Kurz-Protokoll 376. Verhandlungstag – 26. Juli 2017

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Zweiter Tag des Plädoyers der Bundesanwaltschaft

Am heutigen 376. Hauptverhandlungstag fuhr die Sitzungsvertreterin des Generalbundesanwalts im NSU-Verfahren, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof Greger, mit ihrem Teil des Plädoyers fort. Sie erörterte in vier etwa dreiviertelstündigen Blöcken das „Innenleben der Gruppe“, ihre Art Geld, falsche Papiere und Unterschlüpfe zu besorgen, die Bewaffnung und Waffenbeschaffung, die Kassengewalt in der Gruppe und die Vorbereitung von Anschlägen und Überfällen. Im Zentrum ihrer Ausführungen stand dabei stets Beate Zschäpes Rolle im NSU und inwieweit ihre eigenen Angaben dazu mit der Beweiserhebung im Prozess in Übereinstimmung gebracht werden können. Die Gruppe habe effektiv zusammengewirkt und sei lange Zeit unentdeckt geblieben, was nur bei maximalem Zusammenhalt und Zusammenspiel der Mitglieder möglich gewesen sei. Herzstück des Lebens im Untergrund seien die verschiedenen Wohnungen des NSU in Chemnitz und Zwickau gewesen, wo Beate Zschäpe mit der Abtarnung und Legendierung der Gruppenaktivitäten, der „Chimäre des ganz normalen Lebens“ gegenüber Nachbar_innen, betraut gewesen sei. Zeug_innenaussagen, Asservate und Auffindesituationen belegten ein nach außen abgesichertes Leben ohne exklusive Zimmer für jedes Gruppenmitglied. Einer der beiden Computer etwa habe sich unter Beate Zschäpes Hochbett befunden und sei für alle drei frei zugänglich gewesen, was sich anhand von Browserverläufen stimmig nachweisen lasse. Ebenso lasse sich eine klare Aufgabenverteilung und das Ineinandergreifen der drei Mitglieder nachweisen. Im Brandschutt des letzten Unterschlupfs in der Zwickauer Frühlingsstraße seien Datenträger geborgen worden, die offen herumlagen und viele hochbrisante Datensätze zu Ausspähungen und „Aktionen“, Hitlers „Mein Kampf“, den sog. NSU-Brief, aber auch Urlaubsfotos enthalten hätten, so Greger.

Beate Zschäpe sei Inhaberin und Beschafferin der Handys der Gruppe gewesen, über die sich viele Ausspähungen, Anschläge (Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße), Überfälle (Stralsund), Morde (Mord an Theodoros Boulgarides in München) und entsprechende Anmietungen von Fahrzeugen u.a. zuordnen ließen.

Greger rekapitulierte noch einmal alle Verstecke des NSU in Chemnitz und Zwickau und nannte die jeweiligen Unterstützer_innen, mit deren Hilfe sie angemietet wurden. Sie kam dabei zu dem Schluss, dass diese Wohnungen von den drei Untergetauchten gemeinsam beschafft und benutzt worden seien.

Die eigene Legendierung, die Beschaffung falscher Personalpapiere und das Schlüpfen in Tarnidentitäten war ein weiteres Thema des Vortrages. Nach Greger habe sich auch Beate Zschäpe komplett auf ihre unterschiedlichen Identitäten als Liese, Lisa, Mandy oder Susann, Dienelt, Eminger, Rossberg, Pohl oder Mohl eingelassen, so dass sie selbst angegeben habe, nicht mehr auf „Beate“ zu reagieren. Die Angeklagte sei in Interaktion mit Mundlos und Böhnhardt mit Aliasnamen in der Nachbarschaft und gegenüber Urlaubsbekanntschaften unbefangen aufgetreten. Zschäpe sei nicht nur in die Organisation von manipulierten Ausweispapieren eingebunden, sondern sei auch für die Finanzverwaltung im Untergrund zuständig gewesen und habe damit eine zentrale Rolle in der Gruppe gespielt. So sei sie persönlich noch im Jahr 2011 von Zwickau in den Raum Hannover gereist, um von dem Mitangeklagten Holger Gerlach, der den Kumpanen bis 2011 die Treue hielt, ein neues Reisedokument für Böhnhardt abzuholen. Bei anderer Gelegenheit habe sie Gerlach, der sie im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung als integrale Figur der Dreierkonstellation schwer belastet hatte, nicht nur von ihm geliehene 3000 DM zurückgezahlt, sondern ihm auch 10.000 Mark als Depot für den NSU anvertraut. Auch dem Mitangeklagten Wohlleben seien zu diesem Zweck 10.000 Mark übergeben worden, habe Gerlach zu Protokoll gegeben. Aber auch Urlaubsbekanntschaften und andere Zeug_innen bestätigen die „Kassengewalt“ Beate Zschäpes im NSU.

Die Aussagen Gerlachs widerlegen auch Zschäpes Version des Umgangs mit Waffen; zwar habe sie, so Greger, behauptet, von den Waffen gewusst und sich geärgert zu haben, dass sie offen in der Wohnung herumgelegen hätten, und verlangt zu haben, dass sie „aufgeräumt“ würden. Doch Gerlach – der insgesamt keinen Belastungseifer gezeigt habe –, habe angegeben, zu einer Waffenübergabe von Zschäpe vom Bahnhof in Zwickau abgeholt worden zu sein und dass die von ihm überbrachte Pistole in seiner und Beate Zschäpes Anwesenheit ausgepackt und durchgeladen worden sei. Auf seine erschrockene Aussage hin, sie sollten sich „nicht anmaßen zu fünft die Welt zu retten“, hätten Beate Zschäpe und die beiden Männer ihn besänftigt.

Am Ende habe das Trio über 2,5 Kilo Schwarzpulver, 20 Schusswaffen (2 Maschinenpistolen, 2 Repetierflinten, 12 scharfe Revolver und Pistolen unterschiedlicher Kaliber, drei Schreckschusswaffen) und etwa 1600 Schuss Munition besessen. Als besorgniseregend bezeichnete Frau Greger außerdem den Fund einer in einer Kiste getarnten Schussvorrichtung im Bauschutt der Frühlingsstraße, in der eine der Maschinenpistolen mit einer Laservorrichtung verbaut gewesen sei, um unentdeckt in der Öffentlichkeit eine Salve Schüsse abzugeben. Das Arsenal unterstreiche das Gefahrenpotential der Gruppe.

Zu den wichtigsten Aufgaben Zschäpes, die das Haus hütete, während die beiden Männer oft lange abwesend waren, war die Legendierung der Dreiergruppe und die Erfindung plausibler Gründe und Geschichten zu deren häufiger Abwesenheit. Sie habe zumindest gleichberechtigt, wenn nicht – wie viele Zeug_innen bestätigten – bestimmend an den Entscheidungen der Gruppe mitgewirkt und die Gelder verwaltet und ausgegeben: Als Beispiel führte Greger etwa die Buchung einer „Belohnungsreise“ für die Familie Eminger ins Disneyland Paris an, welche Beate Zschäpe nachweislich vorgenommen habe. Mit der Kassenverwaltung habe sie eine „herausragende Stellung in der Gruppenhierarchie“ gehabt, sagte Greger.

Ausführlich ging Oberstaatsanwältin Greger auf das Ausspähen von Anschlagszielen ein, stützen diese Indizien doch die These der Bundesanwaltschaft, dass es sich um eine isolierte Drei-Personen-Gruppe mit wenigen handverlesenen Helfer_innen gehandelt habe. So seien die Mordanschläge, Bombenattentate und Bank- und Raubüberfälle stets gut vorbereitet gewesen, was sich anhand zahlreicher Spurenfunde im Eisenacher Wohnmobil und im Brandschutt der Frühlingsstraße nachweisen lasse, wo häufig von den Städten der späteren Anschläge markierte Karten, Ausspähnotizen, Routenplaner-Ausdrucke aus der zeitlichen Nähe der Taten und weitere Hinweise gefunden worden seien. Das gelte unter anderem für die Morde an İsmail Yaşar in Nürnberg, Halit Yozgat in Kassel, Mehmet Kubaşık in Dortmund und den Nagelbombenanschlag in der Keupstraße in Köln, aber auch für einige Banküberfälle. Ein Zettel mit einer Handynummer, die unter dem Wort „Aktion“ notiert war und die Beate Zschäpe kurz vor dem Mord an Theodorus Boulgarides von einer Telefonzelle aus angerufen habe, beweise, dass Beate Zschäpe über die Tötungsabsicht informiert war, denn das Wort „Aktion“ sei der Gruppencode für Anschläge gewesen.

Für die Frage, warum Beate Zschäpe selten bei Ausspähaktionen dabei gewesen sei und später überwiegend mit der „Stallwache“ (Greger) betraut war, präsentierte die Oberstaatsanwältin eine neue These, die sich auf ein von Nebenklageanwalt Yavuz Narin eingebrachtes Beweisthema stützt: Beim Auskundschaften der Synagoge in der Berliner Rykestraße im Mai 2000, mutmaßlich als potentielles Anschlagsziel, war Beate Zschäpe einem Objektschützer aufgefallen, der sie angestarrt habe, was wiederum Zschäpe aufgefallen sei. Der Zeuge habe Zschäpe dann in einer Fahndungssendung wiedererkannt und der Polizei gemeldet . Die BAW glaubt, dass die Gruppe nach diesem brisanten Zwischenfall in Berlin beschlossen habe, dass Ausspähungen nur noch von den „unauffälligeren“ Männer getätigt werden sollten.

Einschätzung des Blogs „NSU-Nebenklage“

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