6. Prozesstag, 27.07.2020 – Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I.

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Beim sechsten Prozesstag wurden Urkunden des Hauptangeklagten Stephan Ernst verlesen. Zuvor gingen Anträge der Verteidigungen ein, die teilweise wieder zurück gezogen wurden. RA Kaplan und Ernst stellten schließlich den Antrag, RA Hannig aufgrund des zerrütteten Vertrauensverhältnisses von seiner Verteidigung zu entpflichten.

Familie Lübcke sowie Ahmet I. waren an diesem Prozesstag nicht anwesend. RA Hoffmann, der als Nebenklageanwalt Ahmet I. vertritt, wurde durch RA Elberling vertreten.
Zu Beginn las RA Hannig die zuvor von ihm eingereichten Anträge vor. Beim erste Beweisantrag ging es um einen Einbruch ins Regierungspräsidium in Kassel im Juli 2019. Dabei sollen Dokumente gestohlen worden sein, welche die beiden Söhne Lübckes hinsichtlich ihrer Firmen belasten sollen. Ein anderer Beweisantrag thematisierte die angebliche Aussage eines Zeugen, gegenüber welchem sich die beiden Angeklagten zur Tat geäußert hätten. Weitere Beweisanträge drehten sich um die Beschaffung der Tatwaffe sowie zwei mögliche Mittäter. Hannig beantragte, über eine Funkzellenabfrage zu klären, wo sich diese während der Tatnacht aufhielten. Hannig zufolge könnten sie die Flucht der beiden mutmaßlichen Täter abgesichert haben. Nach der Verlesung der Beweisanträge fragte Richter Sagebiel nach, ob RA Hannig die Anträge mit seinem Mandanten Ernst abgestimmt habe. Er äußerte Bedenken, ob dieser durch seinen Anwalt ordentlich vertreten werde. Die Anträge hätten keine Aussicht auf Erfolg und seien „gequirlter Unsinn“, so Sagebiel. Obwohl die drei Aussagen Ernsts, deren Videomitschnitte in den vorangegangenen Prozesstagen gezeigt wurden, keinen Grund für Zweifel am politischen Motiv der Tat geben, fehle für Hannig das Tatmotiv. Er verteidigte seine Anträge mit dem Hinweis darauf, dass er an ein anderes Tatmotiv glaube. Sagebiel fragte ihn, ob er – angesichts der Einführung möglicher Mittäter – auf eine „rechtsterroristische Vereinigung“ hinaus wolle.
Die Staatsanwaltschaft erklärte ebenfalls, bei Familie Lübcke keinen Zusammenhang zu Wirtschaftskriminalität erkennen zu können und stimmte den bereits geäußerten Zweifeln an der Kommunikation zwischen der Verteidigung und Ernst zu. Nachdem RA Kaplan erklärte, die Anträge seien weder mit ihm noch mit Ernst abgesprochen gewesen, folgte zunächst eine Pause. Nach dieser zog RA Hannig seine Anträge zurück und RA Kaplan beantragte die Entpflichtung von Hannig – aufgrund des für seinen Mandanten zerstörten Vertrauensverhältnisses. Hannigs Verteidigungsstrategie, so Kaplan, bestehe lediglich aus YouTube-Videos und eine Verbesserung sei in Zukunft nicht zu erwarten. Hannig widersprach dem, er sehe keine Gründe für eine Entpflichtung und stehe in einem guten Verhältnis zu seinem Mandanten.

Die Verteidigerin von Markus Hartmann, RAin Schneiders, stellt ebenfalls einen Antrag: Im letzten YouTube-Video von RA Hannig, das nach dem fünften Prozesstag entstanden war, habe dieser behauptet, sein Mandant habe noch nicht die Wahrheit gesagt. Diese würde aber bald kommen. RA Schneiders stellte angesichts dieser Aussage ebenfalls in Frage, ob Ernst gut durch RA Hannig vertreten werde. Das besagte YouTube-Video wurde am Ende des Prozesstages gezeigt.
Die Staatsanwaltschaft erwähnt bezüglich der Entpflichtung der Verteidigung, dass ein solcher Widerruf nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich sei. In diesem Fall lägen jedoch wichtige Gründe vor. Auf Nachfrage von Richter Sagebiel gibt RA Kaplan an, in Kontakt mit einem möglicherweise neuen Pflichtverteidiger zu stehen. Die endgültige Entscheidung über die Entpflichtung Hannigs wird für den folgenden Prozesstag am 28.07. erwartet. RA Kaplan gibt zudem an, dass Ernst alle Vollmachten, die er RA Hannig gegeben hatte – außer der Schweigepflicht – widerrufe.

Nach diesem durch RA Hannig ausgelösten Eklat kam es dann mit der Verlesung von Ernsts Lebenslauf sowie zahlreichen Arbeitszeugnissen, Bewerbungen und Arbeitsverträgen dann doch noch zum eigentlichen Programmpunkt des Prozesstages.

Der Bericht bei NSU-Watch Hessen