Möllner Rede – gehalten von Ibrahim Arslan, Opfer und Überlebender der Rassistischen Brandanschläge vom 23.11.1992 in Mölln

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bild_moelln_1Am 20.11.2016 fand in Köln die Möllner Rede im Exil im Gedenken an die Opfer des rassistischen Brandanschlags am 23.11.1992 statt. Die Möllner Rede im Exil entstand, da die Stadt Mölln die Rede streichen wollte. „Da haben wir uns entschlossen, die Möllner Rede ins Exil zu nehmen, also in andere Städte, die solidarisch mit den Betroffenen sind,“ sagte Ibrahim Arslan im Gespräch mit NSU Watch.
Auch Ibrahim Arslan sprach bei der Möllner Rede im Exil 2016. Wir dokumentieren seine Rede.

„Sehr verehrte Betroffene der rassistischen Gewalt,
Sehr verehrte solidarische Menschen,

vielen herzlichen Dank für die Einladung.
Danke, dass ihr hier seid und euch die Opferperspektive anhört.
Vielen Dank auch dafür, dass wir die diesjährige Möllner Rede, die jedes Jahr im Exil stattfindet, hier bei euch mit euch Köln machen dürfen. Danke an die Initiative Keupstraße ist überall.

Viel zu oft habe ich mir auf die Zunge und auf die Lippen gebissen, so dass ich nicht das Falsche sage, als sie über die Köpfe der Betroffenen hinweg geredet und entschieden haben. Viel zu oft habe ich meine Hände und Fäuste tief in die Taschen vergaben, so dass ich nicht das Falsche mache, als sie die Betroffenen wie Statisten behandelt haben. Viel zu oft ist mir aufgefallen, dass wir nicht zu oft über die Geschehnisse und über die Geschichten der Betroffenen gesprochen haben.

Tolstoy hat mal gesagt
„Wenn Jemand Schmerzen fühlt, dann ist er lebendig, wenn aber Jemand die Schmerzen anderer fühlt, dann ist er ein Mensch“

Die Möllner Rede ist nicht nur ein Politikum sondern auch eine Reaktion. Eine Reaktion der Betroffenen und Opfer auf die falsche, falschlaufende Opfer und Gedenkpolitik. Ein Appell an die Gesellschaft und die Politiker, das sich Etwas verändern muss und zwar jetzt. Betroffene dürfen nicht mundtot gemacht werden, ihre Forderungen müssen Selbstverständlichkeiten werden. Opfer und Überlebende sind keine Statisten, meine Damen und Herren, sie sind die Hauptzeugen des Geschehenen.

Für uns als Familie ist die Möllner Rede sehr wichtig. Dies ist für uns die Wertschätzung, die wir jahrelang als Opfer und Betroffene von der Politik erwartet doch nicht bekommen haben. Selbst dies muss man sich erkämpfen. Es sollte uns entzogen werden. Aber wie ihr seht, sind wir heute hier. Das ist eure Solidarität und unsere Ausdauer.

Die Stadt Mölln hat die Möllner Rede aus dem offiziellen Programm raus gestrichen. Mit der Begründung, dass es nicht mehr vorstellbar sei, die Möllner Rede als Bestandteil der offiziellen Gedenkveranstaltungen zu sehen. Diese Reaktion haben wir als sehr respektlos empfunden. War es vielleicht nicht gewünscht, dass immer die Familie die Redner und Rednerinnen ausgesucht hat?

Wir wissen es nicht, aber wir haben nicht aufgegeben. Wir haben gekämpft und kämpfen weiter, dass diese Rede fortgesetzt wird. Uns darf keiner mehr mundtot machen. Wir haben uns entschlossen, die Möllner Rede im Exil zu halten. Herzlich willkommen in Köln.

Wer hat die Herrschaft über das Gedenken?

Wir fragen uns immer und immer wieder, was die Stadt Mölln mit der offiziellen Gedenkveranstaltung meint. Ist unsere Veranstaltung, die von den Betroffenen organisiert wird, inoffiziell? Inoffiziell, weil wir es nicht zulassen, dass sich die Institutionen einmischen? Wem gehört das Gedenken? Kann man einer solch rassistischen Tat, einer solch rassistischen Geschichte gedenken, ohne die Opfer und Betroffenen einzubeziehen? Wer entscheidet über das Gedenken? Die Betroffenen oder die Institutionen?
Diese Fragen sind nach wie vor umstritten. Aber wir wissen, wann und wo wir eine Krawatte anbinden sollten. Wir wissen aber auch, wann sie wieder abgenommen werden muss.

Nicht nur bei uns, sondern auch bei vielen anderen Betroffenen rassistischer Gewalt muss das Gedenken, das alleine den Betroffenen gehört, erst zurück erkämpft werden. Aber sie sollen wissen, wir werden unser Erkämpftes nie wieder zurückgeben.

Die Zeit wird uns allen zeigen, dass wir im Recht sind.

Wie die Möllner Rede und das Leben der betroffenen Opfer widerspiegelt, ist und bleibt das Gedenken umkämpft.

Mein Name ist Ibrahim Arslan ich bin Opfer und Überlebender der rassistischen Brandanschläge vom 23. Nov. 1992 in Mölln.

Vor 23 Jahren verübten zwei Neo-Nazis, Lars Christiansen und Michael Peters einen rassistischen Brandanschlag auf meine Familie. Sie zünden feige, mitten in der Nacht, unser Haus an, und ermorden zwei Kinder und eine Erwachsene.

Die Kinder, meine Schwester Yeliz Arslan, gerade mal 10 Jahre alt, meine Kusine Ayse Yilmaz, gerade mal 12 Jahre alt, ersticken qualvoll in den Flammen. Meine Oma Bahide Arslan stirbt schmerzhaft, sie verbrennt am lebendigen Leibe.

Mehrere Überlebende, darunter auch ich, werden schwer verletzt und traumatisiert.

Als ob das alles nicht reichen würde, an Schmerz und Leid, zwingt man uns in dieses Haus, was angezündet wurde, wieder einzuziehen, nach dem es renoviert wurde. Wir müssen weitere 5 Jahre in diesem Haus voller Leid und Schmerz weiterleben.

Was ist mit den Mördern haben sie eine gerechte Strafe erhalten?
15 Jahre, 10 Jahre vielleicht sogar 9 oder 8 mit guter Führung. Für manch Einen scheint die Strafe gerecht zu sein. Doch wer rein aus Hass und rassistischen Motiven tötet, und es nicht einmal bereut, der hat in meinen Augen keinerlei Freiheit verdient.

Was ist mit der Tat nach der Tat? Die Tat an der Gesundheit, an der Würde und an der Psyche der Betroffenen?
Wird Jemand dafür in Rechenschaft gezogen? Oder bestraft?
Wird nun mit der Opfer-Täter Umkehr aufgehört?
Wird die Opferperspektive diesmal berücksichtigt?
Werden die Forderungen der Opfer und Überlebenden diesmal durchgesetzt?

Unwahrscheinlich, die Wahrscheinlichkeit ist höher, dass die Täter befördert werden, oder als V-Männer nun für den Staat arbeiten.

Ich möchte nun leicht verändert Chezitieren:

Der Kampf gegen Rassismus ist realistisch, nur manch einer glaubt es sei unmöglich. „Dann lass uns realistisch sein, und das Unmögliche versuchen.“

Deswegen:

Erfüllt uns unsere Forderungen, oder gebt uns unsere Opfer zurück.

Wir werden daher in Zukunft immer das Unmögliche fordern, damit das Erwünschte wieder möglich wird.

Wir müssen uns hier und jeden Tag von neuem bemühen, die Ängste, die wir in uns tragen, zu übermitteln, um die Ketten des Schweigens zu zerbrechen.

Trauer ist die reinste Form des Erinnerns. Wir trauern um die Toten, die keine Stimme mehr haben, uns von ihrem schwer nachfühlbaren Schrecken zu erzählen.

Aber wir trauern auch um die Überlebenden, die zum Überleben verurteilt wurden. Wir müssen seitdem mit einem schrecklichen Trauma Leben, mit dem Trauma, das wir nichts unternehmen konnten, als sie starben. Nichts kann uns davon befreien, und wenig ist unternommen worden um es uns erträglicher zu machen.

Wir trauern um den Hass, der in unseren Seelen wuchert. Es ist gewiss ein berechtigter Hass, aber er zermürbt wie alle negativen Gefühle, in erster Linie uns selbst.

Wir trauern um die vergebenen Möglichkeiten des Lebens, aus solchen Ereignissen Konsequenzen zu ziehen. Das Leben geht weiter als wäre nichts geschehen. Die Geschichten wiederholen sich überall in Deutschland. Immer und immer wieder brennen Unterkünfte und Häuser von Menschen.

Die Vergangenheit und die Gegenwart zeigen uns, dass leider meist die Täterperspektive für die Gesellschaft interessant ist. Wir sehen im Fernsehen, in den Zeitungen und Zeitschriften, in Büchern, selbst in Schulen, zum Beispiel im Musikunterricht, wenn es heißt: Kolumbus war ein guter Mann wide wide wit bum bum, dass die Täter immer interessanter als die Opfer zu sein scheinen und dadurch in den Vordergrund gestellt werden.

Es gibt mittlerweile so viele Hitler Dokumentationen, dass ich mir manchmal selbst die Frage stelle, ob es etwas gibt, was ich noch nicht weiß über diesen Tyrann?

Wo sind die Opfer, die Betroffenen und ihre Geschichten?

Diese Frage wird immer seltener gestellt von der Gesellschaft. Wie sollen wir Sympathie gegenüber den Betroffenen entwickeln, wenn wir sie wie Statisten behandeln? Wie sollen solche schrecklichen Taten aufhören, wenn wir uns nicht mit den Betroffenen und Opfern identifizieren? Und wenn wir uns selbst einmal fragen, wie viele hier in diesem Raum, die Betroffenen der NSU kennen oder die Opfer? Wie viele Namen fallen uns ein? An welche Geschichten der Betroffenen können wir uns erinnern?

Aber wahrscheinlich wissen Alle hier, wer Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhart sind. Das finde ich beschämend.

Die Opferperspektive ist auch interessant, meine Damen und Herren. Die Betroffenen müssen in den Vordergrund, damit die Gesellschaft Sympathie mit den Betroffenen und Opfern entwickelt.
Die Gesellschaft muss sich mit den Betroffenen identifizieren, damit solche Taten aufhören und nie wieder passieren. Dafür müssen Orte geschaffen werden. Das Tribunal kann so ein Ort sein.

Wer die Opfer und Betroffenen zu Tätern abstempelt, sie mundtot macht, mit ihrer Würde und Psyche spielt, sich bemüht unsere Gedenkveranstaltungen an sich zu reißen, um eine Inszenierung daraus zu machen, der verliert nicht nur unseren Respekt und Anerkennung, sondern ist auch gleichgestellt mit den Tätern, die uns unsere Freiheit entzogen haben.

Von diesen unvorstellbaren Schmerzen und dem Kampf der Opfer und Betroffenen müssen wir den Nachgeborenen berichten. Sie müssen wissen, dass einzig der Kampf gegen Rassismus und Faschismus die Freiheit bringen wird.

Unser Haus wurde auch aus politischen Gründen angezündet. Es waren Neo-Nazis die sich in den 1990ern von den Politikern und von der damaligen Politik bestärkt und bestätigt gefühlt haben, als sie diese rassistischen Taten verübten. Politische Sätze wie Das Boot ist voll wir können keinen mehr aufnehmen haben dazu beigetragen, derart rassistische Taten zu verüben.

Die Taten wurden als Protestbewegung begründet. Hetzkampagnen wurden veranstaltet. Es wurde eine inszenierte politische Problematik entwickelt (Asylschwärme, Asylproblematik) nannten sie es, was heute (Flüchtlingsschwärme, Flüchtlingsproblematik) heißt.

Was ist nach dieser Hetzen in den 1990ern passiert?
Es wurden Unterkünfte angezündet. Asylbewerber, Gastarbeiter, Migranten und Migrantinnen, Flüchtlinge, deutsche Aktivisten, Obdachlose, behinderte Menschen, homosexuelle Menschen wurden angegriffen, ermordet, schwer verletzt und traumatisiert.

Wie können wir es zulassen, dass sich diese Geschichten, die dieses Land schon sehr oft in den Ruin getrieben haben, wiederholen?

„Aufstehen, rausgehen, Rassismus bekämpfen.

HIC UNUTMADIK, UNUTMAYACAGIZ

Wir haben es nicht vergessen, wir werden es auch nie vergessen.“

Reclaim and Remember, Das Erinnern erkämpfen

Es gibt keine Brücke über den Fluss Vorher Nachher, so dass wir das Geschehene wieder rückgängig machen können. Wir können kein gesundes Leben führen, zu dem wir einmal angesetzt haben. Wir wurden gezwungen, ein neues Leben anzufangen, das nicht mit der Geburt sondern mit dem Tod unserer Angehörigen beginnt.

Unsere größte Sehnsucht ist, euch unsere Geschichten zu erzählen. Davon zu berichten, was wir erlebt haben, welchem schmerzvollen Weg die Opfer und Überlebenden nach der Tat ausgesetzt sind. Um so eure Solidarität zu bekommen, damit so etwas Nie wieder passiert.

Meine lieben solidarischen Schwestern und Brüder, wir haben nun den Anfang der antifaschistischen und antirassistischen Welt erschaffen, aber wir brauchen solidarische Menschen, die sie mit uns aufbauen, pflegen und dann die Früchte ernten.

Wie auch die Politiker gemerkt haben, werden wir in Zukunft nur solidarische Menschen brauchen, um eine respektvolle Gedenkveranstaltung zu gestalten. Wir werden die Opferrolle, die mit Schwäche gestempelt ist, mit Stärke befüllen, um zu zeigen, dass Opfer und Überlebende keine Statisten sind, sondern die Hauptzeugen des Geschehenen.

Vielen Dank.“

Die Rede, die Doğan Akhanlı an diesem Tag hielt, ist hier zu finden.