Nichts gewusst zu haben darf keine Ausrede mehr sein – Bericht aus dem BT-UA

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Bericht aus dem Untersuchungsausschuss des Bundestages vom 22. September 2016

Sitzung des 2. NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag (Archivbild) Copyright: Christian-Ditsch.de

Sitzung des 2. NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag (Archivbild)
Copyright: Christian-Ditsch.de

Nur zwei Zeug_innen wurden im öffentlichen Teil der Sitzung befragt. Weitere fünf, darunter der V-Mann-Führer von Michael See alias V-Mann „Tarif“*, waren für den nichtöffentlichen Teil geladen. Eine Zeugin sagte zu gefundenen DNA-Spuren und den Umgang damit aus. Der zweite Zeuge war ein enger Freund des Neonazis Thomas Richter alias V-Mann „Corelli“, welcher im Jahr 2014 zu Tode kam, wobei die Todesumstände noch umstritten sind.

von NSU-Watch

Zeug_innen:

  • Dr. Eva Schultheiss, Expertin für DNA-Spuren des BKA
  • T.M., Freund von Thomas Richter alias V-Mann „Corelli“

 

Umgang mit gefundenen DNA-Spuren
Die erste Zeugin, Dr. Eva Schultheiss, sagte zur Untersuchung von DNA-Spuren aus. Bereits in der Woche zuvor, waren aufgefundene DNA-Spuren Thema im Ausschuss. Die Zeugin war hauptverantwortliche Sachverständige und wertete hauptsächlich gefundene DNA-Spuren aus dem Wohnmobil in , in dem Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tot aufgefunden wurden, und der Wohnung des NSU in der Zwickauer , aus.
Aufgabe der Sachverständigen war es, Berichte über die Befunde zu schreiben und ein Behördengutachten zu erstellen. Wenn eine DNA-Spur TäterInnen zugeordnet worden konnte, wurde ein Meldebogen erstellt. Vorher wurde ein Vergleich mit DNA-Muster der Beschuldigten gemacht.
Die Nachfrage des Vorsitzenden Clemens Binninger (CDU), warum nur 7 von insgesamt 14 Beschuldigten im NSU-Komplex in der DNA-Datenbank des BKA gespeichert sind, konnte die Zeugin nicht beantworten. Sie sagte aus, dass sie selbst nicht in die Ermittlungsarbeit einbezogen war, da sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin angestellt gewesen sei. Hier wurde erneut die hoch bürokratische Arbeitsweise der Ermittlungsbehörden sichtbar, bei der es selbst für solch offensichtliche Fragen schwierig scheint, den/die Verantwortliche_n ausfindig zu machen.
Interessantes kam zutage bei der Frage, wie zugänglich Abgleichmaterial von berechtigten Personen an Tatorten war. Berechtigte Personen sind beispielsweise Feuerwehrleute, Sanitäter_innen und Polizist_innen. Die Zeugin sagte aus, dass es damals noch keine Verpflichtung für Polizist_innen gab, eine DNA-Probe zum Vergleich abzugeben. Diese gäbe es erst seit Ende letzten Jahres, allerdings nur für Kriminaltechniker_innen des BKA. Somit gab es bei manchen Spuren keine Vergleichsmöglichkeit. Den Abgeordneten ging es hier vor allem um Spuren, die sich an diversen Patronen im Haus Frühlingsstraße 26 befanden. Bis heute können diese Spuren niemandem zugeordnet werden.

 

Ausschussmitglieder aus NRW zu Gast
Auf der Empore des Sitzungssaals waren an diesem Tag auch die Abgeordneten des NSU-Untersuchungsausschuss in Nordrhein-Westfalen zu Gast. Diese hatten in der Vergangenheit deutliche Kritik an der Praxis des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), in Bezug auf die Erteilung von Aussagegenehmigungen von VS-Mitarbeiter_innen, geübt. BfV-Präsident Maaßen hatte unter anderem die Aussage von „Corellis“ letztem V-Mann-Führer verhindert. Damit wurde die Aufklärung in NRW massiv behindert.** Die Zusammenhänge um Thomas Richter alias „Corelli“  sind demgegenüber explizit im Einsetzungsbeschluss des NRW-Aussschuss verankert. Am folgenden Tag standen gemeinsame Beratungen der beiden  Ausschüsse an.

 

Ein sehr guter Freund
Der zweite Zeuge, T.M., war seit 2010 ein enger Freund von BfV-V-Mann Thomas Richter alias „Corelli“. Sie lernten sich in der Leipziger Autotuning-Szene kennen. Wenn sie sich trafen ging es laut Zeugen hauptsächlich um Autos und Familie. Politische Themen seien so gut wie nie besprochen worden. Der Zeuge wusste aber, dass Richter eine extrem rechte politische Einstellung hatte. Sie hätten aber nie näher darüber gesprochen. Obwohl T.M. oft in Richters Wohnung war um Blumen zu gießen und sauber zu machen, wäre ihm nichts weiter aufgefallen. Es hätten Panzer in einer Vitrine gestanden mit der Aufschrift „Blood & Honour“, aber dies hätte ihm nichts gesagt. Mit der Musik, die Richter hörte, konnte der Zeuge auch nichts anfangen, sie hätten eben einen unterschiedlichen Musikgeschmack gehabt.
Von der V-Mann-Tätigkeit Richters und dessen Verstrickung in den Rechtsterrorismus wollte der Zeuge erst nach Richters Tod erfahren haben. Ihm war   zwar bekannt, dass Richter im Zeugenschutzprogramm war, aber angeblich nicht warum. Auch über den NSU sei in seinem Freundeskreis, auch nach dessen Selbstenttarnung und der anschließenden Medienberichterstattung, nie gesprochen worden.
T.M. gab an, mit Richter bis zu dessen Tod Kontakt gehabt zu haben. Einige Tage bevor dieser starb, habe er ihm eine WhatsApp-Nachricht geschrieben. Er fragte, ob alles in Ordnung sei und teilte mit, dass er sich Sorgen mache. Als Antwort kam nur „bin krank“, was er als sehr untypisch für Richter wahrnahm, da dieser sonst immer „Romane“ geschrieben hätte. Danach hätte es trotz mehrmaliger Kontaktaufnahme seitens des Zeugen keine Antwort mehr gegeben. Einige Tage später habe er eine Nachricht von Sven M. erhalten mit einem Link zu einem Zeitungsbericht, so habe er vom Tod Richters erfahren.
Laut Überzeugung des Zeugen habe sein Freund, der Neonazi Thomas Richter, ihn schützen wollen und deswegen nur wenig zu seiner Gesinnung gesagt oder über das Zeugenschutzprogramm, in welches er nach seiner Enttarnung als V-Mann kam.
Der Zeuge bezweifelte, dass Richter durch eine unerkannte Diabetes gestorben sei, dieser sei nie krank gewesen. Er glaube eher, dass Richter ermordet worden sei, von wem wisse er aber auch nicht. Die Todesumstände „Corellis“ sind aktuell umstritten. Seit dem Tod von Richter habe er Kontakt zu dessen Bruder L. Er selbst sei nur einmal telefonisch vom BKA befragt worden, antwortete er auf die Frage nach einer Vernehmung.

 

Neonazi als Kumpeltyp
In der gesamten Aussage des Zeugen T.M. zeigte sich, dass dieser um seinen toten Freund trauert. Diese Empathie steht in keinem Verhältnis zu Richters tatsächlichem Agieren als militanter Neonazi und V-Mann. Richter war unter anderem Mitglied im „“, Anti-Antifa-Fotograf, Aktivist der „Nationalistischen Front“ und seit seinem 18. Lebensjahr als Informant für den Verfassungsschutz tätig. Bereits 1995 berichtete er seinem V-Mann-Führer über Uwe Mundlos. T.M. grenzte sich in keiner Weise gegenüber Nazis oder deren Ideologie ab. Er berichtete zwar, dass Richter rechts war, dies hat ihn offenbar aber nicht weiter gestört. Es ist schwer, den politischen Hintergrund von T.M. zu erkennen und dadurch auch schwer abzuwägen,  inwieweit taktisches Kalkül hinter der Aussage stand. Einmal mehr wurde ein Neonazi, wie zuvor schon Ralf Marschner, als netter Kumpeltyp dargestellt. In der Aussage tauchten die Taten des NSU-Netzwerks kein einziges Mal auf. Kein Wort der Empathie mit den Opfern oder deren Angehörigen wurde geäußert. Das Nicht-Wissen-Wollen um rechte Ideologie und – am Beispiel des NSU – ihrer rassistisch-mörderischen Konsequenzen ist erschreckend oft im angeblich unpolitischen Bekanntenkreis von Neonazis zu finden.

 

*Zu Michael See siehe aktuellen Artikel auf Welt.de von Dirk Laabs
** Für weitere Infos zum Konflikt mit dem BfV in NRW. Siehe NSU-Watch NRW