Protokoll 284. Verhandlungstag – 31. Mai 2016

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Der heutige Verhandlungstag dreht sich zunächst erneut um den Überfall auf die Postfiliale in Zwickau. Außerdem geht es um eine Anmietung eines Wohnmobils im Juli 2004, die allerdings nicht stattfand, weil der Wohnwagen nicht groß genug war. Außerdem geht es um Campingplatzaufenthalte. Danach folgt eine Erklärung aus der Nebenklage zu Urlaubsfotos des NSU.

Zeugen:

  • KHK Thomas Schr. (Überfall auf die Postfiliale Max-Planck-Straße in Zwickau am 05.07.2001)
  • Kunibert W. (Vermietung eines Wohnwagens Juli 2004)
  • Stefanus Er. (Mögliche Campingplatzaufenthalte Mundlos und Böhnhardt 09.06.2004 bis 20.07.2004)
  • Michael Mo. (Fahrzeuganmietungen 09.06.2004 bis 20.07.2004)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:47 Uhr. Erster Zeuge ist KHK Thomas Schr. Götzl: „Es geht uns um Ermittlungen zum Überfall auf die Postfiliale Max-Planck-Straße in Zwickau am 05.07.2001, Auswertung Videomaterial Überwachungskamera.“ Schr.: „Die Filiale war mit Videokamera ausgestattet, wir hatten in der Akte Bilder, die haben wir verglichen mit Asservaten aus der Wohnung Frühlingsstraße und dem . Beide Täter, die in die Filiale eingedrungen sind, haben dunkle Dreieckstücher getragen mit weißen Ornamenten, ähnliche Tücher sind sichergestellt worden. Einer der Täter hatte eine Schusswaffe mit kurzem freistehenden Lauf. Auch so eine ähnliche Schusswaffe ist sichergestellt worden.“ Götzl: „Uns liegt ein Bericht von Ihnen von 2012 vor, darin enthaltene Lichtbilder.“ Schr. geht zur Inaugenscheinnahme nach vorn an den Richtertisch. Schr.: „Das sind die Auszüge aus meinem Bericht. Hier sieht man das Halstuch des Täters. Und dieses schwarze Dreieckstuch mit weißen Ornamenten ist zumindest sehr ähnlich, es lag noch kein Gutachten vor. Man sieht, da sind unterschiedliche Ornamente. Und dieses Halstuch entspricht auch wiederum diesem Halstuch. Bei der Schusswaffe sieht man hier einen freistehenden Lauf, wie es auch bei dieser Erma ist, so eine Nachbildung einer P38 [phon.].“

Es werden weitere Lichtbilder in Augenschein genommen. Schr.: „Ja, unterschiedliche Halstücher, das blaue und das schwarze. Und hier Vergrößerungen der Schusswaffe, die, glaube ich, im Wohnmobil sichergestellt worden ist, das weiß ich nicht mehr sicher. Der Art nach könnte das eine Schusswaffe gewesen sein, wie sie hier der Täter dabei hatte.“ Götzl: „Sind Feststellungen zur Tatbeute getroffen worden?“ Schr.: „Nach Aktenlage fast 75.000 Euro.“ Vorhalt: 74.777,80 DM. Schr.: „Ja, das war aus dem Tresorraum und aus den Kassenlagen [phon.] Schalter 1 und 2 und aus dem Bereich der Paketaufgabe.“ Der Zeuge wird entlassen.

Es folgt der Zeuge Kunibert W. Götzl: „Es geht uns um die Anmietung eines Wohnwagens auf dem Musbergwiese in Ascheberg März 2004 bis Juli 2004.“ W.: „März bis Juli ist nicht richtig. Im März wird eine Anfrage gewesen sein, dass ein Wohnwagen im Juli angemietet werden soll. Da wir keine schriftliche Unterlagen hatten, gehe ich davon aus, dass das telefonisch war. Im Juli sind dann eine Frau und zwei Männer da gewesen. Ich habe ihnen den Wohnwagen gezeigt. Der war schon etwas älter und kleiner und die Drei sagten, dass sie den nicht haben möchten. Im vergangenen Jahr seien sie auf einem Campingplatz gewesen mit neuem und supergroßem Wohnwagen. Die haben sich zehn Minuten beraten und gesagt, dass sie diesen Wohnwagen nicht anmieten möchten.“ Götzl fragt, ob sich W. an das Aussehen der Personen erinnern könne. W.: „Nein. Auch nicht an den PKW, weil direkt am Campingplatz ist der Parkplatz und voll belegt mit fremden Fahrzeugen. Das kann ich nicht sagen.“ Götzl: „Wie kamen Sie auf zwei Männer und eine Frau?“ W.: „Weil die zusammen im Kiosk waren und sich gemeldet haben, dass sie einen Wohnwagen angemietet haben. Der Kiosk liegt vom Campingplatz so 50 Meter entfernt.“ Götzl: „Sind Sie von der Polizei befragt worden?“ W.: „Ja, es waren zwei Kripobeamte in der Firma und haben sämtliche Unterlagen mitgenommen, haben aber nach ihrer Aussage nichts gefunden. Und dadurch, dass sie den Wohnwagen zwar bestellt haben, ihn dann aber nicht haben wollten, haben wir keine Anmeldeunterlagen der Gäste.“ W. nimmt auf Bitten Götzls am Richtertisch einen Beleg in Augenschein. W.: „Das ist der Überweisungsbeleg, die Durchschrift aufgrund der Anzahlung von 100 Euro für den Wohnwagen, Raiffeisenbank Plön.“

OStAin Greger: „Haben Sie eine Erinnerung an die Kommunikation der Drei untereinander?“ W.: „Nein. Wenn Gäste ankommen und nicht zufrieden sind, da stellt man sich ein Stückchen weg.“ Greger: „Gab es eine bestimmt Person, die unzufrieden war?“ W.: „Nein, ich meine dass die Drei gemeinsam im Wohnwagen waren, das beratschlagt haben und den Wohnwagen nicht angemietet haben.“ NK-Vertreter RA Scharmer: „Können Sie sich an Dialekt oder Sprachfärbung erinnern?“ W.:“ Absolut nicht.“ Vorhalt aus einem Vermerk: Auf Besucher aus Ostdeutschland angesprochen, teilt Herr W. mit: drei Personen, zwei Männer und eine Frau, mit, die dem Dialekt nach aus der DDR gekommen sein sollen. Scharmer: „Haben Sie daran eine Erinnerung?“ W.: „Nein.“ Der Zeuge wird entlassen.“ Rain Kaniuka: „Gab es da einen Wortführer, eine Wortführerin?“ W.: „Kann ich nicht sagen, nein.“ Der Zeuge wird entlassen.

Nächster Zeuge ist Stefanus Er. Götzl: „Es geht uns um Ermittlungen zu Aufenthalten von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt auf Campingplätzen im Zeitraum vom 09.06.2004 bis zum 20.07.2004, was können Sie dazu sagen?“ Er.: „Die Ermittlungen im Bezug auf Campingplatzaufenthalte der Zielpersonen wurden in der frühen Phase der Ermittlungen eingeleitet.“ Es sei ein Campingplatzprinzip [phon.] bundesweit eingesetzt worden; die Aliaspersonalienliste sei mit Meldedaten auf Campingplätzen im gesamten Bundesgebiet abgeglichen worden. Er. weiter: „Die LKAs wurden mit der Durchführung beauftragt, sie sollten eine Liste von Campingplätzen zusammenstellen und dann mit den örtlichen Behörden abgleichen. In einem Trefferfall sollte dann über einen vorgefertigten Meldebogen eine Meldung an das BKA laufen und hier bewertet werden. Für den benannten Zeitraum nach dem Anschlag Köln und den Aufenthalt in Ascheberg an der Ostsee sind keine weiteren Campingplatzaufenthalte festgestellt worden. Für Ascheberg gab es eine vorab durchgeführte Buchung mit einer Überweisung von 100 Euro als Anzahlung. Diese Überweisungsquittung wurde in der Frühlingsstraße aufgefunden. Überweisungsdatum 15.03.2011. Im Vorfeld war eine Fahrzeuganmietung VW Golf Kombi vom 09.07., glaube ich, bis zum 09.08.2004 vorgesehen. Das war 11 Tage vor dem eigentlichen Urlaubsbeginn angemietet. Für diesen Zeitraum sind über das Campingplatzkonzept und unsere Ermittlungen keine weiteren Aufenthalte belegt worden.“

Vorhalt aus einem Vermerk von Er. vom 01.06.2012: Einzelne Nachmeldungen zu Campingplätzen sind noch möglich, saisonbedingt konnten nicht alle Betreiber erreicht werden, die Daten sind noch nicht vollständig. Götzl: „Sind noch weitere Erkenntnisse bei Ihnen eingegangen?“ Er.: „Diese Ermittlungen sind federführend durch mich geführt worden. Ich habe den Bericht am 01.06. geschrieben. Ich hätte sicherlich Kenntnis bekommen, mir ist aber nicht bekannt, dass noch weitere konkrete Aufenthalte im Nachhinein bekannt geworden sind.“ Der Zeuge wird entlassen.

Es folgt der Zeuge Michael Mo. [197. Verhandlungstag] Götzl: „Es geht uns um Ermittlungen zu Fahrzeuganmietungen vom 09.06.2004 bis 20.07.2004. Mich würde interessieren, inwiefern Sie in Ermittlungen eingebunden waren und welche Ergebnisse sich dabei ergeben haben und wie Ihre Vorgehensweise war?“ Mo.: „Ich war betraut mit der Auswertung der Fahrzeuganmietungen. Im Brandschutt Frühlingsstraße wurden mehrere Durchschläge gefunden.“ Sie hätten sich, so Mo., die Unterlagen bei verschiedenen Vermietern angeschaut: „Wir konnten 65 Fahrzeuganmietungen von 2000 bis 2011 feststellen. Diese Anmietungen haben wir gegenübergestellt den Straftaten, die dem Trio zugerechnet wurden oder werden und den Urlaubsaufenthalten, die wir feststellen konnten.“ Für den fraglichen Zeitraum seien zwei Fahrzeuganmietungen in den Unterlagen gewesen, so Mo.: „06.06. bis 10.06.2004 VW Touran Z-EH 70, mit diesem Fahrzeug wurden knapp 2.000 Kilometer zurückgelegt. Und der Zeitraum korrespondierte mit dem Nagelbombenanschlag in Köln, 09.06.2004. Wurde angemietet auf die Personalien Holger Gerlach, Hannover. Für den zweiten Mietzeitraum 09.07. bis 09.08.2004 wurde ein VW Golf Variant angemietet Z-YP 34. Dieses Fahrzeug wurde ebenfalls auf die Personalien von Gerlach, Hannover angemietet. Hier ergab sich auch eine Parallele: zu einer Wohnwagenanmietung auf dem Campingplatz Musbergwiese in der Nähe von Ascheberg bei Plön. Angemietet auf die Personalien Max-Florian Burkhardt, Polenzstraße 2 in Zwickau.“ Der Zeuge wird entlassen.

RA Reinecke verliest eine Erklärung: Den Beweisantrag hatte ich damit begründet, dass die Bilder Rückschlüsse darauf zulassen, dass die Einlassung der Angeklagten Zschäpe vom 09.12.2015 nicht zutreffend ist. Herr RA Stahl hat im Anschluss an die Inaugenscheinnahme erklärt, die in meinem Beweisantrag in der Begründung aufgeführten Schlussfolgerungen seien „nicht zwingend“. Dies räume ich ein, ist aber für die Beweiswürdigung nicht entscheidend. Auch Rechtsanwalt Stahl sollte bekannt sein, dass es im Rahmen der Beweiswürdigung nicht darauf ankommt, ob Schlüsse zwingend sind, sondern nur darauf, ob sie möglich sind. Schlussfolgerungen müssen mehr sein als ein reiner Verdacht. In diesem Sinne sind die von mir gezogenen Schlussfolgerungen sicherlich erheblich naheliegender als harmlos erscheinende Erklärungsversuche, die sich ohnehin immer nur auf Einzelaspekte beziehen, nicht aber auf die Gesamtwürdigung der Fotos.

Im Einzelnen: 1. Ich muss – nachdem ich die Fotos erneut in Augenschein nehmen konnte –
zunächst einräumen, dass in der Tat einiges dafür spricht, dass die Fotos, auf denen alle drei abgebildet sind, zum Teil mit Selbstauslöser gefertigt wurden. Die Bilder mit drei abgebildeten Personen bzw. die Erörterung darüber bleiben allerdings unter zwei Gesichtspunkten von Bedeutung: Am Bild 3, der ersten Rast auf dem Weg in den Urlaub, ist im Vordergrund tatsächlich ein Objekt zu erkennen wie z.B. ein Papierkorb, auf dem die Kamera aufgestellt war. Das Verhalten der drei ist allerdings nicht so, wie man es bei einer abgesprochenen Selbstauslöseraufnahme erwarten sollte. Die Angeklagte Zschäpe sitzt auf dem Beifahrersitz, von ihr sind nur Beine zu erkennen. Uwe Böhnhardt isst ein Brötchen und wendet sich ebenfalls nicht der Kamera zu. Nur Uwe Mundlos sieht in die Kamera. Man wird daraus schließen können, dass die Angeklagte Zschäpe und Uwe Böhnhardt nicht so begeistert von den Fotos waren, während Uwe Mundlos eher der Technik-Freak war, der vielleicht die Kamera ausprobieren wollte. Dies zugrunde gelegt spricht dann allerdings vieles auch dafür, dass die übrigen Fotos, die wahrscheinlich zumeist Uwe Mundlos von der Angeklagten Zschäpe und Uwe Böhnhardt gefertigt hat, keine gestellten Fotos waren, sondern die jeweilige Situation ziemlich natürlich wiedergeben. Für das Aussageverhalten der Angeklagten Zschäpe ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass sie sich in der Lage sah, spontan auf die Frage des Vorsitzenden zu antworten, wer die Fotos gemacht habe, auf denen alle drei zu sehen sind. Dies spricht dafür, dass die Angeklagte offenbar in der Lage ist, spontan zu antworten, wenn sie den Eindruck hat, dass eine wahrheitsgemäße Aussage nützt.

2. Die Angeklagte Zschäpe hatte in ihrer Einlassung unter anderem behauptet: „Beide begründeten ihr Tun (u.a.)……– zum wiederholten Male – (damit) dass sie ihr ‚Leben verkackt‘ hätten.“ Die Fotos zeigen allerdings nicht perspektivlose junge Männer, die von sich selbst den Eindruck haben, dass sie ihr Leben „verkackt“ haben. Sie genießen z.B. auf Fotos 11 und 14 die Sonne, halten sich morgens mit Laufen fit und entdecken ihre Freude an Booten. Auf Bild 117 ist ein wohl zwischenzeitlich erworbenes Gummiboot zu erkennen. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos machen auf den Fotos doch eher den Eindruck junger Männer, die mit ihrem Leben hoch zufrieden sind. So ergibt sich aus den Fotos auch nichts, was tatsächlich auf eine ernsthafte Selbstmordabsicht schließen ließe. Es ist schon zweifelhaft, ob Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos überhaupt Waffen mit in den Urlaub genommen haben. Zumindest bei den Fahrradtouren oder auch dem Bummel durch die Kieler Innenstadt hat man nicht den Eindruck, dass hier Waffen in Reichweite waren, mit denen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sich für den Fall einer Polizeikontrolle verteidigen oder erschießen konnten.

3. Die Fotos belegen ein enges freundschaftliches Verhältnis der Angeklagte Zschäpe zu Uwe Mundlos und mit Uwe Böhnhardt ein liebevolles Verhältnis. Nun ist sicherlich die Schlussfolgerung naheliegend, dass dieses freundschaftliche und Liebesverhältnis auch auf gemeinsamen Zielen und Anschauungen beruhte. Es ist eher ausgeschlossen, dass sich jemand so verhält, der die Handlungen des Geliebten und seines Freundes zutiefst ablehnt, und der zu diesem Zeitpunkt nicht zum ersten, sondern angeblich zum vierten Mal über die Mordtaten der beiden entsetzt war. Es geht also nicht einfach um die Frage, ob die Angeklagte in Uwe Böhnhardt verliebt war, sondern darum, welche Grundlage diese Partnerschaft hatte. 4. Die Fotos belegen auch, dass eine Angst vor Entdeckung bei den drei Urlaubern nicht existierte. Sie haben sich extensiv in der Öffentlichkeit bewegt, darunter auch Ausflüge in die gut besuchte Kieler Innenstadt. Wenn Rechtsanwalt Stahl erklärt hat, es gäbe nun einmal keine Untergrundcampingplätze, so steht das zum einen im Widerspruch zur Erklärung von Rechtsanwalt Grasel, der nach meinem Beweisantrag erklärte, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos seien auf einem nicht registrierten Campingplatz gewesen. Vor allen Dingen aber widerspricht dies der Lebenserfahrung. Wer ernsthaft eine Entdeckung fürchtet, würde eher gar nicht in den Urlaub fahren, als sich so zu zeigen und dann auch noch bei verschiedenen Gelegenheiten (Anmeldung auf Campingplätzen, Mieten von Booten) Personalien angeben und evtl. Ausweispapiere zeigen zu müssen.

Dann verkündet Götzl, dass das Ablehnungsgesuch Zschäpes gegen den Sachverständigen Landgerichtsarzt Dr. Obergrießer zurückgewiesen wird. [Am 110. Verhandlungstag, 06.05.2014, hatte die Verteidigung Zschäpe ein Ablehnungsgesuch gegen den Landgerichtsarzt gestellt. Vorangegangen war eine längere Auseinandersetzung um die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten.] Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass die Anträge, zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass Carsten Schultze 2000 Mitglied des -Bundesvorstands war, abgelehnt sind. Die Beweistatsache sei bereits erwiesen, so Götzl. Der Angeklagte Schultze habe in seiner Vernehmung hier insofern glaubhaft ausgeführt, er sei im Februar 2000 zur Bundesvorstandssitzung der JN gefahren, er sei dort zum stellvertretenden Bundesgeschäftsführer der JN gewählt worden. Der Verhandlungstag endet um 12:22 Uhr.

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