9. Prozesstag, 07.08.2020 – Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I.

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An diesem Verhandlungstag zum Mord an Walter Lübcke und zum rassistischen Angriff auf Ahmed I. wurde der Hauptangeklagte Stephan Ernst von Mitgliedern des Senats befragt. Dabei bekräftigte er erneut, dass er gemeinsam mit Markus Hartmann den Mord an Lübcke geplant habe. Er ging näher auf die die Planung ein und gab an, dass sie geplant hätten, die Handys während der Tat zu Hause zu lassen. Im Gespräch sei außerdem gewesen, dass Dritte die Handys in der Zeit verwenden. Deutlich wurde, wie sicher sich die beiden Angeklagten offenbar gefühlt haben, glaubt man den Angaben von Ernst. Danach unterhielten sie sich auch im Schützenverein über ihre Pläne. Nach der Tat habe Ernst einem Arbeitskollegen geäußert, er würde wegen des Mordes eine Hausdurchsuchung befürchten und habe ihn gebeten, mit ihm seine Waffen auf dem Betriebsgelände zu verstecken. Ernst wurde außerdem nach Alexander Sch. gefragt, den er als Freund von Hartmann in der zweiten Vernehmung erwähnt hatte. Zunächst gab Ernst an, auch mit ihm über Lübcke gesprochen zu haben, nach einer Intervention seines Anwalts Mustafa Kaplan änderte er seine Angabe, es sei nur um das Studium von Sch. gegangen.

Zu Beginn des Prozesstages gab RA Kaplan an, sein Mandant könne sich gut vorstellen, dass er RA Waldschmidt und RA Hannig teilweise von der Schweigepflicht entbinden werde. Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann meldete sich zu Wort, er wisse, er dürfe keine Fragen stellen [Ernst hat dies nach seiner Einlassung ausgeschlossen], er wolle aber etwas anregen. In der Einlassung sei die Rede von einem Wunsch nach einem Ausstiegsprogramm, in der Regel gehört dazu, alles zu erzählen, was man wisse. Das gehöre eher nicht in die Hauptverhandlung, aber er würde vorschlagen, dass Ernst zeige, dass er offen genug sei und sein Ausstiegsswunsch zutreffe, indem er sich beispielsweise mit dem BKA hinsetze und erzähle, was er in den letzten 20 Jahren in der Naziszene gemacht habe. Sagebiel sagte, man habe sich schon mit einem Ausstiegsprogramm in Verbindung gesetzt.

Dann begann die beisitzende Richterin Miriam Adlhoch mit der Befragung des Hauptangeklagten. Es ging zunächst um die Tatwaffe, Ernst gab an, das sei der Rossi-Revolver gewesen, er habe ihn ca. 2017 von Elmar Jo. erworben. Er habe Jo. auf dem Flohmarkt kennengelernt, Hartmann habe sie bekannt gemacht. Hartmann und er seien gemeinsam auf dem Flohmarkt gewesen, Hartmann habe gesagt, da sei jemand, der sich mit Waffen auskenne. Das sei der „Flohmarkt Messehallen Kassel“ gewesen. Ernst sagte dann dazu aus, wann er welche Waffen gekauft habe. Die Schrotflinte und den Mehrschussvorderlader habe Hartmann ihm bereits 2014 oder 2015 verkauft, bevor er den Kontakt zu Jo. hergestellt habe. Es sei darum gegangen, sich zu bewaffnen, um sich auf den „anstehenden Bürgerkrieg“ vorzubereiten: „Waffen zu horten, das stand im Vordergrund.“ Später sei ein generelles Interesse an Waffen sowie der Modifikation von Waffen hinzugekommen. Ernst ging dann darauf ein, dass Jo. ihm erst ein Jagdgewehr verkauft und dann wegen des Interesses von Ernst an dem Rossi-Revolver ihm ca. drei Monate später auch diesen angeboten habe. Kurzwaffen seien leichter mitzuführen, sagte Ernst auf Nachfrage. Er habe erst mit Hartmann und später mit seinen Arbeitskollegen Lu. und A. über diesen Kauf gesprochen. Er habe mit dem Rossi-Revolver vor dem 1. Juni 2019 bereits in der Nähe von Rasthof Kassel mit Hartmann und allein im Wald geschossen. Sie hätten dort auf eine Zielschreibe von Merkel geschossen.

Anschließend ging es erneut um den Tatablauf. Ernst beschrieb, wie er und Hartmann sich am verabredeten Punkt bei der Waschanlage getroffen und die Nummernschilder ausgewechselt hätten. Diese sei immer zugänglich, an diesem Abend sei dort kein Betrieb mehr gewesen. Diesen Treffpunkt hätten er und Hartmann Mitte Mai vereinbart, als er bei Hartmann gewesen wäre. Da hätten sie besprochen, wo und wann sie sich treffen würden, wenn etwas dazwischenkäme, hätten sie sich nochmal schreiben wollen. Dass am 1. Juni in Istha Kirmes sein würde, darüber hätten sie zuvor im Schützenverein gesprochen, danach seien sie zu Hartmann gefahren, um die Nummernschilder vorzubereiten. Auf Frage sagte Ernst, die komplette, endgültige Planung, wie es ablaufen solle, habe bei einem Treffen zwischen ihm und Hartmann Mitte April 2019 bei SMA [SMA Solar Technology] stattgefunden. Sie hätten sich auf der Kirmes unter die Leute mischen, Walter Lübcke suchen und ihn beobachen wollen. Auf dem Weg nach Hause hätten sie ihn angreifen wollen. Wenn sie ihn auf der Terrasse sehen würden, wollten sie ihn von zwei Seiten angreifen, das sei immer Thema gewesen. Dies sei auch der Tag gewesen, an dem Hartmann gesagt habe, dass sie eine Waffe mitnehmen sollten. Sie hätten sich auf den Rossi-Revolver von ihm, Ernst, geeinigt. Hartmann habe ihn gefragt, ob er, Ernst, die Waffe nehmen würde. Ernst gibt an, er habe das bejaht. Er habe gesagt, „ich werde ihm eine verpassen“, Hartmann habe gesagt, er wolle Lübcke ins Gesicht sagen, „Zeit zum Auswandern“. Hartmann habe gesagt, wenn Lübcke „blöd kommt“, solle Ernst schießen. Der Senat fragte nach der Bedeutung von „Zeit zum Auswandern“, Ernst verneinte die Bedeutung, dass es den Tod von Lübcke bedeuten sollte, es habe eine Anspielung auf die Veranstaltung in Lohfelden sein sollen. Sie seien mit seinem Auto nach Istha gefahren, im Auto hätten sie darüber gesprochen, dass Hartmann Ärger mit seiner Freundin und seine Waffen vergraben habe, auch Chemnitz sei noch einmal Thema gewesen. Das Auto von Hartmann hätten sie auf den Parkplatz des „Fressnapf“ abgestellt. Ernst erzählte noch einmal detailliert, wie er und Hartmann sich von der Pferdekoppel dem Haus genähert hätten. Der Senat fragte hier insbesondere danach, dass sie im Licht der Scheinwerfer des Hauses gestanden hätten und warum sie nicht maskiert gewesen seien. Ernst sagte, darin hätten sie kein Risiko gesehen. Sagebiel: „Man könnte auf den Gedanken kommen, dass sie deswegen kein Risiko sahen, weil Herr Lübcke auf jeden Fall sterben sollte“. Er fragte, ob das besprochen worden sei. Ernst zögerte, besprach sich mit seinem Anwalt, dann sagte er, „ja, es ist so, wie Sie es sagen“. Ernst bestätigte auch, dass sie gezielt den Zeitpunkt der Kirmes herausgesucht hätten, um nicht aufzufallen, damit man nicht hört, wenn ein Schuss fällt.

Ernst schilderte die Rückfahrt, Hartmann habe ihn aufgefordert, normal zu fahren, keinen Unfall zu bauen. Bereits hier gab Ernst an, prognostiziert zu haben, „das wird richtig groß werden.“ Sie hätten in der gleichen Waschanlage die Schilder abmontiert und seien mit beiden Autos zu Ernst gefahren, weil das Gewehr K98, das Hartmann legal besessen habe, noch bei Ernst gewesen sei. Sie hätten auf der Fahrt darüber gesprochen, dass sie nun alles verschwinden lassen müssten, Hartmann die Schilder, Ernst die Waffen. Hartmann habe gesagt, man müsse „cool bleiben bis zuletzt“. Ernst schilderte, dass er die Waffe K98 in einem Seesack aus seinem Keller zu Hartmanns Auto gebracht habe. Sagebiel fragte nach, ob dies nicht ein Risiko gewesen sei, da die Nachbarn die Autotüren und das Gespräch hätten hören können. Ernst sagte, er habe die Waffe eng am Körper getragen, es sei dunkel gewesen. Er bestätigte, dass er und Hartmann hörbar miteinander in seiner recht dicht bebauten Straße am Autofenster miteinander gesprochen hätten. Sie hätten noch einmal darüber gesprochen, dass sie sich am folgenden Donnerstag im Verein sehen würden. Danach habe er die Tatwaffe noch geputzt und in seinem Waffenversteck verstaut. Das Waffenversteck habe er bei Umbaumaßnahmen in seinem Haus in die Mauern eingelassen. Neben der Tatwaffe waren dort auch: Eine Uzi, eine abgesägte Schrotflinte, ein Vorderlader-Revolver, ein Kleinkalieber-Gewehr, ein modifiziertes Kleinkalieber-Gewehr, eine 1911er Pistole und Muntion.

Ernst erzählte auf Nachfrage, er sei um drei Uhr aufgestanden und habe da im Smartphone gelesen, dass Lübcke tot sei. Er bestätigte, dass Hartmann ihm am nächsten Tag geschrieben habe. Er habe ihm, Ernst, über Threema einen Link aus der HNA über den Mord geschickt. Ernst gab an, er und Hartmann hätten nur über Threema kommuniziert, Hartmann habe ihm dies empfohlen, es sei sehr sicher, dort zu kommunizieren. Sagebiel fragte, ob er das Handy am Tatabend dabei gehabt habe. Das verneinte Ernst, das gleiche gelte für Hartmann, „denke ich mal“. Sie hätten vorher besprochen, die Handys wegen der Ortung zuhause zu lassen. Ernst bestätigte, dass sie darüber gesprochen hätten, jemand Drittes zu bitten, die Handys zu benutzen. Er habe das nicht weiter erwogen, für Hartmann könne er das nicht sagen. Auf Nachfrage sagte er, er habe nur mit einer weiteren Person über Threema kommuniziert, Alexander Sch. Er glaube, er habe diese Chats nicht mehr. Er habe sie auch bei seiner Verhaftung nicht mehr gehabt, er „habe oft, mit Herrn Sch. weniger, mit Hartmann oft kommuniziert“, dabei sei es oft um politische Themen gegangen, oft auch um Herrn Lübcke. Daher habe er die Chats am Tag nach dem Mord gelöscht. Auch dies hätten sie auf der Heimfahrt besprochen. Ernst bejahte die Frage, ob er mit Sch. auch über Lübcke gesprochen habe. Sagebiel fragt, ob als politischer Inhalt oder zum Vorhaben. RA Kaplan: „Ein Moment.“ Er will eine Pause.

Nach der kurzen Pause sagte Ernst, mit Sch. habe er nur technische Sachen für dessen Studium besprochen, keine politischen Themen, Walter Lübcke ebenso nicht. Ernst erzählte dann, was er am Tag nach dem Mord an Walter Lübcke, am 2. Juni, gemacht habe. Er habe seine Waffen, auch die Tatwaffe verpackt, sei im Schützenverein zum Bogenschießen gegangen. Er sei dann in seine Firma gefahren, wo er auch die Waffen habe vergraben wollen. Dort habe er sich mit seinem Kollegen Lu., dem er auch mal Waffen verkauft habe, über den Mord an Lübcke gesprochen. Lu. habe davon in den Nachrichten erfahren. Ernst habe Lu. erzählt, dass er sich Sorgen wegen einer Hausdurchsuchung mache, da Lu. auch von seinen neonazistischen Aktivitäten wusste, und habe ihn gefragt, ob er ihm helfen könne, seine Waffen zu vergraben. Lu. habe eine Stunde Wache gehalten, während Ernst seine Waffen vergraben habe. Zusätzlich gibt Ernst an, seinen am Tatabend getragenen Kleidungsstücke, Hose, Pullover und Schuhe, in einem Müllcontainer auf dem Firmengelände entsorgt zu haben. Sagebiel hakte nach und Ernst sagte, Lübcke sei in dem ganzen Bereich, in dem er gearbeitet habe, Thema gewesen.

Sagebiel fragte nach dem Gespräch mit seinem Arbeitskollegen Am. Ernst sagte, das sei am Morgen nach seiner Nachtschicht gewesen: „Ich habe ihn beiseite geholt und habe mit ihm gesprochen, ob er mit für den Tatabend ein Alibi geben kann, ich habe nicht gesagt, was, sondern ich habe gesagt, dass ich Blödsinn gemacht habe“ Am. habe sagen sollen, sie seien am Tatabend gemeinsam unterwegs gewesen. Lu. habe er nicht gefragt, da er nur mit Am. privat gut befreundet sei. Am Donnerstag darauf seien Ernst und Hartmann zwar beide im Verein gewesen, hätten sich aber nicht gesehen oder gesprochen. Vor seiner Verhaftung hätten sie keinen Kontakt gehabt, da es sich nicht ergeben habe. Ein Zerwürfnis habe es aber nicht gegeben.

Ernst gab an, Hartmann ungefähr 2003 auf einer Demonstration kennengelernt zu haben. Ein „anderer Kamerad“ – der Namen blieb ungenannt und ungefragt – habe Hartmann während der Anfahrt vorgestellt. Der Kontakt habe sich im Zuge von Kameradschaftsabenden weiterentwickelt. Hier sei das gemeinsame Vorgehen der Kameradschaft besprochen worden. Sie hätten sich auch ab und zu privat getroffen. Damals seien Waffen noch kein, Politik aber ständiges Thema gewesen, „das war die Zeit, als es mit den ‚Autonomen Nationalisten‘ losging.“ Das sei unkonventionell gewesen, man sei „neue Wege“ in der politischen Arbeit gegangen. Sie hätten dann nach einer Demonstration am 1. Mai 2009 in Dortmund den Kontakt verloren, da Ernst aus der Szene „raus“ gegangen sei. Er habe Hartmann dann 2014 an seiner neuen Arbeitsstelle bei Hübner wiedergetroffen. Richterin Adlhoch sagte, sie hätten die Arbeitszeiten überprüft, danach hätten Ernst und Hartmann schon 2011 zusammengearbeitet. Ernst sagte, das könne auch sein. Ernst macht danach ausführlicher Angaben zu seinem Kontakt mit Hartmann. Dabei deckte sich das meiste mit seinen bisherigen Angaben. Ernst sprach von Gesprächen über Politik, Waffen und Schießübungen. Sie hätten auch Dekowaffen wieder funktionsfähig gemacht, davon habe Hartmann „einen Haufen“ gehabt. Die Gespräche hätten sich immer weiter radikalisiert, der politische Bereich sei mit Waffen verknüpft worden. Trotz wöchentlicher Treffen hätten sich die Ehefrau von Ernst und Hartmann nie getroffen. Ernst bestätigte, dass Hartmann auf dem Flohmarkt auch als Händler agierte. Hartmann habe Militaria, Kleidung, Bücher „in Richtung zweiter Weltkrieg“, Messer, Steinschleudern,, viele NVA-Sachen, aber auch „normale Artikel“ verkauft. Er habe auch Waren aus China bestellt und weiterverkauft. Ernst beschrieb auf Fragen, dass er an seinem Arbeitsplatz an einer Fräse die Dekowaffen wieder funktionsfähig gemacht habe, er habe Lu. davon erzählt, aber indirekt und er habe den Namen Hartmann dabei nicht erwähnt. Wegen der Bürgerversammlung in Lohfelden habe Hartmann ihn kontaktiert, sagte Ernst. Danach endete der Prozesstag gegen 13:00 Uhr.

Der Bericht bei NSU-Watch Hessen