zeugin. Die Zeugin G. habe um 15.51 Uhr einen Geldbetrag eingezahlt und sei dann gegen 16 Uhr wieder an ihrem Laden gewesen.

Dann folgt der Zeuge Ki., pensionierter Beamter der Kriminalpolizei in Nürnberg. Es geht um die Aussagen der Zeugin M. (die damals gegenüber der Änderungsschneiderei wohnte, vgl. ebenfalls 14. Verhandlungstag). Er habe die Vernehmung in der Nacht durchgeführt. Die Vernehmung der Zeugin sei eine der ersten und auch wichtigsten gewesen. M. habe einen Hinweis auf einen Mann im Holzfällerhemd gegeben und auch ein Phantombild angefertigt. M. habe eine „gravierende Beschreibung“ abgegeben. Sie habe in Bezug auf den Mann von einem ostdeutschen Dialekt gesprochen. Sie habe ausgesagt, die Person einige Tage vorher zusammen mit dem späterem Opfer gesehen zu haben, dabei habe es einen Streit gegeben. M. sei davon ausgegangen, dass es dabei um einen Mercedes älteren Baujahrs gegangen sei, der wohl Özüdoğru gehört habe. Die beiden hätten um ein Auto herum gestanden, einen älteren dunkelblauen Opel mit Anhänger. M. habe ausgesagt, dass sie als sie die Schüsse gehört habe, beim Fensterputzen gewesen sei. Sie habe zwei Schüsse deutlich gehört. Dann habe sie eine Person gesehen, und es sei ihrer Beschreibung nach genau dieser Mann, den sie gesehen habe, gewesen. Der Mann sei, habe M. berichtet, ganz normal in ein Auto eingestiegen und weggefahren. Von einer blonden Frau habe die Zeugin erst in späteren Vernehmungen gesprochen. Er könne es nicht mehr sicher sagen, aber es habe sich dabei wohl um eine andere Gruppe gegangen, die sich vor dem Laden aufgehalten habe. Eine Lichtbildvorlage sei ohne Ergebnis verlaufen. Sie habe nie davon gesprochen, dass sie den Geschädigten habe am Boden liegen sehen. Das, so Ki., wäre ein so wichtiger Hinweis gewesen, den „hätte man ja nicht überhören können“.

Es folgt der Zeuge H. H. ist Rettungsassistent. Er war derjenige, der beim Anschlag auf Şimşek die Polizei informiert hat. Er habe an dem Stand Blumen holen wollen. Es sei ein dunkelhäutiges Pärchen in einem dunkelblauen Mercedes da gewesen. Sie hätten gesagt, sie hätten auch Blumen kaufen wollen, der Blumenhändler sei aber nicht da und sie seien dann gefahren. H. sagt, er habe  noch gelesen im Auto. Nach zehn Minuten sei es ihm komisch vorgekommen. Er habe den Stand nicht unbewacht zurücklassen wollen und habe daher die Polizei gerufen. Die Antwort sei gewesen, dass kurz vorher schon eine Streife am Stand vorbei gefahren sei und der Händler sei da noch da gewesen. Er habe weiter gewartet und nach weiteren 5 Minuten noch einmal bei der Polizei angerufen. Die Streife sei schnell da gewesen. Gemeinsam mit den Polizisten habe er dann zum Auto geschaut. Die Fahrertür sei unverschlossen gewesen. Sie hätten von hinten in den Wagen reingeschaut, wegen der Zwischenablage aber nur Blumen gesehen. Sie hätten dann die Schiebetür geöffnet und Şimşek gefunden. Er habe relativ große Blutmengen gesehen. Er habe es erst für ein Bluterbrechen, also eine internistische Erkrankung, gehalten, habe dann aber Patronenhülsen gesehen. Şimşek habe geschnauft, „was nicht recht leicht fiel“. Şimşek habe in Rückenlage gelegen, der Oberkörper leicht erhöht wegen eines Blumenkasten, wo er wohl drauf gelegen habe. Er, H., habe einiges entfernt, um an Şimşek heranzukommen. Die Beine Şimşeks hätten Richtung Tür, der Oberkörper Richtung geschlossener Seite gelegen. H. sagt, er habe sein Equipment aus dem Fahrzeug geholt. Der Sprinter sei zu eng gewesen, er habe daher Şimşek mit einem Polizisten nach draußen gebracht. Zur zeitlichen Einordnung sagt H, es sei nachmittags gewesen. Götzl hält ihm vor, er habe ausgesagt, dass Şimşeks Arme leicht angewinkelt gewesen seien, er massiv am Kopf geblutet habe, auch im Mund und Rachen, Şimşeks Kopf habe leicht seitlich nach rechts gelegen. H. sagt: „Wenn's so drin steht.“ Götzl hält ihm vor, dass er ausgesagt habe, dass er das Handy Şimşeks abgenommen habe, um dessen  linke Seite nach Verletzungen abzusuchen. H. sagt, er habe zwischen dem Gespräch mit dem Pärchen und den Anrufen bei der Polizei zehn bis fünfzehn Minuten am Stand verbracht. Er könne das aber nicht genau sagen, weil er gelesen habe.

Im Folgenden verkündet Götzl den Beschluss, dass der Antrag André E.s, der Hauptverhandlung bei den Themen, die ihn nicht beträfen, fernbleiben zu dürfen, abgelehnt ist.

Dann verliest RA Hachmeister, Verteidiger von Holger G., eine Erklärung nach § 257 StPO zur Aussage von Dr. Moldenhauer in der gestrigen Sitzung. Die Bekundungen von Moldenhauer seien glaubhaft und frei von Widersprüchen gewesen. Soweit der Zeuge den Ausstieg G.s aus der rechten Szene falsch datiert habe, seien daraus allein keine Gründe gegen die Aussage herzuleiten. Der Zeuge habe die wesentlichen Angaben G.s bestätigt. Man könne aus der Aussage schließen, dass G. freiwillig und umfassend ausgesagt und neue Ermittlungsansätze geliefert habe, und dass G. konkretisiert und ergänzt habe, nachdem er am Anfang nicht ganze Wahrheit gesagt habe. Die schwierige Vernehmung G.s, die Schwierigkeiten von G. bei der zeitlichen Einordnung, und dass sich sein Mandant habe überwinden müssen, stehe der Freiwilligkeit der Aussagen nicht im Wege. G. habe ohne Not den Transport der Waffe an , und Zschäpe zugegeben. Was die politischen Richtungsdiskusssionen angeht, sei es um abstrakte Militanzdiskussionen gegangen, nie um konkrete und zielgerichtete Handlungen. Das decke sich mit der Aussage des Mandanten. Was die Äußerung, man könne nicht mit fünf Leuten die Welt retten, angeht, so sei dies eine sinngemäße Wiedergabe der Empörung gegenüber den Empfängern der Waffe. Es sei nachvollziehbar geworden, dass G. nichts von den Taten gewusst habe. Der Zeuge habe die Formulierung, dass G. „stiften gegangen“ wäre, wenn er gewusst hätte, was die drei gemacht haben, als authentisch eingestuft und auch die Erschütterung G.s über die Taten geschildert.

Danach folgt eine Erklärung nach § 257 StPO der Nebenklagevertreter RA Kuhn und RA Hoffmann zur selben Aussage, die Kuhn verliest. Zunächst geht es die Aussage Moldenhauers, G. habe ausgesagt, er habe nicht gewusst, dass er eine Waffe transportiert habe, habe aber während der Fahrt keine Möglichkeit gesehen, die Waffe ohne Ärger loszuwerden, dies habe Moldenhauer als Widerspruch gesehen. Mithin stelle die Behauptung, G. habe nicht gewusst, dass er eine Schusswaffe übergab, eine bloße Schutzbehauptung dar. Allein der Ausspruch, man könne nicht mit fünf Leuten die Welt retten, bei bei Übergabe der Waffe zeige, dass G. die Verwendung der Waffe zur Begehung ideologisch motivierter Straftaten für möglich oder wahrscheinlich hielt. Das belege, dass G. bei seinen Unterstützungshandlungen die Möglichkeit der Begehung von ideologisch motivierten Tötungsdelikten durch das Trio erkannt habe und er trotzdem die Unterstützungsleistungen nicht unterlassen habe. Moldenhauer habe zudem ausgesagt, G. habe bei einer Vernehmung vor dem Ermittlungsrichter angegeben, er habe nicht gewusst, dass die Drei noch im Untergrund lebten, in der Zeitung habe gestanden, die Straftaten seien verjährt. Dennoch habe er sich 2011 einen neuen Reisepass ausstellen lassen mit einem Lichtbild, auf dem er Böhnhardt ähnlich sah, und ihn den dreien ausgehändigt. Damit stehe fest, dass G. den Pass nicht übergeben habe, um den Drei behilflich zu sein, ihr Leben im Untergrund allein wegen der vor dem Untertauchen bestehenden Vorwürfe. G. sei stattdessen davon ausgegangen, dass nach den Drei deshalb gar nicht mehr gefahndet werde. Dies zeige, dass G. Kenntnis von weiteren Sachverhalten gehabt habe, die eine Legendierung erforderlich machten.

Um 14.45 Uhr endet die heutige Sitzung.

Nebenklage-Vertreter Rechtsanwalt Scharmer erklärt:

Der Anschlag in Köln 2004 und die Tatsache dass dort zwei Männer mit Fahrrädern Tatverdächtige waren, hätte bereits viel früher in Verbindung mit der Ceska-Mordserie, bei der in mehreren Zusammenhängen ebenfalls zwei tatverdächtige Männer mit Fahrrädern oder Fahrradkleidung auftauchten, gebracht werden müssen. Wäre dieser Spur rechtzeitig und umfassend nachgegangen worden, hätten […] Morde verhindert werden können […]. Stattdessen sind die Ermittlungsbehörden ausführlich und akribisch Spuren nachgegangen, welche mit der Prämisse verbunden waren, dass die Täter zwingend aus dem Umfeld der Opfer kommen müssen, insbesondere selbst einen Migrationshintergrund haben müssten. Dieses Verhalten der Behörden belegt das grundlegende Problem von strukturellem Rassismus bei den vorliegenden Ermittlungen.“

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