Sachsen klein geredet – Bericht vom UA am 21.3.2013

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Bericht von der 62. Sitzung des Untersuchungsausschusses zum NSU im Bundestag am 21.3.2013

 

Zeugen:

  • Joachim , LfV Sachsen
  • Dr. Olaf , LfV Sachsen
  • Reinhard Boos, LfV-Präsident a.D.  Sachsen

Die Vernehmung der drei Zeugen aus dem LfV Sachsen vor dem des Bundestages am 21.3.2013 war inhaltlich nicht ergiebig. Nicht, dass man anderes erwartet hätte, aber mal wieder zeigte sich stundenlang in aller Deutlichkeit die Strategie der Behörden, erstens nur das zuzugeben, was bekannt ist und zweitens die Verantwortung bei den anderen Behörden (in diesem Fall v.a. dem LfV Thüringen) zu suchen. Die Versuche der Abgeordneten, persönliche oder strukturellen Schuldeingeständnissen oder konkrete Fehler zu hören zu bekommen, liefen ins Leere. Wie Pudding an die Wand nageln.

 

Aussagestrategien
Die Zeugen – v.a. Tüshaus, 1993 bis 2004 Leiter der Abteilung „Extremismus“ des LfV Sachsen und Vahrenhold, seit 1994 beim LfV Sachsen als Jurist Beauftragter für die G-10-Maßnahmen und ab 2004 Leiter der Abteilung 2 (Links- und Rechtsextremismus) – hielten lange Eingangsstatements, die auf Bitte der Abgeordneten teilweise radikal gekürzt wurden und versuchten, ihre Sicht der Dinge darzulegen, die allzu bekannt ist. Entweder ergingen sie sich in Details, nach denen nicht gefragt wurde, oder sie referierten, gefragt nach konkreten Maßnahmen, all die allgemeinen „Erfolge“ im Kampf gegen . Teilweise schienen die ersten beiden Zeugen sogar die gleichen Formulierungen zu gebrauchen. Auch Reinhard Boos, 1999-2002 und 2007 bis 2012 Präsident des LfV Sachsen, referierte wie seine beiden Vorredner vor allem was spätestens seit dem Schäfer-Bericht öffentlich bekannt ist ohne neue Details zu liefern.

 

Offensichtlich hatten sich alle drei Zeugen gut vorbereitet: Vor ihnen lagen lange Skripte und Tabellen. In weiten Passagen und auch auf Nachfragen gaben sie lediglich detailliert alle im Schäfer-Bericht veröffentlichten Erkenntnisse über Observationen und UnterstützerInnen wieder. Zum NSU-Desaster positionierte sich Tüshaus, indem er am Ende seiner Einlassung feststellte, dass „an der schweren Niederlage der Sicherheitsbehörden […] auch das LfV Sachsen seinen Anteil“ habe. Auch Olaf Vahrenhold sagte, es sei „äußerst bedrückend, dass die drei in der Zeit, wo ich teilweise zuständig war, in Sachsen gewohnt haben. Ich konnte leider nichts beitragen zum Auffinden, aber es ist leider so.“ Von einer ernstgemeinten Bereitschaft zur Aufklärung beizutragen war dennoch wenig zu spüren.

 

Wie dicht das LfV Sachsen dran war
Ein Rückblick: Aus Jena flüchteten , und Zschäpe im Januar 1998 in ihr engstes politisches Umfeld, dessen ProtagonistInnen allesamt sowohl Antifaschist_innen als auch den „Sicherheitsbehörden“ als Angehörige einschlägiger Naziorganisationen bekannt sind (v.a. , , Andreas G. und von Blood & Honour Chemnitz und später André und Maik E. von der Weißen Bruderschaft Erzgebirge). Man (inklusive LfV Sachsen) wusste, dass Mundlos ab 1996, z.B. über die Gefangenenbetreuung von und Thomas S., engen Kontakt nach Chemnitz und Dresden hatte. Es gab verschiedene Hinweise über den Verbleib der drei ab 1998 und ihrer geplanten Bewaffnung durch Jan W. und die Versorgung mit einem falschen Pass durch Antje P.. Alles Informationen, die den Verfassungsschutzbehörden (auch dem LfV Sachsen) vorlagen, jedoch (meist) nicht an die Strafermittlungsbehörden, d.h. die Zielfahndung oder die sächsische oder die Thüringer Polizei weitergegeben wurden – aus Quellenschutz-Gründen.

 

Auch die wie wir heute wissen durchaus zentrale mutmaßliche Unterstützerin Mandy S. kam laut Boos ins Visier des LfV Sachsen, nachdem man dort erkannt hatte, dass sie auf der letzten Demo vor dem Untertauchen in Dresden im Januar 1998 zusammen mit Zschäpe eine Fahne getragen hatte. [vgl. Artikel auf unserem Blog] Tüshaus hatte gesagt, der Hinweis auf Mandy S. kam vom LKA Thüringen – jedenfalls war auch das LfV Thüringen an Observationen beteiligt. Das LfV Sachsen mietete eine konspirative Wohnung für die Observation von Mandy S. und ihrem Freund an. Die Beobachtung ihrer Wohnung wurde wieder abgebrochen, nachdem das LfV (oder das LKA Thüringen) zu Mandy S. in die Wohnung ging, um ihr ein Foto zwecks Identifizierung der vor ihrer Haustür fotografierten Person zu zeigen – es war wohl wider der Annahme der Beamten nicht Böhnhardt. Laut Boos war dann „die Spur Struck“ erkaltet, die G-10-Maßnahmen wurden eingestellt. „Das hat sich nach meinen Erkenntnissen bestätigt, da Struck nur vorher Kontakt zu den Dreien hatte, danach nicht mehr.“ Dass mindestens zwei Raubüberfälle damals in unmittelbarer Nähe von Mandy S. stattgefunden hatten und es ja Hinweise gab, dass sich die drei durch Überfälle zu finanzieren gedachten – das wurde nicht in einen Zusammenhang gebracht.

 

Was dem sächsischen LfV konkret vorlag war auch eine Mitteilung aus einer wohl eigenen V-Person-Quelle, dass bei einem internen Treffen der B&H Sektion am 14.6.1998 Antje P. anregte, „die politische Arbeit im Untergrund durch Anschläge“ fortzuführen. Tüshaus gab zu, dass er diese Meldung „wahrscheinlich gesehen“ habe, aber ihm sei „nicht erinnerlich, dass mir in späteren Besprechungen und Fällen diese Meldung präsent“ sei, was heißt, dass das LfV Nazis bei Gesprächen über Bewaffnung und Anschläge und Untergrund zuhört, ohne daraus eigenes Handeln abzuleiten, geschweige denn die Info an andere Stellen weiterzugeben. Mehr wollte Tüshaus allerdings dazu in einer öffentlichen Sitzung nicht sagen und verwies darauf, dass der „Kontext“ der Meldung „erklärungsbedürftig“ sei, was er nur in einer geschlossenen Sitzung machen könne. Und mehr war dann auch nicht rauszubekommen oder zu skandalisieren. Jedoch sollte betont werden, dass es sicherlich kein Zufall ist, dass sowohl die Behörden damals als auch die Medien und die Behörden heute Mandy S. und Antje P. als Akteurinnen kaum wahrnehmen – wenn eine Neonazistin vom bewaffneten Untergrund redet, kann das ja nicht ernstgemeint sein?!

 

Fehlende Motivation und keine Feder zu führen
Zentrale Frage der Vernehmungen aller drei war: Warum hat das LfV Sachsen nicht selbst die Ermittlungen an sich gezogen? Warum hat das LfV Sachsen die Suche nach den Dreien und die Ausleuchtung ihres Umfeldes nicht zu einer eigenen Angelegenheit gemacht? Schließlich war doch mit B&H Sachsen das Umfeld und konkret auch der vermutete Aufenthalt des Trios nach ihrer Flucht in Sachsen. Die Antworten wiederholten sich: Sachsen hatte „kein eigenes Informationsaufkommen“, „im Kern ist die Suche nach Geflüchteten eine Sache der Polizei“ (Tüshaus) und „die Verantwortung ist bei der federführenden Behörde [gemeint ist das LfV Thüringen], das ist einfach so“ (Vahrenhold). Der Abgeordnete der Grünen, Wolfgang Wieland, hielt Vahrenhold dann auch vor, dass Sachsen ja Hinweise hatte, dass die drei sich dort versteckten und dass sie versuchen, sich zu bewaffnen (interne Mitteilung des LfV Brandenburg an Sachsen und Thüringen) und dass das LfV Sachsen ja selbst das Umfeld sowieso mit Überwachungsmaßnahmen belegte (Operation „Oreon“ und „Terzett“ gegen B&H Chemnitz zwischen 1998 und 2001, d.h. weitreichende Observationen und TKÜ und G-10-Maßnahmen gegen Jan W, Antje P., Thomas G., später auch Mandy S. – alles bekannt geworden durch den Schäfer-Bericht).

 

Doch in Bezug auf eine engagierte Suche nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe und Hinweisen auf ihren Verbleib entwickelte das LfV keine eigene Motivation, was die Beamten immer wieder damit begründeten, dass erstens ja nicht sie „die Federführung“ hatten sondern Thüringen und zweitens, dass das zwar im Rückblick offensichtlich sei, dass sie in ihr nächstes politisches Umfeld flüchteten, nämlich nach Chemnitz bzw. Zwickau, aber dass man damals dachte, sie hätten sich „ja nicht in die Szene begeben“. Was denn die drei mit der von Jan W. zu besorgenden Waffe vorhatten oder ein eigenes Interesse an der Aufdeckung einer Waffenbeschaffung: „Diese Frage haben wir uns nicht gestellt“ (Tüshaus).

 

Die weiße Weste
Alle drei Zeugen betonten, dass der Bereich „Rechtsextremismus“ in Sachsen damals wie heute einen großen Teil ihrer Arbeit ausmachen würde und sie Blood & Honour auf gar keinen Fall unterschätzt hatten, sondern ab den späten 90ern bis heute einen „Strauß von Maßnahmen“ ergriffen hätten. Boos: „Ja, wir haben Blood and Honour als gefährlich, als sehr gefährlich eingeschätzt“ und „es ist sehr viel aus verschiedenen Ämtern gegen B&H getan worden.“. Als Begründung für die Situation in Sachsen erklärte Boos dem Untersuchungsausschuss die Lage in den „neuen Bundesländer“ – d.h. rassistische Pogrome, gewaltbereite Nazi-Skinhead-Kameradschaften und eine Unmenge an Rechtsrockkonzerten und -Infrastruktur – mit der Nach-Wende-Situation, wo „die Jugend einen schlechten Start“ gehabt habe und man zwar „diesen Trend“ gehabt habe, aber „wirklich viel und konsequent getan wurde, um den Rechtsextremismus einzudämmen.“ Heute seien neue Koordinierungseinrichtungen und gemeinsame Dateien genau die richtige Konsequenz aus dem, was hier passiert ist.

 

Doch weder Boos noch Tüshaus oder Vahrenhold konnten darlegen, was sie konkret zur Ergreifung des Trios geleistet haben. Sie zeigten sich zwar konsterniert über die Folgen ihrer Untätigkeit jedoch nicht schuldbewusst. Als Verantwortungsträger im Landesamt Sachsen hätten sie ganz konkret sowohl den Hinweisen auf Bewaffnung, Identitätsbeschaffung und engsten Kontakten und Freundschaften nach Chemnitz aus einer eigenen Motivation nachgehen müssen. Sie hätten es ernst nehmen müssen, wenn eine Neonazistin über bewaffneten Untergrund und Anschläge redet. Sie hätten nicht Quellenschutz gegen Strafverfolgung ausspielen müssen. Sie hätten ein eigenes Lagebild haben können, das die Option des Rechtsterrorismus klar aufzeigt. Und auch heute noch zeigt sich, wie das System weiter funktioniert, wie schwierig es ist, eine offene Aufklärung der Geschehnisse zu versuchen, wenn sich weiterhin auf den Quellenschutz der V-Personen berufen werden und die extreme Rechte inklusive der Rolle der Frauen klein geredet werden kann.