Protokoll 291. Verhandlungstag – 28. Juni 2016

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An diesem Prozesstag sind zwei Polizeibeamt_innen geladen. Ca. sagt erneut zu den in der in Zwickau aufgefundenen Zeitungsartikeln aus. Dabei geht es um gefundene Fingerabdrücke auf zwei Artikeln, die in Augenschein genommen werden. Diesbezüglich wird erneut eine „Vorläuferversion“ des NSU-Bekennervideos in Augenschein genommen. Danach sagt Wa. dazu aus, wie in dem Internetcafé von Halit Yozgat nach dem Mord die Einloggz

Zeug_innen:

  • Christian Ca. (BKA Wiesbaden, Tatortarbeit, Auswertung von Asservaten)
  • Sabine Wa. (ehem. PP Nordhessen, Auswertung von Computerzeiten im Internetcafé, Mordfall Halit Yozgat)

Heute ist Fototermin. Der Verhandlungstag beginnt um 09:50 Uhr. Erster Zeuge ist KHK Christian Ca. Götzl sagt, man habe Ca. bereits gehört [244. Verhandlungstag] und wolle ihn nun ergänzend vernehmen: „Es geht uns um zwei Asservate, 2.12.377.10 und 2.12.377.51. Wir hatten Sie dazu schon befragt.“ Es gehe ihm zunächst um dieses letztgenannte Asservat, so Götzl, und da um die Lage der Fingerspuren. Dann wird das Asservat 2.12.3.77.51 im Original, eingepackt in Folie, in Augenschein genommen. Dazu geht Ca. nach vorn an den Richtertisch. Bei dem Asservat handelt es sich um einen Zeitungsartikel der Münchener „tz“ über den Mord an Habil Kılıç. Zu lesen ist u.a.: „München. Sie wollten Lutscher kaufen.“ Ca.: „Wo steht denn hier die Asservatennnummer? Ah, genau, so müsste das zusammengehört haben.“ Ca. legt das Asservat, das aus zwei Teilen besteht so hin, dass die ganze Zeitungsseite erkennbar ist. Ca.: „Und die Fingerspur, um die es geht, die liegt quasi hier oben.“ Götzl bittet Ca. das Asservat nochmal umzudrehen, was Ca. auch tut. Götzl: „Gibt es etwas zu ergänzen?“ Ca.: „Also, da hat sich nichts geändert. Wie gesagt, die relevante Fingerspur, um die es geht, ist hier oben.“

Dann bekommt Zschäpe-Verteidiger RA Stahl das Fragerecht. Götzl fragt, ob Ca. vorne bleiben solle, was Stahl bejaht. Stahl: „Sie hatten im Rahmen Ihrer letzten Befragung ausgeführt, dass oben, irgendwo in dem Bereich, wo ‚München‘ abgedruckt ist, die Fingerspur ist. Wo genau befindet sie sich dort?“ Ca. zeigt auf die rote Seitenüberschrift „München“, etwa auf „ÜN“. Stahl sagt, er sehe da nichts. Ca.: „Das liegt an der Präsentation. Auf dem Asservat ist es besser zu sehen als auf dem Bildschirm.“ Stahl geht nach vorn an den Richtertisch, um sich das Asservat anzusehen. Ca.: „Hier sind so Haken [phon.], das ist quasi die Markierung der Fingerspur, hier ist nochmal das Aktenzeichen.“ Stahl: „Herr Ca., ich habe das in Augenschein genommen, ich habe Papillarlinien gesehen. Ist damit dann von Ihnen was gemacht worden, Vergrößerungen, ist diese Fingerabdruckspur näher analysiert worden?“ Ca.: „Wir haben die Fingerspur sichtbar gemacht, dann ist sie durch die Fotostelle fotografisch gesichert worden und diese fotografisch gesicherte Spur geht dann zum ZD 23 [phon.], die für die Spurenauswertung zuständig sind.“

Stahl: „Waren Sie das persönlich, der die Spur gesichert hat?“ Ca. sagt, da müsse er in den Spurensicherungsbericht gucken, welches Namenszeichen dabei steht. Stahl: „Es ist ja nicht schlimm wenn Sie es nicht mehr wissen.“ Ca.: „Ich kann mich nicht mehr dran erinnern.“ Stahl: „Haben Sie noch Erinnerungen, ob Sie oder Kollegen Wahrnehmungen dazu gemacht haben, ob Sie auf demselben Asservat weitere Fingerspuren gefunden haben?“ Ca.: „Meines Wissens auf dem Asservat nur die eine Fingerspur.“ Stahl: „Haben Sie Erkenntnisse getroffen, um welchen Finger es sich handelt?“ Ca.: „Ist als Spurensicherer nicht meine Aufgabe. Das erfolgt, wie ausgeführt, im entsprechenden Fachreferat.“ Stahl fragt, ob Ca. also keine Angaben zu Lage und Gradzahl [phon.] bei diesem Fingerabdruck machen könne. Ca.: „Also meine Aufgabe ist es, die Spuren sichtbar zu machen. Über eine eventuelle Griffrichtung kann nur ein daktyloskopischer Sachverständiger was sagen.“

Stahl: „Dann interessiert mich noch, in welchem Zustand Sie das Asservat übergeben bekommen haben?“ Ca.: „Das war am Anfang noch quasi eine ganze Sammlung von Zeitungsartikeln, so ist das in Zwickau asserviert worden. Und bei uns im BKA Wiesbaden hat eine Unterasservierung der Zeitungsartikel stattgefunden. Aber in Zwickau asserviert wurde es von der Tatortgruppe des BKA. [phon.]“ Stahl: „Wenn Sie meine Frage beantworten würden: In welchem Zustand ist Ihnen das Asservat übergeben worden?“ Ca.: „Vom Augenschein her so wie es jetzt auch aussieht, augenscheinlich hat sich da nicht viel verändert. Durch die Spurensicherung ist evtl. eine Farbveränderung eingetreten.“ Stahl: „So wie es vorliegt, in zwei getrennten Polyethylentüten?“ Ca.: „Ich sage es nochmal: Es ist quasi in einer Asservatentüte in Wiesbaden angeliefert worden. Dann gab es eine Unterasservierung und die Artikel wurden jeweils in eine Asservatentüte gepackt. Dass es so eingeschweißt ist, ist jetzt nur, weil es mit chemischen Methoden behandelt wurde, was nicht so ganz gesund ist.“ Stahl: „Ich befürchte, wir reden aneinander vorbei. In welcher Form haben Sie die Artikel bekommen?“ Ca.: „Die waren in normalen Asservatentüten eingetütet.“ Stahl: „Die beiden zusammen oder wie?“ Ca.: „Ja, die beiden noch zusammen. Weil das ja offensichtlich zusammengehört, die beiden Teile.“

Stahl: „Haben Sie eine Erkenntnis darüber, wer das eingetütet hat?“ Ca.:“ Also die Unterasservierung, da war ich auch beteiligt.“ Stahl: „Wie ist das Eintüten geschehen, da Sie sagen, die gehören ja offenkundig zusammen?“ Ca.: „Das weiß ich noch ziemlich genau. Das habe ich mit der Kollegin Be. gemacht. Wir haben die Zeitungsartikel in Augenschein genommen und festgestellt, dass diese zwei Stücke zusammengehören und sie in eine Asservatentüte gepackt. Und vorher nochmal fotografiert.“ Stahl: „In welchem Zustand befanden sich die Stücke, als sie die zusammen aufgefunden haben und festgestellt haben, die gehören zusammen?“ Ca.: „Die waren trocken und rein optisch so, wie sie jetzt gerade da liegen. Hat sich nicht viel geändert.“ Stahl: „War das eine Tüte mit viel Zeitungen drin oder ganz viele Tüten mit Zeitungen drin, gab es da eine Ordnung?“ Ca.: „Angeliefert wurde es zusammen, weil es ursprünglich asserviert worden ist in Zwickau, wir müssten nochmal den Wortlaut in der Asservatenliste anschauen, aber quasi als mehrere Zeitungen.“ [phon.]

Stahl sagt, Ca. solle nochmal präzise auf seine Frage eingehen: „War das eine Kunststofftüte oder ein Karton oder ein Behältnis, in dem viele Artikel drin waren?“ Ca.: „Ursprünglich haben die ganzen Zeitungsartikel eine Asservatennummer gehabt, folglich sind sie auch zusammen angeliefert worden.“ Stahl: „Herr Ca., Sie müssen die Frage schon beantworten: Wie sind die Zeitungen angeliefert worden, in welchem Behältnis?“ Ca.: „Dann sind sie in einer Asservatentüte angeliefert worden.“ Stahl: „Wissen Sie das oder schlussfolgern Sie das?“ Ca.: „Das war so.“ Stahl: „Was für eine Tüte?“ Ca.: „Weiß ich nicht mehr.“ Stahl: „Papier oder Plastik?“ Ca.: „Es gibt beide Arten von Asservatentüten, aber ob Plastik oder Papier, das kann ich nicht mehr sagen.“ Stahl: „Das waren meine Fragen zu diesem Asservat. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie auch das andere Asservat vorlegen würden.“

Es wird dann das Asservat 2.12.377.10 in Augenschein genommen, ein ganzseitiger Zeitungsartikel des „Express“ aus Köln (Überschrift: „Es sollten viele Menschen sterben“). Ca.: „Ja, das ist jetzt die eine Seite von dem Zeitungsartikel.“ Ca. dreht das Asservat um: „Das ist die andere Seite und hier unten eingezeichnet die relevante Fingerspur, um die es geht, wobei man das hier im Original auch wieder besser sieht als auf dem Bildschirm.“ RA Stahl und RA Heer gucken es sich am Richtertisch an. Ca. zeigt die Fingerspur.

Stahl: „Auch hier meine Frage: Haben Sie Kenntnisse davon, ob weitere daktyloskopische Spuren auf dieser Seite festgestellt worden sind?“ Ca.: „Auf dem Asservat nur die eine.“ [phon.] Stahl: „Keine einzige andere? Ich frage nicht nur nach verwertbaren Spuren und nicht speziell nach Spuren von Frau Zschäpe.“ Ca.: „Nee, da war keine andere.“ Stahl: „In welchem Zustand, wenn Sie dazu was sagen können, haben Sie dieses Asservat zugeleitet bekommen, wo befand es sich?“ Ca.: „Ja, auch zusammen mit den anderen Zeitungsartikeln in einer Asservatentüte. Vom Zustand her rein optisch hat sich das auch nicht großartig verändert zum damaligen Zeitpunkt.“ Stahl: „Waren bei den Asservaten noch irgendwelche Zettel mit Nummern dabei?“ Ca.: „Da waren so kleine Notizzettel mit handschriftlichen Nummern drauf, soweit ich mich erinnere.“ Stahl: „Lagen die lose in der Tüte mit drin?“ Ca.: „Die waren in der Tüte mit drin.“ Stahl: „Wie sah das denn aus?“ Ca.: „Wie eine Asservatentüte, in der Zeitungsartikel drin sind und eben auch Zettel, wie Sie sie beschrieben haben.“ Stahl: „Waren Verbindungen hergestellt worden zwischen den Zetteln und Zeitungsseiten?“ Ca.: „Also meines Wissens nicht.“ Stahl: „Also ich habe keine Fragen mehr.“

Götzl sagt, er wolle, weil es angesprochen worden sei, zum Asservat 2.12.377.51 noch vorhalten, dass laut einem Bericht der „Zeitungsartikel tz, ausgeschnitten, vom 30.08.2001 “ gesichert worden sei durch die Beamt_innen W. und Be. Ca.: „Das sind diejenigen, die die Spuren auf den Artikeln gefunden und entsprechend markiert haben.“ Stahl: „Ergänzend: Wenn der Vorsitzende vorhält: ‚Zeitungsartikel ausgeschnitten‘, war das ausgeschnitten oder waren das ganze Zeitungsseiten?“ Ca.: „Also das war unterschiedlich.“ Stahl: „Also wie war es denn jetzt?“ Ca.. „Es waren wohl auch Artikel, die ausgeschnitten waren, oder nur bestimmte Seiten von Zeitungen.“ [phon.] Stahl: „Woran haben Sie das erkennen können, dass die ausgeschnitten waren, wenn es solche gegeben hat?“ Ca.: „Weil man das an den Schnittkanten erkannt hat.“ Stahl: „Haben Sie Feststellungen treffen können, ob diese Seiten ausgeschnitten waren?“ Ca.: „Die beiden Asservate, um die es geht?“ Stahl: „Ja.“ Ca.: „Da kann ich mich jetzt nicht mehr genau erinnern.“ Um 10:16 Uhr wird der Zeuge entlassen.

Es folgt eine Pause bis 10:30 Uhr. Danach folgt die Einvernahme der Zeugin Sabine Wa., Kriminalbeamtin, heute in Duisburg. Götzl: „Es geht um von Ihnen durchgeführte Ermittlungen zum Zeitablauf am 06.04.2006 im Hinblick auf PCs, Telefongespräche und Einsatzprotokolle.“ Wa.: „Wir haben zum damaligen Zeitpunkt feststellen wollen, den Tatzeitpunkt eingrenzen wollen, und deswegen habe ich einen Auswertebericht unserer Dienststelle bekommen, die haben uns die Zeitangaben gegeben, die habe ich in Vermerkform verfasst: Wer war wann wie lange im Internetcafé eingeloggt?“ Götzl: „Wer hat Ihnen jetzt was gegeben?“ Wa.: „In jedem Präsidium gibt es ein Referat [phon.], was nur Auswertungen macht, z. B. Handys. Und die hatten die PCs aus dem Internetcafé, die haben mir die Sachen gegeben und ich habe sie in Vermerkform verfasst.“

Sie sei nach NRW gewechselt und sei da schon lange raus. Sie habe nur mitbekommen, dass da noch eine ausführlichere Auswertung gemacht worden sei, aber zu dem Zeitpunkt sei sie schon nicht mehr im PP Nordhessen gewesen. Auf Frage, welcher Kollege die Auswertung gemacht habe, sagt Wa., für Auswertung sei Sch. zuständig gewesen: „Aber wer explizit uns die Unterlagen gegeben hat, das kann ich nicht mehr sagen. Die haben ausgewertet, wer sich wann eingeloggt hat. Die haben alle Computer im Internetcafé ausgewertet: Von da bis da war der Computer so und so lange eingeloggt. Und von den Telefongeschichten genau das gleiche. Aber da war das so eingestellt, dass die Zeiten immer auf Null zurückspringen, so dass die das abrechnen konnten.“ Götzl: „Mir geht's ums Prozedere.“ Wa. sagt, im Normalfall sei es so, dass das schriftlich aus den Computern rausgezogen und eben runtergegeben werde zu dem entsprechenden Sachbearbeiter. Götzl: „Die Information, die Sie angesprochen haben, dass bei neu angefangenen Telefongesprächen der Zähler zurückgesetzt wird, woher stammt diese Information?“ Wa.: „Ich habe nur Sachen einfach vermerkt, die mir von der Computerauswertestelle gegeben wurden. Die haben mir das erzählt, dass der Zähler auf Null zurückgeht, sowie ein Gespräch neu angefangen wird.“ [phon.] Um 10:38 Uhr wird die Zeugin entlassen.

Götzl: „Ja, wir wollten dann nochmal in Augenschein nehmen, die so genannte zweite Vorgängerversion des NSU-Bekennervideos.“ Das Video wird abgespielt und an die Leinwände projiziert. Danach sagt Götzl in Richtung des dafür zuständigen Justizangestellten: „Ist es möglich, dass Sie bestimmte zeitliche Einstellungen direkt nochmal anspielen?“ RA Stahl: „Wir hatten dieses Dokument ja schon mal in Augenschein genommen. Der prozessuale Zweck jetzt ist welcher?“ Götzl: „Im Hinblick auf die Zeitungsartikel heute geht's mir drum, einen Abgleich per Augenschein vorzunehmen. [phon.] Deswegen möchte ich auf bestimmte Bilder eingehen. Ist es möglich, bei 3 Minuten, 12 Sekunden uns die Bilder nochmal zu zeigen?“ Es wird die Sequenz zum Mord an Habil Kılıç gezeigt. Götzl: „Der Hinweis an Sie noch: Uns liegt der Bericht N37 Blatt 189f, auf Blatt 193/194 [phon.] ist dieses Asservat 2.12.377.51 angesprochen. Und im Vermerk sind Lichtbilder angesprochen, auch das bitte ich noch anzusehen. Wir können uns auch dann die entsprechenden Zeitungsausschnitte nochmal anschauen.“ Stahl: „Da würde ich drum bitten.“ Götzl: „Wir können das auch zurückstellen und zu einem späteren Zeitpunkt machen, damit Sie sich darauf vorbereiten können.“ Stahl: „Ich bin darauf vorbereitet. Die entsprechen sich eben nicht, die Zeitungsartikel. Das hat der GBA schon in der Anklageschrift auch schon angeführt.“

NK-Vertreter RA Narin: Es gäbe noch zwei Timecodes, die ich noch gerne in Augenschein nehmen würde, wenn das geht. Und zwar 5 Minuten, 21 Sekunden.“ Götzl: Im Hinblick worauf?“ Narin: „Dort ist ein Ausschnitt aus einer Zeitung abgebildet und da würde ich möglicherweise einen Beweisantrag stellen.“ Die entsprechende Stelle im Video wird gezeigt, es handelt sich um zwei Bilder zum Mord an Süleyman Taşköprü, vermutlich aus einer Zeitung. Narin: „Vielen Dank! Und dann die nächste halbe Sekunde.“ Es folgt ein weiteres Bild zum Mord an Taşköprü, vermutlich aus einer Tageszeitung.

NK-Vertreter RA Reinecke: „Ich würde eine Erklärung nach § 257 abgeben wollen: Dieses Video wird immer als Vorgängerversion des Paulchen-Panther-Videos bezeichnet, was meiner Meinung nach etwas irreführend ist, weil es den Eindruck erweckt, dass es gewissermaßen eine Materialsammlung für das spätere ist. Es handelt sich aber, wie wir gesehen haben, um ein in sich abgeschlossenes Video in Bild und Ton. Es wird ein Song beendet [phon.] mit der Botschaft: ‚Wir kommen wieder.‘ Das heißt, dieses Video war offenbar dazu gedacht, schon zu diesem Zeitpunkt öffentliche Aufmerksamkeit zu wecken. Es muss dann im Trio einen Diskussion gegeben haben, dass man dieses fertiggestellte Video nicht auf den Markt wirft, sondern zunächst zurückhält. Und ich gehe davon aus, dass eine solche Diskussion nicht ohne Frau Zschäpe stattgefunden hat.“

RA Stahl: „Natürlich ist der Sinn und Zweck von Erklärungen nach 257 StPO, dass man auf die unmittelbar vorausgegangene Beweisaufnahme Bezug nehmen kann, aber ich bin der Auffassung, sie sollten wenigstens ansatzweise Hand und Fuß haben. Und es ist eine vollkommene Spekulation, es habe innerhalb eines Trios oder des Trios dann eine Diskussion gegeben, das widerspricht auch den bisherigen Feststellungen in der Hauptverhandlung.“

Götzl: „Ja, dann geht es noch darum, um Verlesung der richterlichen Vernehmung Hans-Ulrich Mü. durch den Gerichtspräsidenten Staudenmann [155. Verhandlungstag]. Hier geht es zunächst um Feststellungen, die zu treffen sind. Es wird festgestellt, dass der Zeuge Mü. am 05.08.2013 nach München geladen wurde, auf den 17.10.2013.“ Götzl sagt, es komme dann im Freibeweisverfahren
ein Brief Mü.s zur Verlesung.

Richter Lang verliest einen Brief Mü.s vom 28.08.2013, in dem Mü. darlegt, dass vor der
StA Thun zwei Verfahren gegen ihn anhängig seien. In einem Verfahren werde er amtlich verteidigt durch RA Gerhard Frey, Thun. Im Rechtshilfeverfahren sei bis jetzt eine Verteidigung noch nicht notwendig gewesen. Es werde gegen ihn ermittelt, er sei daher nicht verpflichtet, sich „bei Ihnen im Verfahren“ durch eine Zeugenaussage zu belasten. Er mache daher von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und beantrage, dass von einer Einvernahme abgesehen und die Vorladungsverfügung widerrufen wird. Sofern dem nicht stattgegeben werde, beantrage er die Einvernahme ersatzweise vor dem Regionalgericht Oberland oder dem Obergericht des Kantons Bern, wobei er in jedem Fall seinen RA Frey als Vertreter dabei haben wolle. Dieser besitze jedoch keine notwendige EU-Zulassung. Die Beiordnung eines anderen RA betrachte er als problematisch.

Götzl sagt, es werde dann verlesen das Rechtshilfeersuchen an die Schweizer Behörden. Dann verliest Richterin Odersky das Rechtshilfeersuchen des OLG München an das Bundesamt für Justiz in Bern vom 18.12.2013. Darin wird gebeten, die Befragung von Peter Anton Ge. sowie Hans-Ulrich Mü. im Wege einer Videokonferenz zu gestatten. Danach folgen Ausführungen zur Gestaltung der Videokonferenz und die Ankündigung, dass die Kosten seitens des OLG übernommen würden.

Götzl sagt, es gehe ihm um weitere Schriftstücke, die aber schon verlesen worden seien. Er nennt, die Ladung Mü.s nach München zum 19.11.2014, den Vermerk über ein Telefonat vom 07.11.2014, Stichwort: „Zeuge Mü. kommt nicht nach München“. Dann ein Telefonat vom 10.11.2014 mit RA Frey und ein Fax vom 11.11.2014, „Mü. komme nicht nach München“.

Dann kündigt Götzl eine weitere Verlesung an. Richter Lang verliest einen Teil des Protokolls über eine „delegierte Einvernahme“ durch den Befrager Patrick Ry. [zuletzt 224. Verhandlungstag]vom 08.02.12. Dem Protokoll zufolge sei Mü. auf einen Haftbefehl hin auf dem Flughafen Zürich-Kloten angehalten und ins Regionalgefängnis Thun gebracht worden, von dort sei er zur Einvernahme vorgeführt worden. Mü. habe sich RA Frey als Verteidiger gewünscht, dieser sei jedoch nicht erreichbar gewesen. Freys Kanzleipartner sei über den Vernehmungstermin informiert worden. Es folgen dann Angaben zu den Personalien Mü.s. Als Muttersprache Mü.s wird „Berner Dialekt“ genannt, dies sei auch die „Verhandlungssprache“. Bei der Einvernahme sei RA Frey anwesend gewesen. Frey habe sich vor der Einvernahme ein Gespräch mit seinem Mandanten gewünscht. Das Gespräch sei im Warteraum von 9 Uhr bis 9:12 Uhr ungestört geführt worden.

Lang verliest dann die erste Frage, in der es heißt, dass gegen Mü. ein Vorverfahren wegen Verdacht „Gehilfenschaft“ zum Mord und der Unterstützung einer kriminellen Organisation eingeleitet worden sei und Mü. als beschuldigte Person einvernommen werde. Es folgt eine Belehrung Mü.s. als beschuldigte Person und dann die Frage: „Wollen Sie eines der Ihnen zustehenden Rechte geltend machen?“ Mü.s. Antwort ist, dass er ja bereits einen Verteidiger erhalten habe, die Merkblätter habe er erhalten und verstanden: „Ich möchte Aussagen machen.“ Götzl legt dann die Mittagspause bis 12:20 Uhr ein.

Danach kündigt Götzl eine weitere Verlesung an, die Richter Lang dann auch durchführt. Es handelt sich um die Verlesung eines Teils des Protokolls der StA Berner Oberland zur Hafteröffnung gegen Mü. in Thun vom 09.02.2012. Anwesend seien neben Mü. der StA David St., ein Protokollant und Mü.s RA Gerhard Frey gewesen. Aus dem Protokoll geht hervor, dass Mü. mitgeteilt worden sei, dass er als beschuldigte Person vernommen wird. Auf die Frage, ob er in der Lage sei, der Befragung zu folgen, habe Mü. geantwortet, dass er im Moment schon in der Lage sei, aber Konzentrationsschwierigkeiten habe und vergesslich sei. Lang verliest, dass Mü. belehrt worden sei, dass er das Recht habe, Aussagen und Mitwirkung zu verweigern, und dass seine Aussagen als Beweismittel verwendet würden. Mü. habe geantwortet: „Ja, das habe ich verstanden.“ Dann sei Mü. gesagt worden, dass er bereits einen Verteidiger habe, der ihm beigeordnet werde. Daher würden ihm die Voraussetzungen der „amtlichen Verteidigung“ nicht weiter erläutert. Außerdem erhalte Mü. ein Merkblatt für Beschuldigte.

Nach der Verlesung sagt Götzl: „Dann wird festgestellt, dass sich aus dem Protokoll vom 10.02.2012 keine Belehrung des Beschuldigten Mü. durch Richter Staudenmann ergibt. Dann: Aus dem Protokoll vom 08., 09. und 10.02.2012 ergibt sich die Anwesenheit von Rechtsanwalt Frey als Verteidiger.“ Götzl nennt dann eine Fundstelle und sagt, dass sich hieraus die Übersendung des Protokolls vom 10.2.2012 im Rechtshilfeweg ergebe. Götzl: „Sollen dazu Erklärungen abgegeben werden im Hinblick auf die Verlesung der Befragung Mü.s durch Richter Staudenmann? Keine? Dann werden wir darüber zu beraten haben. Wir unterbrechen und setzen fort um 12:40 Uhr.“

Um 12:41 Uhr geht es weiter. Dann verkündet Götzl den Beschluss, dass die Verlesung der Niederschrift der richterlichen Vernehmung des Zeugen Hans-Ulrich Mü. angeordnet wird. Am 08.02. und 09.02.2012 sei Mü. jeweils als Beschuldigter vernommen und belehrt worden, die Belehrung entspreche im Wesentlichen der von der deutschen StPO vorgeschriebenen Belehrung. Mü. sei am 10.02.2012 erneut von Richter Staudenmann als Beschuldigter vernommen. Eine ausdrückliche Belehrung sei nicht erfolgt, es sei jedoch der RA Frey anwesend gewesen. Mü. habe mitgeteilt, dass er nicht in München als Zeuge erscheinen werde. Aus dem Nichterscheinen ergebe sich, dass er Ladungen des Gerichts nicht nachkommen wird. Der Umstand, dass Mü. in der richterlichen Vernehmung nicht nochmal als Beschuldigter belehrt worden sei, ändere nichts, denn Mü. seien aus den vorangegangenen Belehrungen seine Rechte bekannt gewesen und es sei auch der RA anwesend gewesen. Götzl: „Die Verlesung kann daher angeordnet werden. Dann kommt zur Verlesung, das entsprechende Vernehmungsprotokoll vom 10.02.2012.“

Richter Kuchenbauer verliest das Protokoll der Vernehmung Mü.s vom 10.02.2012 durch Gerichtspräsident Staudenmann. Es handelt sich um ein Protokoll einer „Verhandlung im Haftverfahren“ gegen Mü. wegen des Vorwurfs der Gehilfenschaft zum Mord und der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Anwesend seien Richter Staudenmann, Mü. selbst und dessen RA Frey gewesen; die StA habe auf eine Teilnahme verzichtet. Zur Sache habe Mü. angegeben, dass er seine Aussagen ggü. Polizei und StA bestätige und keine Korrekturen zu seinen Aussagen zu machen habe. Auf Frage habe Mü. bestätigt, dass er mit Waffen gehandelt habe. In welchem Zeitraum könne er nicht genau sagen, meine aber, dass es Ende der 1980er bis Ende der 1990er gewesen sein könne. Er habe nicht Buch geführt, wie viele Waffen er dabei ge- und verkauft habe: „Es dürften nicht allzu viele gewesen sein.“

Die Frage, ob er an Personen aus Deutschland verkauft habe, habe Mü. verneint und gesagt, dass er keine Waffe ins Ausland transportiert habe bis auf eine, die er im Fahrzeug vergessen habe. Deswegen sei gegen ihn in Deutschland ein Verfahren durchgeführt worden. Einmal sei er über die Grenze gefahren, kurz nach der Grenze habe er realisiert, dass er noch das Sturmgewehr im Auto gehabt habe, worauf er zurück an die Grenze gefahren sei und es gemeldet habe. Das Gewehr sei dann dort deponiert worden. Es sei „ab und zu vorgekommen“, dass er Waffen versehentlich im Auto liegen gelassen habe. Es folgt ein weiterer Vorhalt aus einer Aussage von Ge. vom 22.01.2012. Dazu habe Mü. gesagt, dass diese Aussagen nicht wahr seien, er mache doch nicht solche Geschäfte: „Ich hätte ja ohne weiteres Waffen verkaufen können, die mir zum Verkauf angeboten worden sind.“ Er habe von Ge. weder Waffenerwerbsscheine noch Waffen gekauft. Es folgt ein weiterer Vorhalt aus der Aussage von Ge. Im Protokoll der Vernehmung von Mü. wird dann erläutert, dass Mü. kurz überlegt habe und das nochmal habe hören wollen. Der Richter habe Mü. dann die entsprechenden Passagen zum Lesen gegeben. Dann habe Mü. angegeben, dass er zu den Angaben auf Seite 3, Zeilen 73 bis 75, sagen wolle, dass ihm „schleierhaft“ sei, was Ge. da angegeben habe: „Man kann ja nicht über etwas diskutieren, wovon ich nichts weiß.“

Zu den Zeilen 85 bis 102 könne er sagen, dass er nicht ausschließen könne, mit Ge. über die „Dönermorde“ gesprochen zu haben. Nicht stimmen würden die Aussagen betreffend V-Mann, das Drücken des Preises und das viele Geld, das derjenige angeblich bei sich getragen haben solle. Er, Mü., habe in Deutschland keinen Preis erwähnt, weil er dort nie eine Waffe verkauft habe. Ge. kenne sich außerdem nicht aus mit Waffenerwerbsscheinen, wolle aber laut seiner Aussage etwas über Waffen wissen; das sei widersprüchlich. Die Polizei habe nach seiner, Mü.s, Festnahme von einer gesprochen, die damals in Deutschland bei dem dort gegen ihn eröffneten Verfahren zum Vorschein gekommen sei, es sei aber eine Luger gewesen: „Ich bekomme den Eindruck nicht los, dass man versucht ist, so lange von einer Ceska zu sprechen, bis ich am Schluss selber daran glaube.“ Er könne sich Ge.s Angaben nur so erklären, dass der versuche etwas „auf andere abzuschieben“.

Er habe Ge. nie Geld für Waffen oder Waffenerwerbsscheine gegeben. Auf weiteren Vorhalt aus Ge.s Aussage habe Mü. gesagt, dass er Ge. nie 400 Franken für einen Waffe gegeben habe. Er wisse auch nicht, was er mit der Identitätskarte von Ge. habe machen sollen, er habe eine ganz andere Statur als Ge. Es seien dann noch Ergänzungsfragen von RA Frey gestellt worden. Auf Frage habe Mü. gesagt, dass ihm der Name Beate Zschäpe etwas aus den Medien sage, vorher habe er nie etwas von Zschäpe gehört. Auf weitere Frage habe Mü. gesagt, dass die Namen Uwe Böhnhardt, Andreas Hi. und Marco Re. ihm nichts sagen würden, er kenne die Personen nicht; Uwe Mundlos kenne er auch nur aus den Medien in Bezug auf die „Vorfälle“ in Deutschland. Dann folgt im Protokoll der Antrag von RA Frey, dem Antrag auf U-Haft nicht stattzugeben. Die StA, so der Antrag, stütze sich nur auf die Aussagen Ge.s, die untauglich, widersprüchlich und unglaubwürdig seien. Es gebe keine „Kollusionsgefahr“ [= Verdunkelungsgefahr]. Mü. habe von Anfang an gleichlautend ausgesagt, im Gegensatz zu Ge. Mü. sei über die Vorwürfe erstaunt und wisse nichts in diesem Zusammenhang. Es gebe auch keine Verdachtsmomente, dass Mü. Kontakte zum fraglichen Personenkreis in Deutschland gehabt habe. Der Tatverdacht sei daher nicht ersichtlich. Danach folgt im Protokoll der Beschluss des Gerichtspräsidenten Staudenmann, dass dass die U-Haft angeordnet wird, beschränkt bis zum 06.05.2012. Es folgen weitere Formalia, dann der Hinweis, dass die Verhandlung um 9:40 Uhr geschlossen worden sei.

OStA Weingarten sagt, er wolle noch Stellung nehmen zum Beweisantrag von RAin Başay, RAin V. d. Behrens u.a. betreffend den Komplex Petereit/Wabra [290. Verhandlungstag]. Der Beweisantrag sei vorläufig erledigt durch Verfügung des Vorsitzenden, soweit die Antragsteller die Beiziehung einer Deckblattmeldung aus Mecklenburg-Vorpommern verlangt hätten. Im Übrigen handele es sich um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Frage, ob der Umstand einer Geldspende und die Verwendung des Kürzels „NSU“ dahingehend ausgewertet worden seien, dass eine sich „NSU“ nennende Vereinigung über erhebliche Geldmittel verfüge und diese der Szene zur Verfügung stelle und ob aufgrund dieser Erkenntnisse der Auftrag ans BfV und an den VS Mecklenburg-Vorpommern gegeben worden sei, mit nachrichtendienstlichen Mitteln abzuklären, welche weiteren Erkenntnisse es zu der Spende und dem Absender gibt etc., sei auf Grundlage der Amtsaufklärungspflicht nicht nachzugehen. Die Frage, welche Maßnahmen die Nachrichtendienste aufgrund der Spende an den „Weissen Wolf“ ergriffen hätten, sei für die Entscheidung von Schuld- und ggf. Straffrage offensichtlich ohne jede Relevanz.

Zur beantragten Einvernahme eines „nicht näher bezeichneten“ Beamten des BfV sagt Weingarten, es sei nicht erkennbar und nicht dargelegt, inwieweit die These der Antragsteller, dass das BfV über die Geldspende an eine Vereinigung „NSU“ informiert war, in irgendeiner Form für die Straf- und Schuldfrage relevant sein solle. Schließlich seien auch die möglichen Erkenntnisse des [V-Mann „“] zu dieser Spende für die Straf- und Schuldfrage nicht relevant. Selbst wenn die „in keiner Hinsicht tatsachenbasierte Vermutung“ sich bewahrheiten sollte, dass das BfV weitere Informationen durch Richter erhalten hat, dass Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe zu dieser Vereinigung „NSU“ gehörten, ergebe sich nichts für die hiesige Entscheidung Bedeutendes. Dies gelte auch für die Rechtsfolgenseite. Der Verhandlungstag endet um 13:02 Uhr.

Das Blog „nsu-nebenklage„: „Insgesamt wird deutlich, dass das Gericht noch viele einzelne Beweisstücke, die bislang nur in Vermerken abgehandelt wurden, durch Inaugenscheinnahme, Verlesung und Vernehmung der direkt handelnden Polizeibeamten wird einführen müssen, wenn es diese im Urteil berücksichtigen will. Neben diesen eher trockenen Details gab es auch noch eine im negativen Sinne beeindruckende Szene: das Gericht nahm noch einmal die ‚Vorgängerversion‘ des NSU-Bekennervideos in Augenschein, wodurch den Beteiligten der menschenverachtende rassistische Hass, der aus den Taten des NSU spricht, noch einmal eindrücklich vor Augen geführt wurde.“
http://www.nsu-nebenklage.de/blog/2016/06/28/28-06-201628-06-2016

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