Protokoll 83. Verhandlungstag – 4. Februar 2014

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Gehört wurden am heutigen Verhandlungstag ein Kriminalbeamter, der den in Heilbronn angeschossen Polizisten Martin A. mehrfach vernommen hatte sowie die Hausärztin von Charlotte E. aus Zwickau zu deren Vernehmungsfähigkeit. Außerdem wurden zwei Waffensachverständige des BKA befragt. Dabei ging es um die Identifizierung der gefundenen Ceska 83 als Tatwaffe der neun rassistischen Morde des NSU. Der schon einmal gehörte Sachverständige Pfoser tat sich dabei erneut schwer, seine Untersuchungsergebnisse nachvollziehbar darzustellen.

Zeug_innen und Sachverständige:

  • KHK Herbert Be. (Vernehmungen Martin A.)
  • Angela Dr. (Hausärztin Charlotte E.)
  • Ruprecht Nennstiel (Waffensachverständiger, BKA)
  • Leopold Pfoser (Waffensachverständiger, BKA)

Der Verhandlungstag beginnt um 9.42 Uhr. Erster Zeuge ist KHK Be. von der Polizei Heilbronn, der Martin A. mehrfach befragt hat. Zunächst fragt Richter Götzl jedoch zu einem Vermerk über bei A. entwendete Gegenstände. Bei A. sei dessen Dienstwaffe Heckler & Koch P2000 mit Magazin sowie ein Funktionstool Victorinox entwendet worden, so Be. Götzl verliest die Nummer der Dienstwaffe und sagt, es sei das Magazin mit 13 Patronen Kaliber 9 mm entwendet worden. Be. bestätigt das.

Dann geht es um die Befragungen. Be. berichtet, er habe A. erstmals Anfang Juni 2007 in der Klinik in Neresheim vernommen. Der behandelnde Arzt habe nichts dagegen gehabt, A. für 20 Minuten zu befragen. Er habe auch kurz mit der Mutter von A. gesprochen, diese habe berichtet, dass A. im Mai erstmals gefragt habe, was passiert sei, die Mutter habe dann von einem Unfall gesprochen. Sie, die Ermittler, hätten vorgegeben, dass niemand A. Detailkenntnisse zukommen lassen sollte. Bei der Befragung habe A. einen orientierten Eindruck gemacht und habe sich zusammenhängend ausdrücken können. A. habe von dem Sondereinsatz zusammen mit Kiesewetter berichtet und erzählt, dass er zuvor nie in Heilbronn gewesen sei. Kiesewetter habe ihm einiges gezeigt habe, wo Personen sind, die man überprüfen soll, wo man sich eine Pizza kaufen kann. A. habe bei der Befragung gedacht, sie seien mit einem VW-Bus T4 unterwegs gewesen. An das Tatgeschehen habe A. keine Erinnerung gehabt, seine Mutter habe ihm einen Verkehrsunfall geschildert. Nach Rücksprache mit einem Arzt, der dies für sinnvoll gehalten habe, habe er, Be., A. informiert, dass er eine Schussverletzung erlitten habe und dass seine Kollegin tödlich verletzt wurde. A. sei sichtlich geschockt gewesen und sie hätten die Vernehmung abgebrochen. Die nächste Vernehmung sei Anfang Juli in der Schmieder-Klinik in Stuttgart gewesen. A. sei wieder orientiert gewesen und habe laut Arzt auch keine beeinträchtigenden Medikamente bekommen. A. habe vom Einsatz in Heilbronn berichtet, dass man einen „Drücker“ oder „Stinker“ kontrolliert habe. Man sei dann zu einem Seepark, zu einem Restaurant gefahren. An die Tat habe sich A. nicht erinnern, er habe aber jetzt gewusst, dass sie mit einem einem BMW unterwegs gewesen seien.

Anfang Februar 2008 hätten sie A. nach Heilbronn eingeladen. Im Soko-Raum hätten sie alles abgedeckt so dass er keine Information zur Tat erheben konnte. Im Raum habe A. dann gesagt, dass er den Raum kenne. Tatsächlich sei das der Raum gewesen, wo die Mittagsbesprechung am Tattag stattgefunden hat. Dann seien sie gemeinsam mit A. zum Tatort gefahren, so Be. Auf dem Weg seien sie an einem „Szenetreffpunkt“ vorbeigefahren, da habe A. gesagt, er glaube, dass sie da jemanden kontrolliert hätten. A. habe gemeint, sich zu entsinnen, dass man über den Bahnhof gefahren sei. An der Frankfurter Straße habe er gemeint, er sei die Anhöhe schon mal hochgefahren auf die Theresienwiese. Auf der Theresienwiese habe A. zunächst einmal still gedenken wollen, er habe eine Blumenstrauß hingelegt. Dann sei A. aufgewühlt zurück gekommen und habe gesagt, er wisse wieder, dass Kiesewetter und er da gewesen seien, Michèle sei gefahren, sie hätten rückwärts eingeparkt, hätten etwas gegessen und geraucht, was sie sich vorher beim Bäcker geholt hätten. Und er sei durch den Außenspiegel auf eine Person aufmerksam geworden, die von hinten herangetreten sei. A. habe gesagt, er wisse dann nichts mehr, sehe sich nur noch als dritte Person in den Kies fallen, spüre noch die Kieselsteine und wisse, dass er Angst um seine Sonnenbrille gehabt habe. Ende Februar habe man, so Be. das Ganze nochmal mit A. durchgeführt, weil der sich weitere Erinnerungen erhofft habe. Sie seien die Kontrollstellen abgefahren, A. habe gezeigt, wo er und Kiesewetter Personen kontrolliert hätten. Von der Fontäne seien sie [A. und Kiesewetter] durch den gesperrten Bereich in der Unteren Neckarstraße gefahren in Richtung Theresienwiese. Be. berichtet, er habe bewusst gesagt, dass sie heute den gesperrten Bereich nicht durchfahren. Das habe er getan, weil sich m Ende der Umfahrung die Bäckerei Kamps befinde. Dann habe A. plötzlich gesagt, dass das die Bäckerei gewesen sein muss und gezeigt, wo sie damals das Auto abgestellt hätten. Er sei an die Bäckerei herangetreten und als er den nahen McDonald’s gesehen habe, habe A. gesagt, jetzt sei er sich ganz sicher.

Dann geht es um ein Hypnose-Interview. Sie hätten das A. angeboten und der habe das unbedingt machen wollen, so Be. Im April sei dazu eine Psychologin aus Erlangen gekommen. Die habe gesagt, das Interview sei gut verlaufen. Die Vorgeschichte sei wie bei den ersten Befragungen gewesen, dass im rechten Außenspiegel eine Person herantreten gesehen habe, aber dann habe A. gesagt, dass ihm weitere Einzelheiten eingefallen seien. Michèle habe, so A., gesagt, dass man nicht mal in der Mittagspause seine Ruhe habe und der bestimmt eine Auskunft haben wolle. A. habe angegeben auch links auch eine Person im Bereich des B-Holms gesehen zu haben, aber nur den Brustbereich. Dann habe er etwas an der rechten Seite gehört. A. habe zuerst nicht gewusst, ob es sich um die gleiche Person gehandelt habe, bei einer späteren Vernehmung im Juli habe A. gesagt, dass er sich sicher sei, dass das zwei verschiedene Personen waren. Götzl fragt, wie die Anordnung der Spiegel im Fahrzeug war. A. habe immer vom Außenspiegel an der Beifahrerseite gesprochen, so Be. Die Kriminaltechnik habe das überprüft und gesagt, bei entspannter Sitzposition würde man wenig sehen. Aber er selbst habe es ausprobiert, so Be., und wenn man etwas nach vorne gehe, dann sehe man sehr wohl eine Person an das Fahrzeug herantreten. Außerdem habe es im Fahrzeug einen Rückspiegel gegeben, wo man auch etwas habe sehen können. Götzl fragt zum Ablauf der Hypnosevernehmung. Das sei in einem Video-Vernehmungszimmer mit Couch gewesen, so Be., er könne sich aber nicht an alles erinnern, obwohl er im Nebenraum zugeschaut habe. A. habe einen entspannten Eindruck gemacht. Laut der Psychologin sei der Zeuge nicht komplett weg, sondern in Tiefenentspannung. Die Psychologin habe keine Vorhalte gemacht, dass sie etwa gehofft habe, was kommen soll. Sie sei im Vorfeld auch nur ganz knapp informiert worden und habe nur abgefragt, was für Bilder A. vor sich habe. Götzl fragt, wie ausgeschlossen werden sollte, dass da eine Suggestion entsteht. In dieser Zielrichtung habe es kein Gespräch mit der Psychologin gegeben, sagt Be. Sie hätten das versucht, weil die Kollegen in München gute Erfahrungen damit gemacht hätten.

Auf Frage von Götzl, ob der medizinische Befund und die Konsequenzen für das Erinnerungsvermögen abgefragt worden seien, sagt Be., ein Kollege habe das bei Dr. Schayck (siehe Protokoll zum 82. Verhandlungstag) gemacht und dieser habe von organbedingter Amnesie gesprochen und dass er keine Erinnerung erwarte. Die Psychologin habe von glaubhaften Erinnerungen gesprochen, A. habe ja immer wieder neue Erinnerungen ausgedrückt. Er, Be., habe  immer die Angst gehabt, dass A. als Polizeibeamter ein besonders guter Zeuge sein wollte. A. habe aber gesagt, er erzähle nur das, was er weiß. Was A. erzählt hat, habe er, Be., geglaubt. Dann hält Götzl aus dem Vermerk zur zweiten Vernehmung vor, dass sich dort gezeigt habe, dass A. den Zeitablauf nur sehr ungenau nachvollziehen konnte und keine Erinnerung an das eigentliche Tatgeschehen hatte. Be. bestätigt das. Götzl hält dann vor, dass A. gesagt habe, sich ein bisschen im Internet und in Zeitungen informiert zu haben, es sei ihm aber schnell zu viel geworden und er sei auch mit „Fanpost“ beschäftigt gewesen, die sich mittlerweile angesammelt hatte. Be. bestätigt den Vorhalt. Götzl sagt, Be. habe auch Aussagen von A. mit Feststellungen abgeglichen, und fragt, was das ergeben habe. Be. sagt, das habe ergeben, dass A. zum Teil Erinnerungen habe, die nachvollziehbar seien, und zum Teil Erinnerungen, die offenbar nicht stimmen. An Beispielen nennt Be. Personenkontrollen, dass A. beim Bäcker war, und dass er das aus dem Spiegel gesehen habe, was man sehr wohl habe sehen können. Götzl hält vor, dass A. angegeben habe, im Auto auf dem Beifahrersitz sitzend sei ihm im Außenspiegel eine männliche Person aufgefallen, die von hinten herantrat. Weiter hält Götzl vor, eine Überprüfung der Spiegeleinstellungen habe ergeben, dass man eine Person nicht habe sehen können, denn der Spiegel sei auf den Fahrer eingestellt gewesen. Das seien nicht seine Feststellungen, so Be. Götzl hält vor, dass es jedoch noch einen zweiten Rückspiegel gegeben habe, der auf den Beifahrer eingestellt war, und fragt, welchen Spiegel A. gemeint habe. Er habe A. immer so verstanden, dass er den Außenspiegel an der Beifahrerseite meinte, so Be.

In Bezug auf das Hypnose-Interview bestätigt Be., dass die Psychologin festgestellt habe, dass A. motiviert und glaubhaft seine bildhaften Erinnerungen an die Tat geschildert habe. Be. bestätigt, dass es am 6. Juli 2008 noch einmal eine Vernehmung zur Bestätigung der Hypnosevernehmung gegeben habe. Dort habe A. gemeint, die Vernehmung sei sehr gut verlaufen. Auf Frage sagt Be., A. sei bis auf die erste Befragung immer sehr gefasst und orientiert gewesen. Er sei schließlich auch Polizist und habe entsprechend auftreten wollen, sei aber auch Geschädigter. Insbesondere am Tatort habe A. sich emotional gezeigt, sei bleich, geschockt gewesen, aber ansonsten sei er immer geradlinig gewesen und habe gewusst, was er sagt. Auf Frage aus dem Senat sagt Be., dass A. ganz klar gesagt habe, dass die Autotüren zu waren, die Fenster aber geöffnet.

Wohllebens Verteidiger RA Klemke fragt, welche Erinnerungen von A. denn nicht nachvollziehbar gewesen seien. Das falle ihm schwer zu sagen, so Be., aber das seien hauptsächlich die zeitlichen Angaben gewesen. A. habe sich auch erst nach und nach erinnert; er habe später erst ausgeführt, dass er zweimal am Tatort war, das decke sich mit Angaben von Zeugen, die schon einmal einen Polizei-BMW am Tatort gesehen haben wollen. Das hätten sie aber nicht konkretisieren können. Er könne sich, so Be. auf Frage, nicht erinnern, ob er Angaben von A. widerlegen konnte. Klemke sagt. Be. sei der Meinung, dass A. durch den Außenspiegel bei gewisser Körperhaltung durchaus habe Personen sehen können. Be. bejaht das, er habe das ausprobiert, wenn man leicht nach vorne gehe und den Kopf drehe, gehe das. Nach Beschreibungen möglicher Tatverdächtiger durch A. befragt, sagt Be., A. habe beide beschrieben. Die Person die von rechts gekommen sei, sei eine ältere Person, über 30 gewesen, zum Gesicht habe A. nichts sagen können, nur dass sie keine Brille und keinen Pferdeschwanz gehabt habe. Die Größe sei 1,70 bis 1,80 m. Außerdem habe er später von einer Jeans gesprochen. Zu der Person auf der linken Seite habe A. nur gewusst, dass sie ein rot-weiß kariertes Kurzarmhemd getragen habe. Zu Gesichtern habe er keine Erinnerung gehabt. Auf Frage Klemkes sagt Be., wenn er sich recht erinnere, habe A. zunächst gesagt, er könne nichts zu den Haaren der Person sagen, dann habe er von dunklen und kurzen Haaren gesprochen. Zur anderen Person habe A. nichts sagen können, da sie durch den Holm verdeckt gewesen sei. Klemke fragt, ob abgesehen von der Angabe von Dr. Schayck weiter abgeklärt worden sei, ob das Pseudoerinnerungen oder tatsächliche Erinnerungen sein könnten. Be. sagt, er wüsste nicht, dass in der Zeit der Soko bis 2009 so etwas abgeklärt worden wäre, wolle es aber nicht ausschließen. Er glaube, dass es nach 2009 (Abgabe der Ermittlungen an das LKA) noch einmal ein Gutachten gegeben habe, wisse es aber nicht. Die Vernehmung endet um 10.27 Uhr. Es folgt eine längere Unterbrechung, dann wird mitgeteilt, dass sich die nächste Zeugin verspäte und es nach der Mittagspause weitergehe.

Nach der Pause geht es um 12.53 Uhr weiter mit der Zeugin Dr., der Hausärztin von Charlotte E. (siehe Protokoll zum 71. Verhandlungstag). Dr. schildert ausführlich den Krankheitsverlauf von E. Sie kenne E. seit 2008, ab der ersten Konsultation habe E. eine Herzerkrankung gehabt. Bis Sommer 2011 sei es E. für ihr Alter recht gut gegangen, dann sei es schlechter geworden. Im Mai 2012 sei es zu einer akuten Verschlechterung gekommen, so dass E. am Herzen habe operiert werden müssen. Im Anschluss an die Reha sei E. direkt wieder in die Klinik gekommen. Danach habe sie sich nie wieder richtig erholt. E.s geistige Leistungsfähigkeit sei erheblich geschwächt. Seit Sommer 2013 sei E. in einem Pflegeheim, sie habe bei ihr gestern noch einen Hausbesuch gemacht. Dr. berichtet von Problemen bei den Transfers und bei der Erinnerungsfähigkeit. Nach Angaben der Pflegekräfte wechsele der Zustand von E., einen Tag sei sie gut drauf und spräche und den nächsten Tag liege sie nur im Bett. Über die Ereignisse in der Frühlingsstraße habe sie sich mit E. nicht unterhalten, so Dr. Ob und wenn ja wie man E. vernehmen könne, sei eine schwierige Frage. Ein Transport nach München sei indiskutabel, das überstehe E. nicht. Wenn überhaupt ginge eine Vernehmung vor Ort und mit viel Zeit. Sie wage aber zu bezweifeln, dass dann wahrheitsgemäße Angaben heraus kommen. Auf Frage aus der Nebenklage zu einer möglichen abrupten Veränderung, etwa im November 2011, sagt Dr., E. sei erst wieder im Januar 2012 in der Praxis gewesen. Dabei, so Dr. auf Nachfrage Götzls, habe E. nichts davon geschildert, private Ereignisse habe E. nie erzählt. Auf Frage aus dem Senat sagt Dr., eine Chance aus medizinischer Sicht, dass sich der geistige Zustand von E. verbessere, bestehe nicht.

Nach einer Pause folgt um 13.25 Uhr die Einvernahme des Physikers und Waffensachverständigen Ruprecht Nennstiel vom BKA Wiesbaden. Götzl sagt, es gehe ihm um die Untersuchung einer Pistole Ceska 83 mit Schalldämpfer und 12 Patronen, des weiteren einer Pistole Bruni und um einen Spurenvergleich von Vergleichsmunitionsteilen mit der zentralen Munitionssammlung des BKA. Nennstiel sagt, er habe zwei Gutachten gemacht, einerseits eine waffentechnische Begutachtung und rechtliche Einordnung und andererseits eine Identifizierung, Zuordnung zu Straftaten. Zur waffentechnischen Untersuchung sagt er, die Waffennummer der Ceska sei zunächst noch nicht erkennbar gewesen, sondern sei erst später sichtbar gemacht worden, es handele sich um die Nummer 034678. Die Waffe sei mit einem Schalldämpfer versehen gewesen und habe von der einschickenden Dienststelle, der PD Zwickau, die Spurnummer W04 bekommen. Zusammen mit der Waffe habe es 12 messingfarbene Vollmantelgeschosse der tschechischen Forma Sellier & Bellot gegeben, 11 im Magazin und eine im Lager. Es sei dann darum gegangen, ob die Waffe überhaupt funktioniert. Zumindest optisch sei die Waffe in einem ganz schlechten Zustand gewesen. An der Waffe bzw. dem Schalldämpfer habe man Reste einer Kunststofffolie gefunden, die verschmolzen sei, weil die Waffe hohen Temperaturen ausgesetzt gewesen sei. Nach einer vorsichtigen Reinigung habe die Waffe beschossen werden können, um Vergleichsmunitionsteile aus der Waffe zu gewinnen. Die Waffe funktioniere einwandfrei und auch die Patronen seien augenscheinlich funktionsfähig. Zur technisch-rechtlichen Bewertung sagt Nennstiel, es handele sich zweifelsfrei um eine halbautomatische Schusswaffe, bei der man zum Besitz eine Waffenbesitzkarte und zum Führen einen Waffenschein oder Jagdschein benötige. Dieselben Bedingungen würden für den Schalldämpfer gelten. Zur Einschätzung von dessen Dämpfungsleistung hätten sie, so Nennstiel, die Waffe einmal mit und einmal ohne Schalldämpfer beschossen, die Dämpfungsleistung betrage 20,7 dB(C).

Zur Spurenuntersuchung sagt Nennstiel, beim Vergleichsbeschuss sei mit den Munitionsteilen ein Vergleich mit der zentralen Tatmunitionssammlung des BKA durchgeführt. Dort würden Munitionsteile aus sämtlichen unaufgeklärten Taten aufbewahrt. Die Spuren auf Munitionsteilen, die jede Waffe hinterlasse, seien individuell. Auch wenn die Waffe nicht bekannt sei, könne man sagen, ob es sich um dieselbe Waffe handelt. In diesem Fall habe aber man die Waffe zur Verfügung, aus der die Vergleichsmunitionsteile stammen. Wenn man  das mit den gesammelten Tatmunitionsteilen vergleiche, könne man das beurteilen. Das sei hier der Fall, so Nennstiel, er könne die Nummern verlesen. Man mache das getrennt für Hülsen und Projektile. Bei den Hülsen verweist Nennstiel auf eine Tabelle im Gutachten. Daraus könne man entnehmen, um welche Straftat es sich handelt. Bei den Geschossen gebe es insgesamt neun Zuordnungen. Die Munitionsteile befänden sich beim BKA in Verwahrung. Bei der Bruni-Pistole sei die gleiche Untersuchung durchgeführt worden. Die Waffennummer sei noch einwandfrei zu lesen gewesen. Auch diese Waffe sei in einem schlechten Zustand gewesen, habe aber durch Reinigung beschussfähig gemacht werden können, um Vergleichsmunitionsteile zu gewinnen. Zur rechtlich-technische Bewertung sagt Nennstiel, auch die Bruni sei eine halbautomatische Schusswaffe, bei der man zum Besitz eine Waffenbesitzkarte und zum Führen einen Waffenschein oder Jagdschein benötige. Was die Hülsen angeht, gebe es zwei Übereinstimmungen. Beim Vergleich der Projektile habe keine eindeutige Identifizierung durchgeführt werden können. Das könne daran liegen, dass die Waffe zwischen der Tatbegehung und Sicherstellung etliche Veränderungen erfahren habe. Es sei weder ein Beweis noch ein Ausschluss möglich.

Götzl hält vor, dass im Gutachten stehe, bei der Sammlungsnummer 44320 sei eines der ursprünglich zwei Geschosse im Verlauf der Vergleichsarbeit vertauscht worden und unauffindbar. Nennstiel bestätigt das. Nennstiel sagt, er habe zur Verdeutlichung seiner Ausführungen eine Power-Point-Präsentation angefertigt, die an die Wände projiziert wird. Zunächst wird die Ceska 83 von beiden Seiten gezeigt. Das sei die Waffe in dem Zustand, in dem sie ihnen übergeben wurde, so Nennstiel. Was da so nach oben stehe, sei eine offenbar verschmorte Plastiktüte. Es folgen Aufnahmen aus einen Rasterlektronenmikroskop. Es gehe hier um die Spurenübereinstimmung, sagt Nennstiel. In der Mitte sehe man einen hellen Trennstrich, es sei eine so genannte „Schmetterlingsdarstellung“, das sei aufgeklappt an der Schnittkante in der Mitte. Es handele sich hierbei um Verfeuerungsspuren des so genannten Stoßbodens, also des Teils der Waffe, wo der Boden der Patrone aufliegt. Bei diesen Aufdrücken spiegele sich der Stoßboden aus Stahl auf der Patronenhülse, die aus Messing bestehe, einem weicheren Material, der Stoßboden hinterlasse ein Abbild. Bei der Zündung werde ein Stahlstift in das Zündhütchen getrieben. Das harte Material hinterlasse auf dem weichen Zündhütchen Spuren. Links sehe man die Tat-, rechts die Vergleichsmunition. Der Schlagbolzen der Ceska 83 habe die Tatmunition gezündet. Folie 6 zeige Spuren des Auswerfers, der die Hülse nach dem Schuss auswirft. Dort pralle wieder ein Metallstift auf die Hülse und die Kante einer Aussparung hinterlasse eine Spur. Links sehe man die Tatmunition, rechts das Vergleichsstück. An der Trennkante erkenne man wieder die Übereinstimmung. Nennstiel sagt, die Projektile hätten sechs Felder und Züge im Rechtsdrall. Bei den nächsten Folien geht es um die Pistole Bruni. Die ersten Bilder zeigten die Bruni im Einlieferungszustand, stark verschmutzt. Die nächsten Folien zeigten dann einen Ausschnitt des Schlagbolzeneindrucks, links sehe man die Tatmunition, rechts die Vergleichshülse, man sehe übereinstimmende Spuren des Schlagbolzens. Das letzte Bild zeigt das Vergleichsrasterelektronenmikroskop. Nennstiel: „Also ein imposantes Gerät.“

Zum Abschluss seiner Ausführungen lässt Nennstiel noch zwei Videoclips vorführen, die den Schussvorgang der Ceska 83 in Zeitlupe zeigen. Man sehe hier das Geschoss aus dem Schalldämpfer austreten, so Nennstiel, und wie die Hülse ausgeworfen wird. Da sehe man, wie die Hülse in Kontakt komme mit diversen Bauteilen der Waffe. Das ermögliche, die Waffe zu identifizieren. Das seien Ereignisse, die in sehr kurzer Zeit, ca. 30 Millisekunden geschehen, das sei üblicherweise nicht sichtbar mit dem Auge. Götzl fragt zu Aluminiumantragungen. Das wolle er Herrn Pfoser überlassen, der das festgestellt  habe, so Nennstiel. Es sei aber allgemein so, dass der Schalldämpfer aufgeschraubt werde und das Projektil ohne Touchieren auch aus dem Schalldämpfer austreten solle. Andererseits wolle der Konstrukteur erreichen, dass die Gase möglichst im Schalldämpfer gefangen werden, weil die ja einen Knall erzeugten. Das sei eine diffizile Angelegenheit und wenn der Schalldämpfer „nicht exakt fluchtet“, komme das Geschoss mit Bauteilen mehr oder weniger in Berührung. Zur Dämpfungsleitung des Schalldämpfers sagt Nennstiel, die Waffe sei sowohl mit als auch ohne Schalldämpfer laut. Über den Daumen gepeilt seien 6 dB etwa eine Halbierung des Schalldrucks. Trotzdem sei die Waffe auch mit Schalldämpfer sehr laut. Bei Straßenlärm sei das aber wieder anders, als wenn die Waffe z. B. hier in diesem Raum abgefeuert würde. Ein Richter fragt, mit welchen Munitionsfabrikaten die Vergleichsbeschüsse durchgeführt worden seien. Das könne er jetzt nicht sagen, so Nennstiel, aber man nehme in der Regel die Munition, die auch der Täter verwendet hat. Der Richter möchte zur Tatmunition weiter fragen, wird jedoch von Götzl unterbrochen, das sei der Bereich, mit dem sich der Sachverständige Pfoser beschäftigt habe. Auf Frage von OStain Greger sagt Nennstiel, dass die Bruni im Original eine „8mm Knall“ sei, die zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt umgearbeitet worden sei durch Einsetzen eines anderen Laufes, Kaliber 6,35. RAin Schneiders fragt zur zweiten Abbildung der Power-Point-Präsentation, ob es ich bei der Schmetterlingsdarstellung um die selbe Größendarstellung handele. Das bestätigt Nennstiel. Möglicherweise irritiere Schneiders das Zündhütchen, der große Kreis. Das komme darauf an, wie die Patrone auf dem Stoßboden aufliegt, die eine liege etwas höher als die andere. Aber man vergleiche ja die Spuren an der Schnittkante. Auf Frage von RA Hösl, Verteidiger von Carsten S., sagt Nennstiel, es gebe bei der Ceska keine Anzeichen für irgendwelche Manipulationen. Die Einvernahme von Nennstiel wird unterbrochen.

Dann wird die bereits früher begonnene Einvernahme des Sachverständigen Pfoser fortgesetzt (siehe Protokoll zum 50. Verhandlungstag). Götzl sagt, es gehe ihm um die Untersuchung von Hülsen und Geschossen, die Spurenbewertung, die Munitionskennzeichnung und die Frage der Verwendung eines Schalldämpfers. Pfoser sagt, er habe beim letzten Mal versucht, kurz zu beschrieben, um welche Geschosse es sich handelt an den neun Tatorten Fall 1 bis Fall 9, nun wolle er das bildlich darstellen. Pfoser lässt Bilder zeigen, auf den Vergrößerungen teilweise deformierter Hülsen und Geschosse aus verschiedenen Perspektiven zu sehen sind. Er sagt, es seien insgesamt 4 Geschosse und 3 Hülsen Kaliber 6,35 gefunden worden und 26 Geschosse und 9 Hülsen Kaliber 7,65. Götzl sagt zu Pfoser, man benötige hier auch eine Zuordnung zu den jeweiligen Fällen, um die Ausführungen von Nennstiel über die Ziffern verstehen zu können. Pfoser sagt, er habe die bildlichen Darstellungen als Übersichtsaufnahme und mache dann die Zuordnung. Zu Aufnahmen eines Geschosses Kaliber 6,35 aus dem ersten Fall in Nürnberg sagt Pfoser, dabei handele es sich um eine Abformung des ursprünglichen Tatgeschosses, das verloren ging. Da sie aber Abformungen an verschiedene Stellen zum Abgleich mit deren Sammlungen verschickt hätten, so Pfoser, hätten sie noch Kopien des ursprünglichen Geschosses, das damit als Beweismittel erhalten geblieben sei.

Dann zeigt Pfoser weiter Aufnahmen von Geschossen und Hülsen der gefunden Tatmunition, beginnend mit „Fall 1“. Erst auf Nachfrage Götzls nennt Pfoser Sammlungsnummern. Pfoser erläutert, dass die Sammlungsnummern permanent eingraviert würden, damit es zu keinen Verwechslungen komme. Nachdem Pfoser erneut nur von „Fall 2“ spricht, fordert Götzl ihn ungehalten auf, die Sammlungsnummern zu nennen und den Fall genau bezeichnen. Bei „Fall 4“ sagt Pfoser, das sei der Fall in München. Götzl reagiert gereizt und sagt, in München gebe es zwei Fälle. Pfoser sagt, er habe das chronologisch aufgebaut. Das wisse er, erwidert Götzl, es gehe aber darum, dass das hier eingeführt werden müsse. Das müsse transparent und klar werden für die Verfahrensbeteiligten und auch für Presse und Zuhörer. Pfoser solle davon ausgehen, dass hier keiner etwas weiß und einfache Worte benutzen. Das Gerüst sei durch Nennstiel bereits vorgegeben, man wisse welche Waffen Nennstiel beschossen habe und dass Nennstiel die Munition mit den Waffennummern verglichen habe. Von Pfoser wolle man jetzt hören, was sich hinter den Nummern verbirgt. Pfoser geht dann über zu „Fall 5“ und nennt das Datum 25. Februar 2005 und den Ort Rostock. Bei einem Bild zu diesem Fall sagt Pfoser, hier fehle ein Mantelteil, das beim Verfeuern abgesplittert sei. Man werde sehen, dass dieses Geschoss beim Verfeuern eine Hülse getroffen hat und sich ein Geschosssplitter abgelöst habe. Das sei eines von mehreren Indizien, die drauf hindeuteten, dass die Tathülsen aufgefangen worden sind, denn es sei nicht vorstellbar, dass das Geschoss zufällig eine Hülse am Boden getroffen hat. Erst auf Nachfrage nennt Pfoser auch die entsprechende Sammlungsnummer. Pfoser geht weiter die einzelnen Fälle durch.

Dann fragt Götzl nach der Verwendung eines Schalldämpfers. Pfoser legt dar, dass er bei den Fällen in Dortmund und Kassel 2006 auf einem bestimmten „Zugeindruck“ bei den Geschossen Aluminiumanhaftungen festgestellt habe. Er habe dann festgestellt, dass immer an diesem Zugeindruck 4 an der gleichen Stelle diese Anhaftungen aufgetreten seien. Das gehe zurück bis zum Fall in Rostock, wo das erste Mal Munition des Fabrikats Sellier & Bellot festgestellt worden sei. Das sei zum ersten Mal ein sachlicher Nachweis für die Verwendung eines Schalldämpfers gewesen. Außerdem sei es ein Indiz gewesen, dass es sich eher um ein Original handele. Denn bei selbst gebastelten Schalldämpfern touchiere das Geschoss nicht immer an derselben Stelle. Das Geschoss berühre, so Pfoser auf Nachfrage, eine bestimmte Lamelle oder einen bestimmten Bestandteil der Gasverwirbelungskammer des Schalldämpfers. Die Anhaftungen seien dann untersucht worden und es habe sich tatsächlich um Aluminium gehandelt, so dass man habe schließen können, dass zumindest innere Bestandteile des Schalldämpfers aus Aluminium gefertigt sein müssten. Vor dem fünften Fall gebe es, sagt Pfoser auf Nachfrage, keine objektiven Tatbestände, die auf die Verwendung eines Schalldämpfers schließen ließen. Da sei aber auch ein anderer Geschosstyp, ein anderes Fabrikat verwendet worden. Evtl. sei es deswegen nicht zu einem Touchieren gekommen, man könne also auch nicht ausschließen, dass ein Dämpfer verwendet wurde. Das Aluminium sei durch mechanische Reibung aufgetragen worden, Aluminium sei weicher als das Messing des vorbei streifenden Geschosses, sagt Pfoser auf Frage von Götzl. Es handele sich um hauchdünne Auftragungen. Götzl fragt, was man hinsichtlich des Umstandes sagen könne, ob der Schalldämpfer mal abgenommen wurde. Pfoser sagt, seine Theorie sei zuerst gewesen, dass die Anhaftungen durch Abnehmen des Dämpfers dann nicht mehr an derselben Stelle wären. Aber das Gewinde sei sauber gefertigt gewesen, es habe nicht durch festeres Drehen zu einem Überdrehen kommen können. Der Dämpfer habe jeweils im selben Bereich gestoppt, deswegen sei diese Theorie hinfällig. Beim Fall des Geschädigten Kubaşık sei die Rede von Schmauchantragungen an eine Hülse, so Götzl. Er habe, so Pfoser, festgestellt, dass die Hülse nicht, wie zunächst angenommen, gerostet war, sondern extrem stark beschmaucht. Das habe seine These bestärkt, dass die Hülse in einer Tüte aufgefangen und mehrmals beschmaucht worden sein konnte, bevor sie durch eine Öffnung heraus gefallen oder, wie im Fall Rostock, heraus geschossen worden sei. Es folgt eine Pause bis 15.02 Uhr.

Danach fragt Nebenklagevertreter RA Narin, ob festgestellt werden konnte, ob an der verwendeten Munition Manipulationen vorgenommen worden sind, insbesondere an der Treibladung. Dafür habe es keine Anzeichen gegeben, so Pfoser. Dann fragt Wohllebens Verteidiger RA Klemke. Auf dessen Frage sagt Pfoser, nur die Projektile, bei denen auch visuell Anhaftungen festgestellt worden seien, seien dann auch chemisch untersucht worden. Die Munition aus den ersten vier Fällen sei nicht chemisch untersucht worden. Wohllebens Verteidigerin RAin Schneiders fragt, ob Waffen aus einer Serienfertigung auch ähnliche Individualspuren aufweisen. Man müsse zwischen Individualspuren und gruppenspezifischen Spuren unterscheiden, antwortet der Sachverständige, eine Identifizierung werde anhand von Individualspuren vorgenommen. Man wisse dann, dass es sich um einen bestimmten einzigartigen Waffenlauf handele: „Wenn ich von einer Identifizierung spreche, dann hab ich diese Waffe als Spurenverursacherin identifiziert und es kommt keine andere in Frage.“ Schneiders fragt, wie viele Individualspuren vorhanden sein müssen, um eine bestimmte Waffe wirklich identifizieren zu können. Pfoser sagt, es gebe auf Erfahrung begründete Bewertungsstufen. Diese reichten von „Indifferent“, wo es weder Nachweis noch Ausschluss gebe, über „Wahrscheinlich Ja“ zu „Ja“. Bei „Ja“ müsse es ausreichend Individualspuren geben, die einen Nachweis rechtfertigen. Auf der anderen Seite gebe es „Wahrscheinlich Nein“, wenn eher Unterschiede vorhanden seien und „Nein“, wenn unterschiedliche Gruppenmerkmale vorlägen. Schneiders fragt, ob bei Serienfertigung von Läufen aus gleichartigem Metall, die Individualkennzeichen ähnlich sind oder was da die charakteristischen Punkte sind. Pfoser erläutert die Fertigung eines Waffenlaufs. Individualspuren entstünden schon beim Bohren des Laufs, dann beim Polieren und Glätten sowie beim Erzeugen des Dralls, bei dem die „Felder“ und „Züge“, d.h. die Stege und Vertiefungen im Laufinneren entstünden. Weitere Individualspuren entstünden beim Einfräsen des Patronenlagers und beim Bearbeiten der Mündung. Auch wenn man zwei Läufe direkt hintereinander fertige, würden sich die Läufe in den Individualspuren voneinander unterscheiden. Systemmerkmale wären dagegen, dass die beiden Läufe gleiche gruppenspezifische Merkmale haben, wie z.B. 6 Felder Rechtsdrall und Felderbreiten von 1,3 mm. Das seien Gruppenmerkmale und habe man etwa 6 Felder Linksdrall, dann sei das ein Ausschluss anhand von Gruppenmerkmalen. Bei einer Identifizierung könne man anhand der Individualmerkmale darauf schließen, dass die Spur einzigartig ist. Auf Wunsch von Schneiders wird eine rasterelektronenmikroskopische Aufnahme gezeigt, bei der von unten nach oben Spuren von Munition aus den neun Fällen zu sehen sind und ganz unten eine Spur aus einem Vergleichsbeschuss, die Pfoser erläutert. Schneiders sagt, es seien ja doch auch signifikante Abweichungen zu sehen. Diese seien erklärbar durch unterschiedliche Materialien und unterschiedliche Verhältnisse von Schuss zu Schuss, so Pfoser. Bei der Spurensuche versuche man auch, Widersprüche zu finden und dann zu klären, ob es sich um einen echte Widerspruch handelt oder es im Rahmen der Variationen zu erklären ist. In der Übersicht sehe man, dass die Spuren nach oben hin sich verschlechtern. Zu Beginn seien die Spuren besser gewesen, denn das Geschossmaterial sei weicher gewesen. Ab dem Fall 5 in Rostock habe man Messingmantelgeschosse, die einen höheren Zinkanteil hätten. Da sehe man, dass auch das Material eine Rolle spielt, nicht nur der Durchmesser. Auch ein zylindrischer Körper habe in sich Toleranzen, manchmal habe man Berührungen, manchmal nicht. Das erkläre, warum es von Schuss zu Schuss bei dem gleichen Fabrikat auch Variationen gebe: „Das ist kein Widerspruch – im Gegenteil.“ Das sei außerdem ein Auszug und wenn man noch weitere Feldereindrücke sehe, habe man so viele Übereinstimmungen, die einen sicheren Eindruck erlaubten. Schneiders fragt, wie viele das denn seien. Pfoser erläutert ein empirisches Experiment: Wenn man Schmirgelpapier nehme mit einer bestimmten, individuellen Körnung und zweidimensional auf einem Fotonegativ einen Kratzer produziere, habe man eine Reihe von Parallelspuren. Wenn man jetzt das Papier horizontal abschneide, dann sehe es so aus wie hier, es stimme nicht überein, aber man sehe, dass dieses Streifenmuster nur an einer Stelle von unten nach oben sich fortsetzt. Aber auch das Korn nutze sich ab. Zumeist habe man ein Muster über die ganze Fläche, das an einer einzigen Stelle übereinstimmt. Wenn man das abschneide und eine Übereinstimmung an anderer Stelle suche, werde man das nie schaffen. Man habe das in Experimenten oft versucht. Bei tausenden Experimenten sei es nie zu mehr als drei, fünf oder sechs Übereinstimmungen bzw. Pseudoübereinstimmungen gekommen. Der Rest sei widersprüchlich gewesen. Dieses Muster hier habe, so Pfoser weiter, bei weitem mehr als sechs Übereinstimmungen, es gehe aber nicht nur um die Übereinstimmung einer Spur allein, sondern auch um die Höhen und Breite. Und das sei ein wichtiges Kriterium, das für die Zuordnung auch ausreiche. Schneiders fragt, ob sie richtig verstanden habe, dass beim Fall Kassel aufgrund der Abnutzung weniger Spuren zu sehen seien als beim ersten. Pfoser sagt, es gehe nicht nur um Abnutzung, es gebe auch andere Einflüsse wie die Munition. Er wiederholt, dass es trotzdem ausreiche für eine Zuordnung.

Dann fragt Zschäpes Verteidiger RA Heer zur Abformung, die von einem Projektil angefertigt wurde. Pfoser erklärt, das solche Abformungen angefertigt werden, um internationale Ringversuche mit anderen Laboren durchführen zu können. Dazu würden nicht die Originale versendet, sondern eben Abformungen. Heer fragt nach der Methode der Abformung, die Pfoser, unterbrochen von Nachfragen Heers, versucht zu erläutern. Pfoser sagt dann, er fertige die Abformungen nicht selbst an, er wisse aber, dass die Spuren völlig reproduziert werden und dieses Geschoss noch alle Spuren trägt wie das Originalgeschoss. Es werden auf Wunsch Heers Spurenaufnahmen von dem Geschoss gezeigt, das nur noch als Abformung vorliegt. Hier habe man, so Pfoser, weitgehende Übereinstimmungen, also den Nachweis, dass beide Geschosse aus dem selben Lauf verfeuert worden sind. Heer fragt, ob Pfoser anhand der Bilder darlegen könne, welche Kriterien erfüllt sein müssen. Pfoser sagt, er habe es am Modell der Schmirgelleinen dargestellt, mit denen das Rohr geglättet wird, und da sei es in tausenden Experimenten zu maximal fünf oder sechs Pseudoübereinstimmungen gekommen. Hier habe man wesentlich mehr Übereinstimmungen, diese Grenze sei hier bei weitem übertroffen. Was auch eine große Rolle spiele, sei die Erfahrung. Diese Übereinstimmungen zeigten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein und denselben Waffenlauf handelt, so Pfoser: „Um nicht zu sagen, ich bin mir sicher.“ Heer fragt, von welchen der hier relevanten Geschosse sonst noch Abformungen gemacht worden seien. Pfoser nennt zuerst Labore, an die Abformungen gesendet werden, dann sagt er auf Nachfrage, er könne jetzt nicht sagen von welchen Geschossen Abformungen gemacht worden seien. Er halte das zwar für nicht relevant, könne es aber nachliefern.

RA Hösl sagt, Pfoser habe davon gesprochen, die Vermutung, dass ein Schalldämpfer verwendet wurde, läge an dem festgestellten Aluminium. Hösl fragt, ob das das allgemein gelte oder man das speziell für den vorliegenden Schalldämpfer machen könne. Dass Anhaftungen an den erhabenen Stellen gefunden wurden, nicht an den Vertiefungen, bedeute, so Pfoser, dass etwas außerhalb des Laufes stattgefunden habe. Dadurch, dass es immer wieder auftrat, habe man davon ausgehen können, dass es nicht beim Aufprall stattfand. Man nehme Aluminium für die inneren Lamellen und Kammern von Schalldämpfern, weil es leichter im Gewicht und bei der Bearbeitung ist. Auf die Frage sagt Pfoser, diese Anhaftungen seien kein Beweis, dass es sich um einen bestimmten Schalldämpfer handelt. Seine These sei zu Beginn gewesen, dass der Schalldämpfer vielleicht nie abgenommen worden ist, aber durch den guten Sitz des Gewindes könne es auch sein, dass er abgenommen wurde. Bei der Waffe Kaliber 6.35 habe er keine Hinweise auf die Verwendung eines Schalldämpfers gefunden, so Pfoser. Auf Frage des anderen Verteidigers von Carsten S., RA Pausch, verneint Pfoser, den Schalldämpfer darauf hin untersucht zu haben, ob er innen aus Aluminium gefertigt ist, die Identifizierung habe eine andere Stelle gemacht. Sie hätten das deswegen nicht gemacht, so Pfoser, weil sie es nicht mehr für relevant hielten. Wie erwähnt, sei das ja kein Nachweis, dass es sich bei dem Schalldämpfer um den Tat-Schalldämpfer handeln müsse. Pausch fragt, ob sich das Spurenbild einer Waffe auf einem Projektil durch diese starken thermischen Einwirkungen auf die Waffe verändere. Pfoser sagt, wenn sich das so gravierend verändert hätte, dann wäre eine Identifizierung nicht mehr möglich gewesen. Es sei offensichtlich nicht zu so hohen Temperaturen gekommen, dass sich die Spuren geändert hätten.

RA Klemke fragt, ob es eine Faustformel gebe, wieviele Übereinstimmungen es geben müsse, um zu sagen, dass man eine bestimmte Wertung vornimmt. Pfoser sagt, eine Faustformel für eine sichere Identifizierung sei, je mehr Spuren in Qualität und Quantität vorliegen, desto sicherer kann man sich sein. Nach weiteren Ausführungen Pfosers fragt Klemke, wieviele Übereinstimmungen man denn brauche. Pfoser sagt, er habe ja das praktische Beispiel mit den fünf Kratzern beim Schmirgelpapier gegeben. Wenn man mehr als fünf Übereinstimmungen habe, dann sei man auf der sicheren Seite. Ein generelles mathematisches Modell existiere nicht, das sei eine empirische Wissenschaft, die sich bewährt und bewiesen habe. Klemke fragt, ob also jeder Gutachter einen anderen Maßstab anlege. Pfoser erwidert, es gebe da keine so deutliche Kriterien wie z.B. bei Fingerabdrücken. Letztlich müssen man den Sachverständigen überlassen, ob es reicht oder nicht reicht. Die Spuren von Schusswaffen blieben außerdem im Leben einer Waffe nicht konstant. Da spiele die Erfahrung eine große Rolle. Klemke fragt wieder nach Kriterien und Pfoser sagt, man habe Vergleichsmikroskope, verschiedene bildgebende Verfahren und letztendlich müsse man aufgrund der Erfahrung und dem was an Übereinstimmung vorhanden ist, eine Entscheidung treffen können. Klemke fragt, ob ein „skrupelhafter“ Gutachter vielleicht höhere Ansprüche stellen würde als jemand, der da lockerer mit umgeht. Pfoser sagt, das könne man durchaus so sehen, letztlich sei es subjektiv in der Bewertung. Es gebe aber gewisse Grenzen, wo jeder Gutachter, wie in diesem vorliegenden Fall, zum gleichen Schluss kommen müsse. Eine Minderung der Kriterien, wenn sich Teile der Geschosse nicht eignen, gebe es nicht, so Pfoser, wenn das Geschoss sehr stark deformiert ist, gebe es bspw. Schwierigkeiten mit Rundaufnahmen, aber man könne das mit Vergleichsmikroskopen immer noch untersuchen. Die Bewertung müsse man ohnehin vorher vornehmen. Das was er hier gezeigt habe anhand der Bebilderung sei nichts anders als eine Dokumentation, so Pfoser.

Auf Frage von RAin Schneiders, ob Vergleichsschüsse mit Schalldämpfer und ohne durchgeführt worden seien, sagt Pfoser, er habe das nicht durchgeführt. Schneiders fragt, ob Pfoser Vergleichsmunition mit und ohne Schalldämpfer vorgelegen habe. Pfoser sagt, er habe nur die Tatmunition gehabt. Für Vergleichsmunition und Identifizierung sei Nennstiel zuständig gewesen. Er habe im Wege des Vier-Augen-Prinzips eine Qualitätsüberprüfung der entsprechenden Gutachten vorgenommen, könne aber nicht mehr sagen, ob da mit oder ohne Schalldämpfer geschossen wurde. Seines Wissens nach sei das aber nicht durchgeführt worden, weil es ja nicht relevant sei für eine Zuordnung. Es sei ja kein Beweis, sondern nur eine Bestätigung, dass es der gleiche Schalldämpfer gewesen sein könnte, man könne aber anhand der Anhaftungen keinen Schalldämpfer identifizieren. André E.s Verteidiger Hedrich fragt, ob man ausgehend vom Lauf rückschließen könne, dass er von diesem oder jenen Werkzeug hergestellt wurde. Er glaube nicht, so Pfoser, dass man nachweisen könne, dass ein bestimmtes Werkzeug verwendet worden ist, auch wenn man es vorliegen habe. Sie hätten da keine hintereinander gefertigten Läufe zur Verfügung gehabt. Was sie wohl gehabt hätten seien Waffen von der Firma Luxik (siehe Protokoll zum 47. Verhandlungstag) zur Feststellung einer bestimmten Spur. Da hätten sie Gemeinsamkeiten feststellen können, aber nur in den gruppenspezifischen Merkmalen, z.B. bogenförmige Fräßpuren. Man könne nicht ein bestimmtes Werkzeug aus der Lauffertigung zuordnen. Man habe dann angenommen, dass die Waffen möglicherweise in einem engen Zeitraum gefertigt worden sind und das habe sich auch heraus gestellt. Denn die wieder sichtbar gemachte Waffennummer der Ceska sei nur fünf Nummern entfernt gewesen von der Musterwaffe, die sie im Laufe der Untersuchungen angekauft hätten, sagt Pfoser. Hedrich sagt, Pfoser habe davon gesprochen, dass sich die Spuren durch häufigen Gebrauch abschleifen und fragt, ob das bedeute, dass sich zwei Waffen aus der gleich Charge nach zehntausendfacher Verfeuerung beginnen anzugleichen. Bezogen auf das Laufinnere und wenn man von zehntausend Schüssen spreche, bedeute das, so Pfoser, dass kaum mehr Spuren vorhanden seien, das werde dann indifferent.

Auf Frage von RA Klemke sagt Pfoser, dass er das Gutachten von Nennstiel geprüft habe, es habe ihm schriftlich vorgelegen und die Spurenlage sei bildlich dokumentiert gewesen, er habe sich die Projektile aber auch persönlich angeschaut. Auf Frage von RAin Schneiders erklärt Pfoser, dass er die Aluminiumanhaftungen 2006 nach der Tat in Kassel festgestellt habe. RA Pausch fragt, ob es einen Erkenntnisgewinn bringe, wenn man mit dem Munitionsfabrikat der ersten vier Fälle Testschüsse mit Schalldämpfer macht im Hinblick auf Anhaftungen. Das bezweifle er, so Pfoser, weil es bestätigen würde, dass diese Munition keine Anhaftungen überträgt. Und wenn man doch Anhaftungen fände, so Pfoser, würde das ebenfalls nichts beweisen, weil man nicht wisse, was die Ursache war. Man habe ja nicht mehr dieselbe Munition im selben Lagerungszustand, wie sie zum Zeitpunkt der Tat verwendet worden ist, auch wenn man das gleiche Fabrikat habe. Andere Möglichkeiten für Alumuniumauftragungen außerhalb eines Schalldämpfers gebe es nicht, es müsse ein Gegenstand gewesen sein, der immer im gleichen Abstand war. Die Plausibilität sei nicht anders denkbar als durch einen Schalldämpfer. Eine Mündungsbremse wie bei anderen Waffen gebe es bei der Ceska 83 nicht. Es sei nur rein theoretisch, dass irgendjemand einen derartigen Vorsatz fabriziert. Auf Frage von Nebenklagevertreter RA Martinek sagt Pfoser, im konkreten Fall verändere das Gewinde des Schalldämpfers das Geschossbild nicht, weil das Gewinde nicht bis zur Bohrung in der Laufmündung reiche.

RAin Schneiders fragt, ob Pfoser mit der Auswertung von Waffen aus der „Birthler-Behörde“ beteiligt war. Der Begriff „Bithler-Behörde“ sage ihm nichts, so Pfoser, und spricht dann vom Luxik-Kontingent, das überprüft worden sei und von charakteristischen bogenförmigen Spuren. Nach einigen Ausführungen sagt Richter Götzl, er frage sich, ob die Antwort noch mit der Frage zusammen passe. Schneiders konkretisiert die Frage und sagt, es gehe um die Begutachtung von Ceska 83 aus Stasi-Bestand. Pfoser: „Ach, das meinen Sie.“ Die würden sich deutlich unterscheiden, so Pfoser, da habe man diese Vertikalspuren. Daher könne man die ausschließen als Tatwaffen. Er könne sich an eine Waffe erinnern, die sei aber bezüglich der Waffennummern völlig außerhalb von diesen ca. 30 aufeinander folgenden Seriennummern.

Götzl entlässt Pfoser und sagt, dass der Sachverständige Nennstiel noch zur Verfügung stehe. Der Verhandlungstag endet um 16.57 Uhr.

Das Weblog „NSU-Nebenklage“ schreibt zur Einvernahme von Leopold Pfoser: „Leider war er im Gericht nicht in der Lage, seine Untersuchungen und die Ergebnisse nachvollziehbar darzustellen, und schuf dadurch selbst Zweifel an seinem Ergebnis. Dabei ging es bei seinem Bericht – nach dem eindeutigen Gutachtens des ersten Sachverständigen Nennstiel – eigentlich nur noch darum, welche der von ihm untersuchten Geschosse – die ja für die später durchgeführten Untersuchungen als Vergleichsstücke verwandt wurden – von welchem Tatort stammten. Unter Umständen wird man sich die Gutachten also nochmals von einem Gutachter erklären lassen müssen, der auch eine gewisse Performance hat. Sollte die Verteidigung Wohlleben den verunglückten Bericht nutzen wollen, um Zweifel an Wohllebens Schuld zu behaupten, wird sie damit aber nicht durchdringen – das eindeutige Gutachten Nennstiels und die ebenso überzeugenden schriftliche Gutachten Pfosers zeigen, dass die von Wohlleben und S. beschaffte Ceska 83 die Waffe war, die für neun Morde des NSU verwendet wurde.“

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