Protokoll 73. Verhandlungstag – 14. Januar 2014

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Am 73. Verhandlungstag berichtete zunächst ein Kriminalbeamter aus Zwickau von den Gegenständen und Kleidung, die bei ihrer Festnahme bei sich trug. Darunter fanden sich auch mehrere Bahn-Tickets. Anschließend wurde die Zeugin Sandy N. vernommen, die in Zwickau von einer Frau angesprochen wurde und für diese eine Prepaid-Karte registrierte, wofür sie Geld bekam. Ein Sachverständiger sagte zu den Verletzungen von Süleyman Taşköprü aus. Die Bundesanwaltschaft trat dem Antrag von Nebenklage-Anwalt Hoffmann von letzter Woche entgegen, außerdem gab diesen noch eine Erklärung zur Vernehmung des Ehepaars Sch. ab, die in der letzten Woche abgeschlossen wurde.

Zeug_innen und Sachverständige:

  • Kriminalbeamter Bernhard Vo., Polizeidirektion Südwestsachsen Zwickau, Auswertung von Gegenständen, die Zschäpe bei Festnahme bei sich hatte
  • Sandy N. (registrierte eine Prepaid-Karte, mutmaßlich für Zschäpe)
  • Dr. Erwin Koops (Sachverständiger, führte die Obduktion von Süleyman Taşköprü durch)

Der Verhandlungstag beginnt um 9.49 Uhr. Erster Zeuge ist der Kriminalbeamte Vo. von der Polizeidirektion Südwestsachsen aus Zwickau. Vo. berichtet, dass er am 8. November 2011, dem Tag an dem Beate Zschäpe in der Polizeiinspektion Jena festgenommen wurde, den Auftrag gehabt habe mit mehreren Kollegen nach Jena zu fahren, wo Zschäpe einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen und dann nach Zwickau überführt werden sollte. In diesem Rahmen habe er die Aufgabe übernommen, Bekleidung und Gegenständen, die bei Zschäpe sicher gestellt worden seien, zu fotografieren und wegen möglicher Spuren von Brandbeschleunigern gasdicht zu verpacken. Er habe in Jena mit einer Kollegin aus Gotha Rücksprache gehalten, diese Kollegin habe ihm Bekleidungsgegenstände von Zschäpe einzeln verpackt in blaue Müllsäcke gegeben. Des weiteren habe er eine Geldbörse mit Münzgeld und eine gefüllte Handtasche mit einer Strumpfhose und einer Vielzahl von Gebrauchsgegenständen und Papierstücken übernommen. Im Anschluss habe er dann in einem kriminaltechnischen Laborraum die Fotografie und gasdichte Verpackung der Gegenstände vorgenommen. Zunächst habe er sich um die Bekleidung gekümmert, habe die Gegenstände jeweils einzeln aus der Spurenverpackung entnommen, dann fotografiert und schließlich gasdicht in Brandasservatenbeutel verpackt. Dann habe er mit der Geldbörse und dem Münzgeld weiter gemacht. Bei der Handtasche und den darin befindlichen Gegenständen habe er in Jena lediglich Übersichtaufnahmen angefertigt. Die Einzeldokumentation sei dann in Zwickau vorgenommen worden, weil inzwischen die „Rückverlegung“ Zschäpes angestanden habe. Die gasdicht verpackten Bekleidungsgegenstände habe er am selben Tag an den Kollegen Le. (siehe Protokoll zum 15., 24., 25. und 38. Verhandlungstag) weiter geleitet, die übrigen Sachen seien zum zuständigen Sachbearbeiter gegangen.

Auf Frage des Vorsitzenden Richters Götzl sagt Vo., er habe Zschäpe in Jena einmal gesehen, kurz vor der Rückverlegung, habe aber nicht mit ihr gesprochen und könne auch nichts zu ihrem Verhalten sagen. Dann geht Vo. auf Bitten Götzls nach vorne, um die einzelnen Fotos seiner Dokumentation zu erläutern. Vo. stellt fest, dass es sich bei den zu zeigenden Fotos aus der Akte um schwarz-weiße Kopien handele. Dann werden die Bilder von den Bekleidungsstücken, die Zschäpe bei ihrer Stellung bei der Polizei trug, gezeigt: eine braune Jacke, ein Etikett an der Krageninnenseite der Jacke, ein schwarzer Fleece-Pullover, Schuhe und das Sohlenprofil der Schuhe. Die Schuhe seien rot, so Vo. Dann folgen Bilder einer, so Vo., schwarzen Hose. Bild 15 zeige, so Vo., dann eine Socke. Die sei aufgefallen, weil sie sehr unangenehm gerochen habe: „Das kann man hier nicht darstellen, aber das war so.“ Er habe das damit assoziiert, dass die Socke länger getragen worden sei. Die nächsten Bilder zeigten, so Vo., einen schwarzen Slip, dass das Etikett am Hosenbund des Slips abgetrennt worden sei, und den BH. Bild 20 zeige die Müllsäcke, in der die größeren Bekleidungsgegenstände gesteckt hätten: „Habe ich einfach mal mit fotografiert.“ Auf Bild 30 sieht man die Geldbörse, er habe das Münzgeld heraus genommen und fotografiert. Götzl fragt, wieviel Geld in der Börse gewesen sei. Es seien keine 15 Euro gewesen, so Vo. Götzl hält aus dem Vermerk vor, dass es 12,23 Euro gewesen seien. Es folgen Aufnahmen der Handtasche mit den darin befindlichen Gegenständen. In der Mitte der ersten Aufnahme sehe man eine Strumpfhose, die er dann auch gasdicht verpackt habe. Nach den Teilübersichten der Gegenstände aus der Handtasche folgen die Gegenstände im Einzelnen. Die ersten Aufnahmen zeigen eine Armbanduhr der Marke „Fossil“ von beiden Seiten und in Vergrößerung. Sie zeige die Uhrzeit 8.07 Uhr oder 20.07 Uhr an, so Vo. Es folgt ein Kugelschreiber, dessen einer Teil, wenn er sich recht erinnere, rot gewesen sei, die anderen silberfarben und schwarz; das Griffstück habe ein Herzmotiv gehabt. Dann ist ein Pappstück aus einer Tablettenpackung Ibuprofen 600 zu sehen. Auf der Aufnahme von der Rückseite sehe man eine Notiz, sagt Vo. Es handelt sich um eine Ziffernfolge, die Vo. verliest und mit 03641 beginnt [Telefonvorwahl von Jena]. Die nächste Aufnahme zeigt Tablettenblister Ibuprofen sowie den Beipackzettel. Götzl fragt, ob alle Tabletten vorhanden gewesen seien. Da müsse er nochmal gucken, so Vo. Dann sagt er, eine Tablette scheine raus gewesen zu sein, das sehe man auch, wenn man sich die Aufnahme der Rückseite anschaue. Auf den folgenden Bildern sieht man Tampons, eine Tampon-Packung der Marke „Jessa“. Beim nächsten gezeigten Gegenstand wisse er nicht, um was es sich handelt, es sei ein transparenter „Festkörper aus Kunststoff“, vielleicht ein Gefäßdeckel. Dann sieht man Aufnahmen von ausgebreiteten Kaugummipapier sowie von Kaugummistücken, von denen eines in Silberpapier verpackt gewesen sei. Bild 61 zeigt ein befüllte Zigarettenschachtel, es handele sich um die Marke „Power Gold“. Die Zigaretten in der Schachtel, habe er „einfach mal raus genommen“ und fotografiert, so Vo. Es handele sich um vier Zigaretten „Power Gold“ und um eine Zigarette, deren Marke „Stevenson“ sein könne. Bild 64 zeigt vier Feuerzeuge. Diese habe er ausprobiert, so Vo., und es müssten alle gegangen sein. Es folgt ein Bild eines Deosprays. Er vermute, so Vo., dass der gefundene Deckel dazu gehöre, deswegen habe er ihn bei der Aufnahme dazu gelegt. Bild 68 zeige Haargummis, Bild 69 ein Pfefferspray. Für Bild 70 habe er die Spraydose „einfach mal wieder rumgedreht“. Das Pfefferspray habe er nicht ausprobiert. Die nächsten Aufnahmen zeigen ein Papiertaschentuch. Im Papiertaschentuch sei, so Vo., irgendetwas drin gewesen, man sehe das aber wegen der Schwarzweißbilder nicht. Es folgen Aufnahmen von Taschentuchpackungen der Marke „Solo Talent“ und „TaTü“. Bild 79 zeige eine Telefonkarte, so Vo. Auf Bild 81 ist eine Visitenkarte des Jenaer Rechtsanwalts Liebtrau zu sehen. Die nächsten Aufnahmen zeigen einen kartenförmigen Jahresübersichtskalender, der Werbeaufdrucke der Firma „TUI Reise Center Ullmann“ trägt. Es folgt ein Sevicepass der Firma „RadMaxx“. Vo. verliest die Eintragungen auf der Rückseite. Dort ist der Name „Susann Eminger“ zu lesen und eine Adresse in der Dortmunder Straße in Zwickau. Bei Fabrikat steht „Koonga“, beim Typ „MTB“, dies stehe für „Mountainbike“, so Vo. In der letzten Zeile folge eine Individualnummer. Bild 87 zeigt einen Notizblockzettel mit Ziffern drauf. Die obere Zahl könne er nicht komplett lesen, dort stehe als hintere Zahl eine 50. Bei der untere Ziffer stehe 17.10. Es folgt ein „Schönes Wochenende“-Ticket vom 6.11.11, das, so Vo., eine Unterschrift „Susann Eminger“ trage und dreimal gestempelt sei. Bild 90 zeigt die Rückseite des Tickets, die dort zu sehenden Nummern seien, so Vo., seiner Vermutung nach eine fortlaufende Nummerierung. Bild 90 zeige, so Vo. eine weitere Fahrkarte von Weimar nach Halle vom 7.11.11. Nach der Aufnahme von der Rückseite dieser Fahrkarte ist ein Bild von einer Fahrplanauskunft von Dresden nach Chemnitz zu sehen. Sie trage das Datum 8.11.11, so Vo. Außerdem sei dort „02:12“ [?] vermerkt, das sei vielleicht eine Uhrzeit. Es folgt eine Aufnahme eines Zettels, der ursprünglich zusammen geknüllt gewesen sei. Dort stehe „Sidewalk Express“ und ein Preis, der 2,60 Euro oder 2,00 Euro betragen haben könne. Außerdem stehe dort „Burger King Leipzig“. Auf dem Zettel sei „Oma“ und eine Ziffernfolge notiert. Die letzten Bilder zeigen die Brille Zschäpes aus verschiedenen Perspektiven und in Vergrößerung. Die Brille sei in seiner Ausgangsdokumentation in Jena nicht dabei gewesen, so Vo., sondern bei der ED-Behandlung und sei ihm dann übergeben worden.

Zschäpes Verteidiger RA Heer fragt, ob sich Vo. überzeugt habe, ob auf der Armbanduhr Datum und Uhrzeit korrekt eingestellt waren. Das wisse er jetzt nicht, so Vo. Die Einzeldokumentation der Gegenstände aus der Handtasche sei abends gewesen. Er wisse nicht, ob es 8.07 Uhr oder 20.07 gewesen sei. Heer sagt, es gehe um das Datum. Das Datum sei der 8.11. gewesen, so Vo. Die fotografische Dokumentation habe er noch am 8. November 2011 vorgenommen, den Vermerk habe er aber erst am 9. November geschrieben, so Vo. auf Frage Heers. Heer fragt, ob Vo. sagen könne, warum ausweislich seines Vermerks einzelne Asservate in Müllsäcken und andere in Spurentüten gewesen seien. Das wisse er nicht, so Vo., er habe das so übernommen. Auf Nachfrage sagt Vo., Müllsäcke seien nicht gasdicht, deswegen habe er die Gegenstände umverpackt. Heer fragt, was „Brandschutttüten“ seien. Das seien „Brandasservatenbeutel“, die er selber mit gebracht habe nach Jena. Das seien viereckige Tüten aus Kunststoff, die rings herum versiegelt seien und die man aufschneiden müsse; richtig hießen die eigentlich „Siegelrandbeutel“. Die Seite, die man dann aufgeschnitten habe, die klebe man zu mit aluminiumbeschichtetem Spezialklebeband. Man probiere dann, ob die Verpackung luftdicht ist, das habe er auch hier getan und es sei der Fall gewesen. RAin Sturm fragt, ob Vo. die Kleidungsstücke dann aus dem Müllsäcken genommen habe, was der bestätigt. Auf Nachfrage sagt er, er habe die Gegenstände dann auf einen „Abzugstisch“ fotografiert. Es sei immer ein Papierboden unter den Gegenständen gewesen, das Papier habe er immer gewechselt. Sturm fragt, ob die Reihenfolge der hier gezeigten Bilder der Reihenfolge der Anfertigung der Fotografien entspreche. Vo. sagt, das könne er nicht mehr mit hinreichender Bestimmtheit sagen. Die Vernehmung endet um 10.41 Uhr.

Auf Frage nach Stellungnahmen sagt Nebenklagevertreter RA , er wolle später noch zur Aussage von Alexander Sch. am 72. Verhandlungstag Stellung nehmen. Bundesanwalt Diemer sagt, die BAW wolle zum Beweisantrag Hoffmanns vom 72. Verhandlungstag Stellung nehmen. Der zugrunde liegende Sachverhalt sei der BAW bekannt und diese ginge dem auch im Rahmen der Ermittlungsverfahren nach. Die ausführliche Stellungnahme folge jetzt durch Staatsanwalt Schmidt. Schmidt sagt, der Beweisantrag sei abzulehnen, weil er bereits unzulässig sei. Außerdem sei die Beweiserhebung im Rahmen des Ermessens des Gerichts nicht erforderlich. Unzulässig sei der Antrag, weil er sich nicht auf das die Nebenklägerin, die Hoffmann vertritt, zum Anschluss berechtigende Delikt, den Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße, beziehe. Die beantragte Beweiserhebung stehe mit dem fraglichen Delikt in keinem „auch nur mittelbaren Zusammenhang“. Vielmehr sei der Antragsteller offenkundig um die Aufklärung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten bemüht. In Bezug auf den Wohlleben gemachten Vorwurf sei aber keine Nebenklageberechtigung der Nebenklägerin gegeben. Eine mögliche weitergehende strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten Wohlleben sei nicht Gegenstand dieses Hauptverfahrens. Soweit der Antragsteller der Ansicht sei, die beantragte Beweiserhebung sei für die Strafzumessung beim Angeklagten Wohlleben oder zur Ermittlung der Strukturen der terroristischen Vereinigung NSU erheblich, sei der Antrag unzulässig, weil Erwägungen zur Strafzumessung der prozessualen Beteiligung eines Nebenklägers entzogen seien und auch der Verdacht eines Organisationsdeliktes nicht zur Nebenklage berechtige. Außerdem sei die Vernehmung des Zeugen Sz. für die Sachaufklärung nicht notwendig. Die Ladung eines Zeugen aus dem Ausland könne abgelehnt werden, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelange, dass durch die Einvernahme eine weiterführende oder bessere Sachaufklärung nicht zu erwarten ist. Die beantragte Beweiserhebung zu dem Umstand, dass der Angeklagte Wohlleben zwischen November 2003 und Februar 2004 ein Gerät zur Überwindung einer Wegfahrsperre gegen Aushändigung eines Revolvers erhalten habe, sei, soweit überhaupt beweisbar, nicht erforderlich. Die Annahme des Antragstellers, dass das Gerät zur Überwindung von Wegfahrsperren einen Bezug zu Taten des NSU aufweisen könne, sei nicht durch konkrete Tatsachen belegt. Der Zeuge Sz. könne dies auch nicht wissen. Der behauptete Tausch gegen einen Revolver sei für die Beurteilung der Frage, ob Wohlleben den Mitgliedern des NSU bei anderen Gelegenheiten Schusswaffen besorgt habe, ohne Bedeutung, da daraus keine entscheidungstragenden Schlüsse gezogen werden könnten. Auch für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit oder zur Untermauerung der Aussagen des Angeklagten Carsten S. zur Übergabe der Pistole Ceska habe die beantragte Beweiserhebung keine Bedeutung. Andere relevante Umstände seien in dem Antrag nicht genannt. Insbesondere lasse der behauptete Tausch auch nicht den für die Strafzumessung möglicherweise relevanten Schluss zu, dass Wohlleben weitere, bislang nicht bekannte Unterstützungshandlungen für den NSU vorgenommen hat.

RA Hoffmann erwidert, er wolle gerne ausführlicher dazu Stellung nehmen. Nur kurz sei ihm erlaubt zu sagen, dass die Behauptung, der Beweisantrag sei unzulässig, weil er eine Nebenklägerin aus der Keupstraße vertrete, absurd sei. Der Beweisantrag ziele darauf, die Struktur der Vereinigung zu klären, zu klären ob Wohlleben noch Jahre nach Beschaffung der Tatwaffe Waffen hatte, um mit diesen bezahlen zu können, und er ziele auf die Tatsache, dass Wohlleben Diebstahlswerkzeug habe besorgen wollen für genau die Fahrzeuge, die vom NSU benutzt worden seien. Die Bundesanwaltschaft, so Hoffmann, versuche über die Anklage hinausgehendes Wissen über die Struktur des NSU und weitere Aufklärung zu verhindern. Ein Ergebnis der Beweisaufnahme könne sein, dass Wohlleben hier weitergehend zu verurteilen sei. Nebenklagevertreter RA Narin schließt sich dem Beweisantrag Hoffmanns an.

Nach einer Pause bis 11.20 Uhr folgt die Zeugin Sandy N., 25 Jahre, aus Zwickau. Sie berichtet, sie habe zuerst gar nicht gewusst, worum es geht, aber dann habe man ihr erzählt, dass sie Prepaid-Handy gekauft habe. Sie sei früher drogenabhängig gewesen und sei mit Freunden in der Stadt gewesen, um Geld zu machen. Da habe sie eine Frau angesprochen und gesagt, deren Nichte wünsche sich ein Handy, sie habe aber ihren Ausweis vergessen. Die Frau habe dann gefragt, ob sie, N., das holen könne. Sie habe sich dabei nichts gedacht, weil es ja Prepaid gewesen sei und kein Vertrag. Die Frau habe ihr 30 oder 40 Euro dafür gegeben, deswegen habe sie das gemacht: „Und das war's.“ Götzl fragt, wann das gewesen sei. N. sagt, sie glaube, ihr sei 2006 oder 2008 gesagt worden. Sie meine, sie sei mit ihrem Freund in der Stadt gewesen, so N. auf Frage, es könne aber auch jemand anderes gewesen sein. Sie denke, so N. weiter, schon, dass er es gewesen sei. Er könne sich aber auch nicht erinnern, er habe weg vom Laden gestanden. Der Laden sei ein D1-Laden in der Plauenschen Straße in Zwickau gewesen, schräg gegenüber vom „New Yorker“. Angesprochen habe sie die Frau direkt vor dem „New Yorker“. Die Frau habe einen Beutel dabei gehabt mit verpackten Geschenken, deswegen sei das auch glaubwürdig gewesen. Götzl fragt, ob N. denn Bedenken gehabt habe. N. sagt, sie habe gedacht, was will man mit einer Prepaid-Karte machen. Sie habe ihre Daten dem Mann im Laden gegeben, mittlerweile wisse sie, dass das auf ihren Namen lief. Die Frau sei schlank gewesen, Mitte bis Ende 20, habe schwarze Haare und einen Dutt gehabt und eine Brille getragen. Die Frau sei ein bisschen größer gewesen als sie selbst. Ihr seien Fotos gezeigt worden, und sie sei sich ziemlich sicher, „dass sie [Zschäpe] es nicht war, weil sie ist ja genauso groß wie ich.“ Götzl fragt, wie der Kauf abgelaufen sei. N. sagt, sie sie mit der Frau in den Laden gegangen und die Frau sei zum Verkäufer gegangen. Der Verkäufer habe Bescheid gewusst, das Handy sei schon weg gelegt gewesen. Sie habe dem Verkäufer ihren Ausweis gegeben. Die Frau habe bezahlt und das Handy bekommen. Gemeinsam seien sie dann raus gegangen und die Frau habe ihr das Geld gegeben. Ihr Freund sei nicht mit im Laden gewesen, der habe zwei, drei Läden entfernt gestanden, so N. auf Nachfrage. Das Handy sei ein ganz einfaches Modell gewesen, sie habe es aber gar nicht in der Hand gehabt. Der Zeugin wird aus den Akten ein Vertrag vorgelegt. N.: „Ja, das wird der Vertrag sein.“ Das sei ihre Unterschrift, wobei die auch auch sehr einfach sei. Aber es sei in dem Handyladen gewesen und es seien ihre Unterschrift und ihre Daten. Sie habe ihren Ausweis auch nie verloren, von daher könne auch keiner an ihre Daten gekommen sein. Götzl sagt, der Vertrag sei am 10.2.2010 ausgestellt worden, N. habe eben aber von 2006 oder 2008 gesprochen. Sie habe gedacht, so N., dass das länger her sei. Seit 2009 sei sie in Ausbildung gewesen, deswegen könne das nicht sein. Sie erinnere sich nicht an die Rufnummer. Auch nachdem Götzl eine Nummer mit der Vorwahl 0151 vorhält, sagt N., sie könne sich nicht erinnern. Götzl hält dann aus einer Vernehmung vom 16. März 2012 vor, dass sie bei der Vorlage des Vertrages von 2010 gesagt habe, sie erinnere sich daran ganz genau. N. sagt, sie sei eigentlich der Meinung gewesen, dass die ihr etwas von 2006 oder 2008 gesagt hätten: „Was soll ich dazu sagen?“ Götzl sagt, hier habe N. von 2006 oder 2008 gesprochen. N. sagt, sie habe ja gar nicht mehr gewusst, wann das war, die hätten ihr dort das Jahr und ein Datum gesagt. Auf Frage von Götzl sagt N., sie habe ihre Geldbörse mal in einem Laden liegen lassen, die Verkäuferin habe die Geldbörse aber gleich weggelegt und ihr wieder gegeben. Sie sei aber definitiv von einer Frau angesprochen worden und sei dann mit der in den Laden, es sei ihre Unterschrift, und wenn da 2010 stehe, sei das so. Der Verlust ihrer Geldbörse müsse 2009 gewesen sei, so N. auf Nachfrage. Götzl fragt, wie das Ereignis zeitlich zu dem Ereignis mit der Karte einzuordnen sei. Sie habe sich das nicht gemerkt, weil ihr das Portemonnaie gleich wieder gegeben worden sei. Götzl hält vor, sie habe angegeben, da habe sie Bafög bekommen, das sei im Herbst 2010 gewesen. Sie sei von 2009 bis 2012 in Ausbildung gewesen, so N., und das sei in den ersten beiden Jahren gewesen. Wie die beiden Ereignisse zeitlich zueinander stehen, wisse sie nicht mehr. Götzl hält vor, in ihrer Vernehmung habe N. davon gesprochen, dass sie 20 Euro von der Frau bekommen habe. N. antwortet, sie habe keine Ahnung. Sie habe an dem Tag auch nicht so nachgedacht darüber: „Alle haben auf mich eingeredet, keine Ahnung.“ Die Frau sei größer gewesen als sie, so N. auf Frage, sie selbst sei 1,68 m groß. Die Frau sei vielleicht 1,75 m groß gewesen, habe aber auch hohe Schuhe an gehabt, es habe „auf jeden Fall gestöckelt“. Bei der Vernehmung habe die Polizei eine CD eingelegt und ihr etliche Bilder gezeigt, das sei eine Weile gegangen. Götzl fragt, ob ihr nur einmal Fotos vorgelegt worden seien. N. antwortet, in der Weise, am Computer, seien ihr nur einmal Bilder gezeigt worden. Sie sei vielleicht zweimal vernommen worden und beim zweiten Mal seien vielleicht Bilder vorgelegt worden. Götzl sagt, sie sei am 6. November 2011 und am 16. März 2012 vernommen worden, beide Male seien ihr Lichtbilder gezeigt worden. Er hält vor, sie sei am 6.11.11 gefragt worden, ob sie eine Frau mit dem Spitznamen „Lise“ kenne. N. verneint das. Götzl sagt, das stehe auch in der Vernehmung und weiter heiße es da, dass N. Lichtbilder gezeigt worden seien. Es seien ihr Fotos von Männern gezeigt worden, so N., aber Bilder von Frauen nur am Computer. Sie habe niemanden auf den ganzen Fotos gekannt: „Sie [Zschäpe] halt aus den Meiden, aber sonst auch nicht.“ Auf die Frage, ob sie bei einer weiteren Vorlage jemanden erkannt habe, sagt N. sie habe damit nichts zu tun, sie kenne die nicht. Bei einer habe sie eine Ähnlichkeit gesehen, da habe der Beamte aber gesagt, die sehe einer ähnlich, das kenne er. Dann werden der Zeugin einzelne Lichtbilder von Frauen vorgelegt. Bei allen sagt N., sie kenne die Person nicht, nur beim Bild Nummer 7 sagt sie, das sei die Frau, die einer ähnlich sehe. Dann wird N. ein Bild von einem Handy vorgelegt. Das könne das Handy gewesen sein, so N., sie habe aber keine Ahnung, sie habe das Handy nicht in der Hand gehabt. Götzl sagt, sie sei am 6. November 2011, am 16. März 2012 und am 26. März 2012 vernommen worden, bei der letzten habe es diese Wahllichtbildvorlage gegeben und da habe sie ausgesagt, dass sie sich nicht sicher sei, die Frau wieder zu erkennen, am ehesten sei es Bild 6 gewesen, sie würde die Frau aber auch in natura nicht wieder erkennen. N. bestätigt das. Heute habe sie aber von der Nummer 7 gesprochen, so Götzl. N. verneint das, das sei nur die Frau, die einer anderen ähnlich sieht. Aus dem Senat wird N. gefragt, ob es in N.s Leben mehrfach vorgekommen sei, dass sie ihre Daten für Handys verkauft habe. Das sie ein Prepaid-Handy gekauft habe sei nur einmal vorgekommen, sie habe aber Handyverträge gemacht, um die dann zu verkaufen, die SIM-Karten habe sie aber immer vor dem Laden kaputt gemacht. Aus der Nebenklage wird N. gefragt, ob ihr an der Sprache der Frau etwas aufgefallen sei. Die Frau sei sympathisch gewesen, so N., und die Geschichte glaubhaft. Zu einem möglichen Dialekt befragt, sagt N., sie denke, dass die Frau aus der Gegend Zwickau komme, sie habe gesprochen wie selbst, nicht auffallend anders. RA Reinecke sagt, die Abwicklung des Kaufs der Karte sei schnell gegangen und fragt, ob der Kauf vorbereitet gewesen sei. Die Frau sei, so N., wohl vorher schon im Laden drin gewesen und sei aus dem Laden gekommen. Es habe ein Verkäufer da gestanden, den habe die Frau angesprochen und der habe dann etwas aus der Theke geholt. RA Heer fragt, wie viele Verträge N. denn gemacht habe, eben habe sie gesagt, sie habe nur einmal ein Prepaid-Handy gekauft. Sie habe das drei- oder viermal gemacht, habe die Karten immer kaputt gemacht, da sei es um die Handys gegangen. Heer fragt nach dem Ablauf der Vernehmung. Die Polizei habe vor der Tür gestanden, so N., und sie habe zuerst gedacht, es gehe um ihren Verlobten, der sei nämlich erstochen worden. Dann hätten sie gesagt, es gehe um die Sache mit dem Wohnmobil, das habe sie schon im Fernsehen gesehen. Es sei dann um die SIM-Karte gegangen und um eine Beschreibung der Frau. Dann hätten „die“ ihr Bilder gezeigt. Heer fragt, was N. mit „die“ meine. Das seien zwei Beamte gewesen. Die Geschichte mit dem Portemonnaie habe sie nicht mehr gewusst, das habe ihr ihre Mutter gesagt. Heer fragt, ob die Beamten abwechselnd mit N. gesprochen habe. N.: „Denke schon, die waren eigentlich nett.“ Eben habe sie aber gesagt, alle hätten auf sie eingeredet. N. sagt, das sie vielleicht vielleicht falsch formuliert, die Beamten hätten Pausen gelassen und ihr Zeit gelassen; sie hätten sie nicht verdächtigt. Heer fragt nach dem Betäubungsmittelkonsum von N. Diese sagt, sie sei seit zehn Jahren heroinabhängig und seit 5 Jahren im Methadonprogramm. Heer fragt, ob sie demnach seit fünf Jahren kein Heroin mehr konsumiert habe. Richter Götzl belehrt die Zeugin nach § 55 StPO. N. sagt, dann verweigere sie die Aussage. Heer sagt, er glaube nicht, dass die Belehrung verständlich gewesen sei, das sei ja doch ein etwas längerer Satz gewesen. N. sagt, sie habe das verstanden: „Ich bin doch nicht bescheuert.“ Götzl belehrt die Zeugin noch einmal, dann fragt Heer N., ob sie also sei seit fünf Jahren kein Heroin konsumiert habe. N. sagt, sie habe in der Zeit Heroin konsumiert, sei noch mal rückfällig geworden. Götzl sagt, da komme man in den strafbaren Bereich: N.: „Deswegen wollte ich es nicht sagen.“ Heer fragt, ob N. in der Zeit Heroin konsumiert habe, als sie die Karte gekauft habe. Das bestätigt N. Die Vernehmung wird um 11.57 Uhr beendet. Es folgt die Mittagspause bis 13.07 Uhr.

Als nächstes wird der Sachverständige Dr. Erwin Koops gehört. Koops, pensionierter Rechtsmediziner, hat die Obduktion des Leichnams des am 27. Juni 2001 in Hamburg ermordeten Süleyman Taşköprü vorgenommen. Ihm sei, so Koops, mitgeteilt worden, dass Taşköprü gegen 11.15 Uhr von seinem Vater im gemeinsamen Obst- und Gemüsegeschäft leblos aufgefunden worden war. Der Vater habe ihn in einer Blutlache vorgefunden. Durch Rettungswagen und Notarzt seien Wiederbelebungsmaßnahmen durchgeführt worden, die gegen 12.15 Uhr abgebrochen worden seien, dann sei der Tod festgestellt worden. Beim Eintreffen des ersten Rettungswagens habe es noch letzte Lebenszeichen gegeben. Taşköprü sei beatmet worden, es sei reichlich Blut aus Nase und Mund abgesaugt worden. Von der Kripo seien zwei Patronenhülsen des Kalibers 6,35 festgestellt worden, es habe keine Hinweise für einen Kampf gegeben. Die Obduktion sei am 27. Juni 2001 bis 22 Uhr durchgeführt worden, so Koops. Vorgefunden habe er einen 31 Jahre alten, kräftigen Mann von 168 cm Körperlänge. Es habe drei Kopfsteckschussverletzungen gegeben. Erstens ein unvollständig von links nach rechts nach horizontal verlaufender Gesichtsdurchschuss mit Zertrümmerung des Gesichtsschädelknochens, Eröffnung der Kieferhöhle und Zertrümmerung des rechten Jochbeins. Gefunden worden sei ein Vollmantelgeschoss Kaliber 7,65 mm. Als Folge dieses unvollständigen Gesichtsdurchschusses habe es massive Blutung in den Gesichtsweichteilen gegeben. Es habe einen, Blutverlust nach außen aus Mund und Nase und einen erheblichen Blutverlust nach innen gegeben. Trotz Absaugung sei reichlich Blut in der Luftröhre gefunden worden. Zweitens ein Hinterhauptsteckschuss mit Einschuss in der rechten Hinterhauptsregion, dort sei eine trichterförmige Kopfhautverletzung und in der Tiefe eine Knochenverletzung des rechten Hinterhauptbeines gefunden worden. Dann sei es zu einem Durchschuss des Hirnes schräg nach links vorne gekommen, hier habe sich im linken Schläfenbein ein unvollständiger Ausbruch des Schädelknochens befunden. Das Projektil sei also von hinten rechts nach vorne links, bezogen auf die Mittellinie etwa 45 Grad von dieser abgewichen durch den Schädel gegangen. Es sei ein messingfarbenes Vollmantelgeschoss des Kalibers 6,35 mm gefunden worden. Drittens habe es einen weiteren Hinterhauptsteckschuss gegeben, der fast in der Mittellinie aufgesetzt gewesen sei, es sei ein sogenannter aufgesetzter Schuss. Es habe eine kleine Schussplatzwunde gegeben, knapp links der Mittellinie eine etwa 6-7 mm große, typische sternförmige Aufplatzung und eingesprengte Fremdmaterialbestandteile, zwei grauschwärzliche Einsprengsel. Der Schuss habe das Hirn von hinten nach vorne durchschlagen. Hier habe sich noch im Schädel ein 6,35 mm-Vollmantelgeschoss, 3 g schwer, gefunden. Als Folge dieser drei Schüsse sei es zu einer Hirnlähmung mit Zeichen zentraler, d. h. durch das Hirn ausgelöster Störungen gekommen. Dann habe es die schon eben angedeuteten Zeichen erheblichen Blutverlustes gegeben, die im Wesentlichen durch Schuss 1 verursacht worden. Neben den Schussverletzungen seinen noch geringgradige Zeichen stumpfer äußerer Gewalteinwirkung am rechten Stirnhöcker und in der Stirnmitte gefunden worden. Taşköprü habe keine vorbestehenden Organerkrankungen gehabt. Es seien noch Zeichen von Wiederbelebungsmaßnahmen gefunden worden. Hinweise auf chronischen intravenösen Drogenkonsum habe es bei Taşköprü nicht gegeben, das seien sie damals gefragt worden. Todesursächlich sei eine Hirnlähmung durch die drei Kopfsteckschüsse. Bei einer Untersuchung des Urins sei kein Alkohol festgestellt worden. Dann berichtet Koops, welche Asservate er gesichert habe. So seien für kriminalpolizeiliche Untersuchungen Hautstücke aus den Schussregionen und die drei Projektile asserviert worden. Dann fragt RA Thiel, Anwalt des Vaters des Opfers. Auf seine Frage sagt Koops, mitursächlich für den Tod sei auch die Verblutung. Es lasse sich nicht differenzieren, in welcher Reihenfolge die Kopfsteckschüsse abgegeben worden seien. Alle drei seien vital entstanden. Zur Schussentfernung habe er schon gesagt, dass der in der Mitte des Hinterhauptes gelegene Schuss aufgesetzt gewesen sei, bei den anderen beiden könne man keine Angaben zur Schussentfernung machen. Thiel sagt, es sei ja Blut im Magen gefunden worden, und fragt, ob ein Schlucken nach der Hirnlähmung noch möglich sei. Da komme man an die Frage, wann der Mensch tot sei, an sich sei das das der Fall, wenn der Hirntod eintrete, es sei aber möglich, dass einige Funktionen darüber hinaus noch weiter bestehen. Thiel fragt, ob konkret Schluckbewegungen noch möglich seien. Das hänge von der Lage des Verletzten ab, so Koops. Ein Verschlucken von Blut sei in bewusstlosem Zustand ganz schwer möglich. Taşköprü habe wohl noch einige Minuten „an der Grenze des Sterbens“ überlebt. Es sei die Frage, wann der Tod eingetreten ist. Der Totenschein weise 12.15 Uhr aus, weil der Notarzt da die Wiederbelebung aufgegeben habe, Taşköprü sei aber sicherlich schon vorher tot gewesen. RAin Wierig, Vertreterin der Schwester von Süleyman Taşköprü, fragt, ob man Rückschlüsse auf die Position von Taşköprü oder auf die Körpergröße der Täter ziehen könne. Das sei Spekulation, so Koops, es komme auf die Position und Haltung von Opfer und Schütze. Die Vernehmung endet um 13.32 Uhr.

Danach teilt Richter Götzl mit, dass der Zeuge A.-T. (siehe Protokoll zum 51. Verhandlungstag) erneut nicht erschienen sei.

Dann verliest RA Hoffmann seine angekündigte Erklärung zur Aussage von Alexander Sch. vom 72. Verhandlungstag. Die Angaben des Zeugen, so Hoffmann, seien geprägt gewesen von seinem Unwillen, frei das Erlebte und seine Erinnerung preiszugeben, von seinem Bemühen, da, wo er Nachteile befürchtete, Erinnerungslücken zu präsentieren und seiner offen nach außen getragenen Freude, die Fragen der Prozessbeteiligten da ins Leere laufen zu lassen, wo er die Möglichkeit gehabt habe, Erinnerungslücken vorzuschieben. Es sei deutlich geworden, dass der Zeuge interessiert daran sei, dass die Umstände der Übergabe der Krankenkassenkarte nicht aufgeklärt werden, ohne ausdrücklich für sich oder seine Ehefrau ein Schweigerecht reklamieren zu müssen. Weniger Probleme habe der Zeuge, abgesehen von der strafrechtlich relevanten Holocaustleugnung, bei der Darstellung seiner Ideologie und seiner Ideale in den Jahren 1996 bis mindestens 2004 gehabt. Die Antworten zu der von ihm und dem Angeklagten Holger G. in diesen Jahren vertretenen Ideologie seien klar, nachvollziehbar und glaubhaft gewesen und nach anfänglicher Verweigerung spontan und detailreich. Auch die Beschreibung des Angeklagten G. als jemanden, der ständig, auch öffentlich, ausländerfeindliche Parolen von sich gab, sei spontan und bildhaft erfolgt. Der Zeuge habe auch deutlich gemacht, dass G. ab ihrem Kennenlernen bis mindestens Ende 2004 die gleiche Ideologie verinnerlicht gehabt und nach außen hin vertreten habe wie er selbst. Die von Sch. in Bezug auf G. beschriebene allgegenwärtige aggressive Ausländerfeindlichkeit finde sich direkt in der Ideologie und den Aktionen des NSU wieder. Sich selbst und auch G. habe der Zeuge auf Nachfrage als überzeugten Rassisten bezeichnet und zugegeben, dass G. und er selbst das Ziel der Errichtung einer Gesellschaft nach Vorbild des Nationalsozialismus hatten. Es sei deutlich geworden, dass diese Formulierung auf den historischen NS und die industriell betriebene Vernichtung der Juden gezielt habe. Außerdem habe der Zeuge angegeben, dass G. ihm gesagt habe, dass er, G., Mitglied des Thüringer Heimatschutzes gewesen sei. Dagegen seien die Angaben der Eheleute Sch. zu der Übergabe der Karte an G. nicht glaubhaft, weil sie offensichtlich Widersprüche und Falschaussagen enthielten. G. habe angegeben, er habe die beiden quasi überreden müssen, ihm die Karte zu überlassen, habe beteuert, es würde „kein Scheiß“ mit der Karte gemacht, habe ihnen aber nichts Genaueres gesagt. Dagegen hätten beide Eheleute Sch. behauptet, es habe keinerlei Gespräch zur Verwendung der Karte gegeben. Alexander Sch. habe zwar an einer Stelle sehr spontan angegeben, G. habe ihm, vermutlich sei das erste Treffen nach seiner Freilassung aus der U-Haft gemeint, mitgeteilt, die Karte sei für eine ärztliche Behandlung von Beate Zschäpe benötigt worden. Dies habe er aber sofort relativiert. Die weiteren Angaben des Zeugen Alexander Sch. zur Übergabe und dem weiteren Verhalten bezüglich der Karte seien von Ungewöhnlichkeiten geprägt, die zu erheblichen Zweifeln an der Glaubhaftigkeit seiner Aussage führten. Der Zeuge habe angegeben, sich nicht an Zeit und Ort der Übergabe der Karte erinnern zu können, habe aber angegeben, ausschließen zu können, dass ein Gespräch über die Verwendung der Karte stattgefunden hat. Eine so unterschiedliche Erinnerungsleistung zu zu einem zeitlich sehr kompakten Erlebniszusammenhang spreche gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage. Diese Zweifel würden noch verstärkt durch die Tatsache, dass die erste gedankliche Verbindung des Zeugen, nachdem er Ende 2011 erfahren habe, dass das LKA die beiden wegen G. vernehmen wolle, die Erinnerung an die weitergegebene Karte sein solle und er sofort beim Verteidiger G.s angerufen habe. Holger G. habe offensichtlich seine Freunde schützen wollen, als er angegeben habe, er habe nichts zur Verwendung der Karte erzählt. Der Zeuge Sch. wolle sich selbst und seine Frau schützen. Dass die Eheleute Sch. etwas verschwiegen, zeigten, so Hoffmann, auch die vielen Punkte, zu denen beide Zeugen widersprüchliche oder unrichtige Angaben gemacht hätten: Die unterschiedlichen Angaben der Sch.s zum Drogenkonsum des Angeklagten G.; Silvia Sch.s Aussage, sie habe sich bei der Übergabe der Karte nichts weiter gedacht, weil diese sowieso abgelaufen wäre, obwohl die Karte erst zwei Jahre später tatsächlich abgelaufen wäre; die Tatsache, dass Alexander Sch. beim LKA angegeben habe, G. habe ihm nicht gesagt, wofür er die Karte brauche, vor Gericht aber gesagt habe, danach hätten sie gar nicht gefragt; dass Alexander Sch. hier vor Gericht einerseits angegeben habe, sie seien davon ausgegangen, eine verloren gemeldete Karte könne man nicht mehr benutzen, andererseits aber gesagt habe, bis November 2011 hätten sie nie mehr über die Karte gesprochen; die Angabe des Zeugen Sch., dass er sich schon bei Presseberichten über den NSU und die von ihm genutzten Aliaspersonalien Gedanken über die AOK-Karte gemacht habe; die unterschiedlichen Angaben von Silvia und Alexander Sch. dazu, wann sie davon erfahren hätten, dass es in der Vernehmung beim LKA um die AOK-Karte geht. Diese Widersprüche und falschen Angaben der beiden Zeugen ließen nur den Schluss zu, dass beide, wenigstens aber der Zeuge Alexander Sch., Wissen über die Verwendung der Karte hatten und daher falsche Angaben gemacht bzw. Erinnerungslücken vorgetäuscht haben, um die Wahrheit zu verschleiern. Sowohl die Sch.s als auch der Angeklagte G. hätten, so Hoffmann, etwas zu verstecken: nämlich, dass Alexander Sch. oder sogar beide Eheleute wussten, für wen die Karte bestimmt war – zumindest, dass sie für rechte Freunde von G. bestimmt war, die im Untergrund lebten. Dieses Wissen hätten sie nicht preisgeben und sich schützen wollen, indem sie Aussagen abgesprochen oder sich auf angebliche Erinnerungslücken geeinigt hätten. Der Umstand, dass Holger G. in seiner Darstellung der Übergabe der Karte falsche Angaben gemacht habe, mache allerdings die Angaben G.s zur Angeklagten Zschäpe nicht unglaubhaft. Allerdings solle G. erneut darauf hingewiesen werden, dass es nicht nur in seinem Interesse wichtig sei, seine Darstellung richtig zu stellen. Die Angaben des Angeklagten G., insbesondere zur Übergabe der von ihm überbrachten Waffe in Gegenwart und unter Mitwirkung von Zschäpe, die Schilderung des Auftretens und Wirkens der Angeklagten Zschäpe als ein aktives und gleichberechtigtes Mitglied der Gruppe, seien als glaubhaft zu bewerten. Diese Angaben, insbesondere diejenigen zur Stellung der Angeklagten in der Gruppe und ihrer Persönlichkeit, seien im Laufe der Hauptverhandlung von vielen Zeugen bestätigt worden.

Hoffmann setzt an, in Bezug auf Zschäpes Cousin Stefan Ap. (siehe Protokoll zum 61. und 62. Verhandlungstag) seine Ausführungen fortzuführen, wird jedoch von Zschäpes Verteidigerin Sturm unterbrochen, die die Erklärung beanstandet, weil sie sich jetzt nicht mehr auf die Aussage Sch.s, sondern auf die Angaben von Holger G. beziehe. Hoffmann erwidert, die Verteidigung Zschäpe habe in ihrer Stellungnahme genau die Abwägung zwischen der Aussage G.s und der Aussage der Sch.s gemacht. Auch die Verteidigung Zschäpe habe aus G.s Einlassung zitiert. Es sei befremdlich, wenn sie nun genau den Teil beanstande. Götzl sagt, er denke, dass man sich den Absatz anhöre. Hoffmann verliest seine Erklärung weiter: Stefan Ap. habe in seiner Vernehmung angegeben, dass Zschäpe immer einen großen Mund gehabt habe, sich nicht über den Mund habe fahren lassen, sich von niemanden etwas aufzwingen, aufdrängen lassen.

Dann will Hoffmann zu einer Aussage des Sportboot-Verleihers Mario Ge. übergehen, wird jedoch von RA Heer unterbrochen. Götzl sagt zu Hoffmann, wenn es jetzt um ein Zwischenplädoyer gehe, dann gehe das nicht. Hoffmann erwidert, er wolle an drei Stellen belegen, dass die Angaben G.s zu Zschäpe gestützt würden und dass die Angaben der Sch.s nicht zu Zweifeln an der Aussage G.s zur Rolle Zschäpes führten. RA Stahl sagt, die Verteidigung Zschäpe habe eine Erklärung nach § 257 StPO zur Aussage Alexander Sch.s abgegeben habe und lediglich festgestellt, dass es es bei einigen Punkten keine Übereinstimmung zur Aussage von G. gebe, die Erklärung Hoffmanns sei dagegen eine Beweiswürdigung der Angaben G.s. Hofmann sagt, er sei im letzten Drittel der Erklärung, es komme nicht darauf an, dass immer Sch. erwähnt werde, es gehe auch darum, wie inhaltliche Blöcke zueinander stehen. RAin Sturm sagt, Hoffmanns Erklärung sei ein Zwischenplädoyer. Götzl bittet Hoffmann darum, ihm die Erklärung auszuhändigen, damit das Gericht das beurteilen können. Danach sagt er, er tendiere allerdings dazu, die Erklärung zuzulassen, wenn sie nicht den angegebenen Umfang überschreite. In Richtung der Verteidigung Zschäpe sagt er, man solle nicht zu kleinlich sein, das schlage häufig zurück. Es folgt eine Pause bis 14.05 Uhr, nach der Götzl verkündet, dass er die Erklärung zulässt. Es gehe um wenige Sätze und der Erklärende dürfe auf Zusammenhänge mit anderen Aussagen hinweisen. RAin Sturm verlangt einen Gerichtsbeschluss. Bundesanwalt Diemer sagt, man solle die Erklärung zu Ende bringen und dann könne es weiter gehen. Nebenklagevertreterin RAin Lunnebach sagt, der Unterschied zwischen Nebenklage und Verteidigung dürfe nicht der sein zwischen Kürze und Länge, es gebe unter keinem Gesichtspunkt aus Sicht der Verteidigung etwas zu bemängeln. RA Stahl erwidert, es gehe nicht um Kürze oder Länge, sondern darum dass Hoffmann jetzt eine Glaubhaftigkeitsprüfung der Aussage G.s mache. Wohllebens Verteidiger RA schließt sich dem Antrag der Verteidigung Zschäpe an. Nebenklagevertreter RA Reinecke sagt, er sehe gar kein Rechtsschutzinteresse, er sehe nicht, wo die Rechte der Angeklagten verletzt werden. Nach einer weiteren Unterbrechung bis 14.27 Uhr verkündet Götzl den Beschluss, dass seine Verfügung, die Erklärung zuzulassen, bestätigt ist.

RA Hoffmann verliest seine Erklärung weiter. Der Zeuge Ge. habe geschildert, so Hoffmann, dass Zschäpe diejenige gewesen sei, die „die Hosen an“ gehabt habe, und dass er ihr Verhalten als dominant wahrgenommen habe. Die Tatsache, so Hoffmann weiter, dass der Angeklagte G. und die Eheleute Sch. bis heute eine enge soziale Verbindung hätten, mache es um so plausibler, dass die zu Tage getretenen Widersprüche zur Übergabe der Krankenkassenkarte zwischen den Aussagen der Sch.s und der Einlassung des Angeklagten G. auf dessen Seite von dem Willen, seine Freunde zu schützen, getragen seien. Die Erklärung ist von mehreren Nebenklagevertreter_innen unterzeichnet.

RA Bliwier sagt, er wolle sich anschließen und ergänzend den Beweisantrag stellen, die Akte der Staatsanwaltschaft Hannover zu einem Verfahren gegen Alexander Sch. wegen uneidlicher Falschaussage beizuziehen. Sch.s Aussage hier, dass er zu Unrecht verurteilt wurde, werde sich als falsch erweisen. Es gehe um die Glaubwürdigkeit des Zeugen. RA Narin schließt sich der Erklärung Hoffmanns an und erklärt ergänzend, dass Schilderungen der Zeug_innen Sch. belegten, dass Holger G. bis zu seiner Festnahme fest in der örtlichen Neonazi-Szene Hannovers verwurzelt gewesen sei und damit die Aussagen G.s zu seinem Rückzug aus der Szene widerlegt seien. Außerdem sei es um Konzepte von „“ und zum „führerlosen Widerstand“ gegangen. Es sei davon auszugehen, dass G. diese Konzepte kannte. G. könne sich nicht darauf zurückziehen, dass er nicht gewusst habe, welchem Zweck Waffen und Identitäten dienen sollten.

Der Verhandlungstag endet um 14.37 Uhr.

Rechtsanwalt Hoffmann erklärte nach der Verhandlung:

„Die Bundesanwaltschaft versucht aber seit Übernahme der Ermittlungen um jeden Preis, die Anzahl der Mitglieder des NSU so gering wie möglich zu halten. Sie hält an ihrer Einzeltäterthese so weit wie irgend möglich fest. Die Entscheidung über den Beweisantrag ist eine politische, bei der der Senat unter dem Vorsitzenden Götzl sich entscheiden muss, ob er an einer echten Aufklärung der Taten interessiert ist oder nur die Anklage abarbeiten will.“

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