Protokoll 275. Verhandlungstag – 13. April 2016

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An diesem Verhandlungstag wird erneut Jens L. Vernommen. Dabei geht es auch um Bezüge zu Hans-Ulrich Mü., der im Zusammenhang mit dem Lieferweg der Morfwaffe Ceska steht. Nach kurzer Befragung entschließt sich der Zeuge allerdings von seinem Recht auf Aussageverweigerung nach §55 Gebrauch zu machen. Danach stellt RA Narin von der Nebenklage einen umfangreichen Beweisantrag.

Zeuge: Jens L. (Mögliche Waffenbeschaffung, organisierte Kriminalität in Jena in den 1990ern)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:51 Uhr. Götzl: „Dann haben wir für heute Herrn L. als Zeugen geladen.“ Die Einvernahme von Jens L. war am 260. Verhandlungstag unterbrochen worden und wird heute mit einem Zeugenbeistand, RA Windisch, fortgesetzt.

[Hinweis: L. spricht sehr schnell und undeutlich und berichtet sprunghaft und anekdotisch. Besonders unsichere Teile sind mit „phon.“ gekennzeichnet.]

Götzl: „Es geht uns hier um einen Vorwurf in der Anklage: Waffenübergabe an Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, insbesondere der Zeitraum vor dem 09.09.2000, aber auch allgemeine Waffenübergaben an Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos. Haben Sie dazu Informationen?“ L.: „Habe ich keine.“ Götzl: „Dann geht es uns auch darum, ob Sie etwas sagen können zu Waffenübergaben betreffend jetzt eine Person namens Mü.“ L.: „Kann ich Ihnen jetzt nix sagen, bei uns läuft alles bis '99. August oder Juli sind unsere Bandenchefs festgenommen worden und wir sind dann gefolgt. Ab August '99 war dann nichts mehr, keine Geschäfte mehr, da war ja die offizielle Polizeimaßnahme.“ Götzl: „Wann waren Sie konkret in Haft?“ L.: „Am 04.04., 09:15 Uhr hat das Sonderkommando mich festgenommen, 2000. Aufgrund der Überlänge der Haft – 2 Jahre, 10 Monate, 17 Tage und 16 Stunden [phon.] war ich in U-Haft -, hat man mich rausgelassen, dann wurde ich abgeurteilt und bin wieder rein, bis 2009 [phon.].“ Götzl fragt nach dem Entlassungsdatum. L.: „Da müsste man den Staatsanwalt fragen, der hat das abgesegnet, es war eine Zwo-Drittel-Strafe, ich glaube Anfang des Jahres. Ich habe dann meine Berufsausbildung fertig gemacht.“

Götzl: „Wie lang waren Sie zwischen drin draußen?“ L.: „Nicht ganz ein Jahr, ich hatte noch ein Parallelverfahren wo eine Freiheitsstrafe rauskam. Aber parallel zum Drogenhandel wurde ich freigesprochen. Der Kronzeuge kam von einer Tonne zu einem Kilo und dann wurde ich freigesprochen, aus tatsächlichen Gründen.“ Götzl: „Ab August 1999 keine Geschäfte mehr?“ L.: „Das LKA war ja so, der Ron und Gil wurden zuerst festgenommen.“ Götzl: „Langsamer! Wiederholen Sie es.“ L.: „2009 aufgrund der Tötung in der Wasserelse [phon.] hat das LKA die Ermittlungen übernommen, weil die Sache aus dem Ruder gelaufen ist. Die haben uns observiert. Ich selber hatte jeden Tag zwei Polizeibeamte an meiner Seite. Im Juli haben sie den Gil und Ron weggenommen. Dann war kurz der Ausbruch aus Goldlauter, da wurde der Bandenchef befreit. [phon.] Bis August war es dann so, dass keine Geschäfte mehr gelaufen sind, bis aufs Kack-Klo hatte ich ja ständig die Polizei um mich rum. Es gab noch interne Probleme, weil viel Geld in die Banken reingeschafft worden ist. Der Sascha K., der so genannte Kronzeuge, war ja dem Ron und dem Marc B. [phon.] zuzuschreiben.“

Götzl: „Was verbinden Sie mit dem Namen Mü.?“ L.: „Ich sag's mal so, ich hatte ja schon in der letzten Verhandlung, auch beim LKA, gesagt, zeitliche Abläufe bringe ich durcheinander. Ich habe ja selber viel Probleme hinter mir gehabt. Also ich kann da nichts mehr sagen was ich da in Verbindung bringe. Ich kann über unser Leben bis 2000 erzählen und mehr ist nicht.“ [phon.] Götzl: „Was die Person Theile anbelangt?“ L.: „Ist mir bekannt, ist nach meinem Kenntnisstand dem Ron und dem Marc B. [phon.] zuzuordnen in der Gruppierung. Ron hat die Eisenberger Gilde geführt, Gil hat Jena gemacht. [phon.] Wir haben nur im Kriegsfall zusammen agiert.“ Götzl: „Welche Rolle hatte Theile?“ L.: „Kann ich auch nicht mehr sagen.“ Götzl: „War der Mitglied?“ L.: „Ich denke, er war Soldat.“ Götzl sagt, L. solle den Begriff näher ausführen. L.: „Dass ich Krieg führe, wenn es Ärger gibt. Es wird von oben angewiesen, dann trifft man sich und dann wird das ausgefochten. Wenn Sie die LKA-Akten lesen oder den Oberstaatsanwalt fragen, er kann das besser sagen.“ [phon.]

Götzl: „Mir geht es um Ihre Kenntnisse zu diesen Sachverhalten. Was können Sie denn konkret sagen, wann hat Theile die Funktion als Soldat in einer Auseinandersetzung gehabt?“ L. schweigt länger und sagt dann: „Ich kann Ihnen dazu keine Antwort geben.“ Götzl: „Aus welchem Grund nicht?“ L.: „Weil ich mich da selbst einer Straftat bezichtigen könnte, die nicht verjährt wäre.“ Götzl: „Im Bezug auf die Person Theile: Hatte nach Ihrem Kenntnisstand Theile etwas mit Übergaben von Waffen an andere zu tun?“ L.: „Kann ich Ihnen auch nicht sagen, weil ich nicht jedes einzelne Waffenabwicklungsgeschäft gesehen habe. Wie gesagt, es war aufgeteilt.“ Götzl: „Dann wäre noch von Interesse als Person: Liebau.“ L.: „Sagt mir auch was, aber den Zusammenhang kann ich nicht herstellen.“ Götzl: „Ja, haben Sie eine konkrete Person vor Augen?“ L.: „Hmm, Herr Vorsitzender, sehr schwer. So viele Menschen sind an mir vorbeigegangen in meiner Zeit.“ Götzl: „Ja, 'sehr schwer‘, diese Antwort veranlasst mich nochmal nachzufragen. Da muss ja dann trotzdem eine Verbindung da sein.“ L.: „Dass der Name bis zur Schließung der Wasserelse öfters im Gespräch war. Sie können mit mir bis nach Belgien fahren, ich kenne überall Leute, manche vom Namen und manche nicht.“ Götzl: „Ja, Liebau als Name oder wegen einem Vorgang?“ L.: „Ich kann das aus heutiger Sicht nicht mehr sagen.“

Götzl: „Und die Person ?“ L. sagt, das sage ihm nichts. [phon.] Götzl: „Sie haben selbst darauf rekurriert, dass Sie vernommen worden sind von BKA, Bundesanwaltschaft. Ich will darauf eingehen und die Stellen nochmal mit Ihnen durchgehen. Vernehmung vom 20.01.2015. Können Sie sich erinnern?“ L.: „Die haben vor meiner Tür gewartet [phon.] und haben mich mitgenommen.“ Götzl: „Haben Sie eine Erinnerung, ob Ihnen Lichtbilder gezeigt worden sind?“ L.: „Ich habe Lichtbilder gesehen, aber nach Wiederholung habe ich vieles durcheinander gehauen. Der Wiedererkennungswert war gleich Null, da kann man der Sache nicht viel Bedeutung schenken.“ Götzl diskutiert mit Richter Lang und Richterin Odersky, verschiedene Ordner werden aus dem Regal hinter dem Richtertisch geholt. Dann sagt Götzl: „Gab es denn damals auch eine Person, der Sie den Namen Mü. zuordnen konnten?“ L.: „Marcel Mü., den Namen habe ich dem Marcel Mü. zugeordnet. Das war ein Bandenmitglied.“ Götzl: „Stellen wir den Punkt mal zurück, gehen wir zur Person Theile über. Vorhalt: Kennen Sie den ? – Ja, den kenne ich, der war ein sogenannter Mitläufer. Wie jeder andere auch, hatte der auch eine Pistole. Der Enrico Theile war ein so genannter Soldat. Der wurde für Kriegseinsätze gebraucht … wenn es Probleme gab, wurde er herangezogen. Er gehörte zur Gruppe Ron E. Mit ‚Probleme‘ sind auch körperliche Auseinandersetzungen gemeint. L.: „Ja, das hatte ich Ihnen gerade vorher erzählt.“

Vorhalt: Der Theile ist ein Freund von mir, auch heute noch. Der Gil auch, aber der würde mich verkaufen. L.: „Ja, unser Bandenchef hat uns ja verkauft, der hat ja auch seinen Mund aufgemacht. Das heißt aber nicht, dass ich meinen Ex-Bandenchef hier belasten würde. Das würde ich natürlich nicht tun.“ [phon.] Götzl: „In Bezug auf Theile: Können Sie da was hinsichtlich Lieferung, Übergabe von Waffen an andere Personen sagen?“ L.: „Da bin ich immer noch bei dem 55.“ [gemeint: § 55 StPO; Auskunftsverweigerungsrecht] Vorhalt: Ist Ihnen bekannt, dass damals von einer Person aus der Schweiz Waffen verkauft wurden? – Ein Teil unserer Waffen kam aus der Schweiz. Z. B. eine Waffe. Ich glaube auch, dass Gil und Ron die Waffen daher hatten. Es könnte auch was von Theile, Mu. oder Ba. gekommen sein. L.: „Kann schon sein.“ [phon.] Götzl: „Was ist mit der Vermutung gemeint: ‚Es könnte was von Theile gekommen sein‘?“ L.: „Ich habe nicht vor, das Feuer wieder hochzuholen und da drinne zu köcheln. Die Zeit ist erledigt, wir haben unsere Strafen verbüßt und gut ist's.“ Götzl: „Ihre Informationen können fürs hiesige Verfahren von Bedeutung sein und neben dem 55 sind Sie zu wahrheitsgemäßen Angaben verpflichtet. Mich interessiert, was die Grundlage dieses ‚könnte‘ ist.“ L.: „Dass wir beispielsweise von dem Waffen-P. in Jena, der hat heute ja noch das Geschäft, Munition bezogen haben. Aber ich sage, es könnte sein, da ich nicht in jede dieser kleinen Geschichten eingeweiht war.“

Dann werden Lichtbilder in Augenschein genommen mit der Frage, ob L. darauf irgendwen erkenne. Zu den ersten zwei Bildern sagt L., die kenne er, könne sie aber nicht zuordnen. Zu einem Bild von Zschäpe sagt er, die kenne er durch die Presse. Zu weiteren Bildern sagt er z. T., dass sie ihm bekannt vorkämen, er sie aber nicht zuordnen könne. Götzl sagt, L. solle sich Blatt 59 nochmal anschauen. Vorhalt aus der Vernehmung: 59 kommt mir bekannt vor. Wenn Sie mir sagen, dass es sich um den Enrico Theile handelt, dann kenne ich diesen. L.: „War auch so.“ Götzl: „Ja, haben Sie den erkannt?“ L.: „Ich hab ihnen ja schon gesagt, dass viel Zeit vergangen ist. Ich habe den ja auch wiedererkannt und gesagt, dass ich den mal gesehen habe. [phon.] Damit ist die Frage, dachte ich, wieder beantwortet.“ Götzl: „Nehmen Sie wieder Platz.“

Götzl sagt, es gehe dann um eine spätere Vernehmung, 18.02.2015: „Immer noch Thema Theile. Vornweg die Frage: Können Sie etwas sagen, ob sich Liebau und Theile kannten, haben Sie dazu Informationen?“ L.: „Wenn ich das Wort Informationen höre, denke ich, ich bin ein Spitzel. Ich kann Ihnen da keine Informationen dazu geben.“ Vorhalt: Können Sie weitere Angaben zu Enrico Theile, insbesondere in Verbindung zu Waffen, machen? – Theile ist ein Busenfreund von Liebau, beide waren Hooligans. L.: „Wenn ich das so ausgesagt habe, war das so. Jena und Gera war ja damals sehr rechts geprägt, wir haben Schlägereien im Fußballstadion gehabt, das ist so gewesen.“ Götzl: „Was haben Sie in Erinnerung?“ L.: „Herr Vorsitzender, 17 Jahre!“ Götzl: „Zu Theile und Liebau: Das Vernehmungsprotokoll ist nur gut ein Jahr her. Nach Protokoll sollen Sie das so gesagt haben.“ L.: „Dann ist das mein Kenntnisstand gewesen. Ich habe Ihnen aber gesagt, viermal habe ich das schon gesagt, dass ich zeitliche Abläufe durcheinanderbringe. Ich will keine Falschaussage machen.“ Götzl: „Das was Sie in Erinnerung haben, müssen Sie sagen.“ L.: „Ich habe Ihnen das in der letzten Verhandlung auch schon gesagt.“ Götzl nennt das Datum 10.04.2015 und fragt, ob sich L. erinnere, dass er noch einmal vernommen wurde durchs BKA. L.: „Ich habe allein schon 15 Verhandlungen gehabt, das kann schon sein.“ [phon.]

Vorhalt: Bitte teilen Sie uns mit, was Sie zu Enrico Theile wissen. – Theile war ein Randmitglied in der Gruppe von Ron E. Er war ein Soldat, dem ich auch mal Aufträge erteilt habe.. Wir haben mit vielen Gruppen zusammengearbeitet damals, ob es die Arischen Bruderschaften waren oder Rocker. Die Finanzgeschichten liefen immer über Ron und Gil E. L.: „Richtig.“ Götzl: „Und dann geht es auch um Mü. Können Sie was sagen, ob Theile Mü. kannte?“ L. sagt: „Herr Vorsitzender!“ Dann schweigt er. Götzl: „Sie sagen mir, was Sie im Kopf haben?“ L.: „Ich habe eigentlich nichts mehr drinne außer Luft.“ Vorhalt: Hatte Theile Bezüge zu dem Mü.? – Ich meine, das waren Kumpels. L.: „Herr Vorsitzender, das kann sein. Ich weiß nicht, warum Sie sich so auf den Herrn Theile konzentrieren. Was wollen Sie von mir hören?“ Götzl sagt, es gehe darum, ob L. diese Aspekte in Erinnerung seien, was er dazu sagen könne: „Deswegen gehen wir das durch.“ Vorhalt: Die Haupttreffpunkte waren die Wasserelse das Bileo und das B88. L.: „Richtig, aber die Wasserelse war der Haupttreffpunkt bis zur Schließung.“

Vorhalt: Ich meine, das waren Kumpels. Götzl: „Können Sie dazu jetzt etwas sagen?“ L.: „Das kann ich aus heutiger Sicht nicht.“ Götzl: „Ja, haben Sie Theile und Mü. in diesen Örtlichkeiten getroffen?“ L.: „Nach meinem Kenntnisstand ja.“ Götzl: „Was bedeutet das?“ L.: „Dass ich sie dort ein paar mal gesehen habe.“ Götzl: „Ist das eine Erinnerung?“ L.: „Eine Erinnerung. Die Wasserelse war ein zentraler Treffpunkt.“ [phon.] RA Klemke: „Ich muss intervenieren. Der Zeuge hat ja vorher auch Marcel Mü. genannt. Vielleicht meinte er den?“ Götzl: „Wen verbinden Sie mit der Person Mü.?“ L.: „Eigentlich den Marcel Mü.“ Götzl: „Wer ist das?“ L.: „Auch ein Bandenmitglied von uns.“ Götzl: „Wie viele Mü.s kennen Sie?“ L.: „Drei.“ Auf Nachfrage nennt L. Carsten Mü., Marcel Mü. und Sven Mü. Götzl: „Kennen Sie einen Mü. aus der Schweiz?“ L.: „Ich weiß nicht, ob der Mü. hieß, aber wir hatten eine Person in der Schweiz.“ Götzl: „Haben Sie eine Person Mü. mit Bezugspunkt Schweiz vor Augen?“ L.: „Schwer.“ Götzl: „Was heißt, schwer?“ L.: „Kann ich jetzt nicht mehr beschreiben.“

L. geht wieder an den Richtertisch und nimmt erneut Lichtbilder in Augenschein. Wieder sagt L. zu den meisten Bildern, dass ihm die Personen bekannt vorkämen, er sie aber nicht zuordnen könne. Zu Bild Nummer 96 sagt L.: „Nicht sicher, aber das könnte der Schweizer gewesen sein.“ Nach dem Ende der Inaugenscheinnahme fragt Götzl: „Was heißt das: ‚Das könnte der Schweizer gewesen sein‘?“ L.: „Ich dachte, der sah so aus vielleicht, bin mir aber nicht sicher.“ [phon.] Götzl: „Bei der Vernehmung, 20.01.2015 heißt es zu Bild 96 wo Sie jetzt sagten, könnte der Schweizer sein: ‚Kommt mir bekannt vor, wenn Sie mir den Namen Hans Ulrich Mü. aus Apolda sagen, dann kommt mir das bekannt vor. Ich glaube, der hat damals Waffen verkauft oder gekauft.‘ L.: „Wenn ich das damals so gesagt habe, kann es sein. Aber ich bringe zeitlich alles durcheinander, das habe ich viermal schon gesagt.“ Götzl: „Was bedeutet: ‚Ich glaube, der hatte mit Waffen zu tun und Waffen verkauft oder gekauft‘?“ L.: „Das heißt noch lange nicht, dass ich sage: Er hat's gemacht. Ich habe immer wieder betont, dass ich vieles durcheinanderbringe. Weil ich viel selber erlebt habe, selber große Prozesse geführt habe und da kann man nicht alles genau wiedergeben, wie vielleicht alles war.“ Götzl: „Heute sagen Sie Lichtbild 96 könnte der Schweizer sein.“ L: „Da sehen Sie, Herr Vorsitzender, dass ich es nicht mehr genau weiß.“ Götzl: „Was sind denn die Umstände, dass Sie sagen, könnte der Schweizer sein?“ L. sagt, er wolle sich da nicht festlegen. [phon.]

Vorhalt aus der Vernehmung vom 18.02.2015: Können Sie weitere Angaben zu einer Person Hans Ulrich Mü. aus der Schweiz im Zusammenhang mit Waffengeschäften machen? – Ja. Götzl: „Mehr steht hier nicht. Können Sie sich erinnern, dass Sie mit einem Ja geantwortet haben?“ Der Zeuge diskutiert intensiv mit seinem Beistand. Dann sagt er: „Habe ich keine Erkenntnis drüber. Wenn ich das damals so gesagt habe, dann tut es mir leid.“ Götzl: „Ja, sagt Ihnen der Name Hans Ulrich Mü. etwas?“ L.: „Nein.“ Götzl: „Haben Sie eine Erinnerung an die Vernehmungssituation, wer zugegen war, wo Sie sich aufgehalten haben?“ L.: „Kann ich jetzt nicht mehr sagen.“ Götzl hält vor, dass die Vernehmung am 18.02.2015 in Karlsruhe gewesen sei und neben zwei BKA-Beamten und einer Justizangestellten auch StA Schmidt anwesend gewesen sei. L.: „Ja, ein Staatsanwalt war mal da.“ Götzl: „Kommt eine Erinnerung an die Vernehmungssituation zurück?“ L.: „Ich glaube ja.“ Götzl: „Wie viele Vernehmungen fanden statt?“ L.: „Kann ich Ihnen nicht mehr sagen.“ Götzl: „In Karlsruhe?“ L.: „Ich glaube, in Karlsruhe war eine oder zwei. Ich glaube eine, das andere LKA oder was in Gera.“

Götzl: „Sie hatten jetzt auf Herrn Weingarten gedeutet, bei welcher Vernehmung war der zugegen?“ L.: „Das kann ich jetzt nicht mehr sagen.“ Götzl: „Waren Sie in Karlsruhe alleine oder mit Anwalt?“ L.: „Ich glaube, mit Anwalt. In Gera war ich alleine, da wurde ich abgefangen. [phon.]“ Götzl hält vor, dass L. laut Protokoll in Karlsruhe mit RA Streibhardt aus Gera als Beistand gewesen sei. L.: „Ja.“ Götzl: „Können Sie sich erinnern, ob Sie damals nach Hans-Ulrich Mü. gefragt wurden und mit Ja antworteten? Keine Erinnerung?“ [L. schweigt, vermutlich schüttelt er den Kopf.] Götzl: „Nochmal ein Protokoll weiter. 10.04.2015, nach dem Protokoll Erfurt, BKA. Können Sie sich erinnern?“ L.: „Das war, glaube ich, das alte LKA-Gebäude, bin mir nicht ganz sicher.“ Vorhalt: Was Sie zu diesen Namen sagen können: zu einer Person Hans Ulrich Mü. – Ich müsste hierzu Bilder sehen, mir ist der Name ein Begriff, aber ohne ein Bild kann ich hiermit nichts anfangen. Muss sagen, dass damals ohne Wissen von Ron und Gil E. nichts lief. Das Zeitfenster ist zu groß, als dass ich mich an jede Person, in dem Fall Hans-Ulrich Mü., erinnere. Götzl: „Wurde das Thema Mü. angesprochen damals?“ L.: „Kann durchaus sein, ich kann es mit Sicherheit aber nicht mehr sagen.“

Vorhalt: Wer gehörte zu diesen Leuten, die Waffen beschafft haben? – Mir fallen da der Mü., der Leo ein. – Welchen Mü. meinen Sie? – Weiß nicht, wie der mit Vorname hieß, der war aus Apolda. L.: „Wenn ich das so gesagt habe.“ Götzl: „Was verbinden Sie mit Apolda?“ L. sagt, das sei Einzugsgebiet gewesen, er habe da selber gewohnt. Götzl: „Und Hans-Ulrich Mü.?“ L.: „Ich kenne ja viele Mü.s, ich kann den Bezug nicht mehr herstellen.“ Vorhalt: Was wissen Sie noch über den Mü.? – Gar nichts mehr, nur dass er öfters in der Wasserelse war. Da wurde vieles verhandelt und abgesprochen. Götzl: „Sie nicken, was bedeutet das?“ L.: „Wenn Sie das vorlesen, dann habe ich das gesagt, es kann sein, dass es so ist.“ Götzl: „Was können Sie zu einem Herrn Mü. mit Bezug zur Schweiz zu Waffen sagen?“ [phon.] L.: „Das, was ich sagen konnte, habe ich gesagt. Das war das, was ich noch so halbwegs in Erinnerung hatte. Und ich kann jetzt dazu nix dazu sagen.“

Vorhalt: Können Sie sagen, um was für Waffen es sich damals handelte? – Nein, das weiß ich nicht mehr, nur daran, dass die Rede von einem Mü. aus Apolda war. Das haben Ron oder Gil E. mal erwähnt …vielleicht habe ich den ein oder zweimal gesehen. L.: „Und?“ Götzl: „Sie haben genickt, was bedeutet das?“ L.: „Dass ich das so gesagt habe.“ Götzl: „Ja, erinnern Sie sich dran?“ L.: „Wenn ich das damals so gesagt habe, dann wird es so gewesen sein.“ Götzl: „Und wie ist es heute?“ L.: „Wenn ich das so gesagt habe, wird es ja so gewesen sein.“ Götzl sagt, es gehe darum, ob L. jetzt eine Erinnerung daran habe. L.: „Nee, jetzt nicht mehr. Können wir mal zehn Minuten unterbrechen?“ Götzl: „Setzen wir fort um 11:15 Uhr“

Um 11:18 Uhr geht es weiter. Zeugenbeistand RA Windisch sagt, dass L. von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch mache, das sich zu einem Aussageverweigerungsrecht verstärke. L. habe ihm gerade in der Pause noch Einzelheiten genannt: „Er würde sich hier um
Kopf und Kragen reden und möchte sich jetzt auf 55 berufen.“ OStA Weingarten sagt, der GBA sehe keine Begründung für ein Aussageverweigerungsrecht. Es gehe ja um bereits gemachte Angaben und diese hätten bisher nicht zu einem Ermittlungsverfahren geführt, daher sei eine hinreichende Gefahr der Strafverfolgung nicht erkennbar. Götzl: „Das ist ja auch eine Frage der Glaubhaftmachung.“ RA Windisch sagt, dass L. bereit sei eine eidesstattliche Erklärung abzugeben, dass die Gefahr einer Strafverfolgung besteht. L. habe schon auf 55 verwiesen und die Umstände, die L. ihm in der Pause geschildert habe, würden Rückschlüsse zulassen auf Handlungen, die nicht verjährt wären. Götzl: „Ist das so richtig, Herr L., dass Sie sich auf 55 berufen?“ L. bejaht das. Es folgt eine Pause bis 11:48 Uhr.

Götzl: „Ist das zutreffend, Herr L., was Ihr Beistand gesagt hat?“ L.: „Ja, zutreffend.“ Götzl: „Sind denn Fragen von den Verfahrensbeteiligten? “ NK-Vertreter RA Narin sagt, er habe schon Fragen, es sei aber die Frage, ob L. diese beantworte. Götzl: „Wenn es nicht unter den 55 fällt, nehme ich an.“ [phon.] Narin bittet darum, dem Zeugen nochmal die Lichtbildtafel vorzulegen, er habe Fragen zu den Ziffern 5 und 7. L. sagt, da berufe er sich auf 55: „Alle die hier drauf sind, sind alte Bandenmitglieder.“ [phon.] Narin: „Welche Rolle hat die Nummer 5 gespielt?“ L.: „Berufe mich auf § 55.“ Narin: „Und die Nummer 7?“ L.: „Ebenso.“ Narin: „Wie heißt Person Nummer 7? “ L.: „55.“ Narin: „Wenn ich Ihnen sage, dass es ein Herr Ralf L. ist? “ L.: „55. Zu allen meinen betroffenen Mittätern mache ich keinerlei Angaben.“ [phon.] Narin sagt, dass L. angegeben habe, er habe Angst um sein Kind: „Vor wem haben Sie Angst?“ L.: „55.“ Narin sagt, in seiner letzten Einvernahme habe L. angegeben, dass, wenn ein Ausländer einem Deutschen Geld weggenommen habe, man das zurückgeholt habe: „Was verstehen Sie darunter?“ L.: „55.“ Narin fragt, was mit der Formulierung gemeint gewesen sei, dass Gera „gesäubert“ worden sei. L.: „55.“ Narin: „Ich gebe auf, Herr Vorsitzender.“ Der Zeuge wird um 11:52 Uhr entlassen.

Es folgt die Mittagspause bis 13:03 Uhr. Danach beantragt Wohlleben-Verteidiger RA Klemke Akteneinsicht in sämtliche dem Gericht vorliegenden Akten durch Übersendung der jeweiligen Originalakten in die Kanzleiräume. Den Beantragenden sei per Festplatte und sukzessive in Nachlieferungen durch Übersendung von CDs Akteneinsicht gewährt worden. Der Senat habe die Verteidiger zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass er keine Gewähr dafür bieten könne, dass die Akten vollständig seien. In seinem Beschluss habe der Senat nunmehr eröffnet, die Verteidiger dürften nicht darauf vertrauen, dass die übermittelten Akten dem Aktenbestand entsprechen würden. Dies nötige die Verteidiger, Einsicht in die Originalakten zu verlangen. Der Senat könne sich nicht darauf zurückziehen, dass die Hauptverhandlung dem entgegenstünde. Durch eine Ablehnung des Akteneinsichtsgesuch würde, so Klemke, die Verteidigung in unzulässiger Weise beschränkt.

Bundesanwalt Diemer sagt, der GBA nehme Stellung, wenn die schriftliche Version vorliege.

Dann verliest RA Narin einen Beweisantrag:

1. Ralf L. und 2. Volker B. als Zeugen zu vernehmen.

I. L. wird bekunden: dass er über einen längeren Zeitraum während der 1990er Jahre einer Gruppierung um die Brüder Ron E. und Gil E. angehörte; dass die Gruppierung auch mit bandenmäßig organisierten Straftätern aus den Staaten Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion, insbesondere aus dem Kaukasus und dem Baltikum, zusammenwirkte; dass die Gruppierung Kontakte zu Polizeibeamten in Thüringen, u.a. in Jena und Erfurt, unterhielt und durch den Verrat von Dienstgeheimnissen Straftaten der Gruppierung ermöglicht oder deren Verfolgung vereitelt wurden; dass er innerhalb der Gruppierung auch unter den Spitznamen „Ralle“ oder „der Hesse“ bekannt war und Führungsaufgaben insbesondere als sog. „Geldeintreiber“ innehatte; dass in seinem Verantwortungsbereich bevorzugt Jugendliche und Heranwachsende aus dem rechtsextremen Milieu für die Begehung von Straftaten rekrutiert wurden, und dass hierbei der Zeuge als Ansprechpartner diente; dass er bei der Rekrutierung und Führung der Jugendlichen Straftäter mit Ralf W. zusammenarbeitete und dass dieser vorwiegend im sog. Türstehermilieu, in der „Security-Branche“ und als „Geldeintreiber“ tätig war; dass er im Rahmen dieser Tätigkeit den Uwe Böhnhardt zur gewerbsmäßigen Begehung von Straftaten anhielt, dessen Handeln koordinierte und für dessen Disziplinierung zuständig war; dass zu den Aufgaben des Uwe Böhnhardt u.a. die gemeinsam mit anderen Jugendlichen und Heranwachsenden durchgeführte Einschüchterung vermeintlicher Schuldner durch Androhung oder Anwendung von Gewalt zählte, um diese zur Zahlung von Geldbeträgen zu bewegen; dass er den Uwe Böhnhardt in diesem Zusammenhang mindestens einmal körperlich schwer misshandelte, um diesen zu disziplinieren; dass für die Gruppierung vorwiegend rechtsextrem eingestellter Jugendlicher und junger Erwachsener neben Uwe Böhnhardt und Frank Liebau zumindest zeitweise auch die Personen Sven K., Marcel K., Mike G., Thomas Bi., , Holger Gerlach, Marcel M., Enrico Theile, und Ralf Wohlleben tätig waren; dass er sich nach mehreren Exekutivmaßnahmen und Inhaftierungen wegen des anhaltenden Verfolgungsdrucks ab Mitte der 1990er Jahre verstärkt in den Großraum Frankfurt, Offenbach und Hanau zurückzog; dass er sich spätestens ab diesem Zeitpunkt im hessischen Rockermilieu bewegte und hierbei den sog. „Saints“ und den sog. „Hells Angels“ bzw. deren Ableger „Westend“ in Offenbach angehörte und zum sog. Präsidenten der Kasseler „Hells Angels“, Michael Sch. persönlichen Kontakt unterhielt; dass er bis in die Gegenwart ein freundschaftliches Verhältnis zu Ralf W. und dessen Ehefrau, der Polizeibeamtin Anja W., unterhält; dass er weiterhin Kontakte zu Personen aus der Jenaer rechten Szene, darunter Ronny We., Sven K., Marcel K. und Mike G. pflegt. Der Zeuge wird zu befragen sein: ob er neben Uwe Böhnhardt auch den verstorbenen Uwe Mundlos und die Angeklagte Beate Zschäpe kannte; ob er ggf. auch nach dem Untertauchen der drei Personen Kontakt zu diesen oder zu Uwe Böhnhardt hielt; ob ein Kennverhältnis zu Andreas Temme bestand und ob der Zeuge ggf. einen Kontakt zwischen Mundlos, Böhnhardt und/oder Zschäpe einerseits und Andreas Temme andererseits herstellte oder Informationen über ein mögliches Kennverhältnis der genannten Personen hat; ob er den Onkel der getöteten Michèle Kiesewetter, den Polizeibeamten Mike W., ebenfalls kannte; ob er Kenntnisse zu Tätern und Hintergründen des Mordanschlags auf Michèle
Kiesewetter und deren Streifenpartner hat.

II. B. wird bekunden: dass er seit Anfang der 2000er Jahre sowohl im kriminellen Rockermilieu als auch in der rechtsextremen Szene im Großraum Kassel verkehrte; dass er den Uwe Mundlos häufig in der Gaststätte „Scharfe Ecke“, Wilhelmsplatz 1, 34359 Reinhardshagen angetroffen habe; dass Mundlos dort Kontakt zu Mitgliedern einer „Hells Angels“ und „Blood & Honour Gruppe“ unterhalten habe; dass die Gaststätte „Scharfe Ecke“ in der besagten Zeit sowohl den Kasseler „Hells Angels“ als auch Mitgliedern der von angeführten, rechtsextremen „Kameradschaft Northeim“ als Treffpunkt diente; dass Mitglieder der Hells Angels enge Kontakte zu Ausbildern und Schülern der nahe gelegenen Landespolizeiakademie, Standort Hann. Münden, unterhielten. Außerdem wird der Zeuge ggf. unter Vorlage von Lichtbildern zu befragen sein, ob in der bezeichneten Gaststätte neben Uwe Mundlos auch Andreas Temme, Frank E., Holger L., Ralf L., Michael Sch., Jürgen Sch., Walter K., Dirk M. und Thorsten Heise verkehrten und ob die genannten Personen ggf. Kontakte zueinander unterhielten.

Begründung: Zu I. Die genannten Beweistatsachen beruhen teilweise auf den Angaben von Personen, denen durch Unterzeichner Vertraulichkeit zugesichert wurde. Sie fügen sich plausibel in den Erkenntnisstand ein, der sich aus der Aktenlage und der bisherigen Beweisaufnahme ergibt.

1. Der Zeuge Jens L. machte bereits gegenüber der Polizei und während der Hauptverhandlung weitreichende Angaben zur organisatorischen und personellen Struktur der Gruppierung um die sog. „E.-Brüder“. Bei seiner Vernehmung vom 20.01.2015 erkannte er den Zeugen Ralf L. im Rahmen einer Lichtbildvorlage als Mitglied der Gruppe um Gil E., der auch er selbst angehörte. Über den Zeugen Frank Liebau berichtete er, dass dieser Waffen besorgen konnte und den Kontakt zwischen Mundlos und Böhnhardt einerseits und Gil E. andererseits vermittelt habe. Auf Nachfrage erklärte der Zeuge L. in seiner Vernehmung vom 10.04.2015 wörtlich: „Liebau war damals auch aus dem rechten Spektrum. Wir selbst zählten damals auch zu den Arischen. Wir haben uns dann eben auch gern mal den Leuten aus der rechten Szene bedient. Daher kenne ich auch den Liebau.“

2. In der 58. Sitzung des Untersuchungsausschusses des Thüringer Landtags erklärte die Polizeibeamtin Anja W. auf Nachfrage der Vorsitzenden Dorothea Marx, ihr Ehemann Ralf W. habe in der Vergangenheit Kontakt zu den E.-Brüdern unterhalten, Details wisse sie aber nicht. Auf Vorhalt und mehrmaliges Nachfragen durch die Abgeordnete Marx räumte die Zeugin W. außerdem ein, dass Sie den Ralf L. kenne, dieser den „Hells Angels“ angehöre, relativierte aber ihre Aussage dahingehend, man sei nicht „so intensiv befreundet“, man schreibe „sich halt mal“. Ferner bestätigte sie dort ihr Kennverhältnis zu Mitgliedern der Jenaer rechten Szene, namentlich zu Sven und Marcel K. sowie zu Ronny We., der mit ihrem Ehemann Ralf W. verwandt sei. Anja W. berichtete in derselben Vernehmung außerdem, sie habe ein freundschaftliches Verhältnis zur ermordeten Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter gepflegt, diese regelmäßig getroffen und auch einen Urlaub mit dieser verbracht. Michèle Kiesewetter habe oft den Rechner der Anja W. genutzt und auch ihre Abschlussarbeit auf diesem verfasst. Ferner sagte Anja W. dort aus, sie sei mit dem Onkel der ermordeten Michèle Kiesewetter, Herrn Mike W., liiert gewesen.

Dieser sei zunächst als Polizeibeamter beim Staatsschutz gewesen und sei dort auch mit Anhängern der rechtsextremen Szene in Berührung gekommen. Ab 2004 war Mike W. dann im Bereich K5 Drogendezernat eingesetzt. Von Mike W. habe sich Anja W. „Ende 2006/Anfang 2007“ getrennt. Sie habe ihren späteren Ehemann Ralf W. 2006 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens kennengelernt. Zu Mike W. und der Familie Kiesewetter habe es nach der Ermordung der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 nur noch sporadischen Kontakt gegeben. Mike W. wurde laut Aktenlage durch die SOKO-Parkplatz bereits am 04. Mai 2007 vernommen und gefragt, ob er einen Verdacht bezüglich der Tat habe. Hierauf antwortete dieser demnach unter anderem: „Aufgrund meiner Berufserfahrung muss ich sagen, dass es für mich aussieht wie aus dem Bereich der organisierten Kriminalität und dort im Bereich russisch oder georgisch. Das entnehme ich dem skrupellosen Vorgehen. Meiner Meinung nach besteht auch aufgrund der verwendeten Kaliber und der Pistolen die ich aus den Medien kenne ein Zusammenhang mit den bundesweiten Türkenmorden. So viel ich weiß soll auch ein Fahrradfahrer bei den Türkenmorden eine Rolle spielen.“ Seit dem 15.11.2011 habe Mike W. laut einem Aktenvermerk der KPI Saalfeld SMS-Nachrichten von der Rufnummer der Anja W. erhalten, in welchen er durch sie beschimpft werde, weil diese durch BKA-Beamte vernommen worden sei. In den Nachrichten sei Mike W. als Spitzel und Verräter bezeichnet worden. Mit Vermerk vom 30.03.2012 dokumentierte KHM Mike W. außerdem, er habe am 29.03.2012 um 18:16:26 von Anja W. eine SMS-Nachricht mit folgendem Wortlaut erhalten: „Ich nehme meine aussage bei tamara [H.] zurück. Auch meine fam. Wird bedroht.“ Bei der Person Tamara H. dürfte es sich um Frau KHK‚in Tamara H. vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg handeln, die im Rahmen der SOKO-Parkplatz eingesetzt war.

3. Ralf W., der zwischenzeitlich mit Anja W. verheiratet ist, wird in einer Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Jena vom 10.03.1993 gegen Uwe Böhnhardt als Zeuge aufgeführt. Der Grund für den Zeugenstatus des Ralf W. ist aus der Anklageschrift nicht ersichtlich. Uwe Böhnhardt wird in dem Verfahren angeklagt, teilweise gemeinschaftlich mit anderen Personen aus der rechten Szene, darunter Jü., Be., Wohlleben und Gerlach u.a. mehrere Vermögensdelikte, darunter einen KfZ-Diebstahl, begangen zu haben. Weitere Akten zu dem damaligen Ermittlungsverfahren liegen laut dem Vermerk des BKA vom 07.05.2012 nicht vor. Zu dem Sachverhalt befragt gab Ralf W. laut Vernehmungsprotokoll vom 01.06.2012 an, er kenne weder Uwe Böhnhardt noch Uwe Mundlos oder Beate Zschäpe persönlich. Nach Veröffentlichung der Fahndungsbilder habe er sich jedoch an das Gesicht des Uwe Böhnhardt erinnert, ohne dieses genauer einordnen zu können. Ralf W. äußerte die Vermutung, dass er Uwe Böhnhardt im Rahmen seiner Berufstätigkeit in Jena begegnet sein könnte. Es wird angeregt, Herrn Ralf W. und Frau Anja W. ggf. nach erfolgter Beweiserhebung erneut zu befragen und diesen sich neu ergebende Tatsachen vorzuhalten.

4. Der Zeuge Thomas Bi. berichtete in der Hauptverhandlung vom 22.09.2014, dass er Anfang der 1990er Jahre gemeinsam mit Uwe Böhnhardt, Enrico Theile und anderen vorwiegend rechtsextrem eingestellten Jugendlichen einer kriminellen Bande angehörte. Die Bande habe über ältere Personen Zugang zu Waffen, Kontakt zu Abnehmern von Diebesgut und zu einer „Automafia“ gehabt. Hierbei nannte der Zeuge eine Person namens „Ralf“, die aus dem Westen stamme. Zwar konnte er sich nicht an dessen vollen Namen erinnern, beschrieb diesen aber auf Bitte des Unterzeichners. „Ralf“ sei erheblich älter gewesen als die Mitglieder der Jugendclique, habe lange, dunkle Haare gehabt, habe eher wie ein sog. „Metaler“ ausgesehen, sei gewalttätig gegenüber den Jugendlichen gewesen und habe unter anderem auch ihn, den Bi., körperlich misshandelt. Die Beschreibung trifft auf Ralf L. sowohl äußerlich als auch im Hinblick auf dessen Funktion und Verhalten in der kriminellen Szene Jenas der 1990er Jahre zu.

5. Der Zeuge Enrico Theile hatte laut Protokoll seiner Vernehmung vom 26.04.2012 gegenüber der Polizei noch ausgesagt, dass er in seiner Jugend zwar zunächst ein enges Verhältnis zu Uwe Böhnhardt unterhalten und mit diesem möglicherweise auch „hin und wieder geklaut“ habe. Später habe Böhnhardt aber den Kontakt zu „älteren Leuten“ gesucht, die ihm „Aufmerksamkeit gegeben“ hätten. In der Hauptverhandlung vom 22.07.2014 äußerte der Zeuge Theile zwar auch auf Vorhalt, sich hieran nicht zu erinnern. Ferner gab er auf Nachfrage an, er wisse weder von Autodiebstählen, noch von einer Tätigkeit des Uwe Böhnhardt als „Geldeintreiber“, noch von der Tätigkeit der E.- Brüder, noch von der Person Ralf L. Die Angaben des Zeugen Theile erscheinen allerdings insgesamt auch mit Blick auf die bisherige Beweisaufnahme nicht als glaubhaft, so dass diese einer Beweiserhebung nicht entgegenstehen dürften.

6. Die Zeugin Brigitte Böhnhardt erklärte in der Hauptverhandlung vom 19.11.2013, dass ihr Sohn Uwe in seiner Jugend auch zu deutlich älteren Personen Kontakt hatte, sie diese aber nicht mochte. Sie habe den Eindruck gehabt, dass diese Ihren Sohn ausnutzten. In diesem Zusammenhang nannte sie einen „X. G.“. Bei der Person dürfte es sich um Mike G. handeln. G. war zumindest während der 1990er Jahre in der rechten Szene Jenas aktiv und betätigte sich in der Gruppe um die E.-Brüder. Ralf L. pflegt bis in die Gegenwart Kontakt zu diesem.

7. Frank Liebau nannte in der Hauptverhandlung vom 7.11.2013 auf Frage, wer in den 1990er Jahren zu seiner Clique gehört habe, den Namen K. Auf Nachfrage, welcher K. gemeint sei, nannte Liebau den vollen Namen des „Marcel K.“. Letzteren erkennt der Zeuge Jens L. bei einer Lichtbildvorlage im Rahmen seiner Vernehmung vom 20.01.2015 als Mittäter aus seiner damaligen kriminellen Zeit in Jena. Die unter Nr. 5 auf Anlage 1 zu der Vernehmung abgebildete Person, laut angehefteter Legende Marcel K., sei damals in der rechten Szene und mit Almuth Bö. befreundet gewesen. Marcel K. und dessen Bruder Sven K. waren in den 1990er Jahren gemeinsam mit Uwe Böhnhardt an Straftaten beteiligt. Ralf L. unterhält, ebenso wie Anja W. und Ralf W., bis in die Gegenwart Kontakt zu den „K.-Brüdern“.

8. Eine weitere Kontaktperson des [Ralf] L. ist Ronny We. Dieser ist laut Anja W. ein Verwandter des Ralf W. Ronny We. ist namentlich auf der sog. Garagen-Liste des untergetauchten Trios aufgeführt und hat gemeinsam mit Beate Zschäpe eine rechte Demonstration angemeldet. Am 28.06.1996 identifizierte die Angeklagte Zschäpe im Rahmen einer Lichtbildvorlage den Ronny We. Das Bild zeigt diesen mit Uwe Böhnhardt, Ralf Wohlleben, Holger Gerlach, Stefan Apel, Michael H. und Andre Kapke bei einer Kreuzverbrennung nach dem Vorbild der rassistischen Terrororganisation Ku-Klux-Klan. Ronny We. war ferner Mitglied in der rechtsextremen Band „Vergeltung“ und der Kameradschaft Jena, beteiligte sich an Demonstrationen des „“ und war ein enger Vertrauter von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Mit Mundlos und Zschäpe verbrachte We. u.a. einen Urlaub in der Nähe von Rostock. Auch zu den Angeklagten Ralf Wohlleben und Holger Gerlach stand er nach eigenen Angaben in freundschaftlicher Beziehung. Anfang der 2000er Jahre verzog We. mit seiner damaligen Lebensgefährtin Jana K. in den Großraum Köln. Bereits am 8.11.2011 nahm We. über Facebook Kontakt zum Angeklagten Wohlleben auf und tauschte sich dort mit diesem über Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aus. Auch Ronny We. unterhält bis in die Gegenwart Kontakt zu Ralf L., Anja W. und Ralf W.

Ralf L. kannte mindestens den verstorbenen Uwe Böhnhardt persönlich und pflegt bis heute Kontakte in das engere Umfeld des sog. „NSU-Trios“, insbesondere auch des Angeklagten Wohlleben. Gleichzeitig bestehen in seiner Person Verbindungen zum Umfeld des Mordopfers Michèle Kiesewetter, so dass der Zeuge möglicherweise weitere Erkenntnisse zu den Hintergründen der Tat liefern könnte. Sein Kennverhältnis zum sog. „Präsidenten“ der Kasseler „Hells Angels“, Michael Sch., lässt es zumindest denkbar erscheinen, dass der Zeuge L. auch den Andreas Temme kannte. Andreas Temme räumte in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 22.04.2006 ein, dass er „noch vor zwei oder drei Jahren lose Kontakte“ zu den „Hells Angels“ unterhalten habe und mit Freunden auf deren Feten gegangen sei. Dort berichtet Temme ferner außerdem, dass er über seinen Freund Jürgen Sch. Bekanntschaft mit einem „Schmitti“ von den „Hells Angels“ gemacht habe. Laut einem Vermerk des Bundeskriminalamts vom 10.02.2012 handele es sich bei „Schmitti“ um eben jenen Michael Sch., der wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Waffengesetz und des Verdachts des schweren Raubes mehrfach erkennungsdienstlich behandelt worden sei und zudem als sog. „Präsident“ des Hells Angels Charters Kassel fungiert habe. Temme wechselte 1994 aufgrund einer Ausschreibung zum Landesamt für Verfassungsschutz, wo er vom 01.05.1994 bis zum 31.01.1998 als Observant in Offenbach arbeitete. Nach Exekutivmaßnahmen und zahlreichen Festnahmen durch die Thüringer Polizei hatte sich L. damals verstärkt in eben diese Region zurückgezogen und verkehrte dort im Rockermilieu. Ein Aufeinandertreffen mit Andreas Temme der sich damals ebenfalls im Umfeld der „Saints“ bzw. „Hells Angels“ bewegte, ist daher sehr wahrscheinlich. Die Beweiserhebung ist daher geboten, um zu klären, ob Temme auch Kontakt zu Ralf L. und über diesen ggf. zu Uwe Böhnhardt und weiteren Mitgliedern oder Unterstützern des NSU hatte. Ferner ließ die Angeklagte Zschäpe in ihrer Einlassung vom 9.12.2015 erklären, dass sich ihr Freundeskreis mit dem Beginn ihrer Freundschaft zu Uwe Böhnhardt änderte. Sollten sich ihr Freundeskreis mit dem Umfeld des Uwe Böhnhardt überschnitten haben, hätte damals auch die Angeklagte Zschäpe in einem rechtsextremen, kriminellen Milieu verkehrt. Die Beweiserhebung ermöglicht daher auch Rückschlüsse auf das damalige Umfeld der Anklagten Zschäpe, deren
Persönlichkeit und Sozialisation.

Zu II. Der Zeuge Volker B. wandte sich laut anliegendem Erfassungsbeleg der BAO Trio am 01.12.2011 als Hinweisgeber telefonisch an das Bundeskriminalamt und gab an, er habe den Uwe Mundlos „häufig“ in der Kneipe „Scharfe Ecke“ gesehen. Dieser habe dort Kontakt „zu Mitgliedern der Hells Angels und der Blood and Honour Gruppe“ gehabt. Auf Nachfrage des aufnehmenden Beamten KK Schm. habe der Zeuge angegeben, den Mundlos „definitiv erkannt“ zu haben. Der Zeuge sei Aussteiger und habe in diesem Zusammenhang bereits mit der Polizei zusammengearbeitet. Hierbei erwähnte dieser als Ansprechpartner einen Beamten der Mordkommission Kiel, Peter De. und einen Mitarbeiter Ba. vom Bundeskriminalamt (Ref. 12).

Die Information wurde beim Bundeskriminalamt laut anliegendem Vermerk vom 06.02.2012 unter der Hinweis-Nr. 210000102 bearbeitet. Damals wurde entschieden, dem Hinweis des Zeugen B. nicht nachzugehen und auf weitere Ermittlungen zu verzichten. Begründet wurde dies unter anderem damit, dass weder Beziehungen der NSU-Mitglieder zu Rockergruppen wie den „Hells Angels“ noch zur in Deutschland verbotenen Vereinigung „Blood and Honour“ bekannt seien. Die damalige Einschätzung dürfte nunmehr hinfällig sein, da mittlerweile sowohl Hinweise existieren, die Bezüge der NSU-Mitglieder zur verbotenen Vereinigung „Blood & Honour“ als auch zur organisierten Kriminalität nahelegen.

1. Die Verflechtungen von rechtsextremer Szene und organisierter Rockerkriminalität werden jedenfalls für das Land Hessen auch durch Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden untermauert. In der 27. Sitzung des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags fragte der Abgeordnete Clemens Binninger den ehemaligen Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen, Lutz Irrgang, ob in Hessen Schnittmengen zwischen Rockerclubs und der verbotenen Organisation „Blood & Honour“ existierten. Lutz Irrgang bejahte dies und sprach von personellen Überschneidungen der Szenen. In der hiesigen Hauptverhandlung bestätigte der Zeuge Irrgang auf Nachfrage diese Erkenntnis. Derartige Bezüge finden sich auch bei den im hiesigen Verfahren angeklagten Personen: Auf einer beim Angeklagten Andre Eminger sichergestellten Speicherkarte findet sich eine Power-Point-Präsentation des National Commissioner der dänischen Polizei vom Oktober 2010 über Rockerkriminalität. Darin werden Rockerbanden mit Mitgliederzahlen, Übergriffe der Gangs mit Verletzten und Toten und die staatlichen Gegenmaßnahmen beschrieben. Hierbei handelt es sich um ein weiteres Indiz für die Affinität der angeklagten Personen zur organisierten Rockerkriminalität. Auf derselben Speicherkarte findet sich zudem ein Fernsehbericht über den bekannten Neonazi und -Funktionär Thorsten Heise. Letzterer ist im hiesigen Verfahren bereits einschlägig bekannt. In seiner Aussage vom 01.12.2011 berichtete etwa der Angeklagte Holger Gerlach, dass er wegen einer Unterbringung der Flüchtigen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach Rücksprache mit und Ralf Wohlleben 1999 Kontakt zu
Thorsten Heise aufgenommen habe. Der Angeklagte vermerkte nach Ende der Vernehmung handschriftlich: „Diese Angaben hatte ich aus Angst vor Repressalien seitens Hr. Heise bisher nicht getätigt.“ Thorsten Heise ist außerdem Gründer der Kameradschaft Northeim, deren Mitglieder nach Angaben des Zeugen B. ebenfalls in der oben bezeichneten Gaststätte verkehrten und dort Kontakte zu Rockern der „Hells Angels“ unterhielten. Der Angeklagte Holger Gerlach wurde laut einem Vermerk des Bundeskriminalamts gemeinsam mit dem Zeugen [Alexander] Sch. im Jahr 2004 als Teilnehmer einer Gruppe festgestellt, die nach einem Skinheadkonzert auf dem Gelände des Hells Angels MC Hannover versuchte, in eine nahegelegene türkische Diskothek zu gelangen. Auch der Angeklagte Wohlleben unterhielt Beziehungen ins Rockermilieu, wie sich aus der polizeilichen Vernehmung des Michael Hubeny vom 13.03.2012 ergibt. Wohlleben und Frank Schwerdt hätten demnach versucht, den Martin Rü. im Wege einer Wahlfälschung als Kreisvorsitzender der NPD in Weimar einzusetzen. Bei der Person Martin Rü. handele es sich laut einem Vermerk des BKA vom 23.02.2012 um ein aktives oder ehemaliges Mitglied des MC Bandidos, Chapter Jena.

2. . Außerdem liegen zwischenzeitlich zahlreiche Hinweise für Verbindungen des Andreas Temme zu Rockergruppen wie den „Hells Angels“ wie auch für dessen rechtsextreme Gesinnung vor.
a) Wie bereits ausgeführt verkehrte Temme als Privatperson im Rockermilieu. Sowohl er selbst als auch seine Dienstvorgesetzten und Kollegen gaben auf entsprechende Nachfragen in der Hauptverhandlung an, dass Temme jedenfalls nicht dienstlich im Bereich der organisierten Kriminalität eingesetzt gewesen sei. Seine zahlreichen Kontakte zu Personen aus dem Rockermilieu können daher nur privater Natur sein. Neben dem Präsidenten der Kasseler „Hells Angels“ Michael Sch. verkehrte Temme insoweit etwa mit den Personen Frank E., Holger L. und Jürgen Sch. Entgegen seiner Verlautbarungen pflegen sowohl Andreas Temme, als auch dessen Ehefrau Eva S.-T. bis in die Gegenwart mindestens zu Holger L. und Frank E. freundschaftliche Kontakte. Auch Temmes rechtsextremer V-Mann räumte in der Hauptverhandlung vom 4.12.2013 private Kontakte zu Mitgliedern der „Hells Angels“ ein. Zu den bei ihm aufgefundenen Kleidungsstücken mit „Hells Angels“-Emblemen, die Fragen nach seinem dorthin bestehenden Kontakt ausgelöst hatten, gab Temme gegenüber seiner Behörde an, dass es sich um frei „verkäufliche“ Kleidungsstücke handele, die er am Rande einer Musikveranstaltung in Berlin käuflich erworben habe. Die Kleidungsstücke, die er besitze, könnten laut Temme Insider von solchen Kleidungsstücken unterscheiden, die nur Mitgliedern vorbehalten seien. Eine Annäherung an die Rockergruppe habe Temme weder zu Zeiten der „Saints“ noch später im Sinn gehabt. Vielmehr sei ihm bekannt, dass mit der Erweiterung der Aufgaben des Landesamtes um die „Organisierte Kriminalität“ auch die „Hells Angels“ in das Blickfeld des Verfassungsschutzes geraten seien. Laut einem Vermerk des BKA vom 10.02.2012 pflegte Temme auch Kontakt zu Personen, die sich im Rockerclub „Gremium MC“ betätigten. Die Vereinigung war jedenfalls in der Vergangenheit dafür bekannt, dass diese als Auffangbecken für Rechtsextreme diente und in erster Linie sog. „Arische“ aufnahm.

b) Die Neigung des Andreas Temme zu rechtsextremem Gedankengut ergibt sich bereits aus dem umfangreichen nationalsozialistischen Schriftmaterial, das bei diesem sichergestellt wurde. Der Zeuge Benjamin Gärtner gab in der hiesigen Hauptverhandlung an, dass derartiges Material jedenfalls nicht zu Auswertungs- oder Schulungszwecken mit diesem gesichtet worden sei. Entsprechend relativierte Temme die Fundstücke auch als harmlose Jugendsünden. Im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung vom 12.05.2006 äußerte Temme „…ich denke, wenn ich damals die falschen Leute kennen gelernt hätte, wäre es durchaus möglich gewesen, dass ich mit dem rechten Spektrum sympathisiert hätte“. Sein Interesse am 3. Reich habe jedoch später nachgelassen, seine Gesinnung liege „nicht im Rechten Bereich“. Dass Temme nicht mit „dem rechten Spektrum sympathisiert“ habe, ist angesichts der bei diesem aufgefundenen Schriftstücke und dem Umstand, dass er in seinem Dorf „Klein-Adolf“ genannt worden sei, wenig glaubhaft. Die zumindest in der Vergangenheit rechtsextreme Gesinnung des Andreas Temme und dessen private Kontakte in das hessische Rockermilieu lassen es wahrscheinlich erscheinen, dass dieser auch Örtlichkeiten in seiner Heimatregion aufsuchte, die rechtsextremen Gruppen und Rockern als Treffpunkt dienten.

3. Zwar stritt Temme in der hiesigen Hauptverhandlung auf Nachfrage ab, die Gaststätte „Scharfe Ecke“ zu kennen. Befragt zu den dort verkehrenden Personen antwortete Temme ausweichend, dass er die „Leute von damals nur mit Spitznamen“ gekannt habe. Ob Temme insoweit wahrheitsgemäß aussagte, ist allerdings zweifelhaft. Die Stuttgarter Nachrichten etwa berichteten bereits in Ihrer Ausgabe vom 4.12.2013, dass Andreas Temme von Stammgästen der „Scharfen Ecke“ als Gast der Lokalität erkannt worden sei. Überdies räumte der Zeuge Temme selbst ein, dass er einen Bezug zur Ortschaft Reinhardshagen habe. Temme räumte selbst ein, dass er in der Reservistenkameradschaft Reinhardshagen Schießübungen nachgegangen sei. Der Zeuge Wolfgang K. gab in seiner polizeilichen Vernehmung vom 21.06.2006 an, dass er dem Temme dort nach Vermittlung des Vereinsvorsitzenden G. eine Schusswaffe verkauft habe. Für einen Bezug des Temme zu der genannten Gaststätte spricht außerdem die Person des damaligen Betreibers der Lokalität, Walter K. K. wird auf der Webseite der Zeitung HNA mit der Aussage zitiert, bei der „Scharfen Ecke“ habe es sich um die einzige gut laufende Gaststätte in Reinhardshagen gehandelt. Einen Zusammenhang zwischen den Personen Temme, [Walter] K. und Michael Sch. stellte auch die MK Cafe des PP Nordhessen her. Auf einem Spurenblatt vom 14.06.2012 wurden dort Erkenntnisse zu einem Verfahren wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen gegen den Beamten Andreas Temme zusammengetragen. Bei den „Hells Angels“ in Kassel sei eine interne Broschüre des LKA Sachsen mit dem Titel „Rockerkriminalität im Freistaat Sachsen“ aufgefunden worden. Neben dem Beschuldigten Andreas Temme werden in dem Papier sowohl Walter K, als auch der oben genannte „Präsident“ der Kasseler „Hells Angels“, Michael Sch., unter der Rubrik „Spurenbeziehung“ genannt. Insoweit wird beantragt, das Spurenblatt der MK Cafe des PP Nordhessen vom 14.06.2012 über das Bundeskriminalamt beizuziehen und in den beigezogenen Aktenbestand Akteneinsicht zu gewähren.

Festzuhalten ist damit, dass sich Anfang der 2000er Jahre die beiden Personen Uwe Mundlos und möglicherweise auch Andreas Temme immer wieder in der Gaststätte „Scharfe Ecke“ in der nordhessischen Gemeinde Reinhardshagen aufhielten. Dieser Umstand wirft die Frage auf, ob der Zeuge Andreas Temme selbst oder Personen aus dessen Umfeld dem verstorbenen Uwe Mundlos in der Gaststätte „Scharfe Ecke“ begegnet sind oder mit diesem bekannt waren. Sollte Andreas Temme das Umfeld der potentiellen Täter gekannt haben, könnte dies dazu geführt haben, dass beim Zeugen Andreas Temme aus Angst oder aus anderen Gründen erhebliche Verdrängungsprozesse stattgefunden haben, welche dessen schwerwiegende Erinnerungslücken und merkwürdiges Aussageverhalten erklären könnten. Ferner könnte sich die Beweiserhebung auf die Schuld- und Straffrage auswirken, wenn sich herausstellen sollte, dass Andreas Temme als Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz über die Verbrechen des NSU zumindest unterrichtet war oder diese gar aktiv unterstützt hat. Die Beweiserhebung ist mithin auch geboten, weil sich aus ihr Tatsachen ergeben werden, die sowohl für die Schuld- und Rechtsfolgenfrage von Bedeutung sind als auch die Glaubwürdigkeit des Zeugen Temme und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben betreffen.

Götzl: „Soll dazu Stellung genommen werden? Wir kopieren es natürlich.“

Zschäpe-Verteidiger RA Stahl: „Also, auch wenn die Begründung auf den ersten Blick sehr eindrücklich erscheint, und auch wenn ich der festen Überzeugung bin, dass der GBA dazu noch dezidiert Stellung nehmen wird, kann ich bereits jetzt beantragen, die Anträge abzulehnen. Sie sind ins Blaue erhoben, also denen ist nicht nachzukommen. Die unter Beweis gestellten Tatsachen sind völlig bedeutungslos und sie sind auch nicht geeignet die Entscheidung irgendwie zu beeinflussen.“

NK-Vertreter RA Kienzle sagt zum weiteren Hinweis des Gerichts zu seinem Antrag vom 270. Verhandlungstag, dass der Antrag auf Inaugenscheinnahme der Akten zunächst nicht aufrecht erhalten werde. Wegen der Formulierung „ergeben“ wolle er klarstellen, dass es sich um „in dem Treffbericht ausdrücklich erwähnte“ Umstände handele. In dem Treffbericht heiße es, dass ein Treffen zwischen dem Zeugen Görlitz und der Quelle Piatto am 25.08.1998 zwischen 15 Uhr und 20 Uhr stattgefunden habe. Der Zeuge Görlitz habe nur notiert, dass ein neues Telefon gekauft und übergeben worden sei, aber nicht dass eine Einziehung des alten Telefons stattgefunden habe. Beweisziel sei, die Behauptung von Görlitz, er habe die behauptete Einziehung gerade aus dem Treffbericht rekonstruieren können, zu widerlegen. Zur Waffenbeschaffung sei mitzuteilen, dass die Formulierungen im Beweisantrag Bekundungen des Zeugen Görlitz aufnehmen würden, der in der Hauptverhandlung auf Nachfrage der Verteidigung mitgeteilt habe, dass es in der SMS („Was ist mit dem Bumms?“) um Waffen gegangen sei. Gemeint sei im Antrag jeweils die auch hierdurch nahe gelegte beabsichtigte Waffenbeschaffung für das Trio über die Zeugen Werner und Szczepanski. Die Zeugin Dr. Wagner sei wie beantragt zu den Inhalten der Abrechnungen des dienstlichen Mobiltelefons zu befragen.

Bei der Verwendung des Wortes „ergeben“ in diesem Zusammenhang handele es sich ausnahmslos um Tatsachen, die der Zeugin zur Kenntnis gelangt seien und die diese bekunden werde. Auch bzgl. der beizuziehenden Abrechnungsunterlagen handele es sich um ausdrücklich in der Abrechnung erwähnte Umstände, nicht um Schlussfolgerungen. Eine von Görlitz bekundete Einziehung des Mobiltelefons gegen 16 Uhr am 25.08.1998, so das Beweisziel, sei mit der Beweiserhebung zu den genannten Umständen widerlegt. Die vom Senat als „Wertung“ angesehene Bezeichnung eines Treffens beim GBA in Karlsruhe am 28.01.2013 als „Krisentreffen“ könne aus Sicht der Antragsteller, ohne dass dem Antrag damit Substanz genommen würde, durch den Senat als Beweisziel angesehen werden. Der Begriff „Krisentreffen“ umfasse eine Tatsache umfasst: „Treffen“. Zudem sei zu berücksichtigen, dass auch Wertungen eines Zeugen Gegenstand der Beweiserhebung sein können, wenn sie auf einem leicht übersehbaren Tatsachenstoff beruhen und mittels überprüfbarer Denkvorgänge gewonnen wurden. Wenn der Senat weiter darauf hinweise, dass die der „gegenseitigen Abstimmung und Unterrichtung“ zugrundeliegenden Tatsachen durch Auslegung nicht zu ermitteln seien, könne dies dem Umstand geschuldet sein, dass es sich dabei um ein Originalzitat aus dem teilweise konspirativ abgefassten Vermerk der Zeugin Dr. Wagner vom 30.01.2013 handele.

Darüber hinaus ergebe sich aus den unter Beweis gestellten weiteren Tatsachen nach Auffassung der Antragsteller, was mit einer gegenseitigen Abstimmung und Unterrichtung tatsächlich gemeint ist. Es sei unter Beweis gestellt worden, dass am 28.01.2013 ein Treffen beim GBA stattfand. An dem Treffen hätten die in dem Antrag genannten hochrangigen Behördenvertreter teilgenommen. Gegenstand des Treffens seien die Anhörung und Vernehmung der Quelle Szczepanski mit Blick auf die ihm dienstlich zur Verfügung gestellten Mobiltelefone gewesen. Die Ausgabe eines neuen Mobiltelefons habe die Zeugin Dr. Wagner anhand der Treffberichte des Zeugen Görlitz nachvollziehen können. Die durchgeführte Einziehung des alten Telefons, auf dem die SMS des Zeugen Werner um 19:21 Uhr einging, habe die Zeugin auch damals nicht behauptet, sondern nur als „indiziell“ nahegelegt. Es sei zudem unter Beweis gestellt worden, die Zeugin werde bekunden, dass Gegenstand des Treffens der Verdacht gewesen sei, die Quelle des Innenministeriums Brandenburg sei in die Waffenbeschaffung des Trios eingebunden gewesen, den sie habe ausräumen wollen . Hierin sei die Abstimmung und Unterrichtung zwischen den Behörden zu sehen. Kienzle beantragt daher ergänzend, zur Vorbereitung der Entscheidung über den Antrag den entsprechenden Vermerk der Zeugin Dr. Wagner zu verlesen. Diverse NK-Vertreter_innen schließen sich an.

Götzl: „Zum Antrag der Verteidigung Wohlleben auf Erweiterung der Aussagegenehmigung des Zeugen Görlitz, soll da noch eine Stellungnahme erfolgen?“ OStA Weingarten: „Vielen Dank! Es lässt sich in zeitlicher Sicht nichts Vernünftiges einwenden mit folgender Maßgabe: Es kann sich natürlich nur auf Erkenntnisse der Quelle Szczepanski beziehen. Zweitens halten wir eine Begrenzung auf Waffenerkenntnisse für geboten, nicht auf alle Erkenntnisse, die Görlitz von Szczepanski erlangt hat. Soweit die Verteidigung acht weitere Aktenordner beantragt hat, nehmen wir Bezug auf die Begründung des Gerichts vom März, der sich die Bundesanwaltschaft anschließt.“ Der Verhandlungstag endet um 14:06 Uhr.

Das Blog „nsu-nebenklage“: „Heute sagte ein Zeuge aus der kriminellen Szene Jenas, der bereits vor einigen Wochen vernommen worden war […], weiter aus. Diesmal erschien er mit einem Zeugenbeistand – einem Rechtsanwalt, der aktuell auch einen Angeklagten aus der Thüringer Nazi-Szene verteidigt.
Seine Aussage war, ähnlich wie beim letzten Mal, eine Mischung von Gangster-Kriegsgeschichten und Erinnerungslücken – wobei die zum Teil vorgeschoben wirkten, zum Teil aber auch glaubhaft, die Angabe „ich hab hier [im Kopf]nichts mehr drin, außer Luft“ mochte man dem Zeugen durchaus abkaufen. Nach einer Pause, in der der Zeugenbeistand u.a. mit den Verteidigern von Ralf Wohlleben zusammenstand, erklärte er, sein Mandant werde ab jetzt keine Fragen mehr beantworten – nach den Informationen, die sein Mandant ihm in der Pause mitgeteilt habe, drohe die Einleitung von Ermittlungsverfahren wegen „weiterer Handlungen, die noch nicht verjährt wären, oder wegen Lieferung von Waffen, die dann für irgendwas verwendet wurden“. Das Gericht stellte daraufhin keine weiteren Fragen, und auch die Verteidigung stellte keine. Irgendwelche konkreten Erkenntnisse erbrachte die Aussage heute daher nicht, insbesondere weiter keine Gründe, an der aufwändig ermittelten Lieferkette der Ceska, wie sie der Anklage gegen Wohlleben und Schultze zu Grunde liegt, zu zweifeln. […] Am Ende des Tages verlas Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Narin einen Beweisantrag, in dem die Vernehmung zweier Zeugen beantragt wurde. Ihre Angaben sollen zum einen die Verbindung zwischen der Neonaziszene und der allgemeinkriminellen Szene in Thüringen näher beleuchten, zum anderen geht es um mögliche Kontakte in Richtung der Polizisten Michèle Kiesewetter und des Verfassungsschützers Temme.“

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