Im Hamsterrad

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Der zweite Bundestags- zum hat sich konstituiert

von Eike Sanders und Felix Hansen

Der hat am 11.11.2015 einen neuen Untersuchungsausschuss zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) eingesetzt. Auch wenn dies grundsätzlich zu begrüßen ist: solange die zentralen Fragen rund um den NSU weiterhin ungeklärt sind, überwiegt bei uns doch die Skepsis, ob ein neuer Ausschuss tatsächlich etwas bewirken kann. Oder ob am Ende wieder die Geheimdienste gestärkt daraus hervor gehen.

Auf ein Neues! Sitzung des Ersten Bundestags-Untersuchungsausschusses (c) Theo Schneider

Auf ein Neues! Sitzung des Ersten Bundestags-Untersuchungsausschusses (c) Theo Schneider

Der erste Untersuchungsausschuss (UA) in den Jahren 2012/2013 vergab zwei wichtige historische Chancen. Er listete zwar detailliert die Erkenntnisse aus den Akten auf, doch setzte er das Bild nicht zusammen und nannte das Problem nicht beim Namen: Institutioneller . Zum anderen schaffte er es nicht, die Behörden zur Kooperation bei der Aufklärung zu zwingen und das System der Geheimdienste zu demontieren.

 

Leerstelle institutioneller Rassismus

Dabei arbeitete der Ausschuss sehr akribisch, 1.400 Seiten umfasst der Abschlussbericht, und das nicht einmal zwei Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU. Aufgelistet wurden zahlreiche Beispiele aus dem NSU-Komplex, die zeigen, dass die Opfer selbst, ihre Angehörigen und Freundeskreise beschämend, diskriminierend und kriminalisierend behandelt wurden, und das nicht nur von den Ermittler_innen selbst, sondern von den unterschiedlichsten Mitarbeiter_innen der zahlreichen involvierten Behörden und Ämter. Dies betraf die Angehörigen der Opfer der Mordserie, die Opfer der Bombenanschläge, die verdächtigten Sinti und Roma in Heilbronn – alles Ermittlungen, die vor der Selbstenttarnung des NSU angeblich zunächst gar nichts miteinander zu tun hatten. Der Staat hat als System bewiesen, dass seine sogenannten Sicherheitsbehörden in einer rassistischen Logik arbeiten, die nicht nur den Schutz von nicht-weißen Bürger_innen als zweitrangig sieht, sondern auch allzu schnell eine Täter-Opfer-Umkehr vollzieht und die Betroffenen kriminalisiert – bis hin zur Zerstörung ihrer sozialen und ökonomischen Existenz. Deutlich wurde dabei ebenso, warum die Anschläge und Morde des NSU in der Logik der Behörden nicht als Terrorismus verstanden wurden. Rassismus war nie Teil der Analyse und so stellte in dieser Logik die rassistisch motivierte Mordserie auch keine Gefahr für den Staat dar.

Keine_r der Beamt_innen hat für sein oder ihr menschlich unverantwortliches Handeln strafrechtliche oder Karriere-Konsequenzen erlebt obwohl sie nicht nur versagt, sondern vielen Menschen Schaden zugefügt haben. Gerade durch die Leerstelle der Analyse von Institutionellem Rassismus ist deutlich geworden, dass der Untersuchungsausschuss letztendlich dabei hilft, ein System zu perfektionieren, welches eigentlich nur abgeschafft gehört, da es grundlegender Teil des Problems ist. Auch im Auftrag des neuen Ausschusses zeigt sich dies.

Die Unantastbaren

Die Fragestellung des neuen Untersuchungsausschusses und das gängige Narrativ machen deutlich: Die Erzählung von mangelnder Vernetzung und Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Behörden hat sich durchgesetzt. Doch sie erklärt nicht das Schweigen, Lügen, Vertuschen und Schreddern der Geheimdienste, mit dem schon der erste Ausschuss ständig konfrontiert war. Der Versuch der sogenannten Sicherheitsbehörden und verantwortlichen Politiker_innen sich aus der Verantwortung zu ziehen, hat zum Glück nur teilweise funktioniert, auch dank einer kritischen Öffentlichkeit. Aber die Geheimdienste und ihre politischen Auftraggeber und Kontrolleure  konnten auch nicht zur Kooperation in der Aufklärung bewegt werden – geschweige denn gezwungen. Die Macht der Verantwortlichen, die nach der ersten Rücktrittswelle noch auf ihren Posten bleiben oder sogar aufsteigen konnten, wie ein Gordian Meyer-Plath, ein Volker Bouffier oder ein Klaus-Dieter Fritsche, hat sich gefestigt.

Als Fazit des ersten Ausschusses schrieben wir vor knapp zwei Jahren: „Doch Konsequenzen, ob strafrechtliche, politische oder strukturelle, hatte dieses systematische Verschweigen und Verschleppen bis heute nicht. Als Praxis hat sich im UA gezeigt, dass die Dienste ihren Kontrolleur_innen nur das weitergeben, was sie weitergeben wollen.“
Wie die politische Analyse der Puzzleteile aus dem ersten Ausschuss weit hinter ihren Möglichkeiten und sogar weit hinter den realen Stand der Erkenntnisse zurück bleibt, zeigte sich schon direkt nach dem Abschlussbericht. Der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) verkündete am 22.8.2013 zum Abschluss des ersten UA: „Der Bericht bestätigt ausdrücklich, dass deutsche Sicherheitsbehörden die Mordserie des NSU nicht gedeckt haben oder gar in diese verwickelt waren.“

Statt grundsätzlich über den Fehler eines unkontrollierbaren Geheimdienstsystems zu sprechen, gehen die Dienste heute gestärkt aus ihrem systematischen Versagen hervor: eine bessere Vernetzung der Behörden, gesetzliche Straffreiheit für V-Leute, die Stärkung der Generalbundesanwaltschaft und vor allem des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das sich in diesem Jahr über knapp 500 zusätzliche Stellen und mehr als 30 Millionen Euro Budgetzuwachs freuen kann.

Neue Untersuchungsansätze?

Pressefotografen warten im Bundestags-Untersuchungsausschuss auf einen Zeugen

Pressefotografen warten im Bundestags-Untersuchungsausschuss auf einen Zeugen

Viel Zeit bleibt dem Ausschuss nicht, knapp eineinhalb Jahre bleiben bis zur nächsten Bundestagswahl. Warum die Arbeit nicht bereits zwei Jahre früher begonnen wurde, ist nicht nachvollziehbar. Der neue Untersuchungsausschuss setzt sich hohe Ziele: Offene Fragen sollen geklärt werden, was an sich sinnvoll ist – hier mit Schwerpunkt auf die Ereignisse am 4.11.2011 in Eisenach und Zwickau, aber auch Kassel und Heilbronn. Richtig ist es zu fragen, was hinter dem Mord in Heilbronn steckt, jener Schlüsseltat, wo der NSU seinen Modus Operandi änderte. Doch schon jetzt zeigt sich die Gefahr, dass sich der Ausschuss an den Fragen abarbeitet, die bereits in den Ländern teils akribisch thematisiert werden. Warum soll sich der Ausschuss mit Eisenach beschäftigen, wo dies doch ein Schwerpunkt des sehr detailliert arbeitenden Thüringer Ausschusses ist? Weiterer Auftrag: Das Gesamtbild zum Umfeld und den Unterstützer_innen solle geschärft werden – Schwerpunkte sind die Verbindungen in die sogenannte Organisierte Kriminalität sowie internationale Kontakte. In der Tat sind die internationalen Kontakte komplett unterbelichtet, doch wieviel wird man vom BND erfahren? Und Nazis und Organisierte Kriminalität stehen und standen schon immer in Wechselwirkung zueinander, Verbindungen und Schnittmengen sind nichts Neues und sollten zur normalen Analyse der organisierten extremen Rechten gehören, wie dies bei Antifaschist_innen längst der Fall ist. Und erneut kommt das V-Leute-System und die Arbeit der Geheimdienste auf die Tagesordnung, inklusive der Aktenvernichtungen. Das allgemeine Schreddern, vor allem das am 11.11.2011 im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), blieb im ersten Ausschuss unerklärt. Gerade für die Befragung der Geheimdienste blieb im ersten Ausschuss keine Zeit, vor allem das BfV, aber auch der MAD und der BND wurden kaum oder gar nicht beleuchtet. So ist dieser erneute Untersuchungsauftrag überaus sinnvoll, wenngleich vor dem Hintergrund der Erfahrung von „4 Jahren Aufklärung“ naiv-optimistisch.

Den Horizont erweitern

Bis heute ist bei weitem nicht bekannt, welche und wieviele V-Leute sich – über das bislang bekannte Dutzend hinaus – noch im Umfeld und Helfer_innen-Kreis des NSU bewegt haben. Dabei ist aus antifaschistischer Perspektive, die die 1990er Jahre miteinbezieht, klar: die Geheimdienste müssen im Nachhinein als Teil der virulenten, militanten Nazi-Szene analysiert werden, nicht als Teil der Aufklärung oder der Verhinderung von Straftaten. Ein neuer Ausschuss wird dazu beitragen, dass wir zukünftig mehr über den einen oder die andere heute noch unbekannte V-Person wissen werden. Er wird der Öffentlichkeit neue Erkenntnisse aus Akten liefern, die Anzahl der Puzzleteile durch mühsames Nachhaken, Nachforschen und Fragen erhöhen. Dennoch: Was bewirkt ein Ausschuss, wenn dabei am Ende doch nur wieder die Optimierung der bundesdeutschen „Sicherheitsarchitektur“ heraus kommt? Wie soll das Schweigekartell der Dienste, das Schauspiel von „es ist mir nicht erinnerlich“ und „dafür war ich nicht zuständig“ gebrochen werden, so lange die Beteiligten damit ohne jegliche Konsequenz durchkommen?

Zentrale Fragen zum NSU sind weiterhin offen: Wie und von wem wurden die Opfer und Anschlagsziele ausgesucht? Wie sieht das NSU-Netzwerk aus, wer sind weitere Mitglieder und Helfer_innen? Weiterhin ungeklärt ist die Frage welche Hinweise die Geheimdienste hatten, wo haben sie weggeschaut oder sogar unterstützt? Dazu gehört auch aufzuklären, welche Ermittlungen zum NSU die Behörden weiterhin betreiben. Zwar ist mittlerweile bekannt, dass es ein zweites Strukturermittlungsverfahren gibt, doch zu der Frage, wie intensiv und mit welcher Ernsthaftigkeit dieses betrieben wird, hüllen sich Bundesanwaltschaft und BKA in Schweigen. Im Münchener Prozess bremst der GBA regelmäßig und versucht das Narrativ vom NSU als abgeschlossene 3-Personen-Zelle aufrecht zu halten.

Wir sehen fast tagtäglich, dass Beamt_innen entweder ein rechtes Motiv nicht erkennen (wollen) oder rechtsterroristische Tendenzen verharmlosen. Rassismus ist Teil der Gesellschaft und hat über Institutionen und Polizeiarbeit eine besondere Macht. In Zeiten von Pediga und rassistischer Mobilisierungen allerorten ist es fatal, Rassismus weiterhin aus der Gesellschaft zu externalisieren und nur bei Nazis zu sehen. Die Übertragung einer Analyse der 1990er Jahre und den Zuständen in den deutschen Behörden in die heutige Zeit können wir allerdings nicht von einem Ausschuss erwarten, dessen Gros aus Ex-Polizist_innen und Jurist_innen besteht: Von den acht Abgeordneten sind vier, darunter der Ausschussvorsitzende, ehemalige Polizeibedienstete, zählt man ihre acht Vertreter_innen mit kommen noch mal ein weiterer Polizist und drei Jurist_innen hinzu. Der neue Vorsitzende Clemens Binninger (CDU) hat zudem in den letzten Monaten deutlich gemacht, wo er politisch steht: rechts von Angela Merkel, wo es um das Grundrecht auf Asyl und die offenen Grenzen geht. Er gehört zur innerparteilichen Opposition: „Deshalb werden wir nicht umhin kommen, wirksame Kontrollen an den deutschen Außengrenzen durchzuführen und auch Asylbewerber zurückzuweisen“, sagte Binninger schon Anfang Oktober der F.A.S.

Würde Institutioneller Rassismus als Problem anerkannt, könnten die Fehler in den Ermittlungen gegen die Opfer sich nicht so leicht wiederholen, denn es könnten Instrumente in die Behördenabläufe eingebaut werden, die die per se angenommene Voreingenommenheit der Beamt_innen hinterfragt und aufbricht. Würden die Geheimdienste als Teil des Problems des Rechtsterrorismus erkannt, dann müsste für die Parlamentarier_innen eine „Sicherheitsarchitektur“ ohne Geheimdienste denkbar und erstrebenswert sein. Die Erfassung der bundesdeutschen rassistischen Realität, in der neonazistische Strukturen, bewaffneter Rassismus und strukturell rassistische Ermittlungsbehörden sich im Ergebnis gegenseitig stärken und einen NSU ermöglichten, das müsste Ziel eines neuen Ausschusses sein.

Hingehen und kritische Öffentlichkeit schaffen

Protest am Brandenburger Tor Berlin

Protest am Brandenburger Tor Berlin

Trotzdem ist es wichtig, auch dem neuen Untersuchungsausschuss auf die Finger zu schauen, die Arbeit der Parlamentarier_innen zu dokumentieren und kritisch zu bewerten. Ohne gesellschaftlichen Druck wird es auch zukünftig keine Aufklärung geben. Der vergangenen Ausschuss hat gezeigt, dass es oft dann erst richtig spannend wurde, wenn sich nach langwierigen Stunden im Ausschuss die Zuschauer_innenreihen geleert hatten, kaum noch Vertreter_innen der Medien anwesend waren. Außerdem könnte eine im Untersuchungsausschuss präsente kritische Öffentlichkeit auch auf der gesellschaftlichen Ebene Diskussionen anstoßen, die die „Hamsterrad“-Logik, die auf eine Optimierung der Sicherheitsbehörden hinauszulaufen droht, durchbricht. Auch den neuen Ausschuss wird NSU-Watch daher begleiten, die Sitzungen kritisch dokumentieren und seine Arbeit transparent machen. Die erste inhaltliche Sitzung ist für den 17.12. ab 11 Uhr geplant. Geladen sind nach jetzigem Stand Barbara John (die Ombudsfrau für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer) Frank Jansen (Journalist) und Dirk Laabs (Autor des Buches „Heimatschutz“). Die Sitzungen des PUA sind generell donnerstags und öffentlich, man muss sich allerdings vorher als Besucher_in per mail anmelden.

Ausführliche Wortprotokolle aus jeder Sitzung gibt es zwar, öffentlich gemacht werden diese aber erst nach Abschluss des Ausschusses. Ein Ausschuss, der es mit Transparenz ernst meint, müsste hier anssetzen und die Protokolle gleich veröffentlichen.

NSU-Watch wird in Kürze einen Aufruf zur Beobachtung des UA veröffentlichen, wo praktische Informationen gebündelt zu finden sind. Den Aufruf zum ersten UA des Bundestages findet ihr hier: www.nsu-watch.info/2012/09/teilnehmende-beobachtung-gefragt/
Anmelden (Name und Geburtsdatum – zur Sitzung Perso mitbringen!) kann man sich im Sekretariat des UA unter 3.ua@bundestag.de

Informationen zur Besetzung des Ausschusses und Tagesordnungen finden sich auf der Seite des Bundestages:
https://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/ua/3untersuchungsausschuss