Protokoll 85. Verhandlungstag – 18. Februar 2014

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Am heutigen Verhandlungstag sagten zunächst zwei Ermittler aus, die beim BKA Berichte anfertigten. Zunächst zeigte sich, dass  eine lückenlose Abfolge von Wohnungen ermittelt werden konnte, die das Trio nutzte. Anschließend wurde das Spiel „Progromly“ in den Prozess eingeführt und detailiert erläutert. Im Anschluss wurde ein BKA‚ler gehört, der Erkenntnisse zu Enrico Th. und Jürgen Lä. zusammengetragen hatte, die beide auch aus Jena stammen und vermutlich Böhnhardt aus einem Gefängnis-Aufenthalt kennen.

Zeugen:

  • KHK Winfried Tu. (BKA, Übersicht Wohnungen NSU)
  • KK Helmut Sch. („Pogromly“-Spiel)
  • KHK Thorsten We. (BKA, Erkenntnisse zu Enrico Th. und Jürgen Lä.)

Der Verhandlungstag beginnt um 9.47 Uhr. Nach der Feststellung der Präsenz bittet RA Klemke, Verteidiger von Ralf Wohlleben, um das Wort. Klemke teilt mit, dass Wohlleben die Ladungen der Zeugen erst am heutigen Morgen ausgehändigt worden sei. Um sich auf die Vernehmungen vorbereiten zu können, müsse die Verhandlung für mindestens eine Stunde unterbrochen werden. RA Heer, Verteidiger von Beate Zschäpe, schließt sich dem Antrag an. Vorsitzender Richter Götzl unterbricht die Verhandlung.

Um 11.10 Uhr geht es weiter mit dem Zeugen Winfried Tu. Tu. ist Kriminalhauptkommissar beim BKA und hat einen zusammenfassenden Vermerk über die Wohnungen geschrieben, in denen sich Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe ab dem 26. Januar 1998 aufgehalten hätten. Tu. sagt, es seien dem „Trio“ insgesamt sieben Wohnungen seit 1998 zuzuschreiben, vier im Bereich Chemnitz, drei weitere in Zwickau. Sie hätten keine Lücken zwischen diesen Wohnungen feststellen können, alle Wohnungen seien überlappend angemietet oder zur Verfügung gestellt worden. Ende Januar 1998, nach dem Untertauchen aus Jena, hätten die Drei bei dem ihnen bekannten Thomas Starke vorgesprochen und um eine kurzweilige Unterbringung gebeten. Starke habe den Personen kurz Aufenthalt bei ihm selber gewährt und ihnen dann eine Wohnung bei einem Bekannten in der Friedrich-Viertel-Straße 85 in Chemnitz vermittelt. Das sei im Fritz-Heckert-Gebiet, einer Plattenbausiedlung im Süden von Chemnitz. Die Personen seien in der 3-Zimmer-Wohnung für drei Wochen untergekommen. Der Bekannte, Herr R., habe dort selbst mit gewohnt und sei der Mieter gewesen. Die Wohnung existiere heute nicht mehr, so Tu., das Haus sei abgerissen worden. Der Aufenthalt habe Mitte Februar geendet, weil R. die drei nicht mehr habe unterbringen können. Dann sei wiederum Starke als „Verlässlichkeitsgeber der Personen“ angesprochen worden bzw. habe sich im Vorfeld gekümmert. Es sei eine weitere Wohnung zur Verfügung gestellt worden: eine 2-Zimmer-Wohnung in der Limbacher Straße 96 im Chemnitzer Stadtteil Altendorf. Die Wohnung sei von Max-Florian Bu. als Mieter auch bewohnt worden. Laut Aussagen von Bu. und dessen damaliger Lebensgefährtin Mandy St. sei das Ansinnen von Thomas Starke über St. an Bu. herangetragen worden. Das sei für Bu. nicht das Problem gewesen, weil er sich zu dem Zeitpunkt sehr oft bei Mandy St. in der Bernhardstraße in Chemnitz aufgehalten habe. Laut Aussage habe sich Bu. im Sommer 1998 von St. getrennt. Bu. habe sich dann wieder in seiner Wohnung aufgehalten und somit entsprechende Aussagen zum Aufenthalt der drei Personen treffen können. Dieser Aufenthalt habe sich wohl bis Ende August hingezogen. Ende August habe eine erneute Verlegung der Drei stattgefunden, wohl auch von Thomas Starke vermittelt, der wieder über Mittelsmänner die Wohnung besorgt habe: eine kleine 1,5-Zimmer-Wohnung in der Altchemnitzer Straße 12, die von Carsten Ri. angemietet worden sei. Laut Aussagen von Ri. sei die Wohnung schon ausgesucht gewesen und Ri. habe als Strohmann gegenüber den Vermietern, den Eheleuten U. aus Bayern, fungiert. Die U.s hätten mit der eigentlichen Vermietung nichts zu tun gehabt.

An dieser Stelle meldet RA Heer Bedenken an, dass über Tu. Aussagen von Zeugen eingeführt würden, die noch nicht gehört seien. Götzl sagt, es gehe nicht darum, irgendwelche Aussagen von Zeugen durch Tu. zu ersetzen. Tu sagt, dem Vermerk, der seiner Einvernahme hier zugrunde liegt, lägen auch Sachbeweise aus der Frühlingsstraße zugrunde, Anschlussvernehmungen, z.B. bei den Vermietern, und als drittes der „klassische Personenbeweis“ durch Benennung der Person, die die Aussage getroffen hat. Dann fährt er fort: Ri. habe über die Hausverwaltung HDS diese Anmietung vollzogen, die Wohnung sei für die Eigentümer ein Renditeobjekt gewesen. Bis auf ein wenig Schriftverkehr hätten die U.s mit „den Personen“ nichts zu tun gehabt. Als Mietzeitraum sei Ende August bis Mitte April 1999 festgestellt worden. Ende April sei ordnungsgemäß gekündigt worden Das sei eigentlich schon Ende März geplant gewesen, der Mietzeitraum sei aber auf Bitte um einen Monat verlängert worden. Ein Grund dafür ergebe sich nicht. Auf Frage von Götzl sagt Tu., der Vertrag liege, so glaube er, nicht mehr vor. Götzl hält vor, dass im Vermerk von einem „Einheitsmietvertrag“ zwischen den Eheleuten U. und Ri. vom 29. August 1998 die Rede sei. Dann habe er doch vorgelegen, sagt Tu. Ende sei dann der 30. April 1999 gewesen, diese Feststellung resultiere aus einem Einschreibebeleg im Brandschutt. Eine Nachfrage bei Frau U. habe ergeben, dass schon gekündigt und dann um die Verlängerung gebeten worden sei.

Es sei dann eine 2-Zimmer-Wohnung in der Wolgograder Allee 76 festgestellt worden, wieder in der Fritz-Heckert-Siedlung. Die Wohnung sei mit Zeitvertrag vermietet worden von April 1999 bis Ende August 2000. Mieter sei in diesem Fall, durch Mietverträge bei der Wohnungsbaugesellschaft nachgewiesen, „der hier anwesende Andre E.“ gewesen. Es habe anhand von Wasserkostenabrechnungen auch festgestellt werden können, dass sich da tatsächlich Personen aufgehalten hätten. Eine Befragung der Nachbarn habe ergeben, dass zumindest Zschäpe von einer Zeugin im Haus erkannt worden sei, zu Mundlos und Böhnhardt lägen keine Erkenntnisse vor, die einen Aufenthalt belegen. Es gebe aber von Bu. Aussagen, das „Trio“ habe in einer solchen Wohnung gelebt im Süden von Chemnitz in der Nähe eines Waldstücks und in der Nähe einer Kaufhalle. André E.s „harte Daten“ lägen dem Mietvertrag zugrunde, die Wohnungsanmietung hätte ohne E.s Zutun nicht vonstatten gehen können. Es habe bei der Anmietung auch ein Lohnnachweis von E. vorgelegen. Mit dem Ende des Mietzeitraums im August 2000 sei die Wohnung dann auch schriftlich gekündigt worden. Dann habe sich neben einem Wohnungs- auch ein Ortswechsel angeschlossen.

In der Heisenbergstraße 6 in Zwickau sei unter den Personalien des Max-Florian Bu. zum 1. Juli 2000 bis zum 31. Mai 2001 eine Anmietung erfolgt. Es sei bekannt, dass sich Mundlos damals einen Reisepass auf den Namen Bu. besorgt habe. Daher sei davon auszugehen, dass Mundlos diesen Ausweis benutzt habe, um sich zu legitimieren. Daneben gebe es noch Belege der Wasserabrechnung und vom Kabelanbieter. Vorher habe es immer Mittelsmänner gegeben, um „Wohnungsnahmen“ durchzuführen, hier sei erstmals eine Personalie im Spiel, die darauf schließen lasse, dass Mundlos vorstellig geworden sein müsse. Bu. habe angegeben, er habe das nicht angemietet. Schon zum 1. Mai 2001 sei eine 4-Zimmer-Wohnung in der Polenzstraße 2 in Zwickau, Stadtteil Marienthal, von Matthias Di. angemietet worden. Di. habe ausgesagt, dass ihn sein Freund André E. darum gebeten habe, weil Freunde einen Schufa-Eintrag hätten. Di. sei auch erst der Hauptmieter gewesen, Ende Mai oder Anfang Juni habe es dann einen Untermietvertrag mit Max-Florian Bu. gegeben, wobei es sich wohl um Mundlos gehandelt habe. Die Mietdauer sei bis zum 31. Mai 2008 gewesen. Es lägen auch Aussagen aus dem Haus vor, die Zschäpe als „Gesicht dieser Wohnung“ bezeichnet hätten, und männliche Personen seien auch festgestellt worden, es seien aber nicht direkt Böhnhardt oder Mundlos wieder erkannt worden.

Im weiteren Verlauf sei dann zum 1. März 2008 eine weitere, vermutlich die letzte, Wohnung in Zwickau angemietet worden, bis zur Explosion am 4. November 2011. Diese Wohnung sei auch von Di. angemietet worden, diesmal habe es aber keine Verzögerung bei der Erstellung eines Untermietvertrags auf den Namen Max-Florian Bu. gegeben. Es seien ursprünglich zwei Einzelwohnungen gewesen, die aber zu einer zusammengelegt worden sei. Die Wohnung habe vier Zimmer gehabt und sich auf das gesamte 1. OG der Frühlingsstraße 26 erstreckt. Die Personen hätten beim Vermieter um gewisse Änderungen an der Wohnung gebeten, dem sei vom Vermieter zugestimmt worden. Götzl fragt, ob bei der Wohnung Friedrich-Viertel-Straße 85 auch Mietverträge vorgelegen hätten. Da habe es nur die Aussagen von R. gegeben, so Tu. Das sei eine Unterbringung auf Zeit gewesen. Die Wohnungsnahme dokumentiere die Verfestigung der Gruppe, irgendwann habe es ein eigenständiges Bewohnen gegeben, die Wohnung von R. und Bu. seien als vorübergehende Unterbringung anzusehen. RA Heer sagt, dass die Beweiswürdigung der Senat vornehme. Götzl sagt, es gehe darum, von welchen Seiten Dinge in Tu.s Vermerk eingeflossen sind, es gehe um Transparenz. Heer erwidert, Tu. bewerte, habe aber die Aufgabe Tatsachen zu bekunden. Götzl sagt, da sei man sich einig, daher seine Frage nach Unterlagen oder Zeugenaussagen. Bei den Aufenthalten in den ersten beiden Wohnungen gebe es Zeugenaussagen, so Tu. Mit Beginn der Anmietung durch Carsten Ri. hätten auch Unterlagen vorgelegen, da sei eine eigenständige Unterkunft des „Trios“ festzustellen. Es gebe auch von Anja Sp., der damaligen Lebensgefährtin von André E., und von Hendrik La. entsprechende Aussagen, die einen gemeinsamen Aufenthalt  der Drei nahelegen. Sp. habe E. damals zu einer Wohnung begleitet, bei der es sich um diese Wohnung gehandelt haben soll. Deswegen sei da schon ein Aufenthalt anzunehmen. Und Ri. habe gesagt, die Personen hätten sich ihm als Beate, Uwe und Uwe vorgestellt.

Dann hält Götzl aus dem Vermerk die jeweiligen Vermieter der Wohnung vor. Bei der Wohnung in der Altchemnitzer Straße sagt Tu., es seien bei den Vermietern, aber auch bei einer Durchsuchung bei Ri. noch weitere Unterlagen gefunden worden. Götzl fragt zum Zuschnitt dieser Wohnung. Tu. antwortet, dass Ri. gesagt habe, die Wohnung sei auf Dauer zu klein gewesen. Er, Tu., habe sich die Wohnung von außen ansehen können und Skizzen gehabt, die Wohnung sei 27 m² groß gewesen, so dass auf Dauer eine Unterbringung von drei Personen die Wohnqualität doch beeinträchtigt hätte. Erwähnenswert sei noch, dass Ri. ausgesagt habe, dass er sich bei der Anmietung um nichts habe kümmern müssen, es sei schon alles vorbereitet gewesen. Tu. bestätigt den Vorhalt, dass im Mietvertrag der Wohnung in der Wolgograder Allee 76 André E. die Adresse seine Eltern in Johanngeorgenstadt angegeben habe, wo er gemeldet war. Tu. bestätigt auch, dass diese Wohnung  im 1. OG gelegen habe und 42 m² groß gewesen sei. Die Wohnung in der Zwickauer Heisenbergstraße 6 sei im EG links gewesen, habe drei Zimmer plus einen Kellerraum gehabt und sei 66,5 m² groß gewesen, bestätigt Tu. auf Vorhalt. Dann geht es um die Polenzstraße 2, wo die Wohnung im EG rechts und 77,3 m² groß gewesen sei. Der Mietvertrag sei in der Frühlingsstraße aufgefunden worden, so Tu. Bei der Wohnung in der Frühlingsstraße 26 sei es 2011 zu einem Eigentümerwechsel gekommen. Nebenklagevertreter RA Reinecke sagt, Tu.s Auswertungen hätten ja im Prinzip die Grundlage, dass alle Drei gemeinsam gewohnt haben. Das sei richtig, sagt Tu., natürlich sei es ungemein schwer, Leute zu finden, die eine entsprechende Wohnungsnahme durch alle drei Personen bestätigt hätten. Zu Beginn sei das schwierig, zum Schluss weitaus besser. In der Altchemnitzer Straße habe Ri. gesagt, alle drei Personen hätten sich da aufgehalten, aber das lückenlos zu machen, sei schwer. Reinecke fragt, ob es mal die Hypothese gegeben habe, dass nicht immer alle Drei zusammen gewohnt haben, es vielleicht weitere Wohnungen gegeben hat. Die Hypothese habe es gegeben, antwortet Tu., aber aus der Gesamtschau der vorliegenden Beweisstücke aus der Frühlingsstraße habe man keine weitere Wohnung belastbar herausarbeiten können. Es habe eine Öffentlichkeitsfahndung gegeben, so Tu. auf Nachfrage, und einen Infobrief, der in der Nachbarschaft vertrieben worden ist. Aber daraus hätten sich keine Hinweise ergeben, die eine Wohnung aufgetan hätten, die den Personen definitiv hätte zugewiesen werden können.

Auf Frage von RAin Lunnebach sagt Tu., bei der Person, die Zschäpe in der Wolgograder Allee erkannt haben wolle, könne es sich auch um einen Mann gehandelt haben, das könne durchaus ein „Büroversehen“ gewesen sein. Zschäpes Verteidiger RA Stahl sagt, Tu. habe eben auf Frage von Reinecke gesagt, er gehe davon aus, dass jeweils die Drei zusammen gewohnt hätten. Nun stehe, so Stahl, in Tu.s Vermerk zur Heisenbergstraße 6, dass Aussagen Dritter bzw. Sachbeweise für einen Aufenthalt in der Heisenbergstraße 6 nicht vorlägen, die gemeinsamen Wohnungen davor und danach aber darauf schließen ließen. Das sei in der Gesamtschau seine Bewertung, bestätigt Tu. Stahl sagt, die Wohnung in der Wolgograder Allee wäre ja dann davor gewesen, da finde er aber auch keine Anhaltspunkte für eine gemeinsame Nutzung aller Drei. Tu sagt, wirkliche Aussagen von Personen, die alle Drei festgestellt hätten, habe es nicht gegeben. Aber man habe da eine Person, die sagt, sie hätte Zschäpe gesehen. In der Frühlingsstraße hätten viele Hinweise vorgelegen über frühere Wohnungen, so dass er davon ausgegangen sei, dass die Drei ihr Leben gemeinsam gestaltet haben und entsprechend auch ihre Wohnungsnahme, das sei seine Bewertung, Stahl könne das auch anders sehen. Stahl: „Ganz herzlichen Dank, Herr Tu.“ Dann sagt Stahl, zur Heisenbergstraße sage Tu., es gebe keine Erkenntnisse, hinsichtlich der Wolgograder Allee sage Tu., so richtig gebe es da auch nichts, dies führe Tu. aber als Beleg auch für die Heisenbergstraße an. Tu. sagt, das sei schwierig und Stahl könne ja auch seine Meinung darlegen. Götzl wird sauer, worauf der Zeuge sagt, das sei nicht despektierlich gemeint. Aus der Friedrich-Viertel-Straße, der Limbacher Straße und der Altchemnitzer Straße gebe es Aussagen, die von einem gemeinsamen Aufenthalt der drei Personen sprechen, bei den anderen Wohnungen sei das schwieriger. RAin Lunnebach sagt, aus einem Vermerk eines Kollegen von Tu. gehe hervor, dass in der Wolgograder Allee möglicherweise Mundlos als Bewohner erkannt worden sei. Das sei dann so, antwortet Tu. RA Langer fragt, ob denn auch der Verbrauch an Wasser oder Energie gecheckt wurde. Das hätten sie soweit möglich hochgerechnet, sagt Tu., und die Wasserverbräuche ließen drauf schließen, dass es über dem Durchschnitt für einen einzelnen Menschen liegt. Das sei als „Hilfskriterium“ benutzt worden, das dazu neige, dass sich dort mehr als ein oder zwei Personen aufgehalten haben.

Nach der Mittagspause um 13.25 Uhr folgt zunächst eine Erklärung von RA Stahl zur Aussage von Tu. Stahl sagt, der GBA stelle im Anklagesatz die Behauptung auf, Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe hätten über Jahre in derselben Wohnung gemeinsam gelebt und knüpfe daran auch rechtliche Schlussfolgerungen. Auf die Vernehmung von Tu. könne man diese Behauptung kaum stützen. Es hätten keine Tatsachen präsentiert werden können, denen zufolge die Drei seit 1998 durchgängig die Wohnungen gemeinsam bewohnt haben. Auf seine Fragen bezüglich Heisenbergstraße und Wolgograder Allee habe der Zeuge antworten müssen, dass sich für diese Wohnungen gerade keine Erkenntnisse konkretisieren ließen und dass es sich bei der Annahme, die Drei hätten immer zusammen gewohnt, um eine These der Ermittler handelte, die es zu beweisen gegolten habe. Es gebe durchgreifende Bedenken gegen diese Vermutung, etwa die Größe der Wohnung in der Altchemnitzer Straße. Aber auch die Urlaubsbekanntschaften hätten ausgesagt, dass sie gedacht hätten, dass Zschäpe alleine wohnt.

Dann geht es weiter mit dem Zeugen Sch., Kriminalkommissar vom LKA des Saarlandes, der für fünf Monate zum BKA abgeordnet war. Sch. berichtet zu seiner Auswertung des „Pogromly“-Spiels. Er habe das Spiel und dessen einzelne Felder fotografieren lassen und berichtet, dass er Aussagen der Zeugen und Beschuldigten, wann dieses Spiel zum ersten mal aufgetaucht ist und wie der Vertriebsweg war, hinzu gepackt habe. „Pogromly“ sei eine abgewandelte Version des allgemein bekannten Monopoly-Spiels, habe die gleiche Aufteilung. Allerdings seien die Spielbretter mit antisemitischen, fremdenfeindlichen Inhalten so belegt, dass von dem eigentlichen Spiel nur noch die Spielidee übrig geblieben sei. Die üblichen Straßennamen seien bei „Pogromly“ ausgetauscht worden gegen Städtenamen. Es seien dann noch fünf Davidsterne hinzugefügt worden. Wo beim Monopoly einzelne Häuser gekauft und abgelegt werden können, müssten beim „Pogromly“-Spiel die „Judensterne“ abgedeckt werden, „um eine schöne judenfreie Stadt zu erhalten, wie es in der Anleitung steht“. Es gebe eine Spielanleitung aus vier DIN A4-Seiten, die als Wasserzeichen den Kopf eines SS-Soldaten trägt und in altdeutscher Schrift verfasst ist. Mit selbst gemachten Holzklötzchen hätten die Davidsterne abgedeckt werden sollen. Dem Spieler, der am Ende die Macht über die Städte hatte, hätten die anderen Spieler dann die Ehre bezeugen sollen mit dem Gruß „Heil Dir, Großmeister“. Das Spielbrett habe wie Monopoly 40 Felder mit Straßennamen und Funktionsfeldern. Das Feld „Frei Parken“ sei in das Feld “Besuch beim Führer” umgewandelt worden, E-Werk und Wasserwerk dargestellt als „Gaswerk“ und „Arbeitsdienst“. Wobei beim Gaswerk das Kuriose sei, dass drei Feuerlöscher die Gasflaschen darstellen sollten. Die Felder, die das Ereignis- und Gemeinschaftskartenfeld darstellen sollten, seien mit Doppel-Sig-Rune für das Ereignisfeld und dem SA-Monogramm für das Gemeinschaftsfeld dargestellt. Darauf seien die „SS“- oder „SA-Karten“ abgelegt worden. Teilweise seien darin menschenverachtende Anweisungen mit antisemitischem oder anti-linkem Bezug, so sei von „roten Zecken“ die Rede, die man mit einem MG aufhalten müsse. Oder es habe eine Karte gegeben mit dem Satz: „Du hast auf ein Judengrab gekackt und dir eine Entzündung zugezogen – 1.300 Reichsmark Behandlungskosten“. Außerdem habe es Geldscheine mit Beträgen bis zu 20.000 „Reichsmark“ gegeben. Die Spielfelder „Gefängnis“ und „Gehe ins Gefängnis“ seien ausgetauscht zu „Gehe zum Juden“ und „Beim Juden“. Letzteres sei ergänzt worden durch „Nur zum Suchen deiner Geldbörse“. Das Startfeld bestehe aus der einer roten Fahne mit weißem Kreis und Hakenkreuz, eine Hand gebe darauf die Spielrichtung an. In der Mitte des Brettes sei ein angedeuteter Oberkörper zu sehen mit einem Totenschädel, der einen deutschen Stahlhelm getragen habe. Auf den Städtekarten sei, je nachdem wie viele „Judensterne“ abgedeckt seien, eine Miete angegeben, sowie der Hypothekenwert. München und Berlin hätten die höchsten Hypothekenwerte. Auf der Rückseite der Städtekarten, so Sch. auf Frage, stehe „Meine Ehre heißt Treue“. Die Gemeinschafts- und Ereigniskarten zeigten entweder das SA- oder das SS-Zeichen.

Im Folgenden werden Lichtbilder des Spiels in Augenschein genommen, die Sch. erläutert. Anhand eines Überblicksbildes über das Spielbrett geht Sch. die einzelnen Felder durch, deren Inhalte teilweise auf Bildern vergrößert zu sehen sind. Beim Feld, das bei Monopoly das Einkommenssteuer-Feld wäre, sagt Sch., man sehe hier einen angeblichen Juden mit Davidstern, die Beschriftung sei „Juden am Werk“, es gehe darum, dass der Jude dem Spieler 4.000 RM gestohlen habe. Auf den Städtefeldern seien die vier Davidsterne zu erkennen, die mit den auf einem anderen Bild zu sehenden Spielsteinen abzudecken wären. Der große Spielstein decke alle Sterne ab und sei wie ein Hotel bei Monopoly. Sch. geht weiter die Felder durch. Es folgt das Feld „Beim Juden“, da sei ein älterer Mann mit Geldscheinen dargestellt. Beim gegenüberliegenden Feld, so Sch., sei eine Hand abgebildet, die auf den Spieler zeigt, zu lesen sei „Du hast gestohlen – Gehe zum Juden“. Das Gaswerk sei durch Feuerlöscher und ein weißes Feld mit Totenkopf und Gasmaske dargestellt. Dann geht Sch. auf die „KZ-Felder“ ein, die die Bahnhöfe bei Monopoly ersetzten, es gebe die KZ Dachau, Ravensbrück, Auschwitz und Buchenwald. Das „Kuriose“ sei, so Sch., dass hinter einem Totenkopf mit gekreuzten Knochen zwei Israel-Fahnen zu sehen seien, obwohl Israel zur NS-Zeit noch gar nicht existiert habe, sondern erst 1967/68 gegründet worden sei. Dann liest er die Inhalte aller „SA-Karten“ [Gemeinschaftskarten] und der „SS-Karten“ [Ereigniskarten], die auf Bildern zu sehen sind (zu den Inhalten der Karten siehe z.B. Protokoll zum 79. Verhandlungstag). Dann geht Sch. die nächsten Spielfelder durch. Beim Feld „Besuch beim Führer“ sehe man das Konterfei Adolf Hitlers. Auf dem Feld „Arbeitsdienst“ sei ein Soldat zu sehen, der einen „recht ausgemergelten Mann mit Schaufel“ an der Schulter packt. Das Funktionsfeld zwischen München und Berlin, das im wirklichen Spiel eine Zusatzsteuer bedeute, sei hier ausgestaltet mit einem Mann, „wie er damals oft auf dem Schwarzmarkt angetroffen worden ist“. Es sei beschriftet mit „Bezahle den Spitzel mit 2000,-„. Dann komme die teuerste Stadt Berlin, was der Schlossallee entspreche, und man sei wieder beim Startfeld. In der Spielfeldmitte sei die Figur mit dem angedeuteten Oberkörper eines Soldaten zu erkenne, am rechten Arm eine Hakenkreuzbinde. An der rechten Brustseite sei die Aufschrift „Pogromly @ 1997“ zu sehen und am Stahlhelm die damaligen deutschen Nationalfarben Schwarz-Weiß-Rot.

Dann geht es, ebenfalls anhand von gezeigten Bildern, um die Spielanleitung, die Sch. jedoch nicht vorliest. Zu Bildern vom Spielgeld sagt Sch., der Geldwert sei in Reichsmark angegeben, darüber sei ein Adler dargestellt. Bei den Städtekarten sei der Preis für den Erwerb und die Hypotheken sowie die Miete genannt, die sich erhöhe, wenn man den ganzen Zug besitze. Die Rückseite trage neben „Meine Ehre heißt Treue“ auch „die Umrisse des Deutschen Reiches in der Zeit von 1945“. Anhand eines Fotos sagt Sch., der gesamte Zug „G“ enthalte etwa die Städtekarten Stuttgart, Frankfurt und Köln. Den Preis für Stuttgart betrage 6.600 RM, der Hypothekenwert 3.300 RM. Einen „Judenstern, wie es in der Anleitung heißt“ abzudecken, koste 4.000 RM. Sch. sagt, bei keinem der sichergestellten Spiele sei ein Würfel oder die eigentliche Spielfigur dabei gewesen. Dann zeigt Sch. noch das Bild „Jude am Werk“, im Original das Einkommenssteuerfeld. Es zeige einen Mann, der die Hosentaschen nach außen gestülpt hat, im Hintergrund sei ein Davidstern zu sehen. Auf einem weiteren Bild sei das SA-Monogramm richtig dargestellt. Auf Frage des Vorsitzenden korrigiert sich Sch. bezüglich der Gründung Israels, 1967/68 sei der Krieg mit der Besetzung der Golan-Höhen gewesen.

Götzl fragt, wie viele Spiele sichergestellt worden seien. Sch. antwortet, die ersten Spiele seien im Rahmen einer Durchsuchung beim Garagenverein an der Kläranlage e.V. in Jena aufgefunden worden. Bei der Durchsuchung der Wohnräume von Zschäpe sei dann ebenfalls ein Spiel zu Tage getreten, das unter einer Couch versteckt war. Im Rahmen der weiteren Ermittlungen sei das erste Auftauchen in der Vernehmung von Jürgen He. beschrieben worden, der das Spiel in der Wohnung von Böhnhardt gesehen haben will. Im weiteren Verlauf habe sich ergeben, dass das Trio nach den Angaben von Max-Florian Bu. in dessen Wohnung an diesem Spiel gearbeitet haben soll. Nach einer Intervention von RAin Sturm, Verteidigerin von Zschäpe, sagt Richter Götzl, Bu. und dessen Vernehmungsbeamte würden in dieser Woche ohnehin gehört und fragt dann, wie viele Spiele denn hätten ermittelt werden können. Das sei letztlich nicht feststellbar, es müsse sich aber im Bereich von 20 bis 30 Spielen bewegen, so Sch. He. habe gesagt, ihm seien 20 Spiele übergeben worden, zwei habe man sichergestellt. Fünf Spiele seien von einer anderen Person entgegengenommen worden. Sch. sagt, er wisse nicht, ob er das sagen soll, dann sagt er, das sei Tino Brandt gewesen, der André Kapke solle die abgeholt haben. Aus den Aussagen von Brandt zu Kapke gehe hervor, dass der von einem Treffen mit dem Trio fünf Spiele mitgebracht habe. So komme man allein schon auf eine Zahl von 27. Der Verbleib der Spiele sei bis dato größtenteils unbekannt. Zum Zeitraum der Produktion sagt Sch., es gebe die Angaben He.s und Holger G.s., die Entwicklung habe von 1995 bis 1997 stattgefunden. Aufgedruckt sei ja die Jahreszahl 1997, so dass man davon ausgehen könne, dass es da zum ersten Mal gefertigt wurde. Nach Aussagen He.s habe ihm Wohlleben Anfang 1999 angekündigt, dass keine Spiele mehr hergestellt oder vertrieben würden.

Nebenklagevertreter RA Reinecke fragt zum SA-Zeichen, ob dieses Zeichen noch einmal in anderer Form in diesem Verfahren aufgetaucht sei. Sch. versteht die Frage zunächst nicht, dann verneint er die Nachfrage, ob er dieses Zeichen in diesem Verfahren in anderem Zusammenhang gesehen habe. Mit dem NSU-Brief, wo ein Symbol des NSU abgebildet ist, habe er das nicht in Verbindung gebracht, so Sch. auf weitere Nachfrage. Auf Frage Götzls sagt Sch. er habe nicht selbst fotografiert, das sei in Wiesbaden passiert. Die Frage aus der Nebenklage, ob es Erkenntnisse zu weiteren Fundorten von Spielen gebe, verneint Sch. Diese hier abgelichtete Spiel stamme vom Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV). Die 1998 sichergestellten Spiele seien schon vernichtet worden. Aber es sei über Tino Brandt ein Spiel besorgt und dem BKA zur Verfügung gestellt worden. Die Frage von RA Klemke, ob Sch. den Kollegen kenne, der das Spiel in der Hand hatte, verneint der Zeuge. Klemke fragt, ob geprüft wurde, ob es zwischen den einzelnen Spielen Unterschiede gebe. Das könne er nicht sagen, so Sch., die Spiele von 1998 seien vernichtet und daher auch nicht ausgewertet worden. Er wisse nicht, wann das Spiel von Brandt beschafft wurde, wie die Beschaffung erfolgte und wie das Spiel verpackt war, so Sch. auf Fragen Klemkes. RAin Schneiders, Verteidigerin von Wohlleben, fragt woher die Information stamme, dass Tino Brandt fünf Spiele bekommen habe. Die komme vom TLfV, antwortet Sch. Die Vernehmung von Brandt sei ihm nicht bekannt, er wisse auch nicht, dass Brandt selbst von 10 bis 15 Spielen ausgeht, wie Schneiders ihm vorhält.

RA Heer bittet um eine Pause zur internen Beratung, um 14.53 Uhr geht es weiter. Auf Vorhalt von RAin Sturm bestätigt Sch., dass die Lichtbilder beim BKA am 4. Juli 2012 angefertigt worden seien. Er habe die Auswertung ausschließlich anhand der Lichtbilder vorgenommen. Sturm fragt, von wem ihm mitgeteilt wurde, dass die beiden Spiele von 1998 vernichtet worden seien. Das wisse er nicht mehr, so Sch. Sturm sagt, dazu finde sich im Bericht kein Vermerk, und fragt, warum nicht. Das könne er nicht beantworten, vom Thüringer LKA seien diese Spiele nach zehn Jahren offensichtlich vernichtet worden. Er wisse nicht, ob ihm das vom Thüringer LKA mitgeteilt wurde. Auf die Frage, ob er das dokumentiert habe, sagt Sch., es werde irgendwo stehen im Bericht. Das verneint Sturm. Aber Götzl hält nach einer Beanstandung von RAin Lunnebach vor, dass im Bericht stehe, die Spiele seinen nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist vernichtet worden, es sei im Bericht aber keine Quelle angegeben. Sturm sagt, dass sie das wohl überlesen habe. RA Stahl fragt, ob Sch. Erkenntnisse über Auswertungen am Originalspiel habe, etwa auf daktyloskopische Spuren, was Sch. verneint. Das könne, so Sch, auf Nachfrage, die Zentrale Asservatenstelle in Wiesbaden wissen. Stahl fragt, ob Sch. eigene Erkenntnisse habe, ob Zschäpe etwas mit dem Spiel zu tun hat. Sch. verneint das. Auf die Frage, worauf sich der Vermerk stütze, dass das Trio etwas damit zu tun hat, sagt Sch., das stütze sich auf die Aussagen von Jürgen He. und Max-Florian Bu. Er kenne nur deren Zusammenfassungen, nicht die Aussagen selbst. RA Klemke fragt, ob Sch. wisse, wie dieses Spiel vom TLfV an das BKA gelangte, was Sch. verneint. Er nehme an, dass das Spiel bei der Zentralen Asservatenstelle verblieben sei, wisse es aber nicht. Die Vernehmung endet um 15.02 Uhr.

RAin Sturm erklärt, die Verteidigung Zschäpe widerspreche der Verwertung der Aussage Sch.s, soweit der Zeuge Ausführungen zu der Durchsuchung in der Garage gemacht hat, weil die strafprozessualen Voraussetzungen für diese Maßnahmen nicht vorlägen. Klemke erklärt zur Aussage von Sch., es sei wieder mal festzuhalten, dass dieser Zeuge einen Bericht zusammengeschrieben habe aus anderen Berichten, der Beweiswert sei gleich Null. Man habe Tino Brandt noch nicht gehört und wisse nicht, aus welcher Quelle das Spiel kommt. Der Zeuge habe nicht einmal das Spiel selbst gesehen und man habe den Beamten nicht vernommen, der das Spiel fotografiert hat. RAin Lunnebach sagt, sie sei davon ausgegangen, dass man das Spiel in Augenschein nehme. Außerdem sei es ein Punkt für Holger G., seine Kooperationsbereitschaft zu beweisen, G. solle in der Hauptverhandlung weitere Angaben machen. RA Stahl sagt, man müsse sich „in gewisser Weise“ der Erklärung von RA Klemke anschließen. Ob der Beweiswert Null ist, wisse er nicht, aber es sei bedenklich, dass hier mit Selbstverständlichkeit behauptet werde, dass das Spiel vom Trio hergestellt wurde. Der Zeuge habe aber nicht einmal das Vernehmungsprotokoll gelesen, und auch Holger G. habe sich hierzu nicht geäußert in der Hauptverhandlung.

Es folgt die Vernehmung von KHK Torsten We. vom BKA. Götzl sagt, es gehe um Ermittlungen betreffend Enrico Th. und Jürgen Lä. (siehe Protokoll zum 53. Verhandlungstag), um behördliche Erkenntnisse, Asservate und Durchsuchungen. We. berichtet, Grundlage der Ermittlungen sei die Aussage von Andreas Sch. am 9. Februar 2012 gewesen, wonach die Waffe, die er an Carsten S. weiterverkauft haben will, von Lä. gekommen sei. Sie hätten einen Durchsuchungsbeschluss bekommen, aber es sei nicht klar gewesen, ob Lä. an seiner Wohnanschrift überhaupt wohnt. Es seien Verbleibskontrollen durchgeführt worden, wobei festgestellt worden sei, dass Lä. ein Auto eines anderen Halters, Stefan Ko. [phon.], nutzt, sein eigenes Auto habe dann später bei Enrico Th. gestanden. Sie hätten festgestellt, dass Lä. Kontakt zu Th. hat. Th. sei ihnen im Zusammenhang mit dem Schweizer Hans-Ulrich Mü. aufgefallen, Th. sei dessen engste Kontaktperson gewesen. So seien sie auf Th. gestoßen. Durch Auswertung von Altakten aus Thüringen hätten sie festgestellt, dass Th. Erkenntnisse hat bezüglich Waffen. 1993 habe Mü. laut Aussage von dessen Lebensgefährtin zehn Schießkugelschreiber aus der Schweiz nach Deutschland eingeführt, die Lebensgefährtin habe vermutet, dass Th. auch einen bekommen hätte. Ein weiterer Zeuge, Thomas P.-K., habe bestätigt, dass Mü. ihm einen Schießkugelschreiber präsentiert hätte, umgebaut in eine kleinkalibrige Waffe. 1998 habe es eine Aussage der Ex-Freundin von Th. gegeben, dass dieser ihr einiges gezeigt habe, eine MP Uzi, ein Gewehr, zwei Pistolen, einen Schießkugelschreiber. In der Garage von Th. an der Kläranlage hätte er noch weitere Waffen, er hätte auch mit einer Schusswaffe mit selbst gebautem Schalldämpfer auf eine Lampe geschossen. Und 2004 sei dann tatsächlich ein Schießkugelschreiber bei Th. im Fahrzeug festgestellt worden. Das sei die Ausgangsbasis, um bei Th. und Lä. zu durchsuchen, die Durchsuchungen seien beide am 26. April 2012 vollstreckt und beide Personen vernommen worden. Dann führt We. die Eintragungen Enrico Th.s im Bundeszentralregister auf. Die Vorwürfe aus Verfahren von 1995 und 1997 lauten u.a. auf Beleidigung, Diebstahl, Nötigung und Betrug sowie auf Hehlerei. Neben einer Geldstrafe nennt er auch eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten. 2001 sei Th. wegen falscher uneidlicher Aussage und Meineids zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. 2006 sei es dann wegen des Schießkugelschreibers zu einer Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz gekommen. Dann geht We. zu den polizeilichen Erkenntnissen, da gebe es viele Verdachtsmomente, die aber seltener in Verurteilungen gemündet seien. Anfang der 1990er sei Th. in einer Gruppe mit Uwe Böhnhardt gewesen, die Fahrzeugdiebstähle gemacht habe. Böhnhardt und ein Jü. seien verurteilt worden, aber es habe nicht nachvollzogen werden können, ob auch Th. verurteilt wurde, dieser sei aber von Mittätern belastet worden. Dann berichtet der Zeuge von verschiedenen Ermittlungsverfahren, die gegen Th. liefen und eingestellt wurden oder Th. freigesprochen wurde [aus juristischen Gründen geben wir diese nur teilweise wieder, NSU-watch]. 1993 habe außerdem ein Thomas B. außerhalb des Protokolls gegenüber zwei Kollegen von einer Gruppe in Jena mit Th. und Lä. gesprochen, deren Angehörige Zugang zu scharfen Waffen hätten, versteckt unter der Lobdeburg. We. berichtet von einem Durchsuchungsbeschluss gegen Th. wegen des Verdachts des versuchten Mordes. Bei der Durchsuchung bei Th. sei der Schießkugelschreiber gefunden worden. 1997 solle sich Th. vor Dritten mit dem Überfall auf einen Geldboten bei Rewe in Jena gebrüstet haben und deswegen unter Tatverdacht geraten sein. Bei Th. sei dieselbe Munition gefunden worden wie am Tatort. Das Verfahren sei aber eingestellt worden. 2008 habe es ein Verfahren wegen zweier entwendeter Sportwaffen gegeben. Im September 1997 sei er in Haft gekommen und bis April 2000 dort verblieben. Von Juni bis Dezember habe er dann wieder in Haft gesessen. Von Seiten der VS-Behörden gebe es keine Mitteilung.

Götzl fragt zu einem Rechtshilfeersuchen Schweiz. We. sagt, er wisse das nur aus den Akten: Aufgrund von Waffenbüchern habe nachvollzogen werden können, dass die Ceska-Tatwaffe am 10.4.1996 an das Waffengeschäft Schläfli & Zbinden (siehe Protokoll zum 47. Verhandlungstag) und am 11.4.1996 an Peter Anton Ge. versandt wurde. Ge. habe geäußert, dass Mü. die Idee gehabt hätte, dass man durch Waffenerwerbsscheine auch Geld verdienen könnte, er habe seinen an Mü. verkauft. Das Päckchen habe Mü. bei ihm abgeholt. Mü. habe gesagt, es mache keinen Sinn in der Schweiz Waffen zu verkaufen, deswegen würde er es in Deutschland verkaufen. Mü. habe das bestritten, aber eingeräumt, allgemein Waffen an- und verkauft zu haben, er habe auch zwei Personen bei Schläfli & Zbinden gekannt und da Faustfeuerwaffen und Gewehre gekauft. Das lasse sich in den Waffenbüchern auch nachweisen.

Dann geht We. zur Asservatenauswertung über. Es seien sechs Objekte durchsucht worden, neben den Wohnungen des Vaters und der Mutter Th.s und von dessen eigener Wohnung in Limburg, ein von Th. genutzter VW Multivan, dessen Halter Jürgen Lä. sei, ein Wohnmobil von Th. und zwei Garagen in Jena. Th. habe wieder zurück nach Jena ziehen wollen. Es seien elf Mobiltelefone und SIM-Karten sichergestellt worden, Lä. sei auf sieben SIM-Karten abgespeichert gewesen, Mü. auf acht, Frank Li. vom „Madley“ zweimal. Außerdem sei ein Dirk M. abgespeichert gewesen, eine Kontaktperson von Wohlleben. Der habe Wohlleben am Tag der Festnahme eine SMS geschrieben, dass sich die „Alte Herrenrunde“ heute Abend treffe, und dass „Sachse“ und „Enrico“ dabei seien. Lä. sei auf den SIM-Karten nicht namentlich erwähnt worden, sondern immer mit „XXL“. Die Nummer im aktuellen Handy Th.s stimme mit dem bei Lä. beschlagnahmten Handy überein. Lä. nenne sich auch selber „XXL“, etwa bei einer Mailadresse. Mü. sei immer „Uli“ genannt worden, Li. und Dirk M. seien normal eingetragen. Es seien dann noch drei Navigationsgeräte ausgewertet werden. Aus allen dreien gehe ein Kontakt zu Müller hervor. Feststellbar sei außerdem, dass Th. am 10.4.2008 in Zwickau gewesen sei, Th. sei morgens um 7.45 Uhr in Jena los gefahren, sei kreuz und quer durch Chemnitz gefahren, von sieben Halts seien sechs in der Nähe von Schulen gewesen. In Zwickau sei Th. dann anderthalb Stunden gewesen, es habe vier Halts von längerer Zeit als 5 Minuten gegeben. Th. habe zweimal das Gebäude Polenzstraße 2 passiert, aber nicht angehalten, die Frühlingsstraße, wo Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe damals wohnten, habe er gar nicht angefahren. Der Zweck der Reise lasse sich nicht feststellen. Dann habe es eine Eingabe in der Richard-Zimmermann-Straße 1 in Jena gegeben, da gebe es keine Erkenntnisse, wenige Nummern weiter sei aber die Wohnung der Familie Böhnhardt. We. berichtet von einer Travel-Cash-Karte aus der Schweiz, Th. habe gesagt, dass Mü. die besorgt habe. Dann sei noch Geld sichergestellt worden, über 4.000 Euro in Briefkuverts. Th. habe dazu gesagt, er habe das Geld abgehoben, weil er befürchtet habe, „als die Nazisache hochgekommen ist“, dass die Polizei zu ihm kommen wird wegen Mü. Er wolle das Geld fürs Gefängnis. Er sei davon ausgegangen, dass die Bekanntschaft zu Böhnhardt und Mü. heraus kommen werde, Mü. sei ja mal in Deutschland wegen Waffen festgenommen worden, und bei Bekannten sei durchsucht worden nach einer Waffe, die im Zusammenhang mit den „Dönermorden“ gesucht werde. Th. habe gesagt, ihm sei die Waffe bekannt gewesen von einem Fahndungsplakat am Bahnhof Montabaur bei Limburg. Und als er im Fernsehen gesehen habe, dass das Wohnmobil brennt und es Waffenfunde gegeben habe, habe er gleich gedacht, dass das der Böhnhardt sei. We. sagt, das sei eine „relativ bemerkenswerte Aussage“.

Zu den Finanzermittlungen, die eine andere Abteilung durchgeführt habe, sagt We., es gebe eine Geldwäscheverdachtsanzeige gegen Th. aus dem September 2011 vom Bayerischen LKA. Er habe sich mehrere tausend Euro auszahlen lassen. Jürgen Lä. habe sich kurz zuvor ebenfalls mehrere tausend Euro auszahlen lassen. Und am 26.11.2012 habe sich Th. bei der Bank 2.500 Euro in bar auszahlen lassen, zwei Tage nach der Durchsuchung bei Wohlleben.

Dann berichtet We. über die Erkenntnisse zu Jürgen Lä. Im Bundeszentralregister gebe es Verurteilungen wegen Nötigung, Kennzeichenmissbrauch, Fahren ohne Fahrerlaubnis, eigenmächtiger Abwesenheit vom Zivildienst und Beleidigung. Im staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister gebe es seit 2006 vier Eintragungen wegen Diebstahls und je einmal wegen Nötigung und Erpressung. Das sei alles eingestellt worden. Zu den polizeilichen Erkenntnissen sagt We., es gebe ein Fernschreiben von 1994, dass Lä. bei einem Rudolf-Heß-Marsch eine Schusswaffe dabei gehabt haben soll. Lä. habe eingeräumt, da gewesen zu sein, aber bestritten wegen einer Waffe Probleme gehabt zu haben. Dann verweist We. auf die von B. genannte Gruppe mit Th. und Böhnhardt. Lä. sei ab März bis in den Dezember 1993 inhaftiert gewesen, ab April in der JVA Hohenleuben, wo teilweise parallel auch Sven Ro. und Böhnhardt in Haft gewesen seien. Es gebe außerdem die Erkenntnis, dass auch Th. von Anfang November bis Anfang Dezember in Hohenleuben war. Die Infos stammten von der JVA. Dann gebe es einen Verdacht gegen Lä. wegen einer Serie von Geldautomatendiebstählen, das sei ein noch laufendes Verfahren, und deswegen nicht zu den Akten gekommen. Bei Lä. seien drei Objekte durchsucht worden, ein Zimmer beim Vater in Jena, ein Gartengrundstück und der auf Ko. laufende PKW. Gefunden worden sei sein mitgeführtes Handy als „XXL“. Außerdem eine externe Festplatte, wo in einem Unterordner eine PDF aus 2008 von der Website eines Waffengeschäfts im Kanton Aargau gefunden worden sei. Dazu habe Lä. gesagt, er habe das für Bekannte recherchiert. Außerdem habe Lä. noch ein Dokument zur Einführung in die Sprengchemie und Dokumente mit Polizeifunkfrequenzen aus 2000 gehabt. In dem Unterordner „Neuer Ordner Max” sei Musik mehrerer NS-naher Bands abgelegt: „Hauptkampflinie“, „Nahkampf“, „Die faschistischen Vier“, „White Resistance“. Außerdem selbst gefertigte Fotos von Unterlagen mit NS-Bezug. Außerdem seien auf der Festplatte Erreichbarkeiten abgelegt, zwei Telefonnummern und drei E-Mail-Adressen. Dann gebe es noch die E-Mail hh42@yahoo.de. We. berichtet von Adressen, die Lä. verwendet habe. Außerdem habe Lä. die Domain „HB88“ beantragt, aber die sei nicht in Betrieb gewesen. Auf Frage von Götzl berichtet We., dass Lä. auf seiner Festplatte ein Video von einem Fußballturnier abgelegt habe. Da hätten Mannschaften aus Thüringen, Sachsen, Berlin und Franken teilgenommen. Am Ende hätten große Teile der Leute im Vereinsheim „Sieg Heil“ gerufen. Am Fußballturnier hätten auch André Kapke und Holger G. als Spieler und Böhnhardt als Schiedsrichter teilgenommen. Lä. habe gesagt, er habe das Video von Sven Ro. bekommen, um es zu digitalisieren, damit der das Video an die Presse verkaufen könne. Das habe Ro. so bestätigt. Auf einem Laptop Lenovo sei Skype-Kommunikation von Lä. aus 2011 zu finden, wo Lä. mit NS-Grußformeln wie „Heil Dir“ operiere. Außerdem gebe es eine CD mit Bildern eines Norwegen-Urlaubs mit Ro. und anderen Personen und eine weitere CD mit Musik NS-naher Bands: „Zehn kleine Negerlein“, „Deutschland den Deutschen“ und andere Lieder.

Nebenklagevertreter RA Reinecke fragt nach dem Aufenthalt des Handys von Th. im Oktober/November 2011. Er könne sich nicht erinnern, dass sie Erkenntnisse hätten, dass Th. da in der Schweiz war. Th. und Mü. seien zusammen mal im Urlaub gewesen, Thailand und Kroatien, ob genau im Oktober 2011 könne er nicht sagen. RA Kuhn fragt, ob es bei Th. Hinweise gebe, dass er Sympathisant der rechten Szene war. Bö. habe in seiner Zeugenaussage 2012 gesagt, dass Th. früher eine Bomberjacke getragen hätte und er bei ihm eine rechte Einstellung wahrgenommen habe, sagt We. Marc En. habe gesagt, Böhnhardt sei in der gleichen Clique wie Th. gewesen und für rechte Kreise geworben worden. Bö. habe von zwei Gruppen gesprochen, einer unpolitischen und der rechts angehauchten Gruppe von Th. Außerdem habe Th. auf dem Handy Lieder von „Landser“ gehabt, was Th. auch sofort eingeräumt habe. Auf Frage von Kuhn sagt We., Th. habe nach eigenen Angaben seit Anfang der Neunziger auch eine Garage im Komplex an der Kläranlage in Jena gehabt. Ingo Jü. habe ausgesagt, dass Th. und Böhnhardt sich in den 1990ern öfters dort aufgehalten und an Autos geschraubt hätten. Th. habe bestätigt, dass er mal mit Böhnhardt da war, und ihn später da auch noch mal mit Springerstiefeln gesehen habe. Ab 1996 sei in dem Garagenkomplex auf den Namen Zschäpe eine Garage angemietet worden. Die Nummer von Dirk M. sei in drei verschiedenen Mobiltelefonen von Th. gefunden worden, so We. auf Frage. Es gebe mehrere Personen mit dem Spitznamen „Sachse“, wie in M.s SMS. Das sei bisher nicht erhoben worden, sie könnten das aber auch nochmal ermitteln. Das Navigationsgerät „TomTom“ aus dem Wagen, der auf Lä. gemeldet war, habe Th. benutzt, vielleicht hätten es aber auch Th. und Lä. genutzt. Kuhn fragt, ob mal als Spur verfolgt wurde, dass eine markante Anzahl Adressen im Navigationsgerät in der Nähe von verfahrensrelevanten Adressen sind und Th. selbst seine eigene Adresse etwas anders eingibt. In Zwickau habe man keinen Kontakt feststellen können, so We. Bei der Adresse von Carsten S. liege es ja schon sehr lang zurück, dass der dort gewohnt habe und es hätten keine Zeiten mehr auf dem Handy gesichert werden können. Bei der Richard-Zimmermann-Straße 1 und 11, da könne man das nicht ausschließen, aber es sei sehr vage. Kuhn fragt zur Überschneidung der Haft von Lä. mit Ro. und Böhnhardt, wie in der JVA die Haftverhältnisse seien, ob es etwa gemeinsamen Hofgang gibt. We. sagt, Böhnhardt habe Ro. im Gefängnis kennengelernt, das sei ein enges Verhältnis gewesen, Th. und Lä. seien auch in einer Zelle gewesen. Ihr Schluss sei gewesen, dass es nahe gelegen hätte, dass auch Lä. und Böhnhardt sich getroffen hätten. Aber ob es möglich sein kann, dass sie sich nicht begegneten, könne er nicht sagen. Das sei nicht ermittelt worden, aber das könne man nochmal machen. Ihm seien, so We. auf Frage, beim Fußballvideo keine Fahnen oder Wimpel von Teams erinnerlich, er könne auch nicht sagen, ob man da eine Fahne „Blood & Honour Sektion Sachsen“ sehe. Auf Frage von RA Pausch, Verteidiger von Carsten S., sagt We., bei dem Navi „TomTom“ sei das Baujahr nicht ermittelt worden.

Götzl teilt mir, es gebe Kopien von einer Mitteilung des RA Heinemann, dass sich Max-Florian Bu. auf den § 55 [Auskunftsverweigerungsrecht] beruft, eine Nachfrage bei der BAW habe ergeben, dass nach wie vor ein Verfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung anhängig ist. Er bitte darum, sich das anzuschauen und dann ggf. dazu Stellung zu nehmen. Der Verhandlungstag endet um 16.41 Uhr.

Auf dem Weblog NSU-Nebenklage heißt es zum Prozesstag: „Die Verteidigung Zschäpe war der Meinung, anhand der Aussage des Zeugen lasse sich nicht belegen, dass die drei Personen die ganze Zeit seit dem Untertauchen zusammen gewohnt hätten. Die Verteidigung scheint zu meinen, damit werde die Anklage zur terroristischen Vereinigung NSU geschwächt. Dabei liegen gerade zu und aus den Wohnungen in Zwickau genug Nachweise vor, die eine Einbindung Zschäpes in die Gruppenstruktur belegen. […]
Der dritte Zeuge schließlich hatte Ermittlungen angestellt zur Person der Zeugen Theile und Länger, die nach dem Stand der Beweisaufnahme am Verkauf der Ceska-Pistole beteiligt waren. Neben frühen Kontakten insbesondere zu Böhnhardt und deutlichen Hinweisen auf eine rechte Gesinnung dieser beiden zeigte sein Bericht vor allem auch auf, dass Theile und Länger erhebliche Kontakte ins kriminelle Milieu hatten, gerade auch zu Kreisen, die mit Waffen handelten.“

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