Ungeklärte Fragen und ein zweifelnder Ermittler – Bericht aus dem BT-UA

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Bericht von der 11. Sitzung des NSU Untersuchungsausschusses im Bundestag am 25. Februar 2016

Öffentliche Zeugenvernehmung:

  1. Polizeioberrat Alexander Beitz
  2. Kriminaldirektor a.D. Bernd Hoffmann
  3. Polizeirat Swen Philipp
  4. Hausmeister Lutz W.
  5. Hausverwalter Volkmar E.

Am 25. Februar ging es darum, was am 4. November 2011 und danach in der Zwickauer passiert ist. Dort hatten mutmaßlich Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und gelebt. Man geht davon aus, dass Beate Zschäpe am Nachmittag des 4.11. in der Wohnung Feuer gelegt hat und dann geflüchtet ist. Dennoch gibt es viele offene Detailfragen, die heute geklärt werden sollten.

1. Zeuge: Alexander Beitz (Polizeioberrat)

Der erste Zeuge ist der 37-jährige Polizeioberrat Alexander Beitz. Beitz war seit dem 1. November 2011, also erst seit drei Tagen, Revierleiter des Polizeireviers Zwickau. In einer Erklärung gibt er an, dass er gegen 15.15 von einer Explosion in der Frühlingsstraße informiert wurde und mit seinem Kollegen Mi. hinfuhr. Das brennende Haus war bereits weiträumig durch das Ordnungsamt abgesperrt. Beitz gibt an, dass eine Person namens „Susann Dienelt“ das Haus verlassen und ihrer Nachbarin die Katzen übergeben habe. Die Befragung des Hausmeisters und einer 90-jährigen Frau im Rollstuhl hätten ergeben, dass in der nun brennenden Wohnung zwei junge Männer mit Frau Dienelt in einer WG gewohnt hätten. Die im Dach arbeitenden Handwerker hatten das Haus bereits verlassen.

Beitz konzentrierte sich nun auf die Suche nach Frau „Dienelt“, zunächst als Zeugin, wegen Angaben zur Explosion und möglichen weiteren Personen. Die Befragung von Nachbarn und dem Hausmeister habe die Telefonnummer von Frau „Dienelt“ erbracht; ein Anruf von Polizisten hätte ergeben, dass sich das Telefon noch in Zwickau befand; die Suche nach der Frau blieb jedoch erfolglos. Gegen 18.30 verließ Beitz mit Herrn Mi. den Brandort. In der Nacht habe er von Herrn Hoffmann erfahren, dass es möglicherweise einen Zusammenhang mit den beiden Toten in Eisenach gebe.

Auf die Frage, wie und von wem er von der Explosion erfahren habe, antwortet Beitz, er sei vom Diensthabenden des Reviers verständigt worden und hingefahren. Seine Ansprechpartner vor Ort seien Mi. und andere Kollegen, die Feuerwehr und absperrende Kollegen gewesen; drei oder vier Streifenbesatzungen seien bereits vor Ort gewesen. Anwohner hätten sich bei seinen Kollegen gemeldet, er selbst sei mit der Koordinierung des Gesamteinsatzes betraut gewesen. Auf die Frage, von wem die Nummer von Frau „Dienelt“ kam und wer versucht hatte, sie um 16.32 anzurufen, gibt Beitz an, sich nicht erinnern zu können. Auch auf die Frage, wie es sein könne, dass anscheinend jemand versucht hatte, Frau „Dienelt“ schon um 16.32 anzurufen, obwohl die Polizei ihre Nummer laut Protokoll erst um 17.50 hatte, kann Beitz keine Antwort geben. „Vermutlich“ hatte jemand von der Kripo die Nummer gehabt.

Das Telefon von Frau „Dienelt“ ist mehrfach und von verschiedenen Polizeidienststellen angerufen worden, um 17.50 vom Polizeirevier und neunmal abends zwischen 18.30 und 19.30 von Beamten des Einsatzzuges. Beitz kannte die Beamten jedoch nicht persönlich. Das Handy wurde gegen 18.00 in der Trillerstraße geortet; es muss sich also in dem Umkreis von ca. 500 m befunden haben, wurde aber bis heute nicht gefunden. Auch auf die Frage, ob das Handy mehrfach geortet oder der Bereich nochmal abgesucht wurde, weiß Beitz keine Antwort. Die Trillerstraße sei ja eine Neubausiedlung, und „jede Ortung ist auch ein Grundrechtseingriff“.

In der Folge sind die Fragen der Abgeordneten interessanter als die zunehmend einsilbigen Antworten des Beamten. So halten die Abgeordneten Herrn Beitz vor, dass ein Beamter aus der Polizeidirektion Zwickau in die Familie Eminger eingeheiratet hatte (Beitz: „Der Kollege hatte sich mir offenbart“). Ob der enge Kontakt zu Zschäpe im weiteren Umkreis der Familie Eminger (also auch bei dem Polizeibeamten) bekannt war, wusste Beitz ebenfalls nicht. Nur so viel: Der Kollege wurde vernommen und im Dienst belassen.

Spur 95: Am 3.12.2011 hatte sich ein früherer Geschäftspartner von Ralf Marschner, ebenfalls ein früherer Nazi, bei der Polizei gemeldet und angegeben, Marschner hätte sich Pfingsten 1998 mit den Uwes getroffen und sei auf Waffen angesprochen worden. Zudem hatte Marschner bis 2007 in der Trillerstraße gewohnt. Ob das bei der Handyortung eine Rolle gespielt habe? Beitz verneint und verweist darauf, dass der ebenfalls geladene Herrn Philipp von der Kripo mit den weiteren Ermittlungen betraut war.

An auffällige Angaben über die geflohene Frau kann sich Beitz nur an die langen schwarzen Haare und ihr seltsames Verhalten erinnern. Offen blieb bis zuletzt, wer das Handy von Frau „Dienelt“ zuerst angerufen hatte – und wann. Den ersten Einsatz hatten zwei Beamte des Kriminaldauerdienstes geleitet. Auf den Vorhalt, dass Herr Mi. die Nummer vom Hausmeister W. bekommen habe, sagte Beitz lapidar, dass Mi. dann vermutlich angerufen habe.

Auf die Frage von Petra Pau, was man in Zwickau heute von der „pogromartigen Stimmung“ in Sachsen spüre, antwortete Beitz: „Keine Aussage.“

2. Zeuge Bernd Hoffmann, Kriminaldirektor a.D.

Als zweiter Zeuge wurde der 2015 pensionierte Kriminaldirektor Bernd Hoffmann angehört. Hoffmann war zur fraglichen Zeit Leiter der Kripo Zwickau. In seiner Erklärung fasst Hoffmann zusammen, wie er am 4.11. vom Wohnhausbrand erfuhr, dass es gegen 18.00 hieß, dass die Lage doch komplizierter sei und es nach einer Straftat aussehe. Am 5.11. kamen Infos aus Thüringen, Kollegen von der Soko „Parkplatz“ aus Stuttgart machten sich auf den Weg nach Zwickau und am Nachmittag tauchten die NSU-Namen auf („wir konnten damit nichts anfangen“). Am 6.11. gab es eine Führung mit den Kollegen aus Stuttgart. Der Zusammenhang mit der Überfallserie, dem Mord an Kiesewetter und dem Brand in Zwickau wurden deutlich. Nach Herrn und Frau Dienelt wurde gesucht, eine Frau Dienelt wurde gefunden, war aber nicht die Täterin – die wurde als Zschäpe identifiziert und nach ihr gefahndet. Am Montag rollte die Maschine richtig an, Haftbefehl, Zielfahndung, doch am 8.11. stellte sich Zschäpe in Jena, wurde nach Zwickau verbracht, verweigerte die Aussage und wurde nach Chemnitz überstellt. Alles Weitere haben BAW und BKA übernommen.

Der Ausschussvorsitzende Binninger zeigt sich verwundert über die „außergewöhnlich schnelle Polizei-Zusammenarbeit“ zwischen Sachsen und Thüringen am 4.11. Er fragt Hoffmann, wieso man sich nach dem Banküberfall in Eisenach so sicher war, es mit den Serientätern zu tun zu haben und sofort eine Länderübergreifende Funkfahndung einleitete. Hoffmann antwortet, er habe die Mitteilung zur Fahndung aus Gotha von Herrn Le. (Kommissariat 2a) erhalten. Dieser habe sofort den Bezug zum Banküberfall am 7.9.2011 in Arnstadt hergestellt und gesagt: Das sind unsere Täter. Außerdem gebe es gute Beziehungen. Nach dem 4.11. habe die Kripo Thüringen zunächst unabhängig gearbeitet, es gab nur einen Herrn Münster als Verbindungsbeamten zum LKA Sachsen. Frau Dienelt, Jahrgang 85, war in einem Dorf, 20 km von Zwickau entfernt wohnhaft und wurde in die Frühlingsstraße gebracht und Anwohnern gegenüber gestellt. Die hätten gesagt, dass sie nicht die gesuchte Frau sei und stattdessen anhand der Plakate Zschäpe identifiziert. Nach Angaben von Hoffmann leiteten Mü. und Philipp den Einsatz vor Ort. Ab 23.00 Abends begann man, von einer Straftat auszugehen.

Danach geht es wieder um die Diskrepanz zwischen dem ersten Anruf auf Zschäpes Handy (16.30) und dessen Erwähnung im Protokoll (17.50). Hoffmann erklärt dazu, dass der Kriminaldauerdienst die Handynummer von einem Nachbarn erhalten und dort angerufen habe. Die zeitliche Distanz von einer Stunde und 20 Minuten liege wohl an der Protokollierung. Die Handyortung und Abfrage sei noch aus Sorge um Frau „Dienelt“ erfolgt und es sei nur einmal geortet worden, weil es „so viel zu tun“ gab. Auch Hoffmann sagt, von den beiden Beamten des Kriminaldauerdienstes hätte einer zuerst angerufen, Namen wisse auch er nicht. Auf den Vorhalt, dass zuerst angeblich eine Frau angerufen und ein Mann habe und ein Mann rangegangen sei, weiß Hoffman keine Antwort. Auch Hoffmann sagte, Frau „Dienelt“ sei als „aufgeregt, hektisch, durch den Wind“ beschrieben worden.

Hoffmann erklärt, eine Lagebesprechung über das Trio und dessen Unterstützer habe am Sonntag Morgen (6.11.) stattgefunden; die Namen Mundlos, Zschäpe, Böhnhardt und Gerlach (auf dessen Namen das Wohnmobil ausgeliehen worden war) seien erst am Samstag Nachmittag bekannt geworden; „wir konnten mit diesen Personen zu diesem Zeitpunkt nichts anfangen“. Er verneint die Frage, ob die Aussagen schon eine Rolle gespielt hätten, dass Zschäpe sich Tage zuvor unter Tränen von einer Nachbarin verabschiedet hätte, sich mit den beiden Uwes gestritten, keine Wäsche gewaschen und sei mit dem Taxi zu einem Anwalt gefahren sei. Der Fall sei erst am Sonnabend mit dem Eintreffen der Soko „Parkplatz“ zur Chefsache geworden. Die Bekenner-DVD sei durch seine Dienststelle bekannt gemacht und dann vom BKA neu bewertet worden.

Überhaupt das BKA: Hoffmann wird vorgehalten, ein Vermerk des BKA vom 8.11. liege vor: „Hoffmann ist nicht bereit, Auskünfte zu geben und verweist ans LKA.“ – Hoffmann erinnert sich nicht, dass er einen Antrag verweigert hätte und beschreibt die Zusammenarbeit als geradezu harmonisch. Auch die Zusammenarbeit mit der Soko aus Baden-Württemberg sei sehr gut gewesen.

Das „Trio“ habe Hoffmann zunächst nichts gesagt, aber die Thüringer seien wohl sehr aufgebracht gewesen und wollten wissen, ob das in der Frühlingsstraße ein Bombenanschlag gewesen sei, weil das „Trio“ wohl vorher schon „mit Sprengstoff experimentiert“ hätte. Im Übrigen sei die Frühlingsstraße ordentlich gesichert gewesen und nur Kriminalbeamte und Brandursachenermittler seien zugangsberechtigt gewesen.

Im Folgenden geht es darum, ob es wirklich Zschäpe war, die das Haus verlassen hatte. Es gibt anscheinend Widersprüche; so soll sie einen roten Mantel und graugrüne Jeans getragen haben, als sie das Haus verließ; ein Zeuge will eine Tasche gesehen haben, in der 15 CDs Platz hatten. Zudem gebe es eine Frau aus der Unterstützerszene, der das Phantombild ähnlich sieht. Hoffmann zieht sich darauf zurück, dass Zschäpe bei einer Gegenüberstellung identifiziert worden ist. Man wisse nicht, ob die Tat (in der Frühlingsstraße) nicht sogar geplant gewesen sei. Außerdem vertritt Hoffmann die Ansicht, die CDs seien schon vorher verteilt worden. Es habe eine Liste mit CD-Adressaten gegeben.

Nun geht es wieder um das Ehepaar André und . Sie wurden am 6.11. durch die Polizeidirektion aufgesucht. Sie hätten gefragt, ob es sinnvoll wäre, dass sie einen Anwalt nähmen. Am 5.11. hatte sich Anwalt Baumgart gemeldet und gesagt, dass er den Wohnungsmieter Matthias Dienelt vertrete. Warum die Emingers befragt wurden? Hoffmann bleibt vage: „Es gab irgendwie einen Bezug zu Zschäpe“, „kann ich nicht sagen“, „keine Erkenntnisse“ sind nun seine mageren Antworten. Zu weiteren Detailfragen weiß der Leiter der Kripo es gar keine Antwort mehr: Der Wirt des griechischen Lokals hatte gesagt, die hätten oft Besuch gehabt; ein weißer V5 mit schwarzem Dach wurde gesehen; erhebliche Absicherungen der Wohnung verstärkt in Richtung 4. Quartal 2011; am Abend des 3.11. soll in dem leer stehenden Restaurant Licht gebrannt haben. Auf Frage kann er kann sich auch nicht an einen Mord von zwei Türstehern im Oktober 1998 an dem Punk Patrick Türmer in Oberlungwitz (bei Chemnitz) erinnern und dass diese Türsteher aus dem Security/Neonazi/Hooligan-Spektrum kamen. Ralf Marschner habe den beiden ein Alibi gegeben hält die Abgeordnete Pau dem Zeugen vor. Nebenbei sei Marschner V-Mann des BfV gewesen.

Staatsschutz war der Bereich von Kriminaldirektor Hoffmann. Er habe einige Namen gekannt, aber den Sachverstand hatte der Leiter des Staatsschutzes. „Wir hatten einen NPD-Kreisverband, aber keinen Schwerpunkt“, so die Einschätzung des Zeugen. Noch einmal wird er mit der Situation nach dem 4.11. konfrontiert: Umfeldpersonen von Herrn Dienelt, sowie André und Maik Eminger sind verschwunden. Ein Polizist wendete sich an Herrn Beitz, er habe in die Familie Eminger eingeheiratet, seine Frau sei die Schwester der beiden Brüder. Er hätte Zschäpe bei Familienfeiern etc. treffen können. Hoffmann wird gefragt, ob er eine Vernehmung des Polizisten angeordnet habe, Hoffmann verneint dies.

3. Zeuge: Lutz W. (Hausmeister aus Zwickau)

Lutz W. war von 2000 bis zur Explosion des Gebäudes 2011 Hausmeister der Frühlingsstraße 26. Er betont, dass er nicht wirklich der „Hausmeister“ war, sondern eher eine Verbindungsperson zwischen Hausverwaltung und Bewohnern.

Am Tag des Brandes, so erzählt W., war er bei seiner Freundin, die in der Nähe wohnt. Als er zum Tatort kam, sei schon alles abgesperrt gewesen. Erst über eine Stunde später kam man an das Haus ran, gegen 18 oder 19 Uhr habe es eine kurze Vernehmung gegeben. Zwar steht im Einsatzprotokoll, dass ein Beamter um 17.50 die Telefonnummer von Frau „Dienelt“ von ihm bekommen habe, doch daran will sich W. nicht erinnern. Er behauptet, er habe ihre Nummer nie gehabt und kenne nicht einmal ihren Vornamen. Er habe sie nur ein- bis zweimal die Woche gesehen, ihren Freund ganz selten; den anderen Typ habe man kaum wahrgenommen, „die waren ja wie Schatten“. Die Spezialtüren im Keller hätten sie sich mit Erlaubnis der Hausverwaltung eingebaut, Schüsse von Übungen im Keller habe er nie gehört und in der Wohnung sei er nur einmal gewesen, im Flur, wegen eines geplatzten Heizungsrohres.

W. bemüht sich, seine Kontakte mit Zschäpe und Co. so klein wie möglich zu reden. Er habe sie kaum gekannt und nie was Verdächtiges wahrgenommen. Den Nachbarn Herrn B. mit seinem Partykeller habe er zwar fast täglich getroffen, aber im Keller will er nur „äußerst selten“ gewesen sein. Ein Hitlerbild will er dort nicht wahrgenommen haben, auch habe man nie über Politik geredet. Und Frau „Dienelt“ habe er dort auch nie getroffen. Besuch habe bei ihr von der Freundin oder Schwester mit ihren zwei kleinen Kindern gegeben.

Laut Vernehmungsprotokoll hatte W. am 4.11. zunächst ausgesagt, Zschäpe am Vormittag gesehen zu haben, am 17.11. sagte er hingegen aus, er habe er sie am 4.11. hundertprozentig nicht gesehen, dafür am 2.11., wie wenn sie auf jemanden wartet, etwa ein Taxi oder so. Doch jetzt will sich W. an nichts davon erinnern.

4. Zeuge Volkmar E. (Hausverwalter)

Nach dem wortkargen Hausmeister ist der Hausverwalter sichtlich bemüht, zur Aufklärung beizutragen. Akribisch hat er alle Papiere zum Haus mitgebracht. E. war erst seit dem 1.9. 2011 für die Frühlingsstraße 26 zuständig. Er sagt, bis zum 5.11. war für ihn ein Herr Dienelt der Bewohner. Er habe sie nur einmal getroffen, einen glatzköpfigen Mann und eine dunkelhaarige Frau, „dunkelhaarig, attraktiv, rote Bekleidung, vermutlich die Bekannte, die sich um die Katzen gekümmert hat.“ Er erzählt, dass im Keller eine Metalltür war, die man niemandem zuordnen konnte. Als ein Handwerker die Tür aufmachen wollte, sei eine Frau, vermutlich Zschäpe, erregt dazugekommen.

Trotz seiner Bemühungen hatte Escher nicht wirklich was zu erzählen. Die Miete habe er zunächst von einem Matthias Dienelt, am Ende dann von einer Lisa Pohl bekommen. Nach der Explosion habe er erfahren, dass Herr Dienelt noch lebe, und zwar in Johanngeorgenstadt. Er habe ihn angeschrieben und dann Post von einem Anwalt aus Potsdam zurückbekommen.

5. Zeuge Swen Philipp (Polizeirat)

Swen Philipp ist der letzte Zeuge des Tages. Er unterscheidet sich nicht nur optisch von seinen beiden Kollegen (er tritt in Uniform auf), sondern auch in seinem überzeugenden Versuch, sich an alle Details zu erinnern. Ebenso wie sein Kollege Beitz hatte er erst am 1.11.2011 seinen neuen Posten in Zwickau angetreten, als Dezernatsleiter. Damit kannte er weder das Personal noch die Organisation der Polizeidirektion Zwickau.

Am 4.11. war er gegen 15.40 für eine Stunde am Tatort. Er erinnert sich, dass die Einsatzleitung unter Herrn Beitz gesagt habe, die Telefonnummer von „Dienelt“ durch Herrn W. erhalten zu haben.

Philipp war bis zum 11.11. stellvertretender Leiter der Ermittlungsgruppe, dann bis zum 30.6.2012 Verbindungsbeamter zum BKA. Er erinnert sich, dass eine Woche vor dem 4.11. ein iranischer Gewerbetreibender in Döbeln ermordet wurde und vermutete zunächst einen Zusammenhang, der sich dann aber nicht erhärten ließ.

Am 4.11. sei die Handyortung erfolgt, weil man davon ausging, dass Frau „Dienelt“ vermisst war. Herr He. hatte ausgesagt, sie kurz nach der Explosion in der Nähe gesehen zu haben. Philipp war nicht der Einsatzleiter, habe aber gehört, dass Kräfte des Einsatzzuges zum Ort der Funkzelle geschickt worden seien und erfolglos nach der Frau gesucht hätten. Es habe insgesamt 15 Anwahlversuche durch Beamte des Kriminaldauerdienstes und des Einsatzzuges gegeben. Erst wurde nicht abgenommen, dann wurde das Handy abgeschaltet. Philipp überraschte mit der These: „Ich denke, dass die Flucht durchdacht und die Brandstiftung geplant war.“ Für eine Person alleine sei das alles zu professionell gewesen. „Sie floh die Hauptstraße entlang und konnte sehen, welche Einsatzfahrzeuge unterwegs waren.“ Ihre Spur endete nach 15-20 Minuten auf einem Parkplatz. Dort hatte Zschäpe offensichtlich Eminger getroffen. Das Handy wurde nie gefunden.

Auch Philipp kann nicht sagen, welcher Beamte auf dem Handy von Zschäpe angerufen hat, er denkt aber, dass es der Einsatzzug gewesen sein müsste. Für die verdächtige Information, dass jemand aus dem Sozialwerk der Polizei bei Zschäpe angerufen hatte, hat Swen Philipp auch eine passende These bereit: Es habe zuvor eine Aktion des Sozialwerks der sächsischen Polizei gegeben, Handys wurden kostenlos an Beamte gegeben und viele Kollegen hätten das verwendet: „Ich hatte auch eins.“ Dass von einem solchen Handy noch spät abends versucht wurde bei Zschäpe anzurufen, erklärt sich Philipp so, dass ein Beamter des Einsatzzuges eben noch so spät versucht habe, „die Vermisste“ zu finden.

Philipp ist immer noch der Meinung, dass die beiden Männer noch eine andere Wohnung gehabt haben mussten. So habe sich wenig Männerbekleidung in der ausgebrannten Wohnung befunden und bereits zuvor war angemerkt worden, dass der Strom- und Wasserverbrauch nicht dem eines Drei-Personen-Haushalts entsprach. Ausführlich berichtet Philipp von den erfolglosen Bemühungen der Polizei, eine weitere konspirative Wohnung ausfindig zu machen. Diese wurde u.A. in Glauchau vermutet, weil es Zeugenhinweise gab und dort das „Lieblingsfahrradgeschäft“ der beiden Uwes lag.

Am Samstag Nachmittag (4.11.) erfuhr Philipp nach eigenen Angaben von den untergetauchten Nazis, und zwar von dem Verbindungsbeamten der Polizeidirektion Gotha, der an dem Tag nach Zwickau kam. „Der Kollege hat keine Informationen gegeben und nur Informationen abgeschöpft. Das kam uns spanisch vor.“ In der Folgezeit gab es Hinweise auf einige Personen aus dem rechten Spektrum, ein Herr Burkhardt, der das Wohnmobil angemietet hatte, die Familie Eminger inkl. Maik, Holger Gerlach, Dienelt, die weiße Bruderschaft Erzgebirge.

Während die Zusammenarbeit zwischen BKA und LKA „toll“ war, habe es Beschwerden über mangelnde Informationen seitens des Landesamtes für Verfassungsschutz Thüringen gegeben. Der Verdacht habe im Raum gestanden, dass das LfV blockt. Auch der Staatsschutz habe wenig über die Zeit nach 1998 gewusst. Philipp weist auf die vielen Fragen hin, die bis heute offen sind, es gebe noch „schwarze Löcher“: Was hat das „Trio“ zwischen 2007 und 2011 gemacht? Woher kommen die ganzen Waffen? Sind das überhaupt alle Waffen? Welche Fahrzeuge sind noch angemietet worden und wann? „Haben die was geplant, was nicht zur Umsetzung gelangt ist?“

Weiter berichtet Philipp von den ersten Ermittlungen (bis zum 11.11.) im Neonazi-Umfeld. Der Zusammenhang zu den Emingers sei schnell da gewesen, weil ein Foto von Frau Eminger mit Frau Zschäpe gefunden wurde. Aber Eminger habe sich gesperrt und auf seinen Anwalt verwiesen, ebenso Dienelt. Herr Burkhardt wurde von der Soko aus Heilbronn vernommen, er soll kooperativ gewesen und aus der rechten Szene ausgestiegen sein. Er sei mal mit Mandy Struck zusammen gewesen. Bei dem Pass von Burkhardt habe es erst einen VS-Verdacht gegeben, „der sich aber ausgeräumt hat.“ Ein Herr Binz sei der Leiter der Ermittlungen gewesen. Zu dem weißen Kleintransporter mit Jenaer Kennzeichen und „bekanntem“ Halter, der am 8.11. frühmorgens an der Absperrung zur Frühlingsstraße gesehen wurde, konnte er nichts sagen.

Swen Philipp wird dann nochmal zu der möglichen Planung am 4.11. befragt. Er stützt sich dabei auf die Auswertung von Zschäpes PCs. Sie habe bestimmt von dem Überfall in Eisenach gehört und dann die Brandstiftung vorbereitet. Die Wäsche sei nicht aufgehängt worden. Nachbarn hätten eine Abschiedsszene beobachtet. Zschäpe habe sich am 2. oder 3.11. nach einer Tierpension für die Katzen erkundigt. Philipp geht nach wie vor davon aus, dass es tatsächlich Zschäpe war, die aus dem Haus floh – und nicht etwa Susann Eminger. Er betont nochmals, dass nach seiner Erkenntnis Zschäpes Handynummer vom Hausmeister W. an die Polizei gegeben wurde. Er sei definitiv am 4.11. von der sächsischen Polizei vernommen worden.

Dann wird Swen Philipp nochmal zu seinen Erkenntnissen der Neonazis aus dem direkten Umfeld befragt. In einem Vorhalt werden zwei Hinweise auf Marschner berichtet. Ein Zeuge habe sich am 11.11. gemeldet und am 3.12. habe sich ein ehemaliger Geschäftspartner gemeldet und ausgesagt, Marschern mit Böhnhardt und Mundlos einmal bei einem Fußballturnier in Greiz gesehen zu haben, dort sei nach Waffen gefragt worden. Die Security-Firma mit Verbindungen zu Ralf „Manole“ Marschner habe eine „Rolle“ gespielt. Marschner tauche auch im Ermittlungsverfahren gegen Landser auf. Die Weiße Bruderschaft Erzgebirge habe 12, 13 Leute gehabt, es gab die Chemnitzer Szene und die Landserszene. Der Zeuge erwähnt noch einmal Dienelt, Andre und Susann Eminger und schließt: „Ob wir alle haben, weiß ich nicht; es ist zu vermuten, nein.“

Fazit

Der NSU-Untersuchungsausschuss wurde am späten Nachmittag richtig interessant, als der Ermittler Swen Philipp gängige Thesen des Generalbundesanwalts in Frage stellte. Auf die Frage, ob der NSU das gewesen sei, was man jetzt als NSU kenne, betonte er, dies sei eine Frage der Definition: „
Zähle ich Herrn Wohlleben schon zum engen Kreis dazu oder nicht? Ist der engste Unterstützerkreis der, der aktiv handelt? Heißt „aktiv“, das Besorgen einer Waffe? Dann ist der Kreis größer.“ Denn sollte Zschäpe durch einen Freispruch wegfallen, bliebe von der terroristischen Vereinigung nichts übrig (diese muss aus mindestens 3 Personen bestehen), damit gäbe es auch keine Beihilfe mehr. Man könnte auch die Definition erweitern und etwa Wohlleben zur terroristischen Vereinigung dazu zählen und vielleicht auch Dienelt und , vielleicht sogar seine Frau als engsten Kreis bezeichnen, der aktiv gehandelt habe.

Einen Ermittler, der sich derart klar ausdrückt und offen zugibt vermutlich nicht alle Beteiligten zu haben, hat im Untersuchungsausschuss Seltensheitwert. Doch an den konkreten Ermittlungen ist der Beamte schon lange nicht mehr beteiligt, er unterrichtet mittlerweile in der sächsischen Polizeischule. Der Zeuge zeigte, wie eine Aussage durchaus erkenntnisreich sein und für Klarheit sorgen kann, ohne sich auf Zuständigkeiten und Ermittlungsaufträge zurückzuziehen. Und welche zentralen Fragen weiterhin ungeklärt sind.