Protokoll 274. Verhandlungstag – 12. April 2016

0

Der heutige Verhandlungstag beginnt mit einer Auseinandersetzung von Senat und Verteidigung von Ralf Wohlleben. Richter Götzl stellt zunächst erneut dar, warum Anträge der Verteidigung Wohlleben u.a. auf Abtrennung des Verfahrens gegen Wohlleben abgelehnt wurden. Daraufhin stellt die Verteidigung Wohllebens ein Ablehnungsgesuch gegen den Senat. Nachdem beschlossen wird, die Entscheidung darüber zu vertagen, werden Zeug_innen zum Überfall auf eine Postfiliale in Zwickau am 05.07.2001 gehört. Im Anschluss daran stellen Vertreter_innen der Nebenklage einen Beweisantrag, der den Themenkomplex und die Enthüllungen rund um den V-Mann Ralf Marschner aufgreift.

Zeug_innen:

  • Jens Me. (Kriminalbeamter, PD Chemnitz, Überfall auf eine Postfiliale in Zwickau am 05.07.2001)
  • Sigrid P. (Überfall auf eine Postfiliale in Zwickau am 05.07.2001 )

Der Verhandlungstag beginnt um 09:48 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung verkündet Götzl, dass es bei dem Beschluss vom 05.04.2016 – mit dem die Anträge der Verteidigung Wohlleben u.a. auf Abtrennung des Verfahrens gegen Wohlleben abgelehnt wurden – trotz der Gegenvorstellung der Verteidigung Wohlleben [273. Verhandlungstag] „sein Bewenden hat“. Zur Begründung führt er u.a. aus: Das Recht der Akteneinsicht beziehe sich auf die dem Gericht vorliegenden oder ihm im Falle der Anklage vorzulegenden Akten. Diese seien die von der StA nach objektiven Kriterien als entscheidungserheblich dem Gericht zu präsentierenden Unterlagen. Demnach müsse Einsicht in alle vom ersten Zugriff der Polizei an gesammelten be- und entlastenden Schriftstücke einschließlich etwaiger Bild- und Tonaufnahmen gewährt werden. Im vorliegenden Fall habe die Verteidigung seit Abschluss der Ermittlungen die Möglichkeit gehabt, Einsicht in die dem Gericht vorliegenden Originalakten zu nehmen. Hätte die Verteidigung dieses Recht wahrgenommen, hätte sie auch die in Frage stehenden Dateien auf den in der Originalakte befindlichen USB- Sticks in Rahmen der Akteneinsicht in die Originalakten in Augenschein nehmen können, so Götzl.

Sofern der Senat in regelmäßigen Abständen Aktenbestandteile in elektronischer Form ohne Anforderung durch die Prozessbeteiligten zur Verfügung stelle, sei dies lediglich als eine „Art Service“ zur Vereinfachung der Information der Verfahrensbeteiligten zu qualifizieren, auf die aber kein Anspruch bestehe. Die Verteidigung habe auch nicht darauf vertrauen können, dass diese elektronischen Dateien „alle Inhalte und vor allem auch Dateien umfasse“. Dies sei auch für jeden Prozessbeteiligten problemlos zu erkennen. Dass die überlassenen Datenträger nicht alle Aktenteile umfassen, ergebe sich z. B. auch daraus, dass eingestufte Aktenteile nicht elektronisch übermittelt worden seien. Zu den USB-Sticks sei zunächst festzuhalten, dass es die Aufgabe der anwaltlichen Verteidiger Wohllebens sei, sich mit dem gesamten Inhalt der vorliegenden Verfahrensakten vertraut zu machen. Der erhebliche Umfang der Akten habe von der Verteidigung Wohlleben auch komplett erfasst werden können, nachdem er seit dem 29.11.2011 von RAin Schneiders, seit dem 13.12.2011 zusätzlich von RA Klemke und seit 29.12.2012 bis zum 28.03.2013 und seit dem 27.04.2015 zusätzlich von RA Nahrath verteidigt werde.

Die USB-Sticks seien zudem nicht, wie die Gegenvorstellung vortrage, in der Akte „versteckt“. Die Sticks seien bildlich auf Papier kopiert und deren Gesamtinhalt sei auf zehn Aktenseiten erläutert bzw. als Struktur dargestellt. Dabei werde auch mehrmals ausdrücklich auf die Bilder zur Durchsuchung bei Wohlleben hingewiesen. Aus der Beschriftung des Ordners könne ebenfalls nicht auf ein „Verstecken“ geschlossen werden. Die Beschriftung des Ordners könne vernünftigerweise nur als schlagwortartige Verkürzung des Inhalts und nicht als detaillierte Beschreibung verstanden werden und dürfe daher nicht dazu führen, dass die Verteidiger sich mit dem Inhalt des Ordners nicht befassen, zumal die detaillierte Beschreibung des Ordnerinhalts bereits auf den ersten 20 Blättern zu finden sei.

Der Umstand, dass sich die Fotos aus der erkennungsdienstlichen Behandlung Wohllebens nicht bei den Akten befanden, sei nicht als Indiz für die Unvollständigkeit der Akten zu werten. Die 15 Fotos seien am 24.11.2011, also mehr als zehn Jahre nach der dem Angeklagten in der Anklageschrift vorgeworfenen Tat, gefertigt. Die Fotos seien jeweils zusätzlich noch mit den Personalien des Angeklagten und Daten zur ED-Maßnahme versehen. Weitere Anmerkungen fänden sich auf den Fotos nicht. Die Fotos hätten demnach weder be- noch entlastenden Charakter. Es sei daher nicht erforderlich, die ED-Fotos zu den Akten zu bringen. Dem Hilfsantrag auf Einsicht in die USB-Dateien und die Fotos zur ED-Behandlung sei entsprochen worden. Der ebenfalls hilfsweise beantragten angemessenen Unterbrechung der Hauptverhandlung sei mit der Maßgabe entsprochen worden, dass sie nicht um mindestens eine Woche, sondern für die Dauer von 6 Tagen und 20 Stunden angeordnet worden sei. Diese Dauer der angeordneten Unterbrechung erscheine ausreichend.

Wohlleben-Verteidigerin RAin Schneiders: „Wir bitten um eine Abschrift und benötigen zur internen Beratung eine halbe Stunde Unterbrechung.“ Götzl: „Dann unterbrechen wir bis 10:40 Uhr.“ Um 10:49 Uhr geht es weiter. RA Klemke: „Wir beantragen, die Hauptverhandlung bis 13 Uhr zu unterbrechen, da wir einen unverzüglich zu stellenden Antrag formulieren müssen.“ Götzl: „Dann wird die Hauptverhandlung bis 13 Uhr unterbrochen.“ Kurz vor 13 Uhr wird verkündet, dass die Verhandlung erst um 14 Uhr fortgesetzt wird.

Um 14:02 Uhr geht es dann tatsächlich weiter. Die Wohlleben-Verteidiger RA Nahrath, RA Klemke und RAin Schneiders verlesen dann nacheinander ein Ablehnungsgesuch gegen den Senat. Zunächst wird ausführlich der vorherige strafprozessuale Ablauf dargestellt. Dann kommt RAin Schneiders zur Begründung des Befangenheitsantrags: Die Gründe des auf Gegenvorstellung ergangenen Beschlusses der abgelehnten Richter sind aus der allein maßgeblichen Sicht des Angeklagten Wohlleben objektiv willkürlich. Soweit die abgelehnten Richter nunmehr in dem Beschluss vom 12.04.2016 erklären, die eingangs dargestellte Form der Gewährung der Akteneinsicht sei lediglich als eine Art Service zur Vereinfachung der Information der Verfahrensbeteiligten zu qualifizieren, auf den jedoch kein Anspruch bestünde, sind diese Ausführungen völlig haltlos. Die Gewährung der Akteneinsicht erfolgte auf die vom Senat gewählte Art und Weise, um Akteneinsicht für alle Verfahrensbeteiligten überhaupt praktisch durchführen zu können. Der Gesamtaktenbestand umfasst überschlägig mehr als 200.000 Blatt. Wenn man pro Seite nur 1 Minute für die Durchsicht der Akten veranschlagt, um herauszufinden, ob diese zu kopieren seien, kommt man auf einen Zeitaufwand von 3.333 Stunden, dies entspricht bei 24-stündigem Arbeitstag 139 Tagen. Eine Gewährung von Akteneinsicht durch Übersendung der Originalakten hat der Senat deshalb aus wohlverstandenen Gründen von vorneherein ausgeschlossen und daher die Gewährung der Akteneinsicht in elektronischer Form praktiziert. Anderenfalls hätte die Gewährung von Akteneinsicht in die Originalakten für sämtliche Verfahrensbeteiligte das Verfahren gewiss um weit mehr als ein Jahr verzögert.

Soweit die abgelehnten Richter in dem Beschluss vom heutigen Tage ausführen, dass die Verfahrensbeteiligten nicht darauf vertrauen könnten, dass diese elektronischen Akten alle Inhalte und vor allem auch Dateien auf Datenträgern umfasse und der Senat keine Garantie für die Vollständigkeit der überlassenen elektronischen Aktenteile übernehmen könne und wolle und dies darüber hinaus für jeden Prozessbeteiligten problemlos zu erkennen sei, kann dies vom Angeklagten nur als willkürliche Erwägung bewertet werden. Diese Begründung ist rein ergebnisorientiert, um das Verfahren nicht aussetzen zu müssen. Sofern die abgelehnten Richter auf das Schreiben des Vorsitzenden vom 22.04.2013 abstellen, geht dies ebenfalls fehl. Das dortige Anerbieten betrifft nicht die Akteneinsicht als solche, sondern nur die Form ihrer Gewährung, namentlich in digitaler Form. Aus Sicht des Angeklagten Wohlleben haben die abgelehnten Richter erkannt, dass seiner Verteidigung und damit auch ihm bislang vollständige Akteneinsicht nicht gewährt wurde. Anderenfalls wäre die Unterbrechung der Hauptverhandlung für 6 Tage und 20 Stunden nicht erforderlich gewesen. Der Senat hätte das Verfahren aussetzen und vollständige Akteneinsicht gewähren müssen. Die gewährte Teilakteneinsicht in die Dateien der beiden USB-Sticks am 05.04.2016 sowie die damit verbundene Unterbrechung der Hauptverhandlung, ist nicht nur ein Eingeständnis, dass bislang keine vollständige Akteneinsicht gewährt wurde, sondern erfüllt auch eine dies kaschierende Alibifunktion. Dieser Eindruck wird verstärkt durch den Umstand, dass der Verteidigung nicht wie beantragt, die beiden USB-Sticks zum Zwecke der Einsichtnahme zur Verfügung gestellt wurden, sondern lediglich eine Festplatte auf welche die Inhalte der USB-Sticks kopiert worden sein sollen. Dies steht im eklatanten Widerspruch zu dem heute verkündeten Beschluss, da der Angeklagte auf die Vollständigkeit der überreichten Daten gerade nicht vertrauen kann.

Auf den Angeklagten wirkt dies so, als hätten die abgelehnten Richter die Begründungen je nach gewünschtem Ergebnis angepasst, um damit die Anträge seiner Verteidigung mit den Beschlüssen vom 05.04.2016 und 12.04.2016 sachwidrig ablehnen zu können. Zunächst ist es Sache der abgelehnten Richter, Akteneinsicht vollständig zu gewähren. Weiter haben die abgelehnten Richter auch für Aktenklarheit zu sorgen. Diesem Erfordernis ist gerade angesichts des Aktenumfangs herausragende Bedeutung zuzuerkennen. Ihm haben die abgelehnten Richter gleichfalls nicht entsprochen. Offensichtlich haben die abgelehnten Richter die Akten selbst nicht komplett erfasst und dieses Defizit erst aufgrund des Antrages der Verteidigung Wohlleben festgestellt. Nach alldem erweckt das prozessuale Verhalten der abgelehnten Richter bei Wohlleben den Eindruck, dass diese das Verfahren gegen ihn um jeden Preis durchziehen wollen und dafür auch bereit sind, seinen Anspruch auf vollständige Akteneinsicht zu relativieren.

Um 15:28 Uhr geht es weiter. Götzl: „Dann wird den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör zum Antrag gegeben.“ Bundesanwalt Diemer: „Wir werden schriftlich gegenüber dem zur Entscheidung beauftragten Spruchkörper Stellung nehmen. Wir sollten aber mit der Verhandlung fortsetzen, das ergibt sich aus dem Beschleunigungsgrundsatz, man sollte die Verzögerungen dort vermeiden wo sei vermeidbar sind.“ NK-Vertreter RA Behnke: „Ich behalte mir eine Stellungnahme vor, ich muss das erstmal studieren und will zu Anträgen Stellung nehmen, die hier in einer absoluten Dichte ins Verfahren reinprasseln.“ [phon.] Im Interesse der Angeklagten Wohlleben und Zschäpe, die ja in U-Haft seien, müsse das Verfahren trotz der Anträge weitergeführt werden, so Behnke. Dann verkündet Götzl die Verfügung, dass die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vorläufig zurückgestellt wird und begründet dies mit dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen.

Es folgt der Zeuge Jens Me. Götzl: „Es geht uns um Ermittlungen zu einem Überfall Postfiliale Max-Planck-Straße, Zwickau, 05.07.2001:“ Me.: „Ich muss sagen dass ich mit den Ermittlungen vorwiegend im Chemnitzer Bereich vertraut [phon.] und beschäftigt war, diesen Fall habe ich nicht selber bearbeitet, aber in Zusammenarbeit mit den Zwickauer Kollegen. Wir hatten ja mittlerweile drei Überfälle '99 bis 2000, die wir von Anfang an den selben beiden Tätern zugeschrieben haben. Und wir haben nachgedacht, ob der Überfall Edeka 1998 zur Serie gehören könnte, haben das aber nebenan gestellt. Nun kam Überfall 05.07.2001 Zwickau dazu und es fiel uns nicht schwer einen Zusammenhang zu unserer Serie in Chemnitz zu sehen. Der Tatort war aber woanders, im Bereich Zwickau. Aber modus operandi, Auftreten und Anzahl, Tatbekleidung, Schuhe, Maskierung sprach dafür, das es sich auch um die Täter handeln musste, die die Überfälle in Chemnitz begangen hatten. Ich forderte die Überwachungsfotos an und so wurde uns klar, dass es sich um die Täter handelte, die auch bei uns schon tätig waren. Sie handelten adäquat zum Überfall auf die Postfiliale Chemnitz 2000. [phon.] Die [phon.] war damals nicht so gesichert wie heute, das Glas war nur einem Meter hoch, insofern, denke ich, waren die Tatorte gut ausgewählt. Die Täter bestiegen den Tresen, überstiegen dieses Glas und wie ein Jahr zuvor in der Johannes-Dick-Straße in Chemnitz hat sich ein Täter vorne im Bereich des Schalters, hat er dort versucht das Geld zu bekommen, wogegen der zweite Täter wie in Chemnitz sich in den hinteren Bereich begeben hat und die Angestellte unter Waffengewalt zum Öffnen des Tresors genötigt hat.“

Götzl: „Woher nehmen Sie diesen Ablauf?“ Me.: „Den Angaben der Zeugen.“ Götzl: „Sie haben Fotos angesprochen.“ Me.: „Wir hatten recht gute Überwachungsbilder vom Überfall, von der Tatkleidung, der Begehungsweise. Da konnten wir diesen Schluss zu den drei anderen Überfällen recht gut ziehen.“ Die Täter seien bei den ersten beiden Überfällen mit einem Motorrad geflüchtet, dann mit dem Fahrrad. [phon.] Dazu sei auch der Rucksack geeignet das Geld abzutransportieren, so Me. Me. weiter: „Die Täter haben wie ein Jahr zuvor in Chemnitz zumindest optisch die selben Sportschuhe getragen. Optisch und auch von den Schuhabdruckspuren [phon.] auf dem Tresen, anhand der [phon.] war es uns auch möglich, diesen Überfall sofort mit dem ein Jahr zuvor in Chemnitz in Einklang zu bringen.“ Der Zeuge wird entlassen.

Es folgt die Einvernahme der Zeugin Sigrid P. zum Überfall am 05.07.2001 auf die Postfiliale Max-Planck-Straße in Zwickau. Götzl: „Mich würde interessieren, was sich zugetragen hat, was Sie noch in Erinnerung haben.“ P: „Es ist fast 15 Jahre her, es war ein schöner Sommertag und nach 10 war ein Kunde bei mir und hat sich nach allem möglichen bei mir erkundigt. Ich bin nach hinten zu einer Kollegin und wir haben uns einen Vermerk gemacht. Es war niemand in der Post drin, da kamen die zwei Verkleideten rein, sind über die Verglasung gestiegen und haben Geld gefordert. Wir haben erst versucht, das abzuwehren: ‚Unsere Chefin ist nicht da‘, hatten aber den Auftrag das Geld rauszugeben. Meine Kollegin ist zum Tresor und ich musste mit dem einen, da hat eine Waffe oder irgendwas aus dem Ärmel geguckt, ich nehme an, dass es so ein Aufsatz war [phon.], zum Schalter, hatte ziemlich Angst und habe das ganze Geld rausgegeben. Er hat aber nur die Scheine genommen. Er ging dann nach hinten. Was sich da abgespielt hat, weiß ich nicht, meine Kollegin hat später aufgehört bei der Post. Ich habe dann auf den Knopf gedrückt, was Alarm auslöst. Ich dachte, hoffentlich geht das nicht laut los. War nicht so. Es kamen drei Männer, drei Kunden rein, da haben die beiden vorne mit Pfefferspray gesprüht. Ich weiß nicht, wie lang es dauerte, bis die Polizei kam. Es kam uns sehr lang vor, die waren aber weg und sind nicht gefunden worden. Mir wurde immer mitgeteilt, dass noch nichts rausgefunden wurde und dann: Das Verfahren ist eingestellt. Bis dass jetzt dieser Brief kam, wo das jetzt weitergeht.“

Götzl: „Wie waren die Folgen dieses Überfalls für Sie selbst?“ P.: „Man hat dann schon Angst. Wenn jemand reingekommen ist, hat man die Leute schon anders angeguckt, nicht mehr so vertrauensselig. Das war schon furchtbar, aber ich habe mir gesagt: Sie haben mich nicht angegriffen, nicht gefesselt, wie man das im Fernsehen sieht. Aber das Ganze ist mir noch gut im Gedächtnis geblieben.“ Götzl: „Haben Sie weiter arbeiten können?“ P.: „Wir haben einen Tag frei bekommen, unser Chef kam, wir mussten das restliche Geld zählen, dann haben wir wieder weiter gearbeitet. Meine Kollegin hat es schwerer getroffen. Ich weiß nicht, was da vorgefallen ist.“ Götzl: „Was haben Sie zu den Tätern in Erinnerung?“ P.: „Zwei junge Männer, verkleidet, die hatten Handschuhe an, vermummt, ansonsten konnte man nichts feststellen.“ Götzl fragt nach der Bewaffnung. P.: „Er ist mir hinterhergegangen und aus dem Arm hat was langes rausgeguckt, so ein Rohr oder so.“ Götzl: „Und der zweite?“ P.: „Den habe ich gar nicht gesehen. Der eine ist mir hinterhergegangen. Die Schalter liegen so weit auseinander, wir hatten keinen Blickkontakt. Die drei Kunden sind wie zusammengesackt. [phon.] Ich bin erschrocken: Sind die jetzt erschossen? [phon.] Aber das war das Pfefferspray, da kam ja auch noch ein Arzt.“

Götzl sagt, es liege ein Protokoll vor von einer polizeilichen Vernehmung am 05.07.2001. Götzl: „Haben Sie eine Erinnerung an Äußerungen Ihnen gegenüber?“ P.: „Es ist nicht viel gesprochen worden, die wollten nur das Geld.“ Vorhalt: Der erste Täter sprang im hinteren Bereich über den Tresen, wenige Sekunden später sprang auch der zweite Täter am vorderen Schalter über die Barriere und fuchtelte mit seiner Waffe rum. P. bejaht das, die seien über die Verglasung rübergekommen. Vorhalt: Die Täter wollten, dass wir den Tresorraum hinten öffnen. Dieser war zu und verschlossen. Wir beide stritten ab, dass wir einen Schlüssel hatten. Die Täter brüllten uns voll, dass sie genau wissen, dass wir einen Schlüssel haben. P.: „Ja es war schon genau so.“ Vorhalt: Hierbei fuchtelten sie mit ihren Pistolen rum und hielten sie auch in unsere Richtung. P.: „Ich kann mich nur noch an das entsinnen, wo der junge Mann mir hinterhergelaufen ist. Das andere weiß ich nicht mehr so hundert Pro.“

Götzl: „Um welche Größenordnung beim Geld ging es?“ P.: „Ich glaube, es waren 70.000 Mark. Wir hatten geschrieben: Mehrere 10.000 Mark. 2001 hatten wir ja noch D-Mark.“ Götzl: „Was ist mit dem Geld geschehen?“ P.: „Der bei mir hat es in einen Beutel reingetan. Was im Tresorraum gelaufen ist, weiß ich nicht. Das Geld lag schon im Tresor, war fertiggemacht und ehe der Sicherheitsdienst da war, haben die Zwei das Geld, ja, abgeholt.“ Vorhalt: Er hatte die Pistole in der rechten Hand. P.: „Das kann durchaus sein.“ Vorhalt: „Wenn dir dein Leben was wert ist, dann macht auf!“ P.: „Ja, so in der Art schon.“ Die Zeugin wird entlassen.

Dann verlesen zunächst RA Scharmer, danach RA Stolle den folgenden Antrag:

In der Strafsache gegen Zschäpe u.a., 6 St 3/12, wird mit den nachfolgenden Beweisanträgen dargelegt werden, dass der V-Mann Primus des BfV, Ralf Marschner aus Zwickau, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und die Angeklagte Zschäpe und viele ihrer Unterstützer, wie den Angeklagten André Eminger, kannte, von ihrem Abtauchen in Sachsen wusste und Kenntnis vom Aufenthaltsort der Drei in Zwickau hatte. Weiter wird nachgewiesen werden, dass diese Informationen u.a. durch Ralf Marschner dem BfV, dem TLKA und dem LKA Sachsen bekannt waren.

A)

Es wird beantragt, 1.) den Zeugen Ralf Marschner, zu laden über das BfV, in der Hauptverhandlung zu vernehmen zum Beweis der Tatsachen, a) dass er Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe bereits vor dem 26. Januar 1998 persönlich kannte, b) dass ihm bekannt war, dass und warum Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Chemnitz nach dem 26. Januar 1998 untergetaucht waren und beim Untertauchen von Mitgliedern von B&H Chemnitz unterstützt wurden, c) dass ihm bekannt war, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe im Jahr 2000 nach Zwickau umgezogen sind und ihm auch die Wohnung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in der Polenzstraße 2 bekannt war, d) dass er André Eminger und Maik Eminger persönlich kannte, dass er von der militant neonazistischen Einstellung der beiden Brüder wusste, dass er zudem Kenntnis darüber hatte, dass André Eminger zusammen mit Maik Eminger die „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“ gegründet und dass beide das Fanzine „Aryan Law and Order“ herausgebracht und für dieses geschrieben haben und dass André und Maik Eminger Kontakt zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe hatten, e) dass er Uwe Mundlos in seiner Zwickauer Baufirma in den Jahren 2000 und 2001 unter den Aliaspersonalien Max-Florian Burkhardt beschäftigt hat. Der Zeuge Marschner ist weiter im Wege der Beweisermittlung zu fragen, f) ob er oder Jens Gü. Fahrzeuge angemietet haben, die sie Zschäpe oder Mundlos und/oder Böhnhardt zur Verfügung gestellt haben und wenn ja, zu welchem Zweck dies geschehen ist, g) ob er Zschäpe in einem seiner Läden beschäftigt hat und h) wer das Pink Panther-Lied auf seinem PC gespeichert hat bzw. wer ihn auf das Lied aufmerksam gemacht hat und ob ihm das des NSU vor November 2011 bekannt war.

Begründung:

I.
Der Zeuge Ralf Marschner, auch genannt „Manole“ oder „Mono“, wohnte von 1990/91 bis zum 30. Juli 2007 in Zwickau. Von 1992 bis 2002 arbeitete er als V-Mann („Primus“) für das BfV. In seinen zwei im Rechtshilfewege erfolgten Vernehmungen stritt Marschner zwar ab, Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu kennen, jedoch ist dies aus den im Folgenden (unter II) dargelegten Gründen unglaubhaft.

1. Spätestens seit Anfang der 1990er Jahre war Marschner in der Skinhead- und Neonaziszene verankert. Durch seine kommerziellen Aktivitäten, seine Band, die Organisation von Konzerten und die Herausgabe von Fanzines war Marschner ab Mitte der 90er Jahre die zentrale Gestalt der rechten Szene in Zwickau. Er war darüber hinaus in der rechten Szene in Sachsen und bundesweit bekannt und hatte unzählige politische, freundschaftliche und kommerzielle Szenekontakte, insbesondere zu B&H, den Hammerskins und der rechten Hooligan- und Security/Türsteher-Szene. a) Die Stellung Marschners in der Szene ergibt sich aus seinen vielfältigen, für V-Männer durchaus typischen Aktivitäten. Seine geschäftlichen Tätigkeiten begann der Zeuge Marschner 1997 in Zwickau, wo er über die Jahre verschiedene Läden, Kneipen und eine Baufirma betrieb. Mit seinem vom 1. September 1997 bis zum 8. Januar 2002 in Zwickau betriebenen Laden „The Last Resort Shop“ hat er einen Anlaufpunkt für die rechte Szene Westsachsens geschaffen. Der Name des Ladens ist angelehnt an den Londoner Skinhead-Szeneladen „The Last Resort“, der eng mit dem Begründer von B&H und Sänger der Neonazikultband Band Skrewdriver, Ian Stuart Donaldson, verknüpft ist. Damit ist Marschners Namenswahl auch ein szeneinternes Bekenntnis zu B&H. Marschner gab von 1990 bis 1992 vier Ausgaben des Fanzines „“ und Mitte der 1990er mindestens zwei Ausgaben von „Voice of Zwickau“ heraus. Marschner betätigte sich weiter als Konzertveranstalter und war Sänger in seiner Band „Westsachsengesocks“, allgemein abgekürzt als WSG, identische Abkürzung für „Wehrsportgruppe“, die in Sachsen und darüber hinaus einen Namen hatte, wie Interviews und Konzertberichte in B&H– und Hammerskin-Fanzines belegen.

b) Marschner hatte darüber hinaus insbesondere zu dem B&H-Unterstützernetzwerk der Drei in Chemnitz und zu B&H Thüringen Kontakt. Seit 1994/1995 organisierte er die Konzerte regelmäßig zusammen mit Chemnitzer B&H-Mitgliedern, insbesondere mit wichtigen Unterstützern wie Jan Werner und Thomas Starke. Auch mit B&H Thüringen, d.h. mit dem V-Mann , veranstaltete er gemeinsam Konzerte, wie z.B. ein Konzert am 14. September 1996 in Penig bzw. in Zwickau, eines am 5. Oktober 1996 bei Zwickau u.a. mit der Band Oidoxie oder eines am 12. Oktober 1996 in Wildenfels bei Zwickau.
c) Diese Nähe zu B&H und seine wichtige Stellung in Westsachsen drückt sich auch an den Grüßen bzw. Erwähnungen in den sächsischen Fanzines , , Wachturm und Foierstrum aus. Die bundesweite Bekanntheit, insbesondere im B&H-Umfeld, zeigt sich u.a. an den Grüßen im , Gangloff und vor allem an denen im Blood and Honour Magazin Nr. 1. und Nr. 2.

2. Im Rahmen seiner Aktivitäten in der extrem rechten Szene Zwickaus bzw. Sachsens war der Zeuge Marschner vielfach polizeilich nicht nur wegen Propagandadelikten auffällig. So gab das BfV selbst an, dass Marschner „szenetypische Straftaten“ begangen habe, will dies aber für Gewaltdelikte ausschließen. Eine genaue Rekonstruktion der gegen den Zeugen Marschner gerichteten Strafverfahren ist den Antragstellern allerdings nicht möglich, weil verschiedene Daten in Bezug auf Marschner gelöscht wurden. So heißt es bspw. zu der Beteiligung Marschners an einem gewalttätigen Angriff im Jahr 1991 auf ein Flüchtlingsheim in der Kopernikusstraße in Zwickau: „Zu diesem Landfriedensbruch sind hier derzeitig keine weiteren Erkenntnisse vorhanden.“ Im Jahr 1999 wird er mit dem Totschlag von Patrik Thürmer am 2. Oktober 1999 in Oberlungwitz in Verbindung gebracht. Thürmer war von Rechten zu Tode geprügelt worden; verurteilt wurde deshalb u.a. Dirk Ho., ein Bekannter von Marschner. Auch Marschner selbst geriet mit weiteren Personen aus seinem Umfeld in das Blickfeld der Ermittlungen. Später wurde ein Strafverfahren wegen Strafvereitelung gegen ihn und andere eingeleitet, dessen Ausgang unbekannt ist.

Bekannt ist auch ein Strafverfahren wegen des Kaufes von 200 Exemplaren der von Werner und Starke produzierten bzw. vertriebenen Landser-CD „Ran an den Feind“. Das Verfahren soll später gegen den Zeugen Marschner eingestellt worden sein. Allerdings sind auch diese Akten des gegen Marschner gerichteten Strafverfahrens vernichtet und seine Daten in Bezug auf das Landserverfahren aus dem Informationssystem „PASS“ gelöscht. Seinem V-Mann-Führer
gegenüber gab er seine Beteiligung an der Straftat zu – noch bevor dem BfV das Ermittlungsverfahren bekannt wurde. In dem Strafverfahren selbst hatte der Zeuge Marschner allerdings bestritten, die CDs gekauft zu haben, da er das Ganze für eine Falle gehalten habe.

3. Diese vielfältigen Aktivitäten Marschners in der Szene vor, während und nach seiner Anwerbung waren getragen von seiner neonazistischen Überzeugung, wie sie in den Liedern von „Westsachsengesocks“ oder in seiner heutigen Facebookseite, die er unter dem Namen Ralf Rollig betreibt, zum Ausdruck kommt.
4. Trotz der engen Verbindungen zwischen der Chemnitzer und der Zwickauer Neonaziszene in
den 1990er und Anfang der 2000er Jahre wurden durch das BKA so gut wie keine Strukturermittlungen in Bezug auf die Zwickauer Neonaziszene im Hinblick auf mögliche Unterstützungshandlungen für das Trio geführt. Es wurden lediglich wenige Szenekontakte von
André Eminger in Zwickau vernommen, aber nie die Zwickauer B&H-, Hammerskin- und Kameradschaftsszene aus der Zeit Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre mit ihren vielfältigen Kontakten zu Unterstützern der Drei in den Blick genommen. Entsprechend fehlen auch – zumindest in der Verfahrensakte – Vernehmungen von Zeugen, die Kontakt zu Marschner und sehr wahrscheinlich auch zu den Dreien oder dem Angeklagten André Eminger hatten, wie z. B. Jens Gü., Aline Kä., Katy Ku. oder Paul Mo. Der GBA hat den Unterzeichnern auf ihren Antrag hin explizit keine Auskunft dazu erteilt, ob diese Personen vernommen worden sind oder nicht.

II. Zu den Beweistatsachen im Einzelnen ist ergänzend Folgendes vorzutragen:

1. Zu den Beweistatsachen (1a – c): Kontakt zu Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt:
Die unter Beweis gestellte Tatsache, dass der Zeuge Marschner Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe kannte, wird durch eine Vielzahl von Zeugenaussagen belegt und durch weitere Erkenntnisse zu den Verbindungen zwischen der extrem rechten Szenen Thüringens und Sachsens sowie den Beziehungen zwischen dem Zeugen Marschner und dem bisher bekannten Unterstützernetzwerk des NSU gestützt.

a) So gibt es eine Reihe von Aussagen, die für die Zeit nach dem Untertauchen einen direkten Bezug des Zeugen Marschner zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe belegen. So gab der Zeuge Jörg An., der selbst der rechten Szene in Westsachsen angehört hatte, in seiner Vernehmung durch die schweizerische Polizei im Jahr 2011 an, dass er bei dem 1998 in Greiz, einem Fußballturnier der rechten Szene, den Zeugen Marschner – den er als dicken Mann mit einem Kampfhund und einem Szeneladen in Zwickau beschrieb – in Begleitung von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gesehen hätte. Marschner hätte ihn – den Zeugen An. – damals sogar gefragt, ob er an Waffen herankäme.

Des Weiteren meldete sich der Geschäftsfreund des Zeugen Marschner, Ralf Mü., bereits am 3. Dezember 2011 bei der Polizei und gab in seiner Vernehmung an, er habe Zschäpe auf einem Fahndungsplakat als eine Frau wiedererkannt, die sich in der Zeit von ca. 2005-2007 mehrfach in dem Laden von Marschner in der Moritzstraße aufgehalten und mglw. auch dort gearbeitet habe, jedenfalls habe sie an Marschners PC gesessen und sich mit ihm gut verstanden. Bei dem von Mü. beschriebenen Laden handelt es sich nach den Ermittlungen des BKA um die beiden Läden von Marschner M.u.M. Vertriebs-GmbH in der Moritzstraße 14 oder den Laden Heaven & Hell, der sich ebenfalls in der Moritzstraße befand. Auch die ehemaligen Angestellten von Marschner, der Zeuge Schw. und die Zeugin Di., erkannten auf einer Lichtbildvorlage die Angeklagte Zschäpe vom Sehen her wieder und vermuteten, sie in einem der Läden gesehen zu haben. Die Zeugin Bo., ebenfalls eine Angestellte Marschners, war sich bei dem Wiedererkennen von Zschäpe im Gegensatz zu den anderen beiden nicht ganz sicher. Auffällig ist, dass die Zeugen Mü. und An. schon sehr früh und unabhängig voneinander über die Verbindung von Marschner zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe Auskunft gaben und dass drei weitere Zeugen aus der unmittelbaren Umgebung von Marschner immerhin Zschäpe vom Sehen erkannten und all das bereits in den Jahren 2011 und 2012 bei der Polizei zu Protokoll gaben, also zu einer Zeit, als Marschner noch nicht als V-Mann enttarnt worden war und sie keinen erkennbaren Grund hatten, ihn zu Unrecht zu belasten.

b) Es gibt auch weitere Hinweise darauf, dass es Wissen von Marschner über Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nach deren Untertauchen gab. Im Einzelnen:
aa) Der Zeuge Jens Gü., ein Freund und Angestellter von Marschner, der ebenfalls der rechten Szene angehörte, wohnte zur selben Zeit in der Polenzstraße 5, als die Drei in dem nur schräg gegenüberliegenden Haus Polenzstraße 2 wohnten. Der Zeuge Marschner gab in seiner Vernehmung an, Gü. sei ein „Saufkumpane“ und „guter Arbeitskollege“ gewesen. Auch wusste er, dass Gü. in der Polenzstraße wohnte. Allein aufgrund der räumlichen Nähe und derselben ideologischen Ausrichtung ist mindestens von einem Kennverhältnis der Drei zu Gü. auszugehen. Es kann davon ausgegangen werden, dass u.a. auch über dieses (Kenn-)verhältnis der Zeuge Marschner Kenntnis davon hatte, dass und wo die Drei in der Polenzstr. 2 lebten. Gü. ist zu diesem Kennverhältnis bis heute – soweit jedenfalls aus der Gerichtsakte ersichtlich – nicht vernommen worden.

bb) Auch ist davon auszugehen, dass Marschner bekannt war, dass der Beschuldigte Max-Florian Bu. die Drei in Chemnitz 1998 untergebracht hat. Marschner und Bu. haben mit Alexander La. einen gemeinsamen Bekannten bzw. Freund. Diesem hatte Bu. nach eigenen Angaben bereits 1998 und später mehrfach – damals noch etwas prahlend – über die Drei berichtet und dass er sie untergebracht hat. La. bestätigte diese Angabe in seiner Vernehmung und gibt auf die Frage, was Bu. ihm über das „Zwickauer Trio“ erzählt habe, an: „Ich erinnere mich, dass er mir damals keine Namen genannt hat, aber dass die drei eine außergewöhnliche Position hatten, also keine normalen Skinheads waren. Er hat die als intelligente Personen beschrieben, die nicht an den typischen Phrasen, sondern an einer größeren Sache interessiert waren. Das ging eher so in die Richtung Weltverschwörungstheorien und den Kampf gegen das böse System.“ Weder Marschner noch La. wurden gefragt, ob La. diese Information an seinen Bekannten Ralf Marschner weitergegeben hat. Wenn ja, verfügte Marschner schon kurz nach dem Untertauchen über konkrete Informationen darüber, dass und mit welchem Ziel die Drei untergetaucht sind.

cc) In der Sitzung des Bundestagsuntersuchungsausschusses am 17. März 2016 soll der Kriminaldirektor des BKA, Frank Heimann, in seiner Vernehmung angegeben haben, dass unter den Asservaten aus der Frühlingstraße 26 ein Hinweis auf Ralf Marschner gefunden worden sei. Um welches Asservat es sich hierbei handeln soll, ist nicht bekannt, da es unter den ausgewerteten Asservaten – soweit ersichtlich – keines gibt, das direkt auf Marschner verweist.
dd) In der Wohnung in der Frühlingsstraße 26 wurden auch persönliche Dokumente aus den Jahren 1990-1993 gefunden, die an Marlies und Lothar B. gerichtet sind und von denen sich die Berechtigten nicht erklären konnten, wie sie in die Wohnung des Trio gelangt sein konnten, außer, dass sie vor 1998 Kontakt zu „Manole“, also Ralf Marschner, gehabt hatten. Insoweit liegt die Vermutung nahe, dass das Trio diese Unterlagen von Marschner erhalten hatte.

c) Es ist auch davon auszugehen, dass es schon vor dem Untertauchen ein Kennverhältnis zwischen Marschner und Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gab. Dies ergibt sich aus den vielfältigen Kontakten von Marschner mit der Thüringer Szene, in der sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe damals bewegten bzw. deren Kontakte mit der sächsischen Szene. Zum einen hatten Marschner und sein Umfeld offensichtlich Kontakt zu THS-Strukturen. So war Marschner am 8. November 1997 zusammen mit Katy Ku. auf einem Konzert in der Gaststätte – dem „Stammhaus“ des THS. Auf dem Konzert spielten die Rechtsrockbands „Kampfzone“ aus Coburg und die „Rabauken“ aus Dortmund. Auch aus der Grußseite von „Voice of Zwickau“ Nr. 2 gehen nicht nur Marschners bundesweite Kontakte hervor, sondern auch seine Kontakte nach Thüringen. Er sendet allgemeine Grüße nach Gera, Weimar, Altenburg und Kahla. Außerdem grüßt er explizit „Ingo aus Weimar“, also Ingo Gr., der in Weimar den Phönix Versand und den Laden Hatebrothers betrieb und der mit Unterstützern der Untergetauchten wie Thomas Starke oder Mitwissern wie Carsten Szczepanski bekannt war und Kontakte zum Madleys in Jena hatte. Auf der anderen Seite gab es auch Kontakte von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach Zwickau, die ein Kennverhältnis zwischen den Dreien und dem Zeugen Marschner indizieren. So gab der Zeuge Ha. für die Zeit vor dem Untertauchen in seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung vom 30. Juni 2015 an, dass es neben dem „Goldenen Löwen“ in Rudolstadt noch in Zwickau, Naumburg und Apolda weitere Objekte gegeben habe, um sich mit größeren Gruppen zu treffen, und wohin Wohlleben, Kapke, Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt auch häufiger gefahren seien. Aufgrund der zentralen Position von Marschner und seinem auffälligen Äußeren kann davon ausgegangen werden, dass es bei den Besuchen zu Kontakten zu Marschner kam bzw. er wenigstens Mundlos und Zschäpe bekannt war.

Es ist weiter davon auszugehen, dass sich der Zeuge Marschner zumindest mit Mundlos und Zschäpe auf Konzerten in Sachsen getroffen hat. Die Bekundungen verschiedener Zeugen haben ergeben, dass Mundlos und Zschäpe – Böhnhardt erst später – an den Wochenenden häufig nach Sachsen zu Konzerten und Partys gefahren sind. Diese Bekundungen werden durch die Briefe bestätigt, die Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt an Starke und Schau in die Haft geschrieben haben und in denen sie ausführlich diese Unternehmungen beschrieben. Dass die Drei schon damals Marschner kennengelernt haben müssen, ergibt sich weiter daraus, dass sie zu der Zeit bereits einen überschneidenden Bekanntenkreis hatten; insbesondere hatte Marschner gute Kontakte zu den 88ern und zu B&H Sachsen und Hendrik Lasch war einer seiner besten Freunde, der wiederum in der Hauptverhandlung berichtet, mit Mundlos schon vor dessen Untertauchen befreundet gewesen zu sein.

Auch nahm er bereits zu Beginn der 90er Jahre mit seiner Band oder als einfacher Teilnehmer an vielen Skinheadkonzerten in Sachsen teil. Er spielte mit seiner Band im Südblick im Chemnitzer Heckert-Gebiet, wo sich auch regelmäßig die B&H-Anhänger aus Chemnitz trafen. In Zwickau hatte die Band von Marschner ein Garten-Lokal als Probe- und Konzertraum – mglw. das Objekt, von dem Ha. sprach. Dieser Befund wird belegt durch Fotos von Thomas Starke, auf denen Aline Kä., die zu dem engsten Umfeld von Marschner gehörte, zusammen mit Antje Böhm, geb. Probst, Uwe Mundlos und der Angeklagten Zschäpe zu sehen ist. Wahrscheinlich handelt es sich bei Aline Kä. um die von mehreren Zeugen erwähnte Isabell bzw. Isabella Kä., die im Last Resort Shop aushilfsweise gearbeitet und die Buchhaltung für Marschner gemacht hat. Obwohl nach der Verfahrensakte viele Angestellten des Ladens vernommen worden sind, fehlt eine Vernehmung von ihr. Schließlich war Thomas Starke Ende 1996/ Anfang 1997 für einige Monate mit der Angeklagten Zschäpe liiert, was der Zeuge Marschner – den Starke seit 1996 kannte – erfahren haben muss. Marschner und Starke trafen sich regelmäßig und die Liaison war szenebekannt, wie sich aus den Angaben des V-Mannes Marcel Degner gegenüber dem TLfV ergibt.
Aus all dem kann der Schluss gezogen werden, dass vor dem Untertauchen ein Kennverhältnis zwischen dem Zeugen Marschner und Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, zumindest aber zwischen Marschner und Uwe Mundlos und der Angeklagten Zschäpe, bestand.

d) Der Zeuge Marschner hatte darüber hinaus nach dem Untertauchen vielfältige Kontakte zu dem direkten Unterstützernetzwerk der Untergetauchten, die ebenfalls ein Kennverhältnis zwischen den Dreien und dem Zeugen Marschner indizieren. So hatte Marschner Kontakt zu Unterstützern aus Thüringen: Auf dem PC des Zeugen Marschner befand sich bspw. ein Schreiben, in dem – mutmaßlich – Marschner Tino Brandt bestätigt, dass er sich im Jahr 2003 zu einem Bewerbungsgespräch im Last Resort Shop eingefunden hatte. Gespeichert ist das Dokument als „Tino“. Marschner hatte sich auch die Kontaktdaten zu „Frank“ und „Schulzi“, also und Andreas Schulz, als Kontakte zum Laden Madleys in Jena notiert.

Marschner kannte auch Max Florian Bu., einen der langjährigen Unterstützer der Untergetauchten. Mit ihm zusammen hat Marschner an der Fahrt nach Ungarn 1998 zu einem von der ungarischen B&H-Division veranstalteten Naziaufmarsch teilgenommen. Ebenfalls hatte Marschner engen Kontakt zu B&H-Aktivisten aus Chemnitz, die zugleich Unterstützer von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe waren, wie Hendrik Lasch, den die Zeugin Bo. als „sehr guten Freund“ von Ralf Marschner bezeichnet, Jörg Winter, Thomas Starke, Antje Bö., geb. Probst, und Jan Werner. Mit Jan Werner und Thomas Starke hatte Marschner nach eigenen Angaben engeren Kontakt; mit Jan Werner sogar noch nach dem 4. November 2011. Dabei sollen sie sich auch über den NSU unterhalten haben, wobei Werner ihm, also Marschner, von dem Verhältnis von Starke und Zschäpe berichtet habe. Auch mehrere weitere Unterstützer gaben an, Kontakt zu Marschner gehabt zu haben, so z.B. Antje Bö., geb. Probst. Auch die Telefonnummer von Kay Ri. war in dem Adressbuch von Marschner verzeichnet. Dieser gehörte zu dem Chemnitzer B&H-Umfeld, kannte alle Unterstützer der Drei und sein Name ist als mögliche Kontaktperson bereits in der Drilling-Akte des TLfV erwähnt. In diesem Zusammenhang wurde er auch observiert.

Der erste Unterkunftsgeber der Drei in Chemnitz, der Zeuge Thomas Rothe, grüßt Marschner in seinem – wahrscheinlich mit Mundlos Hilfe hergestellten – Fanzine „Sachsens Glanz“ Nr. 5 im Jahr 1999. Schließlich kannte auch Hermann Schn. von dem Spieleladen „P. G.“ in der Bosestraße 25 Zwickau den Zeugen Marschner. Der Spieleladen lag direkt um die Ecke von Marschners The Last Resort Shop in der Kreisigstraße 5 – die Kreisigstraße liegt zu Fuß ca. 20 Minuten von der Polenzstraße entfernt auf dem Weg in die Zwickauer Innenstadt. Über den Spieleladen sollen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auch Waffen, wie eine Pumpgun, erhalten haben. In der Zusammenschau mit den oben genannten Bekundungen und Anhaltspunkten für Kontakte zwischen dem Zeugen Marschner und der Angeklagten Zschäpe sowie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kommt dem Umstand, dass auf dem Computer des Zeugen Marschner unter anderem das sogenannte Pink Panther-Lied gespeichert war, besondere Bedeutung zu.

e) Durch die Ausstrahlung der Kripo live Sendungen, am 22. Februar 1998 und am 7. Mai 2000, mit denen nach Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt gesucht wurde, wusste die Szene, dass und weshalb die Drei in Thüringen gesucht wurden und untergetaucht waren. So berichtete der Zeuge Rothe, dass Thomas Starke ihn angerufen und von der Sendung berichtet hatte.

f) Diese aufgeführten Umstände lassen nur den Schluss zu, dass der Zeuge Marschner Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe und deren Aufenthaltsort kannte. Diese Beweistatsachen sind erheblich, weil sie belegen, wie verbreitet das Wissen um die in der Halblegalität lebenden Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in der rechten Szene in Chemnitz war, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nicht abgeschottet von der rechten Szene gelebt hatten, sondern neben Holger Gerlach, Ralf Wohlleben, André und Susann Eminger auch zu weiteren Personen aus der rechten Szene nach dem Untertauchen und dem Umzug nach Zwickau regelmäßigen Kontakt hatten. Unerheblich ist dabei, dass die unter Beweis gestellten Tatsachen von dem Zeugen Marschner und seinem V-Mann-Führer Kaldrack geleugnet worden sind; die oben dargestellten Nachweise und Indizien belegen das Gegenteil und dass die beiden ein Motiv haben, die Kontakte und das Wissen abzustreiten.

3. Zu der Beweistatsache (1.d) : Kontakt zu André Eminger
Marschner hatte auch zu dem Angeklagten Eminger, zu dessen Bruder Maik Eminger und seiner Ehefrau Susann Eminger Kontakt. Diese Angaben werden durch die in dem Kontaktspeicher von André Eminger befindliche Nummer von Marschner, die dort unter „Manole“ gespeichert ist, belegt. Der Kontakt zwischen Eminger und Marschner bestand auch zu einer für die Taten des NSU relevanten Zeit – nämlich 2000/2001. Dies zeigt sich daran, dass Marschner Werbung in Emingers Fanzine Aryan Law and Order Nr. 3 für seinen The Last Resort Shop geschaltet hatte und sich dort auch eine Besprechung der Platte Zensiert von Marschners Band Westsachsengesocks befindet. In Marschners Voice of Zwickau wird wiederum schon 1997 die „Erzgebirgs-Bande“ gegrüßt. Die Enge des Verhältnisses zwischen Marschner und Eminger wird auch daran deutlich, dass sie z.T. ein gemeinsames Umfeld haben bzw. hatten: Sie haben bzw. hatten einen gemeinsamen Freund, Paul Mo., der mit Marschner bei der Band Westsachsengesocks gespielt hatte und der zu dem Umfeld von B&H Sachsen gehörte.

Ebenfalls hatten beide Kontakt zu Mitgliedern des rechten Fußballfanklubs „Hoonaras“ – die Abkürzung steht für „Hooligans, Nazis und Rassisten“, wie z.B. Thomas Ha., dem Chef der gleichnamigen Securityfirma. Die Hoonaras werden vom WBE im Foier Frei Nr. 13 gegrüßt. Schließlich hatte Eminger zu mehreren Angestellten von Marschner aus der Skinhead- und Neonaziszene Kontakt. So zu Marco Ha., der 2002 den Last Resort Shop von dem Zeugen Marschner übernommen hatte und zu zwei bei Marschners Baufirma Beschäftigten, dem Hammerskin Steffen Ka. und einem Dave Li., deren Nummer jeweils in einem sichergestellten Mobiltelefon von Eminger gespeichert war. Susann Eminger hatte jedenfalls mit Katy Ku., mit der Marschner 1997 auf dem Konzert in Heilsberg war, zumindest über WhatsApp Kontakt. Das Wissen Ralf Marschners über die politische Einstellung und die Aktivitäten der Emingers für die WBE zur Tatzeit und die Kontakte zwischen dem Angeklagten Eminger und den Dreien ist für die Tatfrage in Bezug auf den Angeklagten Eminger verfahrensrelevant. Zugleich sind diese Umstände relevant, weil davon ausgegangen werden kann, dass der Zeuge Marschner in seiner Eigenschaft als V-Mann des BfV Informationen über den Angeklagten Eminger und sein Umfeld an seinen V-Mann-Führer weitergegeben hat; Informationen, die seitens des BfV bisher nicht zur Verfahrensakte gereicht worden sind, aber verfahrensrelevant sein dürften.

4. Zu der Beweistatsache (1. e): Beschäftigung von Mundlos
Der Zeuge Marschner war Geschäftsführer der Firma „Marschner-Bau-Service Zwickau“, die er vom 1. Juli 2000 bis zum 4. März 2002 betrieb. In dem am 6. April 2016 ausgestrahlten Dokumentarfilm „Der NSU-Komplex“ der Journalisten Dirk Laabs und Stefan Aust wird angenommen, Uwe Mundlos habe unter seinem Aliasnamen Max-Florian Burkhardt in Marschners Baufirma gearbeitet. Als Beleg wird die Angabe von Marschner in seiner Vernehmung herangezogen, dass ein „Max Burkhardt“ bei ihm gearbeitet habe. Es wird weiterhin in der Sendung der Zeuge Arne-Andreas Er., ein ehemaliger Bauleiter, gezeigt, der angibt, er würde Uwe Mundlos als einen ebenfalls bei Marschner beschäftigten Vorarbeiter wiedererkennen. Einen Tag nach der Sendung ließ die BAW diesen Bericht umgehend durch Spiegel Online dementieren und gab gegenüber dem Portal an, die Mitarbeiter des Bauunternehmens und das ehemalige Personal von Marschners Ladengeschäften seien vernommen worden. Hinsichtlich eines Teils der bekannten Angestellten der Geschäfte Marschners finden sich tatsächlich Vernehmungen in der Verfahrensakte, allerdings fehlen auch Vernehmungen, wie die der Buchhalterin und Vertrauten von Marschner, der Isabell Kä.. Von den bei der Baufirma angestellten Personen ist dem Gericht kein einziges Vernehmungsprotokoll vorgelegt worden. Laut Spiegel Online sollen die Vernehmungen in dem sogenannten Strukturverfahren bzw. Verfahren gegen unbekannt erfolgt sein. In dieses hatten die Unterzeichner am 25. Februar 2016 Akteneinsicht beantragt, die vom GBA versagt wurde, ebenso wie die Auskunft danach, welche Personen in dem Verfahren vernommen worden sind. Gegenüber der Presse wurde diese Auskunft nun – zumindest abstrakt – erteilt.

Aus den Zeugenvernehmungen ergibt sich, dass bei der Firma Marschner Bauservice neben Jens Gü. und dem von Marschner benannten „Max Burkhardt“ in den Jahren 2000 bis 2002 die folgenden Personen gearbeitet haben: ein Me. aus Zwickau; ein Ho. aus Neukirchen; Jens M. aus Frankenberg; Steffen Ka. aus Auerbach, der auch 1994 Mundlos getroffen hat; Nils Le. aus Zwickau; André Pr.; ein Bauleiter F.; Dave Li. aus Lichtentanne; Sebastian Be. aus Chemnitz; Marco Ha. aus Zwickau, dieser wird zwar vernommen, aber nur zum Laden und nicht zu der Tätigkeit in der Baufirma befragt.
Da sich von keiner dieser Personen ein Vernehmungsprotokoll in der Verfahrensakte befindet und auch der Beschuldigte Max-Florian Bu. nicht zu den Angaben von Marschner befragt worden ist, wird beantragt, sämtliche weitere Ermittlungen, insbesondere Vernehmungsprotokolle mit Bezug zu Ralf Marschner und den Zwischenbericht in dem Ermittlungsverfahren gegen Max-Florian Bu. beizuziehen und den Unterzeichnern Akteneinsicht zu gewähren.

5. Zu der Beweisfrage (1.f): Fahrzeuganmietungen
Die Vernehmung des Zeugen Marschner ist auch angezeigt, um zu klären, ob durch ihn oder seinen Angestellten Gü. Fahrzeuge für Zschäpe, Mundlos und/ oder Böhnhardt angemietet und diese für die Begehung der anklagegegenständlichen Taten genutzt worden sind. Bisher sind keine Fahrzeuganmietungen für die Tatzeiten der Morde an Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü und Habil Kılıç bekannt. Von Ralf Marschner ist hingegen aus den Ermittlungen bekannt, dass er für seine Baufirma, mit der er überwiegend in Nürnberg und München tätig war, regelmäßig Autos bei der Autovermietung S. angemietet hatte; das ist die Vermietung, bei der auch das Trio die meisten seiner Fahrzeuge mietete. So hatte er für seine Baufirma nicht nur von 1. Januar bis zum 7. Dezember 2001 einen Audi A 6 dauerangemietet, sondern auch mehrfach einzelne Autos, darunter auch Transporter. Eine Überschneidung der Anmietungen für zwei solch gesondert angemietete Fahrzeuge ergibt sich für die Tatzeit des Mordes an Habil Kılıç am 29. August 2001 in München.

Das BKA ging aufgrund eines unrichtig angenommen Todeszeitpunktes im Fall des Mordes an Abdurrahim Özüdoğru in Nürnberg ebenfalls von einer Überschneidung einer Fahrzeuganmietung, die Jens Gü. im Namen von Marschner vorgenommen hatte, aus. Diese Überschneidung ist jedoch nicht gegeben, sollten die Uhrzeiten auf dem vorhandenen Automietvertrag zutreffend sein: Nach dem Vertrag soll die Anmietung des Transporters erst um 18.00 in Zwickau erfolgt sein, während die Tatzeit nach der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung und der Aktenlage wahrscheinlich zwischen 16.10 und 17.30 lag. Die Frage, ob Marschner im Auftrag und für die Drei Fahrzeuge angemietet hat, ist für die Tatfrage relevant. Das Gericht hat im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht zu klären, wer so wesentliche Beiträge wie das Anmieten eines Fahrzeuges für die Begehung eines Mordes vorgenommen hat.

6. Zwar hat der Zeuge Marschner in seiner Zeugenvernehmung vom 30. Oktober 2012 und gegenüber den Journalisten Laabs und Aust die unter Beweis gestellten Tatsachen bzw. die in den Beweisfragen implizierten Umstände im Wesentlichen bestritten. Seine dort gemachten Angaben sind aber nicht glaubhaft, was sich schon allein daraus ergibt, dass er in dieser Vernehmung leugnete, jemals Neonazi gewesen zu sein, seine gesamten politischen sonstigen Aktivitäten herunterspielt und sich weigert, Namen von gemeinsamen Kontaktpersonen zwischen ihm und
Thomas Starke bzw. Jan Werner anzugeben.

B)

Es wird weiter beantragt,
(1.) KHK St., LKA Sachsen, ehem. Dezernat 512, zu laden und zu hören sowie das Schreiben des KHK St. vom Dezernat 512 des LKA Sachsen vom 11. Dezember 2001, gerichtet an das LKA Thüringen, z. Hd. Herrn Wießner, beizuziehen und zu verlesen, zum Beweis der Tatsachen,
(a) dass es dem LKA Sachsen und dem LKA Thüringen spätestens im Dezember 2001 bekannt war, dass die Unterstützer des NSU aus der B&H-Szene kommen, dass sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Zwickau aufhalten und dass zu den möglichen Unterstützern des NSU im Untergrund neben Jan Werner, Hendrik Lasch, Thomas Starke auch Ralf Marschner gehörte,
(b) dass diese Erkenntnisse auch an das LfV Sachsen weitergegeben worden sind.

Weiter wird beantragt,
(2.) den Zeugen Ralf Marschner und Richard Kaldrack, zu laden über das BfV, zum Beweis der Tatsache zu hören, dass Ralf Marschner die Beweistatsachen 1a) bis d) seinem V-Mann-Führer im BfV, Richard Kaldrack, während seiner Tätigkeit als V-Mann berichtet hat.

Schließlich wird beantragt,
3.) den Lagefilm aus der Zeit vom 4. bis zum 11. November 2011 des Führungs- und Lagezentrums in der Polizeidirektion Zwickau zum Beweis der Tatsache beizuziehen und zu verlesen, dass Ralf Marschner dort am 11. November 2011 als Spurenkomplex Nr. 85 verzeichnet ist.

Begründung

I.
Die Beweisaufnahme wird ergeben, dass die Landeskriminalämter Sachsen und Thüringen, das BfV sowie das Sächsische LfV Kenntnis sowohl von dem Aufenthalt von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in Zwickau als auch von dem Kontakt und der Unterstützung durch den V-Mann Ralf Marschner hatten.

1. Zum Beweisantrag zu (1.):
Das LKA Sachsen und das LKA Thüringen waren von dem Kontakt Marschners zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe unterrichtet worden, wie sich aus dem Vermerk vom 11. Dezember 2001 ergibt. Aus dem ersten Untersuchungsausschussbericht des Bundes und dem Minderheitenvotum des sächsischen UA gibt es Hinweise auf ein von dem Zeugen KHK St. gefertigtes Dokument des LKA Sachsen, Dezernat 512, vom 11. Dezember 2001, das an das Thüringische LKA, z. Hd. Herrn Wießner, – dieser war vom LfV im Jahr 2001 zum LKA gewechselt – gerichtet ist. Aus dem Minderheitsvotum des sächsischen UA ist bekannt, dass dieser Vermerk des Zeugen KHK St. wie folgt aufgebaut ist: „In einem ersten Abschnitt wurde die Situation der ‚Security-Firmen im Bereich Chemnitz‘ sowie Zwickau und Plauen skizziert. Hier wurden handschriftliche Anmerkungen angebracht, die entziffert werden können als: ‚Beschaffer von Personalpapieren‘ und ‚Quartiermacher‘. In einem zweiten Abschnitt wurde die Meldeanschrift des Jan Werner mitgeteilt und darauf hingewiesen, dass dieser sich aktuell in Haft befindet. Zu einer Kontaktperson des Werner, Ralf M. [Marschner], hieß es: ‚Über den M. bestehen Verbindungen in den Bereich der Zwickauer-Szene. In einem dritten Abschnitt wurde hingewiesen auf Mirko H. [Hesse], der sich gleichsam in Haft befinde und dessen Kontakte u.a. zu Jan Werner, Thomas Starke, Hendrik L. [Lasch] und Ralf M. [Marschner] seien.‘ In einem vierten Abschnitt wurde gesondert auf die Anschrift des Hendrik L. [Lasch] hingewiesen. Handschriftlich ist von Wießner zu dem Vermerk ergänzt: ‚Betr. Fahndung nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe; Hier: Mögliche Unterstützer in Sachsen‘.“

In diesem Vermerk sind erstmals Ralf Marschner und als mögliche Unterstützer thematisiert; die übrigen Namen sind schon seit 1998 aktenkundig. Insbesondere wurde in dem Vermerk zum ersten – und soweit bekannt – einzigen Mal die Zwickauer Szene in den Fokus genommen und dies zu Recht, da Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe Mitte 2000 nach Zwickau gezogen waren. Dieses Dokument lässt nur den Schluss zu, dass dem LKA Sachsen und dem LKA Thüringen spätestens im Dezember 2001 bekannt war, dass sich die Untergetauchten in Zwickau aufhielten. Gleichzeitig belegt das Dokument auch, dass der Zeuge Wießner auch nach dem Ausscheiden im TLfV weiter mit dem Fall der Untergetauchten befasst war, was seine
Schlüsselstellung, die er in Bezug auf Operation Drilling schon beim TLfV hatte, noch einmal
unterstreicht. Der Inhalt dieses Vermerks ist zum einen deshalb verfahrensrelevant, da er bestätigt, dass auch die Sicherheitsbehörden den Zeugen Marschner mit den Untergetauchten in Verbindung gebracht haben und zum anderen deshalb, weil er belegt, welchen Wissensstand die Strafverfolgungsbehörden bereits im Dezember 2001 hatten, als noch viele Morde hätten verhindert werden können, wenn das Wissen eingesetzt worden wäre. Gleichzeitig ist aufgrund der engen Zusammenarbeit des LKA Sachsen und des LfV Sachsen davon auszugehen, dass diese Erkenntnisse auch an das LfV Thüringen weiter gegeben worden sind.

Um 16:45 Uhr sagt Götzl: „Tut mir leid, wir müssen kurz unterbrechen, es ist absolut notwendig.“ Der Senat verlässt den Saal. Um 16:57 Uhr geht es weiter: „Tut mir leid, Herr Dr. Stolle, dass ich Sie unterbrochen habe.“ Stolle setzt fort:

2. Zu dem Beweisantrag zu (2.) und (3.):
Die im Folgenden genannten Umstände sprechen für die unter Beweis gestellten Tatsachen, dass der Zeuge Marschner sein Wissen über die Untergetauchten und deren Unterstützer an das BfV weitergegeben hat, so dass auch das BfV über den Aufenthalt von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe informiert war.

a) Der Zeuge Marschner war von 1992 bis September 2002 V-Mann des BfV, Deckname „Primus“, und erhielt durchschnittlich 300 DM Prämie im Monat. Sein V-Mann-Führer beim BfV war der Zeuge Kaldrack, der ihn 10 Jahre lang führte und zum Teil parallel mit dem zweiten hochrangigen V-Mann des BfV aus Sachsen, dem Hammerskin Mirko Hesse. Außerdem führte der Zeuge Kaldrack vertretungsweise zusätzlich den V-Mann Corelli, also Thomas Richter, der vor dem Untertauchen der Drei über Kontakte mit Mundlos berichtet hatte und der 2005 die NSU/NSDAP-CD dem BfV übergab. Damit war Kaldrack praktisch das BfV-Pendant zu dem Zeugen Norbert Wießner: Dieser führte in Thüringen – zeitweise – fünf V-Leute, die zu dem Trio berichtet haben. Kaldrack führte auf Bundesebene – zeitweise – alle drei V-Männer, die Angaben zum Trio machten bzw. machen konnten. Ebenfalls ist wahrscheinlich, dass auch der Zeuge Lothar Lingen – der am 11. November 2011 die sieben der sogenannten „Rennsteigakten“ vernichtete – mit Ralf Marschner zu tun hatte, da er in der Zeit von 1997 bis 2002 im Bereich Beschaffung des „Phänomenbereichs“ Scientology eingesetzt war und Marschner im Rahmen seiner von 2000 bis 2002 betriebenen Baufirma ein sehr enges Verhältnis mit dem in Zwickau bekannten Scientologen und Bauunternehmer Fl. hatte.

Erst Anfang 2013 wurde Marschner als V-Mann Primus enttarnt. Das BfV bezeichnet ihn als wertvollen V-Mann, der über „das gesamte Spektrum der Aktivitäten rechtsextremer Skinheads“ berichtet habe und der stets quellenehrlich gewesen sei bzw. als er einmal seinen Aufkauf von 200 Landser-CDs verheimlicht hatte, dies später – noch vor den Ermittlungen – seinem V-Mannführer gebeichtet habe. Aus diesem Grund sind die Angaben von Marschner und dem V-Mannführer Kaldrack, Marschner hätte Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe noch nicht einmal gekannt, nicht glaubhaft. Der V-Mannführer hatte in seiner Vernehmung im Bundestagsuntersuchungsausschuss angegeben, Ralf Marschner sei im März 1998 ein Bild von den Dreien vorgelegt worden und er habe angegeben, diese nicht zu kennen. Nach dieser einmaligen Befragung hätte er – also der V-Mannführer Kaldrack – Marschner nicht noch einmal nach den Dreien gefragt. Nach dem Untertauchen hätte es ja keinen Sinn mehr gemacht, jetzt die Quelle noch einmal zu fragen, ob er die Drei jetzt kenne, nachdem er schon einmal gesagt habe, sie seien ihm unbekannt. Diese Angabe des V-Mann-Führers, Marschner sei nach März 1998 nicht noch einmal nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gefragt worden, ist völlig unglaubhaft, da das BfV durch die Meldungen von Szczepanski und Degner aus dem Sommer 1998 wusste, dass die Drei in Chemnitz untergetaucht waren und sich in den B&H-Kreisen bewegten, die auch Marschners Umfeld waren, so dass es mehr als nahegelegen hätte, einen so gut vernetzten V-Mann wie den Zeugen Marschner zu fragen, welche Gerüchte es zu den Untergetauchten in der Szene gibt und ob er sie in der Szene in Chemnitz oder Zwickau gesehen hatte.

Die Unglaubhaftigkeit der Darstellung des V-Mannführers wird durch sein Aussageverhalten bestätigt. So ist dieser bemüht, ständig Argumente dafür zu liefern – ohne dass dies von den Obleuten in Frage gestellt worden wäre -, warum er und sein V-Mann großes Interesse daran gehabt hätten, die Drei zu finden, und man deshalb sicher sein könne, dass der V-Mann ihm berichtet hätte, wenn er etwas gewusst hätte und er alles getan hat, um entsprechende Informationen von dem V-Mann zu erhalten. Weiter spricht viel dafür, dass nicht nur das BfV von den Verbindungen wusste, sondern auch das Sächsische LfV, das Marschner intensiv überwachte.

b) Dass Marschner den Kontakt zu den Untergetauchten nicht verheimlicht hatte, sondern dass er den Sicherheitsbehörden bekannt war, ergibt sich auch aus einem frühen Ermittlungsansatz unmittelbar nach der Selbstenttarnung des NSU. Bereits am 11. November 2011, noch bevor der GBA die Ermittlungen übernommen hatte, ist Ralf Marschners Name als „Spur 85“ beim LKA Sachsen aktenkundig, wie sich aus einem Lagefilm des LKA Sachsen ergibt. Diese frühe Spur ist wieder aus den Ermittlungen „entfernt“ worden, da sich der Name Marschner in der Gerichtsakte erst ab dem Zeitpunkt findet, als sich der frühere Geschäftspartner Ralph Mü. im Dezember 2011 an die Polizei wandte; diese frühe auf Marschner verweisende Spur war bis zu ihrer Erwähnung im Bundestagsuntersuchungsausschuss unbekannt gewesen. Allerdings ist nicht bekannt, aufgrund welcher Erkenntnisse Marschner bereits so früh als Spur behandelt wurde. Schließlich verweist auch die Vernichtung der V-Mann-Akten von Marschner darauf, dass er Informationen zum NSU weitergegeben hat.

Es wurden Daten in polizeilichen Datenbanken, wie dem PASS-System, gelöscht und bereits am 18. Oktober 2010 hat das BfV vorzeitig die P-Akte, also die Personenakte, des erst 2002 abgeschalteten V-Mannes Marschner „gelöscht“, obwohl die Löschfristen dies nicht notwendig machten und es auch ansonsten keinen ersichtlichen Grund hierfür gab. Eine Aktenvernichtung vor dem 4. November 2011 kann dazu gedient haben, erhaltene Erkenntnisse über Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gezielt zu vernichten, wenn schon immer bekannt war oder erkannt wurde, dass die Informationen in der Zukunft ein Problem darstellen könnten. Ob die Akte von Marschner rekonstruiert werden kann, und ob dies versucht wurde, ist nicht bekannt. Auf eine Kleine Anfrage, wie viele Deckblattmeldungen von Marschner dem ersten Bundestagsuntersuchungsausschuss vorgelegen haben und ob die Akten rekonstruiert wurden, hatte die Bundesregierung noch im März 2016 eine Antwort mit Hinweis auf eine mögliche Gefährdung des Staatswohls versagt. Nach dem Bericht von Laabs/Aust gebot es das Staatswohl hingegen, der Presse durch einen Sprecher des BMI mitzuteilen, dass noch Aktenstücke vorhanden waren und diese auch schon dem ersten Bundestagsuntersuchungsausschuss vorgelegen hätten,

II.
Der Umstand, dass Polizeibehörden und der VS über Marschner bzw. durch Marschner selber erlangte, weitere, bisher nicht bekannte Informationen über Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe hatten, mit denen eine Festnahme der Drei möglich gewesen wäre, ist ein für die Angehörigen und Opfer des NSU zentrales Thema, das ebenso im Hinblick auf die Schuldfrage der Angeklagten aufzuklären und damit verfahrensrelevant ist.

Der Beweisantrag ist von diversen NK-Vertreter_innen unterschrieben, weitere schließen sich an. Der Verhandlungstag endet um 17:05 Uhr.

Das Blog „nsu-nebenklage„: „Heute waren nur zwei ZeugInnen geladen, ein Polizeibeamter und eine Postangestellte, die beide zum Raubüberfall auf eine Postfiliale in Zwickau im Jahr 2001 aussagten. Dazu kam es allerdings erst gegen 15:30 – die Zeit bis dahin brachte die Verteidigung Wohlleben herum, indem sie zunächst eine längere Pause zur Beratung, dann eine noch längere Pause zur Formulierung eines Ablehnungsgesuchs beantragte und dann das lange und umständlich formulierte Gesuch verlas. Die Ablehnung aller RichterInnen begründen sie dieses Mal mit der Ihrer Ansicht nach fehlerhaften Ablehnung ihres Aussetzungsantrags aus der letzten Prozesswoche […]; auch dieser Antrag wird keine Aussicht auf Erfolg haben. Wenigstens ließ sich das Gericht nicht erneut auf das Spiel ein, den gesamten Rest der Verhandlungswoche ausfallen zu lassen, sondern beschloss, den heutigen Tag zu Ende zu bringen und auch morgen zu verhandeln – nur der Donnerstag wird ausfallen. Am Ende des Hauptverhandlungstages stellte die Nebenklage einen sehr ausführlichen Beweisantrag zum V-Mann „Primus“, Ralf Marschner aus Zwickau, sowie zu dessen Kontakten zu Böhnhardt, Mundlos und Böhnhardt und möglichen Unterstützungsleistungen.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/04/12/12-04-2016/

Pressemitteilung von NK-Vertreter_innen zu Ralf Marschner:
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/04/07/07-04-2016-presserklaerung/

    » «