Protokoll 71. Verhandlungstag – 20. Dezember 2013

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Die für den heutigen Verhandlungstag vorgesehene Videovernehmung der Zeugin Charlotte E. wurde schon kurz nach ihrem Beginn beendet, weil die Zeugin offensichtlich nicht vernehmungsfähig war. Zum Abschluss des kurzen Verhandlungstages gab es noch Stellungnahmen zu den Beweisanträgen vom 70. Verhandlungstag, dann ging der Prozess in die kurze Winterpause.

Zeugin:
Charlotte E. (Nachbarin von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos in der Zwickauer )

Der Verhandlungstag beginnt um 9.50 Uhr. Für heute steht die Videovernehmung der Zeugin Charlotte E., der 91 Jahre alten ehemaligen Nachbarin Zschäpes in der Zwickauer Frühlingsstraße, an. E. lebt in einem Pflegeheim in . Nach der Präsenzfeststellung erläutert Richter Götzl das Prozedere. Er sagt, an den beiden Leinwänden im Saal werde das Bild aus Zwickau gezeigt. Sodann würden Frau E. die Prozessbeteiligten vorgestellt und dann den Prozessbeteiligten die Anwesenden im Raum in Zwickau. Ein Polizeibeamter werde im Raum in Zwickau darauf achten, dass es keine Beeinflussung der Zeugin gibt, dieser stehe im Nachgang auch selbst als Zeuge zur Verfügung. Für die jeweils Fragenden gebe es hier im Saal eine eigene Frageposition, von der aus Frau E. befragt werden könne. Das Fragerecht nach dem Senat werde diesmal in der Reihenfolge Generalbundesanwalt, Verteidigung und erst dann Nebenklage vergeben. RA Kaiser, Verteidiger des Angeklagten André E., interveniert, er sei der Meinung, dass den Nebenklagevertretern in dieser Sache kein Fragerecht zustehe. Götzl erwidert, es sei von Seiten der Nebenklagevertreter darauf hingewiesen worden, dass sie sich sehr zurückhalten würden mit Fragen, aber theoretisch könne man erst nach Stellung einer Frage entscheiden, ob sie zulässig ist. RA Kaiser beharrt auf seiner Position. Darauf fragt Götzl, ob denn nun genau jetzt der richtige Zeitpunkt sei, diese Frage grundsätzlich anzugehen. Die Zeugin warte bereits und es sei gestern Gelegenheit gewesen, das zu klären, so Götzl. Kaiser verzichtet darauf, das jetzt klären zu lassen.

Dann ist auf den Leinwänden die Zeugin E. zu sehen. Man sieht sie an einem Tisch sitzen, offenbar in einem Aufenthaltsraum. An dem Tisch sitzen außer ihr zwei Frauen und ein Mann. Götzl stellt sich vor und fragt Frau E., ob sie ihn sehe. Frau E. antwortet nicht. Erst nachdem die ihr gegenüber sitzende Frau die Frage wiederholt, bejaht sie die Frage. Götzl fragt Frau E., ob sie ihn verstehe, was E. ebenfalls bejaht. Dann fragt Götzl E., wie es ihr gehe. Frau E. sagt, es gehe ihr nicht so gut, sie bejaht aber die Frage, ob man die Vernehmung durchführen könne. Götzl erläutert E., was und wen sie auf ihrem Bildschirm zu sehen bekomme und fragt dann, ob sie die Bilder erkennen könne. Frau E. bejaht die Frage erneut nur nach Wiederholung der Frage durch die ihr gegenüber sitzende Frau. Götzl sagt, dann werde jetzt kurz unterbrochen. Das Bild aus Zwickau wird wieder ausgeblendet. Götzl erläutert den Verfahrensbeteiligten, dass die Bilder, die aus dem Saal nach Zwickau übertragen werden durch den ganz links von ihm sitzenden Richter an einem Bildschirm kontrolliert würden, er habe nichts dagegen, wenn sich die Verteidigung oder andere Beteiligte dazu setzen würden. Zschäpes Verteidiger RA Heer sagt, es sei schon sinnvoll, wenn die Bilder für die Verteidigung sichtbar wären, ohne dass sich jemand dahin setze. Götzl sagt, der Bildschirm werde so gedreht, dass die Verteidigung aus ihrer jetzigen Position Einblick habe. Auf Frage Heers sagt Götzl, dass es aus technischen Gründen nicht möglich sei, auch die nach Zwickau übertragenen Bilder auf der Leinwand zu zeigen. Götzl sagt, wenn es weitere Fragen gebe, dann empfehle es sich das zu klären, bevor wieder in die Befragung eingestiegen werde. RA Stahl sagt, die Verteidigung Zschäpe habe nur ganz wenige Fragen, und fragt dann, ob man die nach Zwickau übertragenen Bilder während der Befragung einsehen könne. Das bejaht Götzl. Dann wird erneut nach Zwickau geschaltet. Götzl fragt E., ob sie ihn sehe. E. nickt zunächst nur leicht, dann sagt sie auf Nachfrage Götzls Ja. Dann bittet Götzl den Polizeibeamten St., der mit am Tisch sitzt, darum, die anwesenden Personen zu benennen. St. stellt sich zunächst selber vor und sagt, er sei Kriminalbeamter bei der Polizeidirektion Zwickau. Außerdem seien neben Frau E. selbst anwesend: Monika M., die Nichte Frau E.s (siehe Protokoll zum 29. Verhandlungstag), Frau Z., die Leiterin des Pflegeheims, und als Techniker Herr W. [phon.]. Der Techniker war zuvor kurz im Bild zu sehen gewesen, als er bestätigte, dass der Ton übertragen wird. Frau Z. ist die Person, die Götzls Fragen wiederholt hatte. Götzl belehrt Charlotte E. Nach der Belehrung möchte Götzl die persönlichen Daten E.s abklären. E. nennt zunächst jedoch ein falsches Alter und kann auch zuerst ihre Adresse nicht bestätigen. Götzl sagt dann, Frau E. sehe ja hier die Angeklagten, und fragt, ob E. mit den Angeklagten verwandt oder verschwägert sei. Er bekommt jedoch keine Antwort auf die Frage. Daraufhin unterbricht Götzl die Vernehmung. Nach einer Pause geht es um 10.20 Uhr weiter. Dann sagt Götzl, es hätten ja alle gesehen, es mache wohl keinen Sinn, diese Vernehmung fortzusetzen. Für die Bundesanwaltschaft nimmt StA Schmidt Stellung und sagt, eine Vernehmungsfähigkeit der Zeugin sei heute nicht gegeben, aber wohl auch dauerhaft nicht. Die BAW sehe auch keinen Grund für eine kommissarische Vernehmung der Zeugin. Aus Sicht der BAW solle es zu einer Verlesung des Protokolls über die Zeugenvernehmung kommen. RA Stahl sagt, auch die Verteidigung Zschäpe meine, dass man die Vernehmung heute nicht fortzusetzen brauche. Sie sei aber nicht der Auffassung, dass hier eine optimale Vernehmungssituation geschaffen worden sei. Diese Videovernehmung sei für eine Dame diesen Alters eine ganz ungewöhnliche Situation, mit der sie kaum umgehen könne. Auch er selbst habe sich hier sehr unsicher gefühlt und Frau E. werde das deutlich intensiver erfahren haben. Die Verteidigung Zschäpe meine, dass diese Vernehmungsform schlicht die falsche sei. Nebenklagevertreter RA Reinecke sagt, eine weitere Vernehmung verbiete sich: „Was wir heute gesehen haben, war ein Ansatz zur Körperverletzung und eine massive Verletzung des Persönlichkeitsrechts.“ Die Aufklärungspflicht gebiete das nicht, mit dieser Zeugin sei nichts aufzuklären. In Richtung der Verteidigung Zschäpe sagt Reinecke, was sie sich denn für eine andere Vernehmung vorstelle, etwa die Vernehmung in Zwickau mit Anwesenheitsrecht in einem großen Saal. Das einzig denkbare sei doch, dass jemand vom Gericht sich mit Frau E. unterhalte, das sei aber dann keine Vernehmung mehr. Wenn die Verteidigung Zschäpe „noch etwas Anstand und Empathie“ habe, dann verzichte sie jetzt auf die Vernehmung. Die Verteidigung solle doch außerdem einen Beweisantrag stellen, um zu erläutern, was sie sich von der Zeugin erwarte. RA Stahl sagt er wolle auf die Ausführungen des „Kollegen“ antworten; dabei betont er das Wort „Kollegen“. Er sagt dann, er verbitte sich, als anstandslos bezeichnet zu werden, und bittet darum, dass Götzl entsprechend auf Reinecke einwirke. Götzl sagt in Richtung Reineckes, es gehe um die Wahrnehmungen der Zeugin und letztlich richte sich die Kritik Reineckes auch gegen den Senat. Reinecke erwidert, das sei insoweit richtig, als Frau E. vernommen werde, ohne dass ein Beweisantrag vorliege. Götzl sagt, es gelte das Mündlichkeitsprinzip, Frau E. sei auch Opfer und es gebiete sich, dass man auch die Folgen für die Opfer aufklärt, das würden sie hier so behutsam wie möglich versuchen. Außerdem verlängere Reinecke das Ganze, denn die Zeugin warte noch. Rücksicht, so Götzl, sei auch immer „etwas ganz praktisch Faktisches“. Dann wird noch einmal nach Zwickau geschaltet. Götzl bedankt sich bei Frau E. und den anderen Personen in Zwickau und beendet die Vernehmung.

Danach nimmt für die Bundesanwaltschaft OStAin Greger zu Beweisanträgen Stellung. Zum Antrag auf Ladung der Kriminalbeamten Wo. und La. sagt Greger, das Thema und die Tatsachen halte die BAW nicht für verfahrensrelevant, aber da die Zeugen bereits zu anderen Themen benannt seien, trete die BAW dem nicht entgegen. Die Beweis- und Beweisermittlungsanträge von RAin von der Behrens und Kollegen auf Vernehmung von RA Jauch seien abzulehnen, weil die Tatsachen, die bewiesen werden sollen, für die Entscheidung ohne Bedeutung seien. Ob der Zeuge 1998 von den Untergetauchten aufgesucht worden und von Zschäpe beauftragt worden sei, und ob er einen inhaltlich weitergehenden Auftrag nicht erhalten habe, all diese Tatsachenbehauptungen würden, so Greger, keine Relevanz für die Schuld- und Rechtsfolgenfrage haben. Denn ob die drei Untergetauchten ein ernsthaftes Interesse an einer Gestellung hatten, könne weder zu Gunsten noch zu Lasten der Angeklagten sprechen, weil sich darüber zu Gesinnung und Rollenverteilung in der terroristischen Vereinigung keine Rückschlüsse ziehen ließen. Relevant wäre das, so Greger, nur wenn es tatsächlich zu einer Gestellung gekommen wäre. Auch die Inhalte einer beabsichtigten Befragung des RA Jauch erforderten die Ladung nicht. Die Sachverhaltserforschung müsse mit Blick auf den Schuldvorwurf geboten sein, sich gleichsam aufdrängen. Das Gericht müsse nicht jeder entfernten Möglichkeit auf einen potenziellen Erkenntnisgewinn nachgehen. Die Antragsteller, so Greger, würden sich in Spekulationen verlieren, etwa bezüglich eines Verrechnungsschecks. Entsprechendes gelte auch für „Hypothesen“ zu , diese würden nur aus Kennverhältnissen und gemeinsam geteilter Ideologie abgeleitet. Greger schließt, dass der Senat sich zu der beantragten Aufklärung nicht gedrängt sehen müsse.

Nebenklagevertreter RA Kienzle schließt sich für die Nebenklage Yozgat dem Antrag von RA Hoffmann an.

RA Stahl sagt, er wolle zwei Anmerkungen anlässlich der Ausführungen der BAW machen. Was die denkbare Vernehmung von RA Jauch angehe, teile die Verteidigung Zschäpe die Einschätzung, der Bedeutungslosigkeit nicht ganz. Denn die These, die die BAW in der Anklageschrift aufgestellt habe, sei ja, dass die drei Personen abgetaucht seien, um eine terroristische Vereinigung zu gründen. Es spiele schon eine Rolle, ob es Bestrebungen gab, in die Legalität zurückzukehren. Unklar sei aber, ob es überhaupt die rechtliche Möglichkeit gebe, Jauch zu vernehmen. OStAin Greger widerspricht. Die Anklage gehe nicht davon aus, dass das Abtauchen mit dem Ziel der Gründung einer terroristischen Vereinigung erfolgt sei, sondern dass die terroristische Vereinigung später gebildet worden sei. RAin von der Behrens sagt, die Nebenklage gehe davon aus, dass das Untertauchen erfolgt sei, nachdem der Entschluss gefasst worden sei, eine terroristische Vereinigung zu gründen. In der „Pseudobeauftragung“ von RA Jauch sei lediglich eine Beruhigung der Familie Böhnhardt zu sehen, kein ernsthafter Versuch zurückzukehren, so von der Behrens.

RA Behnke sagt, er habe ggf. eine Beweisanregung und fragt, ob der Senat plane, Anneliese Ap., die Großmutter von Zschäpe, zu laden. Götzl sagt, er werde das nicht mit Behnke diskutieren, Behnke solle eine Beweisanregung machen. Behnke sagt, er rege an, Anneliese Ap. zu laden zur Persönlichkeitsentwicklung der Angeklagten, zur Frage inwieweit das Trio Kontakt zur Großmutter gehabt habe und zur dort stattgefundenen Kommunikation.

Der Verhandlungstag endet um 10.39 Uhr. Weiter geht es am 8. Januar 2014 um 10.30 Uhr.

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