Kurz-Protokoll 324. Verhandlungstag – 23. November 2016

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An diesem Verhandlungstag sagt ein Beamter des LKA Berlin zur Zeugenvernehmung von Frank Gr. im Jahr 2000 aus. Es geht um eine mögliche Ausspähung der Synagoge Rykestraße in Berlin durch den NSU. Danach stellt die Verteidigung Wohlleben einen weiteren Propagandaantrag zum Thema Rudolf Heß. Im Anschluss daran lehnt Richter Götzl einen Beweisantrag von Nebenklage-Vertreter_innen ab, die einen Gutachter hören wollten, u.a. um zu erfahren, ob Temme die Schussgeräusche beim Mord an Halit Yozgat hätte wahrnehmen müssen.

Zeuge:

  • Jens Se. (LKA Berlin, Vernehmung des Zeugen Frank Gr., Feststellung zu einer möglichen Ausspähung der Synagoge Rykestraße in Berlin durch den NSU)

Heute ist Fototermin. Der Verhandlungstag beginnt danach um 09:50 Uhr. Nach der Präsenzfeststellung sagt Götzl: „Für heute geladen ist der Zeuge KHK Se. Ist er erschienen? Ja.“ Der Zeuge Jens Se. betritt den Saal und setzt sich an den Zeugentisch. Nach Personalienfeststellung und Belehrung sagt Götzl: „Es geht uns um die Vernehmung eines Zeugen, nämlich des Zeugen Gr. am 08.05.2000. Mich würde einfach interessieren, was Sie zu dieser Vernehmung sagen können, zur Vernehmungssituation, zum Verhalten des Zeugen und natürlich geht es um den Inhalt der Vernehmung. Wobei ich Sie bitte, zunächst mal das, was Sie dazu in Erinnerung haben, im Zusammenhang zu berichten.“ Se.: „Ich muss ehrlich gestehen, ich hatte bis zum Tag meiner Ladung keinerlei Gedanken mehr an diese Geschichte, und Erinnerung. Und ich habe mich in der Folge eingelesen, um die Erinnerung wieder zu holen. Sind immerhin 16 Jahre fast. Zur Situation: Ich kann mich schon an den Wachangestellten erinnern, auch ganz grob an die Vernehmungssituation erinnern. Und ich glaube mich daran zu erinnern, dass er sehr sicher war. Das kann ich sagen. Ihm war die Sache sehr wichtig und er war sich in den Personen sicher.“
Götzl: „Können Sie etwas zu dem Inhalt seiner Angaben und zum Verlauf sagen?“ Se.: „Es war ja wohl so, dass der Herr Gr., hieß er glaube ich, eine Wahrnehmung hatte am Tag vorher an der Synagoge in der Rykestraße, die er mir geschildert hat im Einzelnen, warum es dazu kam, welche Aufgabe er da hatte usw., zu welcher Zeit er da war. Und im Ergebnis dessen wurden ihm Lichtbilder vorgelegt. Drei verschiedene Lichtbildvorlagen à sechs Fotos. Er erkannte zwei jetzt hier Beschuldigte wohl wieder.“ Götzl fragt, welche zwei Beschuldigten Gr. erkannt habe. Se.: „Aus meiner Erinnerung Frau Zschäpe und Herr Böhnhardt, glaube ich.“
Götzl: „Sie hatten vorhin angegeben, er hätte zu seinen Aufgabenbereich Angaben gemacht und zu welcher Zeit er da war.“ Se.: „Er hatte an dem Tag Dienst. Sicher wird er auch gesagt haben, in welchem Zeitraum er Dienst hatte. Ich habe es nachgelesen, nur daher weiß ich es jetzt, dass er um 13 Uhr die Wahrnehmung hatte, Frau Zschäpe, dass er die Personen erkannt haben will. Die vier Personen plus Kinder sollen um 13:45 Uhr das Lokal bei der Synagoge verlassen haben. [phon.] Und es war wohl auch so, dass er später diese Personengruppe nochmal gesehen haben will, aber da kann ich mich nicht an die Uhrzeit erinnern.“
Götzl: „Nachgefragt zur Örtlichkeit der Beobachtungen: Können Sie das noch näher präzisieren?“ Se.: „Ich kann lediglich dazu sagen, dass sich an dem Ort eine Synagoge befindet, und daneben befindet sich ein Café oder hat sich befunden. Ich kann nicht sagen, ob das heute noch der Fall ist. Nach der Beschreibung des Herrn Gr. direkt daneben. Und das hatte eine größere Anzahl von Außenplätzen. Aber ich bin dort an der Stelle nicht ortskundig.“
Götzl: „Hat Herr Gr. etwas zum Hintergrund gesagt, weswegen es zu der Vernehmung kam, wieso er zur Vernehmung kam?“ Se.: „Zum einen vor dem Hintergrund, dass er abends im Fernsehen diesen Fahndungsaufruf gesehen hat, sich sehr sicher war, dass die dort gesuchten Personen von ihm erkannt wurden in der Rykestraße, zwei zumindest. Und dass es ihm sehr wichtig war, das entsprechend mitzuteilen. Nach meiner Kenntnis hat er das gleich am Abend des 7. Mai in Thüringen getan, telefonisch. Dieser Eindruck, dass es ihm wichtig ist, er trat sehr sicher auf. [phon.]“

Götzl fragt nach Anträgen. Wohlleben-Verteidiger RA Nahrath beantragt, Olaf Rose [Neonazi, geschichtsrevionistischer Historiker, NPD-Parteivorstand – nsu-watch], als SV zu laden zum Beweis, dass „Reichsminister Rudolf Heß“ am 10.05.1941 im Auftrag des „Reichskanzlers des Deutschen Reiches, Adolf Hitler“ in seiner Funktion als dessen Stellvertreter nach Großbritannien geflogen sei, um der britischen Regierung einen „von Adolf Hitler stammenden Friedensplan“ zu unterbreiten, der das Ziel gehabt habe, „den Krieg zwischen dem Deutschen Reich und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland“ zu beenden. Nahrath verbreitet dann die in der Neonaziszene übliche Erzählung vom ‚Friedensflieger‘ Heß.
Zur Begründung des Antrags verweist die Verteidigung Wohlleben erneut, wie schon beim Antrag auf Ladung von Abdallah Melaouhi, auf Asservate, die bei der Durchsuchung bei Ralf Wohlleben beschlagnahmt wurden und Heß thematisieren [gemeint ist etwa ein Aufkleber mit dem in der Neonaziszene verbreiteten Spruch ‚Rudolf Heß – Es war Mord‘]. Der Senat erachte, so Nahrath, offensichtlich das Auffinden von Gegenständen „mit Bezug auf die Person Rudolf Heß“ bei Wohlleben als für die Schuld- und Straffrage erheblich.

NK-Vertreter RA Scharmer: „Drei Worte dazu möchte ich schon verlieren: Das ist ein reiner Propagandaantrag und abzulehnen. Aber das zeigt nochmal, worum es der Verteidigung Wohlleben geht, wenn sie hier den NPD-Parteivorstand Olaf Rose hören wollen.“

Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass alle Anträge der NK Yozgat zum Thema Lautstärke der Schüsse beim Mord an Halit Yozgat abgelehnt sind. Zur Begründung sagt Götzl, ein Beweisantrag setze eine bestimmte Behauptung einer Tatsache voraus, denn auf nur vage formulierte Beweisthemen könnten die Ablehnungsgründe des § 244, Abs. 3 bis 5 StPO nicht exakt und sinnvoll angewendet werden. Um Beweistatsachen handele es sich u.a. dann nicht, wenn letztlich Wertungen aus äußeren Umständen und Handlungen unter Beweis gestellt würden, die ihrerseits gerade wieder einer Beweiserhebung zugängliche Tatsachen seien. Die Tatsachen, die bewiesen werden sollten, seien für die Entscheidung tatsächlich ohne Bedeutung.

Götzl verkündet dann den Beschluss, dass den Anträgen zu „The Voice of Zwickau“ nicht nachgekommen wird bzw. sie abgelehnt sind. Die Antragsteller, so Götzl, hätten u.a. beantragt, das linguistische Gutachten des BfV von Juni 2012 zur Frage der Autorenschaft des Artikels „Pressefreiheit, das Recht zu lügen…?“ anzufordern und zu verlesen zum Beweis der Tatsache, dass nach dem Ergebnis des Gutachtens Uwe Mundlos mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Urheber des Artikels ist. Der Verhandlungstag endet um 13:07 Uhr.

Kommentar des Blogs NSU-Nebenklage, hier.

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