Kurz-Protokoll 321. Verhandlungstag – 16. November 2016

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An diesem Verhandlungstag geht es erneut um den Angriff an der Straßenbahnendhaltestelle Jena-Winzerla, den Carsten Schultze schilderte. Es sagt ein Mitarbeiter des Jenaer Nahverkehrs aus. Anschließend daran stellt Nebenklage-Vertreter Kienzle einen Beweisantrag zu Reinhard Görlitz, dem ehemaligen V-Mann-Führer von Carsten Szczepanski alias „Piatto“. Nach einer Beschlussverkündung durch Götzl stellt die Verteidigung von Ralf Wohlleben ein Ablehnungsgesuch.

Zeuge:

  • Andreas Mö. (Jenaer Nahverkehr, örtliche Gegebenheiten an der Straßenbahnendhaltestelle Jena-Winzerla)

Der Verhandlungstag beginnt um 09:45 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl: „Wir haben den Zeugen Mö. für heute geladen. Rufen Sie ihn bitte auf.“ Es folgt die Einvernahme von Andreas Mö. Götzl: „Es geht uns um eine bestimmte Örtlichkeit im Bereich der Wendeschleife Straßenbahnendhaltestelle Rudolstädter Straße in Jena, das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Holzhäuschens in der Zeit ab 1998 in diesem Bereich, Ende der 90er Jahre. Was können Sie von sich aus dazu berichten?“ Mö. erzählt, beruflich aktiv sei er in Erfurt gewesen, sei täglich mit dem PKW oder der Eisenbahn von Jena nach Erfurt und zurück gependelt. Die Wendeschleife sei ihm aus der Zeit bekannt, er habe sie aber nur selten benutzt, höchstens mal zum Besuch einer Bekannten in Winzerla. Götzl: „Was können Sie zur Örtlichkeit sagen?“ Mö. sagt, damals seien zwei Straßenbahnlinien, die Linien 1 und 2 dort gefahren. Mö. berichtet von aus Stein gebauten Gebäuden [phon.]. Ein Teil davon, direkt an den Bahnsteiganlagen werde vom Nahverkehr selbst benutzt als Fahreraufenthaltsraum, bspw. um sich die Hände zu waschen.
Mö. spricht davon, dass ein Teil an die Firma Gartenbau Wolfgang Ri. vermietet gewesen sei. Ein Holzhäuschen sei ihm nicht bekannt: „Wir hatten uns im Unternehmen damit beschäftigt. Wir hatten eine Imbissbude im Nahbereich ausgemacht, die mir persönlich aber nicht bekannt ist. Ich war da auch nie drin.“ Götzl fragt, welche Tätigkeit die Firma Ri. auf dem Gelände entfaltet habe. Mö. sagt, da gehe es um die Pflege von Gärten, die Übernahme von Dienstleistungen. Wolfgang Ri. habe die Firma aufgegeben, aber damals sei das definitiv an ihn vermietet gewesen und auch von ihm genutzt worden.
Dem Zeugen wird ein Luftbild vorgelegt, das vom Jenaer Nahverkehr selbst stammt. Mö. zeigt auf einen weiteren Gebäudeteil in Winkelform [phon.], der von der Firma Ri. genutzt worden sei, wo diverse Dinge für den Gartenbau gelagert worden seien. Mö.: „Ein Holzhaus ist mir nicht bekannt, weder damals noch heute. Da ist nochmal im Hause Jenaer Nahverkehr geforscht worden, ob es dazu Unterlagen gibt.“ Auch der Leiter Infrastruktur Thomas Jä. könne sich nicht an ein Holzhaus erinnern, weder vom Nahverkehr noch vom Mieter, so Mö. Der Zeuge wird um 10 Uhr entlassen.

NK-Vertreter RA Kienzle stellt einen Beweisantrag. Er beantragt:
I. mit dem Beweisziel, uneidliche Falschaussagen des Quellenführers Reinhard Görlitz in der Hauptverhandlung und die fehlende Glaubhaftigkeit seiner Angaben im Zusammenhang mit der amtlichen Beobachtung einer möglichen Waffenbeschaffung des Trios nachzuweisen. 1. Beweis zu erheben durch a) die Beiziehung des Vermerks zu dem Treffen zwischen dem Zeugen Görlitz und dem Zeugen Szczepanski vom 25.8.1998, den der Zeuge Görlitz am 26.08.1998 verfasste, über das Ministerium des lnnern Brandenburg sowie b) die Verlesung des genannten Vermerks zum Beweis, dass der Vermerk folgenden Inhalt hat:
– Der Zeuge Görlitz nahm die Quelle „Piatto“, den Zeugen Szczepanski, am 25.8.1998 um 15 Uhr an deren Arbeitsstelle in Brandenburg in sein Dienstfahrzeug, einen Ford Mondeo, auf. Um 20 Uhr setzte er die von ihm geführte Quelle an deren damaligem Wohnort, der JVA Brandenburg, wieder ab.
– Das Quellentreffen dauerte von 15 bis 20 Uhr. In der genannten Zeit waren die beiden Zeugen Görlitz und Szczepanski ununterbrochen zusammen.
– Im Rahmen des Treffens zu einem nach dem Treffbericht nicht zu konkretisierenden Zeitpunkt erwarb der Zeuge Görlitz auf seinen damaligen Tarnnamen, Dieter Borchert, zwei Mobiltelefone in dem D2-Shop in Potsdam.
– Zu dem Verbleib des alten dienstlichen Mobiltelefons der Quelle mit der Rufnummer
[nennt eine 0172-Nummer], namentlich einer Rückgabe an den Zeugen Görlitz oder deren Zeitpunkt, verhält sich der Vermerk nicht.
Begründung: Die Amtsaufklärungspflicht gebietet die Beiziehung der Unterlagen, weil die beantragten Beweiserhebungen mit Blick auf Falschaussagen und die nicht vorhandene Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Görlitz erheblich sind. Bislang wurde seitens des Ministerium des lnnern Brandenburg – gestützt auch auf die Angaben des Zeugen Görlitz – die Legende gebildet, dass der dortige Verfassungsschutz keine Kenntnis von einer mit der Waffenbeschaffung für das Trio in Zusammenhang stehenden SMS des Jan Werner („Was ist mit den Bumms?“) an die Quelle haben konnte. Es wurde behauptet, dass der Verfassungsschutz aus Brandenburg erst über das Schäfer-Gutachten Kenntnis erlangte über die SMS. Diese SMS sei am 25.8.1998 erst gegen 19.21 Uhr auf die Rufnummer
[nennt die 0172-Nummer]eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt sei das alte Diensttelefon der Quelle bereits zurückgegeben und ausgeschaltet gewesen.
Die Angaben zu einer Ausschaltung des Mobiltelefons sind offenkundig falsch. Selbst wenn der Zeuge entgegen dem Treffbericht an einem Rückgabezeitpunkt „gegen 16.00 Uhr“ festhalten wollen würde – wobei unklar bliebe, woraus sich dieser nun ableiten soll – , wäre dies durch die Abrechnung widerlegt, weil sich ein Verbindungsaufbau noch für 16.25 Uhr nachweisen lässt. Der Vermerk spricht dafür, dass der Zeuge Görlitz und der Zeuge Szczepanski bis 20 Uhr ununterbrochen zusammen waren und der Zeuge Görlitz deshalb die SMS zur Kenntnis genommen haben muss. Es handelt sich in beiden Fällen um falsche Angaben des Zeugen Görlitz, die nur dadurch erklärlich sind, dass der Zeuge eine Kenntnisnahme der SMS durch ihn und damit den Verfassungsschutz Brandenburg unbedingt bestreiten wollte.
II. Mit den Beweiszielen,
– einerseits nachzuweisen, dass die polizeiliche Ermittlungsarbeit bei der Zielfahndung nach dem Trio im Jahr 1998 gezielt von dem Innenministerium Brandenburg fehlgeleitet wurde zugunsten des Quellenschutzes, wodurch polizeiliche Ermittlungsstrategien keinen Erfolg erzielen konnten,
– und andererseits nachzuweisen, dass es unmittelbar nach der im Zusammenhang mit einer Waffenbeschaffung für das Trio stehenden SMS von Jan Werner an die Quelle des Verfassungsschutzes „Piatto“ ein persönliches Treffen zwischen den beiden gab, Beweis zu erheben durch
1. die Beziehung der beiden Verträge des 02-Shops in Potsdam zu den am 25.8.1998 von dem Zeugen Görlitz auf seinen damaligen Tarnnamen „Dieter Borchert“ im Rahmen des Treffens mit der Quelle „Piatto“ angeschafften Mobiltelefonen nebst zugehöriger Rechnungen bei dem Innenministerium Brandenburg,
2. die Verlesung der Verträge sowie der Rechnungen zum Beweis, dass die Verträge folgende Inhalte aufweisen:
– Es wurde ein Mobiltelefon Siemens E1 OD mit einer Sim-Karte zu der Anschlussnummer
[nennt eine zweite 0172-Nummer]angeschafft.
– Es wurde zudem ein Mobiltelefon Sony CMD X2000 mit einer Sim-Karte zu der Anschlussnummer
[nennt eine dritte 0172-Nummer]angeschafft.
3. die Verlesung einzelner Urkunden aus den Zielfahndungsakten des LKA Thüringen aus dem Jahre 1998 (Zielfahndung nach dem Trio), namentlich
a) der S-Records der Aufzeichnungen am Anschluss des Zeugen Jan Werner vom 31.8.1998 zur SMS-Korrespondenz mit dem Anschluss
[nennt die zweite 0172-Nummer]zum Beweis folgender Tatsachen:
– Am 31.8.1998 wurden in der Zeit von 13.26.23 Uhr bis 13.36.44 Uhr drei SMS zwischen dem Anschluss des Jan Werner und dem neuen, dienstlichen Anschluss des Zeugen Szczepanski mit der Anschlussnummer
[nennt erneut die zweite 0172-Nummer]versandt.
– Jan Werner und die Quelle Szczepanski vereinbarten in den SMS am 31.8.1998 – und damit nur wenige Tage nach Eingang der auf die Waffenbeschaffung bezogenen SMS vom 25.8.1998 – ein persönliches Treffen für den darauffolgenden Samstag.
Begründung: Die Amtsaufklärungspflicht gebietet die Beiziehung der Unterlagen, weil die Beweiserhebung erheblich ist. Aus der Beweiserhebung wird sich ergeben, dass das Ziel der Überlassung eines neuen dienstlichen Mobiltelefons an die Quelle Piatto – entgegen den Angaben des Zeugen Görlitz nicht war, ihn dauerhaft aus einer Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme der Polizei herauszuhalten. Tatsächlich ging es bei der Übergabe des neuen Anschlusses einzig darum, die Quelle legendiert, nämlich als Dieter Borchert, wieder an der Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme teilnehmen zu lassen. Dies tat die Quelle auch entsprechend, deren neuer dienstlicher Anschluss bereits weniger als eine Woche nach der SMS, in der es höchst wahrscheinlich um eine Waffenbeschaffung für das Trio ging, wieder in der Telekommunikationsüberwachung auftaucht. Es wird sich aus der Beweiserhebung zudem ergeben, dass die Quelle des Brandenburgischen Verfassungsschutzes unmittelbar nach der SMS ein persönliches Treffen mit dem Jan Werner vereinbarte. Dies geschah indes nicht mehr über die für die Polizei dem Innenministerium zuordenbare Rufnummer des alten, sondern die einem Dieter Borchert zuzuschreibende Rufnummer des neuen Anschlusses.

Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass die Verlesung eines Vermerks von KOKin Pf. sowie eines Untersuchungsberichts von KHK Di. angeordnet wird. Den Verlesungen hatte die Verteidigung Wohlleben widersprochen.
Schneiders beantragt eine Abschrift und eine einstündige Unterbrechung. Es folgt eine Pause bis 11:33 Uhr. Danach sagt Schneiders, dass die Verteidigung Wohlleben eine nochmalige Unterbrechung benötige für die Abfassung eines Ablehnungsgesuchs. Danach verliest RAin Schneiders den angekündigten Befangenheitsantrag Wohllebens gegen den Senat. Götzl sagt, dass die Verhandlung unterbrochen wird und morgen fortgesetzt wird. Der Verhandlungstag endet gegen 14:30 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.

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