Rechter Terror als Sexspielzeug – Rezension zu „Wintermärchen“

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von Juliane Lang und Maria Breczinski

Ab Mitte März 2019 dämmert, brüllt und körpersaftet der Spielfilm „Wintermärchen“ von Jan Bonny (Buch und Regie) und Jan Eichberg (Buch) von den Programmkino-Leinwänden zwischen Düsseldorf, Halle, Görlitz, Konstanz, Hamburg und Berlin herunter. Die Liste der Spiel-Termine, die der Kölner Filmverleih „W-Film“ auf seiner Homepage präsentiert, ist überschaubar. Zum Glück.

Dabei haben sich Buch, Regie und Produktion wahrlich bemüht gezeigt, mit dem über zwei Stunden langen „Wintermärchen“ Provokation, Kunst und politisches Kino miteinander zu verbinden. Manche wussten das zu schätzen – etwa im schauplatz- und kulissenbewussten Filmförderungs-Business. So hat Produzentin Bettina Brokemper im Herbst letzten Jahres für „Wintermärchen“ den mit 10.000 Euro dotierten Filmpreis NRW für den besten Spielfilm abgeräumt. Im internationalen Filmwettbewerb von Locarno rauschte „Wintermärchen“ aber ‚nur‘ lautstark durch polarisierende Kritiken, galt mancher Stimme als „Tiefpunkt“ des Festivals, anderen als überwältigendes Filmerlebnis voller erzählerischer Kraft und betäubender Ausdrucksstärke. Wie auch immer aber die Außenperspektive aus dem Filmproduktions- und Subventionsgeschäft oder aus der Kino-Kritik sein mag: Den eigenen Ansprüchen werden die Filmschaffenden um Regisseur Bonny mit „Wintermärchen“ nicht gerecht.

Die Handlung ist schnell erzählt: Eine Frau und ein Mann verbringen ihre überreichliche Zeit voller Langeweile im „Untergrund“, wie sie sagen, pleite, betrunken und aggressiv. Warum und ob sie überhaupt gesucht werden, ist unklar. In vagen Andeutungen blitzt auf, dass beide sich vielleicht als rassistische Gewaltmenschen, als Nazis exponiert haben könnten. Im Moment jedoch kickt sie gar nichts mehr. Einzig Schießübungen auf der Waldlichtung oder Sex im grauen Appartement scheinen noch eine beinahe mechanische Befriedigungskraft zu haben. Alles ändert sich jedoch als der Dritte hinzutritt: Gemeinsam ziehen sie fortan etwa los, um im Raub- und Mordrausch Mitarbeiter eines türkischen Supermarktes zu erschießen, schließlich – wie als Höhepunkt ihrer Taten – den parkenden PKW einer Polizeistreife mit Projektilen zu durchsieben. Alkohol und rassistische Verbal-Exzesse schließen sich den Morden jeweils an, führen die Gewalthandlungen fort bis zum Erbrechen.

In ihrer Dreierkonstellation drehen die Drei nicht zuletzt auch in ihrer sexuellen Performance auf, in nahezu jeder zweiten Szene: Zunächst penetriert der Neue sie, einvernehmlich aber nicht minder massiv und unter demonstrativem Leiden des Dritten. Später feiern die beiden Männer ihre Enthemmung im gemeinsamen, gewaltaffinen Sexakt als Befreiungsschlag und unter Ausschluss von ihr, die ihnen zuvor ihre Schlappschwänzigkeit vorwarf – als Sexpartner wie als Nazis. Am Ende folgt die Kamera den drei Figuren beim Sex im „Trio“, immer roh und Orgasmus-zentriert, der Showdown naht. Bei all dem sind die rassistischen Morde zwischen dem Sex inszeniert wie ein am Rande gezeigtes Beiwerk im Spiel aus Erniedrigung, Triebabfuhr und der Feier der Macht vermeintlich potenter Körper. Männer- und Machtphantasien sitzen dabei immer mit auf der dreckigen Matratzenkante, wälzen sich in den Blutlachen der Ermordeten, im Neonlicht vor den Gemüseregalen.

Im August 2018 berichtete Regisseur und Autor Jan Bonny im Gespräch mit dem „Deutschlandfunk Kultur“, dass die Idee, „Wintermärchen“ als offenes Interpretationsangebot zu gestalten, entstanden sei, als er mit einem Künstlerfreund den NSU-Prozess am Münchner Oberlandesgericht besucht habe. Im Anschluss seien beide ins kreative Gespräch gekommen darüber, wie sich Kunst und Bildsprache – vor allem im Film – mit rechter Gewalt beschäftigen.

Nun bewegt sich „Wintermärchen“ aber trotz seiner offen und gezielt gesetzten Provokation am Ende in der Tradition der bisherigen Auseinandersetzungen mit Rechtsterrorismus: Wie oft wird der mediale Blick auf monströse oder verführte Zschäpes oder auf brutale Stiefelnazis in enthemmter Gemeinschaft von Gleichen gelenkt? Wie selten ist Polizei-, sind Justiz- oder Geheimdiensthandeln, wie selten sind struktureller Rassismus und die rassistische Grundierung oder Oberflächenfarbe der bundesdeutschen „Sommermärchen“-Gesellschaft der 2000er Jahre im Fokus der Betrachtung? Wann rücken schließlich überhaupt einmal die Perspektiven von Überlebenden rechter und rassistischer Gewalt in den Vordergrund?

Der Autor und Regisseur habe mit „Wintermärchen“ – wie er im Interview mit dem Deutschlandfunk beschreibt – einen „explizit politischen“ Film machen wollen, der nicht versuche „zu belehren oder pädagogisch zu sein oder zu erklären.“ Doch wo der Film etwa auf jeglichen Dialog, der die rassistischen Mordtaten als Teil eines rechten Terrorkonzeptes einordnen würde, verzichtet, bedient er sich eben jener Kommunikations-Struktur und -‚Ästhetik‘, um die es rechter Gewalt im Kern geht: „Taten statt Worte“ – der rassistische Mord ist Botschaft und Überwältigung ‚der anderen‘, ist Ermächtigung und Selbsterhebung weißer Rassist*innen unter sich. Wo der Film mit seiner ostentativen Wortlosigkeit zu Ideologie oder Motiven von rechtem Terror in die gleiche Kerbe schlägt und zugleich keinerlei Reflexionsebene oder wenigstens -möglichkeit einbaut, macht „Wintermärchen“ einen schwerwiegenden Fehler. Den kann auch sein künstlerischer Anspruch, mit Sehgewohnheiten brechen und dem minimalistischen Umgang mit Sprache Raum geben zu wollen, nicht ausräumen.

Auf welche Weise „Wintermärchen“ ausgerechnet seine Protagonistin zeichnet, ist einer der wenigen positiven Punkte in dieser Konstellation. Ist die weibliche Figur in Bonnys Film doch durch und durch überzeugte Täterin, die den Männern befiehlt, wen sie erschießen sollen. Aber nicht nur hier hätte es dem Regisseur und Drehbuchautor sicher gut getan, einige Prozesstage länger im Saal des Oberlandesgerichts in München zu verbringen, um zu begreifen: Wo Neonazis morden und Menschen zu töten oder anzugreifen versuchen, geht es um eine zutiefst kontrollierte, planvolle Demonstration weißer, rassistischer Hegemonie – nicht hingegen darum, mit (rassistischen) Morden für Triebabfuhr oder die Wiederherstellung kaputter männlicher oder weiblicher Körper- und Rollenkonzepte in einer allzu langweiligen, grauen Welt zu sorgen. Berühmt will das „Trio“ in „Wintermärchen“ werden – das ist das erklärte Ziel der Drei. Nicht zuletzt an dieser Stelle banalisiert „Wintermärchen“ rechte und rassistische Gewalt, reduziert sie auf eine fast motivlose, gesellschaftlich nur zaghaft geächtete Ausdrucksform, die über die Stränge schlägt. Am Ende verschweigen Plot und Erzähl-Blick jede politische Dimension.

Ein nur schwer zu ertragender Ausreißer aus diesem selbstgewählten Nichtssagenden lässt sich ohne Mühe in der Schluss-Szene von Wintermärchen erkennen: Wenn der Dritte – nackt, mager, bärtig – bei seiner Verhaftung von Polizisten in einen Einsatzwagen verbracht wird, provoziert die Bildsprache Erinnerungen an die weit bekannten Nachrichtenbilder von 1972, der Verhaftung von Jan-Carl Raspe, Andreas Baader und Holger Meins. Hier spielt „Wintermärchen“ auf der Klaviatur der Extremismustheorie, ohne damit auch nur im Geringsten kritische Fragen anreißen oder irgendetwas dekonstruieren zu können. So endet der Film: unangemessen, kontext- und geschichtslos. Hierin wiederholen sich nicht zuletzt die fatalen Annahmen der Ermittlungsbehörden, die die Morde des NSU nicht als Terrorismus einzuordnen vermochten – da ihnen die Bekennerschreiben fehlten.

Jenseits dessen bleibt das Fazit jedoch simpel: Wenn wir über rechte und rassistische Gewalt sprechen, lässt sich daraus aber in keinem Fall eine Freakshow eines warum auch immer gekränkten Täter*innen-Egos machen, das durch Mord und Rausch gesund-enthemmt werden könnte. Es geht vielmehr: Um Rassismus! Aus dieser Perspektive verbietet es sich, rechten Terror als soziophathischen Gemütszustand zu beschreiben, der mit ein bisschen Totschlag zum beruhigenden Höhepunkt kommen kann.

In kürzerer Form ist die Filmkritik zu „Wintermärchen“ zuerst in ak – analyse & Kritik Nr. 647 erschienen.