7. Prozesstag, 28.07.2020 – Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I.

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Am Prozesstag wurde RA Hannig aus der Pflichtverteidigung von Stephan Ernst entlassen. Als Zeuge sagte Jan-Hendrik Lübcke aus, der in der Nacht vom 1. Juni 2019 seinen Vater auf der Terrasse gefunden hatte. Zudem war ein Gutachten über die Obduktion des Leichnams Thema. Der Nebenklagevertreter RA Elberling gab eine Erklärung zu Ernsts bisherigen Geständnissen ab.

Der siebte Prozesstag begann mit einer Verkündigung des Senats, in der dem Antrag von Ernst stattgegeben wurde, RA Hannig aus seiner Pflicht zu entlassen. Der Senat gab an, er könne die Argumentation von Ernst nachvollziehen und rekapitulierte, dass das Vertrauen von Ernst in seinen Pflichtverteidiger Hannig aus guten Gründen „endgültig zerstört“ sei. Als neuer Pflichtverteidiger wird voraussichtlich RA Jörg Hardies eingesetzt.

Nachdem RA Hannig den Saal verlassen hatte, wurde einer der beiden Söhne des ermordeten Walter Lübcke, Jan-Hendrik Lübcke, aus der Nebenklage in den Zeugenstand gebeten. Eingangs erzählte er, wie seine Familie in dem Haus in Wolfshagen-Istha lebe und wie eng die Familie seit der Ermordung seines Vaters zusammenstehe. Schließlich kam er auf die Tatnacht zu sprechen und schilderte, wie der Tattag für ihn verlief, wie er seinen Vater in der Nacht auf der Terrasse gefunden, den Notruf alarmiert und ihn reanimiert hatte. Walter Lübcke wurde schließlich in die Klinik Wolfhagen gebracht, wo nur noch sein Tod festgestellt werden konnte. Nach einer weiteren Untersuchung habe die mittlerweile eingetroffene Kriminalpolizei aus Kassel der Familie mitgeteilt, dass ein „Gegenstand“ im Kopf seines toten Vaters stecke. Damit sei klar geworden, dass die Todesursache nicht, wie anfänglich vermutet, ein Herzinfarkt gewesen sei.
Des Weiteren beschrieb er die politische Linie seines Vaters als „weltoffen“ und dass menschliche Werte für ihn stets von großer Bedeutung waren. Zwar hätten ihn nach der Bürgerversammlung in Lohfelden einige Morddrohungen erreicht. Der Eindruck, dass man sich Sorgen um sein Leben machen müsse, sei dabei jedoch nicht entstanden. Allerdings, so sagt Jan-Hendrik Lübcke aus, sei ihm aufgefallen, dass die Drohungen seinen Vater außergewöhnlich stark beschäftigt hätten. Er habe die politische Rückendeckung in der Region vermisst. Das Leben der Familie nach dem Mord sei auch heute noch „weit davon entfernt zu einem Alltag“ zurück gefunden zu haben. Er habe große Zweifel, ob das jemals wieder geschehen würde.

Es folgt die Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. Reinhard Dettmeyer, welcher den Leichnam Lübckes obduziert hatte. Der Rechtsmediziner schloss aufgrund der Art der Verletzung oberhalb des rechten Ohres, dass Walter Lübcke mit einem relativen Nahschuss erschossen worden war.

Gegen Ende des Prozesstages verlas der Nebenklagevertreter RA Elberling eine kritische Erklärung zu den in den letzten Verhandlungstagen gezeigten Videos mit Ernst Geständnissen. Die Einschätzung seiner Glaubwürdigkeit dürfe sich nicht nur auf die von ihm gelieferten Informationen und seine Selbstdarstellung beschränken. Die Vernehmungen seien auf Wunsch des Hauptangeklagten hin zu Stande gekommen und man müsse berücksichtigen, dass Ernst sich auf diese habe vorbereiten können. Seiner Angabe, mehrere „Schlüsselerlebnisse“ hätten ihn zu der Tat bewogen, sollte nicht zu viel Gewicht beigemessen werden. Ernst versuche damit seine Mordpläne erklärbar zu machen. Die ausführlichen Schilderungen dienten jedoch, so Elberling, dem Bestreben, keine Angaben über seine Kameraden, sein politisches Umfeld und den Strukturen, in denen er sich bewegte, machen zu müssen. Die Benennung Hartmanns solle hierbei nicht überbewertet werden – im dem Sinne, dass das dafür spreche, es gäbe keine weiteren Tatbeteiligten. Es sei klar gewesen, dass diese Verbindung bekannt werden würde. Die Beweisaufnahme müsse klären, ob Ernst nicht weitere Tatbeteiligte schütze.
Die Verhandlung wird am 5.8.2020 mit der Einlassung von Ernst weitergeführt.

Der Bericht bei NSU-Watch Hessen