Zweiter Akt der Thüringer Posse: Bericht von der 51. Sitzung des Untersuchungsauschusses

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Bericht von der 51. Sitzung des  NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag am 31.1.2013 mit der Vernehmung von Thüringer LKA‚lern und Verfassungsschützern als Zeugen 

Am 31.1.2013 befragte der Untersuchungsausschuss des Bundestages drei Zeugen, die in Thüringen mit der Suche nach dem untergetauchten NSU-Trio betraut waren: Den zuständigen Zielfahnder Sven Wunderlich, seinen damaligen LKA-Chef Egon Luthardt und Thomas Sippel, den Amtsnachfolger des berüchtigten Chefs des Thüringer Verfassungsschutzes, .

Die Anhörung des geplanten vierten Zeugens wurde aufgrund der fortgeschrittenen Zeit am späten Abend abgesagt.

In den Befragungen ging es oberflächlich betrachtet um viele kleine Details bestimmter Zeitpunkte und Verhaltensweisen zuständiger Beamter, die an dem einen oder anderen Punkt einen Erfolg bei der Fahndung nach den drei Untergetauchten versagten. Alle drei Zeugen nutzten die Befragung oder die Einlassung zur Rechtfertigung ihrer Unfähigkeit: Zu hohe Arbeitsbelastung und zu wenig Mitarbeiter_innen (Zielfahnung und LKA), der desaströse Zustand ihrer Behörden schon vor ihrer Amtsübernahme (LKA und LfV), Pech (Luthardt: „Wir kamen einfach immer zu spät“) oder auch generelle Unzuständigkeit (Sippel: „Da müssen Sie nicht mich fragen, das war vor meiner Amtsübernahme“).

Genauer betrachtet war der Tag ein Zeugnis dafür, wie Behörden sich (angeblich) gegenseitig wichtige Informationen vorenthalten und (angeblich) nicht kooperieren und gleichzeitig sich alle Ämter auf den Füßen zu stehen scheinen, inklusive MAD und BKA. Und wie schwierig und vielleicht unmöglich eine Aufklärung der Behördenvorgänge der damaligen Zeit ist: Noch immer fehlen Akten oder sind unvollständig, die Zeugen widersprechen einander, beschuldigen die jeweils anderen, erinnern sich nicht und führen die schwierigen Umstände als Entschuldigung an. Dabei erging sich vor allem der Zeuge Luthardt in Klagen über die damalige strukturelle Arbeitsunfähigkeit seines Amtes. Aber auch LfV-Chef Sippel schilderte recht eindrücklich, in welchem Zustand er das LfV nach Roewers Abgang vorgefunden hatte und wie er erstmal „die Hälfte des Führungspersonals ausgetauscht“ habe. Genaueres ist nachzulesen im Schäfer-Bericht.

Über einige spannende Details der Befragungen soll dennoch berichtet werden, ohne zur Hoffnung auf erhellende Antworten zu den Umständen des Untertauchens oder der Organisation des NSU und seines Umfeldes zu ermutigen.

Ahnungslose Zielfahndung und manipulierte Akten?

Eine offene und offensichtlich noch ungeklärte zentrale Frage ist: Was machte das BKA bei der Razzia der Garagen am 26.1.1998 bzw. kurz danach, wo 1,4 kg Sprengstoff und Rohrbomben gefunden wurden? Gefunden wurde nämlich auch eine Telefonliste, vermutlich von Uwe Mundlos, auf der quasi das who-is-who der damaligen und teilweise auch heutigen Neonaziszene, insbesondere von Sachsen (vgl. S. 5 http://gamma.noblogs.org/files/2012/07/gamma193-web.pdf) zu finden ist. Sie war damals ein zentrales Hinweisstück für das Umfeld der Geflüchteten und des späteren NSU. Diese Liste hat die Zielfahndung laut Aussage von KHK Wunderlich nie zu Gesicht bekommen, er habe von ihrer Existenz erst im Nachhinein erfahren. Luthardt dazu: „Die Einschätzung, dass die Telefonliste in der Garage nicht wichtig war, kam von zwei BKA-Beamten“. Wieso BKA-Beamte? Warum sind die da und begehen auch noch einen unglaublich fatalen Fehler? „Bei den Ermittlungen zum Puppentorso waren auch BKA-Beamte eingeschaltet, deswegen haben wohl auch untere Beamte [des zuständigen LKA]das BKA eingeschaltet“ und versäumt, das zu kommunizieren.

„Hätten wir den Hinweis gehabt, wären wir ihm nachgegangen“ sagte Zielfahnder Wunderlich nicht nur in Bezug auf die Telefonliste sondern auch auf ein anderes Asservat, das zu (organisierte die erste Unterkunft des Trios, späterer V-Mann für das Berliner LKA) und Thorsten S. als mögliches Versteck bzw. zumindest zu ihnen als helfendes Umfeld geführt hätte und wohl auch mit einem handschriftlichen Vermerk von einem Beamten (des BKA?) als „Hinweis auf einen möglichen Aufenthaltsort“ versehen war: Briefe, die das Trio vor ihrem Untertauchen an die beiden damals inhaftierten Neonazis in den Knast geschrieben hatten.

Desweiteren machte Wunderlich zumindest indirekt eine doch skandalöse Anschuldigung: Er suggeriert, dass die von ihm bzw. seiner Abteilung zusammengestellten Fahndungsakten im Nachhinein frisiert worden sind, wenngleich er das so direkt nicht sagen mochte. Er habe die insgesamt sieben oder acht Ordner vor der Übergabe an die EG Tex am 22.8.2001 eine Woche lang geordnet und sortiert und in einem tadellosen Zustand gebracht. Der visuelle Eindruck, den er nun bei der erneuten Akteneinsicht Beginn der Woche (zur Vorbereitung auf seine Aussage vor dem UA) gehabt habe, sei aber desaströs gewesen: Auf dem Kopf eingeheftete Blätter, fehlende Seiten, ein ganzer zusätzlicher Band, der nicht von der Zielfahndung stamme – und auf einmal die genannte ihm bis dahin aber unbekannte Telefonliste von Mundlos „in Kopie, aber an einer Stelle, wo sie bei ordnungsgemäßer Abheftung nicht hingehört hätte“. Hier wurde er mit der Aussage eines LKA-Beamten Melzer konfrontiert, dass Wunderlich die Akten im November 2011 selbst mit dem KHK Dressler „sondiert“ habe und dass das „ein wildes Treiben“ gewesen sei.

Wunderlich sagte, dass er im November 2011 aber nur einen flüchtigen Blick in die Akten geworfen hatte, um zu bestätigen, dass es sich um die der Zielfahndung handele, eine Unordnung oder Manipulation sei ihm deswegen damals noch nicht aufgefallen. „Wunderlich war einfach nicht in der Lage, eine saubere Aktenführung zu leisten, er war eigentlich überlastet“, fiel ihm Ex-LKA-Chef Luthardt in den Rücken. Uneinigkeit zwischen Wunderlich und Luthardt herrschte auch über die Definition des Zielfahnungsauftrages, d.h. ob es eine offizielle Zielfahndung war (Luthardt) oder nur eine „unterstützende Fahndung“ (Wunderlich), die erst später rückdatierend offiziell gemacht wurde.

Verfassungsschutz Thüringen vs. LKA

Unklar ist auch, ob LKA und Zielfahnung direkt vom LfV sabotiert wurden oder nicht. Derartige Vorwürfe und versandete Beschwerden an Roewer gab und gibt es vielerlei. Wunderlich sagt, dass es ein informelles Gespräch zwischen ihm und Luthardt gegeben habe, wo sie spekulierten, ob man vielleicht gar nicht wolle, dass man die drei kriege. Luthardt bestreitet das Gespräch. In Bezug auf den Wunsch des LfV, dass das LKA den Cousin von Zschäpe zu deren möglichen Aufenthaltsort nicht befragen solle, um „keine Unruhe in die rechtsradikale Szene“ zu bringen, sagte Wunderlich: „Das LfV hatte den ersten Schuss frei, erst dann kam die ermittelnde Behörde.“ Luthardt sagt: „Es gab Gerüchte, dass das LfV über V-Leute die Arbeit des LKA sabotiert, aber das waren nur Gerüchte.“ Ihm sei nicht bekannt, dass das LfV erst „vorchecken“ durfte, bevor die Zielfahnder befragen durften, erst im Nachhinein sei ihm klar geworden, dass dem LKA nur ca. ein Drittel der Informationen weitergeleitet wurden, wie zum Beispiel auch die Einschätzung, dass sich die drei bewaffnet haben. LfV-Präsident Sippel sagte dazu, dass er auf die Aussage von Peter Jörg Nocken (stellvertretender Chef des LfV Thüringen, vgl. Artikel auf haskala.de) vertraut habe, dass es im Amt nichts gäbe, was die Polizei nicht wisse: „Ich bin davon ausgegangen, dass alle Informationen übermittelt worden sind.“ Übermittelt worden sei laut Wunderlich von der Zielfahndung an LKA und LfV jedoch der Hinweis, dass der Vater von Uwe Mundlos am 18.3.1998 (bei McDonals an der Autobahnausfahrt Jena) dem LKA mitgeteilt hatte, dass er einen Zettel in seinem Briefkasten gehabt habe, auf dem stand, dass für den VS arbeite. Das Original dieses Zettels habe er aber den BeamtInnen nicht zeigen wollen und es ist bis heute unbekannt.

Gerüchte und gegenseitige Schuldzuweisungen der Untätigkeit

Unklar ist auch, ob das LKA über die Observation der Bernhardtstr. in Chemnitz, also die Wohnung der mutmaßlichen UnterstützerInnen (vgl. unser Artikel) und Kai S. informiert war. Luthardt wurde mit einem an ihn namentlich adressierten Schreiben des LfV Sachsen konfrontiert, in dem es hieß „wie besprochen“ anbei die Fotos von der Überwachung zur möglichen Identifizierung. Er behauptet, er kenne das Schreiben und auch den Vorgang nicht. Wunderlich sagte aus, dass es zumindest eine Befragung von Mandy Struck durch das LKA gegeben habe, die aber zu keinem Erfolg geführt habe.

Insgesamt machte der Tag im Untersuchungsausschuss deutlich, wie begrenzt die Möglichkeiten der Zielfahndung wohl tatsächlich waren – trotz einer generellen erstaunlichen Erfolgsbilanz von 170 erfolgreichen Fällen von insgesamt 180. In zehn entscheidenden Monaten (zwischen Dezember 1999 und August 2000) dieses Falles aber habe eine Fahndung nach dem Trio z.B. gar nicht stattgefunden, da die fünf Beamten voll mit der Suche nach „dem Satansmörder“ Möbus (Zitat Wunderlich) beschäftigt waren. Deutlich wurden aber auch die systemischen Fehleinschätzungen der Behörden, die sich bei allen drei Zeugen beispielhaft ausdrückten, hier ein best-of:

  • Wunderlich zu den in der Garage von Zschäpe gefundenen Rohrbomben: „Ja, also, das ist mir klar, dass das gefährlich ist, aber die Bombe war ja nicht jemandem direkt zuzuordnen. Es ist ja bekannt, das viele Jugendliche so was mal als Silvesterknaller machen.“
  • Luthardt zu den Verdiensten des VS Thüringen in Bezug auf Rechtsextremismus während seiner Amtszeit: „Zumindest führungsmäßig waren wir immer überaus engagiert was Rechtsextremismus angeht.“ Es habe eine „Konzeption zur Verhinderung von Skinhead-Konzerten“ geben, „die Erfolg hatte“. In seiner Amtszeit habe es dann keine Skinhead-Konzerte in Thüringen mehr gegeben.
    Hier sei nur das Blood & Honour-Konzert am 13. November 1999 in Schorba bei Jena nennen, an dem schätzungsweise 1.000 Neonazis teilnahmen (Infos auf haskala).
  • Sippel über , der nach seiner Enttarnung durch das LfV nachbetreut, aber nicht mehr befragt wurde: „Ich denke, dass er alles erzählt hat, was er erzählen konnte.“

Siehe auch den Bericht von Gerd Wiegel (Die LINKE) http://www.linksfraktion.de/nachrichten/keine-unruhe-rechtsextreme-szene-tragen/

Die nächsten Sitzungen des Untersuchungsausschusses finden am 21. und 22. Februar statt.