»Ein rassistischer Tathintergrund konnte schnell ausgeschlossen werden«

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Ein Gastbeitrag von Johannes Hartl, zuerst erschienen bei Endstation Rechts Bayern.
Wieso scheiterten die Ermittlungen zu den fünf NSU-Morden in Bayern? Dieser Frage ging der NSU-Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags in seiner Sitzung am Dienstag, den 22. Januar, nach. Außerdem gewährte ein Coburger Staatschutzbeamte Einblicke in seine Arbeit und den Umgang mit den Neonazis (Thüringen) und .

Hinweise auf kriminelle Verbindungen des Opfers ernstgenommen, Hinweise auf rassistische Tat lapidar abgetan…

Über die Ermittlungsarbeiten zu den fünf in Bayern begangenen NSU-Morden berichtete der Erste Kriminalhauptkommissar Albert Vögeler aus Nürnberg, der in verschiedenen Funktionen mit allen Mordermittlungen im Freistaat befasst war. In seiner Vernehmung beschrieb er die polizeilichen Maßnahmen anlässlich des ersten Mordes an Enver Simsek in Nürnberg-Langwasser und die Probleme bei den Ermittlungen. Von Anfang an hätte ein konkreter Verdacht gefehlt, alle eingeleiteten Maßnahmen seien weitestgehend erfolglos geblieben. Weder die Spurensicherung, noch die Überprüfung von Fahrzeugen in Tatortnähe oder die großflächigen Befragungen im Umkreis des Tatortes hätten Erkenntnisse zu Tage fördern können.

Allerdings haben sich die Ermittlungsbehörden durchaus bemüht – vor allem, als es um die Überprüfung von Verstrickungen Enver Simseks ins kriminelle Milieu ging. Angefangen von der Spur, Enver Simsek könne eine heimliche Freundin gehabt haben, über die Annahme möglicher Verbindungen ins Drogenmilieu bis hin zu einem in Auftrag gegeben Mord eines anderen Blumengroßhändlers überprüfte die Polizei allerhand Theorien. Konkrete Beweise hatte es für all diese Vermutungen natürlich nie gegeben, lediglich Schilderungen von einzelnen Personen. Selbst eine Anfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz zu Enver Simsek wurde durchgeführt, deren Ergebnis erwartungsgemäß negativ ausfiel. Der Verfassungsschutz wusste nichts über Verstrickungen von Enver Simsek in die Organisierte Kriminalität zu berichten und hatte auch keine Erkenntnisse bezüglich „extremistischer Bestrebungen“ des Mordopfers.

Und obwohl die Polizei alle möglichen Theorien mit großer Sorgfalt überprüft hat, ließ sie eine aus: ein mögliches rassistisches Tatmotiv. Trotz eines Hinweises von Simseks Witwe wurde dieser Spur nicht nachgegangen. Intern sei die Vermutung zwar diskutiert worden, berichtet Vögeler, doch es hätte ausgeschlossen werden können. „Zusammenfassend gab es keinerlei Hinweise in die Richtung, die einen konkreten Verdacht erhärtet hätten“, sagte der Beamte. Doch das wirft einige Fragen auf, die vom Untersuchungsausschuss kaum gestellt wurden. Wieso etwa überprüft man alle möglichen Theorien, die Enver Simsek kriminelle Bestrebungen nachweisen sollen, aber nicht einmal (!) den Verdacht eines rassistischen Hintergrunds? Wieso startete man eine Verfassungsschutzüberprüfung von Enver Simsek, erkundigt sich aber nicht nach der neonazistischen Szene? Oder wieso schenkt man Informanten glauben, die sich möglicherweise selbst einiger Verbrechen schuldig gemacht haben, ignoriert aber die Vermutungen der Witwe eines unbescholtenen Blumengroßhändlers?

Viele Fragen bleiben offen…

Erst Ende 2005/Anfang 2006 hätte es Ermittlungen in Richtung eines neonazistischen Hintergrunds gegeben. Weiterhin habe aber ein konkreter Hinweis gefehlt, lediglich ein Täterprofil lag vor. Demzufolge handelte es sich um einen rechtsgerichteten Täter mit Waffenaffinität, der möglicherweise Mitglied im Schützenverein ist und aus dem Raum Nürnberg stammen müsste. Und sogar von dem schwedisches Täter namens „The Laser Man“ habe man gewusst, dessen Verbrechen deutliche parallelen zu denen des NSU aufweisen. Dennoch fragte man – starr an dem Profil orientiert – nur mögliche Nürnberger Täter an. Erst nach langer Zeit lieferte der Verfassungsschutz eine Liste mit 682 Namen aus zwei Nürnberger Postleitzahlbezirken, die wohl auch überprüft worden sein soll – ergebnislos.

Viele Fragen bleiben aber auch nach der Vernehmung von Vögeler ungeklärt. Interessant zu wissen wäre beispielsweise, wieso es trotz eines Treffens mit dem BKA im September 2001 keine Zentralisierung gab, sondern „dezentrale Ermittlungen“ beibehalten wurden. Oder wieso dem BKA – wenn es denn schon damit befasst war – keine Parallelen aufgefallen waren. Oder wieso auch dem BKA nicht die Idee kam, in Richtung einer rassistisch motivierten Tat zu ermitteln. Es sind etliche Fragen, die offen stehen – und die im Untersuchungsausschuss dennoch unklar bleiben. Dabei wären gerade das die Fragen, die wichtig sind. Wie sonst soll das Versagen der Behörden aufgeklärt werden? Nach der Vernehmung Vögelers war zumindest offensichtlich, wieso die Täter nicht gefunden wurden. Aber dass die Behörden jahrelang im falschen Umfeld ermittelt haben und schließlich ein nicht ganz richtiges Profil hatten, war auch zuvor klar. Spannend wäre sicher die Frage gewesen, wieso es denn für die bayerische Polizei so unvorstellbar ist, dass die Opfer von neonazistischen Tätern ermordet wurden, nicht aber die Theorie, Enver Simsek wäre in kriminelle Machenschaften verstrickt.

„Fremdenfeindlicher Hintergrund kein Thema“

Der anschließend vernommene Nürnberger Staatsschutzbeamte Manfred Stich konnte dagegen wenig existenzielles aussagen. Er war vom 13. September 2000 bis zum 24. April 2002 in die Ermittlungen eingebunden gewesen und vor allem für die Abfragung von sogenannten staatschutzmäßigen Erkenntnissen beim Verfassungsschutz zuständig gewesen. Sein Vorgesetzter hätte zudem versucht, Satellitenbilder des Tatorts beim Bundesnachrichtendienst (BND) zu erlangen. Jedoch habe der BND über keine Aufnahmen verfügt, weswegen keine zur Verfügung gestellt werden konnten. Wie schon Vögeler berichte auch Stich von den ergebnislosen Abfragen beider Opfer beim Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz, die „Standard“ seien. Ansonsten wusste er nur noch, dass ein „fremdenfeindlicher Hintergrund“ während der Zeit, in der er der SOKO zugeteilt worden war, kein Thema gewesen sein soll.

Die Arbeit des Coburger Staatschutzes

Im Vorfeld war der Coburger Staatschutzbeamte Manfred Kellner vernommen worden, der in der letzten Sitzung krankheitsbedingt ausgefallen war. Kellner hatte in der Zeit, kurz bevor die NSU-Terroristen untergetaucht sind, mit dem Thüringer Neonazi und V-Mann Tino Brandt zu tun gehabt, der zur damaligen Zeit in Coburg bei dem extrem rechten „Nation-und-Europa-Verlag“ gearbeitet hat. Zudem begegnete er dem Neonazi und bayerischem V-Mann Kai Dalek. Vor dem Untersuchungsausschuss gab Kellner an, dass ihm die Namen von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos zum ersten Mal im Zusammenhang mit der NSU-Selbstenttarnung aufgefallen sind. Nach Recherchen in den Akten habe er jedoch drei Treffpunkte in Thüringen ausmachen können, bei denen die späteren Terroristen aufgetaucht sind. Der ebenfalls seit der Enttarnung medial im Gespräch stehende „Thüringer Heimatschutz“ sei ihm aber bekannt gewesen, da dieser – im Gegensatz zu Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos – auch im nordbayerischen Raum eine Rolle gespielt habe, so der Kriminalhauptkommissar. Von einer Teilnahme der NSU-Mitglieder im Nordbayerischen Raum habe er keine Kenntnisse, hierzu würde es „keine Auflistungen geben.“

Die Kontakte zu Tino Brandt

Nachfolgend beschrieb Kellner seine Arbeit und im speziellen seinen Kontakt zu Tino Brandt. Dieser sei vom Staatschutz regelmäßig angefragt worden, wenn neonazistische Treffen bekannt geworden sind. Zumeist zeigte sich Brandt dann auskunftsfreudig und informierte die Staatschützer über mögliche Teilnehmerzahlen und Bands, die auftreten werden. Ziel dieser Gespräche sei es gewesen, die Veranstaltungen polizeilich dokumentieren zu können, und Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwenden, wie Kellner erläutert hatte.

Im Falle einer Veranstaltung – die zur damaligen Zeit „teilweise wöchentlich“ stattgefunden haben – sei die Polizei mit einigen Streifenwagen angerückt, habe sich die Kennzeichen der Neonazis notiert und sei dann wieder abgerückt. Allerdings wären die Beamten vorrätig gewesen, falls etwas aus dem Ruder gelaufen wäre. Dies sei in seiner Zeit jedoch nicht vorgekommen, schildert Kellner, der die Veranstaltungen teilweise selbst vor Ort überwacht haben will.

Über Brandts führende Rolle in Thüringen sei man ebenso informiert gewesen, wie über den Umstand, dass er auch in Bayern Strukturen ausbauen wollte. Irgendwann habe er diesen Ausbau aber gestoppt, was die Beamten wiederum auf den von ihnen ausgehenden „Fahndungsdruck“ zurückführten. Laut Aussagen des ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Forster war es tatsächlich aber so, dass der bayerische Verfassungsschutz beim Thüringer interveniert hat, und dieser Brandt weitere Aktivitäten untersagt hat. Zuvor sei aber auffallend gewesen, dass es nach dem Auftauchen von Tino Brandt im Raum Coburg aktionistischer geworden war: „Unsere rechte Szene war vorher nicht sehr auffällig.“

Von einer engere Zusammenarbeit zwischen dem von Brandt aufgebauten „Thüringer Heimatschutz“ und dem ebenfalls von Brandt mitinitiierten „Fränkischen Heimatschutz“ wollte Kellner indes nichts wissen. Vielmehr sei es so, dass man sich gegenseitig an Veranstaltungen beteiligt habe, mehr aber auch nicht, erzählte der Polizist dem Untersuchungsausschuss.

Harmlose Coburger Nazis!?

Weniger Kontakt habe Kellner zu Dalek gehabt, der in der Region die „Füße still gehalten“ haben soll. Seine neonazistische Gesinnung wäre der Polizei aber bekannt gewesen. Über die V-Mann-Tätigkeiten von Tino Brandt für das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz und von Kai Dalek für das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz habe man nicht gewusst. „Die Polizei fragt nicht nach Namen von V-Leuten und der Verfassungsschutz würde wohl auch keine nennen“, fasste Kellner zusammen. Dennoch hätte eine gute Zusammenarbeit stattgefunden, die allerdings keine Gespräche zu Kai Dalek umfasst hätten.

Im Laufe der Zeit habe es außerdem zwei Ermittlungsverfahren gegen Tino Brandt gegeben, die beide eingestellt worden sind. Einmal soll Brandt eine Fahne mit Siegrunen gut sichtbar ans Fenster gehängt haben, ein anderes Mal habe er Bücher bekommen, die Anleitung zum Bombenbau beinhalteten. Brandt hatte angegeben, dass es sich um eine Fehlbestellung gehandelt habe. Ob der Verfassungsschutz bei den Ermittlungsverfahren eingeschritten sei, könne Kellner für sich ausschließen.

Seine Aussage beendete er dann mit einem Fazit, das bei Experten für Kopfschütteln gesorgt hat: „Die Coburger Szene ist an sich nicht als gewaltbereit einzustufen.“